Argh, ich hatte gerade schon den Kommentar und hab dann den Tab geschlossen.
Vierzehn Jahre zuvor...
Miranda war ein sehr direktes Mädchen. Was sie dachte, sagte sie und sie hatte auch nicht vor, das zu ändern. Sie war auf der einen Seite zwar selbst sehr stolz, auf der anderen Seite konnte sie aber auch Niederlagen einstecken und diese schnell verarbeiten. Doch es gab eine Sache, die sie seit Monaten störte. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie nämlich noch keinen Pokémon-Partner. Sie war bisher allein und konnte, auch wenn sie immer wieder zum Spielen mit Ada eingeladen wurde, nur zuschauen, wie Amanda und ihr Vulpix immer bessere Freunde wurden und mehr und mehr trainierten, damit beide stärker werden konnten.
Auch sie besaß einen Pokéball, der eine besondere Farbe besaß. Bei ihr war die obere Kapselhälfte gelb und ein schwarzes „M“ in geschwungener Schrift war im oberen Abschnitt eingeprägt. Diesen Ball hatte sie erhalten, als sie sechs Jahre alt geworden war. Ihr Vater hatte ihr den Ball überreicht, als es langsam Abend wurde. Mit einem Augenzwinkern und Lächeln im Gesicht hatte er ihr zugewispert: »Irgendwann wird ein Pokémon in deiner Umgebung auftauchen und du wirst wissen, dass ihr beide ein Team sein müsst. Es wird dir ewig ein treuer Freund sein und dir helfen, wo es nur kann. Jede Situation, egal wie schwer oder verworren sie ist, wird gemeistert werden, denn ihr könnt euch auf einander verlassen. Irgendwann wirst du mit einem Pokémon, dem du so sehr traust, auf eine Reise gehen, die viele Leute von euch sprechen lassen wird. Da bin ich mir sicher. Es erwartet euch, Amanda, eure Pokémon-Partner und dich, eine große Zeit voller Abenteuer und Kämpfe.«
Doch was war jetzt? Es war noch nicht einmal ein Jahr vergangen und sie war nicht einmal sieben, aber ihre Schwester sah so glücklich aus mit ihrem Partner und das wollte Miranda eben auch. Sie war zwar nicht der eifersüchtige Typ Mensch, aber sie wusste, dass sie so etwas auch erleben wollte. Besonders weil sie im Waisenhaus noch keine Freunde gefunden hatte, obwohl sie schon seit vier Monaten hier lebten und man sie eigentlich immer dort finden konnte, wo auch die anderen Kinder spielten und tobten.
Die Zeit verstrich und aus Sommer wurde früher Herbst. Noch immer war Miranda ohne Partner und weil sie so geknickt schaute, frage Amanda sie: »Kommst du mit zum See? Nur wir. Das wird bestimmt Spaß machen.«
»Ich weiß nicht so recht. Ich will euch auch nicht beim Trainieren stören. Bist du dir wirklich sicher?«, hakte sie nach, um sie nicht zu stören, und schaute Amanda an. Miranda war einer jener Menschen, die schnell von sich dachten, dass sie andere nervten, ihnen eine Last war, selbst wenn niemand bisher daran gedacht hatte. Sie dachte es einfach.
Diese lachte und antwortete umgehend: »Natürlich! Wir gehen dort doch viel zu selten hin und die anderen spielen ja eh nur Dinge, die wir nicht mögen. Also komm!«
Ein mattes Lächeln breitete sich auf Mirandas Lippen aus und sie nickte schließlich. Am See war es immer schön gewesen und Miranda verband tolle Erinnerungen daran, denn der See lag genau zwischen dem Waisenhaus und ihrem Elternhaus und war dementsprechend auch damals schon ein oft angepeiltes Ziel gewesen. Viele Tage hatte sie dort mit ihren Eltern und ihrer Schwester erlebt, aber auch traurige und schmerzhafte Momente durchlebt, denn ihren Arm hatte sie sich hier das erste und bisher einzige Mal gebrochen.
Es dauerte nicht ganz so lange, bis die beiden dort angekommen waren und sofort zogen sich beide die Schuhe aus, um diese in das kühle Wasser einzutauchen. Einige Minuten taten sie das, bis Ada, welche die ganze Zeit außerhalb ihres Balls war, ihre Ohren nach oben richtete und zu ihrer Linken schaute, wo ein Gebüsch stark raschelte und gar nicht aufzuhören schien.
Aus dem Gebüsch sprang nach kurzer Zeit ein blaues Pokémon, dessen Bauch von einer schwarzen Spirale über weißem Hintergrund gefüllt wurde. Die Arme waren muskulös und behandschuht, die Beine dünn und die Augen fanden sich über dem Bauch. Kein Kopf oder Mund war zu sehen, doch gerade das ließ den Blick des Pokémon fieser erscheinen als es mit Mund der Fall wäre.
Und tatsächlich rannte das Quappo auf die beiden Mädchen und das Vulpix zu und stoppte nicht, obwohl Miranda und Amanda versuchten, ihre Gabe zu aktivieren und das Pokémon zu beruhigen. Doch dieses reagierte nicht darauf und Ada musste helfen.
Ada rannte vor die beiden Mädchen und feuerte sogleich eine Glut auf das Quappo ab, die es jedoch nicht juckte. Es lief weiter in Richtung der Drei und griff nun selbst an.
Eine gewaltige Menge Wasser traf das Vulpix genau in die Flanke und es jaulte auf.
Es atmete schwer, doch das große Kampf-Pokémon machte weiter und setzte noch einmal seine Attacke auf das kleine Fuchs-Pokémon ein, das nicht nur getroffen wurde, sondern danach auch nicht mehr aufstand. Ada war besiegt worden.
Amanda traute ihren Augen nicht und Miranda versuchte, sie zu beruhigen, doch ihre Schwester wusste in diesem Moment anscheinend nicht, wie sie reagieren sollte und atmete stoßweise und schnell.
Nun schaute das Quappo in Richtung der Schwestern und schritt auf die Beiden zu.
Was sollten sie nur tun? Sie beide konnten sich wohl kaum gegen ein Quappo durchsetzen. Jetzt konnte den beiden nur ein Wunder helfen.
Das Quappo war ganz nah und legte gerade seine Schultern zurück, wie es es auch vorher tat, als es Ada angriff, doch nun dauerte es länger und vor der Spirale bildete sich ein großer Wasserball, der immer wilder sprudelte. Wenn das Pokémon die Mädchen damit angriff, war es vorbei.
In diesem Moment wollte es angreifen, doch ein kleines, grünes Pokémon warf sich gegen das Quappo und der Wasserball löste seine Konzentration und fiel zu Boden, wo es eine mehrere Meter große Pfütze bildete.
Umso wütender schaute sich das Quappo um und machte das gegnerische Pokémon aus: ein kleines Strawickl, das entschlossen zurückblickte und wieder los rannte, um das Kampf-Pokémon erneut zu treffen. Doch da es dieses Mal gewappnet war, konnte es das Käfer-Pokémon festhalten und warf es in den Boden, der nachgab. Ein kleiner Krater entstand und das Strawickl schien geschwächt. Der Angriff hatte auf jeden Fall viel gekostet.
Das Kaulquappen-Pokémon machte sich zu einem weiteren Schlag auf, doch Miranda, die die ganze Zeit nur starr zugeschaut hatte, weil sie Angst hatte, sprintete schreiend los und rammte das Quappo frontal, wodurch dieses leicht taumelte, denn auch wenn es stark war, war es klein und nicht besonders schwer und der Überraschungsmoment hatte auch geholfen. Im Moment des Aufpralls spürte Miranda, wie sich etwas in ihren Gedanken veränderte und sie umgab ein Gefühl der innigen Ruhe, die sich auch auf das gegnerische Pokémon übertrug, denn dieses griff nicht erneut an, als es sich wieder errichtet hatte, sondern schaute die Mädchen an, keine Wut mehr in den Augen. Nun verstand es, dass die beiden Mädchen den See nicht verschmutzen wollte. Man konnte Miranda und Amanda vertrauen.
Das Quappo verschwand wieder und Miranda beugte sich zum Strawickl runter. Mit besorgtem Gesicht schaute sie es an, konnte jedoch keine schweren Verletzungen sehen. Es war wohl einfach erschöpft und brauchte etwas Ruhe.
Sie wartete noch einige Zeit, bis das Strawickl aufwachte, und fragte es dann: »Willst du mit mir kommen? Es würde mich unendlich freuen, wenn du dich mir anschließt und mit mir irgendwann auf Reisen gehst. Zusammen könnten wir ja sogar den Champ besiegen, wenn wir groß sind!«
Das Strawickl schmiegte sich an Miranda und das verstand sie als das Ja, das sie wollte.
Bedacht zückte sie den gelben Pokéball und hielt es an Strawickl, das in tiefblaues Licht eingehüllt wurde, um danach zu verschwinden. Nun war Strawickl, Lilium, ihr erster Partner. Zusammen würden sie stärker werden, da war sich Miranda sicher.
Inzwischen hatte sich Ada bis zum Stahlkonstrukt durch gegraben und Amandas Züge wurden weicher. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis Amanda im Hauptquartier war und ihre Schwester suchen konnte. Um den Stahl zu durchdringen, musste dieser erst spröde werden. Und dafür hatte Amanda ja eine perfekte Kombination.
»Los, Belladonna!«, sprach sie und warf den Pokéball nach oben, dessen orangefarbene Kapselhälfte ein großes „B“ eingraviert hatte, damit sie den Ball auch sofort erkennen konnte.
Belladonna war der Name ihres Milotics, das sie seit einigen Jahren trainierte, nachdem sie es als Barschwa geschenkt bekommen hatte.
Das Milotic erschien, gab einen singenden Laut von sich und schlängelte sich um das Loch, wo es auf weitere Befehle von Amanda wartete.
»Ada, komm hoch und setz dann einmal einen Flammenwurf ein. Danach musst du, Belladonna, schnell deinen Eisstrahl einsetzen. Das müsst ihr dann des Öfteren nach einander machen, damit wir mit gemeinsamen Kräften ein Loch in die Stahlwand rein brechen können. Dann mal los!«, erklärte sie sogleich und schaute nach unten zu Ada, die gerade die wenigen Meter hochsprang und neben Amanda stehen blieb.
Es dauerte einige Wiederholungen, bis die silberne Legierung ihre Farbe änderte und die drei zusammen den Stahl durchbrechen konnten. Immer wieder war der Stahl erst am glühen, dann in Eis gehüllt, dann wieder am glühen und daraufhin wieder in Eis gehüllt. Am Ende brauchte es dann nur noch einen Psychoschock von Milotic und sie konnten durch das Loch hinein gelangen.
Als Amanda in das entstandene Loch sprang und mehr oder weniger - eher weniger - sanft auf dem Boden aufkam, fand sie ein großes Labor vor sich, das so aussah, als wäre es vor wenigen Momenten erst benutzt worden. Doch es war niemand hier und sie hatte jetzt auch ganz andere Probleme als zu schauen, was hier gemacht wurde. Nun mussten sie und ihre Pokémon weitergehen.
Mehrmals musste sich die junge Frau umschauen, um den Eingang; eine kleine Türe mit Sichtglas im oberen Drittel eingelassen; finden zu können. Als sie diesen jedoch anvisiert hatte, lief sie geradewegs dorthin und drehte den alten, leicht quietschenden Türknauf, der schon bei einer leichten Berührung nachgab. Die Tür öffnete sich nach innen und Amanda sah auf einen Gang, der nicht besonders weit war. Nur wenige Meter entfernt befand sich bereits ein Tor, das sie mit dem Generalschlüssel aufschließen musste.
Hastig eilte sie zur stählernen Pforte, inspezierte jede Ecke, fand jedoch keine geeignete Stelle, um den Schlüssel zu nutzen.
Sechs Monate zuvor...
»Amanda, Miranda! Kommt schnell her, ich muss euch eine Nachricht überbringen, die mir ein Bote vor wenigen Momenten zukommen ließ. Es ist nichts Gutes!«, rief der schlammgrün gekleidete Mann, dessen Kutte goldene Verzierungen besaß und von einem Umhang teilweise verdeckt wurde. Zusammengehalten wurde dieser Umhang von der Insignie von Team Plasma, das sich vor weniger als sechs Monaten aufgelöst hatte. Er war einer der sieben Weisen gewesen und neben Rubius, dem Weisen des Südens, der einzige, der die Schuld von Team Plasma erkannte und sich der Aufgabe widmete, wieder Gerechtigkeit in Einall zu bringen. Viridus, der Weise der Tiefe.
Jeder Weise hatte ein Gebiet erhalten, um das er sich kümmern sollte, damit die Pläne und Arbeiten der Organisation bestmöglich erfolgen konnten. So war Violaceus der Weise der Höhe und kümmerte sich in den Bergen um alle Probleme und Aufträge Team Plasmas, Rubius der Weise des Südens, denn er kümmerte sich um ein altes Labor der Organisation, in dem es einige Experimente gegeben hatte, die Rubius nun verabscheute, denn ein Pokémon war dabei unwiderruflich geschädigt worden, Viridus war der Weise der Tiefe, denn er hatte sich um Ruinen wie den alten Tempel und den Drachenturm gekümmert, Aquilus der Weise des Westens, denn er kümmerte sich um die eigentümlichen Probleme in der Elektrolithhöhle, Caerulus der Weise des Ostens, denn er war mit der Erkundung der Wälder in der Umgebung um Orion City betraut worden und Flavus war der Weise des Nordens, der sich besonders um die Sagen kümmerte, die in der alten Bibliothek von Twindrake City gehütet wurden.
Amanda nickte und auch Miranda kam in Richtung des alten Mannes, der sich inzwischen auf einem Stuhl in der Küche des Hauses in Marea City niedergelassen hatte. Mit leiser, zittriger Stimme begann er: »Ich habe furchtbare Dinge von einem unserer Leute in den Reihen der anderen Weisen gehört. Die vier Gruppen, die sich seit des Verschwindens von G-Cis gegründet haben und im Gegensatz zu uns nicht an der Wiedergutmachung in Einall interessiert sind, haben sich nun zusammengeschlossen unter der Führung eines jungen Forschers. Er scheint dabei jedoch die Hilfe von G-Cis zu haben, der vor kurzer Zeit wieder gesehen wurde, nämlich an dem Tag, als die vier Gruppen entschieden, sich wieder unter einer Flagge zu vereinen. Neo-Plasma heißt diese Organisation und ihre Ziele sind wohl noch immer die Gleichen, doch die des neuen Anführers scheinen umso mysteriöser zu sein, denn er beteuert scheinbar immer wieder, dass es ihm nicht um die Herrschaft über die Welt, sondern um eine ganz andere, viel größere Macht geht. Und ich bin mir sicher, dass dieser Mann es ernster meint als man es hoffen sollte.«
»Das ist furchtbar. Wie konnte es nur passieren, dass unser V... G-Cis sich unbemerkt die letzten sechs Monate verstecken konnte, aber jetzt so offen wieder auftaucht?«, fragte Amanda, deren Stimme brach, als sie den Mann, der sie erzogen hatte, Vater nennen wollte. Auch wenn sie wusste, dass er dabei immer nur selbstsüchtige Ziele verfolgt hatte, konnte sie nicht mit dem Gedanken leben, dass er nicht ihr Vater war, auch nicht nach den vergangenen Monaten und der gekommenen Klarheit.
Miranda jedoch, die es innerhalb kurzer Zeit akzeptiert hatte, dass G-Cis ein Monster war und sie nur für ihre Pläne missbraucht hatte, sprach: »Er war schon immer ein Mensch, der gut falsche Mienen aufsetzen konnte. Da wird es ihm sicherlich noch leichter gefallen sein, als er sich versteckt hat und wahrscheinlich verkleidet durch die Zeit kam. Oder jemand hat ihm von Anfang an Unterschlupf gewährt. Ich würde ihm zutrauen, dass er solche Leute in der Hinterhand hat. Und dann bestimmt auch noch in einem Mehr-Sterne-Hotel, denn etwas Anderes kann ja gar nicht in Frage kommen. Du weißt doch, was für ein Mistkerl er ist.«
»Das ist er wahrlich, aber das bringt uns auch nicht weiter. Zwar ist dein Groll ihm gegenüber mehr als begründet, doch kommen wir so einfach in keine bessere Position. Wir müssen diese Vereinigung nun in ihrer Entstehung zerschlagen, damit nicht wieder so etwas geschieht wie vor Monaten. Das ist der einzige Weg, wie wir unsere Schuld begleichen können. Doch sie haben ihr Recht auf Wiedergutmachung verloren, denn sie sind auf der Seite des Unrechts verblieben«, sprach Viridus weiter und schaute dabei Miranda starr in die Augen.
»Viridus. Wir waren Weise und dennoch so dumm. Wir waren auf einem Pfad des Unrechts, der uns nur gezeigt hat, wie wenig weise wir wirklich waren. Wenn wir nun einen Weg der Rache einschlagen, ihnen keine Chance mehr auf das Gute geben, dann sind wir selbst nicht die Guten und nehmen uns ein Recht heraus, das wir ihnen ganz nehmen. Wir waren selbst mal Mitglieder dieser Vereinigung und niemand hat uns dazu gezwungen. Weder Rache an G-Cis noch das strikte Beharren auf der rege Unrecht dieser unwissenden Menschen ist für unser Ziel förderlich. Erst im letzten Moment ohne Ausweg müssen wir auf diese Weise agieren. Vorher jedoch wird es kein Gerechtigkeit sein können«, widersprach ihm Rubius, dessen Kutte auf einem Stuhl lag. Momentan trug er einen Anzug in derselben Farbe, unter dem ein weißes Hemd und eine lettischrote Krawatte zu sehen waren. Rubius war wieder zum Geschäftsmann geworden, wie er es vor der Mitgliedschaft bei Team Plasma bereits einmal war. Damals jedoch hatte er seine Position jedoch aufgegeben, als seine Tochter von einem Pokémon-Wilderer getötet worden war.
Nun arbeitete er auch nicht mehr im Namen einer großen Firma, sondern im Namen der Vereinigung, die sich unter Rubius und Viridus gegründet hatte und zu der auch Miranda und Amanda gehörten. Sie besaßen keinen eigenen Namen, denn jeder half für sich auf seine eigene Weise. Manche lebten einfach nun in der großen Villa in Marea City, die Amanda und Miranda von ihren leiblichen Eltern geerbt hatten, andere reisten durch das Land und brachten den Menschen ihre Pokémon wieder, die Team Plasma einst so grausam entwendete, auch wenn es längst nicht alle waren und nur ein kleiner Teil dieser Menschen sich wieder freuen konnte. Dann gab es noch die Gruppe jener ehemaliger Team-Plasma-Mitglieder, die sich in die Reihen der vier anderen Gruppen eingeschlichen hatten und seither als Spione für Rubius, Viridus, Amanda und Miranda dienten.
»Du hast Recht«, sprach Viridus nach einigen Momenten der Stille und mit einem resignierenden Gesicht. Obwohl Rubius sehr viel jünger als Viridus war, war Rubius der bedachtere der beiden einstigen Weisen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Miranda leicht gelangweilt und schaute die drei anderen Mitglieder des Gesprächs an. Eine gut gestellte Frage, fand Miranda.
Doch zu einer Antwort sollte es nicht kommen, denn es klopfte harsch an der Tür und Amanda eilte zu dieser hin, leise etwas von wegen “als ginge das nicht auch etwas weniger ungeduldig” und schüttelte leicht ihren Kopf. Amanda mochte es nicht, wenn jemand Ungeduld an den Tag legte, das wusste Miranda nur zu gut, denn das war einer der wenigen Streitpunkte der Schwestern, wenn Miranda mal wieder etwas schnell erledigt haben wollte.
Miranda hörte ihre Schwester “Hallo” sagen und sah sie dann wiederherkommend, einen jüngeren Mann mit hellbraunen Haaren - etwa im selben Alter wie Miranda und Amanda - hinter sich, der einen dunkelgrauen Anzug trug und einen Fedora, also einen Hut, der der Länge nach nach unten zur Mitte hin einknickt. Diesen nahm er zur Begrüßung ab, lächelte die beiden jungen Frauen an und reichte jedem der vier Anwesenden die Hand, um als letztes bei Rubius anzukommen. Zu diesem meinte er: »Ich weiß, dass ihr viel zu tun habt, aber die Arenaleiterkonferenz wird in weniger als einer Stunde beginnen und wir müssen zu Turner, um dort beiwohnen zu können.«
Rubius nickte und antwortete: »Ich werde den beiden jungen Damen nur noch etwas sagen und folge dir dann, Felix.«
Der junge Mann namens Felix nahm den Fedora wieder auf und machte auf der Stelle kehrt, schritt zur Tür, öffnete diese und ging hinaus. Er verstand, dass Rubius mit Miranda und Amanda alleine sprechen wollte.
»Was ist denn, Rubius?«, fragte Amanda interessiert und auch Miranda wollte gerne wissen, was so wichtig sein konnte, dass Rubius in Kauf nahm, zu spät zur Arenaleiterkonferenz zu kommen.
»Passt auf euch auf. Wenn G-Cis wieder da ist, dann wird er uns, aber vor allem euch und N suchen und mit sich nehmen wollen, denn ihr seid noch immer ein Weg für ihn, um die Macht zu ergreifen. Sollte jemals einem von euch etwas passieren, besitzen sowohl Viridus als auch ich einen der sieben Generalschlüssel für das Hauptquartier in der Nähe von Twindrake City. Zwar werden überall elektronische Schlösser benutzt, aber jedes Tor kann auch manuell geöffnet werden. Dabei sind diese gut versteckt, damit nur wir wissen, wo man diese Zusatzschlösser finden kann. Meist befindet sich am Boden ein Knopf, der gedrückt werden muss, damit das Schloss sichtbar wird. Vergesst das nicht!«, erklärte Rubius und schaute Miranda und Amanda dabei eindringlich an.
»Was macht dich so sicher, dass diese Schlösser nicht ausgetauscht worden sind?«, fragte Miranda, die an die schlechten Filme dachte, in denen die Schlösser auch nach zwanzig Jahren der aktiven, geheimen Nutzung nicht geändert worden, was sehr unglaubwürdig war.
»Bei jedem normalen Menschen wäre das der Fall. G-Cis jedoch leidet an einer abnormalen Selbstüberschätzung, die nicht zulässt, dass er überhaupt daran denkt, dass ihm jemand etwas anhaben kann. Das Schlimme ist, dass wahrscheinlich nur zwei Menschen auf der Welt eine Chance gegen ihn haben und beide nicht mehr in Einall sind. Dies jedoch sorgt auch dafür, dass wir bei einer Entführung die Chance haben, dort hinzugelangen, ohne dass er es bemerkt. Außerdem haben Viridus und ich jeweils eine Kopie der Schlüssel abgegeben, bevor wir geflüchtet sind. Somit glauben sie also außerdem, dass wir gar keine Schlüssel mehr besitzen, weswegen die anderen Weisen auch keinen Verdacht schöpfen werden. All das taten wir wegen des Tages, an dem G-Cis seine Fassade verlor. Nicht an dem Tag, an dem ihr es bemerktet, sondern kurze Zeit vorher. Wenige Wochen zuvor hatte er nämlich einige Forscher damit beauftragt, ein uraltes Pokémon zu verändern, er wollte damals nämlich mit diesem Pokémon und N die Welt erobern. Als dieses jedoch floh und nicht mehr auszumachen war, ließ er all seine Wut an zweien der Forschern aus und... sein Trikephalo war zu stark für Menschen und sie litten wohl nicht. Er beruhigte sich erst wieder, als ihn Flavus an die Zwillingsdrachen-Legende erinnerte und er einen neuen Weg zum Machtgewinn gefunden hatte. Wir hätten schon damals darauf entsprechend reagieren sollen...«, entgegnete Rubius Miranda und schaute trübe zu Boden.
Erneut klopfte es und man hörte den jungen Mann namens Felix rufen: »Nur noch vierzig Minuten, Rubius! Wir brauchen doch schon fünfunddreißig Minuten zur Arena und müssen dann sicherlich auch noch über die Aufzüge in die Tiefe in das Büro von Turner...!«
»Wie ihr hört, muss ich wirklich los. Wir sehen uns nachher. Und vergesst nicht, was ich euch sagte«, sprach der Mann im roten Anzug zur Verabschiedung und ging hinaus.
Beinahe hatte Amanda diese Informationen, die Rubius ihr und ihrer Schwester einst gab, vergessen, doch nun erinnerte sie sich wieder haargenau an seine Worte und suchte den Boden ab. Sie durfte keine Zeit verlieren, denn jede Sekunde zählte, um unentdeckt bleiben zu können und Miranda die Möglichkeit zur Freiheit zu liefern. Etwas Wichtigeres gab es jetzt nicht.
Jeden einzelnen Zentimeter suchte sie ab und es schien einige Minuten zu dauern, aber sie hatte den Knopf gefunden. Nicht auf dem Boden, sondern über der Kante zwischen Boden und rechter Seitenwand. Gegen diesen drückte sie nun mit dem Fuß und sie hörte ein leises Rauschen, um dann an der Stelle, an der man zuvor eine Karte durchziehen konnte, um das Tor zu öffnen, ein Schlüsselloch fand, während sich der automatische Türöffner zur Seite verschoben hatte.
Schnell zückte sie den blitzförmigen Schlüssel aus einer Tasche und drückte ihn in das Schlüsselloch; es passte perfekt! Rubius hatte Recht gehabt mit der Arroganz ihres Adoptivvaters und das Tor schwang auf. Nach einem Moment der Zufriedenheit, der Amandas Sinne umhüllte, konnte es weitergehen.
Gelbe Sensen schnitten sich auch das letzte Stück des Tors aus dem Weg und ein schlankes, insektenartiges Pokémon kam zum Vorschein. Lilium, ihr erster Pokémon-Partner, das sie als Strawickl gefangen hatte und nun ein großes Matrifol war, das sogar Stahltore zerstören konnte, wenn es sich anstrengte. Die Trainingszeiten hatten sich auf jeden Fall gelohnt.
»Lilium!«, rief Miranda voller Freude, trocknete sich eine Träne ab, die ihr automatisch über das Lid gelaufen war und nun eine kaum sichtbare Spur hinterlassen hatte.
»Was ist das für ein Vieh?!«, schrie der Rüpel, der beim ersten Schlag gegen die Tür zurückgesprungen war und seinen Pokéball aus einer Gürtelhalterung genommen hatte. Nach einem kurzen Moment des Überlegens warf er die Kapsel in die Höhe und fügte ebenso laut wie zuvor hinzu: »Los, Hundemon!«
Lilium jedoch ignorierte das Feuer-Pokémon, sprang über dessen Körper hinweg und hielt direkt auf die Zelle, in der sich Miranda befand, zu. Diese trat einige Schritte zurück und sah nur, wie das Matrifol die Zellentür zerschnitt wie ein scharfes Messer gebratenes, weiches Fleisch.
Schnell umarmte Miranda ihre Pokémon-Partnerin und sprach dann: »Das ist ein Feuer-Pokémon, aber auch ein Unlicht-Pokémon. Probieren wir es also mal mit deiner Kreuzschere!«
Die Sensen an den Armen des Käfer-Pokémon begannen zu glühen und mit jedem Schritt, das es jetzt tat, wurde das Licht heller. Auf den letzten Metern kreuzte sie ihre Sensen und zog sie durch das Gesichts des gegnerischen Pokémons, das aufjaulte, sich aber schnell wieder fasste.
»Das Vieh ist in deiner Nähe, also lass es in deinem Flammenwurf eintauchen!«, rief der brusthaartragende Rüpel und schaute grimmig in das Gesicht Mirandas, die seine Mimik nur mit einem wieder selbstbewussten Lächeln kommentierte und setzte ein: »Lilium, zeig beiden deinen großartigen Delegator!«
Das Käfer-Pokémon drehte sich und bewegte dabei seine Arme wie eine Balletttänzerin. Die Bewegung wurde immer schneller und noch während das Hundemon die Flammen in seinem Maul trug und kurz vor dem Abfeuern war, befand sich vor dem eigentlichen Matrifol eine zweite, sehr viel größere Version des Pflanzen-Pokémons, das sowohl Miranda als auch Lilium aus dem Blickfeld des gegnerischen Mannes entfernte.
Das züngelnde Feuer des Flammenwurfs hüllte den Delegator ein, der zu brennen begann. Dieser brannte jedoch nicht von oben nach unten wie es eigentlich üblich war, sondern von außen nach innen, wodurch der Delegator noch immer Schutz bot.
»Jetzt noch einmal Kreuzschere, Lilium!«, meinte Miranda und schaute zu, wie das Matrifol vorsauste, die Sensen wieder leuchteten und sich dieses Mal in die Seite des Gegners schnitten. Das Hundemon fiel auf die andere Seite und stand nicht mehr auf, was den Rüpel dazu brachte zu schreien: »Du Mistkröte! Das wirst du mir heimzahlen! Los, Taubo...!«
Den Satz beendete er nicht mehr.
Überrascht lief Miranda um den Delegator herum und sah, dass ein Pokémon dort stand, wo der kämpfende Rüpel eben noch rumgeschrien hatte. Dieser lag nun am Boden, schien allerdings nicht verletzt, sondern am schlafen zu sein. Das Pokémon schaute diesen noch immer starr an. Es war ein Guardevoir, dessen Augen grünlich leuchteten, was Miranda bereits von Psycho-Pokémon kannte, die Schlaf-Attacken einsetzten. Doch wem gehörte dieses Guardevoir?
»Miranda! Es tut mir so Leid!«, sprach eine Stimme in der Nähe.
Die Person dahinter schritt in die Türöffnung hinein und Miranda erkannte ihn als den Rüpel, den sie von irgendwoher zu kennen schien. Wer war er bloß?
»Wer bist du?«, fragte sie deswegen unwissend und schaute ihn genau an.
»Das weißt du nicht?
Das hätte ich vielleicht wissen sollen. Warte«, antwortete der in der Uniform eines Rüpels gekleidete Mann und nahm seine Mütze ab, die vorher sein Gesicht halb verdeckt hatte.
Und Miranda traf der Schock.
»Ich bin...«, begann der junge Mann.
»Felix!«, beendeten beide wie aus einem Munde.