Wichtig dabei ist zu nennen, dass meine Oma in Griechenland lebte und 85 Jahre alt wurde - sie konnte sich selbst versorgen und war fit (geistig und körperlich - sie konnte sich an Texte aus ihrer Kindheit erinnern -) und hing am Leben. Ungefähr am 8.11 stolperte sie bei ihrem Garten, nachdem sie die Wäsche aufgehängt hatte und brach sich das Bein - wodurch sie ins Krankenhaus transportiert wurde. Sie lebte im Dorf und zwischen Stadt und Dorf sind es ca. 80 KM.
Meine Tante flog daraufhin am selben Tag noch nach Griechenland und konnte sie erst am nächsten Tag besuchen - meine Mum blieb hier, da sie davon ausging, dass eigentlich alles hätte gut ausgehen können und schickte mit meiner Tante halt noch ein wenig "Vesorgungsgeld" - dort unter Hand wird halt sehr gern was angenommen, damit man nett zu den Patienten ist. Der Chef-Arzt des Krankenhauses höchstpersönlich operierte meine Oma, die OP verlief soweit gut - zumindest an sich.
Doch die Nachbehandlung war eine reine Katastrophe - kein Mensch soll jemals so behandelt werden. Dass die Naht aufplatzt und genäht werden muss, ist ja okay.
Aber, dass man nach der OP kein Glas Wasser bekommt und auch nichts zu essen und eine alte Frau verzweifelt nach etwas Nahrung ruft und man dann nur noch die Antwort von der "Krankenschwester", dass sie ja dick genug sei und nichts essen oder trinken braucht (meine Tante war vorort und meine Mum war am Telefon, was sie auch aufnahm) bekommt, kann nicht sein. Und nein, mit 1.70 und 85kg ist man nicht so dick, dass man 12 Stunden nach einer OP kein Butterbrot oder ein Glas Wasser zum trinken bekommt. Wegen Corona-Schutzmaßnahmen konnte meine Tante meine Oma nur abends ab 18-20 Uhr besuchen. Da sie selbst nicht aufstehen konnte (wegen der OP) und keinerlei Maßnahmen bekam um aufs Klo zu gehen, kann man sich halt denken, wie das Bett dann aussehen könnte. Thrombosesocken bekam sie auch keine, die Spritzen musste meine Tante selbst holen und spritzen und das erst dann, als wir den Arzt danach fragten und er mit "Ja wäre eine gute Idee" antwortete.
10 Tage lag sie im Krankenhaus. Am 18.11 wurde sie entlassen und das mit instabilen Werten - die erst Zuhause selbst gemessen wurden.
ca. 15 Stunden nach ihrer Entlastung fing es dann an, dass es ihr schlechter ging. Blutdruck sank und war nicht stabil. Meine Tante rief in Not meine Mum an per Video-Anruf, da sie in Panik ausbrach und meine Mum halt griechisch kann und sich so um eine Nummer kümmern könnte. Die totale Verzweiflung: Es ist 5 Uhr morgens griechischer Zeit; Kein Nachbar ist zu erreichen, meine Mum rief die griechische Notrufzentrale an. Diese haben einfach nur weitergeleitet an das Krankenhaus, was das Telefon zuvor mehrere Male einfach aufgelegt hatten. Der Chefarzt des Krankenhauses ging auch nach dem 20. Anruf nicht ran - zwei Handys waren beide aktiv gewesen und es wurden teils irgendwelche Nummern gewählt in der Hoffnung, es würde irgendjemand ran gehen - ob Nachbar, Notarzt, Chefarzt, Notrufzentrale, Krankenhaus. Ihr Kardiologe ging zwischenzeitig ran - nach dem die Symptome beschildert wurden meinte er "Vermutlich ist es ein Herzinfarkt, ich kann grad nicht, ruft später an".
Ganze Vier Stunden später konnte meine Mum eine Apotheke erreichen und erst die Apotheke hat dann einen Krankenwagen ins Dorf geschickt.
In Zwischenzeit: Meine Tante und meine Oma sind von der Nacht ermüdet. Meine Mum und mein Bruder am Telefon immer noch. Meine Oma sagte dann als letztes zu meiner Tante "Mein Kind, wir alle sind müde. Ich habe die letzten 10 Tage nicht schlafen können, lass mich schlafen und geh du auch schlafen" und legte sich schlafen. Meine Tante sprach noch mit meiner Mum und war für eben für 2 Minuten raus aus dem Zimmer. Als sie reinkam antwortete meine Oma nicht mehr. Blutdruck gemessen, error. Herzmassage, Wiederbelebungsversuche... meine Mum am Telefon konnte nur noch "Mama schlaf nicht, wach auf" schreien. Um 10:30 Uhr griechischer Zeit kam dann endlich der Krankenwagen und schickten meine Tante ausm Zimmer. 30 Sekunden durfte sie dann rein und den Abschied nehmen.
Mein jüngerer Bruder rief mich um 13:00 Uhr an. Da ich nicht bei meiner Mum lebe sondern 80km weiter weg und niemand mir bis dato mitteilte, brachte er mir mit "Sie hatte keine Schmerzen" ihren Tod bei.
Und für mich war es ebenfalls ein Schock natürlich. Ich wusste von gar nichts, mit mir hatte niemand gesprochen - aus dem Grund, dass ich nicht in Panik verfallen sollte. Und da ich so spät benachrichtigt wurde, konnte ich rechtzeitig keinen Flieger mehr für die Beerdigung buchen. Nervlich aber waren die beiden Töchter - meine Mum und meine Tante - vollkommen am Boden zerstört. Es war quasi so, als ob aus höherer Macht alle Wege dicht gemacht wurden.
Und persönlich fühle ich mich an der Stelle schuldig und auch hilflos. Meine Mum war 3 Tage nach der Beerdigung wieder zurück, ich habe sie halt direkt besucht, aber weiß halt nicht, was ich sagen oder wie ich reagieren soll.
An dem Tag war glücklicherweise mein bester Freund da, er konnte mich bis morgens unterhalten.
Mein kleiner Bruder empfindet seit dem Geschehnis nur noch puren Hass auf das Krankenhaus und das Gesundheitssystem. Wie kann es möglich sein, dass man 4 Stunden niemanden erreicht und erst eine Apotheke einen Krankenwagen schickt und ja, bei den Telefonaten wurde direkt erwähnt, dass es sich um einen Notfall handelt.
Insbesondere finde ich es auch unverantwortlich eine Frau mit instabilen Werten nach Hause zu schicken, mit dem Wissen, dass 20% der Patienten ü80 die am Oberschenkel operiert werden, einen Herzinfarkt bekommen.
Aber zumindest ging sie nicht allein. Sie schlief lächeln ein. Und auch wenn sie stolze 85 war, so verdient kein Mensch diese Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
Mittlerweile geht es. Zwar bin ich traurig, dass sie gestorben ist, aber habe wirklich Angst davor, dass der Ausbruch bei meiner Mum kommt. Denn bis jetzt war sie sehr stark - sie hat sogar den Chefarzt zur Rede gestellt. Ich habe absolut keine Ahnung, wie ich reagieren könnte, wenn es losgeht, wenn sie realisiert, dass die Mutter, die sie jeden Tag anrief und stundenlang telefonierte, nicht mehr da ist. Sie berichtet grad davon, dass sie sich in einer Art "Traum" befindet, dass der 19.11 nie so geschehen ist und sie jeden Moment aufwacht. Das Verhältnis zu meiner Tante ist na ja, die streiten sich halt oft, aber hoffe, dass es weniger wird.
Im Endeffekt gehen wir alle irgendwann. Objektiv betrachtet, war das ein Tod, den sich glaube ich viele wünschen. Nur der Weg, die Umstände die zur Verzweiflung führten, sind hart. Und jedes Leben ist wertvoll. Nur nicht in Griechenland, dort werden alte Menschen sterben gelassen. Und das ist Trauer und Wut zugleich.
Und finally habe ich es geschafft, das aufzuschreiben. Geredet habe ich mit einigen wenigen drüber. Aber es musste raus, hoffe, dass ist okay.