So, nachdem ich von Sunaki, Gully Van Deckel, Mandelev und vielen anderen ein wenig dazu befragt wurde, wieso ich konvertiert bin, wie es dazu kam etc, möchte ich hier im folgenden schildern, was eigentlich passiert ist, dass ich Muslima wurde. Werde mich auch ein wenig auf Punkte beziehen, die ich in der Vergangenheit hier im Thema schon erläutert habe, wie unter anderem in der Diskussion mit Bastet zum Thema "Ist Konvertierung Cultural Appropriation", also nicht wundern, wenn ihr bereits gelesenes nochmal hier seht.
Ich bin christlich (protestantisch um genau zu sein) getauft und erzogen worden. Ich habe in meinem Leben immer an Gott/ein höheres Wesen geglaubt, also selbst, wenn ich Phasen hatte, wo ich kritisch war (dazu gleich mehr), war ich nie atheistisch.
Als Kind und Jugendliche habe ich viel Komfort in der Kirchengemeinschaft gefunden, ich war in einem christlichen Kindergarten, in einer kirchlichen Nachmittagsbetreuung, ich habe konfirmiert, mich darüber hinaus auch mit der Gottesdienstgestaltung für kleinere Kinder auseinandergesetzt. Ich habe, von der Kirche aus, bei Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen mitgewirkt, und bin regelmäßig sonntags in die Kirche.
Und trotzdem habe ich mich Gott nie nah genug gefühlt. Es gab ein paar Dinge im Christentum, meiner damaligen Religion, die ich persönlich einfach nicht ... verstanden habe? Da wäre zum Beispiel das komplette alte Testament, auch wenn sich das Christentum, besonders Protestanten, davon ja ein ganzes Stück zu distanzieren versuchen, und das neue Testament, besonders die vier Evangelien, als die "frohe Botschaft" dargestellt werden und auch viel eher aus dem neuen Testament gelesen wird. Trotzdem wird teils viel an diesen alten Geschichten festgehalten, jeder von euch wird wohl die Geschichte von Adams und Evas Verbannung aus dem Paradies, Noahs Arche und so kennen.
Ich habe den Zorn Gottes im alten Testament irgendwie einfach nicht verstanden, angefangen von der Sintflut und Noahs Arche, bis zu dem Sterben tausender ägyptischer Kinder. Es hat sich für mich nicht richtig angefühlt, an einen strafenden, jähzornigen Gott gleichermaßen zu glauben, wie an den liebenden, vergebenden im neuen Testament.
Außerdem hat die Dreifaltigkeit, die im christlichen Glauben sehr zentral ist (der Vater, der Sohn, der heilige Geist) keinen Sinn für mich ergeben. Versteht mich nicht falsch, wenn ihr daran glaubt - good for you! Ich habe es lange probiert, und es hat nie "klick!" gemacht. Ich habe nie verinnerlicht, wie wir alle "Gottes Kinder" sein können, wenn ihm Jesus von uns allen aber anscheinend der wichtigste und zentralste ist. Klar, er hatte eine wichtige Rolle und obvs einen super Draht zu Gott, aber sein leibeigener Sohn zu sein? Hmmm. Und auch die Sache mit dem heiligen Geist, Jesus jetzt mal dahingestellt, war für mich immer sehr komisch und ich habe das, obwohl ich wie gesagt viel zum Thema gelesen hatte, im Unterricht und auch in der Kirche war, einfach nicht verinnerlichen können.
Mit 14, nach meiner Konfirmation, habe ich damals von evangelischer Religionslehre auf Ethik gewechselt als Unterrichtsfach. Nicht weil ich nicht mehr geglaubt habe, sondern weil ich einfach mehr kennenlernen und verstehen wollte. Ich wollte viel mehr über andere Religionen, Sekten, Philosophie, Okkultismus und so weiter aufgeklärt werden. Und da hat sich dann schon langsam, jetzt rückblickend natürlich, alles angebahnt für mich.
Neben dem Christentum gibt es bekanntlich vier weitere Weltreligionen, den Buddhismus, Hinduismus, Judentum und den Islam. Wir haben alle durchgenommen und ausführlich besprochen. Sogar über koschere und helal Lebensmittel haben wir damals gesprochen, also es war wirklich nicht nur oberflächlich.
Und da hatte ich dann zum ersten Mal diesen Moment, wo ich den Islam - trotz der nach 9/11 und 7/7 im Westen zunehmenden Islamfeindlichkeit - zum ersten Mal kennengelernt habe und viele, für mich, schöne Seiten an der Religion verstanden habe. Irgendwie wirkte der Islam auf mich einfacher und unkomplizierter als die anderen abrahamitischen Religionen, irgendwie wirkte es für mich, dadurch dass es beispielsweise nicht "die Kirche" gibt, so, als gibt es einen direkteren Draht zwischen Mensch und Gott. Weiterhin glauben wir Muslime ja, dass der Quran (jetzt mal vollkommen dahingestellt, was im historischen Kontext vielleicht sinnvoll ist) das direkt an unseren Propheten gesprochene Wort Gottes ist. Da gibt es keine Überlieferungen, kein Hörsagen, keine großen Abweichungen davon, wie die Geschichte mal im Original gewesen sein könnte. Es ist keine Erzählung "über" Gott, sondern von Gott selbst. Ich finde es außerdem schön, das war einer meiner ersten Eindrücke, wie viel der Glaube bei Muslimen in den Alltag einfließt, seien es die fünf Pflichtgebete, die man im Endeffekt gemeinschaftlich betet (passiert ja circa zur selben Uhrzeit, in dieselbe Richtung, das hat schon was, haha), das jährliche Fasten, das generelle Verständnis von Beziehungen und Ehe ... Irgendwie macht das Religion für mich, als jemanden der Religion gerne praktizieren will, im Alltag, mit anderen, viel greifbarer.
Ich war auch schon davor durch meine Erziehung offen für den Islam und bin immer mit offenem Herzen und Geist an die Religion anderer herangetreten, das tue ich heute nach wie vor. Damals dachte ich mir schon "Hmm, das wäre doch genau das, was ich mir von Religion wünsche!", aber so einfach ist das im Kopf dann doch nicht gewesen. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich gar nicht wusste, dass man seine Religion wechseln darf. Und auf einem 400 Einwohner Kaff im Herzen des politisch schwarzen Bayerns will man nicht die "Kopftuchträgerin" und "IS Braut" sein, so rückblickend.
Ich habe geistig gar nicht erfasst, dass ich eigentlich konvertieren kann und darf, wenn ich das möchte. Denn vor Reaktionen wie der von Bastet - ohne dir da jetzt zu nahe treten zu wollen, die Diskussion ist ja durchaus bisschen her, aber deine Reaktion ist einfach n gutes Beispiel - hatte ich einfach auch irre Angst, primär von Leuten, die mir wichtig sind, und natürlich auch meinen potenziellen muslimischen Glaubensgeschwistern. Ich dachte wirklich, dass ich mir als weiße, europäische Frau nicht "aneignen" darf, Muslima zu sein. Ein liebes Menschlein hier im BB hat meinen Beitrag damals ja auch scheinbar mit dem Betreff "wieso spielt die Minderheitsbingo" oder so ähnlich gemeldet.
Deswegen hab ich diese Gedanken, die da in mir schon vor ein paar Jahren gewachsen waren, sehr schnell im Keim erstickt.
Ein paar Jahre später, 2019, hatte ich mich aufgrund meiner Lebensumstände wieder ein wenig mehr von Spiritualität und Religion abgewandt. Ich habe nach wie vor an Gott geglaubt, aber ich steckte irgendwie in einer Glaubenskrise. Warum erschafft man ein Wesen, das Zerstörung anrichtet, Blut vergießt und einander nach dem Leben trachtet? Warum hat uns Allah, wenn es ihn wirklich gibt, nicht einfach gut geschaffen?
Meine Oma, Gott hab sie selig, ist im Oktober 2019 gestorben, und obwohl sie irre dement und krank war, hat sie sich (sie hat Tagebuch geschrieben, daher weiß ich so in Detail davon) so sehr darauf gefreut, meinen Opa, der 2 Jahre zuvor gestorben war, wiederzusehen und Gott zu treffen. Sie hat ihr ganzes Leben lang immer am Glauben festgehalten, und von ihr habe ich bestimmt auch viel meiner Spiritualität und dem Suchen der Nähe Gottes mit auf meinen Weg bekommen. Diese innige Liebe zu Gott und dem Glauben hat mich dann irgendwie wieder mehr zurück in meine eigene Spiritualität gezogen, und ich habe mich auf die Suche nach mir und Gott gemacht. Dann ist die Pandemie passiert und ich habe viel gelesen, viele Videos in mich hineinverschlungen. Letztes Jahr ist dann auch meine Mutter gestorben. Und da stand ich da, alleine, kraftlos, zornig, aufgelöst, depressiv.
Ich habe wieder angefangen zu beten. Nicht, weil ich irgendwas bestimmtes wollte, sondern einfach, weil mir das Gespräch mit Gott irgendwie geholfen hat. Es hat mir geholfen, meine Gedanken zu sammeln, mich zu sammeln und für eine Sekunde einfach den Weltschmerz loszulassen.
Parallel dazu hatte ich wen kennengelernt, der Moslem war, und auch wenn wir beide jetzt nichts mehr miteinander zu schaffen haben, hat die Person mich durch ihre Existenz und wie sie Glauben lebt, daran erinnert, dass es den Islam gibt. Klingt so kitschig, ich weiß, haha. Ich habe mich dann erneut damit auseinandergesetzt und bin auf einen muslimischen Discordserver, einfach, weil ich ein paar Fragen hatte. Gut, was heißt muslimisch, die meisten dort sind Muslime, aber man darf auch als Atheist gerne teilhaben, solange man respektvoll bleibt. Religion spielt dort jedenfalls ein großes Thema! Zu meinem Glück sind die Leute dort unheimlich offen und lieb gewesen, die allermeisten sind in meinem Alter und ein paar von ihnen studieren theologische Fächer mit starkem islamischem Schwerpunkt.
Ein inzwischen super lieber und wichtiger Freund hat mich dann, weil er der Serveradmin ist, n bisschen unter die Fittiche genommen. Aber nicht im Sinne von man zwingt mir etwas auf, sondern er hat einfach von sich aus viel erklärt und mir auch viel über seinen eigenen Glauben erzählt, welchen Werdegang er hatte. Im Islam gibt es nämlich, falls das nicht gemeinhin bekannt ist, verschiedene Strömungen, und es macht einen sehr großen Unterschied, ob du Sufi oder Salafi bist, beispielsweise. Also auch innerhalb der Religion ist das Spektrum an Erfahrungen unheimlich weit und nicht jeder, der dort hineingeboren wird, ist auch schon dort angekommen, wo er hin will.
Jedenfalls - ich habe mir von ihm, weil er islamische Theologie studiert, auch eine deutsche Quranübersetzung empfehlen lassen. Ich wollte den Quran sowieso lesen, aber natürlich ist es mir wichtig gewesen, eine Übersetzung zu finden, die möglichst nah daran ist, in Sinn und Form, was dort auf arabisch steht. Und dann habe ich gelesen, viele Nächte, auch tagsüber immer wieder ein paar Minuten. Und gleich relativ zu Beginn habe ich einen ganz innigen Moment irgendwie gehabt. Ich habe weiter oben beschrieben, dass es für mich schwierig war, zu verstehen, wieso uns Gott so und so geschaffen hat, wenn er uns auch einfach gut hätte machen können. Im Quran ist die Schöpfungsgeschichte ähnlich, aber doch anders, als ich sie aus der Bibel vorher kannte. Ich suche die Stelle mal bei Zeiten raus, aber im Endeffekt trägt es sich quasi so zu - die Engel fragen Allah genau meine Frage. "Warum erschaffst du ein Wesen, das Blut vergießt und Zerstörung anrichtet?" Ich war irgendwie ein wenig baff, dass eine Frage, die für mich in meiner Spiritualität SO zentral gewesen war die letzten Jahre, quasi direkt am Anfang einfach angesprochen wurde. Und die Antwort hat mit mir sehr resoniert. Oder eher wie ich die Antwort interpretiert habe, selbstverständlich. Gott lässt Adam kommen und er zeigt auf metaphorische Art und Weise, um die Message mal abzukürzen, dass der Mensch im Gegensatz zu den gutgeschaffenen Engeln lernen kann. Er kann sich bewusst entscheiden, bewusst handeln, und am Ende des Tages ist es nicht "das Gute", das uns gut macht, sondern die Tatsache, dass sich viele von uns aktiv dazu entscheiden (und damit meine ich jeden Menschen, nicht nur Muslime) das Gute zu tun, obwohl die Versuchung des Bösen existiert und es manchmal auch viel, viel einfacher wäre, einfach schlecht und "boshaft" zu handeln. Das ist die Bedeutung hinter dem Menschsein, für mich, auf spirituelle und religiöse Art und Weise, und es hat mich so umgehauen und bewegt, so eine Message für mich im Quran zu entdecken. Ich habe obvs auch weitergelesen, aber der Schöpfungsakt Adams (und auch die "Verbannung" aus dem Paradies ist btw anders, Gott kickt die beiden nicht jähzornig hinaus, sondern er begegnet ihnen barmherzig und sagt quasi "keine Angst, ich bin bei euch, aber ihr seid reif für das nächste Abenteuer auf der Erde") ist für mich unheimlich zentral gewesen.
Bevor jetzt die altbekannte islamophobische Rhetorik kommt - ja, ich bin mir bewusst, dass im Quran auch ein paar Sätze stehen, die gerne dumm und dämlich gekaut werden, wenn Leute darstellen wollen, wie "gewaltpotenziell" der Islam doch ist. Ja, da steht drin, an genau zwei Stellen, dass man "Homos aus den Fenstern werfen soll" (im übrigen, ums mal theologisch richtig zu stellen, gehts bei den "Homos" im Islam auch viel um "Knabenliebe", das war historisch gesehen zu der Zeit leider unheimlich verbreitet) und dass man "Ungläubigen mit dem Schwert begegnen soll". Würde ich je so handeln, nur weil es im Quran steht? Nein. Bin ich großer Advokat dafür, dass man diese Sachen irgendwo auch in nem historischen Kontext sieht und solche Details, so grauenvoll wie sie sind, verurteilt, aber auch hinterfragt, warum das da so drinsteht? Natürlich. Gibt es leider genug Menschen, die ihre schrecklichen Taten mit Religion rechtfertigen? Absolut. Das ist, wie ich bereits mehrfach hier auch angesprochen habe, dasselbe wie mit den Kreuzzügen seinerzeit. Schlechtes Handeln, Leid, Gewalt und Hass gegenüber anderen Menschen wird es leider immer geben, und Religion ist dafür nie der Motivator, es ist das Mittel zum Zweck.
Ansonsten, um meinen vorherigen Punkt nochmal zu unterstützen - wenn das die polarisierenden zwei schlimmsten Stellen im Quran sind, sollten Menschen, die den Islam als per se gewaltbereite Religion ansehen, mal die Bibel lesen. Alleine schon die fünf Bücher Moses sind one hell of a ride, und stellen diese verurteilungswürdigen Stellen im Quran teilweise in den Schatten.
Dann war für mich eigentlich klar, dass ich Muslima werden will, und im Winter, paar Wochen vor Heiligabend, habe ich meine Schahada, mein Glaubensbekenntnis, mit einigen Freunden gesprochen und bin seitdem Muslima. Ja, ich habe Weihnachten übrigens bei Freunden verbracht, aber eher als Familienzusammenkunft, als irgendwas religiöses. Die Reaktionen meines Umfeldes waren großteils sehr positiv, keiner hat unangenehme Kommentare gemacht, viele haben mir versichert, dass sich an unserem Verhältnis nichts ändern wird und sie mir denselben Respekt entgegenbringen, den sie mir auch schon vor meiner Konvertierung gegeben haben.
Ich bin natürlich noch mitten in meiner Entwicklung, ich will unbedingt nochmal den Quran lesen, verschiedene Suren für das Gebet auf arabisch lernen (weil ja, aktuell bete ich auf Deutsch leise in meinem Kopf, lol), ich habe großen Respekt vor meinem ersten Ramadan in ein paar Monaten und ich war bislang auch noch nie in einer Moschee. Und trotzdem fühle ich mich angekommen, spirituell, zum ersten Mal in meinem Leben. Konvertieren ist religiöse Selbstfindung, und diese hört irgendwie nie auf. Ich werde nie "fertig" damit sein, ich werde immer lernen wollen, mich bilden, mit anderen super gerne über dieses Thema sprechen, und Gott in neuer Art und Weise kennenlernen.
Danke fürs Lesen ^__^