Beiträge von Pika!

„Bruderherz!“

Als endloses, strahlendes Blau erstreckte sich der Himmel über dem Meer, auf dessen wogender Oberfläche er reflektiert würde wie in einem gigantischen Spiegel. Die gleißende Sonne, die sich noch auf ihrem vormittäglichen Weg zu ihrem Zenit befand, brachte die Wellen zum Glitzern, während diese sanft flüsternd über den hellgoldfarbenen Sandstrand rollten. In dem warmen Schein badeten die beiden Inseln, durch eine schmale Bucht voneinander getrennt, aber verbunden über eine natürlich entstandene Brücke aus Trittsteinen sowie eine menschengemachte aus Holz. In und um die wenigen reetgedeckten Häuser spielte sich träge das unaufgeregte Alltagsleben des Dorfes ab. Die geschäftige Stille wurde nur von den Rufen einer kleinen Bewohnerin durchbrochen.

„Bruderherz!“, verlautbarte sie erneut, während sie außer Reichweite der Brandung über den Strand lief. Das lebhafte Mädchen trug ein ärmelloses Sommerkleid, hellblau und mit großen Blüten bestickt. Das knapp schulterlange, von der Sonne hellblond gebleichte Haar war zu zwei niedlichen Zöpfen gebunden. Die Kleine blieb für einen Moment stehen, hob ein Fernrohr vor eines ihrer ozeanblauen Augen und sondierte die Umgebung. Jeden, der sich zu dieser Uhrzeit nicht in seinem Heim aufhielt, konnte sie auf diese Weise sehen – nur nicht die von ihr vermisste Person. Die beiden Inseln, die gemeinsam den Namen Präludien trugen, kannte kein Mensch so gut wie der Gesuchte. Wenn er nicht gefunden werden wollte, kannte er die besten Verstecke, die nicht einmal seine kleine Schwester durchschauen vermochte.

„Bruderherz!“, wiederholte Aril noch einmal lauter, um die Brandung und den Wind zu übertönen, doch erneut zeigte sich ihr niemand.

Einige Möwen glitten um die Küsten auf unbeweglich ausgebreiteten Schwingen. Nur selten mussten sie mit diesen auch schlagen, da die Meeresbrisen, die die Inseln umschmeichelten, die grazilen Geschöpfe zuverlässig in der Höhe hielten. Eine von ihnen stieß nun gezielt auf Aril herab, zischte über sie hinweg und rief ihr einen krächzenden Lauf zu. Das Mädchen sah auf. „Habt ihr ihn gefunden?“

Seit sie denken konnte, hatte sie eine ganz besondere Verbindung mit den Seevögeln. Ihr Bruder behauptete, dies läge daran, dass sie als Kleinkind eine Putput-Frucht gegessen habe, deren Wirkung auch nach Jahren noch anhielt; aber Aril wusste, dass das Blödsinn war. Nicht nur, weil er sich gerne so absurde Geschichten ausdachte, auch ergab diese im Speziellen keinen Sinn: Um eine Möwe für kurze Zeit gefügig zu machen wie ein dressiertes Ferkel, musste die birnenähnliche Frucht von dem Tier gegessen werden, nicht von dem Menschen, der es kontrollieren wollte. Arils Oma hatte da schon eine viel plausiblere Erklärung parat: Eine der beiden Gründerinnen Präludiens sollte ebenfalls mit allen Arten von Vögeln gut gestellt gewesen sein. Wie es der Zufall wollte, war die kleine Aril nach ebendieser ihrer Vorfahrinnen benannt. Ob nun der Name oder ihre Abstammung – vielleicht sogar beides – die Affinität der Möwen zu ihr am besten erklärten, blieb indes ein Mysterium.

Arils gefiederte Freunde – die einzigen, die noch bessere Kenntnis über die Zwillingsinseln hatten als ihr Bruder – hatten ihr schon oft geholfen, ihn zu finden. So auch jetzt, als sie die Aufmerksamkeit des Mädchens auf etwas im Süden der westlichen Hälfte Präludiens lenkten. Wieder ihr Fernrohr zu Hilfe nehmend und die Augen gegen den grellen Sonnenschein verkniffen, spähte Aril hinüber. Um die hölzerne Aussichtsplattform, die sich auf einem Masten über dem Meer erhob, kreisten weisend einige Möwen. Die Kleine schüttelte wissend den Kopf. Eigentlich hätte sie es sich denken können, dass sich ihr Bruder seit Ende der Nacht nicht von der Stelle bewegt hatte.

Jetzt ohne neuerliche Rufe, die ohnehin nicht das gewünschte Ergebnis brachten, lief Aril den Strand runter zum Holzsteg, an dessen Ende der Ausduck errichtet war. Ihr geliebtes Fernrohr unter einen Arm geklemmt, sah sie sich dazu gezwungen, die Leiter einhändig zu erklettern. Vorsichtig setzte sie erst beide Füße fest auf eine Sprosse, bevor sie die nächste auf ihrer Augenhöhe ergriff und sich daran festhaltend die Beine nachzog.

So dauerte es eine Weile, bis Aril endlich oben ankam, und es ärgerte sie ein wenig. Ihr großer Bruder hätte mit nur einer Hand bestimmt nicht einmal halb so lang gebraucht – und der hatte es sich hier gemütlich gemacht! Wobei von Gemütlichkeit nur schlecht die Rede sein konnte, hatte sich der unverbesserliche Langschläfer, der sich irgendwie überall zu einem Nickerchen hinlegen konnte, auf den harten Holzdielen zusammengekugelt. Damit hatte die Großmutter der beiden Geschwister bereits gerechnet und gemeint, noch ein wenig auf ihn zu warten. Weil Aril das lästig geworden war, hatte sie sich schließlich auf die Suche begeben.

Obwohl sie nicht gerade leise auf ihn zutrat und trotz des Gezeters, das die Möwen veranstalteten, regte sich ihr Bruder nicht und schlummerte friedlich weiter. Lediglich ein unverständliches Murmeln gab er von sich. Missgestimmt blies Aril eine Backe auf. Kaum zu glauben, dass diese Schnarchnase nun so alt war wie der Held aus den Legenden! Der hatte bestimmt nie verschlafen!

„He, es wird Zeit, aufzuwachen, Bruderherz!“, ermunterte Aril ihn und rüttelte an ihm, erst behutsam, dann immer heftiger. Als auch das keine Wirkung zeigte, wurde das kleine Mädchen stinkig. Ihr Fernrohr in beiden Händen, holte sie zum Schlag aus – und briet es dem Schlafenden über den Kopf. „Link!“

Wie vom Donner gerührt schreckte Link endlich aus dem Schlaf auf. Von einer Sekunde auf die nächste setzte er sich auf, die Augen weit aufgerissen, und stieß hervor: „Ich bin hier!“

„Weiß ich doch“, kommentierte Aril spitz.

Blinzelnd wurde Link seiner kleinen Schwester gewahr. Müde krümmte er den Rücken vor und wischte sich den noch nicht ganz abgeklungenen Schlaf aus den Augen. „Aril?“, nuschelte er undeutlich. „Ist es schon Morgen?“ Endlich drang auch der Schmerz an sein Bewusstsein, und Link rieb sich die Stelle am Schädel, die zuvor das zum Knüppel entfremdete Fernrohr zu spüren bekommen hatte. „Das hat wehgetan …“, beklagte sich der Junge.

„Du wolltest einfach nicht aufwachen“, rechtfertigte Aril ihre brachiale Herangehensweise.

„Sonst stört dich das doch auch nicht …“

„Sonst ist ja auch nicht so ein besonderer Tag wie heute!“, beteuerte das Mädchen.

Irgendetwas dämmerte Link bei diesen Worten, doch war er vom Schlaf – und vielleicht auch vom Schlag auf den Kopf – noch immer zu befangen, um klar denken zu können.

„Ach, Link …“ Jetzt hatte Aril doch Mitleid mit ihrem Bruder, der ratlos vor ihr saß, das strohblonde Haar zerzaust, die himmelblauen Augen schwer vor Müdigkeit. Das farblich zu letzteren passende Hemd, bestickt mit den weißen Umrissen eines Hummers, war zerknittert vom langen Liegen. Er war wirklich der einzige, den sie kannte, der einen für sich selbst so wichtigen Tag verschlafen würde, ohne bis zum Abend davon Wind zu bekommen. Die Hände mit dem Fernrohr hinter dem Rücken verschränkend, wiegte Aril sich hin und her. „Weißt du denn gar nicht, was heute ist?“

Blinzelnd blickte Link in den Himmel auf. „Es ist sonnig.“ Den Zusatz wie immer, der ihm auf der Zunge brannte, verkniff er sich.

Zur Antwort kicherte Aril belustigt. „Nein, du Schlafmütze.“

Benommen schaute sich Link weiter um, stellte sich endlich die richtige Frage: Warum er hier auf dem Ausguck lag und nicht im Haus ihrer Großmutter in seinem Bett. Allmählich dämmerte es ihm. Der Tradition folgend, die seit jeher in Präludien überliefert wurde, hatte er Wache gehalten wie jeder Junge der beiden Inseln, in ebender Nacht, bevor er das zwölfte Lebensjahr vollendete …

„Du hast heute Geburtstag!“, platzte Aril in dem Moment, als es ihrem Bruder auch von selbst klar wurde.

Entnervt stöhnend ließ sich dieser nach hinten wieder auf den Rücken fallen, verdeckte die Augen mit dem Unterarm und blieb reglos liegen.

Neben ihm sank Aril auf die Knie, stach ihm den Finger in die Wange. „Schläfst du jetzt wieder?“, fragte sie unbedarft.

„Nein!“, gab Link zynisch zurück.

Weil er sich sonst nicht weiter mit ihr verständigte, behauptete seine kleine Schwester naseweis: „Bestimmt hast du die ganze Nacht gepennt und gar nicht aufgepasst, was auf dem Meer passiert.“

„Was soll schon passieren? Hier passiert doch nie was!“, lamentierte Link und drehte sich auf die Seite, sodass er durch die Lücke, die das Geländer des Ausgucks über der Leiter ließ, Richtung Präludien sah. „Es ist immer langweilig …“, fügte er leiser hinzu.

Sofort widersprach Aril: „Natürlich passiert was! Terri kommt doch immer her!“ Aufgeregt deutete sie runter zum Strand, an dem das zum mobilen Laden umfunktionierte Boot entlangschipperte.

Jetzt seufzte Link tief, setzte sich erst auf und erhob sich dann langsam auf die Beine. Sich von seiner Heimatinsel abwendend, trat er ans Geländer heran, von wo aus er auf den offenen Ozean blicken konnte. Dort stützte er sich ab und seufzte erneut.

Für eine Weile durchbrach nichts die behäbige Geräuschkulisse aus dem Rauschen der Brandung, dem Flüstern der Seebrise und dem verhaltenen Krächzen der Möwen.

Gerade holte Aril Luft, um ihren Bruder daran zu erinnern, dass er noch eine Pflicht zu erfüllen hatte, als dieser plötzlich wissen wollte: „Kennst du das, wenn du träumst und denkst, es ist alles echt?“

„Das ist doch ganz normal“, meinte das Mädchen, befremdet von dieser seltsamen Frage. Sie machte eine kreisende Handbewegung. „Dann wacht man auf und merkt, dass es halt doch nicht echt war.“

Link senke den Kopf und legte das Kinn auf die Brüstung. „Und wenn es sich auch nach dem Aufwachen nicht nur anfühlt wie ein einfacher Traum?“

Nur noch verwirrter wusste Aril nicht, was sie erwidern sollte.

Ihre Sprachlosigkeit nutzte Link aus, die Eindrücke, die im Schlaf auf ihn eingeprasselt waren, noch einmal in seinem Geist vorbeiziehen zu lassen: So deutlich erinnerte er sich daran, als hätte er selbst erlebt, dass jemand nach ihm gerufen hatte. Nicht nur eine Person, nicht nur einige wenige … Die Zahl der Stimmen, die seinen Namen in unverkennbarer Todesangst geschrien hatten, überstieg das Vorstellungsvermögen des Dorfjungen. Schlimmer als ihre Panik war für ihn gewesen, dass er ihnen nicht hatte antworten oder gar zu Hilfe eilen können, so sehr er es auch versucht hatte. Ihm war gewesen, als hielte ihn ein unsichtbarer Käfig gefangen. Als es Link endlich gelungen war, sich zu befreien, war es bereits zu spät gewesen – denn in ebendiesem Moment hatte Aril ihn geweckt.

„Da war ein Land“, sprach der Junge jetzt gedankenverloren.

„Du hast Land gesehen?“, hakte seine kleine Schwester nach. Die beiden Kinder, die in ihrem noch jungen Leben nichts anderes als Präludiens Zwillingsinseln zu Gesicht bekommen hatten, kannten diese Formulierung von Terri und anderen Besuchern des Dorfes. Damit meinten diese stets, dass sie nach langer Reise auf hoher See endlich festen Boden entdeckten, der am Horizont über die Wasseroberfläche hinausragte.

Jedoch schüttelte Link heftig den Kopf. „Nicht so. Es war ein Land.“

„Ein Eiland ist eine Insel“, belehrte Aril altklug.

„Das auch nicht!“ Überraschend drehte er sich um und stemmte missmutig die Ellbogen auf die Brüstung hinter sich. „Es war nicht nur eine mickrige Insel. Es war riesig! Präludien ist winzig dagegen.“ Ratlos musterte Aril ihren Bruder; weil sie sich offenbar nichts ausmalen konnte, das irgendwie weiträumiger war als ihre Heimatinseln, legte Link den Kopf in den Nacken, beobachtete die über ihnen kreisenden Möwen und erdachte sich eine genauere Beschreibung. „Dort gab es Wälder, die schon größer waren als Präludien, und überall waren Hügel und Gras, so weit wie das Meer, und egal, wie lang man ging, es hörte einfach nicht auf …“ Weiter schilderte er nicht, was in diesem seinem Traumland geschehen war. Er wollte seine kleine Schwester nicht beunruhigen mit den Bildern von Feuer, das die Wiesen verschlang, und Rauch, der den ganzen Himmel verdunkelte. Und von dem gewaltigen Schatten mit kalten, gelb glühenden Augen inmitten der Flammen, die schließlich nur durch unendliche Wassermassen hatten gelöscht werden können …

Kraftlos sank Links Kopf zur Seite. Er wandte sich wieder dem endlosen Horizont zu, blinzelte gegen den salzigen Wind, der ihm vom Meer ins Gesicht blies und mit seinem Haar spielte. Dieser entrückte Blick und sein abwesender Tonfall kamen Aril nur zu schmerzlich bekannt vor, und zum wiederholten Male verstand sie, was sie bedeuteten: Link wusste, wo jeder einzelne Kieselstein auf Präludien lag, konnte jeden Baum und jede Palme mit verbundenen Augen lokalisieren. Alles in und um das Dorf entlang der steilen Klippwände, das auch nur irgendwie durch Klettern und Kriechen erreichbar war, hatte er bis in den hintersten Winkel erkundet. Sogar den Wald, der auf der Spitze eines der beiden durch die Bucht getrennten Berge lag und anderen Inselbewohnern eher unbekannt war. Wahrscheinlich war das einzige, das Link noch nicht gefunden hatte, die Feenquelle, von der die Alten erzählten, sie sei in jener Ansammlung wild gewachsener Bäume versteckt. Es verzehrte ihn danach, zu erfahren, was hinter dem immergleichen, meerblauen Horizont lag, an dem die ihm vertraute Welt endete. Wo die Waren herkamen, die Terri in Präludien verkaufte, und wohin die Möwen flogen, wenn sie sich von den Zwillingsinseln entfernten. Ohne Zweifel beneidete er die eleganten Flieger um ihre Fähigkeit, auf den Winden in unbekannte Fernen zu gleiten.

Auch wenn Aril es nicht wahrhaben wollte: Präludien war viel zu klein für ihren großen Bruder und seine grenzenlose Neugier – und genau das hatte ihr immer schon die meiste Angst eingejagt.

„Nein!“, schrie Aril urplötzlich, Link fuhr zusammen – und gleich ein weiteres Mal, als seine Schwester ihm erneut eins mit dem Fernrohr überzog. Verspätet hüpfte er von ihr fort und rieb sich den Kopf, was seine wirre Frisur nun endgültig zu einem einzigen Chaos aus hellem Gold machte. „T-tut mir leid!“, stammelte Aril verunsichert und hob ihm beschwichtigend eine Hand entgegen.

Doch ihr Bruder war noch nicht bereit, ihre verzweifelte Entschuldigung anzunehmen. „Wofür war das jetzt?!“, platzte es ungehalten aus ihm.

„Ich … Du hast so ernst geguckt! Ich mag das nicht!“, beteuerte das Mädchen im selben trotzigen Tonfall, nun ohne jedes Beileid. Eigentlich wollte Link eine weitere patzige Erwiderung liefern, bis er endlich der Tränen in den Augen seiner kleinen Schwester gewahr wurde. Auch sie bemerkte, dass ihm ihre Gefühlsregung aufgefallen war, und senkte schnell den Blick. „Du sollst nicht so aufs Meer schauen“, flüsterte sie mit belegter Stimme, und Link fiel es schwer, sie über die Seebrise zu verstehen, die unablässig über Präludien zog. „Als ob du … wegsegeln willst …“

Über diese Aussage zuerst stutzig, wollte Link genauer wissen: „Du hast Angst, ich könnte Präludien verlassen, nur weil ich mir das Meer ansehe?“ Stumm nickte Aril, ohne den Kopf zu heben. Das niedergeschlagene Bild, das sie bot, entfachte in Link sogleich den mitfühlenden Beschützerinstinkt eines älteren Bruders. Auf ein Knie sinkend, ergriff er sanft ihre freie Hand. „Du musst dir keine Sorgen machen“, redete er beruhigend lächelnd auf sie ein und versuchte, ihren Blick einzufangen. „Wir beide gehören hier nach Präludien. Es steckt doch in unseren Namen!“ Ähnlich wie Aril, war auch er nach der anderen der beiden Gründerinnen des Dorfes benannt, die Linkle geheißen haben sollte. Daher behaupteten die Erwachsenen über die beiden Geschwistern schon immer, sie würden ihr ganzes Leben auf den Zwillingsinseln verbringen. Ein Hirngespinst, das sich so fest in Arils Denken gewebt hatte, dass es für sie keine andere Möglichkeit zuließ – wohingegen Link nicht so davon überzeugt war. Doch wenn es seine kleine Schwester aufmunterte, beugte er sich jedem Omen.

Also betonte Link: „Wir werden zusammen hierbleiben, bis wir alt und grau sind.“

Ein wenig Hoffnung schöpfend, sah Aril ihm in die Augen. „Wie Oma?“

Vergnügt lachte ihr großer Bruder. „Noch älter und grauer!“

Endlich stimmte auch sie in sein Kichern ein. „Dann dauert‘s ja noch lang!“ Plötzlich wurde sie wieder ernst. „Versprochen?“

„Versprochen“, bekräftigte Link, indem er die linke Hand aufs Herz legte und feierlich nickte.

Erleichtert strahlte Aril über das ganze Gesicht und fragte: „Trägst du dann heute auch das Heldengewand?“

Auch wenn Link darauf nichts sagte, waren seine widerwillig verzogenen Augenbrauen Antwort genug. Weiterhin schweigend erhob er sich und ging zurück zu seinem vorigen Platz am Geländer. Dem Ozean den Rücken gekehrt, hievte er sich auf die Brüstung und stützte die Unterarme auf die Knie. „Also hat Oma es rechtzeitig fertig gekriegt?“, wollte er wissen, nicht mit echtem Interesse, sondern nur, um das Unauswechliche noch eine Weile länger hinauszuzögern.

„Ja, wir haben die ganze Nacht daran gearbeitet.“

Überrascht horchte Link auf. „Du hast ihr geholfen?“

Aril wischte ein imaginäres Stäubchen von der Linse ihres Fernrohrs. „Es würde sie sehr traurig machen, wenn du es nicht anziehen würdest.“ Ihr Tonfall verdeutlichte, dass sie nicht nur von der Großmutter allein sprach.

Resignierend streckte Link die Arme in die Höhe und kippte, noch immer auf dem Geländer sitzend, nach hinten. Aril erschrak zutiefst, als sie ihren geliebten Bruder vor ihrem inneren Auge ins flache Meer stürzen sah – bis sie erkannte, dass er die Beine so um die Pfosten der Brüstung verhakt hatte, dass er gar nicht fallen konnte. Stattdessen hing er nun kopfüber wie eine Fledermaus von der Aussichtsplattform, was allein schon eine entsetzlich waghalsige Aktion war. Eigentlich war Aril solche von ihm gewohnt, konnte aber nichts dagegen machen, jedes Mal aufs Neue um sein Wohlergehen zu bangen.

„Ich will dieses Gewand nicht tragen“, vertraute Link seiner Schwester an – und bereute es sofort.

„Wie kannst du so was sagen!“, ereiferte sich das kleine Mädchen und hüpfte ans Geländer, um vorwurfsvoll zu ihm runterzublicken. „Du musst es tragen! Das ist doch Tradition!“ Seit der Gründung Präludiens kleideten sich alle Jungen des Dorfes am offiziell letzten Tag ihrer Kindheit in das legendäre Grün. Dadurch sollten sie später, wenn sie einmal erwachsen waren, die guten Tugenden des Helden besitzen.

Weiterhin am Geländer hängend, wandte Link das Gesicht von seiner Schwester ab. Sofort eilte Aril auf die andere Seite und fragte unnachgiebig einfühlsam: „Hast du Angst, du könntest nicht so werden wie der Held?“ Ihrer eigenen Meinung nach war das völliger Blödsinn. Auch ohne Gewand war Link schon heldenhafter als jeder andere, der vor ihm auf den Zwillingsinseln geboren worden war: Unerschrocken ging er die unvorstellbarsten Wagnisse ein, ohne sich je etwas Schlimmeres als einen Bluterguss einzufangen. Wann immer jemand im Dorf eine helfend anpackende Hand brauchte, war er sofort zur Stelle. Gab es Probleme oder Konflikte unter den Bewohnern, war er immer derjenige, der am schnellsten eine brauchbare Lösung fand. Und obwohl er zwischendurch manchmal seine einsamen Streifzüge brauchte, hatte er noch nie seine Pflichten als Arils älterer Bruder vernachlässigt. Für sie war Link bereits seit langem ein Held, und genau deswegen stand ihm am heutigen Tag das Gewand viel mehr zu als sein blaues Alltagshemd.

Statt zu antworten, verschränkte Link die hinabbaumelnden Arme vor der Brust. Seine wirklichen Gründe, warum er das Gewand auf keinen Fall anlegen würde, waren viel pragmatischerer Natur. Als der Brauch entstanden war, musste auf Präludien ein gänzlich anderes, viel milderes Klima geherrscht haben als jetzt. Wenn das Heldengewand nur aus dem langärmligen Hemd bestünde, könnte Link es noch aushalten. Doch für die zusätzliche Tunika und auch noch eine Mütze waren seine sonnenverwöhnten Heimatinseln tagsüber einfach viel zu warm. Auch die wiederholten Bitten Links an seine Großmutter, das Gewand thermisch passender zu schneidern, hatten die alte Dame nicht dazu bewegt, mit der Tradition zu brechen.

Beine und Bauch anspannend, zog Link den Oberkörper hoch, sodass er wieder auf dem Geländer saß. Er sah Aril an, die seinen Blick aus erwartungsvoll aufgerissenen Augen erwiderte. „Was wäre mit dem Gewand, wenn es den Helden in Wirklichkeit gar nicht gegeben hätte?“, stellte der Junge eine Frage, über die er in den letzten Tagen häufiger nachgegrübelt hatte.

„Was?!“, rief Aril empört aus. „Natürlich war er echt! Er hat gegen Monster gekämpft und Prinzessinnen gerettet und …“ Es folgte eine Kurzfassung der Taten, die die allen in Präludien bestens bekannte Sagengestalt vollbracht haben sollte.

Sofort unterbrach Link: „Wie hieß er?“

Obwohl er sehr ruhig und sachlich gesprochen hatte, zuckte Aril zusammen, als hätte er sie angeschrien. Ertappt druckste sie herum und wand sich unbehaglich, bevor sie schließlich gestand: „Keine Ahnung. Aber keiner weiß das …“

„Ganz genau!“, bekräftigte ihr Bruder mit Nachdruck. „Kann doch gar kein so großartiger Held gewesen sein, wenn niemand seinen Namen kennt!“ Er hob die Hände, um die für ihn einzig logische Schlussfolgerung zu unterstreichen. „Oder es hat ihn einfach nie gegeben, und alles, was man sich über ihn erzählt, sind nur ausgedachte Märchen. Das mit dem Gewand ist völlig unnötig.“

„Vielleicht hat man den Namen einfach nur vergessen“, gab Aril zu bedenken, bestürzt über Links desillusionierende Spekulationen.

„Na klar, ausgerechnet hier!“ In der Geschichte Präludiens konnten Namen unmöglich in Vergessenheit geraten, wurden sie doch besonders hoch geschätzt. Irgendwie musste jeder eine tiefgründige Bedeutung haben und das Schicksal seines Trägers voraussagen, wie bei Aril und Link. Insofern war der Junge ganz froh, dass es zu dem Helden der Legende keinen überlieferten Namen gab. Denn schon oft hatte er sich ausgemalt, dass er, wäre er nach der Sagengestalt benannt worden, das grüne Gewand wahrscheinlich tagtäglich hätte tragen müssen.

Um die Aussichtsplattform kreisten bereits einige Möwen, und nun näherte sich von Präludien her eine weitere. Dicht über Arils Kopf schoss sie hinweg und schrie hell. Das Mädchen sah auf und folgte dem Seevogel mit Blicken, während dieser eine Kehrtwende vollführte und zur Insel zurückflog. Unvermittelt wirbelte das Mädchen zu seinem Bruder herum, packte ihn bei der Hand. „Du musst los!“, drängte sie, während Link sich von ihr von der Brüstung runter und zur Leiter zerren ließ. „Oma wartet mit dem Heldengewand auf dich!“

Zu seinem Unmut musste Link einsehen, dass seine Schwester alles missachtete, worüber sie soeben gesprochen hatten. Wie immer, wenn sie spürte, dass ihre Unterhaltung in Streit auszuarten drohte, unterband sie das emfindliche Thema zur Gänze. Unter ihrer herzensguten Beharrlichkeit schmolz sein Widerwillen gegen die klimatisch ungeeignete Kleidung schließlich dahin. Wenn er es recht bedachte, war es gar kein ganzer Tag mehr, den er sie würde tragen müssen, weil er bereits die Hälfte davon auf dem Ausguck verschlafen hatte. Auch wenn Link nicht erpicht darauf war, der Tradition wegen den Rest seines Ehrentages gedünstet zu werden, so würde er es doch seiner Schwester und Großmutter zuliebe auf sich nehmen.

„Ist schon gut!“, wimmelte er Aril ab, entriss ihr den Arm und gab sich geschlagen. Den Abstieg die Leiter hinab in Angriff nehmend, warf Link einen sehnsüchtigen Blick durch die Sprossen aufs endlose blaue Meer.

Vor ihm kniete Aril nieder. „Und nicht trödeln, ja?“

„Ja, ja“, speiste ihr Bruder sie ab, unwirsch, weil sie seinen Tagtraum unterbrochen hatte – und schwang sich die Leiter hinab. Zuerst sah es aus, als würde der Draufgänger ungebremst auf dem Holzsteg aufschlagen; gerade noch rechtzeitig bekam er die letztmögliche Sprosse zu fassen und sprang den Rest des Aufstiegs aus dieser ungefährlichen Höhe.

Vom Ausguck aus beobachtete Aril, wie Link lospreschte und schon bald hinter den ersten Hütten des Dorfes aus ihrem Sichtfeld verschwand. Wie sie ihn kannte, würde er bei jedem Bewohner stehenbleiben und sich erkundigen, wie das allgemeine Befinden sei und ob er irgendwo helfen könne. Erschwerend kam er Umstand hinzu, dass ihm wahrscheinlich jeder zum Geburtstag gratulieren wollte. Es blieb nur zu hoffen, dass Link sich wirklich an seine Zusage hielt und diese Zwischenhalte so kurz und gering wie möglich beließ.

Nachdenklich strich Aril über das rot lackierte Gehäuse ihres Fernrohrs. Schon seit einigen Wochen hegte sie die Absicht, ihr liebstes Besitztum Link zum Geburtstagsgeschenk zu machen. Vielleicht würde es ihm sein Fernweh nehmen, wenn er genauer sah, dass es da draußen nichts gab, das wichtiger war als seine Heimatinseln. Oder es zumindest ausreichend lindern, dass er nicht mehr von unmöglich riesigen Wiesen träumte, die so weit waren wie das Meer.

In dem geordneten Durcheinander der Kreise, die die Möwen um die Aussichtsplattform zogen, brach ohne Vorwarnung Chaos aus. In geschlossenem Schwarm drehten sie ab und flogen landeinwärts, wo sie sich an den Klippwänden und Felsnadeln, die aus der Bucht ragten, niederließen. Verwirrt spähte Aril auf den offenen Ozean, wo sie ganz richtig den Grund für den Aufruhr ihrer Freunde vermutete. Auf dem Wasser, knapp über dem Horizont machte sie zwei Punkte aus, deren Form mit bloßem Auge nicht einmal zu erahnen war. Daher gebrauchte Aril ihr Fernrohr und erkannte prompt ein Schiff, das einem Vogel hinterherzusegeln schien. Entfernung, Luftspiegelung und Erdkrümmung machten es dem Mädchen schwer, die Größe des Tieres abzuschätzen; doch zumindest konnte sie an dem blauschwarzen Gefieder und den schwerfälligen Flügelschlägen festmachen, dass es sich dabei nicht um eine Möwe handelte. Das Schiff schien das von Piraten zu sein – wie jedes Kind kannte auch Aril die schwarze Fahne, die oben am Mast wehte, als Markenzeichen der Seeräuber.

Desinteressiert ließ die kleine Späherin das Fernrohr sinken, und Schiff und Vogel schrumpften wieder zu Punkten am Horizont zusammen. Was kümmerte sie schon etwas, das so weit weg war? Wie Link gesagt hatte, außer Terri, der Präludien für seine Geschäfte ganz gezielt ansteuerte, verirrte sich selten jemand auf die abgelegenen Zwillingsinseln. Hier gab es nichts, das zu plündern sich lohnte, sodass das Dorf auch für Piraten nicht von Wert war. Und selbst wenn diese wagen sollten, hier vor Anker zu gehen, würde Link, da war sich Aril sicher, nicht zögern, sie wieder zu vertreiben. Ihr großer Bruder fürchtete sich vor gar nichts, erst recht nicht vor ein paar verlausten, gesetzlosen Seeräubern.

„Kommt nur her, ihr blöden Piraten!“, rief das Mädchen mit den spitz zulaufenden Ohren gegen den Wind, obwohl es natürlich wusste, dass die Männer auf dem Schiff es unmöglich hören konnten. Herausfordernd reckte sie das Fernrohr in die Höhe. „Mein Bruderherz wird‘s euch schon zeigen! Er ist ein richtiger Held!“

- wie es der Zufall will, hat jemand in meinem Bekanntenkreis auch Geburtstag xD

- dieses Kapitel ist als „EpiProlog“ ausgezeichnet, da es zwar noch als Epilog zur Symphonia herhält, jedoch bereits eine weitere Geschichte einleitet, nämlich jene, die wir aus Wind Waker kennen. Desweiteren ist es eine kleine Umdichtung der Eingangssequenz dieses Spiels.

- in WW wird gesagt, der Held der Zeit sei nicht wiedergekehrt, als die Menschen Hyrules um seine Hilfe flehten. Hier in meiner Story liegt dies daran, dass die Maske, die Zelda Link im EpiEpilog aufsetzt, zwar durchaus seine Seele enthielt, diese aber nicht in seinen Körper zurückkehren konnte (was dem Maskenhändler in Kap19 zu verdanken ist) Erst, als die Maske durch die Flut zerstört wurde, konnte die Seele weiterwandern und wiedergeboren werden.

- dass der Name jenes Helden vergessen wurde, ist Teil des Fluchs des Todbringers aus meiner anderen Story Die Ballade des Unbesungenen. Dieser Fluch erklärt ein wenig, warum die Namen der Helden aus den Legenden in den Spielen nie bekannt sind, bzw hab ich das eben fanstorymäßig so umgesetzt.

- wie auch die drei Helden in jedem ihrer Prologe, verspricht Link im EpiProlog etwas, das er aufgrund späterer Ereignisse nicht halten kann

- damit, dass Link hier im EpiProlog so genervt davon ist, dass alle Namen auf Präludien ieine besondere Bedeutung haben müssen, nehme ich mich ein bissle selbst aufs Horn. Denn wenn ich die Namen aussuche, haben sie immer nen Hintergrund x3

- ich liebe es ja total, Easter Eggs einzubauen. Während der Symphonia, aber auch schon der Ariette sind einige familiäre Beziehungen nur zwischen den Zeilen lesbar gewesen. Im Klartext ausformuliert folgende:

> Die einzige Ritterin im Hylianischen Ritterorden aus der Ariette Kap2 tritt in der Symphonia in Kap10 auf und ist Nathans Mentorin.

> Nathan, Leos Onkel, der in Prolog 3 auftritt und in Epilog 3 erwähnt wird, ist der junge, violett gewandete Knappe in Kap10, der wie Leo aussieht; wiederum ist Nathan der Sohn jenes Leopold aus der Ariette Kap2, also ist dieser Leopold Leos Großvater, nach dem er auch benannt ist; der Ariette-Leopold ist als Links Halbbruder väterlicherseits gedacht, wodurch auch eine Verwandtschaft zwischen Link und Leo besteht.

> Links Mutter (die ihn laut Ocarina of Time als Baby in die Obhut des Deku-Baumes übergab) ist die Frau, denen das Heldentrio in Kap10 über den Weg läuft und die im EpiEpilog mit ihren Töchtern die Zitadelle der Zeit besucht; demnach sind jene Mädchen Links Halbschwestern, wobei Linkle von ihrer Mutter nach ihrem Erstgeborenen benannt wurde.

> Aril und Linkle begründen später nach der Flut Präludien, und nach ihnen werden schließlich Aril und Link im EpiProlog benannt (sodass Links Name, auch wenn das Original vergessen wurde, ironischerweise doch zu seiner Wiedergeburt gekommen ist).

> Der grüngekleidete Junge im EpiEpilog ist auch bei der Gründung Präludiens beteiligt und ruft die Tradition des grünen Heldengewands ins Leben.

> Die Dienerin Serra, die in der Symphonia als junge Frau vorkommt, ist dieselbe Serra in Epilog 3, nur eben älter.

> Der Schmiedelehrling in Kap10 ist ein später Nachfahre Virris; die Schmiede ist der Betrieb seines Großvaters Alberich, nur wurde sie in die Stadt umverlegt.

> Amira, die Botschafterin der Gerudo in Kap11, ist Ganondorfs Tochter, daher auch ihr Name (Amira = arab. Prinzessin).

Huff. Ja, so viel dazu xP Für vergessene Easter Eggs übernehme ich keine Haftung :v

Wow. Damit wär es dann zu Ende… Auch wenn ich mir in Sachen Lesergemeinschaft natürlich mehr erhofft habe (nichtsdestotrotz ein herlich liebes Danke an dieser Stelle an Keksdrache und ELIM_inator ^^), hat mir das bloße Schreiben dieser Story unglaublich viel Spaß gemacht! Ein Jahr ist es nunmehr her, da ich begann, sie zu veröffentlichen, wobei die grundlegenden Ideen schon weit länger zurückliegen. Jetzt ist sie etwas geworden, auf das ich auf eine nicht-lebensnotwendige, schlichtweg hobbymäßige Weise stolz bin <D

Und damit… Pika! out ~

Es war, als hätte sie für eine zeitlose Ewigkeit aufgehört, zu existieren, und werde nun aus nur einem einzigen Gedanken heraus neu erschaffen. Langsam und stetig wurde sie sich ihres eigenen Seins wieder bewusst: Sie war Zelda, Prinzessin von Hyrule, des Landes ihrer Vorväter, ihrer Geburt, ihres Herzens.

Als nächstes nahm sie ihren Körper wahr – und auch wenn es eigentlich derselbe war, dessen sie sich in den letzten Wochen als fremdes Bewusstsein bemächtigt hatte, spürte sie doch auch Unterschiede. Dass dies nun wieder ihr wirklich eigener Leib war.

Blinzelnd öffnete Zelda die Augen, die während der ganzen Zeit wie im Schlaf geschlossen gewesen waren, und auch das spürte sie deutlich. Die Lider klebten ein wenig zusammen, Licht stach so blendend in ihren Schädel, dass die Prinzessin die Augen sogleich wieder zukniff. Erst als sie glaubte, es nun ertragen zu können, schlug sie sie erneut auf. Einen Moment dauerte es, bis sich auch ihre Linsen scharf eingestellt hatten. Das erste, was sie erkannte, war ein bläulicher Schimmer, der sie umgab wie eine schützende Aura. Es war die magische Barriere, die den Verlauf der Zeit in ihrem Innern verzerrte. Sie bewahrte die schlafende Prinzessin vor den Auswirkungen von Nahrungs- und Wassermangel, denen ihr sterblicher Leib nunmal unweigerlich anheim fiel. Eigentlich hätte es eines solch umfangreichen Schutzes gar nicht bedurft, hätte sie sich wie ursprünglich angedacht nur ein oder zwei Tage im Zeitenschlaf befunden. Nun war daraus unerwartet ein ganzer Monat geworden, und Zelda war entsprechend froh, dafür auch ohne Absicht vorgesorgt zu haben. Diese Art unbewusster, aber auch unzuverlässiger Vorhersage war eine ihrer Fähigkeiten als Weise der Zeit.

Zuckend bewegte sie die Finger, musste aber überascht feststellen, wie schwer es ihr fiel, sie zu lockern. Die Hand hebend, berührte Zelda die über ihr liegende Barriere. In einem hitzeähnlichen Flimmern löste sich der hauchdünne, machtvolle Zauber auf. Fast schon fühlte sich die Prinzessin, als erwache sie von den Toten, als sie sich mühsam aufrichtete. Sogleich kam ihr jemand zu Hilfe und stützte sie mit starker Hand.

„Sachte“, drang eine tiefe, wohlklingende Altstimme an ihre Ohren.

Natürlich hatte die zeitreisende Prinzessin gewusst, dass es ein Wiedersehen geben würde, sobald sie aus der anderen Zukunft zurückkehrte, doch hatte sie nicht mit ihren eigenen Emotionen gerechnet. Sofort schossen ihr Tränen in die Augen, sie fuhr herum und fiel ihrer Vertrauten um den Hals. „Impa!“, rief Zelda völlig aufgelöst und begann hemmungslos zu weinen.

Irritiert von der Reaktion ihres sonst so beherrschten Schützlings, schloss die Shiekah diesen nichtsdestotrotz sanft in die Arme. So hielten sich die beiden Frauen eine Weile, während derer Prinzessin Zelda ununterbrochen schluchzend ihren Gefühlen freien Lauf ließ, die sie viel zu lange in sich hatte einsperren müssen. Allmählich beruhigte sie sich und löste sich von Impa, wischte sich über die tränennassen Augen, um wieder klar sehen zu können. Das hielt nur einen kurzen Moment an, denn ihre Vertraute vor sich zu haben, lebend und atmend, ließ ihr die Sicht sogleich wieder verschwimmen. Der ratlose, besorgte Ausdruck ihres Gegenübers entlockte ihr ein Lächeln. Tief atmete Zelda durch und gewann ihre Fassung zurück.

„Was ist passiert?“, wollte die Shiekah mit aller gebührenden emotionalen Vorsicht wissen.

„Ach, Impa“, seufzte Zelda und konnte nicht anders als zu lachen; bitter, schwermütig und zugleich erleichtert und glücklich. Wieder wischte sie sich Freudentränen weg. Während deren letzte Spuren auf ihrem Gesicht trockneten, erzählte sie ihrer Vertrauten von den Ereignissen der letzten Wochen, froh, endlich jemanden zu haben, mit dem sie vorbehaltlos darüber reden konnte.

Impa wusste bereits so viel, wie die andere Prinzessin über die Grenzen der Zeit übermittelt hatte: Über Links erste beiden Morde und den gescheiterten Versuch der Hylianischen Ritter, ihn festzunehmen. Daher begann Zelda nun ihren Bericht mit ihrem Plan, den abtrünnigen Helden von Impa – der anderen Impa – fangen zu lassen. Auch wenn sich die Shiekah, die jetzt auf einem Stuhl neben dem Bett saß, nicht anmerken ließ, erkannte ihre Herrin deutlich, wie bestürzt sie war. Davon zu erfahren, dass Ruto und Darunia gestorben waren, war ihr schon sehr nahe gekommen; doch der eigene Tod erweckte in ihr noch einmal eine ganz andere Stufe des Entsetzens.

„Nun, immerhin ist er ein Held“, überlegte die Schattenkriegerin, die sehr von ihren kämpferischen Fertigkeiten überzeugt war, laut. „Kein Wunder, dass ich ihn nicht habe besiegen können …“

„Das ist nicht alles“, widersprach Zelda tröstend und setzte ihre Vertraute von der grimmigen Gottheit in Kenntnis.

Missgestimmt verschränkte die Shiekah die Arme. „Und du meinst, ohne diese Maske hätte ich eine Chance gehabt?“, wollte sie skeptisch wissen.

„Höchstwahrscheinlich.“ Nachdenklich nickte die Prinzessin. „In seiner menschlichen Gestalt mag es Link gelungen sein, die Ritter zurückzuschlagen, doch bestimmt nicht vollkommen unversehrt. Er muss verletzt gewesen sein, sodass er, als die andere Impa ihn verfolgt hat, sich dazu gezwungen sah, sich zu verwandeln.“ Auch mit dieser Erklärung schien ihr Gegenüber noch lange nicht zufrieden zu sein, sodass Zelda hinzufügte: „Sie hat ihm die Okarina der Zeit entrissen. Hätte sie das nicht geschafft, wäre alles verloren gewesen.“

Befremdet zog die Shiekah die Stirn kraus. „Warum hatte Link die Okarina der Zeit?“

„Es war wohl ein Vertrauensgeschenk der anderen Prinzessin an ihn“, meinte Zelda, ohne dass ihr die bittere Ironie dahinter entging. Sie fuhr fort in ihrem Bericht und schilderte die Beschwörung der drei Helden anderer Zeiten, von denen sie durch ihre Forschungen der hyruleanischen Geschichte erfahren hatte. Sie vertraute der Shiekah an, dass sie nicht allein wegen heroischem Geschick im Kampf die anderen Inkarnationen von Links Seele um Hilfe ersucht hatte. Vor allem hatte sie angenommen, diese tiefe, psychische Verbindung würde die drei bei ihrer Mission unterstützen. Und diese Vermutung hatte sich als wahr herausgestellt: Im Gebirge hatten sie ihre Zielperson überhaupt erst durch den Geist des Helden finden können, der ihnen, auch wenn sie es selbst nicht geahnt hatten, in den zumeist erbitterten Gefechten oft das Leben gerettet hatte. Auch für Link war dieses Band zweifellos von Vorteil gewesen, weswegen das Trio zuletzt nur dank seines Zusammenhalts siegreich gewesen war.

Schließlich gelangte Prinzessin Zeldas Erzählung zu jenem Abend, da Link ins Schloss eingedrungen war und sie aufgesucht hatte.

„Gut, dass er dir nichts angetan hat“, kommentierte Impa mit grollender Stimme, der anzuhören war, wie gerne sie in jenem Moment ihrem Schützling beigestanden hätte.

„Ich hätte es ihm nicht leicht gemacht.“ Die Betthüterin grinste diebisch. Sofort wurde sie wieder ernst und legte sich nachdenklich die Hand auf die Brust. „Wie es scheint, ist Shiek noch immer in mir. Als Link mir gegenüberstand, hätte ich fast die Kontrolle an ihn verloren …“

„Das verwundert mich nicht“, meinte Impa. „Du hast diese Persönlichkeit entwickelt, als die Gefahr, durch Ganondorf gefunden zu werden, am größten war. Auch wenn Shiek sich seit sieben Jahren nicht mehr gezeigt hat, kann es durchaus sein, dass er noch durchbricht.“ Die blutroten Augen der Shiekah musterten die Prinzessin, die sie vor Jahren zur Selbstverteidigung in den Nahkampftechniken ihres Volkes unterwiesen hatte. „Zum Beispiel, wenn du Angst hast … oder sehr wütend bist.“

Bedächtig wiegte Zelda den Kopf. Sicher konnte sie nicht sagen, was von beidem den Schattenkrieger in ihr erweckt hatte. Sowohl Furcht als auch Zorn waren keine Gefühlsregungen, die ihr Held in dieser Intensität in ihr hätte auslösen dürfen, und doch hatte sie bei seinem Anblick beides empfunden. In den Jahren, in denen sie sich vor Ganondorf und seinen Schergen hatte verstecken und selbstständig verteidigen müssen, hatte sich die damals noch kleine Prinzessin eine geistige und körperliche Stärke angeeignet, die sich in Shiek manifestiert hatte. Allerdings interpretierte Zelda selbst ihn nicht als andere, von ihr abgespaltene Persönlichkeit, wie Impa dies tat. Vielmehr betrachtete sie ihn als einen Zug ihres Wesens, den sie in der Regel tief in sich trug und der nur in Extremsituationen die Oberhand gewann – wie wenn sie einem mörderischen Helden ins Angesicht sehen und erkennen musste, dass er auch ihr nach dem Leben trachtete.

In der Erinnerung verlebte die Prinzessin noch einmal den Schock, den sie in jener Nacht empfunden hatte, als sie Impa nun offenlegte, was sie sogar vor Rauru geheim gehalten hatte: Links wahres Motiv. Ihre Vertraute schüttelte den Kopf – nicht, weil sie den Worten ihres Schützlings keinen Glauben schenkte, sondern weil sie sie nicht wahrhaben wollte. „Wie konnte er nur denken, dass er nach allem, was er getan hat, überhaupt noch irgendwo als Held angenommen wird?“

„Wäre ich nicht durch die Zeit gereist, hätten wir nie davon erfahren“, gab Zelda zu bedenken. „Links Plan kommt uns bösartig vor, doch er war in gleichem Maße genial. Gewiss hätte er ihn auch weiter durchgezogen, aber …“ Sie schlang die Arme um den Oberkörper, um ihr Zittern zu unterdrücken. „Dass er herausfand, wer ich bin, hat alles durcheinander gebracht.“ Und das schlimmste war, dass Zelda sich nicht sicher sein konnte, ob ihn dieses Wissen von einem Mord an ihr abgehalten oder ihm im Gegenteil erst recht zum Grund gereicht hätte.

„Es mag ja sein, dass er glaubte, nie für seine Taten belangt werden zu können …“ Impa zischte abfällig. „Aber das allein ist doch noch keine Erklärung, warum er sie überhaupt begangen hat! Dafür war er von viel zu gutem Wesen.“ Natürlich dachte die Shiekah so von dem abtrünnigen Helden. Rauru hatte gegenüber der Prinzessin, bevor diese die Rückreise in ihre Zeit angetreten hatte, ähnliche Einwände vorgetragen. Der Fehler der Weisen der Schatten und des Lichts war, dass sie in Link noch immer den rechtschaffenen Krieger des Guten sahen, als den sie ihn kennengelernt hatten.

Auch Zelda hatte lange nicht wahrhaben wollen, dass ihr Held aus eigenem Antrieb zum Mörder geworden war, weswegen sie es sich damit hatte erklären wollen, dass er unter dem teuflischen Einfluss Ganondorfs gestanden hatte. Mittlerweile hatte sie jedoch eine ganz andere Theorie aufgestellt, die sie Impa nun darlegte: „In dieser anderen Zukunft hat Link nicht die Anerkennung erfahren, die er eigentlich verdient hätte. Ja, er hat nicht einmal einen Ort gefunden, an dem er überhaupt willkommen gewesen wäre …“ Für die Rettung Hyrules hatte er viel geopfert, allem voran seine Kindheit, die er durch die sieben Jahre Zeitenschlaf versäumt hatte. Ob nun bewusst oder unfreiwillig hergegeben, er hatte dafür einfach nur eine gebührende Entschädigung bekommen wollen. Die Prinzessin fuhr fort: „Als ich ihn in die Vergangenheit zurückschickte, dachte ich, es sei das, was er sich wünschte. Aber damit habe ich nur den Keim seiner Veränderung gepflanzt.“

Die weißen Augenbrauen ratlos zusammengezogen, fragte Impa: „Wie meinst du das?“

Niedergeschlagen senkte Zelda den Kopf. „Ich habe ihn nicht physisch durch die Zeit geschickt, wie ich es bei Balaen, Viridian und Leopold getan habe. Nur seinen Geist habe ich in die Vergangenheit in seinen jüngeren Körper zurückversetzt – wie ich es auch mit mir selbst tat.“ Verstehend nickte die Shiekah, was ihren Schützling erleichterte, denn sie musste nicht weitersprechen. Genauso wie bei sich selbst hatte auch Links Leib in der Vergangenheit bereits ein Bewusstsein gehabt, das von jenem aus der für ihn verlorenen Zukunft überlagert worden war. Dadurch hatte Zelda ihn zu seiner eigenen, willenlosen Marionette gemacht.

„Und wie erklärt das nun seine Skrupellosigkeit?“, wollte Impa weiter wissen, da ihr dieser Gedankensprung ohne weitere Informationen nicht gelang.

Geduldig erläuterte die Prinzessin: „Seine zwei Seelen haben gegenseitig ihren Zorn und ihre Enttäuschung genährt, bis diese schließlich so mächtig waren, dass sie ihn zerstört haben.“ Schon nach nur einem Monat in dem anderen Körper hatte Zelda die Gefühle seiner wahren Besitzerin wie die eigenen empfunden. Daher konnte sie sich kaum vorstellen, wie Link all die Jahre ohne noch größeren psychischen Schaden überstanden hatte.

Desweiteren nahm sie an, dass er deswegen auch so kampfstark gewesen war, dass sogar drei andere Helden beinahe nicht ausgereicht hätten, ihm das Handwerk zu legen. Weil er gleich zwei Geister in sich getragen hatte, hatte er auch von beiden ihren Fähigkeiten profitiert. Wobei Zelda nicht glaubte, dass das Rätsel seiner Unbezwingbarkeit allein so schlicht mathematisch zu lösen war. Erst das, was er erlebt hatte, hatte es nötig gemacht, dieses Können überhaupt auszubauen und davon Gebrauch zu machen.

Demnach war ganz und gar Zelda zuzuschreiben, was passiert war. Um diese Schuld wiedergutzumachen, war sie dem Hilfegesuch der anderen Prinzessin gefolgt, in der Hoffnung, den ihretwegen in der falschen Zeit gestrandeten Geist wieder mit sich zu nehmen. Dafür hatte sie Impa und das Heldentrio an ihn gesetzt, die ihn dann zu ihr hätten bringen sollen. Schließlich war Link von sich aus vor sie getreten, und Zelda hatte die Gunst der Stunde genutzt, die Hymne der Zeit zu spielen. Doch das heilige Lied hatte nicht seine eigentliche Macht entfaltet, höchstwahrscheinlich, weil es nicht in dem Gebäude gespielt worden war, für das es ursprünglich komponiert worden war. So weit zumindest Zeldas Vermutung, weswegen sie in der Zitadelle der Zeit auf Links zwangsläufiges Erscheinen gewartet hatte. Dann jedoch war in jener Nacht alles anders gekommen, und letzten Endes war sie froh, dass sie auf ihre drei Beschworenen hatte zählen können. Mit deren Rückreise in ihre jeweiligen Zeiten und dem Gespräch mit Rauru schloss Zelda ihre Erzählung.

Ein Moment der Stille kehrte ein ins Schlafgemach der Prinzessin. Jetzt, da sich ihre Augen vollständig umgewöhnt hatten, erkannte sie auch, dass es gar nicht mal so hell war, wie es ihr zunächst erschienen war. Im Gegenteil waren die Klappläden der Fenster sogar fest verschlossen, um so viel Tageslicht wie nur möglich auszusperren. Die Möbel bildeten zum Teil undeutliche Schemen, und das einzige, was Zelda deutlich sehen konnte, war ihre Vertraute neben ihrem Bett. Diese bemerkte, wie ihre Herrin unwillkürlich die Hand an die Kehle legte, die rau vom langen Sprechen geworden war. Automatisch griff Impa nach dem Becher mit Wasser, den sie für sich selbst auf dem Nachtschränkchen bereitstehen hatte, und reichte ihn der Prinzessin. Dankbar lächelnd nahm diese ihn an und trank vorsichtig. In ihrem Kokon aus Magie waren die Bedürfnisse ihres Körpers für einen Monat zuverlässig ausgesetzt gewesen. Dass er nun nicht mehr bestand, spürte sie nur allzu deutlich.

Als Impa den geleerten Becher auf das Nachtschränkchen zurückstellte, fiel Zeldas Blick auf den anderen Gegenstand, der darauf lag: Die Okarina der Zeit. Mit der dem Instrument ganz eigenen Hymne hatte seine Besitzerin vor Wochen die Barriere um sich herum erschaffen und sich selbst in Zeitenschlaf versetzt. Danach musste die Okarina ihren erschlafften Fingern entglitten sein. Eigentlich war es nicht möglich, von außen in die Barriere zu greifen, doch wunderte es die Prinzessin nicht, dass ihre Vertraute sie ihr dennoch hatte abnehmen können. Von ihrer Zeit als Shiek wusste sie sehr gut, dass das hylianische Schattenvolk Wege zwischen Licht und Dunkelheit kannte, die anderen Wesen für immer verborgen waren.

Zelda musterte die Kriegerin, die noch immer in nachdenklichem Schweigen versunken neben ihr saß. Dass Impa in der anderen Zeit vor ihren Augen gestorben war, hatte sie doch mehr mitgenommen, als sie selbst sich hatte eingestehen wollen. Die intellektuelle Gewissheit, ihr hier wiederzubegegnen, hatte nicht die emotionale Erschütterung mildern können. So viel Glück Zelda auch empfand, die Shiekah wieder um sich zu haben, so viel Mitleid hatte sie mit der anderen Prinzessin, die künftig ohne die Unterstützung, Zusprache und Mäßigung ihrer Vertrauten würde leben müssen. Dafür wünschte sie ihrem Ich in der alternativen Zukunft alle nötige Kraft.

Vorsichtig, weil ihr Körper noch immer von den Nachwirkungen des Zeitenschlafs geschwächt war, schwang Zelda die Beine über die Bettkante. Wachsam beobachtete Impa, wie ihr Schützling aufstand – und prompt in unsicheres Wanken geriet. Sofort sprang die Shiekah auf, um sie vor einem Sturz zu bewahren. „Du darfst dich noch nicht überanstrengen“, mahnte sie die junge Frau mit gütiger Strenge. „Du musst dich noch ausruhen.“

„Nein“, widersprach ihre Herrin entschieden. Sie hatte lange genug geruht. Die letzten sieben Jahre hatte sie sich entsprannt zurückgelehnt in dem Glauben, das richtige getan zu haben, während ihr Held ihretwegen zwischen Einsamkeit und Frust über deren Unabänderlichkeit quälend langsam zermalmt worden war. Es wurde Zeit, dass sie diesem Leiden ein Ende setzte. „Ich muss zu ihm“, bestimmte Zelda für sich selbst und ergänzte rebellisch an Impa gerichtet: „Und wenn du mich nicht gehen lassen willst, kannst du gerne hier bleiben.“

Das kam für die loyale Schattenkriegerin natürlich nicht in Frage. So stützte sie die Prinzessin auf dem Weg zu ihrem Kleiderschrank. Während Zelda von dem weißen Nachthemd zu ihrem rosa-blauen Alltagskleid wechselte, öffnete Impa die Klappläden einen Spalt breit. Der einfallende Lichtstreifen ergoss sich in den Raum, der für Wochen im Dunkeln gelegen hatte. Auch der Schreibtisch, der genau unter dem Fenster stand, wurde so den Schatten entrissen. Das geordnete Chaos auf ihm war noch immer genau so, wie Zelda es zurückgelassen hatte: Es bestand aus wuchtigen Folianten unterschiedlichen Alters, als Stapel aufeinander geschichtet oder nebeneinander aufgeschlagen herumliegend. Dies waren Originale aus der Bibliothek von Schloss Hyrule, die von ambitionierten Helfern aus seinen Trümmern geborgen worden waren. Der Dämon Ganon mochte am einstigen Herrschersitz der Hylianischen Königsfamilie alles verdorben haben, was ihn ausgemacht hatte, aber die kostbare Schriftensammlung hatte er dank seiner menschlichen Seite niemals böswillig angerührt. Immerhin waren es solche Erkenntnisse vergangener Zeiten, denen er einen Teil seiner Macht verdankt hatte, und entsprechend hatte er sie auch gewürdigt. Sehr zum Vorteil der Prinzessin, die diese wiedergewonnenen Wissenschaften dafür nutzte, die Geschichte ihres Königreiches zu ergründen.

Zwischen den Büchern lagen haufenweise beschriebener Papiere, auf denen Zelda die Ergebnisse ihrer Forschungen festgehalten hatte. Obenauf fand sich eine Zeichnung, die in ihrer Schlichtheit alle anderen Skripte zusammenfasste: Sie zeigte eine Linie, die sich, nachdem sie sich eine Handspanne über das Papier zog, in drei weitere aufspaltete. Einer dieser Äste war so lang wie der Stamm, dem er entsprang, während sich die beiden viel kürzeren kaum voneinander unterschieden.

Mithilfe der Okarina der Zeit vermochte Zelda bis in die fernste Vergangenheit Hyrules zurückzublicken, und die schriftlichen Aufzeichnungen wiesen ihr dabei den Weg. Auch in der alternativen Zukunft, aus der ihre späteste Nachfahrin ihre Vision über Ganons dortigen Werdegang gesendet hatte, hatte sie uneingeschränkte Einsicht. Als hellsichtige Weise der Zeit war es ihr sogar möglich, den groben Verlauf des Kommenden vorauszuahnen, wenngleich diese Vorhersagen nicht zwangsläufig eintrafen wie vermutet. Nie würde sie mit absoluter Gewissheit erfahren, was nach ihrem Tod in den beiden neuen Zukünften geschehen würde. Eine unabänderliche Tatsache, die die wissbegierige Zeitenforscherin zutiefst bedauerte.

In Begleitung ihrer Vertrauten verließ die Prinzessin schließlich das Gästehaus. Auch wenn Ganondorfs tyrannische Herrschaft über das von ihm geraubte Land bereits einige Zeit zurücklag, trug es noch immer deutliche Spuren davon. Das Schloss hatte er in Gestalt eines zornigen Dämons vollständig zerstört, und Hyrule-Stadt war lange Zeit außer von untoten Remorts unbewohnt gewesen. Nach dem Sturz des unrechtmäßigen Königs hatten die zurückkehrenden Bürger begonnen, die Hauptstadt wieder zu besiedeln und mit vereinten Kräften aus ihren Ruinen neu zu errichten. Mittlerweile war die Metropole wieder so von ihrem alltäglichen Leben erfüllt, als habe sie nie unter der Knute eines dämonischen Herrschers gestanden.

Noch waren nicht alle Aufgaben abgeschlossen. Jedoch waren sie schon so weit vorangeschritten, dass die heimatlose Regentin vor einigen Wochen Arbeiter abgezogen und an ein anderes Projekt herangeführt hatte: Der Wiederaufbau von Schloss Hyrule. Bislang standen nur Fundament und Grundgerüst, weswegen es gewiss noch Monate dauern würde, bis es bewohnfähig wäre, und noch ein weiteres Jahr, ehe es offiziell eingeweiht werden konnte. Die wenigen überlebenden, geflohenen Mitglieder des einstigen Hofstaats, die Ganondorf während seiner Regentschaft nach und nach ihres Amtes verwiesen hatte, tätigten nun ihre Aufgaben von Kakariko oder Hyrule-Stadt aus. Die Minister und die Prinzessin selbst waren in einem Gästehaus einquartiert, in dem sie des absehbaren Abschlusses der Bauarbeiten am Schloss harrten.

„Wie kommt der Tanzsaal der Eisenprinzen voran?“, wollte Zelda von Impa wissen, während sie durch die stellenweise neu gepflasterten Straßen der Stadt schritten. Tanzsaal der Eisenprinzen war die Bezeichnung für die Kammer, die nach Plan der Prinzessin unterhalb der Eingangshalle des neuen Palasts angelegt wurde. Nur wenige vertrauenswürdige Personen waren in dieses streng geheime Vorhaben eingeweiht. Zu diesem erlauchten Kreis zählten auch die Handvoll Bauherren, die gegenüber ihrer jungen Regentin absolutes Stillschweigen geschworen hatten. Damit ihre Abwesenheit auf der eigentlichen Schlossbaustelle keine Aufmerksamkeit weckte, konnten die Fachmänner nur in unregelmäßigen Abständen und jeweils nur kurz daran arbeiten. Entsprechend glaubte Zelda nicht, dass während ihres Zeitenschlafs sehr viel dort passiert war.

„Er wurde pausiert“, bestätigte Impa die Vermutung ihrer Herrin knapp. „Ohne dich konnten sie schlecht weitermachen.“

Weil es sich um eine Verschlussache handelte, existierten keine Zeichnungen zur Konstruktion der Geheimkammer. Für gewöhnlich beratschlagte sich Prinzessin Zelda vor Ort mit den Experten über die als nächstes anstehenden Arbeitsschritte und ob sie so möglich waren, wie sie sich das vorstellte. Mit diesen Informationen schafften die Baumeister dann ein paar Tage ohne ihre Anweisungen weiter. Für einen ganzen Monat hingegen hatten sie nicht ausgereicht. Bestimmt waren die Männer nicht begeistert davon, dass ihre Auftraggeberin sich so lange nicht hatte blicken lassen – und wahrscheinlich noch weniger, wenn diese demnächst ihre Absicht verriet, Magie in den Tanzsaal zu integrieren.

Vielleicht lag es an Impas Status als Weise der Schatten, dass sie Zelda dazu gedrängt hatte, sich in dem dunklen Zimmer vom Zeitenschlaf zu erholen. Gewiss hätte dies seinen Zweck nicht verfehlt, aber die Prinzessin spürte, wie auf dem Spaziergang durch Hyrule-Stadt ihre Lebensgeister wiederkehrten. Die frische Luft und die Bewegung taten ihr gut, sodass sie sich schnell fühlte, als hätte sie nur einen angenehmen Mittagsschlummer gehalten. Ganz so kurzweilig war ihr Wegbleiben natürlich nicht gewesen, das wussten auch die Passanten, die die Straßen säumten. Auch wenn die Regentin keine Krone trug, die sie andeutig als diese auswies, wohnte sie bereits so lange in der Stadt, dass jeder Bürger sie erkannte. Sowie sie sie entdeckten, unterbrachen sie allerorten ihr geschäftiges Treiben, um sie mit begeisterten Rufen und respektvollen Verbeugungen zu begrüßen. Jeder Gruppe oder Einzelperson antwortete die Prinzessin mit hoheitsvollem, aber nicht unnahbarem Handwink. Auf dem Platz um den Stadtbrunnen herrschte das altbekannte Menschengedränge mit seinem eigenen Verständnis von Normalität und trug maßgeblich dazu bei, dass Zelda sich wieder einfand in die Welt, in die sie gehörte.

Einer der Fußgänger, denen sie und Impa begegneten, war ein feister, kräftiger Handwerker in graublauer Schreinerrobe. Trotz des schweren, wuchtigen Holzbalkens, den er sich auf die Schulter geladen hatte, schlenderte er fröhlich pfeifend durch die Straßen. Als er der Prinzessin gewahr wurde, unterbrach er sein schiefes Lied und verneigte sich. „Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich, Majestät“, nahm er sie höflich in Empfang. „Ich hoffe, Ihr habt Euch erholt?“

Auch wenn Zelda nicht recht wusste, wovon der Mann sprach, ließ sie sich ihre Verwirrung nicht anmerken und beschloss, mitzuspielen. „Ja, es war sehr entspannend.“

Unter dem grauen Schnauzbart zeigte sich ein zähnestarrendes Grinsen. „Das kann ich mir gut vorstellen“, kommentierte der Arbeiter nur und deutete eine weitere Verbeugung an. Mit einem ehrerbietigen Nicken in Richtung Impa setzte er seinen Weg fort, den Holzbalken dorthin zu tragen, wo er gebraucht wurde.

Fragenden Blickes wandte sich die Prinzessin an ihre Vertraute. Die senkte nur Kopf und Stimme und erklärte raunend: „Nach ein paar Tagen, als du immer länger geschlafen hast, wollte ich verhindern, dass die Leute Fragen stellen. Also habe ich erzählt, du seiest auf Erholungsurlaub am Hylia-See.“

„Ohne dich als mein Schutz?“ Befremdet zog Zelda eine Augenbraue hoch.

Die Schattenkriegerin hob die breiten Schultern. „Die meisten haben das nicht hinterfragt. Und anderen gegenüber habe ich behauptet, ein neu rekrutierter Leibwächter hätte dich begleitet.“ Unsicher krauste sie die Stirn. „Du wirst einige … pikante Gerüchte entschärfen müssen.“

Zelda verstand und bereute instantan die Antwort, die sie dem Handwerker gegeben hatte. Damit hatte das Gerede, das über sie und diesen angeblichen Leibwächter kursieren musste, gewiss nur verschlimmert. Dennoch konnte sie bei der um Entschuldigung heischenden Miene ihrer Vertrauten nicht anders, als losgelöst zu lachen. Wie sehr sie doch Impa und deren einzigartige Mischung aus pragmatischem, eigenmächtigem Handeln und der bedingungslosen Königstreue einer Shiekah vermisst hatte! Und was die Gerüchte betraf, sollten die Bürger sich von ihrer Regentin nur zuflüstern, was sie wollten. Sie war fast vierundzwanzig Jahre alt. Die eine oder andere Liebschaft sollte ihr also gegönnt sein, auch wenn diese nur in der lebhaften Fantasie schnatternder Tratschweiber existierte. Zelda wusste von sich selbst, dass sie sich in der Realität nicht dazu verleiten ließe, und das war ihr genug.

Von dem großen zentralen Brunnenplatz bogen die beiden hohen Damen in die Straße ein, die sie an ihren Zielort führte. Sie überquerten den gepflasterten Bereich vor der Zitadelle der Zeit, die sich seit ihrer Errichtung unverändert prächtig in Hyrules strahlend blauen Himmel erhob. Lange hatte Zelda sich gewundert, warum Ganondrof damals ausgerechnet das heiligste Gebäude der Hylianer völlig unversehrt gelassen hatte. Immerhin war durch es jener Held, der dazu ausersehen gewesen war, den Gerudo-König zu vernichten, frei zwischen den Zeiten hin- und hergereist. Möglicherweise lag dies tatsächlich einfach nur daran, dass er sich Links Triforce-Fragment des Mutes hatte aneignen wollen, und eine Zerstörung der Zitadelle hätte ihn garantiert daran gehindert. Vielleicht hatte Ganondorf sich auch die Option offen halten wollen, das magische Portal und das hinter diesem liegende Heilige Reich für seine Zwecke zu missbrauchen. Oder aber er hatte die Sakralbaute aus demselben respektvollen Grund nicht beschädigt wie die Schriftensammlung der Schlossbibliothek. Letztlich gab es wohl keine eindeutige Antwort, und anders als bei anderen Mysterien zeigte Zelda an diesem nicht genug Interesse, um sie zu suchen.

Beidseitig des Eingangs in die Zitadelle hatten, von mit dem Hylianischen Königswappen geschmückten Harnischen gerüstet und mit Lanzen bewaffnet, zwei Soldaten Stellung bezogen. Viele der militärischen Bediensteten waren bei der Verteidigung des Schlosses vor Ganondorfs Gefolgsleuten gefallen; andere waren anschließend desertiert, um nicht einem falschen König unterstellt zu sein. Diese Überlebenden waren an ihren Posten zurückgekehrt, sowie die wahre Herrscherlinie Hyrules den sprichwörtlichen Thron wieder für sich beansprucht hatte. In den sieben Jahren seitdem waren diese Veteranen durch neue Rekruten verstärkt worden.

Prinzessin Zelda hatte sich stets die beste Mühe gemacht, ihre Angestellten zumindest vom Aussehen her kennzulernen. Daher konnte sie die Soldaten einigermaßen zuverlässig deren Dienstalter zuweisen. Die beiden Wachen vor der Zitadelle erinnerten sie an die beiden Leibgardisten der anderen Prinzessin und daran, sie in ihrer eigenen Zeit nie gesehen zu haben. „Impa?“, sprach sie daher die Shiekah an, die ihr lautlos und unauffällig wie ein Schatten folgte. Die beiden blieben am Fuße der Treppe stehen, die zu dem heiligen Bauwerk hinaufführte. Auch wenn ihre Vertraute keine mündliche Bestätigung gab, wusste Zelda doch, dass sie ihr ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkte. „Sagt dir der Name Hendrik etwas?“

„Ich kannte einen Soldaten, der so hieß“, ließ Impa ihre Herrin sofort wissen. „Ein vielversprechender junger Mann. Er war gerade zur Palastwache befördert worden, als Ganondorf angriff.“

„Weißt du vielleicht, wo er heute ist?“ Wenn ihr jemand über Hendriks Verbleib Auskunft geben konnte, dann ja wohl die Kriegerin, die alle Soldaten, an die die höchsten Erwartungen gestellt wurden, seit jeher persönlich ausbildete.

„Leider nein“, musste die Shiekah zu ihrem eigenen Ungemacht gestehen. „An jenem Tag vor vierzehn Jahren, als wir beide aus dem Schloss fliehen mussten, herrschte dort große Verwirrung.“

In düsterer Erinnerung nickte Zelda, die damals noch ein Kind in der Obhut ihrer Vertrauten gewesen war. „Ich weiß noch, dass uns eingie Soldaten geholfen und sich wieder von uns getrennt haben.“

„So ist es. Hendrik war der letzte, der uns auf sicherem Wege durch die Stadt eskorierte. Bis er zurückbleiben musste, um unsere Verfolger abzuwehren.“

Zelda ließ den Blick über den Torbogen der Zitadelle schweifen, bis sie ihn schließlich Impa zuwandte. „Denkst du, er könnte damals umgekommen sein?“

„Entweder das“, sprach die Gefragte, „oder er hat seine Loyalität seit damals in den Wind geschrieben.“ Die Shiekah, die alle einstigen Soldaten hatte suchen lassen, hob bedauernd die Schultern. „Jedenfalls hat er sich nie zum Dienst zurückgemeldet. Was schade ist. Hätte es Ganondorfs Putsch nicht gegeben, hätte es Hendrik als Palastwache gewiss weit gebracht.“

Wissend lächelte die zeitreisende Prinzessin. „Glaub mir, das hat er.“

Vor dem Eingang der Zitadelle hatte sich eine kleine Schar Stadttauben versammelt und scharrte gurrend in den Fugen der Pflastersteine. Die grau gefiederten Tiere nahmen keine Notiz von der herrannahenden Prinzessin und ihrer schattenhaften Begleitung. Erst, als sich die Wachen am Tor vor den Damen verbeugten, schreckten die Vögel auf, erhoben sich in die Lüfte und ließen sich auf dem Kirchendach nieder. Zelda grüßte die Soldaten mit dankbarem Nicken und trat, dicht gefolgt von Impa, in die Zitadelle der Zeit.

In dem marmornen Mauerwerk hatte sich die Kühle des nicht allzu lang zurückliegenden Morgens verfangen, und das durch die schmalen Fenster einfallende Sonnenlicht vertrieb sie nur geringfügug. Dennoch war es nicht kalt in der Sakralbaute, nur angenehm frisch. Wie immer, wenn Zelda diesen der Zitadelle eigenen Hauch vergangener Äonen auf der Haut spürte, musste sie an die Zeit nach Ganondorfs Übernahme des Thrones denken. Als sich damals die Lage im Schloss einigermaßen beruhigt hatte, hatten sich die flüchtige Prinzessin und ihre Vertraute noch manchmal in die Hauptstadt gewagt – stets in Verkleidung, weil der finstere Herrscher natürlich ununterbrochen nach der kleinen Trägerin des Triforce der Weisheit hatte suchen lassen. Der Einfachheit wegen hatte sich Zelda als Junge ausgegeben, was den Grundstein für ihre spätere, fortgeschrittene Maskerade als Shiek gelegt hatte. Sie und Impa hatten das Risiko auf sich genommen, enttarnt zu werden, um über das geheime Portal in der Zitadelle ins Heilige Reich zu gelangen. Um dort Link zu besuchen, der im Tempel des Lichts die Zeit verschlafen hatte. Irgendwann war Hyrule-Stadt für niemanden, der noch bei klarem Verstand oder überhaupt am Leben gewesen war, noch sicher gewesen, sodass Impa verfügt hatte, sich von der Zitadelle fernzuhalten. Die am Boden zerstörte Prinzessin hatte ihren Helden erst wieder gesehen, als Rauru ihn endlich hatte erwachen und in die Welt zurückkehren lassen.

Jetzt war die Zitadelle der Zeit wieder für jeden zugänglich, der seine Gebete an die Göttinnen herantragen wollte. Mehr noch war sie zu einem Mausoleum geworden, das denjenigen ehrte, dem dieser Frieden zu verdanken war.

Einige Besucher hielten sich hier auf, hauptsächlich junge Familien, Mütter mit ihren Kindern, wie zu dieser vormittäglichen Uhrzeit üblich. Das älteste unter den Kindern war ein Mädchen von vielleicht vierzehn Jahren, das seinen zwei kleineren Zuhörern eine märchenhafte Version der Rettung der Prinzessin durch ihren tapferen Helden auftischte. Bei einem dieser beiden Kinder handelte es sich allem Anschein nach um die jüngere Schwester der Geschichtenerzählerin. Die Kleine lauschte mit weit aufgerissenen blauen Augen, trug das blonde Haar in zwei niedlichen Zöpfen. Auf den Armen hielt sie ein Püppchen mit derselben Frisur, das, bemessen an den Gebrauchsspuren, schon die ältere Schwester besessen haben musste. Neben ihr stand ein Junge, dessen Kleidung in auffälligem Grasgrün gehalten war. Begierig nahm er die Erzählung über sein großes Vorbild auf, dessen Gewand diese Farbe nachempfunden war. Trotz der Anwesenheit der Kinder war es geradezu andächtig ruhig in der Zitadelle. Die Erhabenheit dieses heiligen Ortes verfehlte auch ihre Wirkung auf kleine Rabauken nicht.

Wie von selbst wanderte Prinzessin Zeldas Blick zu der Säule hinüber, an der Impa gestorben war – und doch folgte die Shiekah jetzt dicht hinter ihr ins Gebäude. Wenn selbst ihr, der Weisen der Zeit, diese Auswirkung der Gabelung des Zeitenstroms paradox vorkam, wie hatte erst Link darüber gebrütet …

Die Regentin trat nur so weit ein, bis sie im Mittelpunkt der Steinplatte stand. Dort wandte sie sich zu ihrer Vertrauten um und flüsterte ihr leise zu: „Lass die Zitadelle räumen.“

Auch wenn sich die Schattenkriegerin zu fragen schien, was ihre Herrin vorhatte, leistete sie der Order Folge. Fast lautlos huschte die große Frau durch den Saal, informierte die Erwachsenen über die Bitte der Prinzessin und komplimentierte sie in deren Namen zum Gehen. Die Eltern riefen ihren Nachwuchs zusammen, und dieser sammelte sich gehorsam und weiterhin bemerkenswert leise bei ihnen. Nur der grün gekleidete Junge, noch immer eingenommen von dem soeben gehörten Märchen, verlautbarte seiner Mutter begeistert: „Wenn ich groß bin, will ich auch ein Held sein!“

Die meisten Besucher der Zitadelle machten sich auf, diese zu verlassen. Nur die Geschichtenerzählerin und ihre kleine Schwester blieben noch einen Moment bei der steinernen Bahre, um die sich das allgemeine Interesse gerankt hatte.

„Aril, Linkle, kommt, wir müssen jetzt gehen!“, spornte ihre bereits vorausgehende Mutter sie geduldig an, ihr zu folgen, und die beiden sahen auf. Schnell beeilten sich die beiden Nachzüglerinnen, die ihr und einander zum Verwechseln ähnlich sahen, an ihre Seite.

Während sich um sie herum die Sakralbaute allmählich leerte, musterte Zelda das Triforce-Symbol, das sie als drei auf die Steinplatte aufgemalte gelbe Dreiecke umschloss.

Das, was Link angetrieben hatte, war nicht gewesen, einen Krieg auszulösen, wie das Heldentrio angenommen hatte; auch hatte er sich nie an den Weisen rächen wollen, wie der Rauru in der anderen Zukunft nun zu wissen glaubte. Durch die Morde an ihnen hätte er Ganondorf befreit, um diesen im Kampf zu erschlagen und so das Triforce der Kraft an sich zu bringen. Mit dem Fragment der Weisheit der Prinzessin und seinem eigenen des Mutes hätte Link das goldene Relikt der Göttinnen vervollständigt und sich damit seinen innigsten, sehnsüchtigsten Wunsch erfüllt: In die Zeit zurückversetzt zu werden, der er einst ohne seine Einwilligung entrissen worden war. In diese Welt, in der die Menschen ihn als den verdienten Held priesen, der er war, und sogar die Kinder nach ihm benannt wurden. So bedingungslos war sein Streben nach diesem Ziel geworden, dass er sich seines eigenen Moralempfindens entledigt hatte.

Ganondorf, Rauru, die ursprünglichen Sieben Weisen sowie ihre Nachfolger, die beiden verschiedenen gleichen Prinzessinnen und Link selbst – sie alle hatten ihren jeweiligen Anteil dazu beigetragen, was aus dem Helden der Zeit geworden war. Letztendlich war alles, was geschehen war, unabwendbares Schicksal gewesen. Es lag in der Vergangenheit, die sich durch keine zeitreisenden Bemühungen verändern ließ, und damit zu hadern hatte keinen Wert. Was zu tun blieb, war, das Beste aus den Ereignissen zu machen – in der kommenden wie auch in jeder anderen Zukunft.

Nur wenige Minuten dauerte es, bis auch der letzte Besucher die Zitadelle verlassen hatte und Prinzessin Zelda und Impa die einzigen verbliebenen Personen waren – zumindest die einzigen wachen. Auf der Steinbahre, die weiter hinten im Kirchenschiff vor dem Altar aufgestellt war, ruhnte noch jemand in tiefem Schlaf, der der Schwelle zum Tode nicht sehr fern lag. Um niemand geringeren handelte es sich als um Link, Held der Zeit, der in diesen komatösen Zustand gefallen war, als Zelda vor sieben Jahren sein Bewusstsein in die Vergangenheit zurückgeschickt hatte. Tatsächlich wirkte es, als sei hier seine Leiche zur Schau gestellt; nur die langsamen, gleichmäßigen Atembewegungen deuteten darauf hin, dass diese sterbliche Hülle, auch wenn sie keinen Geist beinhaltete, doch noch am Leben war.

Nachdem Link als Kind das Master-Schwert gezogen hatte, war er in eine andere, aber ähnliche Art des Schlafes versetzt worden, die ihn schon einmal die Zeit hatte überdauern lassen. Damals hatte sein Aufenthalt im Heiligen Reich bewirkt, dass sein Körper aufgrund der mangelnden Bewegung nicht abbaute und sich wegen der ausbleibenden Nahrungsaufnahme nicht selbst verzehrte. Diesmal hatte die Weise der Zeit dafür sorgen müssen und ihren Retter in denselben Zauber gehüllt wie auch sich selbst während des vergangenen Monats. Gleich eines kristallenen Sargs aus bläulichem Licht umgab dieser Link. Gekleidet in seine Heldenmontur, der grünen Mütze und Tunika, war er in höchsten Ehren aufgebahrt worden wie ein Hylianischer Ritter. Beide Hände umschlossen das Heft eines Schwerts, das auf seiner Brust lag – eines ganz gewöhnlichen, nicht des Master-Schwerts.

Die mystische Waffe befand sich ganz in der Nähe, stak in seinem Sockel hinter der Geheimtür der Zitadelle. Lange sollte es dort nicht mehr bleiben. Als Prinzessin Zelda von Rauru verlang hatte, das Portal ins Heilige Reich zu verschließen, hatte sie ihm nicht nur eine unpersönliche Moralpredigt gehalten. Auch für ihre eigene Zeit traf sie ähnliche Vorkehrungen, das Master-Schwert an einen anderen, geschützteren Ort zu schaffen: Der Tanzsaal der Eisenprinzen sollte seine neue Ruhestätte werden, sicher verborgen unter dem Schloss und zugänglich einzig und allein für den Träger des Geists des Helden.

Zelda trat an die Bahre heran und hob die Hand über den Sarg aus Licht, machte eine gebieterische Geste. Die blaue Zeitenmagie reagierte auf den wortlosen Befehl ihrer Schöpferin, wölbte sich wie Nebelschwaden unter einer aufkommenden Brise und zerfaserte schließlich flimmernd. Ihrer Herrin gegenüber auf der anderen Seite des Podests weitete Impa überrascht, ja erschrocken die blutroten Augen. Durch das Auflösen des Zaubers setzten die natürlichen Bedürfnisse von Links sterblichem Leib wieder ein. In wenigen Tagen würde er schlichtweg verdursten, wenn die Weise der Zeit ihn nicht wieder mit einem entsprechenden Schutz umgab – oder einen Weg fand, ihn zu erwecken.

Entgegen des milden Schocks, den ihre Vertraute sprachlos machte, setzte sich Zelda gelassen auf den Rand der Bahre neben ihren schlummernden Helden, musterte ihn gedankenversunken. Der Kristallsarg mochte verhindert haben, dass Links Körper verfiel, doch hatte er den Verlauf der Zeit nicht vollständig angehalten. In ihm war der grüngewandete Krieger über die sieben Jahre ganz gewöhnlich weitergealtert, sodass er nun zur Gänze erwachsen geworden war. Die scharfen Züge seines Gesichts, unterstrichen von dunkelblondem Stoppelbart, hatten die letzten Spuren Kindlichkeit verloren. Er sah gut aus, stark und stattlich, wie ein echter, rechtschaffener Held. Dies war nicht der verklärte Traumwandler, der im unaufhaltsamen Streben nach seinem Herzenswunsch Freunde und Unschuldige getötet hatte.

Kein einziges seiner Vergehen war Zelda bereit, ihm zu vergeben, doch gab es in ihren Augen einen Mord, der schlimmer war als alle anderen, der erste, den er je begangen hatte: Der Mord an sich selbst. An seiner kindlichen Unbedarftheit, die im Laufe seines ersten großen Abenteuers zum unerschütterlichen Mut eines Kriegers herangereift war. Der damals, als das Schicksal ins Rollen gekommen war, schon die kleine Prinzessin zugeneigt gewesen war – und wie dieses Mädchen allmählich zur Frau geworden war, so war diese Liebe mit ihr gewachsen. Und ebendiese empfand Zelda nun, während sie ihren Helden betrachtete.

Auch wenn es außerhalb ihrer Wahrnehmung lag, unerkannt für sie selbst, hatte sie sich durch ihre Zeitreise verändert. Wochenlang hatte sie als fremdes Bewusstsein den Körper der anderen Zelda besetzt, sodass etwas von deren Leichtherzigkeit auf sie übergegangen war. Das hatte den Großteil ihres Zorns auf Link als Mörder gelindert, auch wenn er wohl nie ganz verrauchen würde. Ursprünglich hatte sie sich geschworen, kein Verständnis für den abtrünnigen Helden und seine Beweggründe und schon gar kein Mitleid zu hegen. Jedoch trübte dies nicht das Bild von ihrem Retter, das sie jetzt wie auch die letzten Jahre vor sich sah.

Die beiden Prinzessinnen hatten nur für ein paar Wochen einen Leib geteilt – Links Seelen hingegen hatten sich über die Jahre so eng miteinander verwoben, dass all ihr Fühlen, Denken und Handeln Eins geworden waren. In jener Nacht seines letzten Kampfes gegen das Trio, als er Zelda in ihrem Schlossgarten aufgesucht hatte, hatte die Hymne der Zeit versagt, ihn von sich selbst zu trennen. Erst das Lied der Befreiung hatte bewirkt, dass die beiden Geister des Helden auf die für sie vorgesehenen, voneinander unabhängigen Pfade zurückgekehrt waren. Der eine war in seine eigene Zukunft weitergezogen und harrte seiner Wiedergeburt; und der andere war hier, wo er hingehörte.

Zärtlich strich Prinzessin Zelda ihrem Helden strohblonde Haarstränen aus der Stirn. Dann hob sie die Hände aneinander, und ein indigoblaues Licht erblühte zwischen ihnen. Wie jedes Mal, wenn sie die Okarina der Zeit materialisierte, erschien nun ein anderer Gegenstand, den sie nahe beim Herzen getragen hatte. Sie bemerkte die fragende Miene Impas, mit der diese die schlichte, schmucklose Maske bedachte. Während ihres Berichts hatte Zelda diese gar nicht erwähnt, und auch jetzt schwieg sie sich noch darüber aus.

Der Maskenverkäufer, der Prinzessin Zelda das Lied der Befreiung gelehrt hatte, hatte es nicht auf das Gesicht der grimmigen Gottheit abgesehen gehabt. Das war Zelda in dem Moment klargeworden, als unter der heilenden Melodie ebendiese Maske, die sie nun in Händen hielt, von Links Antlitz gefallen war. Um nichts in der Welt hätte die Prinzessin sie dem dubiosen Händler überlassen. Zweifellos beherbergte das unschätzbare Objekt jenen Geist des Helden, den sie in die Vergangenheit geschickt und nun in seine Zeit zurückgebracht hatte. Links Wunsch war endlich in Erfüllung gegangen.

Die Maske wirkte so lebensecht wie das Gesicht desjenigen, der hier aufgebahrt war. Lediglich ein schwaches, friedliches Lächeln unterschied sie von dem Schlafenden. Zelda war sich absolut sicher, setzte sie Link die Maske mit seiner Seele auf, würde diese in ihren angestammten Körper zurückkehren, von dem sie einst getrennt worden war. Und der Held der Zeit würde wieder zu Bewusstsein kommen. Wie viele Erinnerungen an die Jahre der verwobenen Geister noch darin waren, an seine Erlebnisse und Verbrechen, und ob er Reue für diese empfinden würde, konnte Zelda nicht vorausahnen. Auch nicht, ob Link die Fähigkeit, sich in einen Wolf zu verwandeln, noch besitzen würde. Sein erster Zeitenschlaf hatte ihn einst um eine glückliche Kindheit gebracht, und nun würde Zelda ihn seiner Jugend, um weitere sieben Jahre seines Lebens berauben. Doch diesmal war sie entschlossen, richtig damit umzugehen.

Andächtig langsam führte die Prinzessin die Maske zum Gesicht ihres Helden, legte sie vorsichtig darauf. Nur ein Wimpernschlag, und ihr erschien, als sei die Maske unbemerkt verschwunden. Verschmolzen mit ihrem rechtmäßigen Besitzer, der nun ihr sanftes Lächeln angenommen hatte.

Ein ähnlich glücklicher Ausdruck erhellte auch Zeldas Miene, die sich zu dem Schlafenden hinabbeugte und ihm zuflüsterte: „Willkommen zurück, Held der Zeit.“ Sie küsste ihn auf die Wange und wartete gespannt auf sein Erwachen. „Willkommen zuhause, Link.“

- der „Tanzsaal der Eisenprinzen“ ist schlichtweg die Kammer, in der man in Wind Waker an das Master-Schwert gelangt

- die Mutter der beiden Mädchen Aril und Linkle sowie ihre ältere Tochter (und die Puppe) kamen bereits in Kapitel 10 vor, wobei sie hier natürlich etwas älter sind. Und es hat noch ein kleines bisschen mehr mit ihnen auf sich ^-^

- die Kristallsärge, in denen Link und Zelda eingeschlossen sind, entspricht in Aussehen und Wirkung jenem, der auch die Zelda in Das Abenteuer des letzten Helden umschließt. Indes ist es Zufall, dass dies alles sehr dem Schrein des Lebens und den Barrieren der Schrein-Mönche in Breath of the Wild ähnelt, da diese Details schon ausgefeilt waren, bevor BotW erschien.

Also ist es bald so weit. Der letzte Epilog in zwei Wochen… Jaja, alles hat ein Ende T__T

Balaen öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Als erstes fiel ihm auf, dass das Chaos, das er hinterlassen hatte, beseitig worden war: Das Bettzeug war gerichtet und glattgestrichen, die zuvor unordentlich verstreuten Klamotten und andere Gegenstände an ihren jeweiligen Bestimmungsort geräumt. Auf den Oberflächen hatte sich kaum frischer Staub abgesetzt, die Fenster waren geputzt. Es schien, als ginge jemand gar nicht so gering frequentiert ein und aus, füllte den kleinen Raum mit dem Leben, das sein eigentlicher Bewohner mehr als einen Monat hatte mangeln lassen.

Leise schloss Balaen die Tür hinter sich. Normalerweise, wenn er in sein Heim einkehrte, zog er gleich Mütze und Schal aus und hängte sie sorgfältig an den Haken neben dem Eingang. Jetzt hingegen war ihm nicht danach. Stattdessen warf er die grüne Kopfbedeckung beim Vorübergehen achtlos aufs Bett und trat an seinen alten Schreibtisch heran. Der darauf stehende Krug musste erst neulich frisch befüllt worden sein, denn auch auf dem klaren Wasser trieben keine Flusen.

Ganz automatisch wanderten Balaens Augen hinauf zu dem an der Wand angebrachten Regal. Die bemitleidenswerte Topfpflanze, die ihm schon seit Langem rettungslos vertrocknet war, war durch ein neues Exemplar ersetzt worden. Oder aber jemand hatte es wider allen Erwartens geschafft, sie wieder zu grüner Lebendigkeit zu erwecken. In ihrer unmittelbaren Nähe hatte der Ritter immer sein Schmerzmittel gelagert, doch zurzeit hatte er keinen Vorrat mehr. Unwillkürlich rieb sich Balaen den Hinterkopf, von dem ein neuer, dumpfer Kopfschmerz ausging und zu seinem vorigen, stechenden Leiden hinzugekommen war. Dennoch war er zuversichtlich, beides nicht mehr mit Glitzersporen betäuben zu müssen, sich also keinen Nachschub beschaffen und auch nicht bei Meister Otus anfragen würde. In Zukunft würde der Ritter mit der größten Verantwortung im Erdhort besser schlafen.

Nachdem er und Karmin wie aus dem Nichts in einem blauen Leuchten über dem Vorgebirge Eldins erschienen waren, waren sie nicht erst nach Süden abgedreht und nach Hause in die Siedlung zurückgekehrt. In die entgegengesetzte Richtung hatten sie sich gewandt, auf dass Balaen die vor Wochen selbstauferlegte Mission im Land des Feuers endlich ausführte. Einige Tage hatte es in Anspruch genommen, das Versteck der Bokblins ausfindig zu machen und auszuspähen, um den perfekten Moment für einen Angriff abzupassen. So hatte Hylias Held erfahren, dass nicht wie befürchtet Girahim als Befehlshaber hinter der Koordination der Monster steckte, sondern lediglich ein besonders gerissener Echsalfos. Als Balaen das Lager infiltriert hatte, waren längst nicht alle Bokblins unter seiner Klinge gefallen, wie er es gern gehabt hätte. Doch ihr reptilienhafter Heerführer war nun tot. Die paar unorganisierten, versprengten Bokblins stellten für die Schwertkämpfer des Erdhorts keine ernsthafte Gefahr mehr dar. Was nicht bedeutete, dass Balaen in seiner Wachsamkeit nachlassen würde. Die nächste große Herausforderung des Schicksals lauerte zweifellos auf die Menschen.

Andächtig entnahm er seinen Gürteltaschen ihren Inhalt und platzierte ihn vor sich auf dem Tisch, betrachtete ihn sinnierend. Anschließend band er den Paraschal ab und legte ihn daneben, bevor er den vor der Brust verlaufenden Waffengurt abschnallte. Ans Bett herantretend, kniete er sich nieder, um Schwert und Schild dagegenzulehnen.

Dabei wurde der Held ein weiteres Mal der Beschädigungen auf Hylias Wappen gewahr. Der Schild, von dem es hieß, nichts und niemand könne ihn zerstören, hatte Kratzer erlitten; drei davon verliefen mit leichter Abweichung fast horizontal, waren feiner als ein Haar und mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Senkrecht dazu hatten sich zwei weitere Kerben durch die dünne Schicht Farbe gegraben, sodass der darunterliegende Stahl silbern hervorblitzte. Auch wenn Balaen den Hylia-Schild seit über einem Jahr besaß, wies dieser ansonsten keinen anderen Makel auf, egal wie oft er auch im Kampf gebraucht worden war. Immerhin hatte eine Göttin ihn erschaffen.

Ein anderes Geschenk, das Hylia ihrem auserwählten Helden vermacht hatte, war nicht so glimpflich davongekommen: Balaens Peitsche, denn ohne ihre magische Kugel war sie unbrauchbar geworden. Er zog sie unter dem Gürtel hervor und legte sie zu seiner anderen Ausrüstung neben das Bett. Dabei fielen ihm zwei rote Punkte auf, die vor ihm auf dem Boden prangten. Sowie auch ein dritter dazukam, fasste Balaen sich an die Nase und stellte fest, dass sie blutete. Das war in den letzten Tagen häufiger vorgekommen, weswegen es ihn nicht weiter überraschte.

Als er sich erhob, erfasste ihn unvermittelt ein Schwindel, sodass er sich erst fangen musste, bevor er zum Schrank wanken konnte. Einhändig wühlte er in einer Schublade, bis er ein Stofftaschentuch fand, um sich damit die Nase abzutupfen. Endlich versiegte der Blutfluss, und Balaen putzte gründlich die Reste von Nase, Fingern und Boden weg.

Es klopfte an der Tür. Der Ritter warf den rot gefleckten Fetzen in die Schublade zurück und schloss sie, bevor er anwortete: „Ja?“

Für einen Moment tat sich nichts weiter. Dann wurde der Knauf herumgedreht, die Tür öffnete sich einen Spalt breit, obwohl Balaen mit dem einsilbigen Wort noch keinen Einlass gewährt hatte. Zaghaft schob sich ein Kopf hindurch, türkisblaue Augen linsten ins Zimmer, fielen auf den zurückgekehrten Anwohner und hellten sich schlagartig auf. „Bist du allein?“, fragte Balaens Freundin aus Kindertagen und sondierte den Raum, der so klein und spärlich möbliert war, dass sich wohl kaum noch jemand unerkannt darin aufhalten konnte. „Ich dachte, du hättest Besuch …“ Den Türspalt nur noch eine Winzigkeit erweiternd, huschte Zelda hinein, schloss dicht hinter sich. Das lange Haar trug sie zu wetterfesten Zöpfen geflochten, aus denen sich einige Strähnen gelöst hatten. Sie war gewandet in ihre robuste Vogelreiterkluft in dunklem Rosa und lichtem Blau. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, diesen an die Tür gelehnt, musterte Zelda ihren Helden, als müsse sie abschätzen, ob er wirklich anwesend war.

Wie oft sie in letzter Zeit wohl hier hineingeschaut hatte, ohne jemanden vorzufinden, und dann am Boden zerstört wieder gegangen war? Nur anfangs, ein paar Male in der Woche – oder gar jeden Tag?

Endlich segnete Zelda ihn mit einem warmen Lächeln, und Balaen erwiderte es, als ihm unvermittelt leichter ums Herz wurde. Er ging wieder zum Tisch und stellte sich so vor diesem auf, dass sie keine Einsicht auf die Platte bekam. Unauffällig bedeckte Balaen mit dem von Zelda gewebten Paraschal die anderen vier Gegenstände. Schweigend schnallte er auch den Gürtel mit den Reisetaschen ab und warf ihn aufs Bett.

Als er auch das grüne Rittergewand auszog und ebenso damit verfuhr, tadelte Zelda mit liebevoller Strenge: „Seit wann gehst du so mit deiner Uniform um?“

„Ist in Ordnung …“, stritt er ab, als sie zum Bett trat und die Tunika in Augenschein nahm.

Scharf widersprach sie: „Sieht das für dich nach Ordnung aus?“ Vorwurfsvollen Blickes begutachtete sie die unzähligen Knitterfalten in dem grasgrünen Stoff, der jedoch dafür, dass Balaen ihres Wissens nach Wochen allein in den Bergen zugebracht hatte, erstaunlich pfleglich geflickt war. Die Ärmel ihrer eigenen Kleidung waren verrutscht, und Balaen erkannte unter dem einen die Ahnung blauen Edelsteins. Wie er wusste, legte die bescheidene Wiedergeburt der Göttin nur zu besonderen Anlässen Schmuck an. Noch dazu diesen speziellen Armreif allein dann, wenn sie sich einsam fühlte und bittersüßen Trost in den damit verbundenen Erinnerungen suchte. Bevor Balaen verschwunden war, hatte er sie lange nicht mehr damit gesehen, nicht einmal, als ihr Vater gestorben war.

Leise summte Zelda ein beschwingtes Lied, das dem Helden irgendwie bekannt vorkam, nur konnte er nicht festmachen, woher. Fast war es so, als hätte er eigentlich eine andere Version gehört, zwar dieselbe Melodie, die jedoch ganz andere Emotionen vermittelte. Während der Ritter auch das Kettenhemd auszog, sang Zelda vor sich hin und faltete sorgfältig seine Tunika. Anschließend legte sie sie aufs Bett, wo sie sie noch zusätzlich glattstrich, tat die dazugehörige Mütze dazu, anstatt sie an den dafür vorgesehen Haken zu hängen. Auf der Bettkante sitzend, war Balaen gerade damit beschäftigt, sich seiner Stiefel zu entledigen, als seine Kindheitsfreundin auch das Kettenhemd versorgen wollte. Ihr Held seuzfte darüber, dass sie es nicht lassen konnte, ihn zu bemuttern, und entriss ihr das schwere, rasselnde Rüstzeug sanft, aber bestimmt. Noch bevor sie die Reihe neuerer Ringe sehen konnte, mit denen ein Schnitt darin repariert worden war.

Brüskiert unterbrach Zelda ihr Summen und folgte Balaen mit empörten Blicken, als er zu seinem Kleiderschrank stapfte. Den öffnete er, verstaute das Kettenhemd mithilfe eines Kleiderbügels darin. Als er zum Tisch zurückkehrte, wandte er Zelda den Rücken zu, um ihrer Musterung zu entgehen, mit der sie versuchte, sein reserviertes Verhalten zu ergründen.

„Ich habe vorhin noch mit Meister Tytor gesprochen“, ließ sie ihren Helden in unverfänglichem Ton wissen, konnte aber ihre Beklommenheit nicht vor ihm verbergen. Umständlicher als nötig hob sie Balaens von ihm nur hingeworfene Stiefel auf und stellte sie neben Schwert und Schild. Falls sie dabei auch der Kratzer in letzterem oder der fehlenden Kugel am Ende der Peitschenschnur gewahr wurde, ging die Wiedergeburt der Schöpferin dieser Ausrüstung jedenfalls nicht darauf ein.

Als Balaen die Siedlung erreicht hatte, hatte sich Zelda gerade auf einem Ausflug mit ihrem blauen Wolkenvogel befunden, sodass die beiden Kindheitsfreunde einander nicht begegnet waren. Ehe sich der Held in sein Heim zurückgezogen hatte, hatte er sich kurz mit dem Direktor der Ritterschule ausgetauscht über eine Veränderung des Lehrplans, die Meister Tytor zumindest abzuwägen zugesagt hatte. Zunächst galt es für den relativ jungen Schulleiter, mit den Lehrern – alle älter als er – und anderen konservativen Persönlichkeiten über diese Angelegenheit zu beratschlagen.

„Linkshänder nicht mehr umlernen …“, überlegte Zelda laut. „Ist das was Persönliches? Du hattest doch noch nie Schwierigkeiten deswegen.“

„Damit hat das nichts zu tun.“ Langsam streifte Balaen den rechten Lederhandschuh ab, ballte die Faust; seine Schwerthand schloss sich nicht mehr mit der gewohnten Kraft. Sein Unterarm fühlte sich an, als durchschneide ihn ein papierdünnes Messer vom Ellbogen ausgehend. Wenn die größten Kämpfer in der Geschichte Hyrules aufeinandertrafen, gingen nicht einmal die Sieger völlig unversehrt daraus hervor. Die Hand verkrampfte sich schmerzhaft, und Balaen lockerte sie schnell. „Wir haben es nicht leicht auf der Erde“, sprach er weiter. „Wir können es uns nicht leisten, wertvolle Kampfkraft unserer Krieger zu verlieren, weil ihnen schon als Grundschüler aufgezwungen wird, ihrer Natur zu widerstreben.“ Außerdem führten die drei besten Schwertkämpfer, die der Held aus den Wolken kannte, ihre Waffe mit der linken Hand. Balaen sah sich in der Pflicht, die Voraussetzungen zu schaffen, mit denen sie ihr volles Potential würden entfalten können.

„Aber du bist doch auch zum Rechtshänder umgelernt“, widersprach Zelda, „und sogar zum Helden geworden.“

„Falsch. Es ist andersrum“, behauptete der Ritter und zog auch den anderen Handschuh aus. Ein schwaches, wissendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Wenn es unser Wille ist, schaffen wir Helden alles.“

„Wir?“, wiederholte Zelda irritiert, doch Balaen ging nicht weiter darauf ein.

In nachdenklichem Schweigen trat seine Freundin neben ihn, streckte die Hand nach dem Paraschal aus, um auch ihn zu falten. Beiläufig legte ihr Held die Lederhandschuhe darauf und schob das ganze Bündel aus ihrer Reichweite, während er sich mit der Linken kurz am Hals kratzte.

Was er nicht registrierte war das Innehalten, mit der Zeldas Hand für den Bruchteil einer Sekunde über dem Stoff geschwebt hatte. Jetzt zog sie sie zurück, betrachtete die Handfläche, als habe sie etwas berührt und wolle nachsehen, ob es noch an ihren Fingern haftete. Sie schüttelte sich und rieb sich die Oberarme.

Zwei der Gegenstände unter dem Schal waren hervorgerutscht. „Frierst du?“, wollte Balaen besorgt wissen, während er die etwas zerzausten weißen Hühnerfedern zurechtzupfte, ohne sich zu Zelda umzuwenden.

„Es ist nicht kälter als draußen“, erwiderte sie, was seine Frage nicht beantwortete. „Ich hab nur irgendwie Gänsehaut …“

Mit nichtssagendem Nicken ordnete der Ritter die beiden Federn parallel zueinander auf dem Tisch an.

„Meister Tytor hat auch davon gesprochen, dass du den Erdhort umbenennen willst“, kehrte Zelda zu dem vorigen Thema zurück, schlenderte dabei durch den geringen freien Bereich des Zimmers.

Ihr Freund blieb unverrückbar am Tisch stehen. „Das ganze Erdland“, berichtigte er.

„Und wie soll es heißen? Meister Tytor hast du es noch nicht verraten.“ Sie stutzte kurz. „Sag jetzt aber bitte nicht so was ähnliches wie Badonien“, ergänzte Zelda mit gespieltem Schrecken, um die angespannte Atmosphäre, die zwischen ihnen hing, aufzulockern.

Der Witz verfehlte bei Balaen die angestrebte Wirkung. Ruhig und sachlich erwiderte er: „Hyrule.“

Schlagartig wurde sie wieder ernst. „Hyrule?“ So, wie sie den Namen betonte, klang er, wenn auch nur geringfügig anders, viel korrekter, als wäre ursprünglich sie diejenige gewesen, die ihn erdacht hatte. „Wieso das?“, erkundigte sich Zelda.

Seit der Begriff Erdhort unter der Bevölkerung der Siedlung aufgekommen war, war Balaen immer dagegen gewesen, ihn zu gebrauchen. Wenige andere, allen voran die Wiedergeburt Hylias, hatten friedlich darum gekämpft, die Einbürgerung zu verhindern und einen anderen zu etablieren – bislang ohne Erfolg. Er war hervorgegangen als Unterschied zum Wolkenhort, ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, die endlich überwunden werden musste. Ebenso, wie auch die Göttinnenstatue unaufhaltsam verfiel; wie Zelda allmählich ihre Erinnerungen an ihr voriges Leben als Hylia vergaß. Dies alles waren nicht Zeichen dafür, dass die Schutzpatronin der Menschen sie verlassen hatte – sondern dass es an der Zeit für sie alle war, sich einer neuen Zukunft zuzuwenden. Und dies begann mit einem Namen für das Land, der nicht aus Tradition geboren war.

Das allein war nicht der Grund für Balaens Vorschlag. „Hyrule“, wiederholte er erklärend, „weil das Volk der Hylia eines Tages darüber regieren wird.“

Hinter ihm quittierte Zelda seine scheinbare Spinnerei mit belustigtem Kichern. „Wir kleiner Haufen? Wohl kaum.“ Es war nur allzu nachvollziehbar, dass sie so dachte. Für Jahrhunderte hatte die Menschheit auf ihren schwebenden Inseln Zugriff auf nur sehr begrenzte Ressourcen gehabt und war deswegen erzwungenermaßen gering in ihrer Zahl geblieben – umso weniger verständlich, warum es Befürworter der Rückkehr ins Wolkenland gab. Sobald sie Nutzen aus der unermesslich weitläufigen Welt zogen, in der sie jetzt lebten, würden die Hylianer zweifellos wachsen. Sie würden nicht wieder in den Himmel streben, sondern in die Weite; dafür wollte Balaen kämpfen.

Beide Gegenstände, die er noch immer unter dem Paraschal versteckte, würden dabei von großer Hilfe sein. In einer anderen Zeit hatte er den kleinen, glasklaren Kristall, in dem eine gelbgrün glühende Kugel eingeschlossen war, in einem Grasbüschel gefunden – obwohl jemand anderes behauptet hatte, den ihm innewohnenden Zauber schon zuvor verbraucht zu haben. Sobald der in Sachen Magie unerfahrene Ritter herausgefunden hatte, wie er funktionierte, würde er sich an den daran gebundenen Ort versetzen lassen. Diese Methode wäre effektiver, als die Gegend vom Rücken eines Wolkenvogels auszuspähen, die gewiss genau die richtige war, eine Zivilisation aufzubauen. Zögen sie letztendlich dorthin, müssten Hylias Schützlinge den Tempel und die Statue der Göttin natürlich zurücklassen – endlich eine Chance für die Menschen, sich ihrer wirklich zu entsagen.

Balaen äußerte sich nicht zu Zeldas Zweifeln und schwieg auch weiter. Unnötig langsam nahm er die Feuerohrringe ab und legte sie leise auf den Tisch.

Irgendwann sagte seine Kindheitsfreundin: „Du hast gefehlt auf der Jubiläumsfeier.“ Es war nicht zu überhören, wie sehr sie seine Abwesenheit noch immer enttäuschte. „Meister Otus hat erzählt, was du vorhattest. Aber dass du dafür das Fest verpassen würdest …“ Ihre Stimme stockte, und jede Andeutung von Vergnügen war daraus gewichen. „Du hättest zu den Leuten etwas sagen müssen, eine kleine Rede halten …“

„Ich habe sowieso nichts vorbereitet.“

„Dann hättest du eben improvisiert!“, begehrte Zelda überraschend auf. „Die Vogelreiter haben überall nach dir gesucht! Ich war sogar im Tempel der Göttin, um Phai um Hilfe zu bitten, aber sie hat sich mir nicht gezeigt …“ Sie machte eine Pause, um beklommen zu schlucken. „Auf dem Fest sollte die ganze Siedlung Spaß haben. Stattdessen haben sie alle um dich getrauert, weil wir dachten, du seist tot! Bado, ausgerechnet Bado hat in aller Öffentlichkeit geweint.“ Ihr Tonfall klang so, als stünde sie selbst kurz vor einem ähnlichen Gefühlsausbruch. „Du bist unser Held und warst einfach nicht da!“ Ein unkontrollierbares Schluchzen brachte Zeldas Anklage zum Erliegen.

Eigentlich war Balaen mit Karmin unmittelbar nach ihrem Wiedererscheinen nur deswegen gleich ins Gebirge gezogen, weil er davon ausgegangen war, dass sie zum selben Zeitpunkt zurückgekommen waren, in dem sie zuvor auch verschwunden waren. Leider hatte er dann bei seiner Einkehr in die Siedlung feststellen müssen, dass nicht nur die eine Woche vergangen war, in der er in Eldin auf die Bokblins gelauert hatte, sondern zusätzlich dazu der ganze vorherige Monat. Die Einjahresfeier war ohne ihren höchsten Ehrengast vollzogen worden, doch zum Glück hatten die Monster nicht, wie er befürchtet hatte, während des Fests angegriffen. Desweiteren hatten die Planung des Wachdienstes, für die der im Erdland erfahrene Held zuständig gewesen war, aufgrund seiner Abwesenheit andere übernommen – immerhin war er nicht der einzige Taktiker, den die Ritterschule hervorgebracht hatte.

Balaen, nur mehr in Hemd und Hose gekleidet, waren die Tätigkeiten ausgegangen, mit denen er Zeldas berechtigten Vorwürfen ausweichen konnte. Schuldbewusst kehrte er ihr weiter nur den Rücken zu und stützte sich mit beiden Händen schwer auf die Tischplatte.

„Wo warst du nur so lange?“, verlangte Zelda zu erfahren, ihre Worte nur tonlos gehaucht. Natürlich glaubte sie nicht, dass er über einen Monat in den Bergen verbracht hatte, nur um eine Horde Bokblins auszulöschen. Ihr Held brauchte für eine solche Mission nicht so viel Zeit. Weil Balaen nicht antwortete und sie auch noch immer nicht ansah, forderte sie lauter: „Sag es mir!“

„Ich kann nicht“, beteuerte er bedauernd und rieb sich vor Unbehagen den pochenden Hinterkopf mit der linken Hand.

Das reichte Zelda wie zu erwarten noch lange nicht, und sie bedrängte ihn weiter mit erhobener Stimme: „Wieso nicht?“ Wieder verfiel sie in ein am Boden zerstörtes Flüstern. „Vertraust du mir nicht?“

Das war lächerlich, und Balaen war sich sicher, dass sie das auch wusste. Keine Angelegenheit konnte er sich vorstellen, in die er sie aus mangelndem Vertrauen nicht einweihte. So etwas täte er nur, um sie zu schützen – wie auch jetzt. „Weil das …“, hob der Ritter an, suchte nach den richtigen Worten und fand nur vage, mystisch anmutende Ungenauigkeiten. „Es würde alles verändern …“

Kurz schwieg Zelda, fragte dann niedergeschlagen: „Zwischen uns?“ Ihre Stimme zitterte. Die unausgesprochene Andeutung hing in der Luft, dass in ihrer Beziehung zurzeit nur noch etwas zum Guten zu verändern war. Und dass es ihr willkommen wäre, wenn Balaen diesen Wandel hervorbrächte.

„Zwischen … allem“, korrigierte er, was nicht wirklich Klärung mit sich brachte. Davon, sich den goldblonden Haarschopf zu reiben, ging er zur Kehle über, als müsse er eine Schlinge lockern, die sich darum festzuzurren drohte. Die rechte Hand legte er über die Augen und wünschte sich wieder nach Eldin. Sich mit Bokblins und Echsalfossen herumzuschlagen erschien dem Helden jetzt als das geringere Übel. „Wir beide spielen nur einen kleinen Teil in dieser Welt …“

„In meiner nicht“, sprach Zelda leise.

Unwillkürlich zuckte Balaen zusammen, als sie ihn plötzlich von hinten umarmte und das Gesicht zwischen seinen Schulterblättern vergrub. „Ich hab dich vermisst“, sagte sie, gedämpft vom Leinenstoff seines Hemds, durch den Balaen ihren warmen Atem fühlen konnte. Er ahnte, dass seine Freundin nicht nur die Wochen meinte, während derer es von ihm kein Lebenszeichen gegeben hatte, sondern auch die Zeit davor.

Zärtlich legte Balaen die Hände auf ihre, die sich sehnsüchtig in seinen Bauch krallten. Gefroren waren sie und gerötet vor Kälte, wie immer, wenn sich Zelda stundenlang an das Zaumzeug ihres Wolkenvogels klammerte.

„Ich weiß …“, flüsterte der Ritter.

Weil er nichts hinzufügte, wies Zelda ihn hin: „Das ist die Stelle, an der du sagst, dass du mich auch vermisst hast.“

Aber das tat er nicht. Überrascht schnappte sie nach Luft, weil Balaen sich unvermittelt zu ihr herumdrehte, sich dabei aus ihren Armen riss, seine um sie schlang und sie fest an sich drückte. „Ich werde dich nie wieder verlassen!“, versprach der Held mit ungekannter Inbrunst. „Ich schwöre dir, ich werde dich immer beschützen. In allen Zeiten, was auch immer zwischen uns steht!“

„Balaen, was …“ So dicht an ihn gepresst, dass sie sich kaum bewegen konnte, hob Zelda die Hände, jedoch nicht, um die Umarmung zu erwidern. Sie schob sie zwischen sie beide und löste sich von ihm. „Was redest du denn für schmalzige Sachen?“ Es klang amüsiert, und sie lächelte leicht, aber ihre Augen glänzten ehrlich beunruhigt.

Gequälten Gesichtsausdrucks hielt Balaen den Blick zu Boden gerichtet. Zelda fiel die dünne Narbe auf, die sich unterhalb seines Kinns zum Schlüsselbein hinabzog, und fuhr sie versonnen mit dem Finger nach. Der liebliche Duft, den Balaen immer wahrnahm, wenn er den von ihr gewebten Schal trug, umflorte sie jetzt ungleich intensiver, betörend. An die Losgelöstheit des Fliegens erinnert, entflohen des Ritters Gedanken auf rauschenden, berauschten Schwingen. Es schien Ewigkeiten her zu sein, seit er seine Freundin das letzte Mal so in den Armen gehalten hatte. Alle über diese Zeit aufgestaute, im hintersten Winkel seines Herzens verdrängte Sehnsucht nach ihr riss nun an seinem inneren Widerstand.

Zelda lehnte die Stirn gegen die ihres Helden, und er sah sie endlich an. Seine Lider waren halb gesenkt, die himmelblauen Augen auf ihren Mund gerichtet. Die Lippen entschuldigend, aber nicht wirklich bedauernd zu schmalen Linien verkniffen, lächelte Zelda und schob sich von Balaen fort. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte sich der Held zu etwas so überwinden müssen, wie sie jetzt loszulassen.

So schwungvoll, dass die Reitzöpfe herumflogen, wirbelte Zelda herum und tänzelte gut gelaunt durchs Zimmer. „Vater hat mir zum Jubiläum ein schönes Geschenk gemacht“, tirilierte sie unerwartet heiter, obwohl sie von einem verstorbenen Menschen sprach, den sie sehr geliebt hatte.

Mit dem Handballen rieb sich Balaen ein Auge, ja drückte es sich regelrecht in den Schädel. Langsam aber stetig kämpfte sich sein Verstand wie durch einen Sturm zu ihm zurück. Das Zimmer schien sich um ihn zu drehen, als ein noch heftigerer Schwindel als zuvor über ihn kam. Nur durch die Erinnerung an den seinetwegen sterbenden Gepora und seine Schuldgefühle gelang dem Ritter schließlich die geistige Überleitung zu dem einstigen Leiter der Ritterschule.

Schon fuhr Zelda fort: „Bado hat es mir in seinem Namen gegeben. Er hat auch das Material gebracht, das Vater dafür brauchte. Einen Zeitenrkistall aus Ranelle.“

Davon wusste Balaen bereits; er selbst war es gewesen, der seinen ehemaligen Klassenkameraden verübergehend aus dem Wachplan hatte entfernen müssen. Sein zu Schulzeiten schlimmster Peiniger und nun bester Freund war in das weit im Westen gelegene Sandmeer gereist, um einen der nur dort vorkommenden indigoblauen Steine zu beschaffen, die die Zeit manipulieren konnten. Wofür er dieses besondere Mineral gebraucht hatte, hatte er dem grüngewandeten Helden allerdings nicht verraten.

Nun jedoch holte Zelda dieses Versäumnis nach: „Daraus hat mir Vater eine Flöte geschnitzt. Sie klingt fast so schön wie die Lyra der Göttin.“ Sie kicherte peinlich berührt. „Ich würde sie dir ja gern zeigen, aber ich habe sie gerade nicht dabei.“ Mit liebevoller Zuneigung lächelte sie ihren Freund an. „Ich hab auch schon ein Lied komponiert. Noch habe ich es niemandem vorgespielt.“ Strahlend legte Zelda den Kopf schief. „Ein Wiegenlied, damit du mal wieder richtig ausschlafen kannst.“

Überrascht sah Balaen auf. Ehe er etwas erwidern konnte, war sie auch schon herumgewirbelt und aus dem Raum geschwebt. Sich gegen die Tischkante lehnend, legte der Zurückgelassene die Hand über beide Augen. Meister Otus wusste um die chronischen Kopfschmerzen des Helden, doch zu seinen Schlafstörungen hatte er den Botaniklehrer nicht ins Vertrauen gezogen. Niemand außer ihm selbst hatte davon Kenntnis – zumindest war er bislang davon ausgegangen. Balaen schalt sich einen einfältigen Narren, weil er doch tatsächlich geglaubt hatte, Zelda würde seine Probleme nicht erkennen – immerhin besaß sie das Gespür einer wiedergeborenen Göttin. Mehr noch, sie hatte sich seit der Einjahresfeier damit auseinandergesetzt, ihm zu helfen, und das, obwohl sie keine Gewissheit gehabt hatte, ihren Freund überhaupt je wiederzusehen.

Die Augen noch immer mit der Hand verdeckend öffnete Balaen sie nun. Blinzelte zwischen den Fingern hindurch auf das Bündel weiß-blauen Stoffs und braunen Leders, das der Paraschal und die Handschuhe auf dem Tisch bildeten. Zweifellos würde er die nächste Zeit wieder zu erholsamem Schlaf zurückfinden, doch das würde nicht allein Zeldas Wiegenlied für ihn zu verdanken sein. Die Sorgen, die dem Helden bislang schlaflose Nächte bereitet hatten, würden weniger erdrückend auf ihm lasten, ja gewiss ganz verschwinden. Jetzt, da er über eine Waffe verfügte, die ihm die Unbesiegbarkeit verschaffte, nach der er so lange gestrebt hatte.

Noch hatte er sie nicht benutzt, nicht einmal in Eldin, als er das Lager der Monster überfallen hatte. Trotzdem war das Einschussloch eines Pfeils auf magische Weise verschwunden, und sie hatte bereits die grimmig verzogenen Gesichtszüge ihres neuen Besitzers angenommen. Fast so, als wolle sie ihm ihre Bereitschaft indizieren. Dass er sich ihrer Macht bedienen konnte, einfach nur, indem er sie aufsetzte …

Ruckartig stieß sich Balaen vom Tisch ab, packte die Handschuhe, den Paraschal und den darunter verborgenen Gegenstand, stürmte zum Schrank. Diesen aufreißend, schmetterte er das ganze Bündel hinein und knallte die Tür lautstark zu. Diese Waffe würde er benutzen, wenn der rechte Moment gekommen war. Alles zu seiner Zeit.

- Die Flöte, die Zelda von ihrem Vater geschenkt bekommt, ist die Okarina der Zeit (duh)

- Das aus Ocarina of Time bekannte Zeldas Wiegenlied hat Zelda hier also eigens für ihren Helden komponiert. Das soll sowohl episch als auch süß sein ^-^

- Das Lied, das Zelda summt und das Balaen so vertraut vorkommt, soll der Soundtrack von Lynna-Stadt sein, der Hauptstadt von Labrynna in Oracle of Ages. Dieser ist eine beschwingtere Variante der Hymne der Zeit – was darauf hindeutet, dass (in meinem Fanstory-Kanon) Zelda auch diese komponiert.

- „So, wie sie den Namen [Hyrule] betonte, klang er (…) viel korrekter, als wäre ursprünglich sie diejenige gewesen, die ihn erdacht hatte.“ - Was so grob auch stimmt: In meiner anderen Fanstory Die Ballade des Unbesungenen gebraucht Hylia den Namen „Herale“ für ihre Welt, der der Menschensprache entlehnt ist.

So. Noch zwei Kapitel. Ein EpiEpilog und ein EpiProlog. Es ist bald so weit: Das Ende ist nahe v__v

Virri wusste einfach nicht mehr, was er noch sagen sollte. „Und wenn ich dir noch einen Eimer mit den leckersten Körnern verspreche?“, versuchte er zum unzähligsten Mal, Zeffa zur Mitarbeit zu bewegen. Der blaue Papagei mit weißer Bauchseite saß vor ihm auf dem Geländer und stellte sich weiterhin stur. Keinerlei Anstalten machte er, den Bitten des Helden nachzugeben. Wahrscheinlich war es sogar Glück, dass der Vogel dem Ruf durch die Okarina des Windes überhaupt noch gefolgt war.

Nervös warf Virri einen Blick in den Schlossgarten hinab, über dem der Balkon lag, auf dem er sich aufhielt. Ganz am anderen Ende des langgezogenen Hofs wartete Prinzessin Zelda auf einer etwa auf Hüfthöhe erhabenen Bühne. Die in weiße Seidenhandschuhe gehüllten Arme hielt sie verschränkt, und der Rocksaum ihres bodenlangen rosenfarbenen Kleides zuckte, weil sie mit dem Fuß tippte. Ein Schauder überlief Virri, als ihn die ihr deutlich anzusehende Ungeduld durchfuhr wie ein Blitz.

Verzweifelt wandte er sich wieder an Zeffa. „Schau, mir macht das hier auch keinen Spaß, aber wenn wir es zumindest ein Mal gut hinbekommen, dürfen wir eine Pause machen.“ Knirschend fügte er leiser hinzu: „Vielleicht …“ Sofort bereute der Grüngewandete dieses überflüssige Wort, denn der Papagei, wenn auch nur ein Tier, hatte den zweifelnden Unterton durchaus richtig verstanden. Auf der Stelle drehte er sich hüpfend herum, breitete die Flügel aus und setzte zum Absprung an. „Warte!“, rief Virri erschrocken. Auch wenn Zeffa offensichtlich nur ungern blieb, tat er dem Helden doch den Gefallen.

Eigentlich hatte Virri nicht wirklich damit gerechnet, ihn aufhalten zu können, weswegen er sich schnell gehetzte Worte zurechtlegte: „Wir machen’s noch ein Mal, dann ruf ich dich nicht mehr.“ Flehentlich schlug er die Handflächen zusammen. „Bitte!“ Um seinem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, verneigte er sich tief vor dem Vogel wie vor einer hochrangigen Respektsperson, wobei er das Gleichgewicht verlor und nach vorne kippte. Er stürzte und blieb resignierend liegen. Unsicher hob der kleine Krieger den Kopf und spähte zwischen den Pfosten des Geländers zu Zelda runter. Die Prinzessin stand nur still da und prüfte geschäftig ihre Fingernägel, die sie aufgrund der Seidenstulpen eigentlich gar nicht sehen konnte.

Überrascht blinzelte Virri, als ihn etwas an der Kleidung auf seinen Schultern ergriff. Das Rauschen gefiederter Schwingen ertönte über ihm, sein emmerblonder Haarschopf wurde aufgewirbelt. Anscheinend hatte sich Zeffa doch noch seiner erbarmt und hob ihn nun vom Balkonboden auf. Das allein erfüllte Virri schon mit unerwarteter Freude, doch der Papagei ging tatsächlich noch weiter: Wie die vielen Male zuvor, trug er den kleinen Helden über die Brüstung und in flachem Sturzflug hinab in den Garten – geradewegs auf Prinzessin Zelda zu. Entschlossen atmete Virri durch, schätzte seine Entfernung zu dem Mädchen sowie zum Grund ab und wann bei der derzeitigen Fluggeschwindigkeit der beste Moment war, abgeworfen zu werden. So oft hatten sie diese Proben schon durchgeführt, dass er glaubte, dies alles genau berechnen zu können.

Als er sich also weit genug wähnte, gab Virri Zeffa ein Tippzeichen an den Vogelfüßen, und diese lockerten ihren Klammergriff. Befreit von seiner Last, schlug der Papagei nun schneller mit den Flügeln und stieg auf. Kaum, dass sich Virri im freien Fall befand, packte er den gezackten Saum seines Greifenmantels und schwebte weiter hinab wie eine Feder. Sein senkrechter Sturz wurde dadurch abgefangen, doch das horizontale Vorwärtsmoment lief unverändert weiter. So glitt er in den Innenhof und auf Zelda und die Bühne zu. Der Boden raste nur so unter ihm davon, kam immer näher, und der Held streckte die Beine zur Landung aus.

Weil Virri nicht fühlte, wie seine Füße die Steinfliesen streiften, schaffte er nicht rechtzeitig, die Beine anzuspannen. Stattdessen riss die Reibung ihn aus dem Gleitflug; japsend vor Entsetzen überschlug er sich mehrfach. Nach einem verwirrenden Durcheinander aus Oben und Unten, die er nicht auseinanderhalten konnte, kam die Stolperpartie des kleinen Kriegers zu einem schmerzhaften Ende: Er knallte gegen die Vorderseite der Bühne, die aus massivem Stein erbaut war. Gequält stöhnend blieb Virri liegen.

„Du hast dir wehgetan“, hörte er Zeldas Stimme aus einer Richtung, die vermutlich über ihm lag. Es klang nicht wirklich so, als interessiere sie eine mögliche Antwort.

„Wenn meine Klone sterben, ist es schlimmer“, erwiderte Virri nichtsdestotrotz und rieb sich den Kopf, den er sich wohl irgendwann während seines Sturzes gestoßen haben musste. Ihm war schrecklich schwindelig, als er sich wankend aufsetzte und mühsam die Orientierung zurückerlangte. Der Flug vom Balkon herab hatte er heute schon mehrfach versemmelt und davon so manche Schrammen und Blessuren davongetragen, die für den tapferen Helden, der er war, jedoch nicht weiter beklagenswert waren. Nur einmal war er mit – unbeabsichtigt – ganzem Körpereinsatz derart heftig in die Bühne gekracht, dass er die harte Kante jetzt noch in der Bauchregion spürte. Fast kam er sich vor, als sei er wieder quer durchgeschnitten worden. Dieses Gefühl wurde dadurch unterstützt, dass Virri von einem Bereich in seiner Körpermitte aus nach unten keinen Schmerz wahrnahm. Und auch sonst nichts.

„So, wie du dich hier anstellst, ist es echt ein Wunder, dass du mich gerettet hast“, kritisierte die kleine Prinzesson von ihrer erhöhten Position herab. „Wenn du nicht richtig auf der Bühne landest, wirst du nur eine Lachnummer für die Zuschauer sein.“

Seufzend ließ Virri den Blick über die Stühle schweifen, die sich beidseitig des Weges in konzentrischen Reihen durch den ganzen Garten erstreckten. Die Diener, die sie aufgestellt und die ringsum verlaufenden Schlosswände dekoriert hatten, hatten schon seit geraumer Zeit ihre Arbeit vollendet und sich anderen Aufgaben gewidmet. Außer den beiden Kindern waren nur noch wenige Wachsoldaten oben auf den Mauern und an den Ausgängen in den Innenhof anwesend. Die Freiheit der Dienstboten neidete Virri diesen, denn die Prinzessin nötigte ihn schon den ganzen Tag, das von ihr erdachte Theaterstück einzustudieren.

Vor nunmehr einer Woche war der verschollene Held nach Hause zurückgekehrt. Sein über alle Maßen erfreuter Großvater hatte umgehend den König und damit auch dessen Tochter darüber informiert – sehr zu Virris Leidwesen. Denn Zelda wollte sein überraschendes Wiedererscheinen desweiteren geheim halten, um daraus eine größtmögliche Sensation zu machen. Dennoch war nicht zu vermeiden gewesen, dass zumindest Gerüchte in der Bevölkerung aufkamen – woran auch Alberich eine Teilschuld trug, weil er seine Heiterkeit über den wiedergekehrten Enkel nicht für sich hatte behalten können.

Trotzdem bestand die Prinzessin weiterhin auf der Inszenierung, die für die am morgigen Tag stattfindende Gedenkfeier geplant war: Dieselben Persönlichkeiten, die auch über einen Monat zuvor zu der nicht erfolgten Versiegelung des Schwerts der Vier eingeladen gewesen waren, sollten kommen, den Verlust von dessen Träger zu betrauern. Sich der Rede ihres Vaters anschließend, würde Zelda gerade äußerst bedauernde Worte sprechen – und dann, unerwartet wie ein lebendes Wunder, sollte Virri plötzlich aus dem Himmel herabsteigen, und die Zuschauer beim Anblick des Helden in erleichterten Jubel ausbrechen. Und aus der Trauerfeier würde ein Freudenfest werden, für das die farbenfrohe Dekoration ohnehin zufälligerweise besser passte.

Indes bezweifelte Virri, dass Prinzessin Zelda dieses Schauspiel selbst erdacht hatte. Seine Vermutung war, dass irgendein Höfling oder gar ein Diener den ganzen Ablauf vorgeschlagen hatte und es jetzt nicht wagte, seine junge Herrin, die diese Idee als ihre hinstellte, zu korrigieren.

Dieses Drehbuch sah also vor, dass Virri nach seinem heldenhaften Gleitflug über das Publikum auf der Bühne genau vor der Prinzessin landete, und zwar so, dass er gleich ehrerbietig vor ihr auf ein Knie sank. Mal abgesehen davon, dass dem kleinen Krieger das sehr befremdlich vorkam – immerhin waren sie beide etwa gleich alt und er hatte sie gerettet –, glaubte er nicht, zu diesem Kniefall überhaupt in der Lage zu sein. Seine Beine funktionierten einfach nicht mehr wie gewohnt. Er konnte sie durchaus noch normal bewegen; das Problem war eher, dass Virri sie und sein Becken nicht spürte, als existiere sein Leib vom Bauchnabel nach unten gar nicht mehr. Wahrscheinlich waren sie jetzt gerade von all den misslungenen Landungen voller Blutergüsse und Kratzer, die er gar nicht wahrnahm. Jeden Schritt musste der kleine Krieger mit äußerstem Bedacht setzen, die Augen stets nach unten gerichtet, um wenigstens zu sehen, wann seine Sohlen den Boden berührten. Wenn er sich nicht explizit aufs Stehen konzentrierte, kippte er manchmal einfach um. Deswegen hatte Virri in den letzten Tagen das Schwert der Vier kaum noch aus der Hand gelegt, um sich selbst durch seine Klone beim Gehen zu stützen. Während seiner stundenlangen Übungen mit Zelda trug er es verstaut in der Scheide bei sich. Umso mehr drängte es den Träger danach, es zu ziehen und seine Doppelgänger herbeizurufen. Ihre Beine waren für ihn realer geworden als die eigenen, weil er zumindest noch in ihnen Gefühl hatte.

„Wir versuchen es nochmal“, bestimmte die Prinzessin. Zwar sprach sie im Plural, doch sie beide wussten, dass die wirkliche Anstrengung Virri und Zeffa leisten mussten. Immerhin war sie nicht vollkommen untätig und hütete die Okarina des Windes. Diese reichte Zelda nun dem Helden runter, der noch immer am Boden vor der Bühne hockte, und wies ihn an: „Ruf diesen Papagei wieder!“

Zögerlich nahm Virri das dargebotene Instrument entgegen und entsann sich des Versprechens, das er Zeffa zuvor gegeben hatte. Da hatte er einen Einfall, und er spielte das Lied, mit dem er den Vogel stets herbeiorderte – doch beendete er es absichtlich mit einem falschen Ton, in der Hoffnung, die Prinzessin würde nichts bemerken. Das schien der Fall zu sein, und auch Zeffa ließ sich nicht wie üblich blicken. Ob das nun tatsächlich an der nur geringfügig abgewandelten Melodie lag oder daran, dass der Vogel schlichtweg keine Lust mehr hatte, konnte Virri natürlich nicht festmachen.

„Wo bleibt er denn?“, fragte Zelda hinter ihm ungeduldig, während sie den Himmel nach dem Flugtier absuchte.

„Weiß nicht“, log ihr Held unumwunden. „Vielleicht ist er müde und braucht eine Pause. Wir üben ja auch schon echt lang … Warten wir ein bisschen, bestimmt kommt er dann.“

Skeptisch sah die Prinzessin auf ihn herab. „Und was sollen wir bis dahin machen?“

Vage hob Virri die Schultern. „Keine Ahnung. Sitzen.“

„Sitzen? Sonst nichts?“

„Ja. Einfach nur sitzen“, bekäftigte der Grüngewandete und zog die tauben Beine zum Schneidersitz heran.

„Nicht auf den Stühlen?“, äußerte die Königstochter weitere Einwände.

„Hier auf dem Boden ist es doch auch in Ordnung.“

Zelda ereiferte sich: „Aber es ist schmutzig!“

„Die Diener haben doch gerade gekehrt“, erinnerte Virri und sah zu ihr auf. Unbehaglich beäugte die eitle Prinzessin die Steinfliesen zu ihren Füßen. Erst dann strich sie ihr Kleid glatt, ließ sich vorsichtig auf die Knie sinken, sorgsam darauf bedacht, dass keine Falten in dem rosenfarbenen Stoff entstanden.

Die beiden Kinder schwiegen eine Weile, ehe Zelda ohne Vorwarnung befahl: „Diese Mütze wirst du nicht bei der Feier tragen!“

Als wolle sie ihm die benannte Kopfbedeckung auch gleich entreißen, fasste Virri diese am Saum und hielt sie fest. „Wieso nicht?“

„Sie ist Erkennungszeichen der Schmiedelehrlinge“, erklärte die Prinzessin, was ihr der Grüngewandete selbst nach ihrer Rettung dargelegt hatte.

„Ich bin ja auch einer“, stellte Virri verwundert fest.

„Du sollst aber nicht als Schmiedelehrling auftreten, sondern als Held!“

„Stimmt“, flötete er fröhlich. „Und deswegen werde ich sie tragen. Wir Helden müssen das halt einfach.“

„Wir?“, wiederholte Zelda irritiert, doch Virri ging nicht weiter darauf ein.

Schweigend zog er das Schwert der Vier, das er nicht mehr wie früher an der Hüfte, sondern auf dem Rücken unter dem Greifenmantel geschnallt trug. Müßig begann er, spielerisch die Kämpfe seines geheimen Abenteuers mit den Klonen nachzueifern, zumindest, so weit es der Platz zwischen den Stuhlreihen erlaubte. Das grüngewandete Original konnte die Prinzessin auf der Bühne nicht ansehen, ohne auffällig den Kopf zu heben. Deswegen linste eines seiner zusätzlichen Augenpaare verstohlen zu ihr hinüber. Sie kniete, wie er ihr angeraten hatte, auf dem harten Steinboden, die Hände artig im Schoß gefaltet. Sich der Beobachtung nicht bewusst, hielt sie den Blick gesenkt, gab auf diese Art ein geradezu herzzerreißendes Bild ab. Irgendwie stimmte es Virri traurig, das sonst so zickige Mädchen derart niedergeschlagen zu erleben, weil er die Vorführung nicht meisterte, auf die sie solch großen Wert legte. Von Mitleid erfüllt beschloss ihr Held, sie etwas aufzumuntern, indem er sie von dieser unüberwindbaren Hürde ablenkte.

Während die Klone in Blau und Violett ihr Klingenspiel fortführten, steuerte Virri den dritten zur Bühne hinüber. Ratlos beobachtete Prinzessin Zelda, wie der rotgewandete Krieger leichtfüßig zu ihr auf die Erhöhung hüpfte. „Was wird das?“, verlangte sie gereizten Tonfalls zu wissen.

„Sagen wir mal, ich hätte es geschafft, vor dir zu landen“, erläuterte Virri sein Tun von unten, während oben auf der Bühne sein Abbild den Kniefall vollführte. „Was kommt dann?“

Auch wenn es der wohlerzogenen Prinzessin gelang, ihre kindliche Begeisterung zu verbergen, antwortete sie doch ein wenig zu hastig: „Also, ich dachte mir, dass du dann das Schwert der Vier ziehst, damit die Leute an deinen Klonen sehen, dass du es wirklich bist.“ Schnell sprang sie auf, wies über das imaginäre Publikum, und Virri steuerte seinen Doppelgänger dazu, theatralisch sein Schwert mit rotem Zierstein zu heben. „Dann ist es umso beeindruckter, wenn du das Schwert der Vier in den Stein steckst und …“

„Moment“, unterbrach der Sitzende ihren sprudelnden Redefluss, und sie sah missbilligend zu ihm hinab. Die Königstochter war es nicht gewohnt, dass ihr jemand, der nicht ihr Vater war, einfach über den Mund fuhr. „Ich soll es immer noch weggeben?“, fragte Virri jetzt und ließ das kopierte Schwert wieder sinken. Bislang hatte er noch nicht geahnt, dass Zelda plante, die Zeremonie, die nach seinem Verschwinden nicht stattgefunden hatte, zu wiederholen. Damals war angedacht gewesen, dass er das Schwert der Vier in eine Nachbildung des Podests steckte, aus dem er es ursprünglich gezogen hatte. Folglich sollte diese Attrappe also morgen endlich ihren Zweck erfüllen. Nach dem Ablauf, den Virri bereits kannte, sollte er erst am darauffolgenden Tag in aller Heimlichkeit, nur in Anwesenheit von König und Prinzessin, die mystische Waffe wirklich versiegeln.

„Ja, natürlich!“, zischte Zelda schnippisch, weil er ihr ins Wort gefallen war. „Und wenn du das also machst und alle deine Klone gleichzeitig verschwinden …“

„Aber das werden sie nicht.“

„Sie verschwinden doch immer, wenn du es einsteckst!“, zischte sie, empört von seiner erneuten Dreistigkeit, das Original an.

Dieses sah nun auch selbst zu ihr auf. „Nur in der Schwertscheide.“ Dieses Detail, an der ihre Agenda vor Wochen gescheitert wäre, hatte Virri ihr wohlweislich vorenthalten, um eine Ausflucht zu haben, mithilfe derer er ihre Theaterproben hätte sausen lassen können.

Jetzt endlich schwieg die Prinzessin, führte in nachdenklicher, übertrieben erwachsen anmutender Manier die Hand ans Kinn und kalkulierte dieses neue Wissen in ihre alte Planung ein.

Die Gunst der Stunde nutzend, grübelte der Grüngewandete über sein eigenes Problem nach. Auch nach all der Zeit, in der er sich auf geheimer Mission befunden hatte, war er noch immer nicht willens, das Schwert der Vier einfach zurückzugeben. Deswegen hatte er die vergangenen Tage hauptsächlich damit verbracht, eine Möglichkeit auszutüfteln, die Gerechtigkeit zu erhalten, nach der er so lange gestrebt hatte. Alle Versuche, den König von Hyrule zu überreden, waren gescheitert; also sah Virri seine einzige Lösung in einer Inszenierung, die die der Prinzessin an Gerissenheit in den Schatten stellte.

Bevor der kleine Held verschwunden war, hatte sein Großvater ihm ein Geschenk versprochen und nach seiner überraschenden Heimkehr endlich auch überreicht: Eine Replik des Schwerts der Vier. Alberich war unbestreitbar der beste Schmied des Königreichs, doch die Nachbildung war nicht ganz perfekt: Die Klinge lief etwas zu schmal aus, und die Ornamente im Griff, der nicht aus Gold, sondern Messing gefertigt war, entsprachen nicht der Vorlage. Aber wer die echte Waffe nicht so kannte wie Virri, dem fiel der Unterschied ohnehin nicht auf.

Wenn der schicksalhafte Tag kam, an dem er sein besonderes Schwert endgültig versiegeln sollte, würde er jene ordinäre Nachbildung bei sich tragen. Währenddessen würden seine Klone sich und die Originalwaffe irgendwo im Schloss verstecken. Wenn Virri dann in der Geheimkammer hinter dem Tor der Minish das angebliche Schwert der Vier zog und seine Klone nicht erschienen, würde er gegenüber dem Herrscher und seiner Tochter die Vermutung aufwerfen, sie könnten an diesem besonderen Ort nicht heraufbeschworen werden. Er würde die Replik versiegeln, und das Tor würde sich für die nächsten hundert Jahre schließen. Und wenn Virri dann nach Hause ging, nähme er das echte Schwert mit der vervielfältigenden Kraft unerkannt mit sich …

„Viridian!“, rief Zelda plötzlich ihren Helden an, und dieser legte den Kopf in den Nacken, um zu der hinter ihm auf der Bühne stehenden Prinzessin aufzusehen. Sie hatte einige Strähnen, die ihr andernfalls ins Gesicht hängen würden, hinter die spitzen Hylianerohren geschoben. Noch nie war Virri aufgefallen, dass ihre Nase eigentlich ganz hübsch war. „Hast du mir gerade zugehört?!“

Mit wem glaubte sie denn zu sprechen? Virri war der Meister der peripheren Wahrnehmung! Selbstsicher wiederholte er die Schilderungen ihrer letzten Umplanung: „Du willst die Schwertscheide in den Stein einbauen lassen, damit meine Klone eben doch verschwinden, wenn ich das Schwert der Vier reinstecke.“

Unzufrieden, weil sie es nicht geschafft hatte, seine Unaufmerksamkeit zu enttarnen, verzog Zelda den Mund. Eingeschnappt verschränkte sie die Arme, wandte sich halb ab. „Und was hältst du davon?“

„Hm …“, machte Virri gedehnt, wiegte unschlüssig den Kopf und schwieg desweiteren.

Für einige Zeit war im Schlossinnenhof nur das unregelmäßige, metallische Zischen zu hören, mit dem die Klingen der beiden noch immer kämpfenden Doppelgänger aufeinandertrafen.

„Warum machst du das?“, wollte die Prinzessin irgendwann wissen.

„Was denn?“

Über sein rot gekleidetes Abbild auf der Bühne sah Virri, wie Zelda auf die Duellanten deutete. „Diese Schwertübungen.“

Mit doppeltem Blick folgten Original und Kopie ihrem Fingerzeig, während die Fechter ungestört weitermachten. „Hab ich mir so angewöhnt“, meinte Virri, ohne die Königstochter darin einzuweihen, dass er gezielt die Schlachten aus seinem Gedächtnis nachspielte. „Ich darf nicht aus der Übung kommen.“ Außerdem war Virri mittlerweile absolut überzeugt, dass er noch nicht alle Fähigkeiten, die seinem Träger zu verleihen das mystische Schwert imstande war, entdeckt hatte. In seinen Klonen das Sprechen zu lernen oder Gefühlsregungen zu zeigen fand er nur wenig reizvoll. Daran, sich mit ihnen zu einem Überhelden zu vereinen, hegte er sogar überhaupt kein Interesse. Vielmehr träumte er davon, dass sich die Abbilder nicht mehr so schnell auflösten, wenn sie nur geringfügig verletzt wurden. Dass jeder seiner zusätzlichen Körper eigene Ausrüstung bei sich führen konnte, die sogar mit ihm heraufbeschworen wurde. Und letztlich hatte eines Tages vielleicht jeder einzelne sein eigenes, vom Original getrenntes Bewusstsein …

„Natürlich sollst du weiterkämpfen“, insistierte nun die Prinzessin, „aber doch nicht mit dem Schwert der Vier!“

Verbittert verzichtete Virri, sie darauf hinzuweisen, dass er sich nicht einmal mehr selbstständig auf den Beinen halten konnte. „Und welches Schwert dann?“, fragte der kleine Held lustlos – als ihm plötzlich was anderes einfiel. „Zum Beispiel … das Master-Schwert?“ Verstohlen spickte er durch seine zusätzlichen Augen zu Zelda, um ihre Reaktion zu beobachten.

Diese rief erschrocken aus: „Woher weißt …?“ Hastig unterbrach sie sich und hüstelte gekünstelt. „Ich meine: Was ist das denn?“

„Jetzt tu nicht so!“, tadelte der grüngewandete Krieger verschlagen grinsend, unterbrach den Spielkampf der beiden Klone und wandte alle drei Abbilder Zelda zu. „Du weißt davon!“

Von den sie niederstarrenden Kriegern bedrängt, wich die Prinzessin zurück. Erwischt druckste sie herum und zwang sich schließlich zu gestehen: „Ja, schon …“ Plötzlich setzte sie eine säuerliche Miene auf, weil sie sich verplappert hatte, und keifte das Original an: „Und wie hast du davon erfahren? Nur mein Vater und ich dürfen das wissen!“

Jetzt brachte sie wiederum Virri in arge Erklärungsnot. „Ähm … Mein Opa ist doch ein ganz wichtiger Schmied und mit dem König befreundet. Bestimmt haben sie mal darüber gesprochen“, dichtete er zusammen.

Zelda kniete sich schräg über ihm an den Rand der Bühne. „Meine Familie hält schon lange geheim, dass es das Master-Schwert gibt“, vertraute sie ihrem Helden flüsternd an, obwohl sogar die Wachen zu weit weg standen, um die beiden Kinder zu belauschen.

In Hyrule-Stadt war der Bau einer Zitadelle noch nicht einmal in Planung; also hob Virri den eigenen Blick und fragte wagemutig: „Verrätst du mir, wo es ist?“

„Nein!“, rief Zelda sofort empört, senkte erschrocken die Stimme und fügte leise hinuz: „Ich weiß es selbst nicht. Mein Vater will es mir erst sagen, wenn ich alt genug bin.“

„Wenn es so weit ist, darf ich dann auch hin?“ Seine Bitte unterstrich der Grüngewandete mit seinem freundlichsten Lächeln.

Verwundert sah die Prinzessin zu ihm hinab und polterte: „Wir haben gerade viel Wichtigeres zu tun! Hier geht es um deine Heldenernennungszeremonie!“ Aufgebracht sprang sie auf und begann, schon wieder über den Ablauf zu reden, als hätte es keine Unterbrechungen gegeben.

Mit halbem Ohr und deutlichem Desinteresse lauschend, spielte Virri mit den beiden Hühnerfedern, die am Kragen seines Greifenmantels befestigt waren. Ungeachtet dessen, dass er Zelda damit zur Weißglut bringen konnte, fragte er einfach dazwischen: „Wie wird man eigentlich zum Ritter ernannt?“ Ein wenig ärgerte es ihn jetzt, nicht mit den beiden einzigen Rittern, die er persönlich kannte, darüber gesprochen zu haben, als er noch die Gelegenheit dazu gehabt hatte.

Die Gefragte seufzte entnervt und wenig prinzessinenhaft. „Wie kommst du jetzt darauf?“

Enttäuscht senkte Virri den Blick. Hieß das etwa, sie wolle ihn gar nicht auch zum Ritter ernennen? Trübsinnig zuckte er mit einer Schulter. „Nur so.“

„Ritter wird man nicht einfach so“, begann Zelda, ihn zu belehren, und stieg die Treppen an der Seite der Bühne hinab, schritt weiter zu dem Sitzenden. „Man muss erst Knappe werden und viel lernen …“

„Ja, aber wie läuft das Ernennen ab?“, präzisierte Virri seine Frage, während er seine Chancen als Held überdachte, von einem Ritter unter dessen Fittiche genommen zu werden. Im Schwertkampf konnte ihm ohnehin niemand mehr etwas beibringen.

Die Augen verdrehend, blieb die Prinzessin vor ihm stehen und erklärte knapp: „Es gibt ein paar formelle Worte von einem Mitglied der königlichen Familie, der neue Ritter bekommt ein neues Schwert oder einen Schild mit dem Wappen des Ritterordens. Aber am wichtigsten ist …“ Mit einem Mal sehr andächtig sah sie dem ahnungslosen Helden in die Augen. „Am wichtigsten ist die Besiegelung des Treuebundes zur Krone. Der neue Ritter und das Mitglied der Königsfamilie müssen voreinander niederknien, es legt ihm die Hände auf die Schultern und …“ Sie verstummte und zögerte, weiterzusprechen. Eine leichte Rötung zeichnete sich auf ihren Wangen ab, und sie wich Virris forscher Neugier aus.

„Und dann?“, ermunterte er sie.

„Und dann … kommt ein Kuss.“

Geschockt und eine Spur zu schrill japste Virri: „Ein Kuss?!“

Beschwichtigend wedelte Zelda ab und beteuerte: „Nicht so, wie du denkst! Der mit königlichem Blut küsst den Ritter einfach nur auf die Stirn!“

Darauf musste der kleine Krieger stutzen, grinste dann und kratzte sich an der Nase. Auch er wurde jetzt rot. Einen Kuss auf die Stirn von einer Regentin hatte er schon erhalten …

Den eigenen Blick gesenkt hatte er gar nicht bemerkt, dass er alle seine drei kopierten Augenpaare auf die jetzt vor ihm stehende Prinzessin gerichtet hatte. Ihr hingegen war es sehr wohl aufgefallen, insbesondere das leichte Lächeln auf den Lippen der Klone, das nicht ihre gefühllosen Augen erreichte und sie dadurch nur noch unheimlicher machte. Unbehaglich versuchte sie, Virris allumfassender Aufmerksamkeit zu entgehen – vergeblich. „Hor auf damit!“, keifte sie gereizt, um ihre Verunsicherung zu überspielen.

Erst jetzt registrierte der Held das hypnotisierte Starren seiner Abbilder, kam aber nicht auf den Gedanken, es von Zelda abzuwenden, sondern kicherte nur.

Davon irritiert, seine Stimme aus einer ganz anderen Richtung zu hören, als die Blicke kamen, stemmte die Prinzessin die Hände in die Hüften und giftete ihn an: „Was ist so witzig?“

Jetzt kämpfte sich Virri endlich auf die Füße, indem er sich an der Kante der Bühne hochzog und mit einem Arm darauf abstützte. Was eigentlich Ausdruck seiner Unbeholfenheit war, wirkte im Gegenteil ungewollt lässig. Sein Gegenüber so nun auch mit den eigenen Augen musternd, sagte er geradeheraus: „Wenn du wütend bist, verziehst du deine Nase so süß.“

Zeldas Mund klaffte auf, als wolle sie etwas erwidern, doch diese entrüstenden Worte hatten sie komplett sprachlos gemacht. „Wir haben lange genug gewartet!“, verkündete sie mit knallrotem Gesicht, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. Ihr kindlicher Zorn verstärkte den von Virri angemerkten Effekt auf ihre Nase nur noch. Brüskiert bückte sie sich nach der Okarina des Windes und schmetterte sie dem Helden vor die Brust, dem das wertvolle Instrument vor Überraschen fast zu Boden gefallen wäre. „Wir probieren es nochmal!“, entschied die Königstochter und stolzierte hocherhobenen Hauptes auf die Bühne zurück.

Unwillig seufzte Virri, holte tief Luft und spielte die Okarina. Dann würde er sich eben Mühe machen, ihr Theaterstück durchziehen und später auch sein eigenes, um das Schwert der Vier zu behalten. Und was das Master-Schwert betraf, hatte Zelda ihm leider nicht direkt zugesichert, ihn hinzuführen. Aber dazu war auch später noch Zeit.

[spoiler=Kapiteltitel[/spoiler]Die Sonate des Puppenspielers aus Wind Waker

Ermöglich die telepathische Steuerung von Medoli bzw. diesen komischen Steinstatuen. Ist hier einfach nur darin zu interpretieren, dass Virri seine Klone fernsteuert.]

- der Abschnitt, in dem Virri über die möglichen Fähigkeiten des Schwerts der Vier nachdenkt, soll auf Four Swords Adventures hindeuten.

- und da mir nix wichtiges mehr einfällt, was ich noch anmerken könnte, will ich sagen, dass ich das Wort „Heldenernennungszeremonie“ doch tatsächlich ohne Tippfehler durchgeschrieben habe xP

Leo zupfte leicht an den Zügeln, um dem Pferd zu verstehen zu geben, aus dem flotten Trab in gemächlichen Schritt zu verfallen. Die eisenbeschlagenen Hufe klackten nun langsamer, aber unverändert kraftvoll über den Pflasterstein. Das Geräusch brach sich und wurde aufgespalten, als das stolze Tier unter den riesigen Torbogen eintrat. Auf den Mauern wurden Rufe laut, die die Kunde vom Ankommen des Helden in Windeseile durch das Schloss trugen.

Als Leo den Vorhof erreichte, waren die dort anwesenden Höflinge, Soldaten und Dienstboten bereits informiert. Staunenden Blickes beobachteten sie, wie er sein Pferd zum Stillstand brachte, sogleich ein Bein über den Sattel hob und schwungvoll absaß. Geschäftig knabberte er dabei an einem ellenlangen Grashalm, der in der Kerbe in seiner Oberlippe stak. Jetzt nahm Leo diesen aus dem Mund und hielt ihn Alvio hin, der zwischen den Schultern des Rosses vor dem Sattel kauerte. Ohne Zögern schnappte sich der große Hase das Geschenk und mümmelte herzhaft daran. Sein weißes Fell zeichnete sich auffällig auf dem schwarzen des Rappen ab wie dessen eigene Mähne und Schweif in ungewöhnlich hellem Beige. Das prächtige Schlachtross, dessen Rasse eigens dazu gewzüchtet war, auch in größten Menschenmengen unter keinen Umständen nervös zu werden, zog unter der allgemeinen Aufmerksamkeit die Oberlippe zu einem zähnestarrenden Grinsen hoch. Den muskulösen Hals des Reittiers streichelnd, empfand Leo dieselbe überhebliche Zufriedenheit.

Die Soldaten, die im Palasthof bis zum Erscheinen des Helden an Strohpuppen unablässig ihre Lanzenkünste erprobt hatten, salutierten nun schneidig. Auf diese Respektbekundung schlug der Ritter, jünger als ein jeder von ihnen, die Faust aufs Herz. Als hätte der Hofstaat auf eben dieses Zeichen gewartet, beendete er sein Innehalten und widmete sich wieder profesionell seinen alltäglichen Tätigkeiten.

Ein Stallbursche kam eilig auf den Grüngewandeten zugerannt und bot ihm mit tiefer Verbeugung an, sich für die Dauer seines Aufenthaltes um den Rappen zu kümmern. Auch wenn Leo nicht vorhatte, so lange zu bleiben, dass sich dies lohnte, drückte er dem begeisterten Jungen die Zügel in die Hand und überließ ihm alles weitere. Alvio, der weiterhin zufrieden an seinem Grashalm nagte, blieb reglos an seinem Platz sitzen, während der Hengst weggeführt wurde.

Obwohl das Leben im Schloss nun wieder seinen gewohnten Lauf nahm, als hätte es keine Unterbrechung gegeben, entging den scharfen Ohren des heroischen Neuankömmlings nicht, dass sich sämtliche Gespräche jetzt nur noch um ihn drehten. Ohne jede Bescheidenheit genoss Leo, mit welcher Bewunderung über ihn gesprochen wurde.

Nur einer der Übungskämpfe wurde noch immer ausgesetzt, der zuvor stattgefunden hatte zwischen einem betagten, pensionierten Soldaten und einem Mädchen, das wie Leo an der Schwelle zum Erwachsenwerden stand. Beide Kontrahenten hatten mit schmalen, federleichten Degen gefochten, die nun gesenkt blieben. An der tadelnden Miene des alten Kriegers, die er an seine Schülerin richtete, war abzulesen, dass er die Lektionen fortzuführen gedachte. Doch als der Held nun auf die beiden zukam, gab sie ihm mit einem Handwink zu verstehen, dass der Unterricht fürs erste abgebrochen war. Der Alte brummte eine Bestätigung, steckte das Übungsschwert ein, verneigte sich knapp und entfernte sich.

Derweil musterte Leo beim Nähertreten sein verbliebenes Gegenüber mit einigem Widerwillen, den er sich aus Höflichkeit nicht anmerken ließ. Obwohl eine junge Frau, trug sie nicht ihr gewohntes elegantes Seidenkleid, sondern eine Hose, die ihr bei den Fechtstunden mehr Bewegungsfreiheit erlaubte als ein Rock. Immerhin blieb sie mit den Blau- und Rosatönen ihren Lieblingsfarben treu, die in dieser Kombination allein ihr vorbehalten waren. Das lange, blonde Haar war zu einem Dutt hochgesteckt, aus dem ein paar Strähnen unordentlich abstanden. Ihr Kopf zierte nicht wie üblich die goldene Reifenkrone, und auch darauf, ihre Triforce-Ohrringe anzulegen, hatte sie verzichtet.

Sowie Leo sich auf wenige Schritte genähert hatte, grüßte er, indem er die Linke flach aufs Herz legte und auf ein Knie sank. „Prinzessin.“

Mit gutmütiger Genugtuung blickte Prinzessin Zelda auf ihn herab. „Wie ich sehe, hast du, wo auch immer zu warst, deine ritterlichen Manieren nicht verlernt.“

Ohne den Kopf zu heben, erwiderte der Held von Hyrule: „Das würde ich niemals, Prinzessin.“

Sie lächelte dünn und sprach gebieterisch: „Erhebe dich, Ritter.“

Dieser Aufforderung kam Leo sogleich nach. „Ihr macht eine gute Figur als Fechterin“, lobte er gewissenhaft. Natürlich fand er eigentlich, dass sie als Frau und erst recht als Prinzessin nicht in dieser empfindlich burschikosen Aufmachung auftreten sollte. Dennoch musste er sich eingestehen, dass ihr die eng anliegende Kleidung durchaus nicht schlecht stand.

„Danke für das Kompliment“, erwiderte Zelda und lächelte wissend – sie kannte seine wahren Ansichten. „Aber ich fürchte, es ist unangebracht. Ich habe, seit ich den Unterricht vor einem halben Jahr aufgenommen habe, keinerlei Fortschritte gemacht.“ Ihr Lächeln wurde reumütig. „Ich entlasse einen Lehrer nach dem anderen. Dabei ist es nicht ihr Fehler. Es ist mir schlichtweg nicht bestimmt, mich selbst zu verteidigen.“

„Unsinn!“, widersprach Leo inbrünstig und bereute seinen Ausbruch sofort. Er hüstelte. „Verzeiht. Was ich eigentlich sagen wollte: Ihr dürft nicht so hart zu Euch sein. Wie ich das sehe, ist schon Euer erster Lehrer ein Schwachkopf gewesen, und seine Nachfolger noch viel größere.“

Verwundert blinzelte die Prinzessin ihren Helden an. „Woran machst du das fest?“

„Ganz einfach“, behauptete der Ritter und übersprang den Hinweis, dass sie das Schwert in der rechten Hand führte und somit seiner Meinung nach in der falschen. „Die Narbe an Eurer linken Hand. Zwischen Daumen und Zeigefinger.“ Leo deutete auf die genannte Stelle, und Zelda drehte die Linke vor ihrem Gesicht. „So eine Verletzung an der Hinterhand fügen sich Anfänger oft selbst zu, wenn sie das Schwert einstecken. Wenn das so oft passiert, dass sogar eine Narbe daraus wird, ist das nicht ein Zeichen für die Unfähigkeit des Schülers, sondern die Inkompetenz des Lehrers.“

Verstehend nickte Zelda. „In der Tat musste ich selbst danach fragen, wie ich das vermeiden kann.“

„Und sie haben Euch auch noch auf anderes nicht hingewiesen“, bekräftigte Leo. „Zum Beispiel, wie Ihr das Schwert haltet.“

Jetzt hob die Königstochter ihre Waffe und begutachtete das mit Golddraht verzierte Heft. „Was ist daran falsch?“, wollte sie interessiert wissen.

„Momentan setzt Ihr den Daumen oberhalb der anderen Finger an, dabei sollte er sie umschließen.“ Zischend glitt des Helden Schwert aus der Scheide, als er es zog und Zelda zeigte, was ihm derart in Fleisch und Blut übergegangen war, dass er gar nicht mehr darüber nachzudenken brauchte.

Bereitwillig ahmte sie ihn nach und fragte: „Verkrampft sich die Hand dann nicht zu sehr im Gefecht?“

„Nicht, wenn man die Bewegungen gleichmäßig auf Schultern, Ellbogen und Handgelenk verteilt“, belehrte Leo und führte einige rasche Streiche, ignorierte dabei das leichte Ziehen in der Schulter. Eifrig tat die Prinzessin es ihm gleich, und er lobte: „Nicht schlecht für den Anfang. Wenn auch noch ein bisschen kantig.“

Ein kleines Grinsen brachte Zeldas Mundwinkel zum Zucken. „Genau darauf habe ich gewartet: Auf einen Lehrer, der ehrlich zu mir ist“, eröffnete sie süffisanten Tonfalls.

Wie von einer Sekunde zur nächsten zum Wandgemälde erstarrt, stutzte Leo. Geräuschvoll räusperte er sich und steckte das Schwert zurück. „Wieso wollt Ihr das Fechten lernen?“, erkundigte er sich ablenkend im Plauderton. „Ich bin mir sicher, es gäbe passendere Freizeitaktivitäten, die Ihr …“

„Unmöglich!“, unterbrach Zelda ihn barsch. „Ich habe allen meinen Höflingen und den meisten Dienern vorgeschrieben, sich zumindest die Grundlagen des Schwertkampfes anzueignen. Da kann ich mich nicht als einzige nicht daran halten!“ Schon beruhigte sich die Königliche wieder und wiegte sinnierend das Rapier in der Hand. „Niemals wieder soll jemand wie Agahnim und seine Schergen so leichtes Spiel haben, ins Schloss einzudringen.“ Sie führte ihre Waffe zu einem unwirschen Steich, als wolle sie den intriganten Hexer, der sie geraubt und beinahe geopfert hatte, hier und jetzt aufspießen. „Nie wieder will ich mich so hilflos fühlen“, fügte die Prinzessin bedrohlich leise hinzu.

„Nun ja“, begann Leo langgezogen und grinste frech. „Aber wenn Euch niemand entführt, was hätte ich als Held dann noch zu tun?“

Das dolchartige Blitzen, mit dem Zelda ihn anfunkelte, hätte ausgereicht, das Auge eines Hinox vor Schreck aus dem Schädel hüpfen zu lassen. Frostig, doch noch immer mit gastfreundlicher Höflichkeit, sprach sie: „Am liebsten wäre es mir, den Kampfstil der Familie Glires zu erlernen. Seine Angriffstechniken sollen sich auch perfekt zur Verteidigung eignen, habe ich mir sagen lassen.“

Auch wenn Leo ahnte, dass es ganz und gar nicht das war, was sie hören wollte, erwiderte er unverfroren: „Mein Onkel würde Euch gewiss liebend gern unterweisen.“

Weil er ihre Andeutungen ganz offenkundig verstanden und absichtlich missachtet hatte, schürzte die Prinzessin die Lippen. Dann plötzlich lächelte sie überraschend offenherzig. „Leopold, darf ich dich auf einen kleinen Umtrunk einladen?“

Mit diesem Manöver hatte der Held nicht gerechnet. In die Ecke gedrängt stammelte er: „Ich … also … Eigentlich wollte ich schon längst wieder …“

„Bitte“, überrumpelte ihn Zelda weiter gnadenlos freundlich. „Ich bestehe darauf.“

Die heißblütige Seite in Leo, der er alle seine Abenteuer verdankte, drängte ihn dazu, auf dem Absatz Kehrt zu machen und Reißaus zu nehmen. Hätte er seine Pegasusstiefel getragen, wäre dies wohl auch passiert. Innerlich verfluchte er sich dafür, auf gewöhnliches Schuhwerk umgestiegen zu sein, genauso wie er auch die Krafthandschuhe zuhause gelassen hatte. Doch hatte er auch noch eine andere Seite, die beim Anblick der lächelnden Prinzessin eindeutig die Oberhand gewann: Nämlich die seiner ritterlichen Erziehung, die einem Mitglied der Herrscherfamilie von Hyrule niemals eine Bitte ausschlagen konnte. „Es wäre mir eine Ehre“, knirschte Leo und verneigte sich.

„Schön“, frohlockte die Prinzessin, steckte die eigene Waffe zurück und gab einigen Dienstboten in der Nähe einen befehlenden Wink.

Weil es Etikette des Schlosses war, bereits beim Erscheinen hoher Gäste nötige Vorkehrungen zu treffen, waren schnell ein kleiner Tisch und zwei Stühle herbeigeschafft und unter den halbschattigen Ästen eines Baumes aufgestellt. Ganz der Galan, zu dem ihn die Lehren seines Onkels gemacht hatten, schob Leo der Prinzessin den Stuhl unter, als sie sich zu Tisch setzte. „Vielen Dank, Leopold“, sagte Zelda mit erhabenem Nicken. Der Ritter verneigte sich und nahm selbst Platz.

Indes trug eine Dienerin, die in Nathans fortgeschrittenem Alter sein mochte, ein Silbertablett herbei. Davon drapierte sie eine Karaffe kristallklaren Wassers, zwei Zinnbecher und eine Schale roter Tafeltrauben auf den Tisch. Üblicherweise wurde den Gästen des Schlosses bei einem solchen Imbiss zusätzlich auch frisches Brot und Käse serviert, doch in Rücksichtnahme auf Leos Essgewohnheiten gab es sie diesmal nicht.

Sowie die Dienerin, deren ergrautes Haar Spuren ihres ursprünglich brünetten Farbtons zeigte, mit ihrer Tätigkeit fertig war, wandte sich Leo an sie. „Danke, Serra.“

Die alte Dame hob überrascht den Blick, verbeugte sich mit dem leeren Tablett auf dem Arm und zog sich unauffällig zurück.

„Du kennst sie?“, erkundigte sich ihre Herrin. Da das Herzgebäude Hyrules so viele Angestellte beherbergte, erstaunte es Zelda, dass ihr abenteuerischer Held, der sich nur höchst selten hierher verirrte, überhaupt einen einzelnen Namen wusste.

Die Wahrheit durfte Leo ihr auf keinen Fall verraten, doch sie anzulügen ging gegen seine Natur. Also nickte er nur vage und konnte sich, verschmitzt grinsend, einen Rätselspruch nicht verkneifen: „Ein nettes Mädchen.“ Der Hylianische Ritter hob die Karaffe, schenkte erst der Prinzessin, dann sich selbst ein. Die beiden stießen an, und Leo nahm einen Schluck.

„Ich kann Ritter Nathan wohl kaum hierher beordern“, meinte Zelda zum vorausgegangenen Gesprächsthema, bevor sie an ihrem Becher nippte.

Um nichts entgegnen zu müssen, rollte Leo das Wasser unnötig lange im Mund herum. Dass sich der vagabundierende Held als Fechtlehrer im Schloss niederlassen sollte, war oft genug Streitpunkt zwischen den beiden Rittern von Glires gewesen.

Dann jedoch überraschte ihn die Prinzessin, indem sie auf etwas ganz anderes zu sprechen kam: „In letzter Zeit soll er nicht ganz in der Verfassung gewesen sein, das Haus zu verlassen.“

„Es besteht kein Grund, Euch zu sorgen“, beschwichtigte ihr Held und schwenkte den Inhalt seines Bechers gedankenversunken herum. „Seit ich wieder da bin, geht es Onkel viel besser. Ich muss Euch danken, auch in seinem Namen, dass Ihr ihm während meiner Abwesenheit habt Hilfe zukommen lassen.“

„Selbstverständlich“, nickte die Prinzessin großmütig. „Er gab sein Leben in dem Versuch, Agahnim aufzuhalten, obwohl er im Ruhestand keinen Ritterdienst mehr zu entrichten gehabt hätte. Hyrule schuldet ihm viel …“ Sie trank noch einen kleinen Schluck. „Mein Hofarzt hat mir berichtet, dass Ritter Nathan trotz seiner Schwäche kurz davor gestanden hat, dich auf eigene Faust zu suchen“, ließ Zelda Leo wissen, und ihre Stimme wurde sanft. „Die Sorge um dich hat ihn krank gemacht.“

„Das war unnötig. Er weiß doch, dass mir nie was passiert“, knurrte der Held in verhaltenem Zorn und leerte seinen Becher in einem Zug. Daraufhin musste er husten, als er vor Hast einige Tropfen in den falschen Hals bekam.

„Du bist seine ganze Familie“, erinnerte die Prinzessin geduldig, während ihr Sitznachbar um Atem rang. „Er liebt dich und konnte es nicht ertragen, dass du wieder ohne eine Spur verschwunden warst …“ Die unterschwellige Frage, die in diesen Worten mitschwang, überhörte Leo nicht.

„Bitte fragt mich nicht, wo ich gewesen bin“, forderte er sehr direkt, während er den Becher wegstellte und sich an den Trauben bediente. „Ich habe geschworen, niemandem etwas zu verraten.“

Sie beide wussten, wenn Prinzessin Zelda ihm die ganze Wahrheit abverlangte, würde er sie ihr nicht verwehren. Doch war sie gerecht genug, ihn nicht zu einem Bruch dieses Versprechens zu nötigen. „So sei es“, gewährte sie ihrem Helden weiteres Stillschweigen. „Wobei es mich schon verwundert, dass du nicht damit prahlst. Hast du denn gar nichts geleistet?“

Der Abenteurer schluckte die Traubenbeere, auf der er gerade gekaut hatte. „Ihr macht Euch lustig über mich, Prinzessin“, kommentierte er ihre Stichelei, eine Braue überheblich hochgezogen.

Beharrlich versuchte Zelda, zumindest eine wingzige Information aus ihm herauszukitzeln: „Dennoch würde es mich brennend interessieren, in welche Welt es dich dieses Mal verschlagen hat.“

Ein halbes Grinsen legte Leos Mund schief, weil er nicht einmal lügen musste. „In keine andere. Ich bin in Hyrule geblieben.“

„Haben diese Federn etwas damit zu tun?“, wollte die Königliche weiter wissen und deutete auf die beiden weißen Hühnerfedern, die im umgekrempelten Saum der Rittermütze eingenäht waren. „Modische Zusätze wie diese hast du vorher nie getragen.“

„Scharf kombiniert, Prinzessin.“ Ein schalkhaftes Lächeln brachte Leos Miene zum Strahlen. „Es soll jeder sehen, dass sich der Held von Hyrule sogar mit tobenden Hühnern anlegt!“

Seinem royalen Gegenüber war die Skepsis deutlich anzusehen. Außer Leo hatte noch nie jemand die Muße verspürt, unschuldige Hühner zu provozieren. So kam es, dass es niemanden sonst gab, der Zeuge ihres von ihm behaupteten Zorns geworden war. „Ist das dein nächstes Vorhaben?“, wollte Zelda wissen. „Alles Federvieh Hyrules zum Kampf herausfordern?“

Der plötzliche Themenwechsel verwirrte Leo. „Prinzessin?“

„Nun, es ist offensichtlich, dass du nach deinem Besuch hier nicht planst, wieder nach Hause zurückzugehen“, erläuterte sie gelassen. „Dein Schwert magst du immer bei dir haben, doch den Hylia-Schild nimmst du nie ohne triftigen Grund mit.“

Halb über seine Schulter zum blau-bunten Schild auf seinem Rücken blickend, widersprach Leo: „Er ist Zeichen meiner Ritterlichkeit.“

„Und dein Pferd“, fuhr Zelda fort, als hätte er keinen Einwand erhoben. „Letztes Mal, als du im Sattel ins Schloss einrittest – überhaupt das letzte Mal, dass du hier gewesen bist –, hast du das Triforce aufgesucht, und es hat dich nach Holodrum entsendet.“

„Ich habe kein Interesse am Triforce …“, wehrte Leo weiterhin ab.

Ebenso unnachgiebig blieb auch die Prinzessin. „Und die Axt, die du griffbereit am Sattel befestigt hast, eignet sich wohl kaum zum Holzhacken.“

„Ihr habt erkannt, dass es eine Streitaxt ist?“ Vor Erstaunen bröckelte des Helden Widerstand nun.

„Meine Fechtlehrer mögen Schwachköpfe sein, wie du es formuliert hast, doch ich habe meine Hausaufgaben gemacht“, erwiderte Zelda mit einem Schmunzeln und nippte an ihrem Becher. Als sei etwas bitter schmeckendes in ihrem Getränk, wurde sie schlagartig ernst. „Unter welcher Rechtfertigung willst du deinen Onkel wieder alleine lassen?“

Ertappt zuckte Leo unter ihrem tadelnden, anklagenden Tonfall zusammen. „Diesmal wird ihn das nicht krank machen. Er weiß doch, dass ich gehe“, beteuerte er schnaubend und schob sich eine Traube in den Mund.

„Was nicht die Frage nach dem Wohin beantwortet.“ Zelda warf ihrem Gegenüber ein entwaffnendes Lächeln zu. „Oder hast du geschworen, auch das nicht zu verraten?“

Ohne Vorwarnung sprang Leo auf und ging ein paar Schritte vom Tisch weg, besann sich jedoch schnell auf seine ritterliche Höflichkeit und blieb stehen. Er ließ den Blick über den Innenhof, das Schloss und seine geschäftigen Bewohner schweifen; über das hiesige Alltagsleben, das zu allen Zeiten stets gleich zu sein schien. „Wenn Ihr die Wahrheit über etwas erfahren würdet, von dem Ihr bislang felsenfest überzeugt gewesen seid …“, hob der Ritter stockend an. „Was würdet Ihr dann denken?“

„Ich weiß nicht“, überlegte die Prinzessin laut, irritiert von seinem unvermittelten Stimmungswandel. „Das kommt darauf an, was es wäre, das ich erführe.“

„Angenommen, es würde sich herausstellen, dass der König doch nicht Euer Vater ist … und Ihr somit nicht die Prinzessin.“ Noch immer sah Leo sie nicht an; lediglich Hylias Wappen auf seinem Rücken war ihr zugekehrt.

So hörte er nur ehrliches Mitgefühl in Zeldas Stimme, als sie fragte: „Fürchtest du, dass du nicht mit Ritter Nathan verwandt bist?“

„Garantiert nicht!“, versetzte der Grüngewandete mit dem Brustton unerschütterlicher Überzeugung.

„Also, auch wenn ich nicht seine leibliche Tochter wäre“, begann die Prinzessin langsam und wandte sich der ursprünglichen existentiellen Frage zu, „hat er mich doch als solche erzogen und geliebt.“ Leo hörte das Lächeln in ihren Worten. „Ich würde weiterhin wertschätzen, was uns als Vater und Kind verbindet … Was er mir beigebracht hat. Die Gespräche, die wir geführt, die Dinge, über die wir gemeinsam gelacht haben … Letztendlich würde diese neue Wahrheit nichts an alledem ändern.“

Schweigend verfiel Leo ins Grübeln, wog die Bedeutung ihres letzten Satzes für seine eigene Situation ab. „Ich gehe in die Verlorenen Wälder“, ließ er die Prinzessin endlich wissen und drehte sich zu ihr um. Seine Miene zeigte einen Ausdruck tiefer Ernsthaftigkeit, den der heißblütige Held noch nie an den Tag gelegt hatte. „Ich muss zum Master-Schwert und herausfinden, warum ich es wirklich ziehen konnte.“

„Das ist doch ganz einfach“, meinte Zelda und breitete die Arme aus. „Du hast die drei Amulette eingesammelt und dich damit seiner als würdig erwiesen.“

„Aber zeigen die Amulette, dass ich mich zum Helden eigne … oder gab es ohnehin von Anfang an niemand anderen, der sie hätte beschaffen können?“

Befremdet zog die Prinzessin die Stirn kraus. „Besteht da ein Unterschied?“

„Ein großer …“ Leo wich ihrem fragenden Blick aus.

Sie schüttelte zweifelnd den Kopf. „Wie willst du das schon herausfinden? Das Master-Schwert hat keine Stimme, mit der es dir würde antworten können. Willst du es etwa ein weiteres Mal ziehen?“ Geradezu abergläubisch geschockt wirkte Zelda bei der Vorstellung, er könnte die heilige Waffe, die nur in Friedenszeiten ruhte, erwecken und damit Unglück auf Hyrule herabbeschwören.

„Das Master-Schwert hat eine Stimme“, erwiderte Leo bestimmt, „und ich werde alles tun, was nötig ist, sie dazu zu bringen, sich mit mir auseinander zu setzen.“ Betreten sah er zu Boden, ballte die Fäuste. „Ich will nicht nur ein Name in einer Kartei sein …“

„Leopold“, rief Zelda ihn eindringlich und mit aller gebührenden Sanftheit an und erhob sich von ihrem Stuhl. „So kenne ich dich gar nicht. Woher nur diese Nachdenklichkeit und Heimlichtuerei?“

Anstatt darauf einzugehen, trug Leo endlich die Bitte an sie heran, deretwegen er ins Schloss gekommen war: „Mein Onkel hat nichts dagegen, dass ich gehe. Zumindest unter einer Bedingung …“ Sich die grüne Zipfelmütze vom Kopf ziehend, sank der Ritter wie zur Begrüßung vor der verdutzten Prinzessin auf ein Knie und beugte das Haupt. „Ich soll Euch um Euren Segen für meine Reise bitten.“

„Und wenn ich ihn dir verweigere?“, stellte Zelda eine rhetorische Frage auf. „Wirst du dann bleiben?“

Leo genehmigte sich ein leichtes Grinsen, das ihr verborgen blieb. „Bei allem Respekt, Prinzessin. Für wen haltet Ihr mich?“

Seufzend an ihn herantretend, legte die Königliche ihm die Hand auf den Kopf. „Ich, Prinzessin Zelda von Hyrule, bitte die Götter, meine Worte zu erhören“, sprach sie feierlich. „Ritter Leopold von Glires, Held von Hyrule, stolzer Träger des Master-Schwerts und mein persönlicher Retter … Ich wünsche dir alles Gute auf deiner Reise. Mögest du finden, wonach du suchst.“ Damit war ihr Segen bereits fertig gegeben, doch ihre Hand ruhte noch immer auf dem kupferblonden Haarschopf des Grüngewandeten. Während Leo sich darüber noch wunderte, beugte Zelda sich zu ihm runter und küsste ihn auf den Scheitel.

Jetzt entfernte sich die Prinzessin, doch zögerte der Held noch, aufzustehen. Dieser Kuss war nicht Teil des Rituals.

Als Leo sich erhob, setzte er sich die Mütze wieder auf, hielt sie länger als nötig an ihrem vorderen Saum fest, sodass sein Gesichtsausdruck hinter seiner Hand verborgen war. Schließlich hob er den Blick, strahlend bis über beide Ohren. „Vielen Dank, Prinzessin!“

Auf das wortlose Geheiß seiner Herrin brachte der Stallbursche von zuvor Leos Pferd zurück. Der Hylianische Ritter führte es neben sich am Zügel, während ihn Zelda und die Neugier des Personals über den Palasthof zum Schlosstor begleitete. Erwartungsvoll genoss Leo den Ausblick, mit dem ihn die offene Ebene beschenkte: Ein scheinbar endloses Grasmeer, durchsetzt von verschlafenen Dörfern und kleinen Hainen, das sich in blauer, unermesslicher Ferne verlor. Ein ganzes Land voller unerkannter Abenteuer rief nach ihm, die nur darauf warteten, dass er sie entdeckte. Wozu musste er schon andere Welten bereisen, wenn Hyrule bereits alle Freiheit bot, nach der er so lange gestrebt hatte? Eine verheißungsvolle Böe kam auf, flüsterte dem Helden von den Erlebnissen, die noch vor ihm lagen. Angespannt vor Aufregung atmete Leo sie ein.

Neben ihm musterte Prinzessin Zelda ihn mit nachdenklicher Miene. „Du bist ein Mitglied des Hylianischen Ritterordens“, stellte sie ruhig fest. „Als solches ist es deine Aufgabe, in Rufweite des Schlosses zu bleiben und Aufträge deiner königlichen Herren auszuführen, anstatt in eigener Sache durchs Reich zu streifen.“

Stumm wandte Leo sich ihr zu und versuchte zu ergründen, worauf sie hinauswollte.

Unaufgefordert stellte sie klar: „Wenn ich es wünsche, von dir im Schwertkampf unterrichtet zu werden, könnte ich es dir schlichtweg befehlen – und, solltest du meiner Order zuwiderhandeln, dich des Hochverrats an der Krone anklagen.“ Sie war sich dieser Befehlsgewalt über ihn sehr wohl bewusst, das ahnte Leo schon lange. Doch zum ersten Mal kam ihm auch der Verdacht, dass sie ihm nur deswegen den Rittertitel zugesprochen hatte, um ihn durch seine Königstreue an sich zu binden. Noch hatte sich die Prinzessin dieser Macht nicht bedient, aber wahrscheinlich war das nur eine Frage der Zeit.

Flehentlich verzog Leo die Augenbrauen, und sein Blick wanderte in die Ferne. „Wenn ich hierbliebe … Wenn ich meine Wanderslust aufgäbe, was würde mich dann noch einzigartig machen unter denen, die so sind wie ich?“ Gedankenverloren tätschelte er den Hals seines Schlachtrosses.

Offensichtlich ergab diese kryptische Aussage für die Prinzessin keinen Sinn. Dennoch behauptete sie: „Wahrscheinlich mehr, als du ahnst.“ Sie sah zu Alvio, der die Hylianer von seinem Platz auf dem Hengst aus mit großen Knopfaugen beobachtete. Mittlerweile hatte er Leos Grashalm zur Gänze verspeist. „Ich frage mich, ob die Tiergestalt, in die die Schattenwelt einen Menschen verwandelt, sich ändern kann.“

In die Gegenwart zurückkehrend, stieß Leo amüsiert Luft durch die Nase. „Warum solltet Ihr Euch über so etwas den Kopf zerbrechen?“

„Ich habe das Gefühl, wenn du es nun betretest, würdest du zu etwas anderem als einem Hasen“, mutmaßte Zelda.

„Das wäre aber sehr unvorteilhaft“, lachte der Held fröhlich auf. „Gerade jetzt, da ich mich endlich damit abgefunden habe!“ Seine Hand, die auf dem Hals des Pferdes lag, wanderte hinüber zu Alvio und streichelte beiläufig über den braun gefleckten Kopf.

Als Leo wieder die Prinzessin ansah, begegnete er ihrem ihn abschätzenden Blick. Ohne klaren Zusammenhang vertraute sie ihm an: „Ich beneide dich.“

Bevor er es sich überhaupt richtig überlegt hatte, platzte er vergnügt: „Kommt doch mit mir!“ Schon stutzte er über seine eigene unpassende Direktheit – und dass er es wirklich ernst gemeint hatte.

„Es ist nicht deine Freiheit, um die ich dich beneide.“ Nachsichtig schüttelte Zelda den Kopf. „Sondern um deine bemerkenswerte Fähigkeit, aus allem, das dir widerfährt, sei es nun gut oder schlecht, gestärkt hervorzugehen.“

Schwermütig lächelte Leo. „Verzeiht, aber ich muss Euch enttäuschen, Prinzessin. Das können wohl nur wir Helden.“

„Wir?“, wiederholte Zelda irritiert, doch Leo ging nicht weiter darauf ein.

Stattdessen verneigte er sich ein letztes Mal vor ihr mit den knappen Worten: „Auf ein Wiedersehen, Prinzessin.“ Bevor sie so richtig auf den Abschied ihres Ritters reagieren und möglicherweise noch auf die Idee kommen konnte, ihren Segen zu widerrufen, wandte er sich hastig von ihr ab. Sodann stemmte er einen Fuß in den Steigbügel, schwang sich behände in den Sattel, gab seinem Ross die Sporen und ritt endlich davon. Es war allerhöchste Zeit.

- „Wie von einer Sekunde zur nächsten zum Wandgemälde erstarrt, stutzte Leo.“ – Eine Anspielung auf A Link between Worlds

Die beiden folgenden Epiloge gedenke ich, wie die Prologe in einem Abstand von einer statt zwei Wochen zu posten. Nur ne Info für jene, die es kümmern mag ^^°

Das durch die Äonen hallende Echo verklang allmählich. Die miteinander verbundenen Zeiten drifteten auseinander, bis schließlich jede wieder ihrem eigenen Fluss folgte.

Für eine Weile stand Prinzessin Zelda einfach nur da, barg die Okarina der Zeit in den Händen. Ihre drei Berufenen nun wirklich zurückgesandt zu haben, ging dem Bewusstsein, das sich ihres Körpers bemächtigt hatte, näher, als dieses es erwartet hätte. Auf die eine oder andere Weise würden ihrer beider Seelen immer miteinander verwoben sein, egal, in welchem Leben sie aufeinandertrafen.

Auf ihrem allmorgendlichen Weg ihrem Zenit entgegen, erreichte die Sonne die hohen Fenster der Zitadelle. Helle Streifen glutroten Lichts kreuzten die Teppichbahn, die längs durch das Kirchenschiff verlief. Alle bildeten ein verzerrtes Abbild der Durchlässe, durch die sie fielen; nur der eine, der vor der Prinzessin lag, wurde von einem Schatten durchbrochen. Ein Vogel, groß wie ein Mensch, breitete die Schwingen aus und glitt nahezu lautlos in den hinteren Bereich der Zitadelle. Einige Federn lösten sich aus dem goldbraunen Gefieder, als das Tier seinen Flug verlangsamte. Einst scharfe, nun vom Alter abgestumpfte Krallen kratzten über den Marmor, als der Vogel auf der erhobenen Plattform hinter dem Altar landete, über welchem noch immer die drei Heiligen Steine schwebten.

„Falls Ihr die Helden sprechen wolltet, habt Ihr sie verpasst, Rauru. Sie sind wieder in ihren Zeiten“, ließ Zelda den Neuankömmling wissen und wandte sich ihm zu.

Die ungewöhnlich große Eule faltete soeben die Schwingen an den Körper und gab einen ihrer Art eigenen Laut von sich, der fast schon resignierend klang. „Nun, das habe ich durchaus gesehen“, sagte der Vogel mit menschlicher, greisenhafter Stimme, unter der ein tiefes, animalisches Gurren mitschwang. „Jedoch war es, wenngleich nicht mein Wunsch, so nicht meine Absic ht, ihnen vorstellig zu werden. Dies hätte nur unnötige Verwirrung aufgeworfen darüber, wer ich bin und welches Interesse ich an ihrer Person hege.“ Mürrisch plusterte Rauru das dichte Eulengefieder auf. „Seit die Göttinnen mich zum Weisen ernannten, träumte ich davon, einst Mentor ihres auserwählten Helden zu sein. Stattdessen wurde ebendieser Held, dem ich einen Schild mit meinem Wappen verlieh, zum Mörder an meinen Geschwistern im Geiste. Welch Schmach, die Schöpferinnen enttäuscht zu haben und mit der ich nun zu leben habe …“

„Macht Ihr Euch für das verantwortlich, was geschehen ist?“, wollte Prinzessin Zelda wissen.

Mit dumpfem, nachdenklichem Summton legte Rauru in eulenhafter Manier den Kopf schief und musterte sein royales Gegenüber abschätzend. „Vermutlich nicht mehr als Ihr.“

„Immerhin habt Ihr dazu beigetragen, dass Link gefasst wurde“, versuchte Zelda, seinen Frust zu beschwichtigen. „Und das, indem Ihr anderen Helden geholfen habt.“

Der geheimnisvolle Vogel, der Leo und Virri in der Nacht des letzten Gefechts zu Balaen und Link geführt hatte, war nämlich Rauru gewesen. Ohne den Weisen hätten die beiden nicht rechtzeitig ins Kampfgeschehen eingreifen können, um den Ritter aus den Wolken zu retten. Mehr noch, hatte Rauru die Prinzessin zuverlässig über den Aufenthaltsort ihrer Berufenen in Kenntnis setzen können, als der Aufruhr im Schloss über den symbolischen Ausbruch der drei am größten gewesen war.

„Letztlich muss auch ich selbst Euch danken“, ergänzte die Prinzessin.

Der Eulenkopf ruckte in vogelartiger Geste vor. „Ich muss schon sagen, als Ihr mir die Bitte vorgetragen habt, Euch zu ihnen auf die Ebene zu fliegen, fühlte ich mich zunächst in meinem Stolz verletzt.“ Rauru schüttelte sich, als wolle er sein Gefieder von Staub befreien. „Aber Ihr habt insofern Recht behalten, als dass Ihr als Einzige Link noch hattet Einhalt gebieten können. Zu Eurem Erfolg beigetragen zu haben war meine Pflicht als Weiser.“

In Anerkennung an seine Unterstützung nickte Zelda dankbar. Ihr Blick fiel auf die Wand im Rücken der Eule und auf das, was dahinter lag. „Wie steht es um das Siegel?“, wollte sie wissen.

Bevor Rauru antwortete, sah er sie mit den dunklen Augen eines Raubvogels an, als suche er etwas in den ihren. „Die verbliebenen beiden Säulen stehen unerschütterlich fest.“ Sein Gefieder legte sich flach an, sodass die keilförmig zueinander stehenden Federn über seinen Augen wie Antilopenhörner von seinem Kopf aufragten. „Ein jedes Mal, wenn Link einen Weisen tötete und eine der Säulen brach, vermochte ich Ganondorfs Stimme zu hören. Ein jedes Mal lauter werdend … Er verspottet seinen Kerker als morscher werdenden Holzkäfig und versteht sich selbst als wütenden Keiler, der ihn bald durchbrechen wird.“ Eindringlich sah der Weise die Prinzessin an. „Sein Einfluss auf das Heilige Reich wächst mit jedem Augenblick, der verstreicht. Er hat es in ein Ödland der Finsternis verwandelt, ein Reich der Schatten … Der Tempel des Lichts ist der letzte Ort, der ihm noch standhält.“

Beunruhig umschloss Zelda die Okarina der Zeit fester mit den Händen.

Diese Reaktion entging Rauru nicht. „Ich ahne, was Ihr denkt, doch ich bezweifle, dass dies mit Links Morden an den Weisen zusammenhängt. Die Schwächung des Siegels hat nicht Ganondorfs Erstarken zur Folge – es ist vielmehr das Einzige, das ihn noch davon abhält, Hyrule heimzusuchen mit seiner unvermeidlich wiederkehrenden Macht. So groß diese auch werden mag und so geschwächt das Siegel auch ist, es verankert ihn unerschütterlich im Heiligen Reich.“

Ernst ergänzte Zelda: „Zumindest, solange Naboru und Ihr noch lebt und Eure Säulen stehenbleiben.“

Beschämt nickte die Eule. Ganondorfs Spott an diesem unzureichenden Gefängnis war nur allzu berechtigt.

„Rauru“, sprach die Prinzessin, und der weise alte Vogel hob wieder den Kopf. „Die Tore ins Heilige Reich müssen geschlossen werden, bevor er sich aus dem Siegel befreien kann. Sowohl der Schattenspiegel in der Wüste, als auch das Portal hier in der Zitadelle …“ Mit einer Handgeste wies sie auf die Rückwand und die dahinter verborgene Geheimkammer.

„Ist das ein Befehl?“, erkundigte sich Rauru unerwartet.

Entschlossen bestätigte Zelda: „So ist es! Ich fordere eine vollkommene Abkapselung des Heiligen Reiches von Hyrule!“

Eigentlich hatte sie angenommen, ihr Gegenüber, das seit vielen Jahrzehnten im Heiligen Reich im Tempel des Lichts lebte, würde sich einer solchen Anweisung verweigern. Doch zu ihrem Überraschen gründete Raurus Widerwillen aus etwas ganz anderem, das er nun vortrug: „Was berechtigt Euch, mir Befehle zu erteilen?“

Verwirrt von seinen Worten wusste die Regentin zuerst nicht, was sie erwidern sollte. Erst, nachdem sie unbehaglich geschluckt hatte, schaffte sie es, zu sagen: „Ich bin Prinzessin Zelda!“

„Selbst wenn Ihr den Rang einer Herrscherin innehaben solltet, so hat seine weltliche Natur für einen Weisen keine Bedeutung“, stellte der alte Vogel gelassen fest.

„Auch ich bin eine Weise“, führte Zelda nun ihr spirituelles Amt an. „Die Weise der Zeit. Damit stehe ich in unserer Gemeinschaft über Euch!“

„Das behauptet Ihr …“ Wiegenden Schrittes trottete Rauru zum Rande der Plattform an die Treppe heran. Kurzzeitig mit den Flügeln schlagend, sprang er halb, halb flog er über sämtliche Stufen. Das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, beobachtete ihn entgeistert dabei und erzitterte innerlich. Während der Weise in Eulengestalt gemächlich auf sie zukam, fuhr er fort: „Die ganze Zeit schon sprecht Ihr mich mit Rauru an. Dabei begeht Ihr einen ganz entscheidenden Fehler. Nämlich jenen, davon auszugehen, dass Prinzessin Zelda – die wahre Prinzessin Zelda – mich bei diesem Namen ruft. Tatsächlich aber kennt sie mich in dieser Form als die Eule Methusa – Rauru, der Weise des Lichts, ist für sie eine andere Person.“

Seine folgenden Worte muteten fast schon entgegenkommend an. „Versteht mich nicht falsch. Ich erkenne Euren Einsatz darin, Link zu fassen, an, doch bin ich nicht gewillt, noch länger Eure Scharade mitzuspielen. Woher also auch immer Ihr meine wahre Identität kennt, verlange ich nun zu erfahren, wer Ihr wirklich seid …“ Der Raubvogel hatte seine Gesprächspartnerin nun erreicht und baute sich so vor ihr auf, dass ihr die Sicht zum Altar mit den Heiligen Steinen verwehrt wurde. Das einfallende Sonnenlicht brachte sein goldbraunes Eulengefieder eindrucksvoll zum Strahlen. Derart dramatisch auftretend beendete Rauru drohend seinen Satz: „… und was mit der echten Prinzessin geschehen ist!“

Das fremde Bewusstsein im Leib der Königstochter widerstand dem Drang, zurückzuweichen. Es erschrak sie zutiefst, welche Wendung diese Unterhaltung genommen hatte.

„Prinzessin?“

Unwillkürlich fuhr die Angesprochene zusammen, war im nächsten Atemzug aber dankbar für die Ablenkung. Etwas zu hastig wirbelte sie zum Eingang herum, von dem aus Hendrik sie angerufen hatte. Ihr Leibgardist stand im Torbogen und wurde erst jetzt des mannsgroßen Vogels in Gesellschaft seiner Herrin gewahr. Wie viele Hylianer kannte er den Mythos Methusas, der weisen Eule, die stets mit dem richtigen Rat jenen erscheinen sollte, die sich verloren fühlten. Doch gab es nur wenige, die ihn auch leibhaftig zu Gesicht bekommen hatten.

Vor neugierigem Erstaunen brauchte Hendrik einige Sekunden, bevor er auf den Gedanken kam, sich wie gewohnt und gesellschaftlich von ihm erwartet zu verbeugen. „Verzeiht die Störung, Prinzessin.“ Ihm zu vergeben erachtete die Regentin als unnötig. Sicher, in den letzten Wochen war es auffällig oft vorgekommen, dass entgegen ihres ausdrücklichen Befehls ihre streng vertraulichen Audienzen unterbrochen worden waren. Doch war dies die erste dieser Gegebenheiten, in der das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, erleichtert war, einen Moment des Nachdenkens gewährt zu bekommen.

„Nun, die Störung ist bereits geschehen“, mimte sie nichtsdestotrotz die eingeschnappte Gebieterin. „Worum geht es?“

Verunsichert richtete sich Hendrik wieder auf. „Ein Herr …“ Kurz stockte er, weil ihm auffiel, dass er ihr keinen Namen zu nennen vermochte. „Ein Fremder wünscht, eingelassen zu werden … Wir haben ihm angeraten, zu warten, bis Ihr die Zitadelle verlasst. Aber er besteht darauf, einen Termin mit Euch vereinbart zu haben.“

Die anfängliche Erleichterung Zeldas verflog sofort, als sie die einschmeichelnd freundliche Stimme erkannte, die von Richtung Eingang dazwischenfunkte: „Ich habe dir bereits gesagt, dass die Prinzessin dir dies bestätigen wird.“ Verwundert drehte sich Hendrik herum, als der Sprecher an ihm vorbeitrat. Der fahrende Händler war wesentlich kleiner und ging gebeugter als der geharnischte Soldat, doch der prall gefüllte Rucksack reichte auf Hendriks Augenhöhe.

„Stehen bleiben!“, platzte der Gardist entsetzt und packte den Eindringling grob beim Oberarm. Vorwurfsvollen Blickes wandte sich Hendrik an seinen Kollegen, der vor dem Torbogen eigentlich dafür hatte Sorge tragen sollen, dass der penetrante Bittsteller nicht hereinkam. Der Regentin zweiter Leibwächter hob nur ratlos die Schultern. Auch er konnte sich nicht erklären, wie der Träger mit seiner erdrückenden Warenlast unbemerkt an ihm vorbeigeschlüpft war.

„Oh, wie lobenswert pflichtbewusst!“, frohlockte der Händler heiter und bedachte Hendrik mit breitem, zähnestarrendem Grinsen. „Deine Prinzessin könnte sich wahrlich glücklich schätzen, sähe sie dich nun, wie du so gewissenhaft jede Gefahr von ihr fernhalten willst.“

Deutlich war Hendrik anzusehen, dass er nicht recht wusste, was er von diesem scheinbaren Lob, gespickt mit rätselhaften Worten, halten sollte. Dennoch ließ er sich nicht von dem Fremden besäuseln und hielt ihn weiterhin unnachgiebig fest.

„Hendrik, lass ihn los“, seufzte Prinzessin Zelda und machte eine auffordernde Handgeste. „Du kannst gehen. Danke.“

Für einen Moment schien es, als wolle der Leibwächter sich dieser direkten Order widersetzen aus dem unbedingten Pflichtgefühl heraus, seine Herrin zu beschützen. Dann plötzlich gab er seinen Gefangenen frei, verneigte sich mechanisch und presste erzwungen hervor: „Sehr wohl, Prinzessin.“ Kaum, dass er ihren Titel ausgesprochen hatte, stapfte er auch schon missmutig aus der Zitadelle. Draußen angekommen, bezog er wieder mit dem Rücken zur Wand Posten gleich neben dem Torbogen, ebenso wie sein Kamerad auf der anderen Seite, sodass beide keine Einsicht ins Innere der Sakralbaute hatten.

Anders als Hendrik wirkte der Händler nicht überrascht beim Anblick von Methusa. Dennoch blieb die Anwesenheit des Vogels von ihm nicht vollkommen unkommentiert: „Wie es scheint, tendieren die Eulen in dieser Welt eher dazu, von mysteriösen Personen angezogen zu werden, als selbst welche zu sein.“

Der Weise in Tiergestalt legte den Kopf schief, versuchte mit seinen dunklen Augen die Maske des freundlichen Verkäufers zu durchschauen, die sich der Fremde aufgesetzt hatte.

Dieser war über die Teppichbahn nur bis an die Steinplattform in der Mitte des Kirchenschiffs herangetreten, setzte jedoch keinen Fuß darauf. Nach seinem der Eule gewidmeten Einstieg ignorierte er sie desweiteren, wandte sich ganz der Prinzessin zu. „Nun“, begann er mit unverändertem Lächeln eines zuvorkommenden Geschäftsmanns. „Es ist der Morgen des vierten Tages, seit wir unser Abkommen geschlossen haben. Alle meine Vorkehrungen für eine Weiterreise sind getroffen, und ich will nicht länger säumen. Ich habe eine wichtige Lieferung ins ferne westliche Hyrule zu tätigen.“ Die erste Silbe des Wortes westlich betonte er auf ungewöhnliche Weise, als habe es eine weitere, suggestive Bedeutung.

Die Prinzessin beschlich der unerklärliche Verdacht, ihr Gegenüber tue dies mit der Absicht, sie zu verwirren. Noch bevor sie so recht darüber nachsinnen konnte, wanderte ihr Blick zu dem Ausstellungsobjekt hoch, das über dem Kopf des Verkäufers am Rucksack befestigt war. In den vergangenen Tagen war Zelda die herzförmige Maske mit den Stacheln und den großen runden Augen völlig entfallen. Jetzt aber fiel ihr siedend heiß das Gefühl mentaler Bedrängnis wieder ein, in derselben Sekunde, wie es sie nun erneut heimsuchte. Sich dagegen wappnend beschloss sie, der Maske keine weitere Beachtung zu schenken und ihr damit jede Macht über sich zu nehmen. Und tatsächlich schien sich der Schleier auf ihrem Geist zu legen, als sie dem fahrenden Händler wieder in das strahlende Gesicht sah und nicht weiter über dieses bestimmte Exponat nachdachte.

„Sicher willst auch du aufbrechen“, mutmaßte der Mann soeben. Als stünde seine Gesprächspartnerin genau vor ihm und sei nicht durch die Steinplatte und einige Schritte Teppichbahn von ihm getrennt, streckte er die Hand nach ihr aus. „Es ist nun an dir, deinen Teil unseres Tauschhandels einzulösen. Gib mir die Maske, die deinem umnachteten Helden vom Gesicht gefallen ist.“

„Das ist nicht möglich“, erwiderte Zelda bestimmt. „Das Gesicht der grimmigen Gottheit wurde während eines Kampfes zerstört.“ Über den endgültigen Verlust von Links mächtigstem Besitztum empfand sie ein gewisses Bedauern, würde sie es nun nicht mehr genauer untersuchen und mehr darüber erfahren können. Anfänglich war sie wie das Heldentrio der Ansicht gewesen, diese Verwandlung sei ein Dämon von zutiefst bösem Wesen gewesen. Nach allem, was ihr die Okarina der Zeit zu Links Vergangenheit gezeigt hatte, war sie dann vom Gegenteil ausgegangen. Schließlich jedoch hatte der von Virri abgeschossene Lichtpfeil den Geist der Maske neutralisiert – was doch nur bei dunklen Mächten möglich war. Durch diesen Widerspruch stellte die grimmige Gottheit ein Mysterium dar, das Zelda zu ihrem Leidwesen nie würde lösen können.

„An diesem hässlichen Ding habe ich nicht das geringste Interesse!“, empörte sich nun der anspruchsvolle Maskenfachmann, ohne es an fröhlicher Höflichkeit mangeln zu lassen. „Meinetwegen darf sein Finder es behalten.“ In geduldig belehrendem Tonfall erklärte er: „Nein, du hast ein viel schöneres Objekt erschaffen, als du und die beiden Jungen jenes Lied spielten, das ich dir beigebracht habe. Und eben dieses Objekt ist es, das ich als Gegenleistung erwarte.“

Entgegen seiner Aufforderung bewegte sich Zelda nicht von der Stelle. Woher wusste der Händler davon, dass Leo und Virri in ihr Flötenspiel eingestiegen waren? Außer den vier Helden, ihr selbst und Rauru hatte sich niemand auf der Ebene befunden oder auch nur gewusst, wo sie sich aufhielten. Trotzig gab sie zurück: „Dieses Lied … Ich wusste nicht, was es bewirken würde.“

Der Maskenverkäufer stutzte, verbarg seine wahren Gefühle jedoch meisterlich hinter seiner immerwährend strahlenden Miene. „Aber das habe ich dir doch gesagt.“

Brüskiert widersprach die Regentin: „Du hast nie erwähnt, dass es ihn töten würde!“

Ihr Gegenüber kicherte kurz wie über das Unverständnis eines Kleinkindes. „Doch nicht töten“, korrigierte er aalglatt. „Befreien.“

Ohne Vorwarnung sprangen Zelda brennende Tränen der Trauer und Wut in die Augen. „Link ist tot!“, brauste sie auf, ihre Kehle wie zugeschnürt. Schon als der rätselhafte Fremde sie das Lied der Befreiung gelehrt hatte, war es ihr aus Links Erinnerungen an Termina bekannt vorgekommen. Sie hatte gewusst, dass es seelisches Leid in Masken zu sperren imstande war, jedoch nur bei ruhelosen Geistern unlängst Verstorbener. Als sie, Leo und Virri dann auf der Ebene jene Melodie gespielt hatten, hatte dies durchaus Links Seele freigesetzt, wie sie erwartet hatte. Doch war dadurch auch sein Leib auf magische Weise zum Verschwinden gebracht worden, obwohl er noch am Leben gewesen war. Ob der stoffliche Leichnam ihres Helden nun vor ihr lag oder schlichtweg nicht mehr existierte, darin unterschied die Prinzessin nicht.

„Du hast nicht nach der vordergründigen Wirkung dieses Liedes gefragt“, erinnerte der Maskenverkäufer bereitwillig. „Die zudem nicht Teil unseres Abkommens war. Du wolltest lediglich ein Mittel, deinen Liebsten von sich selbst zu befreien – und ich weiß ebenso wie du, dass es genau so funktioniert hat, wie es sollte.“ Die schmalen, zu freundlichen Schlitzen verengten Augen öffneten sich einen Spalt, blitzten die Königliche mit kaufmännischem Interesse an. „Du trägst ihn bei dir. Neben deinem Herzen.“

Bei dem fast schon gierigen Blick, der nicht ihr selbst galt, überlief Prinzessin Zelda ein eisiger Schauer. Sie wünschte sich, sie hätte gleich nach der Nacht, in der Link und ihre Berufenen das letzte Mal aufeinander getroffen waren, Soldaten in Hyrule-Stadt nach dem dubiosen Händler forschen lassen. Um ihn zu beschatten und eventuell sogar festzunehmen. Dafür, dass er sich als – mehr oder weniger – gewöhnlicher, durchs Land wandernder Verkäufer ausgab, wusste er gefährlich viel über das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, und warum es hier war. Doch leider stimmte es unbestreitbar, dass er ihr mit Link geholfen hatte, sie ihm somit eine Gefälligkeit schuldig war. Dennoch hätte sie ihm das, was er von ihr verlangte, nicht einmal überlassen, wenn dieser Gegenstand keinen Nutzen für sie hätte. Er sollte sich damit zufrieden geben, dass sie die ihn umrankenden Geheimnisse nicht weiter zu ergründen suchte.

Hoheitsvoll verkündete Zelda: „Unser Tauschhandel ist abgeschlossen.“

„Was?“ Die starren Augen des Maskenverkäufers weiteten sich noch mehr, seine Stimme bebte vor Fassungslosigkeit. „Die Bedignungen, auf die wir uns geeinigt haben, sind noch nicht erfüllt! Das ist gegen geltendes Handelsgesetz!“

„Ich bin die Herrscherin von Hyrule!“, hielt die Prinzessin dagegen. „Ich stehe über jedem Gesetz. Ich klage dich des Bruches unserer Abmachung an und verfüge ihre Annullierung.“

Plötzlich änderte sich etwas in dem Gesichtsausdruck des Mannes: Er riss die Augen nun weit auf, und aus dem einstmals so gutmütigen Grinsen wurde eine Grimasse des Zorns. Sich mit den Händen an den rotbeschopften Kopf fassend, schüttelte er sich aufgebracht, dass die Exponate an seinem Rucksack nur so aneinanderklopften. „Wie kannst du mir das antun?!“, brüllte er schrill und wutschäumend. „Seit Jahren spekuliere ich auf diese Maske! Nirgendwo werde ich je wieder so eine wertvolle aufspüren!“

Diese Vorhersage konnte Zelda nur zu gut nachvollziehen, und eben deswegen widersetzte sie sich weiterhin unbarmherzig seinen Forderungen. „Scher dich fort, sonst lasse ich dich von meinen Leibwächtern entfernen!“

Mit einem Mal hielt der Tobende inne. Finstren Blickes blinzelte er hinter sich, wo die beiden Leibwächter bei seinem Ausbruch die Zitadelle gestürmt hatten. Jetzt aber, da sie sahen, dass sich ihre Herrin nicht in unmittelbarer Gefahr befand, blieben sie unschlüssig am Eingang stehen. Die Speere angriffbereit erhoben, warteten sie auf eine falsche Regung des Fremden oder ein Zeichen der Prinzessin.

Der Händler nahm keine weitere Notiz von ihnen. Für einen Augenblick schien es, als lege er sich Worte zurecht, die er seinem Gegenüber ungehalten an den Kopf zu schmettern gedachte. Dann, ebenso unvermittelt, wie sein Wutausbruch begonnen hatte, klang er auch wieder ab. Mit demselben alten, schmierigen Lächeln nickte der Händler so eifrig, dass er sich mitsamt seiner Last mehrfach entschuldigend vor der Prinzessin verbeugte. „Gewiss, gewiss! Wer bin ich schon, gegen die Willkür royalen Blutes aufzubegehren.“ Als er sich nun wieder aufrichtete, sprach er weiter in oberflächlich gönnerhaftem, aber unzweifelhaft drohendem Unterton: „Dann behalte das, von dem du glaubst, es werde dir deinen Liebsten zurückbringen, Nomadenprinzessin. Werde damit … glücklich.“ Ohne noch etwas zu sagen, ja Zelda auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte er sich um und schlurfte davon.

Der Prinzessin in Ungnade zugekniffene Augen folgten dem vom Gewicht seiner Ware scheinbar nicht beeinträchtigten Maskenhändler. Als er bei den Soldaten ankam, blieben deren Speerspitzen unverändert auf ihn gerichtet. Sowie er außer Sichtweite war, wandten sich Zeldas Leibwächter ihr zu, die Stabwaffen wieder in neutraler Position neben sich haltend. „Ist alles in Ordnung, Prinzessin?“, erkundigte sich Hendrik pflichtbewusst.

„Ja, vielen Dank“, erwiderte die Gefragte sogleich, und eine eigentümliche Ergriffenheit befiel sie. „Vielen Dank für alles …“

Die beiden Geharnischten tauschten befremdete Blicke, verneigten sich anschließend vor ihr und verließen auf ihren suggestiven Befehl hin die Zitadelle.

Auch ihnen ein letztes Mal nachblickend, spürte Zelda, wie sich ihre Anspannung löste – jedoch nur geringfügig. Nun mochte sie den unheimlichen Geschäftsmann endlich losgeworden sein, doch hatte dessen Besuch nur ein anderes unliebsames Gespräch pausiert. Jetzt war sie dazu gezwungen, dieses weiterzuführen, ob es ihr recht war oder nicht.

Also wandte sie sich wieder Rauru zu, der geduldig dem Ende der Verhandlungen geharrt hatte. In der Zwischenzeit war die Sonne weitergewandert, sodass sein Gefieder nun nicht mehr direkt von ihr beschienen wurde. Noch dazu wirkte die Eule nicht mehr so beeindruckend groß, was daran lag, dass sie ein wenig in sich zusammengesunken auf dem Teppich saß. Der Vogel hatte die Augen geschlossen, als schliefe er.

„Offenbar bin ich nicht der Einzige, der Euer Schauspiel durchschaut hat“, stellte eine Stimme fest, die aus weiter Ferne außerhalb der Zitadelle hallte und gleichzeitig aus ihrem Fundament, ihren Wänden und Säulen erklang, als spräche das Mauerwerk selbst. Was auch nicht verwunderlich war, schließlich handelte es sich bei dem Redner um einen derjenigen, die den weißen Baustein vor etlichen Jahren aus dem Heiligen Reich herbeigeschafft und damit das Sakralgebäude errichtet hatten.

Zelda drehte sich wieder zum Eingang um, sah sich unvermittelt einer Gestalt gegenüber, die ganz aus Äther zu bestehen schien. Wie ein Gespenst schwebte sie über der Steinplatte, genau über dem Mittelpunkt des darauf abgebildeten Triforce. Das andere Symbol – drei Kreise und drei Dreiecke, im Rund umeinander angeordnet – schimmerte gelblich, und Licht stieg von ihm auf wie hauchfeiner Staub. Die Erscheinung war die eines beleibten Hylianers, dessen schütteres Haar und ergrauter Bart auf ein fortgeschrittenes Alter schließen ließen – das er in Wirklichkeit sogar um etliche Lebensspannen überschritten hatte. Wie alles an ihm war auch seine bodenlange Robe leicht durchsichtig, dennoch war ihre orangegelbe Farbe gut zu erkennen. Rauru, der Weise des Lichts, dessen Symbol eben jenes war, über dem er nun in menschlicher Gestalt erschienen war.

Das Heilige Reich hatte Link in einen Wolf verwandelt, und in einer anderen Zukunft war Leo in der Schattenwelt zum Hasen geworden. Ganz ähnlich hatte Hyrules Parallelwelt Rauru die Gestalt einer Eule verliehen. Während der eine Held seine Tierform zu verdrängen gelernt hatte, der andere hingegen die seine nach Belieben anzunehmen, hatte der Weise eine noch höhere Stufe der Beherrschung erreicht: Getrennt von seinem menschlichen Körper, der sich im Heiligen Reich befand, konnte er Methusa sogar noch aus der anderen Dimension kontrollieren.

An das eben Gesagte knüpfte Rauru nun an: „Aber eine Bestätigung Dritter habe ich nicht bedurft. Ihr höchstpersönlich habt mir den endgültigen Beweis geliefert.“ Auf Zeldas verwunderten Blick erläuterte er: „Natürlich weiß die Prinzessin von meinen beiden Gestalten. Ich habe sie in dieses Geheimnis eingeweiht, als ihre Kräfte als Weise erwachten.“

Die junge Frau, die nicht die war, für die sie sich ausgab, riss die Augen schockiert auf – nur um sie dann schicksalsergeben zu schließen und ein leises, bitteres Kichern hören zu lassen.

„Ihr findet das amüsant?“, fragte Rauru einigermaßen brüskiert.

„Nein“, erwiderte die Prinzessin gefasst. „Es ist nur erstaunlich, wie es Euch, dem Weisen des Lichts, gelungen ist, mich hinters Licht zu führen.“ Seufzend gestand sie sich ein, dass es keinen Wert mehr hatte, noch etwas abzustreiten. „Wenn ich Euch also doch richtig angesprochen habe, was hat mich dann verraten?“

Obwohl jetzt von menschlichem Aussehen, wog die Lichterscheinung geradezu vogelhaft den Kopf. „Ihr habt es kommentarlos hingenommen, als ich vorhin sagte, ich habe Link seinen Heroenschild überreicht. Die Prinzessin Zelda, die ich kenne, hätte mich zwischen Empörung und Belustigung korrigiert. Dass ich den Schild eigentlich ihr gegeben habe. Zu dem Zeitpunkt, als sie ihn Link in meinem Namen schenkte, beriet ich mich mit dem König und meinen Brüdern, wie gegen Ganondorf zu verfahren sei.“

„Das erklärt nicht, warum Ihr diese Finte mit dem Schild überhaupt gegen mich gespielt hab“, widersprach die falsche Prinzessin. „Ihr müsst schon zuvor zumindest einen Verdacht gehabt haben.“

Mit bedächtigem Nicken bestätigte Rauru: „Gewiss. Bereits vor einem Monat – nach dem Tode Impas, um es zu präzisieren –, wollte ich Euch diesbezüglich sprechen. Jedoch machte es mich misstrauisch, wie mühelos Ihr die drei Helden aus ihren Zeiten herbeigerufen habt. Prinzessin Zelda ist nicht einmal drei Jahre die Weise der Zeit. Ihre einzige spirituelle Tat bestand in der Versiegelung Ganondorfs mit uns übrigen Weisen. Seitdem hat sie sich eher ihren weltlichen Aufgaben als Regentin gewidmet, die sie vollkommen einnahmen, da ihr Vater nur wenige Monate vor der Versiegelung verstarb. Ihre Fähigkeiten als Weise sind nicht ausreichend entwickelt für eine solch aufwändige Beschwörung, wie Ihr sie vollbrachtet …“ Grüblerisch schloss er die Augen. „Daher traf ich die Entscheidung, Euch und die Situation, die ihr geschaffen hattet, nur zu observieren.“

Der vorausgegangene Anflug von Belustigung hatte sich längst schon verflüchtigt, als Zelda die Augen zukniff. „Ihr habt die drei beobachtet.“

„So ist es.“ Die goldene Feder, die Virri auf dem Todesberg gefunden, das schwerfällige Flügelschlagen, das Leo in den Verlorenen Wäldern gehört, und der vogelhafte Schattenriss, den Balaen auf der Ebene von Hyrule gesehen hatte – dies alles war Rauru gewesen.

„Dann wusstet Ihr von Links Dämonenmaske“, sponn die Prinzessin weiter. „Warum habt Ihr mir nichts gesagt, als ich nach Informationen darüber gesucht habe?“ Ihre Stimme hob sich zu unverdientem Vorwurf. „Mehr noch, Ihr hättet Salia vor Link warnen können!“

„Lenkt nicht vom Thema ab, indem Ihr diese Schuld auf mich schiebt!“, rief Rauru mit unerwartet lauter Donnerstimme, die seine Selbstvorwürfe für den Tod der Weisen des Waldes deutlich machte. „Nie hätte ich geahnt, mit welch unlauterer Intention Link ins Dorf der Kokiri einzog, sonst hätte ich Salia persönlich an einen sicheren Ort gebracht!“ Die Aura goldenen Lichts, die ihn umgab, wurde unter seiner gerechten Wut stetig heller. „Und mit Euch wollte ich mich nicht in Verbindung setzen, weil ich eine Intrige gegen die wahre Prinzessin fürchten musste.“ Das Strahlen wurde weißer und gleißender, wie die Sommersonne dazu angetan, jedem, der zu lange in es zu blicken wagte, das Augenlicht zu nehmen. Doch anders als jeder normale Mensch wurde Raurus Gegenüber nicht geblendet, ja blinzelte nicht einmal. „Wer seid Ihr?“, fragte Rauru zum wiederholten Male mit drohend grollender Stimme.

„Das sagte ich bereits“, erwiderte das fremde Bewusstsein standhaft. „Prinzessin Zelda.“ Mehr verriet sie nicht, überließ es Rauru, alle weiteren Schlussfolgerungen selbst daraus zu ziehen.

Dessen grellgoldene Lichtaura ebbte wieder auf ihr voriges Maß ab, äquivalent zum sich beruhigenden Zorn der geisterhaften Erscheinung. „Jetzt verstehe ich.“ Andächtig nickte Rauru und setzte scheinbar zusammenhangslos zu erzählen an: „Vor sieben Jahren besuchte ein Knabe das Schloss und verlangte, mit Prinzessin Zelda zu sprechen, die wie er damals nur ein Kind war. Er behauptete, aus einer Zukunft zu kommen, in der der König der Gerudo den König von Hyrule ermordet und danach gestrebt hatte, das Land in ewige Dunkelheit zu stürzen. Sowie dies verhindert und der Frieden eingekehrt war, sandte die Prinzessin jenen Knaben, nun ein junger Mann, in seine Kindheit zurück.“ Der Weise des Lichts blickte seinem Gegenüber fest in die Augen. „Ihr seid diese Prinzessin Zelda.“

Das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, atmete innerlich auf. Wochenlang war sie darum bemüht gewesen, dieses Geheimnis zu bewahren. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, seine Aufdeckung würde sie schockieren, fast so, wie es bei Link oder auch bei dem Maskenhändler gewesen war. Doch zu ihrem Überraschen erleichterte es sie sogar, dass es gerade Rauru war, der sie durchschaut hatte. Sie wusste, in dieser Hinsicht konnte sie ihm genauso vertrauen wie Impa.

„Als ich Link in die Vergangenheit – hierher – zurückversetzte, hat mein Zeitstrom nicht aufgehört zu existieren“, legte die zeitreisende Prinzessin dar. „Er fließt parallel zu diesem hier, ist eine alternative Zukunft wie auch jener, aus dem ich Leopold beschworen habe.“ Als sie dem Heldentrio an Virris Krankenbett das Prinzip des Flusses der Zeit und seiner Aufgabelung erklärt hatte, hatte sie den Nebenarm, aus dem sie selbst stammte, nicht erwähnt. Und das aus demselben Grund, aus dem Rauru sich den dreien nie wirklich gezeigt hatte: Um die Helden nicht zu verwirren.

Sanft barg die fremde Prinzessin die Okarina der Zeit in den hohlen Händen. „Nachdem die Hylianischen Ritter in ihrer Aufgabe scheiterten, nahm die Zelda, der dieser Körper wirklich gehört, über die Grenzen der Zeit Kontakt zu mir auf und bat mich um Hilfe. Leider konnte ich mich nicht physisch hierher übertragen, wie ich es mit den drei Helden getan habe. Sondern nur meinen Geist in ebendiesen Leib versetzen, der wie mein eigener ist.“

„Ihr seid anders als … Euer anderes Ich. Das ist auch Euren Leibwächtern aufgefallen“, ließ Rauru sie wissen und senkte verschwörerisch die Stimme – dabei war er für Ohren außerhalb der Zitadelle gar nicht zu hören. „Hinter Eurem Rücken stellen sie sich Fragen. Und auch die königlichen Berater und Minister wundern sich, dass Ihr ihrer Unterstützung nicht bedurftet. Die ihnen bekannte Prinzessin hat die Regierungsgeschäfte seit dem Dahinscheiden ihres – Eures – Vaters nie ohne ihren Beistand geführt.“

Ertappt presste Zelda die Lippen aufeinander. Es war ihr völlig entgangen, wie mangelhaft ihre Maskerade geworden war. Alle für sie nötigen Informationen über Link, Ganondorf und die Gefahr durch die Morde an Ruto und Darunia hatte sie schon von der anderen Prinzessin über ihre zeitenüberbrückende Nachricht erhalten. Als sie sich dann mit diesem Geist dessen Körper geteilt hatte, hatte sie nicht mehr mit ihm kommunizieren können. Mit Impa hatte sie nur die wichtigsten Einzelheiten zu ihrem Plan, den abtrünnigen Helden zu fassen, ausgetauscht. Damals war nicht angedacht gewesen, dass die Zeitreisende länger als eine Nacht hier verblieb. Nach dem Tod der Shiekah hatte Zelda wohl kaum jemanden fragen können, wie sich die eigentliche Prinzessin dieser Zeit normalerweise verhielt. Das Risiko, die Kontrolle über ihren Leib möglicherweise endgültig zu verlieren, hatte sie nicht eingehen wollen, indem sie sie der anderen auch nur für ein paar Stunden gewährte.

„Aber vermutlich ist es kein Wunder, dass Ihr selbstbewusster auftretet als sie“, schloss Rauru. „Ihr seid reifer als sie. Sieben Jahre älter.“

Die Prinzessin aus der Zukunft widersprach: „Das ist nicht alles, was uns unterscheidet. Ich habe die letzten vierzehn Jahre anders verlebt als sie die vergangenen sieben …“ Sie legte die Hand auf die Brust. „Wir haben dieselben Eltern, dieselbe Kindheit. Aber alles, was nach dem Punkt kommt, da Link in unser Leben trat, macht uns zu grundverschiedenen Personen.“ Bei dem Gedanken an ihren Helden schlug unter ihrer Hand das fremde eigene Herz höher, zu intensiv, als dass es nur von ihren eigenen Gefühlen herrührte. Dann wanderte ihr Blick zur Säule, gegen die Impa in ihren letzten Momenten gelehnt hatte. Trauer um den Verlust ihrer Vertrauten verschleierten Zeldas Sicht. So unterschiedlich sie durch ihre Lebenserfahrungen auch waren, tief im Innern waren die beiden Prinzessinnen gleich.

Nickend fuhr Rauru fort: „Dies erklärt auch, wie Ihr die drei Helden hattet herholen können. Über eine solche Macht verfügt wohl nur eine langjährige Weise der Zeit.“ Er legte eine kurze Denkpause ein, ehe er auf eine anderes Ansinnen zu sprechen kam: „Wenn Ihr also aus dieser anderen Zukunft kommt, möget Ihr mir bitte eine relativ egoistische Frage beantworten …“ Während Zelda, ihre Aufmerksamkeit bekundend, auffordernd das Kinn hob, räusperte sich der alte Weise. „Ganz zu Beginn dieses Zeitstroms, so berichtete mir Link, habe er hier in der Zitadelle der Zeit das Master-Schwert gezogen – und anschließend sei er für sieben Jahre in einen tiefen Schlaf gefallen. Ihn darin zu versetzen, sei meine Entscheidung gewesen, oder eben des Raurus dieser Zukunft …“ Hilfesuchend sah die Lichterscheinung die Prinzessin an. „Link vermochte mir selbst nicht Antwort zu geben, warum ich diesen Entschluss traf.“

„Nun, bestimmt ist es Euch bekannt“, hob Zelda auszuführen an, „dass Link damals nicht alt genug war, das Master-Schwert auch zu führen. Eure Idee war, ihn vor Ganondorf im Tempel des Lichts zu verstecken, bis er das nötige Alter erreicht hätte.“

„Warum dann sieben Jahre?“, fragte Rauru dazwischen und schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum ist der Zeitenschlaf so lang ausgefallen?“

Die Prinzessin atmete tief durch. Genau diese Frage hatte sie sich auch viele Jahre gestellt, doch zumindest wusste sie nun um die Beweggründe des anderen Weisen des Lichts. „Als die ursprünglich angedachten zwei Jahre vergangen waren, hatte Ganondorf sowohl seinen politischen Einfluss in Hyrule gefestigt als auch seine dämonische Macht derart vermehrt, dass Ihr der Ansicht wart, Link könnte ihm in seiner derzeitigen Konstitution nicht gefährlich werden. Erst fünf weitere Jahre später habt Ihr ihn wiedererweckt.“

Von sich selbst enttäuscht wollte Rauru wissen: „Warum habe ich eine solche Torheit begangen? Dadurch habe ich Hyrule zu einer halben Dekade unnötigen Leids verurteilt!“

Seine Entrüstung konnte ihm Prinzessin Zelda nur zu gut nachfühlen, denn auch sie war mit dieser Entscheidung nicht zufrieden gewesen. Erst mit ihrer eigenen geistigen Reife hatte sie erkannt, dass diese sieben statt zwei Jahre wenn auch keine ideale, so doch die beste Lösung gewesen waren. Daher beschwichtigte sie den Weisen aus Licht: „Wie auch ich habt Ihr damals über die Visionen, die meine späte Nachfahrin entsandte, von Links Versagen gegen Ganondorf in einer anderen Zukunft erfahren. Ihr wolltet ganz sicher gehen, dass sich dies nicht wiederholte. Dass Link dieses Mal stark genug sein würde, der Held zu sein, den Hyrule brauchte.“ Sie lächelte gutmütig. „Und sein Erfolg gab Euch recht. Das Hyrule meiner Zeit hat sich vollständig von Ganons Tyrannei erholt.“

Missmutig verschränkte Rauru die Arme. „Mir ist bereits aus Links eigenen Schilderungen bekannt, dass ich ihm in Eurer Zeit sowohl als Weiser des Lichts wie auch als Methusa doch so etwas wie ein Mentor gewesen bin. Doch tröstet mich dieses Wissen nur wenig.“ Grüblerisch zog er die buschigen, ergrauten Augenbrauen kraus. „Dieser Neid auf mich selbst ist ein höchst merkwürdiges Gefühl …“

„Auch Link hat sich diesem Gefühl gegenübergesehen“, begann Zelda und dachte an die Jahre der Einsamkeit ihres Helden, die ihr die Okarina der Zeit offenbart hatte. „Durch mein Zutun strandete er in einer Welt, in der er nie zum gefeierten Helden geworden ist – und es auch niemals mehr werden konnte.“

Voller Reue sinnierte Rauru weiter: „Indem die Weisen sich Ganondorfs angenommen haben, beraubten sie Link um die Chance, sein Schicksal zu erfüllen. Aber dass er sich dafür an uns rächen würde, noch dazu auf diesem Wege …“ Ein tiefes Seufzen erklang aus dem umgebenden Mauerwerk, und die Lichterscheinung senkte unglücklich das Haupt.

„Rache …“, raunte Zelda geistesabwesend und blickte auf das Triforce-Symbol auf der Steinplattform, über der der ätherische Geist schwebte. „Ja, es war wohl der Wunsch nach Vergeltung, der ihn angetrieben hat.“

Bedauernd schüttelte der Weise des Lichts den Kopf. „Welch niederes Motiv. Dabei erschien er mir stets ein vernünftiger und gewissenhafter Bursche zu sein!“ Seine alten, weisen Augen fixierten die Prinzessin eingehend. „Dieser fliegende Händler eben … Ich werde nicht fragen, was ihn dazu berechtigt, in diese Affäre eingeweiht zu sein, doch im Gespräch mit ihm sagtet Ihr, dass Link tot sei. Ist das wahr?“

Schuldbewusst wandte Zelda den Blick ab. Auf der Ebene hatte Balaen recht gehabt mit seiner Anschuldigung, die Prinzessin habe Farores Donnersturm nicht zur Anwendung gebracht – wie denn auch, wenn derjenige, für den er bestimmt gewesen war, nicht mehr existiert hatte? Tatsächlich hatte das Artefakt dort in einem Grasbüschel liegen lassen. Schon Tags darauf hatte sie Soldaten auf die Ebene geschickt, um die Spuren des Kampfes der Helden zu entfernen, die jedoch den magischen Kristall nicht gefunden hatten. Zumindest konnte Zelda davon ausgehen, dass, wenn dieser Aufräumtrupp ihn nicht entdeckt hatte, es wahrscheinlich auch sonst niemand täte, insbesondere, da die auffälligen Reste der Arena verschwunden waren und sich diese Stelle nicht mehr vom umgebenden Grasland unterschied. Außerdem würde ohnehin niemand etwas mit dem Donnersturm anfangen können, der keine Magie zu wirken im Stande war. Dennoch hatte Zelda der anderen Prinzessin eine Nachricht hinterlassen, sodass sich diese eventuell darum kümmern könnte.

Ohne einen Angeklagten würde es natürlich auch keine Gerichtsverhandlung unter Zoras und Goronen geben, wie die Beschwörerin ihren Berufenen vorgelogen hatte. Schließlich hatten die Völker ja auch nie wirklich mit Krieg gedroht. Dennoch hätte Prinzessin Zelda Link gerne persönlich für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Auch wenn das Lied der Befreiung diese Möglichkeit unwiederbringlich zunichte gemacht hatte, wäre es ihr wohl auch ohne unmöglich gewesen. Denn Link hatte selbst bestimmt, wer das Urteil über ihn hatte verhängen sollen: Das Heldentrio. Er hatte die Heiligen Steine auf der Ebene nicht bei sich gehabt, sondern bei Epona auf der LonLon-Farm gelassen. Weil er gewusst hatte, dass der Kampf gegen seine Jäger sein letzter sein würde.

„Leider ja“, antwortete sie Rauru nun niedergeschlagen und drückte die Okarina an ihre Brust. „Und vielleicht ist das auch gut so. Der Geist des Helden wird wiedergeboren werden, um Hyrule eines Tages erneut in der größten Not zu retten. Wie schon seit Jahrtausenden.“ Rasch vertrieb sie ihre Melancholie, nahm die Haltung einer pflichtbewussten Weisen ein. „Dafür wird er höchstwahrscheinlich wieder des Master-Schwerts bedürfen – was mich zu meiner Forderung zurückbringt.“

Verwundert blinzelte Rauru. „Ich fürchte, ich kann Euch nicht ganz folgen.“

Verständnisvoll nickend drehte sich die Prinzessin um, wies an dem erstarrten Methusa vorbei zur Rückwand und der dahinterliegenden Geheimkammer. „Als die ersten Sieben Weisen – Ihr und Eure Brüder – die Zitadelle erbaut haben, war es nur zu billig, das Portal ins Heilige Reich mit dem Master-Schwert zu versiegeln. Weil in jedem Äon nur ein einziger Mensch überhaupt in der Lage ist, dieses Schloss zu öffnen, war gewährleistet, dass niemand Unbefugtes hindurchtreten kann.“ Sie wandte sich wieder Raurus immaterieller Gestalt zu. „Jedoch ist das Master-Schwert in erster Linie kein Schloss, sondern eine Waffe. Wenn der Held es ziehen und als solche gebrauchen muss, bliebe das Portal ungeschützt – weswegen es Ganondorf in meiner Zeit auch gelungen ist, ins Heilige Reich einzudringen und Hand an das Triforce zu legen.“

Rauru verschränkte die Hände hinterm Rücken und insistierte: „Euer Lösungsvorschlag, das Portal gänzlich zu entfernen, ist unnötig. Das Triforce befindet sich nicht mehr im Heiligen Reich.“

„Meine Befürchtungen drehen sich nicht darum, dass jemand mit bösen Absichten hineingelangen könnte – sondern heraus“, berichtigte die junge Weise. „Ihr habt es selbst gesagt: Bis auf den Tempel des Lichts ist das Heilige Reich gänzlich an Ganons Macht gefallen. Wie auch in der Zukunft, aus der uns die Warnungen zu seinem Aufstieg gesandt wurden, hat er es zu seiner Schattenwelt gemacht. Sobald sein Kerker bricht – und das wird er früher oder später, denn weder Naboru noch Ihr in Eurer physischen Form seid unsterblich –, wird er zweifelsohne wieder alles daran setzen, Hyrule zu infiltrieren. Dafür dürfen ihm auf keinen Fall auch noch unsere Tore offen stehen.“

Kummervoll verzog sie die Miene und verlor sich in grausamen Erinnerungen an die Schreckensherrschaft des Großmeisters des Bösen. „Ich musste machtlos mitansehen, wie Ganondorf das Land meiner Vorfahren sieben lange Jahre gebeutelt und gequält hat. Er hat meinen Vater ermordet, mich gnadenlos verfolgen lassen und schließlich gefangen genommen. Er hat mein geliebtes Zuhause, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, zu einem Hort der Finsternis gemacht. Und als ich glaubte, dank Link sei nun alles ausgestanden, hat er es im Frust über seine Niederlage zerstört und ist seinen Trümmern als Bestie entstiegen.“ Zunehmend inbrünstiger wurden die Worte der Regentin, bis ihre Stimme loderte vor Hass auf den König der Gerudo, der zu einem König der Dämonen geworden war. „Ich würde alles dafür geben, um zu verhindern, dass Hyrule seinetwegen wieder ein Leid geschieht!“

Als sie nun aufsah, erkannte sie erstaunt, dass die Lichterscheinung ihr ein anerkennendes Lächeln schenkte. „Ihr habt soeben nacheinander als hellsichtige Weise der Zeit, als um ihr Königreich besorgte Herrscherin und nicht zuletzt als traumatisiertes, aber gutherziges Mädchen gesprochen. Wie vollkommen sich diese drei Seiten in Euch ergänzen, hat mir Euer letzter Satz bewiesen.“ Rauru bog den von der Last vieler Jahre gebeugten Rücken durch. „Ich kenne Euch seit Eurer Geburt und empfinde demnach den Stolz eines Großvaters, die Frau kennengelernt zu haben, zu der ihr herangewachsen seid. Ich hoffe sehr, meine Prinzessin möge eines Tages ebenfalls diesen Grad geistiger Reife erlangen. Ich muss zugeben, ich habe die Entscheidung der Göttinnen stets missbilligt, nicht mich zum Weisen der Zeit und damit zum Anführer der neuen Weisen ernannt zu haben. Immerhin gehörte ich bereits den früheren Weisen an. Aber jetzt verstehe ich, dass dieser hehren Aufgabe nur jemand wie Ihr gerecht wird, der die Probleme der Zeit, die ihm anvertraut wird, kennt und versteht.“

„Und sie selbst verursacht hat …“, fügte Zelda tief traurig hinzu.

Eine Weile betrachtete Rauru die Prinzessin und ließ ihre Worte wirken. „Bitte … Vergebt mir meine anfänglichen Zweifel Euch gegenüber“, sagte er schließlich.

Mit bitterem Lächeln nickte die Königliche. „Das tue ich. Immerhin war Euer Misstrauen durchaus berechtigt.“ Sinnierend hob sie die Okarina der Zeit. „Ich habe ein Tagebuch geführt, in dem ich alles niedergeschrieben habe, was die letzten Wochen geschehen ist“, ließ sie Rauru wissen. Dort, wo sie dieses Tagebuch gelassen hatte, würde die andere Zelda es gewiss finden. Wie gerne würde die Prinzessin der anderen Zeit erfahren, was jene dieser Zeit über die Ereignisse dachte. Aber anders als zuvor würden sie mithilfe der Okarina keinen Kontakt mehr zueinander aufnehmen. Die Zeitenströme mussten voneinander getrennt bleiben, wenn kein wichtiger Grund bestand, sie zu vermengen.

Während sie so dastand und das heilige Instrument begutachtete, wanderten Zeldas Gedanken hinfort, zurück in eine nicht allzu ferne Vergangenheit. Sanft strich sie mit den behandschuhten Fingerspitzen über die glänzende Oberfläche der Okarina der Zeit. Sie war glatt poliert und sauber, als sei sie nie berührt worden, aber vor einem Monat war das noch ganz anders gewesen. Nachdem Impa Link die Steinflöte entrissen und der Prinzessin zurückgebracht hatte, hatte ein roter Abdruck – von Impas Blut an der Hand ihrer Herrin – das wunderschöne Indigoblau verunstaltet. Damals war die tote Shiekah von Zeldas Leibwächtern fortgeschafft worden, noch bevor die Helden anderer Zeiten beschworen worden waren. Die Angelegenheit mit Link, den drei Berufenen und ihre Bemühungen, die Rolle als Regentin überzeugend zu spielen, hatte fast Zeldas gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Dennoch hatte sie auch Gelegenheit gefunden, Impa zu beerdigen – auf einem Friedhof in einem geheimen Schlossgarten, neben anderen großartigen Persönlichkeiten, die sich im Laufe der Geschichte um das Königreich verdient gemacht hatten. Eine Bestattung, wie es sich für eine Angehörige des Schattenvolkes geziemte.

Wieder sammelten sich Tränen in Zeldas Augen, die schnell über ihre Wangen zu fließen begannen. Zitternd wischte sie sie weg, was jedoch nicht ihren Kummer vertrieb. Ebenso half nicht die Gewissheit, dass auf der anderen Seite der Zeit ihre lebende Vertraute auf ihre Rückkehr wartete. Die Trauer zweier Prinzessinnen drohte, sich Bahn zu brechen, und Zelda wusste, ließe sie dies nun zu, würde sie so schnell nicht zu weinen aufhören. Schon viel zu lang hielt sie sich in diesem geliehenen Körper auf. Jetzt, da Links mörderischem Treiben nach Wochen ein Ende gesetzt war, war nach dem Heldentrio nun auch für die letzte Zeitreisende der Moment der Heimkehr gekommen.

„Ich sehe schon“, hob Rauru zu sprechen an, als habe er ihre Gedanken gelesen, „es zieht Euch fort von hier. Und ich will Euch auch nicht mehr länger aufhalten.“ Der Weise hüstelte und kratzte sich unbehaglich die Glatze. „Es ist eine seltsame Bitte, aber … Möget Ihr mir … einen Gruß von mir ausrichten?“, wollte er mit unsicher belustigt gekräuseltem Bart wissen.

Auch die Prinzessin lächelte wieder, dankbar dafür, dass er sie so fürsorglich von sich selbst ablenkte. „Selbstverständlich werde ich ihm berichten von dem, was hier geschehen ist, und auch Eure nicht unwesentliche Rolle nicht unerwähnt lassen.“ Verabschiedend verneigte sie sich. „Lebt wohl, Rauru.“

Der Weise des Lichts erwiderte die ehrerbietige Geste. „Ihr ebenso, Prinzessin.“

Sowie diese letzten Worte ausgesprochen waren, führte Zelda die Okarina an die Lippen und stimmte zum letzten Mal die Hymne der Zeit an. Wie auch vor einem Monat spürte sie jeden Ton tief in ihrer Seele, als verzerre sie etwas und dehne sie in eine Unendlichkeit, die keinen Raum kannte. Zunehmend wurde sie sich ihres geliehenen Leibs weniger gewahr, doch ihr Flötenspiel brach nicht ab. Ein anderer Geist nahm sich die Kontrolle allmählich zurück, hielt die regelmäßige Atmung und das stete Wechseln der Griffe aufrecht. In dem Augenblick, in dem die letzte Note erklang, löste sich das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte. Die wohlmeinende Macht des uralten Liedes geleitete sie auf den Pfad, der sich zwischen den Äonen aufbaute, zurück in ihre eigene Zeit.

Prinzessin Zelda vollendete die Hymne mit dem letzten Atemzug, den sie mit der anderen geteilt hatte. Ein heftiges Zittern durchlief ihren Körper wie Schüttelfrost, obwohl ihr nicht kalt war, und ihre Beine verließ die Kraft. Sie sank auf die Knie, drückte die Okarina an sich und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Endlich, nach den Wochen ihrer freiwilligen Gefangenschaft, brach sie in Tränen aus. Sogleich erkannte Rauru ihre Not, doch als geisterhafte Lichterscheinung war es ihm nicht möglich, sich von dem Bereich über der Steinplatte fortzubewegen. Stattdessen löste er sich in Luft auf, das Zeichen auf dem Marmor erlosch, und der Weise reanimierte seine Eulengestalt. Kaum, dass er als Methusa die Augen aufschlug, eilte er besorgt an die Seite der schluchzenden Prinzessin, breitete behütend eine goldbraune Schwinge über ihren gekrümmten Rücken.

Verschreckt blickte Zelda auf. „Impa?“, entfuhr es ihr, als sie die Anwesenheit eines anderen Weisen spürte. Sich die Tränen aus den Augen blinzelnd, sah sie zu ihrem vogelhaften Gegenüber auf. „Rauru, Ihr seid es …“, hauchte sie tonlos. Die alte Eule hörte deutlich die Enttäuschung, die ihr in der Kehle saß, und nahm sie nicht persönlich. „Was macht Ihr hier?“ Die Wiedergekehrte sah sich in der Zitadelle um, bis ihr Blick an einer der Säulen hängenblieb. „Wo ist Impa?“ Wieder verwässerten Tränen ihre Augen, und sie schluckte schwer. „Hat sie es Euch gesagt?“, erkundigte Zelda sich, und dass sie nicht ihre verstorbene Vertraute meinte, erkannte Rauru daran, dass sie sich eine Hand auf die Brust legte.

„Das hat sie“, antwortete der Weise des Lichts leise.

„Wie lange war ich weg?“

„Etwa einen Monat.“ Bedauernd beobachtete die Eule, wie die Prinzessin auf die Nachricht reagieren würde, nun doch viel länger Gastgeberin ihres anderen Ichs gewesen zu sein, als sie gerechnet hatte.

Aber Zelda blieb erstaunlich gefasst und bat: „Erzählt mir, was geschehen ist …“

„Das will ich versuchen“, versprach Rauru, „aber Ihr solltet dies besser von der anderen Zelda selbst erfahren.“ Er informierte sie über das Tagebuch, in dem diese Geschichte zweifelsohne viel akkurater niedergeschrieben stand, als er sie je hätte rekapitulieren können. Dennoch berichtete er ihr grob von dem Heldentrio, Links unerwartetem Mord an Salia und dem versuchten an Naboru sowie sein Motiv, Rache an den Weisen zu begehen für ihre Initiative, die sie unerlaubt gegen Ganondorf unternommen hatten. Außerdem ging Rauru auch ein auf den Inhalt des Gesprächs, das er soeben noch mit der anderen Prinzessin geführt hatte. Er konnte sich nicht sicher sein, ob sie ihre Abschrift mit diesen Themen ergänzt hatte.

Die Zelda, die nun vor ihm noch immer kniete, kauerte sich zusammen, und ihre Schultern bebeten. Zuerst glaubte Rauru, sie würde wieder schluchzen, bis er verwundert bemerkte, dass sie lachte. Ein bitteres Kichern, in dem keinerlei ehrliche Belustigung lag. „Prinzessin?“, sprach er sie irritiert an.

„Oh, Zelda!“, rief sie überraschend aus, als sei der fremde vertraute Geist noch immer in ihr oder könne sie über die Zeiten hinweg hören. Sie legte die heilige Okarina vor sich auf den Teppich und schob sie fort, blinzelte auf ihren rechten Handrücken. „Wie nur haben wir es verdient, Trägerin des Triforce der Weisheit zu sein? Allen unseren Taten mangelt es gerade an Weisheit!“

„Prinzessin, wovon sprecht Ihr?“, fragte Rauru jetzt eindringlich.

Es dauerte eine Weile, bis Zelda sich so weit gefasst hatte, dass sie verständlichere Worte zustandebrachte. „Vor drei Jahren, als wir das Siegel um Ganondorf erschufen, habt Ihr Euch darüber gewundert, warum ich mich für diese Art des Siegels entschieden habe … Eines, das zwar stark ist, aber das wir auch ohne großen Aufwand wieder würden lösen können.“

„Das ist mir seither auch nicht begreiflicher geworden“, bekannte der Weise des Lichts. „Ganondorf hat dieserzeit versucht, aus seinem Exil im Heiligen Reich zu entkommen. Dieser Kerker hätte den Zweck haben sollen, ihn bis in alle Ewigkeit einzusperren.“

Heftig schüttelte Zelda den Kopf, was ihr langes blondes Haar herumwirbeln ließ. „Eben nicht!“, widersprach sie vehement. „Auch wenn es niemand offen zugibt: Ich weiß, dass außer Salia und Ruto alle anderen Weisen meine Entscheidung für so ein Siegel als kindlichen Einfall abstempelten. Aber ihr habt alle nicht verstanden, was ich wirklich damit bezweckt habe.“ Sie drehte das Gesicht zur Seite und blickte halb hinter sich zum Altar und den Heiligen Steinen. „Die alten Weisen sind gescheitert, Ganondorf hinzurichten, weil es nicht ihre Aufgabe ist. Auch unserem Siegel ist es vorherbestimmt, zu versagen, egal welche Eigenschaften es hat. Nur Link hätte ihn wirklich aufhalten können, wie es seine Bestimmung ist …“ Unglücklich senkte sie das Haupt. Vor drei Jahren hatte sich der Held der Zeit noch immer auf der Suche nach seiner Fee befunden, von der Zelda ihn nicht hatte ablenken wollen.

Flüsternd nun fuhr sie fort: „Meine Absicht war, Ganondorf aus seinem Kerker zu entlassen, sobald Link seine Wanderschaft beendet und ihn zum Kampf hätte herausfordern können. Er dachte, nach seiner Zeitreise hätte diese Welt vergessen, dass er ein Held ist, aber ich habe es nicht!“ Ihre Stimme brach, und sie schluchzte erneut. „Und jetzt sind Impa und die anderen tot!“

Auch Rauru verstand nun die schmerzlich grausame Ironie, die Zeldas Niedergeschlagenheit zugrunde lag. Den Flügel an den Körper faltend setzte er sich auf den Boden wie ein Vogel in sein Nest und redete mit tröstlichen Worten auf die weinende Prinzessin ein.

Derweil schritt außerhalb der Zitadelle der Zeit der Tag voran. Das Leben in Hyrule-Stadt erwachte zur Gänze und begann sein gewohntes Treiben, unwissend, in welcher Sinneskrise seine wiedererwachte Regentin gerade gestürzt war. Auch ihre Leibwächter vor dem Eingang ahnten nichts davon und gingen gewissenhaft ihrer Order nach, niemanden die Sakralbaute betreten zu lassen.

„Rauru“, sagte Prinzessin Zelda leise, als sie sich ein bisschen beruhigt hatte, fuhr dann aber nicht fort.

„Sprich, mein Kind“, erwiderte der alte Mann in Tiergestalt großväterlich, ohne sich mit Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten.

„Warum hat das Heilige Reich Euch, den Weisen des Lichts, ausgerechnet zu einer Eule, einer Kreatur der Nacht gemacht?“

Verwundert von der Frage legte Rauru den gefiederten Kopf schief. „Das weiß ich nicht mit Bestimmtheit. Ich kann es nur dahingehend interpretieren, dass ich als Weiser des Lichts zum Sehen nicht auf natürliches Licht angewiesen bin – wie auch eine Eule in der Nacht. Meine Aufgabe ist es nicht, das Licht zu bringen, sondern wie es selbst jenen den Weg durch die Dunkelheit zu weisen, die es benötigen.“ Die Federn zu beiden Seiten seines Schnabels zuckten, als er zu lächeln versuchte. „Beinahe wie die Feen des Deku-Baums die Kinder des Waldes führen.“

Der Blick der Prinzessin glitt in die Ferne. „Es gibt da einen verlorenen Geist, den Ihr auf den richtigen Weg zurückführen müsst …“

„Meint Ihr den Geist des Helden?“, wollte Rauru wissen. „Glaubt Ihr, er könne nicht allein zu seiner Reinkarnation voranschreiten?“

Anstatt gleich zu antworten, stand Zelda auf. Obwohl noch immer aufgelöst, schaffte sie es in einen einigermaßen festen Stand und wischte sich die Tränen fort. Auf die ruhende Eule hinabblickend verkündete sie ohne erkennbaren Zusammenhang: „Die andere Zelda hat Recht. Wir müssen Vorkehrungen treffen, damit Ganondorf nicht nach Hyrule zurückkehren kann, sobald er aus seinem Kerker ausbricht.“ Sie drehte sich zur Rückwand der Zitadelle. „Wir werden alle Portale schließen, hier und in der Wüste. Wir werden uns mit Euren Brüdern in der Wüstenfeste verständigen, damit der Schattenspiegel versiegelt wird. Und ich werde Naboru und ihren Gerudo-Kriegerinnen helfen, Ganondorfs Anhängerschaft zu zerschlagen, bevor sie die Möglichkeit findet, ihm zu helfen. Doch damit ist noch nicht alles getan.“ Auch wenn Zelda sich an den vergangenen Monat nicht erinnerte, spürte sie doch, dass währenddessen eine Veränderung mit ihr vorgegangen war. Wochenlang hatte sie ihrem anderen Selbst ihren Körper überlassen, und etwas von dessen Verantwortungsbewusstsein hatte in ihr Wurzeln geschlagen.

„Links Seele ist in ihrer Gänze weitergewandert, dennoch ist etwas in diesem Leben zurückgeblieben“, weissagte sie, und aus ihrer Stimme sprühte die Macht der Weisen der Zeit. „So viel Groll und verletzter Stolz verfliegen nicht einfach mit dem Tod. Wir müssen diesen Geist ins Licht zurückführen.“

Jetzt richtete sich auch Rauru auf, um die Prinzessin eingehend zu mustern. Den Rücken gerade haltend, hatte sie den Kopf hoheitsvoll erhoben. Die goldene Reifenkrone glänzte auf ihrem Haupt. Die Erhabenheit, die die junge Frau ausstrahlte, ließ sie erscheinen, als nähme sie die Eule gar nicht mehr richtig wahr.

Entrückt von ihrer Vision fuhr sie fort: „Die andere Zelda hat ihre Schuld beglichen, und nun sind wir an der Reihe.“ Fest waren ihre türkisblauen Augen auf die Geheimtür gerichtet, als könnten sie das Master-Schwert dahinter deutlich erkennen. Als die Prinzessin nun weitersprach, wandte sie ihre Worte nicht mehr allein an Rauru, sondern auch an einen nicht anwesenden Schatten. „Wir werden gemeinsam alles wieder gutmachen.“

Gleich mal vorab:

Keksdrache: Wow, vielen lieben Dank ^^ Nach so langer Durststrecke überrascht ein plötzlicher Kommentar schon sehr positiv. Ich will darauf auch detailliert antworten (ist bei mir immer so), sobald ich Zeit dafür habe. Will das nämlich nicht einfach nur hinklatschen, das wäre nicht fair D: Bis dahin hoffe ich doch, dass es dir wieder besser geht (Krankenhaus ist bäh) und du auch noch für die letzten paar Kapis dabei bleibst ^^

- „Es ist nun an dir, deinen Teil unseres Tauschhandels einzulösen“, sagt hier der Maskenhändler, was einem Zitat von ihm aus Majora’s Mask entnommen ist, wobei es da kein „Tauschhandel“ sondern ein „Versprechen“ ist.

- Dieses Kapitel dient ja der (vor)letzten Klärung einiger Geheinmnisse und enthält daher viel Gelaber. Darunter einige Verbindungen zu Dingen, die in Twilight Princess, das timelinemäßig hiernach stattfindet: Der Schattenspiegel wird verschlossen, und das Heilige Reich wird zum Schattenreich (wobei der Tempel des Lichts, wie Rauru sagt, bestehen bleibt; er ist in TP dann der Dungeon, der als Zitadelle der Zeit bezeichnet wird); das Schattenvolk sind die Nachfahren der in dieses Schattenreich verbannten Gerudo und anderer Anhänger Ganondorfs. Der Maskenhändler will ins „westliche“ (gemeint: „wüstliche“) Hyrule, um dort den Schattenkristall zu liefern, der theoretisch in Verbindung mit Majoras Maske steht (eine kleine Fanfic-Spinnerei meinerseits :B) Der Geisterheld, von dem man die sieben Schwerttechniken erlernt, hat einen Brustpanzer in Form eines Eulenkopfes – weil Rauru/Methusa sich seiner angenommen hat.

Obwohl noch früher Morgen, war Hyrule-Stadt in – für diese Uhrzeit relativ – heller Aufruhr. Die wenigen von ihren nächtlichen Tätigkeiten heimkehrenden Passanten auf den Straßen blieben stehen und staunten ebenso wie die Frühaufsteher in den Häusern, die neugierig aus den Fenstern ihrer Schlafstuben spähten. Verwandte und Mitbewohner wurden herbeigerufen oder aus ihrem Schlummer gerissen, um ebenfalls Zeuge des, wenn auch nicht sehr spektakulären, so doch sonderbaren Ereignisses zu werden. Verwundert beobachteten sie alle die Gruppe, die zielsicher durch die Stadt schritt.

Immerhin kam es nicht sehr oft vor, dass die Prinzessin höchstpersönlich einen Besuch abstattete, schon gar nicht so früh am Tage. Doch nicht nur sie und ihre beiden eindrucksvoll gepanzerten Leibgardisten, die links und rechts knapp hinter ihrer Herrin marschierten, erweckten derartiges Aufsehen. Es waren auch der weiße, braun gefleckte Hase und vor allem der riesige, karmesinrote Vogel, die ihnen folgten – und drei weitere Personen.

Ein jeder dieses Trios war gekleidet in Tunika und Mütze in demselben kräftigen Grasgrün, fast wie in eine Uniform. Dies erweckte den Anschein, sie gehörten einer Sondertruppe der Krone unterstellter Soldaten an. Dafür sprach auch ihre Bewaffnung, trugen sie doch alle zumindest ein Schwert bei sich, als zögen sie soeben in den Kampf. Auch wenn alle von unterschiedlichem Alter – ein junger Mann, ein Jugendlicher und ein Kind –, so erschien keiner von ihnen schon erfahren genug, bereits Mitglied einer solchen Kriegerelite zu sein.

Aufgeregt tuschelten die Zuschauer, sofern sie Gesprächspartner zur Stelle hatten, oder nahmen es sich zumindest vor, sobald sie in Gesellschaft sein würden. So manche Theorie sollte jetzt und auch später noch aufgestellt werden, wer das merkwürdige Dreiergespann war. Nur den wenigsten Bewohnern, Angestellten des Schlosses, kamen die Grüngewandeten bekannt vor. Doch sie entsannen sich des Schweigegelübdes, das sie gegenüber ihrer Regentin geleistet hatten, und hielten sich pflichtbewusst daran.

Die Delegation aus Prinzessin, fünf Kriegern und zwei Tieren erreichte ihren angestrebten Zielort: Die Zitadelle der Zeit. Wie sie auch vom Palast zur Stadt und durch jene gewandert waren, erstiegen sie nun die Stufen, die zum Eingang hinaufführten. Als Prinzessin Zelda diesen durchschritt, postierten sich die beiden Soldaten ohne ein Wort ihrer Herrin beidseitig des Torbogens, mit dem Rücken zur Wand. Alsbald kamen auch die drei Helden an ihnen vorbei, und die Gardisten zollten ihnen ihren Respekt mit ehrerbietigem Salut. Während der jüngste der Grüngewandeten dankbar zurückstrahlte und der älteste knapp nickte, erwiderte der einzige Hylianische Ritter der drei den Gruß, indem er die linke Faust auf die Brust schlug. Zuletzt passierten der Hase und der Vogel den Durchgang. Die Soldaten widmeten sich ihrer Aufgabe, dafür zu sorgen, dass niemand sonst die Sakralbaute betrat.

Im Inneren der Zitadelle führte Prinzessin Zelda ihr Gefolge über die rote Teppichbahn, die mittig in dem Kirchenschiff ausgelegt war, über die Steinplatte mit dem Triforce-Zeichen, bis sie schließlich vor dem schwarzen Altar stehen blieb. Dort wandte sich die Beschwörerin ihren drei Berufenen zu. Den kleinen Virri hatten die älteren in ihre Mitte genommen, und Leo stützte ihn, weil er noch immer Schwierigkeiten hatte zu stehen. Alvio, der seine Scheu vor Karmin nie ganz überwunden hatte, kauerte neben seinem Hüter nieder. Auch der Wolkenvogel stellte sich zu Balaen. Die Helden musterten die Prinzessin erwartungsvoll.

Drei Tage waren seit ihrem letzten Kampf gegen Link verstrichen, in denen sie die Gelegenheit gehabt hatten, sich von den Strapazen zu erholen und von ihren Verletzungen zu genesen. Für diese Zeit war Leo ersatzweise in einem anderen Zimmer einquartiert worden; was er mit dem Mobiliar seines vorigen angestellt hatte, vertuschte die Regentin in Anerkennung seiner Leistung. Unglücklicherweise hatte nicht einmal mehr Zelda noch die Hilfe von Heilfeen für das Trio erbitten können. Doch nun, da der Druck der Aufgabe ihrer Berufenen nicht mehr auf ihnen lastete, war dies auch von geringerer Bedeutung als zuvor. Die Kleidung der Helden war von den besten Schneidern des Schlosses geflickt worden, und ein Schmied hatte die durchtrennten Ringe von Balaens Kettenhemd ersetzt.

Die Ausrüstung, die die drei bei sich gehabt hatten, als Zelda sie vor über einem Monat in die Zitadelle der Zeit beschworen hatte, war nun nicht mehr ganz dieselbe. Kundschafter, von der Regentin in die Verlorenen Wälder entsandt, hatten am Ort der zweiten Begegnung des Heldentrios mit ihrer Zielperson Balaens Peitsche wiedergefunden und ihm zurückgebracht. Wie der Ritter aus den Wolken damals schon flüchtig gesehen hatte, war die blaue Kugel am unteren Ende der Schlinge zerbrochen, und ohne diese konnte das einstige Geschenk seiner Göttin seinen besonderen Zweck nicht mehr erfüllen. Auch sein Schwert hatte er zurückerhalten, allerdings war es nach den Wochen, in denen es ungeschützt und ungepflegt in den verregneten Wäldern gelegen hatte, rettungslos verrostet. Daher hatte die Prinzessin Balaen erlaubt, ein Schwert dieser Zeit in die ferne Vergangenheit mitzunehmen. Ebenso unbrauchbar war nun auch Leos ursprüngliches Schwert, das er in den Wäldern verloren hatte. Darauf, ähnlich des älteren Ritters ein neues in die Zukunft mitzunehmen, verzichtete er jedoch, da dieses ohnehin schlechter sein würde als alle, die er in seiner Zeit bekommen konnte. Stattdessen hatte er die Prinzessin um die Axt gebeten, die er im letzten Gefecht gegen Link gebraucht und an der er einen fast schon kameradschaftlichen Narren gefressen hatte. Virri hingegen hatte, froh genug darüber, sein eigenes Schwert der Vier zurück zu haben, keine besonderen Wünsche geäußert. Jedoch hatte er, hochrot vor Ehrung, einen Lichtpfeil angenommen, den Zelda ihm geschenkt hatte.

Nun waren die Berufenen der Prinzessin bereit, in ihre eigenen Zeiten zurückzukehren. Die erwartungsvollen Blicke der drei erwiderte Zelda mit dem Stolz der in ihrer Entscheidung bestätigten Beschwörerin. „Das Hyrule dieser Zeit schuldet euch Dank“, hob sie zu reden an. „Die Menschen, die uns soeben zu Gesicht bekommen haben, wissen nicht, was ihr für sie geleistet habt. Mit euch durch die Stadt zu gehen, anstelle euch gleich hierher in die Zitadelle zu teleportieren, ist das Mindeste, das ich euch an Ruhm zugestehen kann. Ich bedauere sehr, dass weder eure Taten noch Namen in die weitere Geschichte dieses Landes eingehen dürfen.“ Entschuldigend senkte die Regentin das bekrönte Haupt.

Vergnügt flötete Virri: „Ist schon in Ordnung. Zumindest zuhause kennt man uns ja als Helden.“

„Außerdem haben wir es nicht des Ruhmes wegen getan“, fügte Balaen nickend hinzu.

„Stimmt“, bekräftige Leo. „Und wir werden auch nicht Amok laufen, wenn wir ihn hier nicht bekommen.“ Die Bemerkung, sie seien schließlich nicht Link, brannte dem heißblütigen Ritter zwar auf der Zunge, doch er verkniff sie sich.

Strenger fuhr die Prinzessin fort: „Ebenso muss ich mich voll und ganz auf euer Stillschweigen verlassen können. Das Geheimnis über das, was ihr in dieser Zeit erlebt und erfahren habt, müsst ihr auch in den euren bewahren!“

Ihre drei Berufenen zögerten, jeder aus seinen ganz eigenen Gründen. Doch nach kurzem Überlegen nickten alle einhellig, und Leo unterstrich sein Einverständnis mit einer ritterlichen Verbeugung.

Also sprach die Prinzessin weiter: „Dennoch soll zum Gedenken an eure Tat das grüne Gewand als das des Helden von Hyrule in Erinnerung bleiben. Und auch in Zukunft das Erkennungszeichen seiner Inkarnationen sein.“ Feierlich legte sie die behandschuhte Rechte auf die Brust. „Dafür werde ich persönlich Sorge tragen.“

Unvermittelt nahm ihre Stimme einen tadelnden Unterton an, der sich von ihrer Dankbarkeit für die drei entfernte. „Mir nicht von Links Brief zu berichten, mehr noch, auf eigene Faust zu handeln, war das Dümmste, das ihr habt tun können!“

Die Reaktionen des Heldentrios fielen wie zu erwarten sehr unterschiedlich aus: Leo zuckte zusammen und wandte schuldbewusst den Blick ab, und Virri rieb sich unbehaglich die Nase. Nur Balaen bedachte die Prinzessin seinerseits vielsagend mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Aber zugleich war es auch das Mutigste … und letzten Endes das einzig Richtige“, ergänzte Zelda nun viel sanfter und ging somit auf die stumme Zurechtweisung des Ritters aus den Wolken ein. „Und ich verstehe, warum ihr euch dazu genötigt saht. Ich war an jenem Abend … und so oft davor auch nicht ehrlich zu euch. Und dennoch habt ihr nie aufgehört, für die Sache zu kämpfen, die zu erfüllen ich euch herbeschworen habe.“ In einer Geste reumütiger Unterwürfigkeit verneigte sich die Königliche vor den Kriegern. „Ich danke euch aus tiefstem Herzen und bitte um eure Vergebung.“

Während Leo noch über diese Ehrenbezeugung staunte, machte sich Virri von ihm los. Auf unsicheren Beinen tapste er auf Prinzessin Zelda zu – und kniff sie überraschend in die Nase.

„Knirps!“, rief der Hylianische Ritter empört aus, war schon dabei, vorzuspringen, um den kleinen Helden zu rügen. Doch als er erkannte, dass Zelda Virris Lächeln belustigt erwiderte, hielt er sich zurück.

Aufmunternd sprach der Junge: „Du hast ja nur gelogen, weil du dachtest, dass es gut für uns ist, und das ist echt nett von dir!“

Zeldas Lächeln erhielt eine bittere Note, als sich Virris Hand von ihrer Nase löste. Vor ihrem kleinen Gegenüber ging sie vorsichtig, damit ihr Kleid nicht knitterte, auf die Knie, legte ihm die Hände auf die schmalen Schultern. Noch wunderte sich Virri, was sie da tat, da beugte sie sich auch schon zu ihm vor und küsste ihn auf die Stirn.

Der kleine Held – eigentlich ganz zufrieden mit sich, ihr so lange ohne sichtbare Verlegenheit gegenübergestanden zu haben – lief jetzt so hochrot an wie noch nie zuvor. Er wusste nicht, wohin er sich abwenden sollte, damit niemand sein Gesicht sah. Auf der Suche nach einer geeigneten Richtung blickte er panisch um sich. Dabei verlor er das Gleichgewicht und wäre rückwärts gestürzt, wäre Leo nicht doch noch schnell vorgetreten, um ihn aufzufangen.

Verschmitzt grinsend zwinkerte der Hylianische Ritter und flüsterte dem kleinen Krieger ins Ohr: „Total verknallt!“

Hilflos zappelte Virri in seinem Griff. „Lass mich!“

„Gut, mach ich. Aber dann fällst du hin, Knirps.“

„Tu ich nicht! Und nenn mich nicht …!“

„Ich weiß, ich weiß“, fiel Leo ihm gelassen ins Wort. „Du wiederholst dich, Knirps.“

Prinzessin Zelda erhob sich, beobachtete das brüderliche Gezeter, das zwischen den beiden ausgebrochen war, und lächelte amüsiert. Dann fiel ihr Blick auf Balaen, der über das Verhalten der anderen beiden Helden die Augen verdrehte. Nun wieder ernst meinte Zelda: „Ich denke, Balaen, auch du hast einen guten Grund, dich bei deinen Freunden zu entschuldigen.“

Sofort ließ Leo davon ab, Virri zu necken, um der Regentin beizupflichten: „Da habt Ihr recht, Prinzessin!“

„Ich habe keinen Schaden angerichtet, den man mir verzeihen müsste“, erwiderte Balaen ungerührt mit einem Zupfen an seinem Schal. „Wie Zelda habe ich es nur gut für euch gemeint.“

Resignierend hob Leo die Schultern und seufzte kopfschüttelnd. „Unverbesserlich arrogant wie immer!“

„Allerdings“, fügte der Ritter aus den Wolken hinzu, und seine Freunde horchten auf, „weiß ich nun, dass es nicht nötig gewesen wäre, euch vor irgendwas zu beschützen. Ihr verfügt über alle Fähigkeiten, derer ein Held bedarf.“ Betreten blickte er zu Boden. „Zu erfahren, dass mein Sieg gegen den Todbringer nicht das Ende des Kampfes gegen das Böse bedeutete, hat mich zuerst zweifeln lassen. An mir selbst und meiner Bedeutung für dieses Land …“ Nun hob er den Kopf wieder, sah den beiden jüngeren Grüngewandeten fest in die Augen. „Aber zu wissen, dass Krieger wie ihr nach meinem Tod mein Erbe antreten werden, um es zu beschützen, lässt mich endlich wieder hoffen.“ Respektvoll entbehrte der älteste Held seinen Nachfolgern den Rittergruß, indem er die linke Faust aufs Herz schlug.

Zu Freudentränen gerührt rieb sich Virri den Nasenrücken, und Leo wiederholte Balaens Geste mit den Worten: „Aber immer doch!“

Über seine wie stets unerschütterliche Bestimmtheit lächelnd nickte der Ritter aus den Wolken.

Noch immer strahlend, sah Virri nun den richtigen Augenblick gekommen für etwas, auf das er schon den ganzen Morgen hinfieberte. An seinem Rücken nestelte er am Köcher herum und förderte etwas zutage, das bislang unter dem Greifenmantel verborgen gewesen war. Sorgfältig trennte er das weiße, wie ein Strauß Blumen anmutende Bündel und reichte Leo einen Teil davon. Während dieser seine Gabe verwundert betrachtete, erhielt Balaen die gleiche von dem kleinen Krieger.

„Vogelfedern?“, fragte der älteste erstaunt und drehte die zwei weißen, etwas zerknitterten Schwungfedern in den Fingern.

„Hühnerfedern!“, berichtigte Virri vergnügt und präsentierte seine eigene Ausführung des Geschenks, die er für sich behalten hatte. „Von den Hühnern, gegen die wir zusammen bei unserem letzten Hühnerhagel gekämpft haben!“ Noch immer war er ganz begeistert davon, dass sie zusammen dafür nur sieben Minuten gebraucht hatten. Einen solchen Rekord allein mit seinen Klonen zu brechen konnte er nicht einmal hoffen. „Sie sollen ein Andenken sein an unsere gemeinsame Zeit.“ Plötzlich stutzte Virri und wandte sich an Prinzessin Zelda. „Das geht doch in Ordnung? Wegen dem Zeitreisen und so …?“ Die Gefragte nickte großmütig, und er grinste bis über beide Ohren.

Belustigt stieß Leo die Luft aus. „Als ob ich euch Stümper je vergessen könnte.“ Er zerzauste seinem kleinen Freund das Haar, der kichernd seine Mütze wieder zurechtrückte. Interessiert beäugte auch Karmin die Federn, die sein Reiter in der Hand hielt. Kameradschaftlich boxte Leo Balaen in den Oberarm. „Was ist mit dir, Flattermann? Hat’s dir vor Rührung die Sprache verschlagen?“

„Ich werde sie in Ehren halten“, schwor der ältere Ritter mit Blick auf Virri, der aus dem Grinsen nicht mehr rauskam.

Resignierend schnaubte Leo. „Geht’s eigentlich noch gestelzter?“

Die drei Helden verstauten ihre jeweiligen Federpaare in den Gürteltaschen und am Köcher.

Sowie auch diese Angelegenheit erledigt war, wandte sich Leo an die Prinzessin, die dem Gespräch zwischen ihren Berufenen schweigend beigewohnt hatte. „Wie soll Link nun bestraft werden?“, erkundigte er sich.

Bereitwillig informierte Zelda ihn: „Vorerst wird er in den Kerkern bleiben.“

„Wo wir ihn nicht haben besuchen dürfen“, wandte Balaen unverändert rebellisch ein.

Dazu äußerte sich die Regentin nicht. Die obligatorischen Diskussionen zu diesem Thema hatten sie bereits hinter sich. Dennoch erklärte Zelda nun ausführlich: „In den nächsten Tagen werde ich Gesandte der Goronen und Zoras ins Schloss laden, damit sie Gericht über ihn halten. Es wird ein Tribunal aller drei Völker geben, vor dem er sich für seine Taten wird verantworten müssen.“ Für einen winzigen, unscheinbaren Moment presste die Prinzessin bitter die Lippen aufeinander. „Ein Urteil, das alle zufriedenstellen wird, gibt es wahrscheinlich nicht. Es sei denn, es lautet Todesstrafe …“

Erschrocken japste Virri auf. „Das wäre ja grausam!“

„Keine Sorge, Viridian“, beschwichtigte Zelda den unbedarften Jungen mit freundlichem Lächeln. „Ich als Herrscherin dieses Königreichs werde trotz allem das hyruleanische Gesetzt vertreten, nach dem niemand, was auch immer er getan hat, hingerichtet werden darf.“

Leidenschaftlich mischte Leo sich ein: „Von mir aus soll er am Leben gelassen werden. Solange er eingekerkert wird und nie wieder das Licht der Sonne erblickt!“ Unvermittelt legte sich sein Temperament. „Aber eine Sache würde ich gerne noch wissen. Wenn ihr erlaubt, Prinzessin?“

Zelda machte eine ermunternde Geste. „Sprich.“

Unbehaglich zögerte der Ritter. „Nicht, dass es noch wichtig für uns wäre, aber … Link hatte sein Pferd nicht auf der Ebene dabei. Und da habe ich mich gefragt, wo es ist …“

Verständnisvoll lächelte Zelda ihm zu. „Auch mir hat das Sorgen bereitet, doch die stellten sich als unbegründet heraus. Ich konnte in Erfahrung bringen, dass sie sich auf einer Farm unweit der Stadt befindet. Link selbst muss sie dort hingebracht haben, bevor oder auch nachdem er seine Vorkehrungen auf der Ebene traf. Ich kann dir mein Wort geben, dass sie dort besser aufgehoben ist als irgendwo sonst in Hyrule.“

Vor ehrlicher Erleichterung schaffte Leo es nicht, seine aufgesetzte Gleichgültigkeit noch länger aufrecht zu erhalten. „Das ist gut zu hören“, meinte er mit einem befreiten Lächeln.

Die Prinzessin nickte. „Ich war selbst dort, auch um Links restliche Habseligkeiten in Verwahrung zu nehmen. Gewiss wollt ihr nun wissen, wonach er gestrebt hat … und wofür ihr gekämpft habt …“ Die Handflächen nach oben gedreht, breitete Zelda die Arme aus, und vor ihr erstrahlten drei im Dreieck angeordnete blaue Lichter. Schnell verblassten sie wieder; an ihre Stelle traten drei etwa handtellergroße Gegenstände, die, sich um ihre eigene Senkrechtachse drehend, vor der Prinzessin schwebten. Sie bestanden aus unterschiedlich gefärbten Edelsteinen, verziert mit verschiedenen, kunstvollen Ornamenten. Nur das Gold, aus denen letztere geschmiedet waren, hatten sie gemein.

Die äußerst kostbar anmutenden Kleinodien funkelten vor Zeldas Gesicht, die ihre Berufenen auffordernd ansah. „Dies sind die Schlüssel zur Geheimkammer, die Link an sich gebracht hat. Die drei Heiligen Steine.“

Staunend blickten die Helden zuerst die Gemmen an, dann einander nachdenklich. Der erste, der sich ein Herz fasste, war Virri; vorsichtig trat er vor und ergriff einen der Steine aus der Luft. Seine Freunde folgten seinem Beispiel. Fasziniert betrachtete der jüngste des Trios den flachen, runden Edelstein, in dem sich das durch die Fenster hereinfallende Morgenlicht hellgrün brach wie in einer dicht belaubten Baumkrone. Leo drehte seine Gemme in Rautenschliff vor den interessiert blitzenden Augen, in denen sich die rote Flamme spiegelte, die im Innern des Sakralgegenstandes zu brennen schien. Behutsam barg Balaen in der Hand sein Kleinod, in dessen drei tropfenförmigen Schmucksteinen bläuliche Lichtreflexe tanzten wie über einer leicht bewegten Wasseroberfläche.

Wortlos trat Prinzessin Zelda zur Seite, wies weiter nach hinten in die Zitadelle der Zeit, wo am Ende der Teppichbahn der Altar stand. Das Heldentrio verstand und schritt auf den schwarzen Opferstein zu. Karmin und Alvio blieben bei Zelda zurück.

An ihrem Bestimmungsort angekommen, betrachteten die Grüngewandeten ratlos die in die Altarplatte eingelassenen Vertiefungen. Diese entsprachen in ihrer kreisrunden Form zwar dem Schmuckstein in Virris Obhut, doch nicht in ihrer Größe. Außerdem verhinderten seine Goldornamente, dass er passgenau darin eingesetzt werden konnte. Gar nicht erst zu reden davon, dass die beiden anderen Helden ihre Gemmen würden einfügen können. Dennoch versuchten die drei ihr Glück – und wurden milde überrascht, als die Heiligen Steine von einer unsichtbaren Kraft behutsam ihren Händen entrissen wurden, die sie auf geisterhafte Weise in der Luft über den Mulden platzierte.

Währenddessen ließ Zelda ihr mystisches Instrument erscheinen, führte es an die Lippen und spielte. Ihre Melodie floss durch das Kirchenschiff, glitt um die Säulen, zirkulierte unter der hohen Decke, die diese trugen. Sie schmiegte sich in den weiten Saal, als sei sie eigens dafür komponiert worden, in ihm allein zu erklingen. Unter den Tönen des Liedes schwang die Ahnung einer Macht mit, die sich für diesen Moment wohlweislich zurückhielt und einer ganz anderen Wirkung den Vortritt gab.

Die magische Hymne tränkte die Luft, und Leos Geburtsmal reagierte glimmend darauf. Als sich das Lied über die Heiligen Steine legte und in ihnen vibrierte, sprühten weißliche Funken aus ihnen hervor. Schweigend vor Spannung sahen die Helden dem Schauspiel zu, als ein weiteres Licht ihre Aufmerkamkeit nach vorne oben lenkte: Hinter dem Altar stand das steinerne Podest, auf dem die drei nach ihrer Beschwörung erschienen waren. Dort lag auch die Rückwand der Zitadelle; über der darin eingemeißelten Sonne war ein Triforce ins Gemäuer eingearbeitet worden, das nun golden aufglühte. Sogleich zeigte sich, was die vermeintliche Rückwand in Wahrheit war, als sie sich in ihrer Mitte zu spalten schien. Wie zwei Torflügel öffnete sie sich leise knirschend und gab die Sicht frei auf das, was bislang verschlossen gewesen war. Beide Dreieckszeichen – das über der Öffnung sowie das auf Leos Handrücken – erloschen gleichzeitig.

Fast, als sei die Zeit für sie eingefroren, blickten die drei Helden gebannt nach oben in die Geheimkammer der Zitadelle, doch von ihrer niedrigen Position aus konnten sie nicht sehen, was sich darin befand. Während Balaen rechts am Altar herumging, half Leo Virri auf der anderen Seite vorbei. Sie schritten die Treppen hinauf, erreichten zeitgleich die erhobene Steinplattform.

Der Raum, den sie nun betraten, war achteckig und vollkommen symmetrisch. Seine aus dem weißen Marmor der Zitadelle gefügten Wände flohen hinauf bis zu einer hoch gelegenen Kuppeldecke, unter der schmale Durchlässe für spärliche, geheimnisvolle Beleuchtung sorgten. Trotzdem war es nicht dunkler als im Hauptschiff, denn die Kammer war erfüllt von einem ätherischen Glühen, das ihrer eigenen Mitte entsprang.

Sowie die Helden die Lichtquelle erkannten, blieben sie stehen. Unwillkürlich hielt Balaen den Atem an, und Leo rief überrascht aus: „Das Master-Schwert!“

Vor den dreien, genau im Zentrum des Raums, war auf einer weiteren Marmorplattform ein ebenfalls steinerner Sockel aufgebahrt. Darin stak eine Klinge, deren lichtsilberner Stahl durch seinen eigenen inneren Schimmer geradezu kristallin anmutete. Ein grünes Band war um den Griff gewickelt, der in einem kegelförmigen Knauf endete. Das Heft selbst war von demselben tiefen Kobaltblau wie die Parierstange, die geformt war wie ausgebreitete, stilisierte Vogelflügel. Zwischen ihnen war ein gelber, rautenförmiger Zierstein eingelassen, und die Klinge zierte ein eingraviertes Triforce-Symbol.

Erstarrt vor Ehrfurcht flüsterte Virri: „Es ist wünderschön …“

„Tja, da bleibt dir die Spucke weg, was?“, verlautbarte Leo unpassend prahlerisch. „Es kann zwar nicht vervierfachen wie dein Schwert, aber es gibt keine bessere Waffe für einen Helden! Jetzt kann ich gut verstehen, warum Link hier reinwollte.“ Wissend schüttelte er den Kopf. „Immerhin reden wir hier von nichts geringerem als dem Master-Schwert!“

„Muss es aus dem Stein gezogen werden, damit man es benutzen kann?“, fragte der kleine Krieger neugierig.

„Na, klar doch! Das war meine Prüfung, ob ich es überhaupt führen durfte.“

„Dann ist es ja fast so wie das Schwert der Vier.“ Unverändert begeistert schaffte Virri es endlich, den Blick von der übernatürlich irisierenden Klinge zu lösen und zu dem Hylianischen Ritter zu heben. „Weißt du, wer es geschmiedet hat?“

Zur Antwort nickte dieser überzeugt. „Das waren die Weisen der Urzeit.“

„Dann scheint das falsch überliefert worden zu sein“, meldete sich nun auch Balaen zu Wort.

Leo warf ihm einen genervten Seitenblick zu. „Ach, nur, weil du aus der Vergangenheit kommst, denkst du, das besser zu wissen?“

Hylias Auserwählter entgegnete selbstbestimmt: „Ich denke das nicht nur, ich weiß es. Meine Göttin hat es erschaffen. Zumindest in seiner ursprünglichen Form.“ Auf die konsternierte Miene Leos fügte er mit einem melancholischen Lächeln hinzu: „Ich habe es zu dem Schwert gemacht, das es ist, und ich wurde durch es der Held, der ich bin.“

„Du hast es auch geführt?!“, ereiferte sich der jüngere Ritter schockiert.

Bevor Balaen darauf eingehen konnte, wollte Virri seinerseits wissen: „Ihr habt es beide gehabt?“

Für einen Augenblick vergaß Leo seine Verwunderung und verkündete stolz: „Natürlich! Damit hab ich den alten Ganon fertig gemacht. Ganze zwei Mal!“

Sein älterer Freund bestätigte mit knappem Nicken. „Und ich den Todbringer.“

Sogar Virri selbst hatte nicht erwartet, dass ihn diese Offenbarung derart enttäuschte. „Warum habt ihr nie darüber geredet? Oder habt ihr das sogar heimlich ohne mich?“

„Haben wir nicht! Und zwar weil …“, hob Leo an, verstummte jedoch sogleich. Verwirrt sahen die beiden Ritter einander an und konnten doch keine Antwort geben. Die Kerngesprächsthemen der drei Helden waren nahezu jeden Tag das Kämpfen und Waffen gewesen. Mit dem Schwert der Vier hatten sie außerdem die beste Grundlage für einen Exkurs über besondere Klingen gehabt. Doch weder der Held aus der Vergangenheit noch der, der das Master-Schwert in der Zukunft aus seinem Sockel gezogen hatte, hatten es auch nur mit einem Wort erwähnt. Sie waren schlichtweg nicht auf die Idee gekommen, untereinander über etwas zu reden, das dem Geist des Helden so selbstverständlich verbunden war wie das Bannschwert des Bösen.

Nachdenklich betrachtete Balaen die heilige Waffe und ging darauf zu.

Weil Leo sich dazu verpflichtet hatte, Virri weiterhin zu stützen, konnte er seinem älteren Freund nicht nachlaufen, um ihn aufzuhalten. So stieß er nur entsetzt aus: „Du hast jetzt aber nicht vor …?“

Ohne sich zu den beiden umzuwenden, stieg Balaen die wenigen Stufen empor, die auf die Plattform mit dem Sockel führten. Der Ritter aus den Wolken hob die Rechte ans Master-Schwert, jedoch nicht, wie Leo befürchtete, um es zu ziehen. Er hielt die Handfläche lediglich vor den Zierstein in der Parierstange. Durch das Leder auf dem Handrücken zeigte sich, ganz ähnlich wie bei dem Hylianischen Ritter als Indikation von Magie, der goldene Schimmer eines fast vergessenen Triforce-Mals. Darauf reagierte der Schwertgriff mit eigenem Leuchten. Rückwärts trat Balaen von ihm weg und die Treppen wieder hinab.

Das Licht löste sich vom Heft, flog als leuchtende Kugel in die Höhe, vollführte in der Luft eine spitze Parabel und kam zwischen Helden und Bannschwert zum Halt. Vor den erstaunt geweiteten Augen der beiden jüngeren manifestierte sich daraus eine Frauengestalt, die schwerelos über dem Boden schwebte. Wie auch die Klinge des Schwerts, dem sie entstiegen war, wirkte sie wie eine aus Kristall geschnitzte Figur, wenngleich sie viel organischer anmutete. Ihr kurzes, eng anliegendes Kleid und einer der weiten, flatternden Ärmel waren in dunklem Violett, der andere in Azurblau gehalten. Auch der in Gold eingefasste Schmuckstein, der ähnlich des gelben im Schwertgriff die Brust des Geistes zierte, war von diesem hellen Blau, ebenso wie der Kopf mit den menschenähnlichen Gesichtszügen.

Das überirdische Wesen hob mit in sich hallender Stimme zu sprechen an: „Authentifiziere … Gebieter Balaen, Held der Göttin. Letzter Zugriff: Beginn der Ära des Himmels.“ Der Blick, der wie gemeißelt wirkte und doch freundlich war, richtete sich auf den Ritter aus den Wolken. „Wir haben uns lange nicht mehr gesprochen, Gebieter.“

Der älteste Held lächelte. „Hast du mir denn nichts zu berichten?“

„Nichts von Relevanz, von dem du nicht bereits Kenntnis hast“, antwortete der blaue Geist.

In Erinnerungen schwelgend, erwiderte Balaen: „Seit wann hält dich das davon ab …“

„Wer, bei allen Göttern, ist das?!“, platzte Leo hinter ihm unvermittelt dazwischen.

Endlich drehte Balaen sich zu seinen Freunden um. „Du kennst sie nicht?“

Zähneknirschend gab Leo zurück: „Sollte ich?“

„Als Gesandte der Göttin erscheine ich nur ihrem direkten Auserwählten“, erläuterte die weibliche Wesenheit geduldig.

„Du bist ein Engel!“ Überrascht wandten sich alle Virri zu, der seinen übereilten Ausruf sofort bereute. Kleinlaut erklärte er: „Weil sie doch von einer Göttin geschickt wurde …“

„Ein Engel? Kann man vielleicht so sagen“, meinte Balaen nickend, hob dann eine Hand und wies auf die schwebende Frauengestalt. „Dies ist Phai, meine Helferin, Gefährtin und Freundin. Sie ist der Geist des Master-Schwerts.“

„Ich muss dich korrigieren, Gebieter“, wandte Phai sogleich ein. „Ich bin der Geist, der dem Master-Schwert innewohnt. Das Master-Schwert als solches hat kein eigenes Bewusstsein.“

Lächelnd seufzte Balaen. „Du hast dich gar nicht verändert.“

„Du aber sehr, Gebieter.“

Darauf ging der Held aus den Wolken nicht ein. Stattdessen stellte er nun seine Freunde vor: „Das sind Virri und Leo. Auch sie sind Helden wie ich.“

„Das ist mir bekannt“, erwiderte der Schwertgeist. „In meiner Kartei liegen mir zu allen Helden ausreichend Daten vor.“

Raunend wiederholte Leo: „Kartei?“

Während er noch über dieses Wort nachsann, glitt Phai von der Plattform hinab und auf ihn und Virri zu bis auf einen Schritt Entfernung. Die kristallinen Augen musterten den kleinen Helden für einen Moment, bevor der Geist sprach: „Viridian Waffenschmidt, Held in der Ära des Force. Dritter Träger des Schwerts der Vier, zweiter Bezwinger des Winddämons Vaati.“ Nun blickte sie Leo an, doch dieses Mal dauerte es länger, bis sie wieder etwas sagte. Die feinen, steinernen Gesichtszüge wirkten sogar ratlos. „Zu dir kann ich keine Daten finden. Ich erbitte Identifizierung mit vollem Namen.“

„Leo …“, begann der Hylianische Ritter stockend, schluckte und setzte neu an: „Leopold von Glires der Zweite.“ Neben ihm kicherte Virri, und Leo funkelte verärgert zu ihm hinab.

„Dieser Name ist nicht in meiner Kartei verzeichnet“, ließ Phai den Helden wissen.

„Kartei …“ Weil sie erneut das Reizwort gebraucht hatte, verzog Leo unwillig die Augenbrauen.

„Du kannst ihn gar nicht kennen, Phai.“ Balaen trat an die Seite des blauen Geists. „Er zieht das Master-Schwert erst in der Zukunft.“

Ratlos sah Virri wieder zu der silbern schimmernden Waffe hinüber. „Ihr habt es beide bekommen, um gegen eure Dämonen zu kämpfen. Aber warum ich nicht für Vaati?“

Bereitwillig rezitierte Phai: „Anders als beim Schwert der Vier obliegt die Berechtigung zur Nutzung des Master-Schwerts allein in Krisenzeiten einer Altersbegrenzung von zwölf Jahren.“

Mit seinen nicht einmal elf Jahren vorgehalten zu bekommen, schlicht zu jung zu sein, ließ Virri unglücklich den Kopf hängen. „Ach so …“

„Zum Ziehen desselbigen muss die jeweilige Inkarnation des Geists des Helden außerdem über ein Mindestmaß an Mut verfügen“, sprach die Gesandte der Göttin weiter. „Die Tugenden Weisheit und Kraft werden ebenfalls in die Wertung einbezogen.“

Der kleine Krieger sah auf. „Ähm … hä?“, machte er nur verwirrt.

Balaen übersetzte die krypischen Worte für ihn: „Was Phai damit sagen will, ist, dass man das Master-Schwert nur ziehen kann, wenn man sich zum Helden eignet.“

„Also bestimmst du Engelchen hier, wer es ziehen und benutzen darf?“, sagte Leo feindselig zu Phai.

Mit einem Kopfschütteln des kristallblauen Hauptes verneinte der Schwertgeist. „Meine Aufgaben verteilen sich nur auf die Bereiche Information, Navigation und Kommunikation. Zur Beurteilung seines Trägers ist nur das Master-Schwert selbst autorisiert.“

Unbehaglich druckste Virri herum. „Dann, ähm … Wenn es wieder so einen großen Dämon in Hyrule gibt, wie Vaati oder Ganon, und ich wäre alt genug … könnte ich mir dann das Master-Schwert nehmen?“ Der kleine Krieger blinzelte zu Leo hoch, dann hinüber zu Balaen. Leiser fügte er hinzu: „Bin ich genug Held dafür?“

Anstatt zu antworten, schwebte Phai noch näher an ihn heran. Dicht vor ihm ging sie in die Hocke, ohne den Boden zu berühren, sodass sie auf einer Augenhöhe mit ihm war. Zuerst wich Virri verschreckt zurück, bevor er es schaffte, ihren kristallin starren, aber offenherzigen Blick standhaft zu erwidern. Nach einem Moment des Schweigens verkündete der Schwertgeist: „Analyse abgeschlossen. Detektierter Anteil an effektivem Mut beträgt fünfundneunzig Prozent. Nötiger Schwellenwert ist somit überschritten.“

Ihrem kleinen Gegenüber war deutlich anzusehen, dass es nicht wusste, ob dies nun eine gute oder schlechte Mitteilung für ihn war, und wandte sich hilfesuchend an Balaen. Der nickte nur stumm, aber bedeutungsschwer. Ein breites Grinsen erstrahlte auf Virris kindlichem Gesicht. Vor Freude konnte er nicht mehr stillhalten, und Leo geriet in die Schwierigkeit, den zappelnden Jungen vor einem Sturz zu bewahren.

Damit beschäftigt fand der Hylianische Ritter dennoch die Gelegenheit, sich bei Phai zu erkundigen: „Dann interessiert mich doch, ob Link das Master-Schwert auch hätte ziehen können, wenn er hier reingekommen wäre.“

„Ohne die Anwesenheit eines Helden kann ich zu seiner Tauglichkeit keine Daten erheben“, erwiderte die Frauengestalt.

Unzufrieden schürzte Leo die Lippen. „Schon klar …“

Als Phai sich aufrichtete, wollte Balaen von ihr wissen: „Wusstest du damals, dass ich wiedergeboren werden würde?“

Seine einstige Begleiterin drehte sich ihm zu. „Ich hatte schon immer Kenntnis über die Eigenschaft des Master-Schwerts, sich auch nach dem Ende deiner Lebenszeit nur vom Helden führen zu lassen. Dies wäre aber nur nötig gewesen, wenn ein weiterer mächtiger Dämon in Hyrule erschienen wäre. Nach der Vernichtung des Todbringers lag diese Gefahr bei einer Wahrscheinlichkeit von unter einem Prozent. Zu gering, um sie zu erwähnen.“

„Naja … Weniger als ein Prozent. Aber passiert ist es trotzdem“, stellte Leo zynisch fest.

„Mathematisch gesehen bedeutet unwahrscheinlich nicht unmöglich“, belehrte Phai den Helden aus der Zukunft. Sie blickte zurück zum Master-Schwert, das unverrückbar in seinem Sockel saß und geduldig auf seinen rechtmäßigen Träger wartete. „Die Dauer meines Wiedererwachens beträgt nur noch wenige Sekunden, Gebieter“, ließ sie Balaen wissen. „Sollte es noch Dinge geben, die zu klären sind, rate ich dir, dies jetzt zu tun.“

Hylias Auserwählter dachte nach. Vor seiner unfreiwilligen Reise durch die Zeit hatten unzählige Fragen sein Gemüt belastet, die er der Gesandten der Göttin nur zu gerne gestellt hätte. Hilfegesuche, wie es ihm gelingen sollte, die Gefahren des Erdhorts von den Menschen fernzuhalten. Nun begegnete er Phai gerade hier wieder, im zweitprächtigsten Gebäude dieser Gegenwart. Jetzt aber wusste er bereits: Was auch immer in seiner Zeit geschehen mochte, das Volk, das die Göttin so liebte, hatte glorreiche Jahrhunderte vor sich, in denen es wachsen und sich entfalten würde. Und vor dem ersten Helden standen zwei der vielen ihm nachfolgenden grüngewandeten Krieger, die für den Erhalt dieses Friedens sorgen würden. Die lebende Linderung für seine einstige Verbitterung.

„Nein, es ist alles geklärt“, versicherte Balaen vieldeutig, ohne den Blick von Virri und Leo zu nehmen.

„Wenn dem so ist …“, sprach Phai nickend. „Es war schön, dich wiedergesehen zu haben, Gebieter Balaen. Dich selbst.“

Mit seligem Lächeln nickte der Held der Göttin. „Dich auch, Phai.“

Kein weiteres, unnötiges Wort wurde gesagt, als der blaue Geist sich von dem Heldentrio abwandte und zum Master-Schwert zurückflog. Dort drehte Phai sich noch einmal tänzerisch leicht zu ihnen herum, um sie tiefgründig zu betrachten. In der Schwebe beugte sie sich nach vorn, als verneige sie sich, holte Schwung und stieg nach oben auf. In einer eleganten Rückwärtsrolle dematerialisierte sie sich wieder zu einer ätherischen Lichtsphäre. Sowie sie im kobaltblauen Griff der heiligen Waffe verschwunden war, ruhte diese weiter reglos wie immer inmitten des Raumes.

Doch leblos wie ein gewöhnliches Schwert war das Master-Schwert bei weitem nicht. Die Kristallklinge schwang deutlich vor der göttlichen Energie, die in ihr Material gewebt war. Wie ein Ton, der aus der frühesten Geschichte der Welt klang, löste sie in den Helden eine Resonanz aus, leistete ihrer Seele einmal mehr den Schwur, bis in alle Ewigkeit nachzuhallen.

Zusammen verließen Leo und Virri die Geheimkammer. Balaen blieb noch einen Moment stehen und kehrte dem Master-Schwert dann ebenfalls den Rücken.

Kaum, dass das Heldentrio durch den Eingang in der Rückwand trat, schloss sich diese, wie sie sich geöffnet hatte. Die drei Grüngewandeten musterten die darin eingemeißelte Sonne, die zeitlos und ewig in ihrer Dämmerung geborgen war. Auf derselben Seite, wie sie zuvor die Treppen emporgestiegen waren, gingen sie nun auch wieder hinab und um den Altar, über dem noch immer die drei Heiligen Steine schwebten. Ihrer nicht weiter achtend, kehrte das Trio zu der Prinzessin, dem Wolkenvogel und dem Hasen zurück.

Ein letztes Mal betrachtete Zelda ihre Berufenen, erkannte in ihren Gesichtern dieselbe bittere Entschlossenheit für das, was ihnen unmittelbar bevorstand: Der endgültige Abschied von ihren Freunden, die sie durch ihr gemeinsames Abenteuer gewonnen hatten. „Es ist so weit …“ Sie wies hinter sich auf die Steinplatte, die die Teppichbahn durchbrach. „Dort werde ich gleich Portale erscheinen lassen, die euch in eure jeweiligen Zeiten an jene Orte bringen werden, von denen ich euch hergeholt habe.“ Fest umschloss sie ihr Instrument mit beiden in weiße Seide gehüllten Händen. „Sobald ich angefangen habe, mein Lied zu spielen, muss ich es fortführen, um die Portale aufrecht zu erhalten. Das bedeutet, dies sind die letzten Worte, die ich mit euch wechseln kann.“

Die Linke aufs Herz gelegt, verbeugte Leo sich vor der Hochgeborenen. „Es war mir eine Ehre, Euch gedient zu haben, Prinzessin.“

Begeistert schloss Virri sich ihm an: „Auf unsere Hilfe kannst du immer zählen!“

Versöhnlich ergänzte Balaen: „Trotz allem, das gewesen ist.“

Verstehend nickte Zelda. Erneut verneigte sie sich, jedoch diesmal nicht aus der Dankbarkeit einer Prinzessin vor ihren Helden, sondern aus gründsätzlicher Höflichkeit. „Ich wünsche euch und den Menschen eurer Zeiten alles erdenklich Gute. Lebt wohl, Helden von Hyrule.“

Das Trio, gefolgt von Alvio und Karmin, entfernte sich von der Prinzessin in Richtung Ausgang der Zitadelle. Als sie bei der Steinplatte mit dem gelb aufgemalten Triforce und dem ihnen unbekannten Symbol ankamen, setzte Zelda hinter ihnen zu einem neuerlichen Lied an. Es handelte sich dabei um dasselbe wie jenes, mit dem sie die Geheimtür geöffnet hatte, doch nun wohnte ihm spürbar sein wahrer Zweck inne. Volltönend drang die Hymne durch die Epochen wie der Fluss der Zeit selbst, erklang in der Gegenwart, zugleich in der Vergangenheit und in der Zukunft, verschmolz alle ihre Melodien zu einem äonenumspannenden Orchester.

Über jedem der drei gelben Dreiecke auf dem Boden erglühten mehrere schwebende Lichtpunkte. Sich verlängernde bläuliche Strahlen bildeten sich zwischen ihnen und verbanden sie so untereinander zu den Kanten dreier geometrischer Körper. Langsam breitete sich das Licht von diesem Gitternetz auf die Flächen aus.

Während im Hintergrund die Melodie spielte, die alle Zeiten miteinander verband, betrachtete Leo unerwartet melancholisch das golden schimmernde Triforce auf seinem Handrücken. „Sieht so aus, als sei es jetzt so weit“, seufzte er tief.

Bedrückt nickte Virri. „Hat echt Spaß gemacht mit euch.“

Der Hylianische Ritter grinste schief. „Wenn nur der Mist mit Link nicht gewesen wäre.“

„Aber dann wären wir doch gar nicht hergekommen!“, merkte der Junge naseweis an.

„Es war gut, dass wir ein gemeinsames Ziel hatten“, mischte sich Balaen ein. Nacheinander sah er seine beiden Freunde an und lächelte. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich von jemandem, der jünger ist als ich, etwas so wertvolles lernen könnte wie von euch.“

„Meinst du, wie man das Schwert der Vier benutzt?“, mutmaßte Virri.

„Oder dass man bei manchen Gegnern alleine ganz schön aufgeschmissen ist“, fügte Leo gehässig hinzu.

Doch über beides schüttelte der älteste Held den Kopf. „Nichts, was mit Kämpfen zu tun hat. Ihr habt mir beigebracht, wie wichtig es ist, trotz aller Pflichten nie den Spaß an dem zu verlieren, was man tut. Das wusste ich zwar schon lange … aber ich hatte es vergessen und musste daran erinnert werden.“

Spöttisch lachte der Heißsporn auf. „Nimm lieber mal diese Ohrringe ab! Dieser Frauenschmuck macht dich ganz rührselig!“ Kameradschaftlich reichte er dem älteren Ritter die linke Hand. „Verabschieden wir uns lieber wie richtige Krieger!“

Mürrisch verzog Balaen die Augenbrauen, schlug aber dennoch seinerseits mit der Linken ein. Nach einem knappen Schütteln drückte Leo so fest zu, dass sich der Held aus den Wolken vor Schmerz unwillkürlich krümmte. Balaens Mundwinkel zuckten, und er ächzte: „Das konntest du dir jetzt nicht verkneifen, was?“

Sein Gegenüber schenkte ihm ein zähnestarrendes, boshaftes Grinsen, schmetterte ihm die freie Hand auf die Schulter und meinte: „Sei nicht so empfindlich. Ist ja nicht so, dass du sie brauchst, Rechtshänder!“

Plötzlich legte sich eine weitere, kleinere Hand auf die der Ritter. Diese wandten ihre Aufmerksamkeit Virri zu, der die beiden vorwurfsvoll ansah. „Könntet ihr das nicht wenigstens jetzt bleiben lassen?“, flehte er wehleidig.

Leo kicherte schalkhaft. „Für wen hältst du uns? Natürlich nicht!“ Unvermittelt schloss er seinen kleinen Freund in den Schwitzkasten, pflückte ihm die Mütze vom Scheitel und zerzauste ihm das Haar.

Als sein Opfer freikam und sich die Kopfbedeckung wieder überzog, ließ es den Blick betreten zu Boden gesenkt. Mit dem Ärmel rieb der Junge sich rasch über die Augen und schluchzte leise. „Ich werde euch vermissen …“

„Aber, aber, Virri“, tröstete Leo ihn. „Das ist doch kein Grund zum Heulen!“

Überrascht horchte der kleine Held auf, und seine Trauer war zunächst vergessen. „Du hast mich nicht Knirps genannt!“

Geschlagen hob der Ritter die Schultern. „Kann ich doch kaum noch machen, jetzt, da du meinen schrecklichen vollen Namen kennst.“

Virri kicherte, und Balaen, milde amüsiert, lachte verhalten. „Was auch immer euch noch passiert, bleibt, wie ihr seid …“, bat er seine Freunde.

In der Zwischenzeit hatte Prinzessin Zelda mit ihrem Flötenstück die Zeitportale vollendet. Ganz wie jene, durch die sie ihre Berufenen in diese Gegenwart beschworen hatte, muteten diese an wie schwebende, durchsichtige Kristalle blauen Lichts, die eine Spanne über dem Boden schwebten. Ein letztes Mal half Leo Virri beim Gehen, bis er mit ihm vor einem der Gebilde ankam. Sein Schützling bemerkte nicht das schmerzliche Mitleid, mit dem der ältere Held ihn bedachte, als er ihn schließlich losließ. Auch Leo und Balaen platzierten sich rings um die Steinplatte an den zwei übrigen Ecken des Triforce-Symbols. Jeder der drei Helden stand nun vor einem der Portale und hatte doch noch ungehinderte Sicht zu seinen beiden Freunden.

Von seinen Gefühlen überwältigt schaffte es Virri nicht, sich selbstständig aufrecht zu halten. Schnell zog er das Schwert der Vier. Während die Klone ihr Original stützten, stellte sich Karmin hinter seinen Reiter, und Alvio hoppelte neben seinen Hüter.

Die drei Helden blickten einander ein letztes Mal an. Dann tat jeder von ihnen einen Schritt in seinen Zeitenkristall. Der Wolkenvogel, die Doppelgänger und der Hase folgten den grüngewandeten Hylianern. Die Portale leuchteten auf, als Prinzessin Zelda den letzten Ton der Hymne der Zeit spielte.

Sowie dieser verklang, erlosch das Licht, und die Kristalle verschwanden – und mit ihnen die Helden von Hyrule.

- Die „Farm unweit der Stadt“, von der Zelda hier spricht, ist natürlich die LonLon-Farm. Logisch, dass Link Epona dort hinbringt, wo er sie ursprünglich her hat und gut aufgehoben weiß.

- Die Eindrücke der Lichtreflexe in den Heiligen Steinen (ein lichtdurchflutetes Blätterdach, eine Flamme und Wasserreflexe) werden so ähnlich in OoT3D dargestellt. Find ich voll schön <3

- Phai hat hier wie auch in Skyward Sword eine Vorliebe für Prozente und Wahrscheinlichkeiten :P

„Tu es nicht, wenn dir dein Seelenheil lieb ist.“

Die Schwertspitze schwebte unheilvoll über Links Herz. Lodernd vor Zorn war Leo zu allem entschlossen. Nur eine einzige Person konnte den Hylianischen Ritter jetzt noch davon abhalten, den abtrünnigen Helden zu töten.

Sowie Leo die befehlsgewohnte Stimme und das Geräusch der Schritte im Gras erkannte, hielt er inne. Die Waffe fortschwenkend, trat er von Links Schildarm runter, drehte sich der Sprecherin zu. Von ihm aus gesehen näherte sie sich zwischen Balaen und Virri heran, die sich ebenfalls umgewandt hatten. Das sanfte Licht der Sterne schmeichelte ihrer schlanken Gestalt, regte ihr Kleid aus blauer und rosenfarbener Seide fast schon zu surrealem Schimmern an. Golden glänzte es auf der Reifenkrone, die aufzusetzen sie diesmal nicht versäumt hatte.

„Zelda!“, rief Virri überrascht aus. „Wie bist du hergekommen?“ Erstaunt sah er sich um. „Ist hier in der Nähe so ein Teleportpunkt?“

Ohne langsamer zu werden, warf Prinzessin Zelda ihm einen knappen Blickt zu. „Nein.“

Wissbegierig hakte der kleine Krieger weiter nach: „Und wie dann?“

„Das ist ein Geheimnis für alle, die nicht darin eingeweiht sind“, kam es kryptisch als Antwort, und auch wenn Virri damit alles andere als zufrieden war, ließ er es dabei beruhen. Als Zelda von allen Helden etwa gleich weit entfernt war, blieb sie stehen. Eine intensiv blaue Lichtkugel erblühte zwischen ihren erhobenen Händen und erlosch sogleich wieder. Im nächtlichen Dunkel war ihr mystisches Instrument erneut den Blicken ihrer Berufenen verborgen. Sie führte es an die Lippen und spielte eine fröhliche, beschwingte Melodie, die die frischen Erinnerungen des erbitterten Gefechts auf Leben und Tod, das sich bis eben noch hier zugetragen hatte, ein wenig linderte.

Insgesamt dreimal mit kurzen Atempausen dazwischen ließ die Prinzessin das Lied erklingen. Jedes Mal, wenn der letzte Ton verhallte, erschien wie aus dem Nichts eine Fee neben ihr. Mit ihrem sanften Glühen verstärkten die kleinen Wesen den Schein, den die junge Frau in ihrer Mitte wie eine Aura umgab. Sowie sie die drei Lichtgeister beschworen hatte, ließ Zelda die Flöte wieder verschwinden und breitete weisend die Arme aus. Gehorsam schwirrten die Feen davon, jeweils eine zu einem der drei Helden anderer Zeiten. Den Held der Zeit selbst begünstigten sie nicht.

Prinzessin Zelda schritt weiter zu Leo und Link, der, wenn auch halb aufgerichtet, noch immer am Boden lag. Balaen, dem die Heilfee einen Teil seiner körperlichen Ermattung genommen hatte, stellte sich der Königlichen in den Weg. „Nicht! Er ist noch immer gefährlich!“, warnte der älteste Held, zum ersten Mal, seit sie sich kannten, in dem ehrlichen, persönlichen Bestreben, Zelda zu beschützen.

Die Regentin hob das Kinn und sah ihn herrisch an. Obwohl der Ritter aus den Wolken nie gelernt hatte, einer royalen Obrigkeit zu gehorchen, trat er resignierend zur Seite. Ungehindert ging die Prinzessin weiter.

Als sie Leo fast erreicht hatte, sprach dieser ehrerbietig: „Habt Dank für die Feen, Prin- …“

„Untersteh dich!“, unterbrach Zelda ihn mit einer gebieterischen Geste. Der Gescholtene, der dabei gewesen war, seinen obligatorischen Kniefall zu vollführen, fuhr zusammen und erstarrte. „Untersteh dich, dich vor mir zu verneigen wie ein Ritter“, fuhr die Regentin ungnädigen Tonfalls fort. „Du wolltest soeben einen völlig Wehrlosen töten! Das ist nicht das Verhalten, das ich von einem königlichen Hylianischen Ritter erwarte!“

Von ihren Worten vor den Kopf gestoßen, wich Leo zurück. „Wehrlos? Aber er …“, begann er, sich zu rechtfertigen, doch ein Blick zu Link, gefallen und unbewaffnet, brachte ihn zum Verstummen. Er hatte ihm das Schwert entrissen und anschließend den Schild fixiert. Auch wenn der listenreiche Held danach gewiss nicht vollkommen wehrlos hatte sein können, so war er doch immerhin kampfunfähig gewesen. Einen solchen Gegner, der eigentlich keiner mehr war, zu erstechen, war nichts geringeres als kaltblütiger Mord. Prinzessin Zelda hatte recht: Diese ehrlose Feigheit war eines Hylianischen Ordensritters nicht würdig.

Hasserfüllt blitzte Leo den Serienmörder an, weil dieser ihn so weit getrieben hatte, dass er sich auf sein Niveau herabbegeben hatte. Der Ritter warf das Schwert nieder und senkte beschämt das Haupt.

Ohne weiter darauf einzugehen, streckte Zelda die Hand in seine Richtung aus und verlangte: „Gib mir Farores Donnersturm. Du müsstest ihn noch haben.“

Hastig beeilte sich Leo, ihrer Order Folge zu leisten. Nach kurzer Suche in seinen Gürteltaschen reichte er ihr den kleinen, durchsichtigen Kristall. Auf den Zauber in der darin eingeschlossenen, gelbgrünen Kugel reagierte sein Triforce-Mal mit goldenem Glühen, das abbrach, als die Prinzessin ihm den magischen Gegenstand abnahm. Wortlos wandte sich Zelda an Link.

Balaen und Leo hingegen kehrten zu Virri zurück, und der jüngere Ritter half seinem kleinen Gefährten auf die Füße.

Indes stand auch Link auf, rührte sich aber nicht von der Stelle, als Zelda so dicht an ihn herankam, dass sie sich fast berührten. Ganz aufgerichtet musste der Held so seinen Blick senken, um der Prinzessin ins Gesicht schauen zu können, doch eindeutig war sie es, die verächtlich auf ihn hinabsah.

Schließlich schlug Link die Augen nieder. Zufrieden trat das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, einen Schritt zurück – und so unvermittelt, dass sogar ihre drei Berufenen erschraken, verpasste sie ihrem Gegenüber eine schallende Ohrfeige. So heftig schlug sie zu, dass sein Kopf zur Seite ruckte, ihm die Heldenmütze vom Scheitel flog und trudelnd ins Gras fiel.

So blieb Link einen Moment stehen, das Gesicht weiter von Zelda weggedreht, während sich die Wange unter dem unversehrten Auge allmählich rötete. Er ließ ein kurzes, freudloses Lachen hören. Wohlweislich ihren wunden Punkt zu treffen, fragte er: „Ist das für Impa?“

Für seinen spöttischen Unterton hätte die Prinzessin ihn am liebsten gleich nochmal geohrfeigt, doch sie beherrschte sich. „Ich hätte es gern um ihretwillen getan“, gestand sie ein. „Aber ich denke, ein rot tränendes Auge als Rache für den Tod einer Shiekah ist an Symbolkraft nicht zu überbieten.“

Jetzt sah Link sie wieder an, und im Himmelblau seines verbliebenen Auges lag wieder dieser eiskalte Ausdruck, der Zelda mit mehr Grauen erfüllte als die blutige Höhle des anderen. Gnadenlos fragte er: „Ist das alles, was ich von dir erwarten darf, Shiek?“

Das fremde Bewusstsein kniff die Augen der Prinzessin zusammen, hauptsächlich aus Wut, aber auch, weil es die Veränderungen spürte, die dieses Gefühl in ihr auslöste. Die Rechte zur Faust geballt, hieb sie sie Link mit knapper Härte auf den Kehlkopf. Der abtrünnige Held war noch damit beschäftigt, die eigene Hand schockiert an den Hals zu führen, als Zelda ihm das Knie in die Magengrube stieß. Gequält schnappte Link nach Luft, krümmte sich nach vorn, und die Prinzessin rammte ihm den Ellbogen gezielt auf den Nackenansatz an der Schädelbasis. Wie elektrisiert versteifte sich ihr Opfer, brach anschließend zusammen und blieb reglos liegen.

Obwohl unbewaffnet, hatte Zelda nicht einmal die Dauer eines Atemzugs gebraucht, den unbesiegbaren Krieger bewusstlos zu schlagen. In einem Anflug unwillkürlichen Mitleids zuckten ihre berufenen Helden, denen dies in drei Kämpfen nicht gelungen war, zusammen.

Ihnen noch immer den Rücken zugewandt, befahl die Prinzessin dem Trio: „Lasst uns allein.“

Unschlüssig sahen die verbündeten Grüngewandeten einander an. Verunsichert wegen ihrer vorausgegangenen Zurechtweisung ergriff Leo vorsichtig das Wort: „Prinzessin, seid Ihr Euch …“

„Geht!“, fuhr ihm die Regentin ein weiteres Mal herrisch über den Mund. Über ihre Schulter blickte sie halb zu ihnen zurück, sorgsam darauf bedacht, dass die drei ihre Augen nicht erkennen konnten. Sie wollte sie nicht verwirren mit ihren eigentlich türkisblauen Iriden, die ein intensives Blutrot angenommen hatten, das nur dem hylianischen Schattenvolk der Shiekah vorbehalten war.

Während sich das Dreiergespann aufmachte, die Arena der Helden zu verlassen, sah Prinzessin Zelda wieder zu dem bewusstlosen Link hinab. Sein Kopf lag so, dass sie keine Einsicht auf das zerstörte Auge hatte, und auch die Schnittwunde auf seinem Nasenrücken wurde von einem Schatten verschluckt. Fast schien es, als hätte der Kampf zwischen ihm und dem Heldentrio nie stattgefunden, als sei er nie nötig gewesen. Hilfos und ungefährlich, wie Link dalag, erweckte er nicht im mindesten den Eindruck eines Mörders, geschweige denn eines, der sogar seine Freunde auf dem Gewissen hatte.

Die verkniffene Miene der Prinzessin wurde weich, als ihre wahren Gefühle für Link, die sich hinter ihrem gerechten Zorn verschleiert hatten, die Oberhand zurückgewannen. Auch ihre Augen nahmen wieder ihre natürliche Farbe an. Neben ihrem Helden kniete sie sich ins Gras, legte Farores Donnersturm vorerst ignorierend ins Gras. Zärtlich strich sie eine strohblonde Strähne aus Links Stirn. „Bald gehen wir nach Hause“, versprach das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, sanft. Sie hob die Hände aneinander, und ein blaues Licht erstrahlte zwischen ihr und Link.

Während sich Zelda um den abtrünnigen Helden sorgte, hatten ihre drei Berufenen den äußeren erloschenen Fackelkreis einige Schritte hinter sich gelassen. Den ganzen Weg über war Leo an Virris Seite geblieben, um ihn zu stützen. Trotz seiner Einschränkung ließ der kleine Krieger sich nicht davon abhalten, aufgeregt mit den Armen zu fuchteln. „Hab ich mich erschreckt, als Link grade auf uns zukam! Ich dachte echt, es sei aus mit uns. Aber so schnell, wie ihr reagiert habt! Das war einfach … einfach …“ Fieberhaft suchte der Kindskopf nach dem richtigen Wort. „… phänomenal!“, rief er schließlich und beschrieb mit den Händen einen weiten Bogen über sich.

„Kannst du mal aufhören zu zappeln?“, schnaubte Leo, der Schwierigkeiten hatte, den jüngsten Helden aufrecht zu halten. Weil dessen Begeisterung jedoch nicht zu bremsen war, hob der Ritter ihn kurzerhand auf und setzte ihn sich wieder auf die Schultern.

Dort plapperte Virri gerade so weiter: „Du bist so hoch gesprungen, Leo, so was hab ich noch nie gesehen! Den Greifenmantel und die Pegasusstiefel zusammen einsetzen, darauf bin ich noch nicht gekommen. Das muss ich auch mal machen! Und Balaen!“, wandte er sich an den Helden aus den Wolken, der sich noch nicht wie üblich die Muße genommen hatte, seine aufgeschlitzte Tunika zu glätten. „Wie hast du das mit dem Schwert der Vier gemacht? Dass es noch geleuchtet hat, obwohl die Klone weg waren? Oder dieses weiße Licht! Hieß das etwa, dass alle Klone in dir drin waren? Wie hat sich das angefühlt? Konntest du besser sehen? Oder hören?“

Sachte schüttelte Leo ihn. „Uns vergeht gleich beides, wenn du nicht die Klappe hältst!“

„Ich weiß es nicht“, beantwortete Balaen alle Fragen des kleinen Schützen auf einmal. „Es ist von allein passiert und war so schnell vorbei …“ Seine Erinnerungen daran waren sehr verschwommen, weil die Pilzsporen zu diesem Zeitpunkt noch immer seinen Geist vernebelt hatten. Zudem vermutete er, dass ebendiese Überdosis Schmerzmittel einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet hatten, und das konnte er dem Jungen wohl kaum verraten. Mittlerweile war die Wirkung abgeklungen, sodass Balaen wieder klar denken konnte. Dadurch spürte er aber auch sämtliche Blessuren des Kampfes, die er selbst am eigenen Leib erlitten hatte, wie auch seine jüngeren Gefährten die ihren. Alle drei wussten, dass sie sich glücklich schätzen konnten, lebend daraus hervorgegangen zu sein. Und nicht nur die Hylianer.

Fern im Osten kündigte sich ein neuer Tag in Form eines perlfarbenen Schimmers am Horizont an. Er war gerade hell genug, um Umrisse zu erkennen. So erspähten die Grüngewandeten eine gefiederte Gestalt, die wartend im Gras kauerte. Karmin hob den Kopf, als sie sich näherten, und stand auf. Ein Windstoß wirbelte Haar und Mützen der Helden auf, als er die gewaltigen Schwingen ausschüttelte und anschließend wieder an den Leib faltete.

Während Leo stehenblieb, trat Balaen an seinen Wolkenvogel heran und kraulte ihn am Schnabelansatz. Leise tschilpte Karmin. Reiter und Reittier waren gleichermaßen froh, den jeweils anderen an einem Stück wiederzusehen. Besorgt untersuchte der Ritter aus den Volken den Vogel, dessen rotes, aufgewühltes Gefieder einen zerrupften Eindruck machte. Die Verletzungen, die Link ihm zugefügt hatte, waren zu Balaens Erleichterung nur oberflächliche Schnitte, die gewiss alsbald verheilen würden, ohne Karmin bis dahin zu behindern. Wichtiger waren ihm ohnehin die Schwungfedern, denn fehlten zu viele von ihnen, würde der riesige Vogel nicht mehr richtig fliegen können, bis sie nachgewachsen waren. Mit ausgebreiteten Flügeln zeigte Karmin seinem Reiter jedoch, dass sie unversehrt waren. Zuletzt band Balaen ihm den Paraschal ab, prüfte den weißen Stoff auf eventuelle Beschädigungen und legte ihn sich dann selbst um.

„Was ist denn passiert?“, wollte Virri wissen, als auch er der Wunden des Wolkenvogels gewahr wurde.

Die Hand wieder auf Karmins Schnabelansatz legend, blickte Balaen in die großen, braunen Augen und antwortete dem kleinen Krieger: „Er hat versucht, mir zu helfen, als ich … allein gegen Link gekämpft habe.“

„Als ob du Verräter Hilfe verdient hättest“, zischte Leo geringschätzig.

Nachsichtiger als der Hylianische Ritter erwiderte Virri: „Sag doch nicht so was …“

„Ich sag, was ich will, wie er macht, was er will!“, schnauzte Leo zurück und wandte sich sogleich wieder an Balaen. „Hast du wirklich gedacht, du könntest ihn allein besiegen?“

Eine Falte aus seinem Schal wischend, erklärte der Angeklagte leidenschaftslos: „Ihr solltet nicht in Gefahr geraten.“

„Gefahr?!“, echote Leo aufgebracht. „Ich spucke auf die Gefahr!“ Eine Hand ließ er als Stütze bei Virri, mit der anderen spießte er dem älteren Ritter den Finger in die Brust. „Du hast uns verraten! Und mich die ganze Zeit damit an der Nase herumgeführt, dass du mit mir den Knirps zurücklassen willst. Ja, ich hab’s ihm erzählt!“, ergänzte er auf Balaens konsternierten Gesichtsausdruck, den der sogleich zu Virri hochrichtete.

Der kleine Held wandte sich enttäuscht ab. Ruhiger als sein Träger fragte er: „Was hättest du gemacht, wenn er sich in einen Dämon verwandelt hätte?“

„Das wüsste ich auch gern“, stimmte Leo mürrisch zu.

Bevor Balaen darauf antwortete, kramte er unnötig lange in seiner Gürteltasche herum, entnahm ihr schließlich zwei schmale, längliche Gegenstände. Es waren Pfeile, oder zumindest einmal gewesen, denn ihre Schäfte waren etwa auf eine Handspanne runtergebrochen. Nur der eine verfügte noch über eine silberne Spitze; das darin eingravierte Wappen der Hylianischen Königsfamilie machte es unnötig, dass Leo zum Test nach enthaltener Magie die Hand mit dem Triforce-Mal darüber hielt. Am anderen Schaft zeugte ein schwarzer Überrest davon, was er einmal gewesen sein musste.

Erstaunt stellte Virri fest: „Du hast mir Lichtpfeile geklaut!“ Seit Prinzessin Zelda ihm die verzauberten Geschosse gegeben hatte, hatte er sie nicht mehr gezählt, sonst wäre ihm der Verlust aufgefallen.

„Wie wolltest du die ihm ins Gesicht schießen?“, fragte Leo den älteren Ritter skeptisch.

„Nicht schießen. Sondern stechen, wie ein Messer“, korrigierte Balaen, nahm den Schaft mit der intakten Silberspitze fest in die Faust und führte es vor. „Im Schloss habe ich schon versucht, den Lichtzauber auszulösen, ohne einen Bogen zu benutzen. Es hat tatsächlich geklappt“, fuhr er fort und erklärte somit den anderen Pfeil ohne Spitze. „Auch wenn es lange gedauert hat.“

„Und du dachtest, Dämon-Link würde dir diese Zeit lassen?“ Deutlich war Leo anzuhören, was er von dieser Vermessenheit hielt.

Die Lichtpfeile wieder wegpackend, hob der Held aus den Wolken die Schultern. „Das wäre riskant gewesen, das gebe ich zu. Aber ich hätte es auch nur als letzten Ausweg gewählt. Wenn ich es nicht geschafft hätte, ihn auszuschalten, bevor er die Maske aufsetzt.“ Bitter lachte er. „Was er nicht getan hat. Ich war keine ausreichend große Bedrohung für ihn …“

Zynisch pflichtete Leo ihm bei: „Bist du auch nicht!“

Es folgte ein Moment des Schweigens, den Virri wieder gewohnt heiter brach: „Aber es ist doch alles gut gelaufen! Weil wir richtig zusammengearbeitet haben!“

Balaen quittierte diese Worte mit schwachem Lächeln; Leo hingegen brummte mürrisch etwas Unverständliches und fixierte den anderen Ritter argwöhnisch. „Aber irgendwie fühlt sich das nicht nach einem Sieg an“, meinte er missgestimmt. Langsam nickte der kleine Krieger auf seinen Schultern.

„Vielleicht ging es nie darum, Link zu besiegen“, überlegte Balaen laut.

„Ach, und worum dann?“

Darauf wusste der älteste Held auch keine Antwort zu geben. Stattdessen sprach er reumütig: „Jedenfalls muss ich mich wohl bei euch bedanken. Wärt ihr nicht gekommen, wäre ich jetzt tot.“ Er sah seinen Wolkenvogel an. „Gut, dass Karmin euch hergeführt hat.“ Sein treues Reittier hatte mit dieser Tat einmal mehr seine Loyalität bewiesen. Anscheinend hatte es doch gespürt und verstanden, dass sein Reiter ganz im Alleingang gegen Link hatte kämpfen wollen. Auch wenn es zunächst gehorcht hatte, war Balaen ihm nun doch dankbar, dass es sein Wohl schließlich über seine Befehle gestellt hatte.

„Karmin hat uns nicht hergeführt“, ließ Virri den Ritter aus den Wolken nun aber wissen.

Überrascht hob Balaen den Blick zu ihm hoch. „Wie habt ihr dann hergefunden? Ich hatte Links Karte doch bei mir.“

Der kleine Krieger tippte sich an die Schläfe. „Ich hab sie mir gemerkt.“

Leo nahm den Faden auf: „Wir sind trotzdem zuerst eine Weile rumgeirrt … bis wir dann diesen riesigen Vogel gesehen haben.“

„Aber es war nicht Karmin“, versicherte Virri schnell. „Er hat viel langsamer und öfter mit den Flügeln geschlagen. Es war zu dunkel, um zu erkennen, was er wirklich war.“

„Und er flog so leise, dass nicht einmal ich ihn richtig hören konnte. War nicht leicht, ihm zu folgen“, ergänzte der Hylianische Ritter.

Grüblerisch musterte Balaen Karmin und fragte ihn stumm, ob er diesen unbekannten Vogel eventuell gesehen hatte, doch schien er ebenso ratlos wie sein Reiter. Dieser erkundigte sich nun bei den jüngeren Helden: „Und trotzdem habt ihr euch von ihm führen lassen?“

Leo grinste schief. „Uns blieb ja nichts anderes übrig. Und dir auch nicht.“

Widerwillig musste Balaen ihm recht geben. Das Rätsel um die Identität ihres geflügelten Gönners blieb indes ungelöst.

Allmählich lichtete der anbrechende Morgen die schweren Schleier der Nacht, die über der Ebene von Hyrule lagen. Der fahle Schimmer entriss der Dunkelheit plattgelegene Grasbüschel, wo Karmin gelagert hatte. Daneben, wie ein vom Wolkenvogel behütetes Eigelege, entdeckte Virri zwei auffällige Farbtupfer, der eine rot, der andere blau. Mit einem Tippen auf den Kopf und einem Fingerzeig machte er Leo darauf aufmerksam. Sein Träger ging hinüber, und Virris Vermutung bestätigte sich: Es waren die tönernen Okarinas, die Balaen seinen Gefährten entwendet hatte. Leo setzte den kleinen Helden ab, und die beiden hoben ihr jeweiliges Instrument auf. Da alles zu dem Thema gesagt war, enthielt sich sogar der heißblütige Hylianische Ritter jeden Kommentars und öffnete den für seine Flöte vorgesehenen Beutel.

Bevor er sie allerdings darin verstauen konnte, ertönte aus Richtung der ausgebrannten Arena ein Lied. Eine Abfolge auf- und abwogender Noten, gespielt von der Prinzessin auf ihrer geheimnisumwobenen Okarina. So traurig und bedrückend die Weise auch war, schwang in ihr doch eine stille Sehnsucht mit, die Hoffnung auf einen lichten Morgen nach finsterster Nacht. Alsbald kam die Melodie zum Ende und wiederholte sich. Auch Leo führte seine Tonflöte zum Mund, um mit geschlossenen Augen die Noten nachzuspielen, die er sich im ersten Durchlauf eingeprägt hatte. Fokussiert verfolgte Virri seine Fingerbewegungen, und als das befreiende Lied ein drittes Mal begann, stimmte auch er mit der Okarina des Windes ein.

Sachte floss das Musikstück über die Ebene. Das winzige, glutrote Halbrund der Sonne stieg über den Horizont und tauchte Hyrule in goldenen Glanz. Sowie der letzte Ton verklungen war, glühte etwas im Mittelpunkt der Fackelkreise auf, war aber zu schwach, um mit dem Morgenlicht zu konkurrieren. Als es erlosch, erhob sich Prinzessin Zelda.

Unsicher, ob es ihnen bereits erlaubt war, kehrten die drei Helden in die Arena zurück, in der ihre Beschwörerin nunmehr alleine war. Verwundert fragte Virri: „Wo ist denn Link?“

Weil Zelda nicht darauf einging, nur weiter mit dem Rücken zu ihnen stand, übernahm Leo es für sie: „Na, wo schon? Die Prinzessin hat ihn mit dem Donnersturm hingeschickt, wo eine Mannschaft Soldaten auf ihn wartet. Oder gleich in den Kerker.“ Seinem Tonfall war anzuhören, dass ihn der tatsächliche Verbleib des Serienmörders nicht kümmerte. Wichtig war ihm nur, dass er lebenslang eingesperrt wurde.

„Sammelt eure Waffen ein“, wies die Prinzessin das Heldentrio an, ohne sich zu ihnen umzudrehen. „Wir kehren ins Schloss zurück.“

Träge vor Müdigkeit kamen ihre Berufenen der Aufforderung nach, indem sie durch die Arena wandelten und die darin verteilte Ausrüstung zusammenklaubten. Dabei wich Leo nicht von Virris Seite, sodass die beiden zusammen langsamer vorankamen als Balaen allein. Schnell hatte der Ritter aus den Wolken sein Schwert und den Hylia-Schild aufgehoben und auf dem Rücken verstaut. Dann gesellte er sich zu Zelda, die ihr Instrument mit beiden Händen umschlossen hielt, während seine Gefährten noch beschäftigt waren. Von außerhalb der verkohlten Äste stakste Karmin herbei zu seinem Reiter.

„Du hast Link also ins Schloss teleportiert“, begann Balaen leise und bemühte sich um den äußeren Anschein, sich seinem Wolkenvogel zu widmen, um Leos Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Der Hylianische Ritter führte Virri gerade auf die andere Seite der Arena, weil der kleine Held dort etwas erspäht hatte, das sein Interesse weckte. „Und wie genau?“, hakte ihr älterer Gefährte bei der Prinzessin nach.

Auch Zelda blickte ihn nicht an. „Mit Farores Donnersturm“, erklärte sie nüchtern. „Wie Leopold gesagt hat.“

„Ich kenne mich ja nicht so gut mit Magie aus …“ Balaen hob leicht die Schultern. „Leo hat mir beschrieben, wie es ausgesehen hat, als er Virri aus dem Wald fortgezaubert hat. Er sagte etwas von einer grünen Lichtkugel; gerade eben gab es aber keine.“

Endlich wandte sich Prinzessin Zelda ihm zu. Es war ihr nicht anzumerken, was sie über seine unausgesprochene Anschuldigung dachte. „Was willst du damit andeuten?“

Die beiden jüngeren Helden waren auf dem Rückweg. Obwohl die Konversation zwischen dem Ritter aus den Wolken und der Regentin von Hyrule leise geführt worden war, hatte Leo sie nicht überhört. Beim Herannähern warf er Balaen einen drohenden Blick zu.

„Nichts“, seufzte dieser, doch nur aufgrund der wortlosen Warnung des Hylianischen Ritters. Jetzt, da alles ausgestanden und er an das gelangt war, was er hatte haben wollen, war er der Diskussionen schlichtweg leid. Nichtsdestoweniger unwillig rieb er sich die Nasenwurzel und ließ die Sache dabei bewenden.

Nicht nur die eigene Ausrüstung – Schwert, Axt und Tauschhaken sowie Schwert der Vier und Heroenbogen – hatten Leo und Virri aufgesammelt. Der Ritter hatte sich außerdem einen Bogen über die Schulter gehängt, der nicht dem kleinen Schützen gehörte, und jener trug ein fremdes Kurzschwert mit sich – Links verloren gegangene Waffen. Leo stellte seinen hilfsbedürftigen Gefährten bei der Prinzessin ab, die beim Wolkenvogel und dem ältesten Helden standen, jedoch nicht, ohne letzteren noch einmal streitlustig angefunkelt zu haben. Jetzt wieder schneller zu Fuß, eilte er pegasusschnell aus der Arena, um die zerbrochenen Lichtpfeile einzusammeln. Er wollte es nicht verantworten, ihre noch immer funktionsfähigen magischen Spitzen auf der Ebene liegenzulassen.

Derweil bestaunte Virri die goldenen Rauten auf der Klinge von Links Schwert, das er im Gras vom restlichen Blut abgewischt hatte. „Es hat keine Kratzer oder Schrammen!“, schwärmte der Schmiedelehrling und drehte es so, dass er die Stärke des Stichblatts sehen konnte. „Und es ist ganz dünn! So was kriegt nicht mal mein Opa hin.“

Als Balaen die Hand danach ausstreckte, übergab er die Waffe an ihn. Zum Erstaunen des älteren wog sie so gut wie nichts. „Ein Schwert, leicht wie eine Feder und scharf wie ein Schnabel … Möglicherweise ist das das Geheimnis von Links Schnelligkeit“, mutmaßte er. „Zumindest zum Teil.“

Zustimmend nickte Prinzessin Zelda. „Letztendlich hängt es vom Benutzer einer Waffe ab, wie effektiv sie ist. Wie auch bei den Lichtpfeilen …“ Sie schenkte Virri ein anerkennendes Lächeln, und der kleine Schütze errötete verlegen.

Soeben kam Leo wieder, und anhand der zersplitterten Pfeilschäfte in seinen Armen konnte die Regentin nur erahnen, was sich zugetragen haben mochte. Ihre Augen brannten; so aufgewühlt war sie, dass sie am in Tränen ausgebrochen wäre, ließ sich dies jedoch königlich würdevoll nicht anmerken. Stattdessen sah sie sich in der Arena um. Die Kämpfenden hatten das Gras zur Unkenntlichkeit zertreten, und stellenweise war die Krume zerfurcht. „Wo ist die Dämonenmaske?“, wollte Zelda wissen.

„Na, dort!“, verkündete Virri laut und deutete zu der Stelle, wo Leo das gesuchte Objekt hingeworfen hatte, nachdem er es Link aus dem Gesicht gerissen hatte – doch es lag nicht mehr da.

Verwundert ging der Hylianische Ritter hin, fand jedoch nur einen Pfeilschaft ohne Spitze, dafür mit schwarzgrauem Erzstaub an dem unbefiederten Ende. „Sieht ganz so aus, als hätte der Silberpfeil sie zerstört“, stellte Leo fest. „Aber ist ja auch ganz normal bei etwas Dämonischem.“

Schweigend, die Lippen zu einem harten Strich verkniffen, nickte die Prinzessin. Sie bedeutete ihren menschlichen Berufenen und ihrem tierischen Begleiter, sich um sie zu versammeln. Auf ihrem mysteriösen Instrument spielte sie das Lied, das sie alle ins Schloss bringen würde.

Nachdem der weißblaue Funkenschwarm gen Norden aufgebrochen war, zeugte nicht viel mehr als aufgewühlte Erde und ausgeglühte Kohlen von der Schlacht der Helden auf der Ebene von Hyrule.

- Das Lied, das Zelda spielt, um die drei Feen herbeizurufen, soll das Lied der Rettung aus Spirit Tracks sein, da dieses auch Heilfeen zu spawnen im Stande ist.

Mehr gibt’s zu diesem Kapi dann auch nich zu sagen. Muss ja auch nicht immer D:

Das gold-silberne Kurzschwert in der Hand, blickte Link auf Balaen herab, der hilflos vor ihm am Boden kniete. Es wäre ihm ein Leichtes, den Ritter aus den Wolken zu töten; alles, was es brauchte, war ein wohlgezielter Schnitt durch die Kehle. Dies zu verhindern, war Balaen nicht mehr in der Lage.

Umso mehr konnte der unterlegene Held nicht glauben, dass Link etwas tat, was er sich während aller ihrer Konfrontationen nicht ein Mal geleistet hatte: Er zögerte!

Ein Schatten glitt über die beiden Kontrahenten hinweg, verdeckte auf seiner Bahn einige Sterne. So kurz der Eindruck von ihm auch gewesen war, hatte Balaen darin einen Vogel erkannt, der zwar von ähnlicher Größe wie Karmin zu sein schien, jedoch wesentlich plumper gewirkt hatte. Auch wenn Link dieser schwarze Umriss ebenfalls nicht entgangen war, wurde seine Aufmerksamkeit sogleich von etwas anderem abgelenkt.

Durch die klare Nachtluft erklang ein menschlicher Schrei, erst nur aus weiter Ferne, jedoch rasch lauter werdend. Link sah auf, und Balaen folgte seinem Blick hinter sich. Die Quelle des Rufs raste über die Ebene, so schnell, dass sie zu einem bloßen Huschen verschwamm. Schon war sie heran, schoss zwischen zwei Fackeln hindurch, die durch den Fahrtwind gelöscht wurden. Knapp hinter Balaen katapultierte sich Leo, noch immer seinen unartikulierten Kampfschrei ausstoßend, in die Höhe. Seine eigene aberwitzige Geschwindigkeit trug ihn über den älteren Ritter hinweg, der vornübergebeugt ein ausreichend niedriges Hindernis abgab. Im Zenit von Leos Sprung löste sich Virri, der auf seinem Rücken saß, von ihm ab.

Gleichzeitig zogen die beiden Helden die Schwerter. Das seine schwang Leo zu einem blitzenden Bogen herab, als er vor Link landete. Der wich der Klinge mit einer Rückflugrolle gekonnt aus, woraufhin sie sich unnütz ins Gras fraß, wo er eben noch gestanden hatte. Durch den Greifenmantel noch ein Stück weiter geglitten, stürzte Virri herab wie ein Falke auf seine Beute, die Spitze des Schwerts der Vier auf den abtrünnigen Helden gerichtet. Sein Ziel wischte mit dem Eulenschild über sich hinweg, fegte den kleinen Krieger einfach zur Seite. Die Klone, die Virri nach ihrer Bildung ungebraucht zu Boden hatte fallen lassen, gingen nun zu dritt auf Link los, verwickelten ihn in einen unentrinnbaren Tanz der Klingen. Ihr Original, das sein Trudeln mithilfe des Umhangs abfing, wollte sich ihnen anschließen, wurde aber überraschend im Nacken an der grünen Tunika aufgehalten.

„Du bleibst hier!“, wies Leo ihn zischend an. „Wenn dir was passiert, ist alles aus.“ Erschrocken presste Virri die Lippen zusammen und nickte, also setzte der Hylianische Ritter ihn ab. „Und du!“, wandte er sich an den noch immer knienden Balaen. Ohne Vorwarnung packte er ihn einhändig beim Kragen, riss ihn hoch und brüllte ihm mitten ins Gesicht: „Ich hab genug von deinen Egotrips! Wir sollten das doch zusammen durchziehen!“ Aufgebracht warf er den älteren Helden auf den Rücken, hielt ihm die Schwertspitze ans Kinn, um ihn am Aufstehen zu hindern.

Virri steuerte seinen violett gekleideten Klon zu einer Großen Wirbelattacke, deren Namen er dieses Mal nicht ankündigte, gegen Link. Der fing die blitzschnell kreisende Klinge mit der Unterkante seines Schilds ab, brachte den kleinen Angreifer so aus dem Gleichgewicht. Das verzierte Kurzschwert ruckte vor und spießte den Doppelgänger auf. Von dem Schmerz, der dem grüngewandeten Original durch den Bauch schoss, ließ dieses sich nicht beirren. Die ersterbenden violetten Sterne stoben auseinander, als Link herumfuhr und das Gefecht gegen die beiden übrigen Klone fortsetzte.

Währenddessen keifte Leo Balaen weiter an: „Du hast es gar nicht verdient, dass man dir den Hals rettet!“ Um seine Worte zu unterstreichen, senkte er die Schwertspitze weiter, bis sie Balaens Haut an selbigem Hals berührte. Der Ritter aus den Wolken legte den Kopf zurück und schluckte. Mit der freien Hand riss Leo eine Flasche aus seiner Gürteltasche, zerbrach sie in der Faust und pfefferte die darin enthaltene Fee dem ältesten Helden auf die Brust. Der kleine Geist klingelte zwar gereizt ob der unangebracht rabiaten Behandlung, kam seiner Pflicht aber dennoch nach. In raschen Spiralen heilte er einen weiteren Anteil von Balaens Verletzungen.

„Wenn ich jetzt ohne Fee draufgehe, schlitz ich dich auf!“, kündigte Leo an und drückte dem Verräter das Schwert noch fester an den Hals, gerade so vorsichtig, dass es nicht gefährlich war. Als er es dann unvermittelt wegnahm, zuckte Balaen zusammen, doch Leo drehte es nur mit einem knappen Wurf herum und fing es an der Klinge auf. Dem Liegenden das Heft hinhaltend, fragte Leo: „Also, kämpfen wir jetzt zu dritt, oder was?“ Trotzig lieferten sich die beiden Ritter ein unnachgiebiges Blickduell.

Zeitgleich drosch Link sowohl mit Schwert als auch mit Schild auf die verbliebenen Klone ein, die sich seiner Attacken mit beidhändig ergriffenen Waffen erbittert zu erwehren versuchten. Schließlich stolperte der blaue Doppelgänger und fiel der Länge nach hin. Den anderen beförderte Link mit einem Tritt von sich, schwang den Schild hoch, rammte die geschärfte Kante seinem gestürzten, blau gekleideten Gegner hart auf das Nasenbein.

Als der Doppelgänger diesmal starb, krümmte Virri sich vor, die Hände aufs Gesicht gepresst gegen den knochigen Schmerz. „Macht schneller!“, flehte er Leo und Balaen verschnupft an. „Ich halte nicht mehr lange durch!“

Schließlich gab Balaen den Aufforderungen seiner Partner nach. Er nahm das dargereichte Schwert entgegen, und endlich gehorchte ihm seine Rechte wieder.

„Na, geht doch“, kommentierte Leo. Als Balaen Anstalten machte, aufzustehen, bot der Hylianische Ritter ihm eine helfende Hand an, die der ältere reumütig ergriff, um mit Unterstützung aufzustehen. „Und jetzt bleibst du gefälligst“, riet der jüngere und schlug ihm die Hand in einer Geste auf die Schulter, die eine Winzigkeit zu grob war, um noch als kumpelhaft durchzugehen.

Da Balaen nun Leos Schwert hatte, schnallte letzterer stattdessen die Axt von seinem Rücken. Zu zweit traten sie neben Virri, der in diesem Moment seinen letzten Klon verlor. Umschwärmt von roten Funken wie von leuchtenden Blutstropfen, wandte sich Link dem Heldentrio zu.

Leo wartete gar nicht darauf, dass ihre Zielperson den ersten Zug machte. Wutschnaubend stürmte er vor, schwang die Axt zu einem vernichtenden Hieb herum. Als wolle er diesen abwehren, hob Link den Schild; erst im letzten Moment hüpfte er zur Seite, sodass der Ritter ihn knapp verfehlte. Weil der aufgebaute Schwung nicht auf den erwarteten Widerstand traf, strauchelte Leo vorwärts. Während er sich fing, setzte Link den Seitwärtssprung fort, indem er sich nach vorn zu Boden warf. Zugleich schienen sich die nächtlichen Schatten um ihn zu verdichten.

Als er auf allen Vieren aufkam, hatte er die Gestalt des goldenen Wolfs angenommen. Eigentlich hatte Leo vorgehabt, gleich wieder zum Angriff auszuholen, doch sowie er das Raubtier erblickte, schreckte er zurück. Den Axtstiel in beiden deutlich zitternden Händen, hielt er die Waffe vor sich, trat rückwärts weg von Link. Der folgte ihm, das im Fackelschein glänzende Nackenfell gesträubt, die schrecklichen Fänge gebleckt, und knurrte bedrohlich. Er duckte sich, spannte die Hinterläufe an, um den Ritter anzufallen – als plötzlich etwas so dicht vor seiner Schnauze ins Gras schlug, dass er alarmiert innehielt.

Der Wolf fuhr zu Virri herum, der nach diesem ersten harmlosen Warnschuss schon den nächsten Pfeil auf die Sehne legte – eines der gewöhnlichen Geschosse, keines von Lichtmagie erfülltes, das er von der Prinzessin erhalten hatte. Zunächst beschränkte Link sich darauf, knurrend zurückzuweichen, während der kleine Bogenschütze auf ihn zukam. Beide versuchten sie abzuschätzen, was ihr Gegenüber zu tun wagte.

Als nun auch Balaen sich seinen Gefährten anschloss, sah sich Link zur Handlung gezwungen. So wandte er sich wieder dem Helden zu, der sich vor seiner Wolfsgestalt am meisten fürchtete, setzte dazu an, ihn anzuspringen. Ehe dies geschah, gab Virri nun doch unerwartet einen Schuss ab. Der Pfeil war jedoch so gezielt, dass er Link lediglich an der linken Schulter streifte und nicht ernsthaft verletzte. Dennoch riss er das prächtige goldene Fell und die darunter liegende Haut auf. Wie ein geprügelter Hund jaulte das Raubtier vor Schmerz auf und floh.

„Leo! Lauf ihm nach! Er darf nicht entkommen!“, befahl Balaen dem jüngeren Ritter sofort, aber der war vor Angst nicht einmal ansprechbar.

Doch Link suchte nicht, wie der Held aus den Wolken zuerst gedacht hatte, das Weite: Dicht hinter dem äußeren Fackelkreis hetzte er um seine Arena herum. Immer wieder blitzte für den Bruchteil einer Sekunde der goldene Pelz im Feuerschein, wenn er zwischen zweien der Ästen sichtbar wurde, nur um dann wieder genauso kurzzeitig hinter den Fackeln zu verschwinden. In unregelmäßigen Abständen bremste er dann scharf, wechselte abrupt die Richtung, preschte weiter in anderer Geschwindigkeit.

Links Kabinett der Verwirrung verfehlte seine Wirkung nicht: Verunsichert drängte das Heldentrio näher zusammen, die Rücken zueinander und die Waffen nach außen gedreht, ohne Gewissheit, wann und aus welcher Richtung das Raubtier wieder zuschlagen würde. Erfolglos versuchten Balaen und Virri, ihm mit Blicken zu folgen; der einzige, der Links Position mithilfe seines Gehörs genau hätte ausmachen können, war dazu vor Panik außerstande.

„Zur Mitte!“, befahl Balaen, packte Leo an der Tunika und schob ihn näher an den inneren Kreis heran. Rückwärtsgehend folgte Virri, zielte dabei mit gespanntem Heroenbogen nach außen. Gerade war die golden schimmernde Erscheinung wieder zu sehen, und der kleine Held schoss. Da wechselte der Wolf überraschend die Richtung, und der Pfeil ging fehl. Sofort feuerte der Schütze den nächsten ab, doch auch diesmal traf er nicht.

Schließlich gab Virri es auf. Nach kurzem Überlegen zog er das Schwert der Vier, das seine vervielfältigende Wirkung auf ihn für diesen Kampf verloren hatte. Er hielt es Balaen hin. „Dir bringt es jetzt mehr.“

Unwillig musterte der Ritter aus den Wolken die ihm noch immer fremde Waffe. „Es ist noch zu früh. Wir dürfen diese Trumpfkarte noch nicht ausspielen“, meinte er.

Ihre temporäre Unaufmerksamkeit ausnutzend, brach Link urplötzlich in die Arena, hielt genau auf Leo zu. Dieser schaffte es endlich, sich aus seiner Schockstarre zu lösen, warf sich zur Seite und entging den nach ihm schnappenden Wolfskiefern. Noch bevor das Raubtier zu weit an ihm vorbeisprintete, kam es zum Halt und biss ihn aus nächster Nähe in den Unterschenkel. Mehr vor Schreck denn aus Schmerz schrie der Hylianische Ritter auf und stürzte. Ehe Link ihn mit sich schleifen konnte, war Balaen zur Stelle, seinen Gefährten zu retten: Mit dem von Leo geliehenen Schwert fuhr er über die goldene Schnauze, die sofort von ihrer Beute abließ.

Mit einem wütenden Schnauben wirbelte Link herum, wodurch er nun Virri zugewandt war. Der kleine Krieger bemerkte, wie die auch in der tierischen Form himmelblauen Augen des abtrünnigen Helden zum äußeren Fackelkreis huschten – ganz offensichtlich gedachte er, das Verwirrspiel mit seinem glänzenden Fell fortzuführen. Schnell sprang Virri vor, schnitt ihm den Fluchtweg ab. Von seinen Bemühungen nicht weiter beeindruckt, wollte der Wolf an ihm vorbeiflanken, doch sein kleiner Gegner warf sich in eine Vorwärtsrolle und schlug aus selbiger nach ihm. Sofort fuhr Link in eine andere Richtung herum, in der ihn Balaen bereits erwartete, ausgerüstet mit Leos Schwert und nun auch wieder dem Hylia-Schild. Auch der jüngere Ritter erhob sich, nahm die fallen gelassene Streitaxt wieder an sich. Immerhin brachte er es trotz seiner Angst vor dem Raubtier fertig, seine Waffe ruhig zu halten.

Gehetzt blickte der Wolf um sich – und fand sich umzingelt von dem Heldentrio.

Seine eigene Unterlegenheit erkennend, legte Link die Ohren zurück und knurrte tief. Sein schillernd goldenes Fell verdunkelte sich, bis nur noch seine Umrisse als Schemen übrig blieben, und einen Wimpernschlag später hatte er sich in einen Menschen zurückverwandelt. Die Wunden, die Virri ihm mit dem Pfeil und Balaen mit dem Schwert geschlagen hatten, trug er auch jetzt noch. Der Schnitt auf dem Nasenrücken blutete leicht, und die unversehrte Tunika färbte sich rötlich, wo der Streifschuss ihn an der Schulter getroffen hatte.

Der abtrünnige Held bedachte die drei mit hasserfüllten Blicken. „Wie ich sehe, seid ihr besser geworden als Jagdrotte“, keuchte er mit beginnender Ermattung. Das Duell gegen Balaen und der Lauf um seine Arena hatten ihn offenbar erschöpft.

Vorlaut wie eh und je gab Leo zurück: „Schön, dass du einsiehst, dass du verloren hast!“ Er hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, da hob er bereits die Axt, als wolle er Link geradewegs längs zerteilen, beging aber denselben Fehler wie zuvor. Sein Ziel drehte sich elegant zur Seite, und das Axtblatt fuhr tief in den Erdboden. Aus der gleichen Bewegung schlug Link mit seinem Kurzschwert nach dem Ritter, der der höllisch scharfen Klinge nur entging, weil er sich reflexhaft noch tiefer über den Stiel seiner eigenen Waffe beugte. Schwer darauf gestützt, zog der Ritter die Beine an und trat nach Link aus. Der fing diese hinterhältige Attacke ab, indem er Leo mit dem linken Arm bei den Unterschenkeln packte; anschließend schmetterte er ihm den Schild an den Hinterkopf, mit der flachen Seite anstatt der Kante aufgrund der geringen Distanz. Er ließ seines Opfers Beine los, und es fiel benommen zu Boden.

Dazu, erneut sein Schwert gegen Leo zu verwenden, kam Link nicht, da sich Virri und Balaen nun wieder näherten. Aus dem Stand fuhr ihr Gegner zu dem jüngeren herum, musste seinen Streich parieren. Die beiden Kurzschwerter prallten klirrend aufeinander. Mit einer Drehung aus dem Handgelenk fegte Link das des kleinen Grüngewandeten beiseite, wandte sich augenblicklich Balaen zu, prellte ihm mit der Schildkante die Waffe aus der noch immer nicht ganz regenerierten Rechten. So schuf sich die Zielperson des Heldentrios die Chance, den Schwertarm ungehindert auszustrecken; die goldverzierte Klinge erglühte in gelblichem Licht, woraufhin das Triforce-Mal auf Leos Handrücken, der soeben wieder aufstand, mit seinem eigenen Schimmern reagierte. Links magisch verstärkte Wirbelattacke, die er in einer fatalen Drehung entlud, zwang seine Jäger auf Sicherheitsabstand.

Die drei bedrängten ihren gemeinsamen Gegner zunächst nicht weiter, nachdem dieser ihren gesammelten Angriff ohne viel Mühe gekontert hatte. Dennoch umstellten sie ihn als undurchdringliches Dreieck, dazu entschlossen, ihn so bald nicht mehr entkommen zu lassen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen seine Verteidigung durchbrach.

Das war natürlich auch Link selbst bewusst. Deswegen gab er ihnen schon gar keine Gelegenheit, sich auf das nächste Manöver zu verständigen, und griff zu seiner letzten List: Das gold-silberne Kurzschwert schob er in die Scheide zurück, holte aus seinen Gürteltaschen einen Gegenstand hervor.

Noch bevor Virris Gefährten im Halbdunkel genauer ausgemacht hatten, um was es sich dabei handelte, warnte er laut: „Die Dämonenmaske!“

Schon trat Leo dreimal rapide auf, aktivierte die Pegasusstiefel, zischte auf ihren Gegner zu, entriss ihm die Maske und rannte ihn zugleich über den Haufen. Auf der anderen Seite des Heldendreiecks bremste der Hylianische Ritter scharf, nahm sein Diebesgut in beide Hände – und zerbrach es.

„Das war’s!“, verkündete Leo triumphierend.

Seine Gefährten eilten an seine Seite, betrachteten die Überreste von Links Geheimwaffe, die wie graue Steintrümmer anmuteten. Ratlos murmelte Virri: „Irgendwie sieht die anders aus als im Wald …“

Die Augen zuerst geschockt geweitet, fasste sich Balaen nun, als er Links Täuschung durchschaute. „Das ist die falsche Maske!“

Das Heldentrio fuhr zu Link herum, der sie mit seiner steinernen Tarnmaske nur abgelenkt hatte. In der Zwischenzeit war er wieder aufgestanden, hielt die richtige Dämonenmaske in Händen, die als solche deutlich zu erkennen war, da sie wirkte wie nach seinem eigenen Gesicht modelliert. Nun führte er sie an ebenjenes, um mit einer weiteren Verwandlung seine Unbezwingbarkeit zu vervollkommnen.

Übereilig wollte Leo seinen Sprintüberfall wiederholen, aber bevor er losrennen konnte, versetzte Balaen ihm einen Stoß, schickte die gerade erweckten Pegasusstiefel wieder schlafen und ihren Träger zu Boden.

Noch bevor er ganz aufkam, drückte sich Leo in einer einzigen zackigen Bewegung ab und kam mit einem Sprung wieder auf die Füße. „Bist du völlig wahnsinnig?!“, fuhr er den älteren Ritter mit einem Tonfall an, der allein davon sprach, dass er ihm am liebsten an die Gurgel gegangen wäre.

Ungestört setzte Link die Maske auf. Sogleich krümmte er sich und brüllte wie unter größter körperlicher und seelischer Pein. Dunkelvioletter, aus dem Innern bläulich glühender Nebel umfloss seine ganze Gestalt.

Zornig vor Machtlosigkeit packte Leo Balaen erneut am Kragen. „Ich hätte ihn daran hindern können!“ Seine Stimme war so schrill vor Verzweiflung und laut vor Wut, dass sie ihm in den eigenen Ohren klingelte.

In unangebrachter Seelenruhe löste der Ritter aus den Wolken den Griff von seiner Tunika und sagte selbstbestimmt: „Ich habe dir gerade das Leben gerettet.“

„Gerettet?!“, ereiferte sich Leo fassungslos.

Die Nebelschwaden um Link begannen sich zu lichten.

Eiserne Entschlossenheit befiel Virri. Er warf das Schwert der Vier nieder und wechselte zum Heroenbogen zurück.

„Virri, nein!“, rief Balaen aus, als der kleine Krieger plötzlich auf die dunkle, zerfasernde Wolke zurannte. In ihrer unmittelbarer Nähe vollführte er stumm einen senkrechten Greifensprung, gewann mit einer Rückwärtsrolle noch weiter an Höhe, bis er gleichauf war mit dem übermenschlich großen Dämon, den der Nebel nun freigab.

Genau wie bei seiner ersten Erscheinung in den Verlorenen Wäldern trug er über der anthrazitgrauen Tunika einen stählernen Brustharnisch und dazu passende Panzerhandschuhe. Sein Haupt bedeckte die ebenfalls graue Mütze, unter der blassweiße Haarsträhnen herabhingen und die leeren Augen umrahmten. Die Maske war verschwunden, verschmolzen mit ihrem Besitzer, auch wenn dessen mit Kriegsbemalung verunziertes Gesicht so reglos war wie der machtvolle Gegenstand.

Noch im Aufsteigen zog Virri einen Pfeil – eines der längeren, von Prinzessin Zelda verzauberten Geschosse. Seine Handgriffe flossen ineinander über, als er es auf die Sehne legte, diese durchzog und Links Antlitz anvisierte. So sicher das Ziel des kleinen Bogenschützen zunächst auch erschien, legte dieses einfach den Kopf zur Seite. Wie eine Sternschnuppe verlor sich der Lichtpfeil in die Nacht.

Entsetzt riss Virri die Augen auf, bereute instantan seinen todesmutigen Vorstoß. Sein Gegenüber schwang den mächtigen Beidhänder mit den zwei ineinander geschwungenen Klingen zu einem Hieb in einer schrecklichen Wiederholung seines im Wald missglückten Tötungsversuchs. Der langsam zu Boden zurückschwebende Greifenkrieger ließ den Heroenbogen fallen und ergriff seinen Umhang an den blauen, gezackten Säumen. Der weiße Stoff blähte sich, bremste den Sturz abrupt ab, zudem schwang Virri seine Beine zurück, legte sich waagerecht in die Luft. Keine Sekunde zu spät, denn das Dämonenschwert sauste nur eine Fingerbreite unter ihm vorbei, ohne ihn auch nur zu streifen.

Kaum, dass er verfehlt hatte, riss Link den Beidhänder erneut herum. Atemlos vor Anspannung wich Virri wieder haarscharf aus, indem er wie bei einer Sturzattacke zu Boden stieß. Da er dies jedoch anders als gewohnt ohne Schwert ausführte, kam er unglücklich auf und fiel nach hinten. Ohne jede Gnade hob der Dämon seine Waffe, ließ sie auf den kleinen Helden, der verängstigt die Augen zukniff, herniederfahren – und traf unverhofft auf Widerstand.

Zitternd sah Virri auf. Um ihn herum standen drei Krieger, die Mienen ebenso emotionslos wie die ihres Gegners, gekleidet in Tunika und Mütze in den Farben Rot, Blau und Violett. Die Spitzen ihrer Kurzschwerter mit der linken Hand ergriffen, waren sie zur Hilfe geeilt und hatten die Helixklinge abgeblockt. Auch wenn sie sich ihr zu dritt entgegen gestellt hatten, waren sie gemeinsam nicht stark genug, ihre volle Wucht abzufangen, und mussten sie zur Seite ablenken.

Neben Virri erschien plötzlich Balaen. „Bist du verletzt?“, erkundigte sich der Ritter aus den Wolken besorgt. In der Rechten hielt er das Schwert der Vier, dessen Zierstein im Grasgrün seiner eigenen Kleidung leuchtete.

Schluckend schüttelte Virri den Kopf, japste sogleich auf, als er im Nacken gepackt und von dem ältesten Helden fortgerissen wurde.

„Überlass so halsbrecherische Aktionen uns, Knirps!“, knurrte Leo, während er dem kleinen Krieger den Bogen in die Hand drückte und ihn aus der Gefahrenzone schaffte. Wie Balaen das Schwert der Vier führte, hatte der jüngere Ritter ihrem Plan entsprechend dessen Hylia-Schild übernommen. Wo das Trio zuvor Link umzingelt hatte, klaubte er zusätzlich sein eigenes Schwert und die Axt auf.

Derweil fingen Balaens Kopien einen weiteren Abwärtsstreich Links mit Virris Kreuzklingentechnik ab, bei der die Klone jeweils ins Schwert des ihnen gegenüberstehenden griffen. Auch wenn ihnen diesmal die Knie einknickten, hielten sie wider Erwarten stand. Mit aller Kraft schlugen sie die gegnerische Waffe zurück, was ihnen auch nur deswegen gelang, weil Link sie selbst anhob. Als er sie erneut attackierte, stoben die Doppelgänger auseinander. Ohne Pause setzte der Dämonenkrieger ihnen nach, der warme Feuerschein nur ein kaltes Blitzen auf seiner Rüstung und der türkis-grauen Helixklinge. Balaen blieb keine andere Wahl, als seine Klone einzeln zur Flucht zu steuern.

Unvermittelt wirbelte Link zum Original herum, die riesige Waffe glühte verräterisch blassgrün und schickte dem Helden aus den Wolken eine Scheibe purer Energie entgegen. Der Ritter wich mit einer Hechtrolle aus. Link tat zwei Sätze auf ihn zu, hackte auf ihn ein. Gleich im Aufstehen ging Balaen in eine Rückflugrolle über, doch der Abstand, den er dadurch gewann, war nicht groß genug. Ein Ausfallschritt brachte Link wieder näher an ihn heran, und die Dämonenwaffe sauste auf ihn nieder. Nach seiner Landung stolperte Balaen vorsorglich weiter zurück, sodass ihn die keilförmige Spitze der Doppelklinge nur streifte. Sie schlitzte ihm über Brust und Bauch die Tunika auf, schnitt durch die Eisenringe des darunterliegenden Kettenhemds, als bestünde es lediglich aus grobmaschiger Wolle.

Bevor sich das Helixschwert zu einem weiteren vernichtenden Schlag erheben konnte, sprang Balaen an ihm vorbei nach vorn, stieß dem Dämon das Schwert der Vier ins emotionslose Gesicht. Durch den Aufprall wäre seiner tauben Rechten fast schon wieder das Heft entglitten. Obwohl Virris mystische Waffe an Links Wange entlangschrammte und dabei nur einen dünnen oberflächlichen Schnitt verursachte, reichte dieser aus, den abtrünnigen Helden für einen Augenblick zu lähmen. Der Beidhänder sackte zu Boden, doch Link ließ ihn nicht los.

Schnell versammelte Balaen seine Klone um sich und platzierte sie beidseitig der Helixklinge. Je zwei Exemplare des Schwerts der Vier stach er durch die beiden Durchbrüche, die die wellenförmig geformten Schneiden zwischen einander bildeten. Als Link in diesem Moment die Kontrolle über seine Dämonenform zurückerlangte und seine Waffe heben wollte, verkantete sie an den ineinander verkreuzten Kurzschwertern. Zudem sorgten die Klone und ihr Original mit ihrem ganzen vervierfachten Gewicht dafür, dass sie sich nicht aus der Erde lösten. Die leeren Augen des übermenschlichen Kriegers ließen keine Verärgerung erkennen, als er weiterhin mit geradezu widernatürlicher Geduld versuchte, die Doppelklinge zu befreien.

Aus sicherer Entfernung hatten Leo und Virri dem kurzen Kampf beigewohnt, der sich in der Arena zwischen den beiden Fackelkreisen abspielte.

„Jetzt, Knirps!“, zischte der ältere von ihnen erhitzt, und der kleine Held nickte entschlossen.

Er lief zu den vier verschiedenfarbig gekleideten Rittern und dem gepanzerten Dämon, dicht gefolgt von Leo, der jederzeit bereit war, seinen Gefährten vor jeden Unwägbarkeiten zu beschützen. Den Heroenbogen hebend, legte Virri einen weiteren Lichtpfeil auf, zielte kurz und präzise zwischen Balaen und den Klonen hindurch. Ruckartig riss Link den Kopf nach vorn unten, und das Geschoss flog wieder mal ins Leere. Sofort feuerte Virri den nächsten Pfeil, den der Dämonenkrieger mit einer überraschend schnellen Geste aus der Luft wischte, bevor er ihn treffen konnte. Der helle Ton von Metall auf Metall erklang, als die leuchtende Silberspitze auf den stählernen Panzerhandschuh schlug und funkensprühend erlosch.

Verbissen gab Virri einen weiteren Schuss ab, und auch diesen fing Link ab. Der verwandelte Held trat rückwärtsgehend von seiner blockierten Waffe weg, während der kleine Bogenschütze ihn mit einer wahren Salve an Lichtpfeilen heimsuchte. Alle Geschosse wurden Opfer von Links abwehrend zuschlagenden Fäusten.

Als Virri noch eines aus seinem Köcher fischen wollte, ermahnte Balaen ihn eindringlich: „Virri, verschwende die Pfeile nicht!“

Verunsichert senkte der Schütze den Bogen. Dank der Warnung seines älteren Gefährten erkannte er nun, dass es Links Absicht gewesen war, ihn zum raschen Verbrauch der magischen Munition zu bewegen. Ansonsten hätte er sein Gesicht dauerhaft abgeschirmt und ihm nicht immer wieder verlockend freie Schusslinie geboten. Hilfesuchend blickte Virri zu Balaen.

Der grüngewandete Ritter zog eine unwillige Miene, dennoch schloss er für einen Moment die Augen, atmete tief durch und konzentrierte alle seine Gedanken auf ein Vorhaben. Es kostete ihn noch immer ungeheuerliche Anstrengung, ohne Schwerter der Vier in Händen die Kontrolle über seine Klone oder diese selbst nicht zu verlieren. Trotzdem löste er sich von allen Ausführungen der mystischen Waffe und ließ sie als Blockade für die Helixklinge zurück. Im Quartett bestürmte er den viel größeren und stärkeren Dämonenkrieger, packte ihn an den Armen und rang ihn auf die Knie nieder.

Der kleine Bogenschütze und sein ritterliches Schutzgeleit folgten ihm, sodass Virri wieder aus der Nähe schießen konnte – wenn Link nicht vornübergebeugt sein Antlitz verbogen hätte.

Leo, der sich bislang nicht an dem Kampf gegen den Dämon hatte beteiligen können, raunte bärbeißig: „Ich mach‘ das schon …“ Mithilfe seiner Pegasusstiefel war er in Sekundenschnelle hinter Link, nahm ihn in den Würgegriff und bog seinen Kopf mit Gewalt zurück. Sowie Virris Ziel offenlag, schoss er – und schrie vor Frust auf, als er es wieder verfehlte.

Dass der abtrünnige Held so leicht in die Knie zu zwingen gewesen war, war nicht Balaens Verdienst gewesen, sondern stellte sich nun als List heraus. Aus der Haltung, in die Leo ihn gebeugt hatte, kippte Link selbstständig weiter nach hinten, bis sein Gesicht nach oben gerichtet war und somit unterhalb der Schusslinie des Lichtpfeils lag. Ein Bein aufgestellt drückte er sich zu einem Rückwärtsüberschlag ab, fällte den verdatterten Leo und warf Balaen und die Klone durcheinander. Vor Überraschen zog das grüngewandete Original unbeabsichtigt seinen Geist aus letzteren zurück, und sie lösten sich auf.

Umschwebt von dreifarbigen Funken war es dem Dämon nun ein leichtes, die Arme freizubekommen; er setzte über die gestürzten Ritter hinweg auf Virri zu, von dem ihn nun kein Hindernis mehr trennte.

Auch der kleine Krieger erkannte dies, schoss im Reflex zu hastig schräg nach oben. So fahrig er auch gezielt hatte, ging der Pfeil doch nicht mehr ganz daneben: Er streifte Links Schläfe und ritzte sie auf. Die anschließende Lähmung gab Virri einen winzigen, wertvollen Augenblick Gelegenheit, die er in seiner Panik nicht dafür riskierte, erneut zu schießen. Stattdessen wirbelte er herum und rannte um sein Leben – und wusste doch, dass es kein Entkommen mehr gab.

Diese schockierend klare Erkenntnis löschte mit einem Mal Virris Angst vollständig aus. Er bremste, zückte im Herumdrehen einen Lichtpfeil aus dem Köcher, fest dazu entschlossen, Dämon-Link damit in Empfang zu nehmen.

Dieser war bei seiner Verfolgung einen kurzen Umweg gegangen, um seine Waffe aufzulesen, die jetzt nur noch von dem originalen Schwert der Vier festgenagelt wurde. Fast ohne Widerstand glitt das Kurzschwert aus dem Durchbruch, wurde um die eigene Achse rotierend aus der Erde gerissen.

Mit dem Lichtpfeil auf der Sehne zog Virri diese durch. Bevor er sie vorschnellen lassen konnte, sprang Link übermenschlich hoch, hob den Beidhänder über den Kopf.

Unerschrocken folgte der Schütze ihm mit dem Bogen. Über den Fackeln war die Nacht düster, die Sterne nicht hell genug, um mit dem Leuchten der Pfeilspitze zu konkurrieren. So wurde Virris aus dem Himmel herabstoßender Tod gnädigerweise überstrahlt. Der kleine Held wusste, selbst wenn er jetzt noch einen Volltreffer landen sollte, würde ihn das nicht mehr retten.

Seine Finger, die die Bogensehne hielten, streckten sich, schickten sein letztes Lichtgeschoss auf die Reise. Schnurgerade flog es Link entgegen, mitten in sein grimmiges Gesicht – als er plötzlich schlichtweg verschwand.

Keinen Wimpernschlag später erschien wie aus dem Nichts Leo an seiner Stelle. Sein Glück war seine geringere Körpergröße als die des Dämons, denn der Pfeil flitzte über ihn durch den leeren Luftraum, wo vorher noch Links Kopf gewesen war. Getragen von dem Schwung des Springers prallte Leo mit Virri zusammen, und die beiden stürzten übereinander.

Aufgebracht, aber im Grunde erleichtert fuchtelte der kleinere nach dem Ritter und beklagte sich: „Spinnst du? Ich hätte ihn fast getroffen!“

„Ein einfaches Danke hätte auch gereicht“, erwiderte Leo zähneknirschend, ohne recht anzuerkennen, dass sein jüngerer Gefährte ihm dasselbe vorwarf wie er selbst zuvor dem älteren. Während Virri mit seinem Greifenmantel kämpfte, in dem er sich verheddert hatte, stand der Ritter auf. Statt des Hylia-Schilds, den er nun auf dem Rücken trug, hatte er den Tauschhaken ausgerüstet, den er der Gewohnheit wegen gleich wieder aufwickelte. Doch anstatt sich zu ihm ziehen zu lassen, straffte sich die Kette nur.

Verwundert sah Leo auf; um Virri zu helfen, hatte er die Tauschhakenklammer nach Links Knöchel ausgeworfen, und wie sich nun zeigte, hatte der Dämon sie gleich nach dem Positionswechsel mit der vom Schwertgriff gelösten Rechten aufgefangen. Jetzt zerrte er daran, scheinbar in dem Bestreben, Leo gleich wieder von den Füßen zu reißen.

„Darauf falle ich nicht noch einmal rein!“, versicherte der Heißsporn und stemmte sich in die andere Richtung, dank seiner Handschuhe mit derselben Kraft wie der übermenschliche Krieger.

Der hielt die Klammer für einen kurzen Augenblick weiter unbeweglich fest, bis die Kettenglieder bedenklich quietschten – und ließ einfach los.

So weit, wie Leo zurückgebeugt dastand, bewahrte ihn nichts davor, zu stürzen, als der Zug von vorn plötzlich ausblieb. Die Tauschhakenklammer wurde herumgeschleudert, fetzte herbei und knallte Virri, der es gerade geschafft hatte, aufzustehen, in den Rücken. Die Wucht des Aufpralls warf ihn sogleich wieder nach vorn. Deutlich hörte Leo, wie die in dem ledernen Köcher enthaltenen Pfeilschäfte brachen – und noch etwas anderes mit dumpfem, tiefem, grauenerregendem Knacken. Im Fallen schrie Virri schmerzerfüllt auf.

Abseits des Geschehens zwischen dem Dämonenkrieger und den beiden jüngeren Helden brachte Balaen endlich das Schwert der Vier wieder an sich. Er reckte es in der sehr vertrauten Geste in den Himmel, ignorierte das besorgniserregende Ziehen im Unterarm und beschwor seine Klone zurück. Die drei Kopien voraussendend, stellte er sich Link in den Weg, bevor dieser Leo und Virri attackieren konnte. Nach einer kurzen Koreografie aus knappem Ausweichen und mühsamem Abwehren war der Ritter aus den Wolken nahe genug an seinen Gegner herangekommen, dass er ihm mit nach oben geführtem Schwert ins Gesicht schnitt.

Während er an einer Stelle damit beschäftigt war, spähte Balaen mit einem anderen Augenpaar nach seinen Gefährten in der Hoffnung, Virri möge die Chance zum Schuss erkennen, sobald Link kurzzeitig zu keiner Regung fähig war. Als das nicht geschah, ging der älteste Held das Wagnis ein, zu den beiden rüberzulaufen. Dies war deswegen ein Wagnis, weil er sich dadurch auf etwas anderes fokussierte als auf das einseitige Duell gegen den Dämon, in dem seine Klone nicht mehr tun konnten, als immer wieder auf dessen Gesicht einzuhacken, um ihn gelähmt zu halten. Alles andere war zwecklos.

Auf Balaens Brust, wo das Helixschwert die Rittertunika und das Kettenhemd aufgeschlitzt hatte, tränkte allmählich Blut die Ränder des grünen Stoffes und zeigte an, wie haarscharf er vorhin dem Tode entronnen war. Den Schmerz des Schnittes fühlte er nicht.

Leo hatte die Tauschhakenkette locker aufgerollt und hängte sie sich gerade über die Schulter.

„Was ist passiert?“, wollte der Held aus den Wolken wissen, als er des am Boden liegenden Virri gewahr wurde. Der kleine Krieger wand sich ächzend, presste eine Hand auf den Unterrücken gegen Schmerzen, die sich wie ein dorniges Wurzelgeflecht durch seine Leibesmitte bohrten. Weil Leo nicht auf die Frage reagierte, sondern Virri nur entsetzt anstarrte, packte Balaen den Hylianischen Ritter an der Schulter und schüttelte ihn. „Leopold, was ist passiert?“, wiederholte er eindringlich, lauter diesmal.

Der Angerufene hob den Blick, der um Verzeihung zu flehen schien. Sein Mund öffnete sich, als wolle er etwas sagen, doch kein Wort kam ihm über die Lippen.

Auch wenn Balaen nicht wusste, was seinen Gefährten derart aufwühlte, ahnte er, dass es das Kampfgeschehen drastisch verändern würde – und das nicht zum Guten für das Heldentrio. Indem er mit dem Schwert der Vier auf dessen sich in Qualen krümmenden Besitzer deutete, wies der ältere Ritter Leo an: „Bring ihn in Sicherheit und hilf mir dann hier … Vielleicht können wir Link die Maske aus dem Gesicht schneiden“, fügte er hinzu, auch wenn er selbst nicht daran glaubte.

Sowie er dies aussprach, gelang es dem Dämonenkrieger, sich von den ihn stetig betäubenden Klonen zu befreien. Weil sein erkorenes, blau gekleidetes Opfer für das Helixschwert zu nahe an ihm stand, versetzte er ihm mit der Hinterhand einen vernichtenden Fausthieb gegen den Oberkörper. Beim Heldentrio auf der anderen Seite der Arena brach Balaen zusammen, schlang sich die Arme um die Bauchgegend und stöhnte gepeinigt. Auch wenn sie sich diesmal nicht in Funken auflösten, erstarrten die übrigen Ritterkopien, und Link entkam aus ihrer Formation. Er schickte einen blassgrünen Schwertstrahl voraus – und Leo, noch immer unfähig zu klaren Gedanken, reagierte rein instinktiv: Er sprang vor seine Gefährten, riss den Hylia-Schild von seinem Rücken und wehrte das Energiegeschoss ab.

Als Link sich zu seiner verheerenden Sprungattacke in die Höhe katapultierte, packte Leo Balaen an der Tunika und warf ihn einfach weg, rückte anschließend näher an den hilflosen Virri heran, um ihn mit dem Schild zu schützen. Unnötigerweise, denn Link schien eher auf die beiden älteren Grüngewandeten gezielt zu haben. Mit nur einer Handspanne Abstand zu dem kleinen Helden, ihn aber nichtsdestoweniger verfehlend, grub sich die türkis-graue Helixklinge in die Erde.

Endlich fand Leo sein vorlautes Mundwerk wieder. „Denk dir mal was neues aus!“, keifte er, schlug Link, der nach seinem Angriff praktischerweise noch vornübergebeugt stand, mit der Faust und aller Kraft in die Dämonenfratze, schnappte sich Virri, aktivierte seine Stiefel und raste durch die allmählich ausbrennenden Fackeln aus der Arena der Helden.

In der Zwischenzeit hatte sich Balaen nach dem unfreiwilligen, lebensrettenden Flug auf die Knie gerappelt. Gleichzeitig betrachtete er durch die Augen seiner Klone in Rot und Violett den dritten, blau gekleideten, den es eigentlich nicht mehr geben durfte. Natürlich hatte ihn die Wucht von Links Fausthieb ohne Schwierigkeit gefällt, und einem Menschen hätte sie ohne Zweifel den Brustkorb zertrümmert – ganz so, wie sich Balaen selbst im Übrigen fühlte, als sei der Doppelgänger gestorben. Dennoch war dieser nicht zu blauen Funken zerfallen, wie es eigentlich hätte passieren müssen. Und das machte das Original stutzig.

Durch die Augen seiner drei Abbilder, die ihm glichen wie sein Spiegelbild, blickte er in ebenjene und erkannte etwas darin, das bislang noch nicht in ihnen gewesen war: Auf dem natürlichen Himmelblau der Iriden lag ein Hauch von Gold, ein feines Glitzern, das dem Held aus den Wolken nur allzu vertraut war.

Vor Aufregung hätte Balaen fast die Kopien des Schwerts der Vier fallen gelassen, als er in seiner Gürteltasche kramte und ihr die Flasche mit den Pilzsporen entnahm, in der seine Restration für gut drei Tage enthalten war. Schnell entkorkte er sie und kippte sich das golden glitzernde Pulver in den Mund. Der übliche Würgereiz wegen des modrigen Geschmacks blieb aus, und Balaen hatte nur an der staubartigen Trockenheit schwer zu schlucken. Das leichte Taubheitsgefühl, das die bereits eingenommene Überdosis in seinem Körper ausgelöst hatte, verstärkte sich. Geleitet von Balaens vierfach beschleunigtem Stoffwechsel, zog sie sich von der Mundhöhle in den Hals, breitete sich bis in die Gliedmaßen aus. Die Last seines stofflichen Leibes wurde von ihm gehoben, und es schien ihm, als würde er dematerialisieren.

Die Lähmung, die Link nach Leos Schlag befallen hatte, hatte die Bewegungen des Dämons nicht vollständig eingefroren und ließ soeben nach. Bedrohlich langsam richtete er sich wieder auf. Balaen schleuderte die leere Flasche nach ihm, und das Glas zerplatzte an der stählernen Plattenrüstung zu harmlosen Scherben. Dennoch verfehlte der Wurf nicht seine Absicht: Anstatt die Verfolgung der beiden jüngeren Helden aufzunehmen, wandte Link seine Aufmerksamkeit ihrem ältesten Gefährten zu. Der kniete noch immer und stellte unbewaffnet keine Gefahr für ihn dar – anders als die drei Klone, die den Dämonenkrieger nun wieder bedrängten.

Links ungerührter Miene war nicht anzumerken, ob er darüber verwundert war, den blaugewandeten noch unter ihnen zu sehen. Zwei von ihnen fielen gleich zum stürmischen Nahkampf über ihn her. Mit dem dritten hob Balaen das zuvor verlorene originale Schwert der Vier auf und warf es sich selbst zu. Der Grüngewandete fing es an der hellsilbernen Klinge, die ihn als ihren Nutzer nicht schnitt, und schloss die rechte Hand so fest wie eben möglich um den Griff.

Seine Kriegerreflexe in den drei künstlichen Körpern waren so schnell wie seine eigenen, dennoch wich er nicht rechtzeitig aus, als Link nach einem von ihnen schlug. Der Klon wurde, ohne dass auch nur der Stoff seiner Tunika Schaden genommen hätte, zu Boden geworfen, und durch Balaens Seite schoss ein Gefühl, als werde er zweigeteilt. Trotz – oder eben wegen – der Glitzersporen war sein Schmerzempfinden für seinen eigenen Leib ausgeschaltet, doch für die drei zusätzlichen unverändert. Ein geringer Preis für die Unverwundbarkeit im Kampf gegen einen unverwundbaren Dämon. Aus dieser Gewissheit zog der Held aus den Wolken die mentale Kraft, alle Schmerzen zu ertragen.

Er stellte das Schwert der Vier vor sich auf die Spitze, legte die linke Hand um die andere an dem kurzen Heft und stützte sich auf die Waffe. Die Augen vor Anspannung zugekniffen, versetzte er sich in seine Kopien und focht mit nie gekannter Intensität. Sich seinen Streichen und Stichen erwehrend, wich Link langsam rückwärts in Richtung Arenamitte.

Außerhalb des Fackelkreises lief Leo noch einige pegasusschnelle Schritte, bremste dann scharf und setzte Virri behutsam ab. Der kleine Held wimmerte mitleiderregend und rührte sich nicht, um die Höllenqualen, die er durchlitt, nicht noch zu verschlimmern. Ohne zu zaudern, hängte sich Leo den Hylia-Schild auf den Rücken und riss seinem Gefährten die Flasche mit Fee vom Gürtel.

„J-jetzt … schon?“, presste Virri undeutlich zwischen zwei abgehackten Atemzügen hervor.

„Wann denn sonst?!“, gab Leo barsch zurück, während er den Korken herauszog und die Fee direkt über Virri ausschüttete. Nachdem ihr Werk vollendet war, flog sie davon. Sanfter wollte der Hylianische Ritter wissen: „Besser?“

„Es tut nicht mehr weh …“, erwiderte Virri sehr vage, bemühte sich aber nicht darum, aufzustehen.

Achtlos ließ Leo die leere Flasche fallen und griff seinem Gefährten unter die Arme. „Jetzt nur keine Müdigkeit vorschützen, Schütze!“ Er stellte Virri auf die Füße, doch der setzte sich sogleich wieder, viel zu hastig, als dass es eine rein gewollte Bewegung hätte sein können. „Was ist denn jetzt noch?!“, fragte Leo ungehalten, jedoch nicht aus seiner üblichen Ungeduld heraus, sondern ehrlicher Sorge.

Statt zu antworten, nestelte Virri an seinem Greifenmantel herum und zog ihn aus, um sich den Köcher vom Rücken zu schnallen. Das Lederbehältnis war an einer Stelle etwa in der Mitte tief eingedellt und im stumpfen Winkel abgeknickt. Mit den kurzen Pfeilen gab sich Virri gar nicht erst ab, nahm nur alle von der längeren magischen Sorte heraus und breitete sie vor sich im Gras aus.

Leo wollte nicht glauben, was er sah: Eine elendige Reihe rettungslos verbogener und sogar zersplitterter Schäfte. Selbst wenn die Silberspitzen noch von Lichtmagie erfüllt waren, so wären die Geschosse als solche nicht mehr zu gebrauchen. Der Tauschhaken und die Krafthandschuhe, Teile seiner Ausrüstung, hatten im Zusammenspiel die einzige wirklich wirksame Waffe zerstört, die das Heldentrio gegen Links Dämonenform besessen hatte.

„Geh zur Seite!“, verlangte Virri, boxte gegen das Bein des Ritters, und dieser gehorchte. Von der Arena fiel nun etwas Feuerschein auf die Ansammlung von Holzspänen. Mit fachkundigem Blick und flinken Fingern durchsuchte Virri, was von der verzauberten Munition übrig war. Schließlich fand er tatsächlich noch schussfähige Exemplare. „Das sind zu wenig!“, rief der kleine Schütze verzweifelt und ließ mutlos seine magere Ausbeute von nur drei Pfeilen sinken. „Ich hab bis jetzt so viele geschossen und nicht getroffen … Lass mich hier und geh zurück!“ Er versuchte, Leo von sich zu schubsen, warf dabei jedoch nur sich selbst aus der Sitzposition.

Reaktionsschnell fing der Ritter ihn und richtete ihn wieder auf. „Was soll der Mist? Willst du uns im Stich lassen?“

Störrisch wehrte sich Virri gegen seinen Griff. „Ohne Lichtpfeile kann ich nichts mehr ausrichten! Ich würde nur im Weg sein!“

Endlich ließ Leo von ihm ab, jedoch nur, um ungnädig auf ihn herabzublicken. „Du hast recht. Du bist mir die ganze Zeit im Weg.“

Zitternd zog der kleine Held den Kopf noch weiter zwischen die Schultern ein.

„Wenn es dich und die Silberpfeile nicht gäbe“, fuhr sein Gefährte fort, zückte effektvoll die Streitaxt und ließ den Stiel in die flache Rechte klatschen, „dürfte ich Link den Kopf abschlagen.“

Verwirrt sah Virri zu ihm auf. Leos harte, strenge Miene machte deutlich, dass dieser Satz nicht nur einer seiner gehässigen Sprüche gewesen war, wie er sie häufig riss. Er war wirklich und wahrhaftig darauf aus, den Serienmörder zu töten. Dahingegen war Virri nie dafür gewesen, ihre Zielperson hinzurichten, nicht einmal im Eifer des Gefechts. Ungeachtet dessen, wie die allgemeinen Siegchancen des Heldentrios standen: Sollten sie gewinnen, so würde Link das nicht überleben – es sei denn vielleicht, wenn Virri ihn mit einem Lichtpfeil wieder zu einem Menschen machte. Deswegen verweilte Leo noch immer bei dem kleinen Bogenschützen, um ihn dies erkennen zu lassen – und nicht zuletzt auch als letztes Zugeständnis an seine eigene Rechtschaffenheit.

Bestürzt ließ Virri den Kopf hängen. „Ich kann meine Beine nicht spüren …“, flüsterte er kaum vernehmbar.

Dennoch hatte es der Held mit dem Gehör eines Hasen verstanden. Für einen Moment erfasste ihn ein ähnliches Gefühl wie jenes, das sein kleiner Gefährte beschrieb, als er alle seine Befürchtungen, was das dumpfe Knacken von zuvor gewesen sein mochte, bestätigt sah. „Aber die Fee …“, widersprach Leo starrköpfig, packte Virri kurzerhand im Nacken und stellte ihn auf. Überrascht taumelte der kleine Krieger, blieb aber, wenn auch wackelig, auf den Beinen. Mit säuerlicher Erleichterung stellte der Hylianische Ritter fest: „Na, siehst du. Geht doch!“ Er schüttete die nichtmagischen Pfeile aus dem demolierten Köcher, reichte ihn Virri, damit er die drei Lichtpfeile darin verstaute, und half ihm, diesen und den Greifenmantel wieder anzulegen. Dann hob er den kleinen Helden auf, lief mit ihm im Schlepp, ohne die Pegasusstiefel zu beanspruchen, zurück in das Kreisgebilde aus Fackeln.

Dort hatte das Gefecht zwischen den emotionslosen Kriegern unvermindert weitergetobt. Unterwegs ließ Leo Virri den Heroenbogen auflesen und lieferte seine wertvolle Fracht bei Balaen ab. Der originale Ritter aus den Wolken war derart vertieft in die dreifach ausgeführten Schwerttechniken, dass er seiner Gefährten nicht gewahr wurde.

„Du bleibst erst mal hier!“, bestimmte Leo an Virri gewandt, nahm den Tauschhaken von seiner Schulter runter und hängte ihn an seinen Gürtel zurück, damit er ihn nicht behinderte. „Und ich“, – erwartungsvoll nahm er den Axtstiel in beide Hände, – „mische jetzt endlich mit!“

Indem er dreimal auf der Stelle trat, erweckte er die beschleunigende Wirkung seiner Stiefel. Pfeilschnell flitzte er auf die Kontrahenten zu, noch im Herannahen seine Streitaxt hebend. Durch einen der Klone sah Balaen den jüngeren Ritter kommen und ließ alle drei mit einer Rückflugrolle auseinanderweichen. Link hingegen, der mit dem Rücken zu Leo stand, bemerkte ihn nicht. Schon war der rasende Held heran, schlug das Axtblatt in den muskulösen Oberschenkel des Dämonenkriegers. Der Aufprall fuhr Leo bis ins Mark, dennoch grinste er boshaft: Die Schneide der Streitaxt war um mehr als eine Handbreit tief eingedrungen. Wenn er das Bein ein paar Male zielgenau dort traf, könnte er es tatsächlich abhacken und Link wie einen Baum fällen!

Um dies also zu tun, zog Leo die Waffe wieder heraus, holte erneut aus zu einem weiteren Schlag – als ein reißender Schmerz durch seine linke Schulter schoss und der Arm kraftlos herabsackte. Irritiert taumelte er zurück. Auf dem unverletzten Standbein drehte sich Link im Sternschritt zu ihm herum, das riesige Schwert beschrieb einen vernichtenden Kreisbogen. Reflexhaft beugte sich der Ritter aus der Hüfte zurück, sodass es über ihn hinwegsauste. Sowie er sich wieder aufrichtete, fuhr es auch schon von oben auf ihn hernieder wie zu Stahl erstarrter Tod. Die linke Hand vom Schmerz gelähmt, zückte Leo mit der anderen den Hylia-Schild. Ohrenbetäubend laut knallte die mächtige Helixklinge darauf, doch Leo fing sie ab, ohne einzuknicken.

Gehässig lachte der Heißsporn auf. „Versuch nur, mir den Arm zu brechen, Bleichgesicht!“

Da packte der Dämon den Hylia-Schild am Rand, riss dessen Träger in die Höhe, als wolle er der Aufforderung tatsächlich nachkommen, und schleuderte ihn von sich. Durch die Lüfte segelnd, stieß Leo einen überraschten Schrei aus, bis er auf dem Boden aufkam und ächzend verstummte. Zwei-, dreimal überschlug er sich, bevor er endlich zum Halt kam.

Trotz des Schwindels gewahrte der Hylianische Ritter das blassgrüne Licht, das auf ihn zuraste, sprang auf und blockte den Schwertstrahl ab, den Link ihm hinterhergeschickt hatte. Gefährlich knurrte Leo: „Na, warte …“ Die Axt schulternd, aktivierte er die Pegasusstiefel – und in eben dem Wimpernschlag, nachdem er losrannte, schienen mehrere Dinge gleichzeitig zu passieren:

Link holte aus, um ein weiteres Energiegeschoss abzufeuern, dessen Ziel diesmal jedoch nicht Leo war, sondern der laufunfähige Virri und der unbeweglich konzentrierte Balaen.

Hinter dem derart abgelenkten Dämonenkrieger sprang die violett gekleidete Kopie des Ritters aus den Wolken ab, so hoch er konnte.

Mit einem Schritt wechselte Leo scharf die Richtung, um seine eigentliche, fast vergessene Aufgabe zu erfüllen: Seine Gefährten zu beschützen. Darüber, dass er zu spät kommen würde, verschwendete er in seiner blinden Hast keinen Gedanken.

Der violette Klon spießte sein Exemplar des Schwerts der Vier an Links Rüstung vorbei am Halsansatz bis zur Parierstange in die linke Schulter.

Der Schwertstrahl erreichte die beiden Helden. Virri warf sich zu einer Vorwärtsrolle aus der Schusslinie; Balaen hingegen wurde von ihr voll erfasst, nur einen Sekundenbruchteil, bevor Leo zur Stelle war.

Der älteste Held verkrampfte sich unter der feindlichen Energie. Auch wenn er den eigenen Körper nicht mehr wahrnahm, wurde die Verbindung zu den Kopien gekappt. Ihm entglitt die Kontrolle, noch bevor sein Doppelgänger in Violett nach dem beherzten Sprung aufkam und wie eine von ihren Fäden getrennte Marionette zusammenbrach. Die anderen beiden Klone erstarrten, wo sie gerade standen.

Jetzt, mit allen seinen Gegnern verhindert, war die beste Gelegenheit für Link, die drei grüngewandeten Helden ungehindert anzugreifen. Doch der übermenschliche Krieger regte sich selbst nicht. Nur die rechte Hand hielt das Doppelhelixschwert noch, die andere hatte das Heft losgelassen. Sie zuckte unregelmäßig, als könnten ihre Sehnen und Muskeln die motorischen Nervenimpulse, die sie erreichten, nicht richtig verarbeiten. Die in Links Schulter steckende Klinge des Schwerts der Vier, das schon etliche Monster und zweimal einen mächtigen Winddämon erschlagen hatte, störte seinen Bewegungsapparat.

Leo riss die Augen auf. „Jetzt!“ Aufgeregt blickte er zu Virri.

Der war nach seiner Ausweichrolle nicht wieder auf die Füße gekommen, sondern auf dem Rücken liegen geblieben. Gerade setzte er sich ungelenk auf, was für Leos Geschmack viel zu langsam vonstatten ging. Also legte er Axt und Schild ab, packte den kleinen Krieger, lud ihn sich auf die Schultern, stützte ihn von unten mit den Händen und trug ihn zu Link hinüber. Falls der Dämon doch noch überraschend mit dem Beidhänder zuschlagen sollte, hielt Leo in ausreichendem Sicherheitsabstand an. Dennoch war er ihrem Gegner nahe genug, dass dieser ein hervorragendes Ziel bot – gerade für einen so talentierten Schützen wie Virri.

Den Heroenbogen horizontal über den Kopf des Ritters haltend, legte er einen Pfeil auf die Sehne, dessen Spitze hell wie eine winzige Sonne vor ihm erstrahlte. Als er losflog, verfehlte er sein Ziel um eine ganze Elle.

Leo, der angespannt die Luft angehalten hatte, stieß sie aus, indem er schnauzte: „Was war das für ein mieser Schuss?!“

Panisch rechtfertigte sich der Schütze auf seinen Schultern: „Der Lichtpfeil hat mich geblendet! Ich konnte nicht sehen, wohin ich schieße …“

Tatsächlich war es in der Arena der Helden während ihres Kampfes immer dunkler und dunkler geworden. Die Fackeln brannten allmählich aus, ihre Flammen schrumpften in sich zusammen. Zudem waren gerade in den letzten Minuten mehrere der Lichtquellen vollständig erloschen, sodass die zur Unkenntlichkeit verkohlten Stoffstreifen nur noch ein schwaches Glühen abgaben. Rauch trübte die windstille Luft. Wie zuvor, als Virri nach oben in den Nachthimmel gezielt hatte, hatte die grell leuchtende Silberspitze des letzten Lichtpfeils für den Schützen alles, was hinter ihr lag, überstrahlt. Virri hatte buchstäblich ins Schwarze geschossen.

„Versuch’s nochmal!“, wies Leo ihn sofort an. Während Virri erneut auflegte, sorgte der Ritter unter ihm für festen Stand. Der kleine Krieger würde noch vor dem Spannen genau zielen können, doch würde das nur dann auch zu einem Treffer führen, wenn sein Träger nicht wackelte.

Unterdessen hatte Balaen sich von seinem Schock durch den Schwertstrahl erholt, noch darum bemüht, sich seine Klone wieder untertan zu machen. Auch wenn sie sich glücklicherweise nicht aufgelöst hatten, gehorchten sie den mentalen Befehlen ihres Originals nicht. Sie blieben völlig reglos.

Anders als Link, der allmählich seine Beweglichkeit wiederfand. Sich langsam aufrichtend, beobachtete er Virri aus den blicklosen, toten Dämonenaugen. Wie zu erwarten bluteten die Schnitte nicht, die ihm der andere Lichtpfeil und das Schwert der Vier im Gesicht beigefügt hatten. Die ersten hatten sich unter einer Heilkraft, die keiner Feen bedurfte, geschlossen, weitere bereits damit begonnen.

Bevor Virri dieses emotionskalte Antlitz anvisierte, zögerte er einen Gedanken lang. In dieser Gestalt schien das Schwert der Vier in Links Schulter keine bedrohlichere Wirkung zu haben als die teilweise Lähmung. Wenn er sich damit jedoch zurückverwandelte, würde die Klinge seinen menschlichen, normalverwundbaren Oberkörper durchschneiden und ihn sofort töten.

Bedächtig wechselte Link das Helixschwert in die linke Hand, die gerademal dafür wieder zu gebrauchen war. Sein leerer Blick richtete sich auf den violett gekleideten Klon, der unbeteiligt neben ihm im Gras lag.

„Schieß, Virri!“, brüllte Balaen plötzlich.

Vor Schreck gehorchte der Schütze, ohne weiter über die möglichen Folgen nachzusinnen.

Gleichzeitig hob Link die Ritterkopie mühelos auf wie eine Puppe und riss sie vor sich. Der Lichtpfeil und seine Magie sprangen von dem Kettenhemd ab, hinterließen ein kleines Loch in der Tunika.

Leo fluchte unflätig.

Rückwärts rückte Link von ihnen ab, hinkte dabei auf dem verletzten Bein. Die doppelte Klinge seines Beidhänders schleifte durch das Gras. Seine wehrlose Geisel hielt er vor sich wie einen menschlichen Schild.

„Mieser Bastard!“, zischte Leo durch zusammengepresste Zähne. Er wandte sich Balaen zu, der gerade auf die anderen beiden Grüngewandeten zuwankte wie ein Schlafwandler. „Das haben wir nicht in unsere Taktik einkalkuliert.“

Der ältere Ritter ging nicht darauf ein – nicht, weil er die Anmerkung gewollt ignorierte, sondern weil er Leo schlichtweg nicht wahrgenommen hatte. Mit beengtem Tunnelblick ergriff er Virri grob am Handgelenk. „Töte mich!“, forderte er eindringlich, die weit aufgerissenen Augen erfüllt von einem Irrsinn, den seine Gefährten von dem sonst so gefassten Auserwählten Hylias nicht kannten. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und er bebte unter Schüttelfrost.

Die jüngeren Helden wussten nichts von den maßlos überdosierten Glitzersporen, deren Wirkung für Balaen spürbar nachgelassen hatte. Das Loch, das der Pfeil in dem violetten Gewand hinterlassen hatte, bewies, dass die Klone ihre Unverwundbarkeit schon wieder eingebüßt hatten. Diesen Schuss hatte der Doppelgänger letztlich nur dank des Kettenhemdes überlebt. Das Heldentrio musste ausnutzen, dass Link weiterhin davon ausging, seine Geisel böte allumfassenden Schutz.

Leo sah den Ritter aus den Wolken an, als wäre dieser völlig verrückt geworden. „Was faselst du da, Mann?“

Nur Virri kannte wie niemand sonst den Einfluss des Schwerts der Vier auf die Selbstwahrnehmung seines Nutzers und verstand daher, worauf der älteste Held hinauswollte: Der kleine Krieger sollte das violett gekleidete Abbild opfern, indem er es erschoss, und gleich den nächsten Pfeil hinterherschicken, um Link sogleich zu treffen.

Von seiner erhöhten Warte auf Leos Schultern blickte Virri bedauernd zu Balaen hinab. „Ich hab nur noch einen Pfeil …“ Er wünschte sich, auch die nichtmagische Munition in die Arena mitgenommen zu haben. Allerdings hatte ihm und Leo da schon die Zeit gefehlt, in dem Schrotthaufen nach brauchbaren Exemplaren zu suchen, erst recht jetzt, zurückzulaufen und das nachzuholen.

Konsterniert starrte Balaen seinen kleinen Gefährten an, während sein schmerzmittelumnebelter Verstand die volle Bedeutung dieser Worte zu erfassen versuchte.

„Ich bin ja kein Experte“, mischte sich da Leo an den älteren Ritter gewandt ein, „aber könntest du das Schwert nicht einfach einstecken, solange alle drei Doppelgänger noch da sind?“

„Ja, genau!“, rief Virri aus. „Stecke das Schwert der Vier ein, und ich schieße, wenn der Klon weg ist!“ Danach würde Balaen seine Kopien sogar wieder rufen können, doch wäre es dann schon gar nicht mehr nötig. Wenn Virri bei dieser Aktion traf, wäre der Kampf entschieden.

Mit dröhnendem Schädel starrte Balaen auf das Schwert der Vier in seiner Hand. Nachdem ihm vorhin die Methode gekommen war, seinen Klon von Virri töten zu lassen, wechselte er jetzt nur träge zu dieser anderen.

Mittlerweile war Link stehengeblieben, sodass sich eine der Fackeln des inneren Kreises genau hinter ihm befand. Ihr erlöschender Glutschein bildete nur ein schwaches Gegenlicht, doch erschwerte es Virri das Zielen noch zusätzlich. An der Silhouette des finsteren Kriegers war schwer zu erkennen, wie genau er den Klon vor seinem Gesicht hielt. Noch immer hatte Balaen keine Kontrolle über sein violettes Abbild, sie zurückzuerlangen nicht einmal mehr versucht.

Mit langsamen, abgehackten Bewegungen hob Link das Helixschwert, das er mit nur einer Hand nicht zum Streich schwingen konnte, und stellte es in die Erde spießend neben sich auf. Mechanisch führte er die freigewordene Linke an den goldenen Griff des Schwerts der Vier in seiner Schulter und zog es mit einem Ruck. An der blanken weißen Klinge der Waffe, die in der Hand des übermenschlich großen Dämons wie ein besserer Dolch anmutete, haftete kein Tropfen Blut. Das violette Licht der Gemme im Knauf beleuchtete nun doch sein Gesicht, während er deren Farbe mit der Kleidung seiner vermeintlich unverwundbaren Geisel verglich. Auch sah er die anderen beiden Klone mit ihren farblich passenden Waffen – und zog die richtigen Schlüsse.

Zum ersten Mal zeigte das maskenhaft bewegungslose Gesicht eine Regung, als Link den Mund öffnete. Den glühenden Zierstein klemmte er zwischen die Eckzähne, die lang waren und spitzer als die Fänge eines Raubtiers.

„Nein …“, flüsterte Virri grauenerfüllt, als Link zubiss.

Vom Knauf ausgehend zerbrach das Kurzschwert innerhalb eines Wimpernschlags zu violetten Funken, dicht gefolgt von dem zu ihm gehörenden Klon.

Neben Virri und Leo sackte ihr Gefährte auf die Knie, fasste sich mit beiden Händen an den Kopf, krallte die Finger in Haar und Mütze. In einer nahezu unmöglichen Verrekung krümmte er sich nach hinten und brüllte die schreckliche Höllenqual, die seinen Körper und Geist in Fetzen riss, in die Nacht hinaus. Der grüne Stein des originalen Schwerts der Vier flackerte unkontrolliert und erlosch schließlich. Auch die übrigen Klone und ihre Kopien der Waffe zerfielen zu Funken. Gebannt starrten die beiden jüngeren Helden Balaen in seinem Leiden an, Leo vor Entsetzen, Virri vor Mitleid.

So plötzlich der Schmerzensschrei begonnen hatte, brach er auch ab. Verstummt kippte der Ritter aus den Wolken um und verlor das Bewusstsein.

Link zog das Dämonenschwert aus dem Boden.

Virri stieß einen überraschten Laut aus, als Leo ihn plötzlich absetzte und den Hylia-Schild anlegte, für den Fall, dass ihr Gegner gleich wieder angriff, was der jedoch nicht tat.

Was zunächst wie ein Glücksfall für das Heldentrio erschien, würde sie auf lange Sicht das Leben kosten. Die Verletzungen, die Link am Oberschenkel und in der Schulter erlitten hatte, schränkten ihn in seinen Bewegungen weit genug ein, dass er nicht mehr kämpfen konnte – doch das würde nicht mehr lange andauern. Er musste nur ausharren, bis seine übernatürliche Selbstregeneration seinen Körper vollständig wiederhergestellt hatte. Zweifellos würde er dann wieder mit alter, vernichtender Stärke zuschlagen. So ruhig, wie er dastand, lieferte er ein nur allzu leichtes Schussziel ab, doch Virri sprang darauf wohlweislich nicht mehr an.

„Dieses Hin und Her wird ewig so weiter gehen, wenn wir nicht was tun!“, grollte Leo und wusste doch, wie vermessen diese Aussage war. Die drei Helden waren am Ende ihres Könnens angelangt, während ihr übermenschlicher Gegner noch immer unerschöpfliche Ausdauer genoss.

Sich setzend und mit Blick auf Balaen meinte Virri verzweifelt: „Wenn er wach wäre, wüsste er bestimmt, was wir tun sollen.“

Wenig überzeugend – und ebensowenig überzeugt – schnaubte Leo: „Unsinn! Von ihm war doch unsere bisherige Taktik, und die hat uns auch nicht geholfen! Ich hacke Link einfach mit meiner Axt ein Bein ab, wofür habe ich sie sonst?“ Er griff nach benannter Waffe auf seinem Rücken und zog sie, hielt dann jedoch inne. „Oder ich versuche …“ Nachdenklich betrachtete er das Schwert der Vier, das unnütz neben Balaen lag. Obwohl es als Kurzschwert keine eindrucksvolle Waffe hergab, hatte es sich doch auf ganzer Länge in den Leib des Dämons spießen lassen. Offenbar war die mystische Klinge weitaus effektiver als eine Streitaxt aus gewöhnlichem Stahl. Entschlossen streckte Leo die Hand danach aus.

Noch bevor er es auch nur berührte, leuchtete der grüne Zierstein auf. „Was zum …?“, murmelte Leo verwirrt und trat zurück, als sich Balaen, die Handfläche an die Schläfe gepresst, aufrichtete. Der Held aus den Wolken schloss die Rechte um den Griff des Schwerts der Vier und stand wankend auf.

„Das kann nicht sein!“, stieß Virri hervor und meinte damit das Leuchten der Gemme, das eigentlich unmöglich war nach der Auflösung der Klone.

Träge nahm Balaen die Hand vom Kopf und sah den kleinen Krieger an aus Augen, aus denen sich der Irrsinn von zuvor, ja jeder Glanz verflüchtigt hatte. Im gespenstisch grünen Licht wirkten sie gar so entrückt wie die Augen der verschwundenen Kopien des Ritters. „Ich habe es verstanden, Virri“, sagte der älteste Held mit ungerührter, gefühlskalter Stimme. „Ich habe es endlich verstanden …“

Eingeschüchtert nickte der eigentliche Träger des Schwerts der Vier langsam. Diesmal bezweifelte er, dass er nachvollziehen konnte, wovon sein Gegenüber sprach. Und genau das machte ihm in vielerlei Hinsicht Angst.

„Ich weiß zwar nicht, was hier abgeht“, meldete sich Leo zu Wort, der die Verwunderung seines jüngeren Gefährten nicht zur Gänze teilte. „Aber willkommen zurück, Himmelsheld!“ Kameradschaftlich schlug er dem älteren Ritter auf die Schulter. Mit einer Kopfgeste deutete er Richtung Arenamitte, wo Link noch immer darauf wartete, wieder ganz kampffähig zu sein. „Ich nehme mal stark an, du hast genau die richtige Idee hierfür.“

„Hab ich nicht“, gestand Balaen erschreckend sachlich.

Geschockt riss Leo die Augen auf. „Was soll das schon wieder heißen?“

Der Held aus den Wolken schwieg beflissentlich. Der Großteil ihrer Kampfkraft war mit seinen Klonen verloren gegangen. Dem Heldentrio stand nur noch ein einzelner Lichtpfeil zur Verfügung. Virri konnte nicht mehr selbstständig laufen, von springen war gar nicht erst zu reden. Alle ihre Heilfeen waren aufgebraucht, das Dunkel der Nacht hatte sich gegen sie gewendet. Das wenige, was sie gegen den Dämonenkrieger erreicht hatten, würde langsam aber sicher jede Bedeutung verlieren. Es stand denkbar schlecht für sie drei, und Balaen fand es müßig, Leo darauf hinzuweisen.

Der Hylianische Ritter beharrte: „Wir haben ihn doch fast!“

„Urteile nicht voreilig“, entgegnete sein älterer Gefährte ruhig. „Sobald wir ihn unterschätzen, sind wir tot.“

Kampflustig schmetterte Leo die Streitaxt geräuschvoll auf den Schild. „Dann schlag was vor!“

Dazu, etwas zu erwidern, kam Balaen nicht mehr.

Den Moment, in dem sich die drei nur einander widmeten, nutzte Link aus. Durch die Nähe zu seinem Gesicht, das der Maske wegen seine Schwachstelle war, war die Schulter eher verwundbar als weiter entfernte Körperpartien. Deswegen war sie aber auch schneller verheilt als das von Leo verletzte Bein. Das Helixschwert wieder fest in beiden Händen, schwang sein Träger es überraschend, schoss eine Welle blassgrünen Lichts nach dem Heldentrio. Reaktionsschnell fuhr Leo herum, hielt den Hylia-Schild dagegen. Die Energie prallte auf den göttlichen Stahl, platzte auf und verteilte sich wie Tinte in Wasser. Blieb für den Bruchteil einer Sekunde als glühende Schwaden in der Luft stehen.

In dieser noch so kurzen Zeit war deutlich zu erkennen, dass ihre Farbe nicht aus einem einzigen Grünton, sondern unzähligen verschiedenen Nuancen bestand, die sich in unendlichen Wirbeln miteinander verwoben und ineinander übergingen.

Dieser Anblick brachte eine Saite in den Helden zum Klingen, ein Gefühl tief in ihrer gemeinsamen Seele, das mit keinem Wort der Welt zu benennen war. Und doch hatten sie es schon vorher unbewusst wahrgenommen, wann immer sie aufeinander getroffen waren. Getragen vom Fluss der Zeit hallte ein Gedanke durch den Geist des Helden, und für einen gemeinsamen Herzschlag verband er sie zu einem einzigen Verstand: Balaen, Virri, Leo – und Link.

Kaum, dass der erste Schwertstrahl erlosch, schickte Link gleich den nächsten nach, der genauso wirkungslos an Hylias Wappen verging. Leo entledigte sich der Axt, zog den rechten Arm aus der Halterung auf der Rückseite des Schilds und rammte ihn in die Erdkrume. Neben ihm warf sich Virri den Greifenmantel ab, den Leo sogleich auffing, die Pegasusstiefel aktivierte und, sich den Umhang umlegend, aus der Arena flitzte.

Balaen rannte in die entgegengesetzte Richtung, aus der Link mit schweren Schritten herbeistampfte. Energiewellen empfingen den Ritter aus den Wolken, der ihnen mit Hechtsprüngen auswich. Ein paar der fehlgehenden Geschosse zerfaserten an dem aufgestellten Hylia-Schild, hinter dem Virri Deckung suchte.

Außerhalb des fast erloschenen Fackelkreises hatte Leo weit genug Anlauf genommen. Ohne anzuhalten, drehte er scharf um, raste dieselbe Strecke wieder zurück, zückte den Tauschhaken und machte ihn abwurfbereit.

Balaen und Link näherten sich auf Reichweite des Beidhänders an, und der Dämon bediente sich eines gewöhnlichen, seitlich geführten Schwertstreichs. Sein Gegner warf sich zu Boden und rollte sich nach vorne ab, kam in unmittelbarer Nähe zu ihm wieder auf die Füße. Die Hinterhand fest um den Schaft der Klinge geschlossen, stieß er das Schwert der Vier zielgenau in die tiefe Schnittwunde in Links Bein. Sofort zog er es wieder, um abermals zuzustechen. Er ließ erst davon ab, als eine stahlgepanzerte Hand nach ihm schnappte, entging ihr mit zwei raschen Rückflugrollen.

Blitzschnell kehrte Leo in die Arena zurück. Knapp hinter Virri, noch ein gutes Stück von dem Dämon entfernt, sprang er ab. Die vereinten Fähigkeiten von Pegasusstiefel und Greifenmantel ließen ihn höher aufsteigen als die des Umhangs allein. Link, dessen Gegner auf Abstand gegangen war, sah den Hylianischen Ritter herbeifliegen und schoss mit einem schräg nach oben geführten Heib einen Schwertstrahl nach ihm. Gleichzeitig schleuderte Leo den Tauschhaken nach Virri aus, zog an der Kette, als ihn die blassgrüne Schockwelle auch schon erreichte. Der Ritter verschwand, und in dem winzigen Zeitfenster, bevor an seiner Stelle ein kleiner Krieger erschien, rauschte die feindliche Energie vorbei, ohne einen von beiden getroffen zu haben.

Getragen von dem Bewegungsmoment, das Leo aufgebaut hatte und weiter auf den eingetauschten Schützen wirkte, legte dieser den letzten Lichtpfeil auf die Sehne. Sofort riss Link das Helixschwert herum für einen weiteren Fernangriff, dem der fliegende Held diesmal unmöglich entgehen konnte.

Als Balaen dies erkannte, entflammte in ihm eine gleißende Entschlossenheit, und all sein Denken fokussierte sich auf eine einzige Absicht. Mit dem ohnehin schon abgearteten Schwert der Vier in seiner Hand erfolgte eine weitere, nun optische Veränderung: Der grüne Zierstein im Knauf erstrahlte in reinem Weiß, als seien seine verschwundenen Kopien in ihm erwacht und addierten nun ihre Lichtfarben zu einer zusammen. Der Träger der mystischen Waffe preschte vor, schlug zur Parade gegen die vorschnellende Waffe des übermenschlich starken Dämons – und fing sie tatsächlich ab. Der mächtige Rückstoß ließ den Ritter aus den Wolken rückwärts taumeln.

Gleich nach seinem Austausch mit Virri riss Leo den Hylia-Schild aus dem Boden. Ohne seinen Stiefeln eine Pause zu gönnen, rannte er weiter, die beiden Haltegriffe des Schilds jeweils mit einer Hand umfasst. Geschwindigkeit und Krafthandschuhe verliehen seinem Hieb ungeheure Gewalt, als er dem Dämon Hylias Wappen wie einen Rammbock mit einem metallischen Knall gegen den Brustharnisch schmetterte. Mit einem verletzten Bein nicht mehr länger felsenfest stehend stürzte Link nach hinten.

Genau über ihm zog Virri die Sehne seines Heroenbogens durch, richtete ihn nach unten. Die Silberspitze des Lichtpfeils leuchtete auf, doch blendete dies nicht mehr länger alles aus, was unter ihr lag: Das grelle weiße Strahlen des Schwerts der Vier erhellte Link, sein Gesicht, die Hand, die er schützend vor es führte. Der fliegende Held zielte zwischen die Finger. Deutlich sah er die bleichen, blicklosen Dämonenaugen.

„Macht des Lichts!“, rief Virri über die Ebene von Hyrule.

Und schoss.

Kaum ein Wimpernschlag war seit Leos Absprung vergangen, als Link zu Boden ging.

Unkontrolliert glitt Virri weiter über ihn hinweg. Der kleine Schütze warf den Heroenbogen fort, um seinen Sturz abzubremsen, indem er die Säume seines Greifenmantels packte – doch zu seinem Erschrecken trug er den weiß-blauen Umhang gar nicht. Panisch ruderte Virri mit den Armen, als könne das einer harten Landung entgegenwirken, und trudelte hilflos durch die Luft. Dann erfolgte der Aufschlag, der aber längst nicht so knochenbrecherisch ausfiel, wie Virri es erwartete.

„Hab dich, Knirps!“, hörte er Leos Stimme und sah auf. Der Hylianische Ritter war zu seiner Rettung herbeigeeilt und hatte ihn sicher aufgefangen. Jetzt trug er ihn in beiden Armen, noch immer rennend, durch die Arena.

Erleichtert seufzte der kleine Held auf und entspannte sich – für nur einen Augenblick. „Hab ich getroffen?“, wollte er aufgeregt wissen.

Die finstere Miene geradeaus gerichtet, antwortete Leo: „Ich hab keine Ahnung …“ Er kehrte zu Balaen zurück, wo er Virri wieder runterließ.

Der Ritter aus den Wolken war nach seiner übermenschlichen Parade rückwärts gestolpert und schließlich gestürzt. Jetzt lag er auf der Seite, die Handballen auf die Augen gepresst, und keuchte kurz und abgehackt, als sei er seit Kampfbeginn nur gesprintet. Zu Tode erschöpft wie noch nie zuvor in seinem Leben, zog er die Beine an den Körper und kugelte sich zusammen. Das Schwert der Vier lag unschuldig neben ihm, der Zierstein, wieder von seinem altbekannten Grün, erloschen. Um die Kräfte zu entfesseln, mit denen Balaen die Doppelhelixklinge abgewehrt hatte, hatte die mystische Waffe ihrem Träger auch noch die letzte Energie abverlangt.

Ein Stück entfernt lag auch Link, weiterhin in Dämonengestalt, auf dem Rücken, richtete sich nun stockend auf. Auf den linken Ellbogen gestützt, drückte er die andere Hand aufs Gesicht, wie um die Maske darin festzuhalten. Das linke Auge hatte er geschlossen; aus dem rechten strömte dunkelvioletter Nebel wie schwereloses Blut, und der Schaft des Lichtspfeils ragte daraus hervor.

„Du … du hast …“, stotterte Leo und wusste nicht, was er denken sollte.

Ein erstauntes Lächeln breitete sich über Virris kindliche Miene aus. „Ich hab getroffen!“, jubelte er und reckte triumphierend die Fäuste in die Höhe. Vor lauter Freude vergaß er glatt seine gefühllosen Beine und sank zu Boden. Tränen der Erleichterung fluteten seine Augen.

„Macht des Lichts?“, wiederholte Leo verschmitzt grinsend. „Ich dachte, dieses Rumschreien deiner Angriffe hätten wir dir ausgetrieben.“

Verlegen kratzte sich Virri die Nase. „Es war so aufregend, da konnte ich einfach nicht anders.“

Indem er ihm in den Oberarm boxte, lobte Leo: „Respekt, Knirps! Du hast ihm den Rest gegeben!“

„Es ist … nicht vorbei“, presste Balaen neben ihnen hervor. Der Ritter aus den Wolken hatte sich noch längst nicht erholt, doch es zumindest geschafft, den Blick zu heben und auf Link zu richten.

Die Euphorie seiner Gefährten wurde sogleich zunichte gemacht, als der Dämon die vampirartigen Reißzähne bleckte. Er riss das unversehrte linke Auge auf, aus dem eine himmelblaue Iris und eine vor Mordlust verengte Pupille das Heldentrio anvisierte. Schon blinzelte das Auge, wurde wieder tot und vollständig weiß wie zuvor, und auch das Gesicht wurde gewohnt ausdruckslos.

„Habt ihr das gesehen?“, stieß Leo hervor.

Ungläubig wischte sich Virri die Tränen fort, die seine Sicht verschleierten. Angespannt fragte er: „Heißt das, es funktioniert?“

Da hegte Balaen seine Zweifel. „Dann müsste die Maske doch schon abgefallen sein …“

Als der Dämonenkrieger sich mit beiden Händen hochzustemmen begann, wandte sich Leo panisch an den kleinen Schützen. Ohne es sich genauer zu überlegen, befahl er: „Schieß nochmal!“

Ebenso gedankenlos langte Virri nach einem Pfeil, doch sein Köcher war leer, und er hatte keinen Bogen in der Hand.

Jetzt stellte Link das unverletzte Bein auf, machte Anstalten, aufzustehen.

In einer Kurzschlussreaktion aktivierte Leo seine Stiefel, rannte pegasusschnell vor, sprang mit greifenhafter Leichtigkeit, stürzte sogleich hinab und trat dem Dämon mitten ins Gesicht. Während Link wieder flach hinschlug, wurde der Heißsporn noch einmal kurz in die Höhe katapultiert, glitt dann herunter und landete anmutig auf der Dämonenrüstung. Hinter ihm senkte sich der Greifenmantel herab wie der Festumhang eines königlichen Ritters. Seine rechte Hand schnellte vor, schloss sich um Links Hals und drückte ihn nieder, bevor sich der Kopf wieder heben konnte. Die Linke, auf der zornig sein Geburtsmal glühte, legte Leo um den im Auge steckenden Pfeilschaft.

„Kumpel, es reicht!“, rief Leo. Das Triforce auf seinem Handrücken blitzte in grellem, goldenem Licht auf, als er den Pfeil mit einem Ruck herauszog. Begleitet von einem roten Blutfaden, riss die Silberspitze die Maske aus Links Gesicht, und der abtrünnige Held schrie gequält auf. Zeitgleich umhüllte düstervioletter Nebel seine Dämonengestalt.

Mit einem Satz war Leo von ihm runter, ging ein paar Schritte auf Abstand. Schadenfroh lachte der Hylianische Ritter auf und drehte sich zu Balaen und Virri. Selbstzufrieden schwenkte er den Pfeil. „Das war’s!“, verkündete er laut. „Diesmal wirklich!“

„Pass auf!“, warnte Virri da, und Leo fuhr herum.

Die dämonischen Nebel hatten sich verzogen, doch Link hielt sich gar nicht erst damit auf, zum Menschen zu werden. Es wirkte, als erhebe sich dort, wo er gelegen hatte, ein Schattenumriss, aus dem sich goldenes Fell abzeichnete. Nahtlos verwandelte Link sich in den Wolf. Sofort sprang er Leo an, der die Geistesgegenwart besaß, den Pfeil mit der Maske wegzuwerfen, bevor das Raubtier ihn zu Boden riss.

Machtlos mussten Leos Gefährten mit ansehen, wie sich die schrecklich spitzen Fänge um den Hals des Ritters schlossen. Ein Biss, und sie würden sich in seine Kehle bohren – hätte er nicht, getrieben von reinem Überlebensinstinkt, die Hände in das Wolfsmaul geschoben und die Kiefer auseinander gedrückt. Zitternd schob Leo das Raubtier von sich, das bedrohlich knurrte und schnaubend versuchte, sich dem Griff des Ritters zu entreißen. Blanker Hass blitzte in Links linkem Auge. Von dem rechten war nicht mehr geblieben als eine blutige Höhle.

Fast hätte Leo vor Angst alle Kraft verlassen – dann aber ermächtige sich seiner ein unbändiger Zorn, und auch er bleckte die Zähne. Er nahm die linke Hand aus dem Maul, ballte sie zur Faust und schlug Link von sich. Der Wolf jaulte auf, schüttelte sich, und Blut spitzte von seiner Schnauze. Leo gönnte sich einen Moment, erleichtert aufzuatmen, und stand schnell auf. Auch Link, nun wieder in menschlicher Form und grüner Gewandung, erhob sich auf zwei Beine. Es schien, als würge er an etwas, und spuckte einen Mund voll Blut.

Sich den unversehrten Hals reibend, zischte Leo: „Sei froh, dass ich nicht weiter ausholen konnte!“ Wie unter Schmerzen krümmte der abtrünnige Held sich nach vorn, was der Ritter als ergebene Verbeugung fehlinterpretierte. „Gibst du endlich auf?“, schnauzte er Link an.

Der machte erstickte Laute, und seine Schultern begannen zu beben. Plötzlich warf er den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. Sämtliche Fackeln seiner Arena waren mittlerweile erloschen, sodass nur noch das sanfte natürliche Licht von Mond und Sternen herrschte. Ein gnädiger Schatten verbarg Links rechte Gesichtshälfte mit der leeren Augenhöhle, doch mit den vom eigenen Blut beschmierten Zähnen gab der Serienmörder ein ausreichend schauerliches Bild ab.

Irritiert trat Leo zurück. „H-hör auf …“ Gereizt stampfte er auf und fuhr sein ihn scheinbar ununterbrochen verhöhnendes Gegenüber an: „Hör auf zu lachen!“ Er machte sich dazu bereit, den abtrünnigen Helden zu attackieren, doch Balaen pfiff ihn zurück.

„Gehe nicht darauf ein“, sagte er ruhig, während er sich in eine halbwegs sitzende Position hochkämpfte. „Er will dich nur provozieren.“

„Weiß ich doch“, beteuerte Leo unbeholfen.

„Mach ihn lieber schnell fertig!“, feuerte Virri den Hylianischen Ritter an.

Tatsächlich hatte Link nicht aus Belustigung gelacht. Deswegen verstummte er nun und setzte wieder eine für die Situation angebracht ernste Miene auf. So zückte er Schild und Schwert, die mit seiner Rückverwandlung wieder auf seinem Rücken erschienen waren.

Verächtlich beobachtete Leo ihn dabei. „Echt jetzt? Sieh es doch endlich ein! Du kannst nicht mehr gewinnen!“

Der Gegner des Heldentrios erweckte wirklich nicht mehr den Anschein, noch weiter eine Gefahr für sie zu sein. Noch immer war er angeschlagen von dem Duell gegen Balaen, bevor dessen Gefährten überhaupt auf den Plan getreten waren. Die Schnittwunden auf dem Nasenrücken und am Oberarm waren mit der Menschengestalt zurückgekehrt. Aus seinem Kampf als Dämon hatte er nur das ausgeschossene Auge davongetragen. Mit dem verbliebenen musterte er Leo, dann Virri und Balaen. „Bist du dir sicher?“, fragte er den Hylianischen Ritter unbeeindruckt.

Der folgte seinem Blick zu den beieinander hockenden Helden; der eine konnte ohne Hilfe kaum stehen, der andere vor Erschöpfung nicht einmal aufrecht sitzen. Die beiden waren ohne jeden Zweifel außerstande, noch weiterzukämpfen. Leo musste erkennen, dass er der einzige ihres Trios war, der überhaupt noch eine Waffe führen konnte.

Also rüstete er das Schwert aus und las den Hylia-Schild auf. Zuletzt löste er den Greifenmantel, der dramatisch langsam hinter ihm ins Gras rauschte. So stellte er sich dem abtrünnigen Helden zum Duell. Dieser hatte zwar seine tödlichste Gestalt verloren, war jedoch noch lange nicht besiegt. Auch er nahm Kampfhaltung ein.

Für einen Moment machte keiner der vier Helden ein Geräusch. Kein Wind regte sich. Es war so still, dass das hölzerne Klicken, mit dem die letzten Äste der Fackelkreise verglühten, klar zu hören war.

Leo machte den Anfang, indem er in einem Ausfallschritt nach Link schlug. Der kreuzte mit der eigenen Waffe; die Stahlklinge glitt an der gold-silbernen ab, bis sie sich in der zierend, aber unpraktisch geschwungenen Parierstange verhakte. Mit einer Drehung aus dem Handgelenk entwaffnete Leo den abtrünnigen Helden, und das Kurzschwert flog davon. Sogleich stach der Ritter zu. Seinem erschöpften Gegner mangelte es an der üblichen tänzerischen Geschmeidigkeit, als er mit einer Drehung auswich. Der schützend erhobene Schild wurde von Leos überlegener Kraft gnadenlos zur Seite gerissen.

Ohne selbst anzugreifen, ließ Link dies den Heißsporn einige Male wiederholen, bis dieser sich zu einer Wirbelattacke herumdrehte. Unvermittelt warf sich Link zu Boden, entging so der horizontal in einem Kreis geführten Klinge. Seitlich rollte er um Leo herum, und als dieser wieder stillstand, sprang er hinter ihm auf, hieb ihm den Schild in die Schulter. Unwillkürlich ließ der Hylianische Ritter das Schwert fallen. Link pflückte es aus der Luft und ging auf Distanz.

Ächzend vor Schmerz hielt sich Leo die überanspruchte Schulter. Ein dunkelroter Streifen bildete sich in der grünen Tunika, als Blut sie tränkte – die geschärfte Schildkante hatte Leo die Haut aufgeschlagen. Automatisch hielt er so Hylias Wappen vor sich. Trotz der Pein ließ er Link stur nicht aus den Augen.

Auch diesen hatte das Gefecht, so kurz es gewesen war, in seinem Zustand ausgelaugt. Unter beschleunigter Atmung ließ der Serienmörder den Eulenschild und das geraubte Schwert sinken. Mit der Zunge fuhr er sich über die blutigen Lippen. „Ja, ich kann nicht mehr gewinnen“, spottete Link gelassen, und der Hylianische Ritter zog verärgert die Augen herab. „Ich habe aber auch nichts mehr zu verlieren. Im Gegensatz zu euch“, fuhr der abtrünnige Held fort. Seine Miene wurde unerwartet bitter, ja fast schon melancholisch. „Es muss ein gutes Gefühl sein, zu wissen, dass ihr dort, wo ihr herkommt, bei eurer Rückkehr mit offenen Armen empfangen werdet.“ In seiner Stimme lag kein Neid, doch es war klar, dass er diese Wertschätzung seinen drei Jägern auch nicht gönnte. „Ihr habt nie erfahren, was es heißt, ein einsamer Wolf zu sein. Stattdessen hat man euch zu Schoßhündchen verhätschelt.“

„Du arroganter, aufgeblasener Mistkerl!“, pfefferte Leo aufgebracht ob dieser bildhaften Kränkung zurück. „Ich werde dich schon noch zum Platzen bringen!“

Link bedachte ihn mit eindeutig gelangweiltem, genervtem Mitleid. Dann hob er die Schultern. „Nur zu. Wenn ihr dem hier wirklich ein sicheres Ende setzen wollt, nehmt die Maske.“ Mit dem gestohlenen Schwert deutete er auf den fraglichen, trügerisch harmlos im Gras liegenden Gegenstand, dem noch immer der Pfeil im Auge stak. „Auch ihr könnt sie benutzen. Ihr seid wie ich. Vor allem du“, behauptete Link an Virri gerichtet. Schützend hob Balaen den Arm vor den kleinen, unschuldigen Krieger. Eiskalt sprach der abtrünnige Held weiter: „Ich weiß, wie es für dich ist, geringer eingeschätzt zu werden, als du eigentlich bist, nur weil du ein Kind bist. Aber das ist nicht so mit dieser Maske.“ Sein einäugiger Blick kehrte zu Leo zurück, der dem Verwandlungsgegenstand am nächsten war. „Nichts und niemand kann mich damit aufhalten. Egal wie stark der Gegner …“, – nun sah Link Balaen in die Augen, – „… die grimmige Gottheit ist unbesiegbar.“

Gebannt musterten die drei Helden, die nur im Trio die einzige Ausnahme für diese Regel darstellten, die Maske mit unterschiedlichen Graden der Nachdenklichkeit.

Plötzlich preschte Link, sich in einen Wolf verwandelnd, auf Virri und Balaen zu. Reflexhaft stellte sich Leo ihm in den Weg, doch der Held in Tiergestalt setzte über ihn hinweg, sprang von seinem Rücken ab und ließ ihn so der Länge nach hinbrettern. Aus diesem Sprung wurde er wieder zum Menschen, rollte sich bei der Landung nach vorn und war dann auch schon beinahe an den ihm wehrlos ausgelieferten Opfern heran.

Unmöglich konnte Leo rechtzeitig zu ihrem Schutz herbeieilen. Auf dem Bauch liegend, richtete er sich auf die Hände auf – und stellte fest, dass er sich mit einer davon innerhalb der Klammer seines Tauschhakens abstützte. Das andere Ende der Kette lag ganz in der Nähe seiner Gefährten, auf die Link weiter zuhielt und schlagbereit das Schwert hob.

Für die Dauer eines flüchtigen Gedankens begegneten sich die Blicke der beiden Ritter, und sie verständigten sich ohne Worte.

Balaen warf sich vor, bekam die Kette zu fassen und ruckte daran. Der Zug aktivierte die Mechanik der Klammer, die sich nun um Leos Unterarm schloss, und die Krieger an beiden Enden wechselten fast instantan die Plätze. Krachend fuhr die Klinge von Links Waffe auf Hylias Wappen hernieder, das Leo ihm aus der Kauerposition zudrehte. Hinter seinem Retter schnappte Virri nach Luft, und zum ersten Mal wirkte auch Link ehrlich überrascht.

Der Hylianische Ritter erhob sich, versetzte dem feindlichen Helden in derselben Bewegung einen heftigen Stoß mit dem Schild. Diesmal gelang es Link nicht, das Gleichgewicht zu wahren, und stürzte.

„Wir brauchen deine miese Maske nicht!“, schmetterte Leo und sammelte sein Schwert auf, das Link fallen gelassen hatte. Er trat auf den Unbewaffneten zu, stemmte ihm den Fuß hart auf den Schildarm, damit er sich nicht schützen konnte. Das Wappen des Hylianischen Ritterordens, dessen am jüngsten ernanntes Mitglied zu sein Leo sich rühmte, reckte er symbolstark vor sich. Die Schwertspitze richtete er hinab auf den gefallenen Serienmörder, strafte ihn mit abgrundtiefer Verachtung.

„Ich hab endgültig genug von dir!“, donnerte Leo – und ließ die Klinge nach unten schnellen.

Tja. Habs leider nicht geschafft, meinen Upload-Plan vollständig einzuhalten. Dies ist das erste Kapitel, das einen Tag zu spät online geht… Is halt so =/

- der Farbe des Nebels, in dem sich Link mithilfe der Maske verwandelt, kam schon einmal in einer meiner Fanstories vor, nämlich in der Ballade des Unbesungenen, die den Ursprung der grimmigen Gottheit erzählt.

- Link kriegt hier eins ins Auge… ins rechte, da dem Schattenhelden in Twilight Princess das rechte Auge fehlt (zumindest in der ungespiegelten Version halt)

„Hast du dich verirrt, Kleiner?“, fragte der Nachtwächter zuvorkommend. Als dienstältester Offizier der Patrouille, die wie alle Wachen Schloss Hyrules zu dritt durch die von Fackeln erhellten Korridore unterwegs waren, hatte er das Kommando über den Trupp inne.

Der blonde Junge, nur in ein Hemd und eine Hose aus Leinen gekleidet – vermutlich sein Schlafanzug –, der vor ihm und seinen beiden Kameraden stand, blickte betreten zu Boden. Die Situation schien ihm unangenehm zu sein, wohl weil ihn die glänzende Rüstung und die Waffen der Soldaten einschüchterten.

„Bist du vielleicht schlafgewandelt?“, wollte ein anderer Wächter wissen, der schräg hinter seinem Kompanieführer stand.

Als auch darauf keine Antwort von dem verängstigten Kind kam, trat der Dienstälteste zu ihm vor und ließ sich, auf seinen Speer gestützt, auf ein Knie nieder. Freundlich bot er an: „Wir können dir den Weg zu den Dienstbotenunterkünften zeigen, wie wär’s?“

Sein kleines Gegenüber nickte matt.

Der dritte Soldat, der bislang noch nichts gesagt hatte, meldete sich zu Wort: „So junge Laufburschen lassen die nachts eigentlich nicht mehr allein durchs Schloss gehen.“

„Ich kenne alle Laufburschen“, meinte nun auch sein gleichrangiger Kollege, „aber der hier kommt mir nicht bekannt vor.“

Unauffällig linste der Junge zum Schwert am Waffengurt des knieenden Kompanieführers.

„Möglicherweise ist er noch neu“, vermutete der andere der beiden jüngeren Soldaten.

Ihr Vorgesetzter versuchte, das Gesicht des Kindes zu mustern, den seltsam starren Blick der himmelblauen Augen einzufangen. „Sag mal, bist du nicht einer der drei …?“

Ehe er die Frage ausformulieren konnte, sprang der kleine Nachtwandler überraschend vor, ergriff das anvisierte Schwert mit beiden Händen am Heft und zog es in derselben fließenden Bewegung, mit der er sich auch herumdrehte. Erst, als er schon Reißaus nahm, reagierte der verdatterte Kompanieführer, indem er nutzlos die Linke auf die leere Scheide schlug.

„Bleib sofort stehen!“, rief er dem flüchtigen Jungen hinterher, der, sein Diebesgut auf die Schulter gelegt, den Flur runterhastete. Fluchend sprang der Offizier auf, um unter dem Scheppern seiner Rüstung, das durch den Gang hallte, die Verfolgung aufzunehmen.

Seine Kameraden hatten noch kaum Gelegenheit gehabt, sich über die Vorkommnisse zu wundern, als ihnen ihrerseits jemand in den Rücken fiel – und zwar wortwörtlich: Zwei kleine Krieger erkletterten sie wie Bäume, schlangen die Beine um ihre Oberkörper, bedeckten ihre Augen mit den Händen. Einander und dem diebischen Nachtwandler glichen sie wie ein Ei dem anderen, mit dem Unterschied, dass sie über Hemd und Hose zusätzlich Stiefel, Tunika und Mütze trugen.

Fruchtlos versuchten die Soldaten, ihre Peiniger abzuschütteln, was lange genug dauerte, dass eine weitere, grüne Gestalt unerkannt an ihnen vorbei hinter die nächste Blendsäule an der Mauer flitzte. Kaum, dass sie außer Sichtweite gelangt war, zerstob die Last der Nachtwächter zu roten und blauen Funken; ein Gang weiter griff der Kompanieführer in von violetten Sternen erfüllte Luft, während sein Schwert klimpernd auf den Steinboden fiel. Seine Untergebenen sahen noch verwirrt um sich, als er, die Waffe wieder in ihrer Halterung verstaut, zu ihnen zurückkehrte.

„Waren das …“, flüsterte einer der beiden und senkte die Stimme noch weiter, „… Geister?“

Sein Kollege spuckte in gewöhnlicher Lautstärke: „Ach was! Das war nur ein Streich von irgendwelchen dummen Kindern! Oder hast du Angst, die Geisterhand aus der Toilette hat ihre Freunde geschickt?“, stichelte er seinen Kameraden.

„Wenn ich doch sage, die ist wirklich dagewesen!“, beteuerte der andere sofort.

Geräuschvoll schmetterte ihr Vorgesetzter den Speerschaft auf den Boden. „Schweigt, Soldaten!“, wies er die beiden barsch zurecht, und sie nahmen routiniert Habachtstellung ein. Ruhiger fuhr der Offizier fort: „Das gerade ist nie geschehen …“ Nach der Bürokratie des Schlosses mussten die Patrouillen über jedes Ereignis, dessen Zeuge sie während ihrer Nachtwache wurden, einen Bericht schreiben, also auch über dieses soeben erfolgte. Doch brauchte niemand zu erfahren, wie ein Dreiertrupp schwergepanzerter und bewaffneter Soldaten von einer Horde Kinder überrumpelt worden war, erst recht, wenn es sich bei diesen um angebliche Geister handelte. „Sind wir uns da einig, Soldaten?“, verlangte der Kompanieführer die Zustimmung seiner Untergebenen.

Die beiden erboten ihm schneidigen Salut. „Jawohl, Hauptmann!“

So nahmen die drei wieder diszipliniert die Keilformation ein und setzten ihren Wachgang durch das Schloss fort. Erst, als sie die Ecke erreichten, hinter der der Offizier sein gestohlenes Schwert aufgehoben hatte, regte sich etwas im Fackelschein des Korridors.

Grinsend kicherte Virri lautlos in sich hinein. Verstohlen streckte er den Kopf hinter der Blendsäule hervor, um sich zu vergewissern, dass die Nachtwächter wirklich in den anderen Flur gewechselt waren. Sodann hüpfte er aus dem Schatten und eilte in die Richtung, aus der die Soldaten gekommen waren. Eigentlich hatte er nicht so viel Aufsehen erregen wollen, aber als er die Schemen der Patrouille gesehen hatte, in dem Korridor, der sich mit jenem, den er gerade entlanggeschlichen war, kreuzte, war kein geeignetes Versteck in der Nähe gewesen. Daher hatte er das Schwert der Vier gezogen, rasch die violette Gewandung und die Stiefel seines Klons abgelegt und mit diesem die Soldaten aufgehalten, bevor sie das Original um die Ecke hatten erblicken können. Ursprünglich hatte Virri nur vorgehabt, sie abzulenken, indem er das schweigsame, verlorene Kind mimte, doch der Kompanieführer hatte ihn als Mitglied des Heldentrios erkannt, also hatte sich der kleine Krieger gezwungen gesehen, dreistere Maßnahmen zu ergreifen.

Immerhin hatte Balaen ihm und Leo eingeschärft, dass sie ungesehen durch das Schloss schleichen sollten, und das auch noch getrennt voneinander. So würde es ihnen deutlich leichter fallen, unbemerkt zu bleiben, als in der Gruppe. Sollten sie doch von irgendwelchen Palastangestellten – ob Soldat oder Dienstbote – entdeckt werden, kämen sie nicht in Erklärungsnot, wohin sie denn zu dieser nachtschlafenen Stunde zu dritt unterwegs waren. Unbedingt mussten sie vermeiden, dass die Prinzessin davon Wind bekam, wie ihre eigentlich entlassenen Berufenen auf eigene Faust handelten.

Wie also seine beiden älteren Partner an anderen Stellen, stahl sich Virri durch die Korridore des Schlosses, darum bemüht, keiner weiteren Patrouille in die Arme zu laufen. Während er darauf bedacht war, schweiften seine Gedanken zu seinen Klonen. Als er sich wenige Stunden zuvor mit ihnen auf Leo gestürzt hatte, war seine Wut so stark gewesen, dass sie sich sogar auf seine doch eigentlich emotionslosen Marionetten übertragen hatte. Außerdem hatte er auch aus ihren Mündern schreien können, was noch nie zuvor passiert war. Auch wenn seine Abbilder nun wieder zu ihrem stummen Ursprungszustand zurückgefunden hatten, war es Virri dennoch gelungen, seinem violetten Klon, der den Lockvogel für die Nachtwächter gespielt hatte, zumindest die Ahnung einer bestürzten Miene zu verleihen, was ihn überzeugender hatte wirken lassen.

Selbst den Träger des Schwerts der Vier erstaunte es nach all den Monaten, in denen er die mystische Waffe bereits besaß, dass er noch immer Fortschritte mit ihr machte. Der kleine Held grübelte bereits über die Zukunft nach: Würde er es irgendwann vielleicht sogar schaffen, über seine Klone ganze Konversationen zu führen? Durch sie seine Emotionen visuell zum Ausdruck zu bringen, dass für Außenstehende auch die letzten Unterschiede – von der Farbe der Kleidung abgesehen – zwischen Original und Kopien ausgemerzt sein würden?

Schließlich erreichte Virri einen Gang, dessen Fenster auf einen Schlossgarten hinausblickten. Eines davon hatte er kurz, nachdem er mit seinen Partnern aus Hyrule-Stadt zurückgekehrt war, entriegelt und angelehnt belassen. Daher musste er jetzt, während kein Nachtwächter in der Nähe war, nur hinüberhuschen, es aufschieben und auf das Sims hüpfen. Bang blinzelte Virri in die Nacht; Höhenangst hatte er nicht, und auch einen unbeabsichtigten Sturz aus dem Fenster brauchte er nicht zu fürchten, würde sein Greifenmantel ihn doch sanft wie eine Feder zu Boden gleiten lassen. Aber im unter ihm liegenden Schlossgarten und auf den umgebenden Mauern wimmelte es von Soldaten, und sein weißer Umhang war auch im Dunkeln sehr auffällig.

Damit die drei Helden einander nicht in die Quere kamen, hatten sie mittels einer Karte, die ihr jüngster Partner aus dem Gedächtnis angelegt hatte, ihre Pfade abgesprochen. Virri fand es reichlich komisch, dass Balaen ihm diesen Weg vorgeschlagen hatte, dabei wäre es viel einfacher für den kleinen Krieger gewesen, durch ein Fenster zu fliegen, das ganz aus der Palastanlage hinausführte und nicht erst in einen Innenhof. Doch hatte Virri dieses hier nunmal bereits präpariert – jetzt noch ein anderes zu suchen, das zufällig geöffnet war, lohnte sich nicht.

Also sprang Virri vom Sims ab, schwebte nahe der Wand in den Garten hinter ein Gebüsch. Für einen Moment hielt er inne, darauf lauschend, ob er bemerkt worden war. Da dies nicht der Fall zu sein schien, schlich er gebückt weiter. Dank seiner relativ geringen Größe dienten die Buchsbaumhecken hervorragend als Sichtschutz vor den Nachtwächtern. Von der nächsten Mauer wusste er, dass sie zur Außenwand des Schlosses gehörte und hinter ihr die offene Ebene von Hyrule lag. Nun musste er nur noch über sie gelangen, dann hätte er es geschafft.

Der kleine Held zog das Schwert der Vier, schob es unter seinen Gürtel und versteckte die drei Kopien mit den verräterisch glühenden Ziersteinen sofort unter einem Strauch. Um den Knauf der Originalwaffe hatte er schon in seinem Zimmer einen Stoffstreifen gebunden, der das grüne Leuchten zu einem unauffälligen Schimmern dämpfte. Aufmerksam sondierte Virri den Garten, während er den violetten Klon, der durch Auflösung und Neubeschwören wieder seine Uniform trug, nahe an die Ziegelmauer platzierte. In dem blau gekleideten kletterte er dem ersten auf die Schultern, und auch sein dritter Doppelgänger erklomm vorsichtig die beiden anderen. Nach einem letzten Blick in den Schlossgarten stieg das Original auf. Das auf das Dreifache angewachsene Gewicht auf den Schultern seines Doppelgängers in Violett setzte diesem schnell zu, also griffen die in Blau und Rot in die Fugen der Mauersteine und zogen sich leicht daran hoch, um den untersten etwas zu entlasen. Der Grüngewandete auf der Spitze des Heldentotems blickte nach oben. Die Balustrade lag nur noch ein Stück über ihm, das er selbstständig klettern musste. Die raue Wand bot ausreichend Halt, um, beflügelt vom Greifenmantel, geschwind hochzukraxeln, bis er sich zwischen zwei Zinnen hochschwingen konnte – und erst da die Nachtwächter auf dem Wehrgang bemerkte.

Vor Schreck fuhr Virri fast aus der Haut, als er instinktiv zurücksprang und sich an der Mauerkante festkrallte. Unter ihm raschelten vernehmlich die Hecken, als der Turm übereinandergestapelter Klone in sich zusammenstürzte. Sofort eilten die drei Soldaten auf dem Wehr an die Zinnen, um runterzuspähen – und Virri konnte sein Glück kaum fassen, dass keiner es an der Stelle tat, an der er hilflos an der Kante hing. Angespannt hielt er den Atem an, hoffte inständig, dass die Wachen nicht doch noch in seine Richtung schauten – und hoffentlich bald weitergingen. Lange würde er sich so nicht festhalten können, denn die Streckung verursachte ein unangenehmes Ziehen in seiner Bauchgegend. Es war kein richtiger Schmerz, aber die Wunde, an der er fast gestorben war, hatte eine Narbe hinterlassen, an der die Haut nicht mehr so geschmeidig war wie zuvor.

Derweil suchten die Soldaten unten im Schlossgarten nach der Ursache des Raschelns, kamen dabei den reglos in den Sträuchern liegenden Klonen immer näher. Ihre Kameraden auf der Mauer schienen zu dem Schluss zu kommen, dass es sie nichts anging, solange kein Alarm geschlagen wurde – immerhin lag ihre Zuständigkeit außerhalb des Palasts, nicht innerhalb. Sie wandten sich ab, widmeten sich unverändert wieder ihrem Wachgang. Den noch immer an die Mauer geklammerten Helden bemerkten sie indes nicht.

Dieser erlaubte es sich nun endlich, erleichtert auszuatmen, und hievte sich wieder auf die Balustrade. In der Hocke kauernd, linste er in den Garten runter, wo die Soldaten noch immer wachsam durch die Büsche stapften. Virri wünschte sich, seine Klone hätten ihre kurz erlangte Stimme zumindest so weit behalten, dass er mit ihnen wenigstens das Miauen einer Katze imitieren konnte, um den Nachtwächtern ihren Argwohn zu nehmen. Weil das leider nicht möglich war, zog er das Schwert der Vier unter dem Gürtel hervor und steckte es gleich wieder in die Scheide zurück. Die aufstiebenden dreifarbigen Funken verrieten augenblicklich die vorige Position seiner Doppelgänger, und die Soldaten preschten, die Speere vorgestreckt, sofort darauf zu. Doch die Stichblätter fuhren ins Leere.

Über den Wachen und von ihnen unbemerkt, sprang Virri mit einem Satz über den Wehrgang zu den Zinnen auf der anderen Seite. Dort hielt er gar nicht erst inne, drückte sich nochmal mit den Füßen ab, segelte vom Greifenmantel getragen von der Wehrmauer, über den das Schloss umgebenden Burggraben bis weit hinter dessen anderes Ufer. Fast lautlos kam er im Gras auf und blickte zurück. Niemand rief ihm etwas hinterher oder wies auch nur in seine Richtung.

Vor Freude und Stolz strahlte der kleine Krieger. Er hatte es geschafft! Er war unerkannt aus Schloss Hyrule gelangt!

Zufrieden mit sich selbst sah Virri sich um. Wenn Balaen oder Leo bereits hier gewesen wären, hätten sie ihn wahrscheinlich gesehen und wären jetzt auf ihn zugekommen. Gut möglich also, dass der jüngste des Trios als erster ihren Treffpunkt an der Nordseite des Schlosses erreicht hatte. Also setzte er sich nieder in einen ihn verbergenden Grasbüschel und wartete auf die Ankunft seiner Partner.

Lange hielt es ihn aber nicht, denn irgendwie zog ihn etwas fort von seinem Versteck. Entgegen aller Vernunft stand Virri auf, auch wenn er damit Gefahr lief, doch noch von den Wachen entdeckt zu werden. Er beschwor seine Klone wieder herbei und ließ sie zurück, damit er mitbekamm, wenn die älteren Helden erschienen. Um sich die Langeweile zu vertreiben, schlenderte er in einiger Entfernung am Schloss entlang bis zur nahen Ecke zur nächsten Wehrmauer. Einer der dort

patrouillerenden Soldaten blieb stehen, spähte in die nächtliche Dunkelheit. Der Schein der Wachfeuer reichte nicht bis an den Helden heran, dennoch war es möglich, dass zumindest seine Bewegungen sichtbar waren. Solange Virri nicht zu nahe an den Palast herankam, würden die Wachen ihn nicht erkennen, also musste er auch nicht befürchten, dass sie ihrer Herrin Kunde von seiner Sichtung bringen würden.

Weil Prinzessin Zelda über Links Festnahme gelogen hatte, war Balaen der Meinung, dass sie im Umkehrschluss nichts von der selbstauferlegten Mission ihrer Berufenen erfahren sollte. Auch wenn Leo wie zu erwarten dagegen gewesen war, ihr etwas zu verheimlichen, hatte er sich dann doch den stichhaltigen Argumenten des älteren Ritters gebeugt. So waren sich die drei darüber einig geworden, niemandem etwas über den Brief zu erzählen, den Link ihnen mit dem Feuerpfeil zugeschickt hatte. Auch wenn Balaen ihn nicht lesen konnte, hatte er ihn in Verwahrung genommen. Dennoch konnte sich Virri noch genau an den Wortlaut erinnern, den er vorgetragen hatte, insbesondere an den ersten Satz: Ich bin der Held der Zeit – und in allen Zeiten kann es immer nur einen Helden geben. Die aus anderen Epochen Beschworenen hatten sich gefragt, ob diese Worte bedeuteten, dass ihre Zielperson herausgefunden hatte, wo sie wirklich herkamen. Doch letztendlich änderte dieses Wissen nichts an ihrer Beziehung zwischen Jägern und Gejagtem.

Denn Links Brief war eine eindeutige Herausforderung an sie – eine Herausforderung zum alles entscheidenden Endkampf. Nach eigenen Angaben erwartete er sie noch diese Nacht auf der Ebene von Hyrule. Dem Brief hatte der abtrünnige Held sogar eine Karte beigelegt, die den Ort grob bezeichnete. Nach einem kurzen obligatorischen Wortgeplänkel zwischen Leo und Balaen bezüglich der Lüge der Prinzessin hatten beide ihre Befürchtungen geäußert, dass dies nur als Ablenkung dienen sollte: Während das Trio auf der Ebene nach dem Ort auf der Karte suchte, der vermutlich nicht einmal existierte, könnte Link in die Zitadelle der Zeit einbrechen und ungehindert in die Geheimkammer vordringen. Doch unterbewusst hatten sie alle drei gespürt, dass dieser Brief die Wahrheit beschrieb.

Am schwersten wog inhaltlich gleich der Anfang. Nämlich, dass Link der Meinung war, es könne nur einen Helden geben. Denn es bedeutete, was er ebenso wie Balaen, Leo und sogar Virri bereits wussten: Mindestens einer der vier Helden würde den nächsten Morgen nicht mehr erleben. Keiner der drei Jäger trug ein Seil bei sich, und auch wenn Leo Farores Donnersturm noch besaß, würde er ihn nicht zur Anwendung bringen. Während sich Virris Partner mit diesen Tatsachen abgefunden zu haben schienen, war dem kleinen Krieger dabei eher mulmig zumute. Doch er würde nicht zurückschrecken, das hatte er sich fest vorgenommen.

Virri blieb stehen, genau an der Grenze des Wirkbereichs des Schwerts der Vier. Entfernte er sich nur noch einen Schritt weiter von seinen Klonen bei der Nordwand, würden sich diese ein weiteres Mal an diesem Abend auflösen. Das wäre aber dann so, als seien sie getötet worden – ihr Original würde sie anschließend also nicht mehr herbeirufen können. Bei dem Kampf, der ihm und seinen Partnern bevorstand, konnte er sich einen solchen Fehltritt nicht leisten.

Gerade wandte er sich um, um wieder näher an seine Doppelgänger heranzurücken, als er im Augenwinkel einer Bewegung auf der Schlossmauer gewahr wurde, die nicht der geordneten Wachsamkeit einer Patrouille entspringen konnte. Interessiert sah Virri auf, blinzelte angestrengt zwischen die Zinnen. Im Lichte der Wachfeuer blitzte die Ahnung einer Gestalt auf, die im selben Grün gewandet war wie der kleine Krieger. Dass es sich dabei nicht um Leo, sondern Balaen handelte, erkannte er erst, als dieser wie auch Virri zuvor über die Balustrade flankte. Der Ritter aus den Wolken hielt in den Händen seinen Paraschal, den er nun ausbreitete. Auch wenn der Schal dieselbe Farbgebung hatte wie Virris Greifenmantel, unterstützte er anders als jener nicht das Vorwärtsmoment eines Sprungs. Er bremste lediglich den Sturz seines Besitzers entlang der Mauer ab, sodass dieser tief geduckt auf dem Boden landete. In diesem Kauern verblieb Balaen auch, während er die Böschung hinab zum Burggraben pirschte und dort langsam ins nachtschwarze Wasser glitt. Tief holte er Luft, bevor er untertauchte und sich von dem steingefassten Rand abstieß.

Aus der Entfernung steuerte Virri seine Klone hinter sich her, damit der Abstand zu ihrem Original nicht größer wurde, als er ungefähr dort hinging, wo Balaen voraussichtlich wieder auftauchen würde. Als grüner Schatten durchschwamm der ältere Held den Wehrkanal, streckte den Kopf durch die Oberfläche, auf der die Lichtreflexe der Wachfeuer tanzten, und atmete durch. Er stieg aus dem Wasser, kletterte die Böschung hoch, immer mit einem aufmerksamen Blick zu den Soldaten auf der Mauer.

„Das hier ist nicht die Nordwand“, meinte Virri verwundert.

Vor Schreck fuhr der Ritter so abrupt herum, dass er beinahe die Böschung runtergerutscht wäre. „Was machst du hier?!“, platzte er, und es klang wie eine Anklage.

Schulterzuckend entgegnete Virri: „Ich schaue mir das Schloss an. Von außen habe ich es noch gar nicht richtig gesehen. Aber warum bist du hier? Das ist nicht die Nordwand“, wiederholte er. Es kam ihm komisch vor, dass Balaen nicht gleich nachgefragt hatte, wo sie sich denn dann befanden.

Verwirrt sah der Held aus den Wolken sich um, richtete den wasserdurchtränkten Schal. „Ich habe mich wohl wieder verirrt“, stellte er fest. „Dieses Schloss ist einfach zu symmetrisch. Alle Gänge sehen gleich aus …“

Virri enthielt sich eines Kicherns darüber, dass sich der älteste des Trios noch immer nicht im Palast zurechtfand. „Na, dann ist es ja gut, dass ich zufällig hier bin.“ Mit einladendem Handwink forderte er Balaen auf, ihm zu folgen. „Komm, wir gehen zur Nordwand.“ Als er merkte, dass sich sein Partner nicht in Bewegung setzte, blieb Virri verwundert stehen. Balaen hatte die Mütze abgenommen und wrang das Wasser aus. Sein Blick war in den Himmel gerichtet, wo ein großer roter Vogel gemächlich seine Kreise zog. „Du wirst wieder meine oder Leos Okarina brauchen, um zu Karmin hochzufliegen“, bemerkte der kleine Held.

Abwesend nickte Balaen, regte sich sonst aber nicht.

Ungeduldig stapfte Virri zu ihm, um ihn vor sich her Richtung Norden zu schieben. „Lass uns gehen!“, bestimmte Virri. „Leo ist vielleicht auch gleich da.“

Balaen blieb nichts anderes übrig, als den Jungen zu ihrem Treffpunkt zu begleiten.

„Bei allen Göttern, wo sind diese miesen Dinger?!“, brüllte Leo, stampfte mit dem Fuß auf und schmetterte eine Schublade gegen eine Wand. Ihre Einzelteile, in die sie augenblicklich zerbrach, sprangen in alle Richtungen davon und warfen im Schein einer einzelnen Nachtkerze dutzendfache Schattenfragmente. Die Holzsplitter gingen über Trümmern nieder, die nur entfernt an den Tisch erinnerten, der sie einst gewesen waren. Unter diesen hatte Alvio Deckung gesucht, da das zerstörte Bettgestell als solche nichts mehr hermachte. Nichtsdestotrotz kein bisschen verschreckt, beobachtete der große weiße Hase das Toben seines Hüters. Der war damit fertig, sämtliche Türen und Schubladen aus dem Schrank zu reißen, und packte nun diesen, stürzte ihn mit aller Gewalt, zu der ihn seine Krafthandschuhe befähigten. Ohrenbetäubend krachte das zentnerschwere Möbelstück zu Boden, doch der Hylianische Ritter achtete in seiner Rage nicht darauf. Er hieb die Faust in die Rückwand des Schranks, stanzte so ein Loch hinein und brach mit einem Ruck ein ganzes Brett heraus.

Nachdem die drei Helden getrennte Wege für sich festgelegt hatten, hatten sie sich in ihre jeweiligen Zimmer zurückgezogen, um gegenüber den Palastangestellten den Anschein zu erwecken, sich nur zur Nachtruhe zu begeben. Dabei hatte Leo es jedoch nicht lange belassen, seine Heldenmontur mitsamt der Ausrüstung gegen die geliehenen Alltagsklamotten eingetauscht. So hatte er weniger Misstrauen zu erregen gedacht, als er sich zu den Kerkern des Schlosses aufgemacht hatte. Auch wenn sich der Hitzkopf logischen Schlussfolgerungen hatte beugen müssen, dass Link noch immer frei herumlief, teilte er nach wie vor nicht Balaens Überzeugung, dass der abtrünnige Held sich gar nicht erst gestellt hatte. Stattdessen war er sich sicher, dass Link sich auf seine Kriminalität rückbesonnen hatte und ausgebrochen war, auch wenn Leo sich selbst hatte eingestehen müssen, dass im Schloss die Anzeichen dafür fehlten. Eigentlich hätten Wachen, in helle Aufregung versetzt, durch den Palast und das umliegende Gelände hetzen, Befehle bellen und alle Ecken und Winkel nach dem Flüchtigen absuchen müssen.

Da es im Gegenteil geradezu heimelig ruhig war, hatte Leo die Kerker aufsuchen wollen, um in Erfahrung zu bringen, ob Link wirklich dort war oder zuvor gewesen sein könnte. Zu seinem Leidwesen hatten die Gefängniswärter sein Ansinnen zurückgewiesen und waren desweiteren auch nicht autorisiert, Auskunft über die Insassen zu geben. Leo hatte bereut, nicht wenigstens seine Krafthandschuhe mitgenommen zu haben, auch wenn er sich gewiss auch ohne sie einen Weg hätte freikämpfen können. Dennoch war er resignierend wieder abgezogen, und das aus demselben Grund, aus dem er überhaupt gekommen war: Weil er zu dickköpfig war, Balaen Recht zu geben.

Anschließend war er in sein Zimmer zurückgekehrt, hatte sich erneut umgezogen, seine Ausrüstung angelegt und natürlich auch in die Pegasusstiefel schlüpfen wollen – nur um festzustellen, dass sie nicht mehr da waren. Zunächst hatte er geordnet nach ihnen gesucht, indem er unter Tisch und Bett nachgesehen hatte für den Fall, dass er sie unterbewusst darunter geschoben hatte. Dann hatte er die Möbel selbst von ihren Plätzen gerückt, sich irgendwann derart in sein Wüten hineingesteigert, dass er nun die Einrichtung zerlegte. Ihm war bewusst, dass das bei der Suche nach seinem verschollenen Schuhwerk auch nicht weiterhalf, denn so unauffindbar konnte er es gar nicht verlegt haben. Wenn die Stiefel bislang nicht aufgetaucht waren, würden sie es erst recht nicht aus dem Schutthaufen, den ihr Besitzer produzierte. Doch Leo schaffte es einfach nicht, sich zu beherrschen. Seit Wochen schon ging er in diesem Zimmer ein und aus; wie konnten seine Stiefel ausgerechnet jetzt, als es am wichtigsten war, verschwinden wie vom Erdboden verschluckt?!

Der Schrank war vollständig zerkleinert, und Leo wankte von ihm ab in glühendem, ungerichtetem Zorn, der längst noch nicht abreagiert war. Im Gegenteil, als seine bloßen Füße auf die Holzspäne traten, heizte dies sein Temperament nur noch mehr an, zusätzlich zu der Unrast, die ihn befallen hatte. Seine Partner warteten bestimmt auf ihn. Er hätte schon längst aufbrechen müssen!

Während Leo so dastand, bebend vor Machtlosigkeit, hoppelte Alvio aus seinem Versteck hervor zur Tür, vor der er niederkauerte. Den verschreckten Hasen zu sehen, lichtete den Wutschleier auf Leos Geist ein wenig. „Tut mir leid, dass ich dir Angst mache …“

Erst jetzt erkannte Leo, dass an dem Verhalten des Tiers gar nichts panisches war. Alvio drückte nur die Nase an den Türspalt, als schnuppere er nach etwas, die Löffelohren waren interessiert nach vorn gedreht. Jetzt, da sich Leo selbst etwas beruhigte, hörte auch er das zaghafte Klopfen, das ihm in seinem Tobsuchtanfall bislang entgangen war.

„Moment!“, rief er und stakste balancierend durch die spitzteiligen Trümmer. Mit dem Fuß schob er ein größeres Holzstück zur Seite, das einmal eine Stuhllehne oder Teil einer Tischplatte gewesen sein mochte. Der Ritter entriegelte die Tür, die er verschlossen hatte, um sich ungestört umzukleiden. Sowie sie so weit offen war, dass ein Hase hindurchgepasst hätte, entfernte sich Alvio wieder ins Zimmer.

„Held Leopold?“, kam es zögerlich aus dem Flur. Auch wenn er seinen vollen Vornamen verabscheute, gefiel Leo doch die Ansprache, mit der die Diener ihn immer begrüßten. Die Angestellte vor ihm erkannte er, weil es im Flur so dunkel war, nur an ihrer Stimme sogleich als Serra, jenes Mädchen, dem das Heldentrio beim Besuch in Hyrule-Stadt begegnet war und das davon träumte, Ritterin zu werden. Trotz ihres Streits mit Leo zu diesem Thema war sie die vergangenen Tage stets freundlich zu ihm gewesen; auch jetzt verbeugte sie sich ehrerbietig vor ihm, wobei das Licht ihrer Laterne mit ihren Bewegungen tanzte. „B-bitte verzeit die Störung!“, sagte Serra hastig. „Ich habe Lärm aus Eurem Zimmer gehört … Stimmt etwas nicht?“ Die Dienstbotin versuchte, an dem Grüngewandeten vorbei ins Halbdunkel des Raumes zu stieren.

„Nein, alles in Ordnung!“, wimmelte er sie etwas zu schnell ab und tat einen Schritt durch den Eingang, woraufhin Serra zwei zurückwich. Irgendwie war es ihm plötzlich peinlich, sich vor Wut derart hatte gehen zu lassen, weswegen er die Tür so weit hinter sich zuzog, dass sie die Sicht auf sein Massaker an der Inneneinrichtung versperrte. Betont lässig lehnte Leo sich mit dem Unterarm an den Türrahmen, räusperte sich und versuchte sich an einem unverfänglichen Thema: „Bist du so spät noch im Dienst? Ist ja wirklich ungeheuerlich, euch solche Überstunden aufzudrücken!“ Seine Anteilnahme war dabei tatsächlich nicht nur gespielt.

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Ich habe heute bei Schichtende nur was in der Küche vergessen und eben noch geholt“, erklärte Serra.

„Aha …“, machte Leo langgezogen. Seltsam, dass sie dann hier war; die Küche lag am anderen Ende des Schlossflügels, was eigentlich eine zu weite Strecke für einen kurzen Abstecher war. Da kam Leo ein Einfall, und er verlangte von der Dienerin zu wissen: „Kennst du unter deinen Kollegen jemanden, der gerne mal etwas von Gästen entwendet, wenn er denkt, er könnte es gebrauchen?“ Der Ritter konnte sich gut vorstellen, dass für so manchen Laufburschen solch besondere Schuhe wie die Pegasusstiefel nur allzu praktisch wären, Aufträge und Botengänge in Windeseile zu erledigen.

Befremdet blickte Serra ihn an. „Davon weiß ich nichts.“

Ungehalten stieß Leo einen nicht sehr ritterlichen Fluch aus.

Dessen ungeachtet fuhr das Mädchen fort: „Ich bin eigentlich hier, weil … Also, ich habe ihn gesehen, wie er durch die Küche geschlichen ist. Da bin ich misstrauisch geworden und ihm gefolgt. Als er in Euer Zimmer ist, dachte ich, er hätte sich in der Tür geirrt. Er hat mich nämlich schon öfter nach dem Weg …“

„Halt, warte!“, unterbrach Leo den Redefluss seines Gegenübers. „Jemand ist in mein Zimmer gegangen?“, forderte er eine Präzisierung ihrer Schilderung. Als die Palastangestellte eingeschüchtert nickte, bedrängte der Held sie weiter: „Als er rauskam, hat er da irgendwas mitgenommen?“ Auf Serras wiederholtes Nicken packte Leo sie beim Handgelenk. Ihr entglitt die Laterne und schepperte zu Boden. „Wen hast du gesehen?!“

Träge flossen die Minuten dahin, während Virri und Balaen auf die Ankunft ihres Partners warteten. Karmin war bei ihnen gelandet und trottete nun um seinen Reiter herum, stupste ihn hin und wieder mit dem Schnabel. Die Aussicht auf den nahenden Ausflug machte den Wolkenvogel unruhig, was nicht gerade dazu beitrug, dass Balaen erfolgreich seine Nervosität zu verbergen vermochte. Auf seinem eigenen Weg aus dem Schloss heraus war auch er einem Dreiertrupp Soldaten begegnet, die er vorsichtshalber bewusstlos geschlagen hatte, bevor sie ihn hätten verraten können. Die Gefahr, dass sie aufwachten oder von Kameraden entdeckt und Alarm geschlagen wurde, wuchs mit jedem Augenblick, der verstrich. Die Arme vor der Brust verschränkt, ging Balaen wie wenige Stunden zuvor in der Zitadelle der Zeit auf und ab. Virri hatte das Schwert der Vier nicht zurückgesteckt, weswegen immer mindestens eines der drei zusätzlichen Augenpaare des kleinen Helden auf den älteren gerichtet war. Die vier hockten unbeteiligt beieinander; nur das Original beobachtete das Schloss und das immergleiche Einherschreiten der Nachtwächter.

Irgendwann gähnte Virri. Vorhin in seinem Zimmer hatte er ein kleines Nickerchen gehalten, doch vor Aufregung nicht wirklich schlafen können. Auch jetzt war er nicht müde, aber die Eintönigkeit machte ihm das Warten öde und langweilig. Nicht einmal zu seinen gewohnten Übungskämpfen mit seinen Klonen konnte er sich aufraffen. „Leo lässt sich echt Zeit“, meinte Virri und hob den Blick zu Balaen.

Der ging nicht darauf ein, auch wenn er sein Hauptaugenmerk den Wehrmauern zugewandt hatte. „Es ist fast Mitternacht“, sagte der Ritter nur.

Eine verdrießliche Miene ziehend, stützte Virri, der den Schneidersitzt eingenommen hatte, die Ellbogen auf die Knie und das Kinn auf die geballten Fäuste. „Ohne ihn können wir doch nicht gehen.“ Schicksalsergeben seufzte er tief.

Es folgte ein Moment angespannten Schweigens, der erst unterbrochen wurde, als in dem ruhigen Trott der Nachtwächter eine Veränderung vorging: Jemand gab aufgeregt Zeichen, und einige Soldaten folgten dem Wink an dieselbe Stelle. Verzerrte, unverständliche Rufe hallten über die Ebene, wurden jedoch sogleich von einem Hornsignal übertönt.

Verwundert merkte Virri auf. „Was ist da bloß los?“ Unwillkürlich drehte er die Blicke aller seiner vier Körper zum Schloss.

Hinter ihm musterte Balaen interessiert den Greifenmantel, und mit mächtigen Flügelschlägen erhob sich Karmin in die Luft.

Was die beiden Helden von ihrer Warte aus nicht einsehen konnten, war der Auslöser für die Unruhe auf dem Wehrgang. Dort bot nämlich Leo einer scheinbaren Übermacht aus Soldaten ein erbittertes Gefecht. Die Wachen versuchten, den Ritter auf Abstand zu halten, indem sie ihm in geschlossener Formation die Spitzen ihrer Speere entgegenstreckten. Der Heißsporn dachte nicht einmal daran, zurückzuweichen, lag sein Ziel – die Nordwand – doch schon um die nächste Ecke. Vermutlich hätten sie ihn unbehelligt ziehen lassen, wäre Leo nicht mit gezücktem Schwert und wutentbrannt wie ein Komet aufs Wehr gestürmt. Die Soldaten hatten sich durch sein aggressives Verhalten zu dieser offensiven Verteidigung genötigt gefühlt. Der Tobende selbst war schuld daran, in diese Zwickmühle geraten zu sein, doch es kümmerte ihn nicht. Balaens ganzer Plan, heimlich aus dem Schloss zu schleichen, war ihm völlig egal.

Gegen die Speerträger mit dem Schwert fechtend, kam Leo langsam aber sicher vorwärts, sodass er allmählich in das Sichtfeld seiner Partner außerhalb des Palastgeländes rückte.

„Das ist Leo!“, rief Virri mit einem Fingerzeig aus, als er den grüngewandeten Derwisch auf der Mauer erkannte. „Wir müssen ihm helfen!“ Aufgeregt steuerte der kleine Krieger seine Klone dazu, Balaen hinter sich herzuschieben und -ziehen, als er wieder Richtung Burggraben lief. Beflissentlich verzichtete der ältere Held darauf, seinen Partner darauf hinzuweisen, dass sie hier unten keine Möglichkeit hatten, ihrem Partner oben auf dem Wehr schnell genug zur Unterstützung zu eilen.

Erneut duckte sich Leo unter ein Stichblatt eines gegen ihn geführten Speers, schlug sein Schwert beidhändig von unten gegen den Schaft und hebelte ihn im Aufrichten nach oben. Auf diese Art gelangte er hinter die Reihe der Piekenspitzen, wo sie ihren Trägern mit ihrer hohen Reichweite eher hinderlich waren. Leo nahm die Hinterhand vom Heft und schmetterte sie dem Soldaten, der unmittelbar vor ihm stand, flach vor den Brustharnisch. Der Gepanzerte wurde von dem Stoß zu Boden geschleudert und schlitterte ein gutes Stück den Wehrgang entlang. Seine Kameraden wichen, geschockt von Leos unerwartet roher Kraftdemonstration, zurück, ließen endlich davon ab, den Grüngewandeten zu drangsalieren.

Der brüllte nun: „Den nächsten, der sich mir in den Weg stellt, werfe ich über die Balustrade!“

Die Soldaten zögerten. Sie alle waren gestandene Krieger, die nie vor einem Kampf zurückschreckten – nur deswegen hatten sie überhaupt die ehrenhafte Stellung von Nachtwächtern des Schlosses inne. Doch nun sahen sie sich diesem Jungspund gegenüber, dessen Können, auch wenn er nur halb oder gar ein drittel so alt war wie sie, ihnen höchsten Respekt abverlangte. Manche der Soldaten hatten ihn bereits gegen Balaen und Virri fechten sehen oder zumindest davon gehört, aber erst jetzt erfuhren sie, was es wirklich bedeutete, sich mit einem Helden anzulegen.

Leos sehr überzeugende, nicht vollkommen ernstgemeinte Drohung wäre nicht nötig gewesen; die Wachen trauten sich auch so nicht mehr, sich ihm auf Reichweite seines Schwerts zu nähern. Zuerst senkten die Hauptmänner die Waffen, dann taten es ihnen ihre Untergebenen gleich.

„Kluge Entscheidung“, lobte Leo zynisch. Auch er steckte des Schwert ein, schritt selbstbewusst weiter. Die gedemütigten Palastwachen traten zurück wie fette, verängstigte Schafe vor einem hungrigen Löwen. Als Leo an dem Soldaten vorbeikam, den er gestoßen hatte und der noch immer nicht wieder aufgestanden war, warf er diesem einen finsteren Blick zu. Mit zorniger Genugtuung erkannte der Ritter das blanke Entsetzen des armen Tropfs.

So gelangte Leo zu der Ecke, mit der der Wehrgang scharf auf die fragliche Nordwand einbog, trat an die Zinnen und spähte zwischen ihnen hindurch in die Nacht. Im Schein der Wachfeuer, das knapp bis hinter das jenseitige Ufer des Burggrabens reichte, gewahrte er die beiden anderen Grüngewandeten. „Mistkerl …“, zischte er leise, die Augen zusammengekniffen.

Unten hatte Virri noch nicht bemerkt, dass Leo nicht mehr von den Soldaten in die Mangel genommen wurde. Seine Befürchtungen waren, dass sich die Wachen neu formierten und den Ritter gleich erneut angreifen würden. „Er muss so schnell wie möglich da runter!“, wandte sich der kleine Krieger hilfesuchend an Balaen, der merkwürdig nahe bei ihm stand. „Fällt dir was ein, wie er runterkommen könnte?“

Der Held aus den Wolken hob nur ratlos die Schultern.

Stattdessen kam Virri selbst auf eine Idee, und seine Miene hellte sich auf. Behände erkletterte er mit einem seiner Klone einen anderen, wie er es zuvor im Schlossgarten getan hatte, und stapelte wieder sogar den dritten darauf. Während er damit beschäftigt war, das wackelige Konstrukt stabil zu halten, fühlte Virri ein Zupfen am Hals. Verwundert drehte er sich um und sah, wie Balaen gerade den blauen Saum seines Umhangs losließ.

„Dein Mantel war unter deinem Waffengurt eingeklemmt“, erklärte der ältere ungefragt.

„Oh, danke“, erwiderte Virri und konzentrierte sich wieder ganz auf seine Abbilder. Darauf bedacht, den wankenden Turm am Einsturz zu hindern, rief er winkend: „Leo, hierher!“ Mit dem Schwert der Vier deutete er auf seine Doppelgänger.

Der Hylianische Ritter verstand und nickte entschlossen. Unter den verdatterten Blicken der Soldaten nahm er rückwärtsgehend Anlauf, nestelte den Tauschhaken von seinem Gürtel.

Angespannt beobachtete Virri ihn dabei, bis hinter ihm beschwingte Flötentöne erklangen. Wieder drehte der kleine Krieger sich um, sah Balaen die unpassende Melodie auf einem blauen Blasinstrument spielen – Virris Okarina des Windes! Perplex hob ihr Besitzer an: „W-warum …?“

In diesem Moment aktivierte Leo seine Pegasusstiefel, flitzte auf die Balustrade zu, katapultierte sich davon ab und sprang von der Wehrmauer. Seine Geschwindigkeit trug ihn über den Burggraben hinweg. Unweigerlich würde er auf dem anderen Ufer zerschmettern – doch er warf den Tauschhaken nach Virris oberstem Klon aus, zog an der Kette und wechselte augenblicklich die Position mit ihm. Sofort steckte Virri seine mystische Waffe ein, damit sein in den Sturz hineingetausches Abbild nicht unkontrolliert in einem Funkenschwarm zerschellte.

Der von Balaen mit dem Lied herbeigerufene Papagei ließ sich von diesem an den Füßen packen. Macht- und ahnungslos musste Virri mitansehen, wie der Ritter aus den Wolken vor seinen Augen in den Nachthimmel aufstieg.

Leo, der nach dem Austausch ein geringeres Stück als zuvor zu Boden gepurzelt war, rappelte sich auf und eilte an die Seite des kleinen Helden. Unvermittelt packte er den jüngeren an der Schulter und klagte ihn an: „Warum hast du ihm deine Okarina gegeben?!“

„Er … er hat sie mir geklaut“, rechtfertigte sich Virri verwirrt, als ihm klar wurde, warum Balaen vorhin den Greifenmantel angehoben hatte: Um die darunter am Köcher befestigte Flöte zu entwenden.

In der Zwischenzeit war Balaen hoch genug gekommen, ließ sich fallen, und sogleich schoss Karmin unter ihm vorbei, fing seinen Reiter auf und trug ihn davon. Mit wirbelnden Tornadohieben fetzte er über die Ebene, gewann so rasch an Entfernung.

Leo ließ ein abfälliges Zischen hören. Beschleunigt von seinen Stiefeln nahm er die Verfolgung auf, doch der Vorsprung des Vogels war bereits zu groß, zudem war er vom Boden aus wohl kaum aufzuholen. Schlitternd kam Leo zum Halten, bückte sich nach dem nächstbesten faustgroßen Stein und rief dem Ritter aus den Wolken hinterher: „Komm sofort zurück!“ Weit holte er aus, warf den Stein, den er dank seiner Krafthandschuhe zwar hoch und weit schleudern konnte, Karmin jedoch um Längen verfehlte. Wütend stampfte Leo auf und stieß wüste Flüche aus, während das rote Gefieder des Wolkenvogels und die grüne Gewandung seines Reiters von der Nacht verschluckt wurden.

Auch als Leo die beiden nicht mehr sah, hörte er mit seiner Schimpftirade erst auf, als Virri, der ihm hinterhergerannt war, ihn endlich erreichte. Der kleine Held schnappte nach Luft und überreichte dem Hylianischen Ritter den Tauschhaken, den dieser in seiner Wut bei der Nordwand vergessen hatte. In seinem Versuch, Karmin einzuholen, war Leo am Schloss vorbei bis zu dessen südlicher Seite gehetzt. Auf den Mauern brandete nun aufgeregte Geschäftigkeit auf aufgrund der Geschehnisse auf der nahen Ebene. Das Vorhaben der Helden, das Palastgelände unbemerkt zu verlassen, war zunichte geworden.

„Wir müssen ihm nachfliegen!“, stellte Leo überflüssigerweise fest.

Atemlos erinnerte Virri: „Er hat meine Okarina.“ Der Papagei, der Balaen in die Höhe getragen hatte, war schon längst entflogen und würde erst wiederkommen, wenn das Locklied erneut erklang.

Unwirsch winkte Leo ab. „Weiß ich doch …“ Nachdem er den Tauschhaken wieder an seinem Gürtel verstaut hatte, öffnete er den Lederbeutel, in dem er seine eigene Flöte bei sich trug. Doch was er diesem entnahm, war nicht das tönerne Instrument, sondern nur etwas von ähnlicher Form und Farbe: Eine rohe Süßkartoffel.

Wie geohrfeigt zuckte Virri zusammen, als das Knollengemüse in Leos geballter Faust zerplatzte. „Deswegen warst du in der Küche?“, zischte er, als sei der Adressat dieser Frage anwesend. Sich die Reste der zerquetschten Kartoffel von der Hand schüttelnd, blickte er in die Richtung, in die Vogel und Reiter entschwunden waren. „Dieser Mistkerl verurteilt die Prinzessin?“, spuckte Leo wütend. „Der ist selbst nicht besser! Erst meine Stiefel, und jetzt auch noch unsere Okarinas …“ Wie er von Serra erfahren hatte, war Balaen für das Verschwinden seiner Pegasusstiefel verantwortlich. Der Hylianische Ritter hatte sein Schuhwerk im Zimmer des älteren gefunden – zu dessen Glück ganz gewöhnlich unters Bett geschoben, sonst hätte Leo noch eine zweite Einrichtung demoliert.

„Eigentlich hat das mit den Lichtpfeilen schon angefangen“, merkte Virri an.

„Stimmt“, pflichtete Leo ihm bei, stutzte dann aber. „Denkst du, dass er sie versteckt hat?“

Die Schultern hebend, wich der kleine Krieger seinem forschen Blick aus. „Ist doch logisch. Er hat doch selbst gesagt, er würde dafür sorgen, dass ich nicht mitkämpfen kann.“

Das machte Leo jetzt völlig sprachlos. „Du … Das … Woher weißt du das?“, brachte er schließlich zustande.

Verlegen, weil er gespitzelt hatte, kratzte sich Virri an der Nase. „Ich bin Balaen gefolgt …“, gestand er kleinlaut. „Also, als er zu dir gegangen ist, nachdem du aus meinem Zimmer gerannt bist. Damals, es mir noch so schlecht ging. Ich hab gehört, wie ihr ausgemacht habt, dass nur ihr beiden gegen Link kämpfen sollt.“

„Wie das denn?“, wollte Leo wissen. „Wir waren auf dem Übungsplatz, und du ans Bett gefesselt.“ Zur Antwort klopfte Virri auf den Griff des an seiner Seite hängenden Schwerts der Vier, und Leo verstand. „Warum hast du nie was gesagt?“

„Ich wusste nicht, was ich sagen sollte … Dann dachte ich, ich könnte euch wenigstens irgendwie helfen, auch wenn ich nicht dabei bin.“

„Deswegen wolltest du Balaen dein Schwert überlassen“, erkannte der Ritter nun, „und mir die Silberpfeile geben. Nicht wahr?“

Schüchtern nickte sein jüngerer Partner. „Wenn ihr mich schon nicht dabei haben wolltet … Aber dann wollte Zelda unbedingt, dass ich die Lichtpfeile benutze, da ging es nicht mehr anders. Ich habe gehofft, ihr würdet es euch dann auch anders überlegen.“

„Ach, Knirps …“ Voller kameradschaftlicher Zuneigung legte Leo die Hand auf die grüne Mütze des kleinen Helden, der diesen Spitznamen ausnahmsweise nicht abwehrte. „Ich habe es mir anders überlegt, aber Balaen …“ Seine Stimme nahm wieder einen zornigen Unterton an. „Das hat er doch von Anfang an geplant! Er hat uns die ganze Zeit nie für voll genommen! Für den sind wir nichts anderes als Kinder.“

Mutlos seufzte Virri. „Was sollen wir jetzt tun? Er ist … Schafft er das überhaupt allein?“

Sofort schnaubte sein mit ihm zurückgelassener Partner: „Natürlich nicht!“ Nachdenklich blickte er in die Ferne, dann plötzlich drehte er Virri den Rücken zu und ging in die Hocke. „Steig auf!“, befahl er.

„Was hast du vor?“, fragte der kleine Held, kam der Aufforderung aber dennoch nach.

Die Hände unter Virris Beine gehakt, stand Leo auf und erkundigte sich bei ihm: „Hast du Links Karte noch im Kopf?“

„Ja, klar. Aber was …?“

„Denkst du, du kannst dich auch vom Boden aus danach orientieren?“, unterbrach der Ritter.

„Glaub schon“, meinte Virri vage.

„Wunderbar.“ Sorgfältig rutschte Leo seinen kleinen Partner auf seinem Rücken zurecht. „Halt dich gut fest, Knirps!“, riet er ihm.

Endlich begriff Virri. „Willst du etwa …?“

Mit umschatteter Miene nickte der Hylianische Ritter. „Ich werde Link nicht das Vergnügen gönnen, diesem Mistkerl den Hals umzudrehen!“

Keine Wolke stand am sternenklaren Himmel, der bleiche Mond leuchtete fahl von oben herab. Verschlafene Dörfer lagen stumm in der Dunkelheit nebst Weiden, auf denen zu dieser Stunde kein Vieh mehr graste. Das sonst so unablässige Zirpen der Grillen war verstummt, und auch alle anderen nächtlichen Sänger schwiegen. Keine Brise regte sich. Gespenstische, geradezu widernatürliche Stille herrschte über der Ebene, als hielte ganz Hyrule den Atem an, gebannt vor dem Kampf, der ihm bevorstand. Einem Kampf zwischen seinen Helden – oder zumindest zweien von ihnen.

Nicht die geringste Reue empfand Balaen dafür, seine Partner hintergangen zu haben. Eher eine gewisse Erleichterung, wenn nicht sogar Befriedigung, dass sein Plan, sie zurückzulassen, aufgegangen war, obwohl es zwischendurch den Anschein gehabt hatte, dass er sie nicht loswerden würde. Auch was das Schwert der Vier betraf war er froh, dem Zwang entbunden zu sein, es gebrauchen zu müssen. Auch wenn er damit zu kämpfen einigermaßen eingeübt hatte, war er längst nicht so meisterlich darin geworden wie der eigentliche Träger der mystischen Waffe. Ohnehin war Balaen nicht der Meinung, dass Link mit der Vervielfältigung beizukommen war.

Dicht an Karmins Rücken gekauert, den Paraschal wie immer über Mund und Nase gezogen, die Kleidung vom Flugwind längst getrocknet, schoss der Vogelreiter über die dunkle Ebene. Auch wenn er Landmarken wie vereinzelte Hügel oder kleine Baumgruppen durchaus erkannte, waren sie lediglich Schemen, die durch Karmins Geschwindigkeit nur verschwommen an ihnen vorbeizogen. Insofern war Links Karte Balaen nur bedingt von Nutzen, doch dank der Adleraugen seines Wolkenvogels und ihres telepathischen Bands fanden sie sich einigermaßen zurecht.

Schließlich war die uneindeutige Strichzeichnung nicht einmal mehr nötig: Balaens gefiedertes Reittier pfiff leise, lenkte die Aufmerksamkei seines Reiters auf etwas, das in einiger Entfernung vor ihnen lag. Der Ritter aus den Wolken blinzelte in die Dunkelheit, und erst einen Moment später machte auch er aus, was Karmin erblickt hatte: Ein einzelner Punkt glutfarben glimmenden Lichts. Der rote Vogel war so schnell heran, dass Balaen darin alsbald eine Flamme erkannte, die einsam und verloren auf der Ebene stand. Mit einem knappen Gedanken und Zug an den Haltegriffen hieß der Vogelreiter Karmin, abzubremsen und in einen Gleitflug über das Feuer überzugehen.

Dieses saß, wie Balaen nun sah, auf einem im Boden steckenden Holzstab, umgeben von mehreren ebensolchen, allerdings nicht brennenden, die in zwei konzentrischen Kreisen angeordnet waren. Die Stöcke des äußeren, der vom dreifachen Durchmesser war wie der innere, wurden vom einsamen Fackelschein fast nicht mehr beleuchtet, während der kleinere einen Kranz aus der Mitte weisender Schattenlinien warf. Wer auch immer diese fast schon wie einen Zeremonienplatz anmutende Anlage errichtet hatte, war nicht zu sehen. So dunkel das umliegende Gelände auch war, es bot keine Versteckmöglichkeiten. Wäre noch jemand hier, wäre dies Karmin gewiss nicht entgangen.

Sich den Schal abbindend, zog Balaen die Beine an, sodass er auf dem Vogelrücken hockte, und sprang ab. Das weiße Tuch fing seinen Sturz ab, und der Ritter kam dumpf im Gras weit außerhalb der Fackelkreise auf. Auch Karmin landete flügelschlagend, um seinen überdimensionierten Körper im Gleichgewicht zu halten, neben dem Grüngewandeten, mit gerade so viel Abstand, dass er ihn nicht mit den Schwungfedern streifte. Während er die gewaltigen Schwingen an den Leib faltete, trat Balaen zu ihm.

Der rote Wolkenvogel stupste ihn sanfter, als seiner Größe zuzutrauen war, mit dem mächtigen Schnabel und tschilpte wie ein frischgeschlüpftes Küken. Seine Spezies zählte zu den intelligentesten im Tierreich, dennoch begriff er den Entschluss seines Reiters nicht wirklich, nun hier alleine zu stehen. Er spürte lediglich Balaens stumme Konzentration, seine grimmige Entschlossenheit – und seine Angst. Beunruhigt von diesen Gefühlen weigerte sich Karmin, von der Seite seines ihm vom Schicksal anvertrauten Menschen zu weichen.

Der Held aus den Wolken hatte den Paraschal nicht wieder angelegt. Stattdessen band er ihn nun seinem treuen Reittier um den Ansatz des langen, geschwungenen Halses. Mit schwerer Stimme sprach Balaen: „Wenn ich nicht wiederkomme, flieg zurück zum Schloss. Ich bin mir sicher, Zelda schickt dich auch ohne mich nach Hause.“ Entgegen aller Argumente, die er im Streitgespräch gegen Leo vorgetragen hatte, hegte der Ritter aus ferner Vergangenheit keinen Groll gegen die Prinzessin, so unehrlich sie zu ihren Berufenen auch gewesen war. Im Gegenteil war er ihr fast schon dankbar: Ihre Lüge über Links Verbleib hatte erst zu der Situation geführt, in der Balaen Virri und Leo hatte abschütteln können. In der Zitadelle der Zeit, wo sie ursprünglich auf ihre Zielperson gewartet hatten, wäre ihm das nie gelungen.

Karmin ließ ein liebevolles Fauchen hören, und sein Reiter streichelte ihn am Schnabelansatz. Das Gefieder an dieser Stelle war fast so flaumig wie das von Nestlingen, das wusste Balaen, auch wenn er im Moment nichts davon fühlte. Es erschien ihm glatter als üblich, als könne er es nicht richtig berühren.

Seit er erkannt hatte, dass er so schnell nicht in seine Welt würde zurückkehren können, war Balaen sehr sparsam mit seinen Glitzersporen umgegangen. Schon bei seinem Aufbruch im Erdhort hatten sie bestenfalls für zwei Wochen ausgereicht, und nun war er einen ganzen Monat nicht an Nachschub rangekommen. Dass er es so lange mit geringeren Dosen ausgehalten hatte, lag zum Teil an den Schmerzmitteln, die ihm der Hofarzt Schloss Hyrules für den gebrochenen Arm verschrieben hatte. Zum anderen daran, dass er nicht mehr so viel darüber gegrübelt hatte, was zuhause ohne ihn geschehen mochte – und auch an der Aussicht, in dieser Nacht etwas an sich zu bringen, durch das die Bürde seiner Pflichten als Held weniger schwer wiegen würden. So kam es also, dass ihm noch eine gute Menge an Pilzsporen geblieben war, von der er vor seinem Aufbruch aus dem Palast ganze drei Prisen eingenommen hatte. Zweifellos eine Überdosis, aber das war in Ordnung. Für das, was ihm bevorstand, konnte er keine lästigen Kopfschmerzen gebrauchen.

Auf dem Flug hierher hatte das Pulver zu wirken begonnen, hatte Balaens chronische Schmerzen abebben lassen, darüber hinaus aber auch seine sonstige Wahrnehmung verändert. Deswegen fühlten sich alle Oberflächen an wie mit einer dünnen Glasschicht überzogen.

Wieder gab Karmin seinen Kükenlaut von sich, musterte Balaen tiefgründig aus großen, dunklen Augen. Der Vogelreiter wusste, dass keine weiteren Worte mehr nötig waren. Schweigend wandte er sich um. Er hörte, wie Karmin hinter ihm das Gefieder schüttelte, und Windstöße erfassten ihn, als der Wolkenvogel die roten Schwingen ausbreitete und in den Nachthimmel aufstieg. Balaen blickte nicht zurück.

In seiner Gürteltasche kramend, förderte er den ersten Gegenstand zutage, den er fand: Virris Okarina. Da er sie nicht mehr brauchen würde und sie daher unnötiger Ballast für ihn war, ließ er sie ins Gras fallen. Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, auch Leos Flöte derart abzuwerfen, einfach der Symbolkraft wegen. Doch so lebensmüde war Balaen dann doch nicht. Mindestens ein Instrument würde er brauchen, wenn er später wieder auf Karmins Rücken gelangen wollte, nachdem er seine Zielperson zwar nicht unbedingt besiegt, aber beraubt haben würde.

Festen Tritts schritt er auf Links Arena der Helden zu.

Aus dieser Perspektive war deutlicher zu erkennen, dass es sich bei den Holzstäben um Äste handelte, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit in Wuchs und Borke offenbar von demselben Baum stammten. Gut mannshoch, waren sie an ihrem oberen Ende mit Stoffstreifen umwickelt, die feucht glänzten. Gegen das Licht der einzelnen Fackel machte Balaen eine Schnur aus, die zwischen den Ästen gespannt war, und unter die er sich duckte, als er in den äußersten Kreis trat. Argwöhnisch berührte er die Stoffstreifen mit den Fingern, roch an der trübgelben Flüssigkeit – eindeutig Lampenöl. Daraus schlussfolgerte Balaen, dass auch die Lumpen an den anderen Stäben damit getränkt sein mussten. Auch die inneren Äste waren so präpariert, nur die zwischenhängende Schnur fehlte. Der Ritter machte sich nicht die Mühe, die Stöcke zu zählen, schätzte sie aber insgesamt auf ungefähr drei Dutzend.

Neben der einzigen bereits brennenden Fackel stand ein Monolith. Die braun-weiß marmorierte, moosbewachsene Felsnadel war so hoch wie die sie umgebenden Äste.

Und sonst war nichts zu sehen. Schon merkwürdig, befand Balaen. Wie er schon zuvor aus der Luft erspäht hatte, gab es weit und breit nur Gras und flache Hügel. Link konnte sich also unmöglich in der Nähe versteckt haben. Warum traf der abtrünnige Held derart sorgsame Vorkehrungen, war dann selbst aber nicht anwesend? War das Ganze am Ende doch eine Falle?

Nun trat Balaen in den Innenkreis, wodurch er der Fackel nahe genug kam, dass er ihre Wärme auf dem Gesicht spüren konnte. So plötzlich, dass er sich selbst nicht erklären konnte, was ihn dazu verleitete, blieb er stehen. Wachsam blickte er sich um, als ihn eine eigentlich unbegründete Anspannung befiel. Irgendwas stimmte nicht, dessen war er sich sicher, doch konnte er nicht festmachen, woher diese Gewissheit kam.

Alarmiert ging der Ritter aus den Wolken rückwärts aus dem Innenkreis raus, versuchte, die eigene Eingebung zu verstehen. Seine Augen huschten von der Fackel über den Monolithen bis runter zu dessen Schatten – und verharrte dort.

Der Schatten war von eindeutig menschlicher Form!

„Sehr scharfsinnig von dir, nicht näher zu kommen.“

Fassungslos beobachtete Balaen, wie sich die Konturen des Felsens aufzulösen schienen, ohne sich wirklich zu verändern. Es war ihm ein Rätsel, wie er nicht hatte erkennen können, dass die braune und weiße Färbung von Leder und Leinen herrührte und das vermeintliche Moos eigentlich eine grüne Mütze und Tunika waren. Sein Gegenüber hielt in der rechten Hand einen Bogen und einen einzelnen Pfeil, in der anderen etwas, das wie eine klobige Schale aus Stein anmutete.

„Zwei Schritte mehr, und nur ein Schwertstreich hätte ausgereicht“, sagte Link, ohne jeden Anschein zu erwecken, dies auch vorgehabt zu haben.

Seinen Schock kaschierend, fragte Balaen rhetorisch: „Denkst du wirklich, ich würde es dir so einfach machen?“ Er deutete auf Links undefinierbares steinernes Besitztum. „Du scheinst einige sehr interessante Masken zu haben. Ich nehme an, damit hast du dich auch in der Höhle in den Bergen vor uns versteckt.“

Link drehte die Felsmaske, um sie von beiden Seiten zu betrachten. „Richtig, das habe ich. Sie macht einen unscheinbar wie ein Stein am Wegesrand. Leider lassen sich Goronen nicht so leicht davon täuschen, wahrscheinlich, weil sie selbst wie Steine sind. Und bei allzu scharfen Ohren hilft ihre optische Wirkung nicht“, meinte er nebensächlich, bevor er die Maske in seinen Gürteltaschen verstaute. Misstrauisch ließ der abtrünnige Held den Blick schweifen. Den Kopf leicht zurückgelegt, saugte er die Luft tief durch die Nase ein. „Die anderen beiden sind nicht hier.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Natürlich“, gab Balaen nüchtern zurück. „Wie du im Brief geschrieben hast: Es kann nur einen Helden geben. Du hast diese Herausforderung allein an mich gestellt.“

Link zog eine Augenbraue leicht hoch. „Wie kommst du darauf?“

„Der Pfeil mit dem Brief ist auf mich zugeflogen“, erläuterte sein Gegenüber, „und jetzt hast du auch nur einen Pfeil dabei. Um auch Leo und Virri aus dem Hinterhalt zu erschießen, bräuchte es mindestens drei.“

Gelassen legte der Serienmörder den Pfeil auf die Bogensehne; auch wenn er nichts weiter tat, spannte sich Balaen wachsam an. Ernst fragte Link: „Wenn ich dich hinterrücks hätte erschießen wollen, denkst du nicht, ich hätte es schon längst getan? Dieser Pfeil gilt nicht dir.“ Mit diesen Worten hob er die Schusswaffe, und sowie er die Sehne durchzog, entflammte die blanke Stahlspitze des Projektils wie von Geisterhand.

Misstrauisch kniff Balaen die Augen zusammen, widerstand aber dem Drang, den Schild auszurüsten und schützend vor sich zu halten. Auf die geringe Distanz hätte Link ihn ohne weiteres treffen können, doch zielte er eindeutig nicht auf ihn. Als der abtrünnige Held die Sehne schnellen ließ, flitzte der brennende Pfeil über den Ritter hinweg zum äußeren Stöckekreis. Erstaunlich genau traf er die zwischengespannte Schnur, und blitzschnell leckten die Flammen am Garn entlang hinauf zu den ölgetränkten Lumpen auf den Ästen beidseitig des Einschlagpunkts. Die so ausgelöste Kettenreaktion entzündete den ganzen Außenkreis und erhellte die Arena und einen Teil der Umgebung.

Während die Feuer eines nach dem anderen entbrannten, hängte Link seinen Bogen an einen Zweig der Fackel neben sich. „Also bist du tatsächlich allein gekommen“, stellte er fest, weil er niemand anderen mehr entdeckt hatte. „So viel Leichtsinn hatte ich dir eigentlich gar nicht zugetraut.“

„Ich bin nicht leichtsinnig“, widersprach Balaen, wobei er versuchte, die Gelassenheit seines Gegenübers zu spiegeln. „Ich komme sehr gut allein zurecht. Oft reicht es mir, den Kampfstil meiner Gegner einmal beobachtet zu haben, um eine geeignete Gegentaktik auszuarbeiten. Außerdem neige ich nicht dazu, sie zu unterschätzen.“

„Ich habe den Eindruck, dass du mich durchaus nicht unterschätzt“, stimmte Link zu. „Dein Problem ist eher, dass du dich selbst überschätzt.“

Auf die Herablassung des Mörders enthielt sich der Ritter jeder Erwiderung, fürchtete aber, dass ihm seine Empörung trotzdem anzusehen war. Ungeachtet dessen wollte er etwas anderes wissen. „Warum hast du uns überhaupt herbeordert?“, fragte er um sich deutend. „Zelda hat behauptet, du seist in den Kerker gesperrt worden, und hatte uns entlassen.“

„Tatsächlich?“ Unzweifelhaft verwundert zog Link die Augenbrauen hoch. Anscheinend hatte er das wirklich nicht gewusst. „Als ob ich mich so leicht schnappen ließe“, fügte er milde amüsiert hinzu.

„Ein Kerker, der einen wie uns dauerhaft gefangen hält, gibt es nicht“, ergänzte der Ritter aus den Wolken. In einer kurzen Anwandlung brüderlichen Einverständnisses lächelten die beiden grüngewandeten Helden. Dann wurde Balaen wieder ernst. „Wenn du dich nur ein paar Stunden verborgen gehalten hättest, hätte dir niemand mehr im Weg gestanden. Wir hätten morgen endlich guten Gewissens heimkehren können.“

Nachdenklich musterte Link sein Gegenüber. „Wie es scheint, bist du mir von euch dreien vom Wesen am ähnlichsten.“

Tiefer gekränkt, als er es sich selbst erlaubte, ballte Balaen die Fäuste. „Ich bin nicht im mindesten wie du!“, schmetterte er zurück.

„So, denkst du?“ Ruhig legte der abtrünnige Held dar: „Eigentlich ist dir das Schicksal dieses Hyrules gleichgültig. Du willst nur wieder in das deine, zurück zu deinen Lieben. Dennoch, einen gewissen Beschützerinstinkt gegenüber deinen Freunden hegst du ebenfalls.“ Nach wie vor argwöhnisch, blickte Link knapp um sich wie in Erwartung eines Überraschungsangriffs.

Balaen war es schleierhaft, inwiefern diese Eigenschaften ihn mit einem Serienmörder in Verbindung brachten. „Sie sind nur Kinder.“

„Nur Kinder?“, echote Link herablassend. „Deine Gegner magst du nicht unterschätzen, wohl aber deine Verbündeten!“

Auch wenn der Ritter aus den Wolken es nicht eingestanden hätte, gab er Link durchaus Recht. Der wahre Grund, warum er seine jüngeren Partner abgedrängt hatte, war, dass er ein eigenes Vorhaben für sich allein gefasst hatte. Von dem besser niemand erfahren sollte, ganz besonders nicht der gutgläubige Virri und der jähzornige Leo. „Ich darf nicht zulassen, dass den beiden etwas geschieht“, beharrte der älteste Held leidenschaftslos, zupfte dabei beiläufig am Kragen seiner Tunika. „Und deswegen“, setzte er hinzu, zückte nun endlich Schwert und Schild, reckte Hylias Wappen herausfordernd vor sich, „muss ich mit dir fertig sein, bevor sie hier ankommen!“

Unbeeindruckt beobachtete Link das dramatische Gehabe des Ritters. „Wenn das so ist“, sprach er und vollführte die Handbewegungen, die Balaen aus dem Wald bekannt waren. „Genug der Worte …“

Mit einem flachen Schlag auf den Bogen entfesselte Link die Feuermagie, die sich in Form einer Flammenwand kreisförmig um ihn ausbreitete. Ohne sich zu rühren, ließ Balaen sie über sich hinwegrollen, ganz im Vertrauen in den Schutz seiner Feuerohrringe. Auch wenn ihm die Hitze nichts anhaben konnte, blendete ihn die Helligkeit. Da er annahm, dass Link nur die Fackeln des inneren Kreises entzündete, kam es, dass der Flammenmagier für ihn überraschend das Schwert blankzog und aus einem Vorwärtssprung auf ihn einschlug. Nur im letzten Augenblick riss Balaen den Schild hoch, wehrte diesen ersten Angriff ab.

Sogleich ließ Link einen weiteren von der Seite folgen, den Balaen mit der eigenen Waffe zu parieren gedachte – bis er sich als Finte herausstellte. Unerwartet tänzelte der abtrünnige Held um ihn herum, stach nach seinem Rücken, doch der Ritter drehte sich um und fegte die gold-silberne Klinge mit dem Schild fort. Nun holte Balaen zu einem eigenen Streich aus, dem sein Gegner mit einer Rückflugrolle entging. Während der Ritter Link nachsetzte, wich dieser mit weiteren leichtfüßigen Schritten vor ihm zurück. Balaen probierte sich an einigen aufeinanderfolgenden Hieben, die Link mit dem eigenen Schwert blockte, ohne selbst anzugreifen.

Hinter seinem Schild verborgen, sprang Balaen überraschend vor, stach aus der Nähe nach der ungeschützten Körpermitte seines Gegners. Als könne Link jeden dieser Streiche vorausahnen, wich er aus dem Standbein mit blitzschnellen, sparsamen Bewegungen aus, sodass Balaen ihn immer frustrierend knapp verfehlte. Den Angriff des Ritters umging Link mit aufwärts geführter Waffe, darauf aus, seinem Gegner das Gesicht aufzuschlitzen. Bevor dies geschah, versetzte Balaen ihm aus dem Reflex heraus einen Stoß mit dem Hylia-Schild. Bemerkenswert elegant fing sich Link, vergrößerte den Abstand zwischen ihnen.

Diesmal verfolgte Balaen ihn nicht, denn ihm war aufgefallen, welcher Taktik sich der abtrünnige Held beidente: Er gedachte, den Ritter mit steten Attacken zu verausgaben, sodass er, wenn er endlich selbst in die Offensive ging, leichtes Spiel haben würde. Tatsächlich war Balaens Atem bereits etwas beschleunigt.

„Wie äußerst gerissen von dir, mich nicht an dich heranzulassen“, kommentierte Balaen keuchend. „Du weißt genau, dass ich im Vorteil bin.“ Nicht nur hatte der Ritter das längere Schwert und somit die größere Reichweite, sein Kettenhemd bewahrte ihn zudem vor ernsten Verletzungen, während Link ohne diese zusätzliche Rüstung auskommen musste. Ganz zu schweigen davon, dass der Hylia-Schild großflächigeren Schutz bot als Links, den der abtrünnige Held noch nicht einmal ausgerüstet hatte. „Lauf nur vor mir davon, wenn du denkst, du seist mir nicht gewachsen“, spöttelte Balaen und ging wieder zum Angriff über.

Seine Provokation zeigte keine Wirkung. In ungerührter Konzentration wandelte Link weiterhin wie in tödlichem Tanz rückwärts durch seine Arena, ohne lange auf beiden Füßen gleichzeitig zu stehen.

„Wie ein Grashüpfer kämpfen kann ich auch …“, prahlte Balaen. Er wagte einen Ausfallschritt, wischte gleichzeitig Links Kurzschwert beiseite, um seine Defensive aufzubrechen – und vernachlässigte damit die eigene.

So plötzlich, dass Balaen keine Gelegenheit zur Reaktion blieb, hatte sein Gegner den eigenen Schild am rechten Arm. Den rammte Link in die Bauchhöhle des Ritters, der diesen hinterhältigen Angriff durch sein eigenes Vorwärtsmoment auch noch unterstützte. Die messerscharf geschleifte Unterkante von Links Eulenschild durchdrang nicht das Kettenhemd, doch trieb der Schlag Balaen augenblicklich die Luft aus den Lungen. Dank der betäubenden Wirkung der Pilzsporen empfand er keinen Schmerz. Ihm blieb nur ein dumpfes, übelkeiterregendes Gefühl im Magen, das ihn zwang, sich hinter den Hylia-Schild zu krümmen.

Derart verschanzt, gab er für Link kein Ziel mehr ab, daher sprang dieser nach vorn, vollführte eine geradezu unmögliche Flugrolle über den Ritter aus den Wolken. Unwillkürlich duckte Balaen sich, entging so nur haarschaft der mit goldenen Rauten verzierten Klinge, die ihm andernfalls den Schädel gespalten hätte. Kaum dass Link hinter ihm wieder sicher auf den Füßen aufkam, wirbelten beide herum, ihre Schwerter krachten klirrend aufeinander.

Für den Bruchteil eines Moments blickten die Helden einander in die Augen. Dann riss Link seine Waffe zurück und verwickelte Balaen in einen Schlagabtausch, so unbarmherzig schnell, dass der Ritter jeden Fehler zweifellos sofort bereut hätte. Der war dazu genötigt, alles andere auszublenden und sich nur aufs Fechten zu konzentrieren, weswegen er nicht recht registrierte, wie Link allmählich langsamer wurde, immer seltener mit dem Kurzschwert angriff oder parierte und schließlich ganz auf die reine Benutzung des Eulenschilds umstieg.

Diesen ließ er Balaen kurz bearbeiten – bis er ihn überraschend senkte und etwas darüber hinwegschnippte. Erst jetzt bemerkte der Held aus den Wolken, dass sein Gegner das Schwert weggesteckt und was er stattdessen in der linken Hand gehalten hatte, schaffte es jedoch nicht rechtzeitig, die Routine seiner Streiche abzubrechen. Seine wirbelnde Klinge traf die von Link geworfene Bombe im Flug, und die apfelgroße Kugel explodierte.

Wie von einem Fausthieb getroffen, taumelte Balaen zurück. Ihm blieb nur eine kurze Verschnaufpause, dann hatte auch Link sich gefangen und bedrängte ihn sogleich wieder. Mit der Schildkante hackte er nach seinem Gegner. Diesmal jedoch hatte Balaen damit gerechnet und hielt Hylias Wappen abwehrend dagegen. Sogleich stach er nach Link, der die eigene Waffe von unten kreuzte und Balaens Klinge in die kunstvoll geschwungene Parierstange des Kurzschwerts hakte. Für einen Augenblick waren beiden Kontrahenten sowohl Schwert als auch Schild gebunden.

Balaen stampfte vor, stemmte sich gegen Link, riss mit größter Kraftanstrengung Waffe und Wappnung auseinander, durchbrach damit die Deckung seines Gegners. Scheinbar hatte Link diesen brachialen Vorstoß des Ritters nicht erwartet. Entgeistert stolperte er zurück, und um nicht zu stürzen, baute er den Schwung in eine Rückflugrolle aus.

Der Ritter aus den Wolken sah seine Chance.

Sowie Link landete, noch bevor er in festen Stand zurückfinden konnte, preschte Balaen vor, zielte mit der Schwertspitze auf des abtrünnigen Helden Herz – und spießte ihn auf.

So nah, wie sie durch diesen Angriff gekommen waren, mit der Schulter aneinanderlehnend, blieben Mörder und Henker stehen. Genau drei Herzschläge lang.

Im ersten wich Balaens nur allzu kurzes Triumphgefühl Misstrauen. Sein Schwert war durch Fleisch und Organe geglitten, vielleicht sogar an Rippen entlanggeschrammt. Doch er hatte keinen Widerstand gespürt – unmöglich, dass ein menschlicher Torso derart einfach zu durchbohren war. Überhaupt war ihm das ganze Manöver viel zu leicht gefallen. Dass Link gar nicht gekontert oder sich anderweitig zur Wehr gesetzt hätte, war doch sehr unwahrscheinlich.

Im zweiten Herzschlag bemerkte Balaen, dass an der Klinge seiner Waffe kein Blut haftete, wie es eigentlich hätte sein müssen, nachdem sie einen ganzen Oberkörper durchdrungen hatte. Außerdem ragte sie nicht wie erwartet durch den Rücken ihres Opfers. Link hatte, wie sein Gegner mit Erschrecken feststellte, eben doch etwas getan: Im letzten Moment war er nur einen Schritt zur Seite getreten und hatte das gegnerische Schwert unter dem Schildarm eingeklemmt. Dadurch war er davon vollkommen unverletzt geblieben.

Im dritten umspielte Links Lippen ein wölfisches Grinsen.

Seine Rechte ließ den Griff an der Rückseite des Eulenschilds los, packte Balaen am Schwertarm und hielt ihn fest. Mit einer Vierteldrehung riss er ihn aus dem geraden Stand und schmetterte ihm den Knauf des Kurzschwerts drei-, viermal brutal auf den Hinterkopf. Dann schubste er den Ritter von sich, rammte ihm die Schildkante in den Ellbogen. Balaens Hand öffnete sich ungewollt, und ihr entglitt das Heft. Benommen wankte er in eine unbestimmte Richtung, hatte es nur seinen Kriegerreflexen zu verdanken, dennoch zumindest im Stande zu sein, sich hinter Hylias Wappen zu verkriechen.

Link gönnte seinem Gegner keine Pause, um zu sich zu kommen – oder versuchte es zumindest. Erst, als sich der Nebel drohender Ohnacht lichtete, erkannte Balaen, dass der abtrünnige Held ihm gar nicht mehr zusetzte. Also wagte er es, hinter dem Schild hervorzublicken. Im Glutlicht der Fackeln erkannte er eine große, gefiederte Gestalt, die sich auf den Angreifer gestürzt hatte. Der wich Karmins unbändigem Wüten aus, während der Wolkenvogel ihn mit Flügeln, Klauen, Schnabel, seinem ganzen Sein attackierte. Der Feind seines Reiters sprang um ihn herum, die gold-silberne Klinge blitzte auf, Blut spritzte in die Nacht. Gequält schrie Karmin heiser auf, doch er ließ nicht von seinem Peiniger ab.

„Karmin!“, rief Balaen hysterisch. „Hor auf! Verschwinde!“

Wolkenvögel waren von Natur aus hervorragende Flieger. Waren sie richtig ausgebildet, konnte es im Luftkampf kein anderes Wesen mit ihnen aufnehmen, was mit ein Grund war, warum die Ritter des Wolkenhorts seit jeher auf sie als Reittiere vertrauten. Doch auf dem Boden behinderten sie die riesigen Schwingen und die langen Beine nur. Daher konnte Karmin einem Krieger, gerade einem von Links Geschick, nur unterlegen sein. Das wusste der Vogel genau, dennoch missachtete er sogar die Befehle seines Reiters selbst, um diesen zu verteidigen.

Balaen schmeckte das Blut, das ihm aus der Nase auf die Lippen lief, und ihm dröhnte der Schädel von den Schlägen mit dem Schwertknauf. Durch seinen gesamten rechten Unterarm zog ein unangenehmes Kribbeln. Gar nicht auszumalen, welche Pein er empfände, würden die Glitzersporen sie nicht betäuben. Noch immer schwindelnd, taumelte Balaen zu seinem verlorenen Schwert zurück, bückte sich danach. Als er die Hand um den Griff schließen wollte, regten sich ihre Finger kaum. Entsetzt starrte der Ritter auf die gelähmte Rechte, die zu nichts weiter als unnützem Zittern fähig war. Ohne etwas unternehmen zu können, wurde Balaen Zeuge, wie Link Karmin eine Schnittwunde nach der anderen beifügte. Sein treues Reittier musste leiden – und das nur wegen ihm.

Wie hatte er auch nur im Ansatz glauben können, allein eine Chance gegen Link zu haben? Indem er sich von Leo und Virri abgekapselt hatte, hatte er sich selbst jede Aussicht auf ein Gelingen seines Vorhabens, ja auf das bloße Überleben verwehrt.

Doch auch wenn seine Partner nicht da waren, mochte Balaen viel mehr ausrichten als bisher, wenn er zumindest wie die beiden dachte. Wenn er nachvollzog, was sie an seiner Stelle tun würden: Virri würde sich etwas so Kreatives, so Verrücktes einfallen lassen, dass nicht einmal Link damit rechnete, und Leo dieses dann mit aller Gewalt durchsetzen.

Wenn seine rechte Hand außer Gefecht gesetzt war, blieb Balaen nur eine Möglichkeit …

Als Karmin erneut vor Schmerz kreischte, zauderte der Ritter nicht länger. Er schob den Hylia-Schild auf den Rücken, zog Kraft aus Karmins Not – und hob das Schwert mit der Linken auf.

Der Wolkenvogel spürte die Bereitschaft seines Reiters. Sein kurzes Innehalten wollte Link zum finalen Streich gegen den langen Hals ausnutzen, doch urplötzlich ruckte der mächtige Schnabel vor und prellte ihm die Waffe aus der Hand. Mit eiligen Rückflugrollen brachte sich der abtrünnige Held in Sicherheit. Derweil flatterte Karmin unbeholfen auf, versprengte dabei rote Federn und rote Tropfen. Sogleich nahm Balaen seinen Platz ein, noch bevor Link dazu kam, sein Kurzschwert aufzusammeln.

Hemmungslos und ohne Plan drosch Balaen auf seinen Gegner ein. Obwohl der Ritter aus ferner Vergangenheit als Linkshänder geboren war, hatte er als Krieger des Wolkenhorts keinerlei Übung darin, die Waffe auch mit jener Hand zu führen. Doch das war jetzt nicht mehr von Bedeutung. Alle seine über Jahre einstudierte Rafinesse im Schwertkampf hatte ihm gegen Link nicht geholfen, daher verzichtete er nun vollkommen darauf. Was Balaen wirklich gefährlich machte, war ohnehin etwas anderes: Er verfolgte ein Ziel, das er um jeden Preis erreichen wollte. Diesen Antrieb verstand niemand besser als Link.

Der machte sich nicht mehr die Mühe, dem raschen, unvorhersehbaren Fuchteln des Ritters auszuweichen, sondern blockte es mit dem Eulenschild. Gnadenlos trieb Balaen den abtrünnigen Helden vor sich her, fort von dessen Schwert, damit er es nicht aufheben konnte, zwischen den Fackeln des inneren Kreises hindurch in die Mitte der Arena. Unvermittelt vergrößerte Link die Distanz zwischen ihnen mit einer Rückflugrolle, die ihn genau neben die erste Fackel ganz im Zentrum brachte. Dort nahm er seinen noch immer daran hängenden Bogen an sich, legte ihn im Vorspringen auf die Schildkante, spannte die Sehne und ließ sie sogleich los. Reflexhaft riss Balaen den Kopf zur Seite, wodurch die zum Geschoss umfunktionierte Schusswaffe nicht frontal sein Gesicht traf. Stattdessen platzte seine Schläfe davon auf.

Während Balaen darum rang, nicht zu stürzen, preschte Link an ihm vorbei in Richtung seines Schwerts. Ungelenk hieb der Ritter nach seiner ungeschützten Seite, verfehlte knapp den Gürtel und schlitzte den daran hängenden Lederbeutel diagonal auf. Wie Fallobst verteilten sich die darin enthaltenen Bomben über den Boden. Ohne ganz an seinem Gegner vorbeigekommen zu sein, fuhr Link herum. Die Spitze von Balaens nun nach oben geführter Waffe ritzte ihm minimal die Wange auf.

Erneut deckte Balaen Links Schild mit unablässigen Hieben ein.

„Dir gehen die Waffen aus, Held der Zeit! Du hast keine Chance!“, spottete er – mit keuchendem Atem, einer blutüberströmten Gesichtshälfte und unbrauchbarer Schwerthand.

Wieder drängte er Link von dessen gold-silbernen Kurzschwert ab, fort von den Bomben, damit er keine davon aufhob. Und wieder blieb dem abtrünnigen Helden nichts anderes übrig, als sich mit dem Eulenschild zu schützen – scheinbar. Denn es war nicht Balaen, wie dieser selbst dachte, der den Weg der Kontrahenten durch die Arena bestimmte.

Schließlich tänzelte Link mit zwei Seitwärtssprüngen um ihn herum, warf sich aus dem zweiten überraschend zu Boden und rollte sich seitlich ab, bis er hinter dem Ritter die Beine wieder unter dem Körper hatte. So war er wieder neben der innersten Fackel angekommen, wo er für einen Augenblick in der Hocke verblieb. Der Erbauer der Arena griff nach dem Ast, zog ihn im Aufstehen aus der Erde und sprang noch in derselben Bewegung auf. Wirbelnd drehte Link den Stab herum, stieß das brennende Ende hinab wie einen Speer, doch sein Schlag war viel zu knapp bemessen. Die Flammen verfehlten seinen Gegner um gut eine Handspanne.

Dass er inmitten einer Taschenladung Bomben stand, erkannte Balaen erst, als es zu spät war.

Augenblicklich ging der Boden selbst in einer gewaltigen, vielstimmigen Explosion auf, die Balaen in hohem Bogen durch die Luft warf. Der Aufprall auf dem Rücken gab ihm das Gefühl, bei lebendigem Leibe zerquetscht zu werden, und er verlor kurzzeitig das Bewusstsein.

Als sich sein Blick wieder klärte, wurde er des rosenfarbenen Lichts gewahr, das funkensprühend um ihn schwirrte – eine Fee. Dann war er also gar nicht ohnmächtig geworden. Er war so schwer verletzt gewesen, dass der Lichtgeist seine Heilkräfte hatte anwenden müssen, um ihm das Leben zu retten. Ohne seine kleine Helferin wäre er jetzt tot.

Die Platzwunde an Balaens Schläfe hatte sich geschlossen, das Kribbeln in seinem Schwertarm hatte nachgelassen. Auch weiterhin empfand er keinen Schmerz, jedoch kostete es ihn ungeheuerliche Angstrengung, sich auf den Bauch zu drehen. Ächzend erhob er sich zumindest auf Hände und Knie, für mehr versagte sein malträtierter Körper ihm den Dienst.

Zitternd sah sich der Ritter aus den Wolken um. Wo die Bomben so verheerend hochgegangen waren, hatten sie die Fackeln des inneren Kreises niedergedrückt. Die umgelegten Äste hatten auf ganzer Länge Feuer gefangen. Die Erdkrume war aufgewühlt, das Gras verkohlt. Anders als der Ritter war Link auf die Explosion vorbereitet gewesen und hatte daher den Schild zum Schutz erhoben, war aber dennoch nicht ganz unversehrt geblieben. Glühende Partikel hatten seine Stiefel und Tunika schwarz gesprenkelt, zudem rauchte in letzterer noch immer ein daumennagelgroßes Loch. Wankend trat Link zu seinem Kurzschwert, hob es auf und wandte sich Balaen zu. Schon fester schritt er auf seinen am Boden kauernden Gegner zu, lockerte sein Handgelenk mit einem siegesgewissen Herumwirbeln seiner Waffe.

In kalter Wut verkrallte Balaen sich im Gras, wobei die Finger seiner rechten Hand nur mit Verspätung ruckartig zur Faust zusammenzuckten. Alle Vorteile, die ihm das längere Schwert, der größere Schild und das verminderte Schmerzempfinden angeblich geliefert hatten, waren letztendlich bedeutunglos geworden. Nicht einmal seine Kampftaktik mit der seiner Partner zu kombinieren hatte ihm genützt. Ohne Fee wäre er soeben gestorben, und alles, was er selbst Link an Schaden zugefügt hatte, war ein nicht erwähnenswerter Kratzer an der Wange. Schlimmer noch, sein Bezwinger hatte sich nicht einmal genötigt gesehen, sich auch nur in einen Wolf zu verwandeln …

Nun hatte sein Scharfrichter den Ritter aus den Wolken erreicht. In der gold-silbernen Klinge spiegelte sich tödlich der Flammenschein.

Die Helden sahen einander in die Augen und wussten beide: Dies war das Ende.

Wie so manches Kapitel habe ich auch dieses mit einigen Anspielungen gespickt:

- jedes zünftige Zelda-Spiel hat eine Stealth-Mission, weswegen ich hier natürlich auch eine einbauen musste. Wie sich Virri durchs Schloss schleicht hat nicht umsonst etwas von jener Stelle in Ocarina of Time. Seine Überlegung, das Miauen einer Katze nachzuahmen, ist Wind Waker entlehnt, wo Link tatsächlich miaut, wenn er beim Schleichen fast entdeckt wird.

- „Oder hast du Angst, die Geisterhand aus der Toilette hat ihre Freunde geschickt?“ – Wie jene aus Majora’s Mask bekannte Geisterhand.

- „Der Grüngewandete auf der Spitze des Heldentotems blickte nach oben.“ – Das Wörtchen „Heldentotem“ ist aus Tri Force Heroes.

- „ (…)Klinge, die ihm andernfalls den Schädel gespalten hätte.“ – Die Attacke, die Link hier vollführt, ist der Helmspalter aus Twilight Princess; da Balaen allerdings keinen Helm trägt, ist es halt der Schädel selbst, den ich hier zum Zwecke der Anspielung gebrauchen musste.

- Wie Balaen schließlich mit dem Schwert in der linken Hand ohne Plan auf Link eindrischt… Mir ist beim Zocken von Skyward Sword aufgefallen, dass man gegen manche Gegner tatsächlich am besten zurecht kommt, wenn man mit der Wii-Remote herumfuchtelt xP

Hyrule-Stadt, nach dem Schloss der wichtigste Ort des Königreichs, nach dem es benannt war, hatte sich zur Ruhe gebettet. In den meisten Gebäuden war die Dunkelheit der Nacht eingezogen; nur aus wenigen Fenstern fiel der spärliche Lichtschimmer von Kerzen und Gaslaternen. Ob sie nun bereits schliefen oder noch den Abend ausklingen ließen: Die Bewohner und Besucher der Metropole hatten sich in ihre Häuser und Unterkünfte zurückgezogen. Auf den Straßen, auf denen sonst so rege Geschäftigkeit herrschte, hielten sich nur noch streunende Hunde und vereinzelte Obdachlose auf.

In der schwachen Beleuchtung durch die Gestirne und die Fenster musste man schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass die vermeintlichen Straßenköter für solche viel zu gut genährt aussahen – in Wirklichkeit handelte es sich bei ihnen um abgerichtete Spürhunde, die mit der Nase dicht über dem Boden Gerüche nach ihrer Wichtigkeit auswerteten. Ähnlich dessen waren ihre Herren, die scheinbaren Bettler, eigentlich der Krone treu ergebene Soldaten, die in zivil die finsteren Gassen Hyrule-Stadts observierten. Beide Wachtruppen gingen gewissenhaft ihren jeweiligen Aufgaben entsprechend ihrer naturgegebenen Intelligenz nach, würden bei verdächtigen Bewegungen sofort Alarm schlagen. Dazu waren sie von Prinzessin Zelda persönlich abbestellt worden, als Hilfe für die drei Helden, die auf jenes Signal harrten, das ihnen das Herannahen ihrer Zielperson verraten würde.

Bereits im Schloss hatte Zelda ihre Berufenen mit je einer Fee ausgestattet – sogar Virri, der sie nun nicht mehr verweigerte – sowie einem weiteren Farores Donnersturm, den sie wieder in Leos Obhut gegeben hatte. Nachdem das Trio auf Anraten der Prinzessin in die Stadt gegangen war, war es zunächst in einer Kaserne der örtlichen Wachsoldaten untergekommen, unter anderem für ein rasches Abendessen und eine grobe Einweisung in die Gegebenheiten. Einem jeden von ihnen war dann zusätzlich ein Seil zur Verfügung gestellt worden, das wie auch schon zuvor im Wald als Fessel für ihre Zielperson dienen sollte. Im Anschluss an ihren kurzen Aufenthalt in der Kaserne waren die Grüngewandeten in ihrer vollen Kriegermontur zur Zitadelle der Zeit aufgebrochen – jedoch nur die beiden älteren.

Momentan waren also nur Balaen und Leo in jenem Gebäude, durch das sie in dieses Zeitalter berufen worden waren. Die Kronleuchter unter der Decke verdrängten die Dunkelheit, die durch die Fenster und die Eingangspforte hereinströmte, komprimierte sie zu unruhig tänzelnden Schatten.

„Er hätte schon längst hier sein müssen“, klagte Balaen. Nervös wie die Flammen lief er mittig auf der Teppichbahn, die längs durch das Kirchenschiff ausgelegt war, mit weit ausgreifenden Schritten auf und ab.

Dahingegen betont lässig lehnte Leo an einer der Marmorsäulen, die die hohe Decke trugen. Obwohl er das Schwert auf den Rücken geschnallt hatte, gebrauchte er es nicht, sich damit jonglierend die Langeweile zu vertreiben. Stattdessen war es eine zweiflügelige Streitaxt, die er spielerisch in die Luft schnippte und nach ein, zwei Drehungen wieder am Stiel auffing, der fast so lang wie er selbst hoch war. Da Leo annahm, der ältere Ritter bemängele die Abwesenheit ihres kleinen Partners, meinte er: „Du hast doch gesehen, wie begeistert der Knirps von den Waffen in der Kaserne war. Vielleicht hat er sich mit den Soldaten darüber verquatscht.“

„Ich rede nicht von Virri“, korrigierte Balaen auf dem Weg zum Eingang der Zitadelle, ohne stehen zu bleiben.

„Sondern?“, hakte Leo nach, auch wenn es ihn nicht wirklich interessierte.

Bevor er die steinerne Plattform mit dem Triforce und dem gelben Symbol darüber erreichte, drehte Balaen sich herum und stapfte in die andere Richtung zurück. „Von Link. Der Wald ist nicht so weit entfernt, und seine Wunden müssten schon längst geheilt sein …“ Diese Problematik trieb den Helden aus den Wolken schon seit Tragen um, woraus er nie einen Hehl gemacht hatte.

Daher beunruhigte Leo die Unrast des älteren Ritters auch nicht weiter. „Ist doch ganz einfach: Der traut sich nicht an uns ran“, behauptete der Heißsporn großspurig.

Verbissen schwieg Balaen. Sein verdrossener Blick folgte der fliegender Waffe, während er auf seiner endlosen Wanderung durch die Zitadelle wieder zum Altar zurücklief.

Als er an Leo vorbeikam, beobachtete ihn der Hylianische Ritter aus dem Augenwinkel. „Bei allen Göttern!“, rief er aus, sowie sich Balaen auch schon wieder entfernte. „Wenn du ein Vogel in einem Käfig wärst, würdest du von Stange zu Stange flattern. Komm mal runter!“

Tatsächlich blieb der Held aus den Wolken plötzlich stehen, fuhr zu seinem Partner herum, dass sein Kettenhemd rasselte wie ein Nest aufgescheuchter Ameisen. Überraschend aufgebracht polterte der sonst so ruhige Vogelreiter: „Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet du so gelassen bleibst?“

Leo, der für gewöhnlich den Draufgänger ihres Trios stellte, fing die Axt auf und hielt inne. „Hm“, machte er schließlich sinnierend. „Vielleicht, weil ich die Sache nicht so zerdenke wie du?“ Weiterhin erstaunlich gefasst jonglierte er weiter. „Außerdem habe ich eine bessere Beschäftigung, als hier durch die Zitadelle zu sprinten.“

Wieder blickte Balaen der um sich wirbelnden Waffe nach, wandte sich jedoch rasch ab. „Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du das lassen würdest“, forderte er ältere Ritter vom jüngeren und rieb sich mürrisch die Stirn.

„Es ärgert dich doch nur, weil du das hier nicht mal mit einem Schwert hinkriegst“, stichelte Leo, ohne in seinem Spiel zu pausieren, woraufhin er einen verärgerten Blick erntete. Gehässig grinsend fuhr er fort: „Ich kann Äxte auch nicht leiden. Aber es war deine Idee, dass ich eine benutze, da sollte ich doch ein Gefühl dafür bekommen.“ Der Hylianische Ritter, der geschworen hatte, in seinem Leben nur mit Schwertern zu kämpfen, hatte sich nun doch zu einem anderen Typ von Waffe durchgerungen. Dies war ein wichtiger Bestandteil der Strategie, die Balaen ersonnen und die die Helden in den letzten Tagen gemeinsam einstudiert und ausgebaut hatten. Ein gewöhnliches Schwert, ja selbst ein Beid- oder Zweihänder, so die Argumentation des Taktikers, konnte Leos handschuhverstärkte Schlagkraft nicht so unterstützen wie eine deutlich stabilere Streitaxt.

Die Arme verschränkend, enthielt sich Balaen einer weiteren Bemerkung. Nach einem Moment des Schweigens, den nur das Rauschen der Axt in der Luft begleitete, sagte er stattdessen: „Nicht, dass Virri von Link abgepasst wurde …“

„Die Kaserne ist nicht so weit weg“, erwiderte Leo bestimmt. „Wenn da was los wäre, würde ich es hören.“

„Du solltest gehen und nach ihm suchen“, instruierte der ältere.

Verächtlich schnaubte der Hylianische Ritter. „Schick doch dein Federvieh.“

„Du weißt, dass ich Karmin nicht in der Stadt landen lassen kann.“ Bei Nacht war dies zu gefährlich, bestand doch das Risiko, dass der gewaltige Vogel gegen ein Gebäude krachte.

„Dann geh selbst“, gab Leo widerspenstig zurück.

Um Beherrschung ringend, mahlte Balaen mit den Zähnen. „Du bist in deinen Stiefeln schneller als ich.“

„Was, wenn Link es ausnutzt, dass du allein hier bist?“, legte der jonglierende Held weitere Widerworte vor. „Dann würde ich den ganzen Spaß verpassen!“

Resignierend wandte sich Balaen von dem jüngeren Helden ab, im starken Verdacht, dass das andauernde Axtspiel nur dazu diente, ihm auf die Nerven zu fallen. Da er sich darauf nicht noch mehr als bislang einzulassen gedachte, setzte er seine Wanderschaft über den Teppich fort – als plötzlich jemand im Eingang erschien und in die Zitadelle gelaufen kam. Sofort wirbelte der Held aus den Wolken herum, zückte zeitgleich Schild und Schwert.

„Entspann dich! Es ist nur der Knirps“, beschwichtigte Leo den älteren, der Virri soeben selbst erkannt hatte. „Ich hab ihn schon von Weitem gehört.“

Balaen bedachte den Draufgänger mit einem giftigen Blick. „Und das hättest du nicht früher sagen können?“

Neckisch zog Leo die Augenbrauen hoch und grinste verschlagen. Sich von der Säule abstoßend, nahm er den Neuankömmling mit einem begrüßenden Schwung seiner Axt in Empfang. „Hast ganz schön auf dich warten lassen, Knirps!“

Der kleine Held rannte durch die halbe Zitadelle, bis er schließlich bei den älteren Grüngewandeten stehen blieb. Er war den ganzen Weg von der Soldatenkaserne bis hierher zur Sakralbaute gehetzt, sodass er jetzt, die Hände auf die Knie gestützt, wieder zu Atem kommen musste. An seinem Gürtel war neben dem obligatorischen Seil eine Flasche mit Fee befestigt, die in ihrem gläsernen Behältnis im Rhythmus seiner Schnappatmung auf- und abschwebte. Virri war der einzige des Heldentrios, der seine winzige Helferin auf diese Art bei sich trug; die anderen beiden verwahrten die jeweilige Flasche in ihren Gürteltaschen.

„Tut mir leid!“, entschuldigte sich Virri keuchend, als er sich weit genug erholt hatte. „Ich konnte die Lichtpfeile nicht finden.“

Reichlich verdutzt starrte Leo ihn an. „Was heißt hier nicht finden?“

Vage hob sein kleiner Partner die Schultern. „Sie waren nicht mehr dort, wo ich sie hingetan hab.“

„Unsinn!“, stritt Leo sogleich ab. „Du verlegst doch sonst nie etwas.“ Er warf Balaen einen knappen Seitenblick zu. „Aber jetzt hast du sie?“ Auf Virris Nicken hakte er weiter nach: „Und wo waren sie denn?“

Weitschweifig berichtete der jüngste Held: „Ich hab mit meinen Klonen in der ganzen Kaserne gesucht, aber ich konnte nirgendwo was entdecken. Ich kenne mich da ja auch nicht so aus. Ich wollte schon aufgeben und war echt niedergeschlagen, da haben mir ein paar Soldaten geholfen. Die waren wirklich nett und wollten mich mit Witzen aufmuntern …“

„Knirps!“, unterbrach Leo ihn ungeduldig und wiederholte seine Frage: „Wo waren die Pfeile?“

Das Plappermaul verstummte wie geohrfeigt, kratzte sich unbehaglich an der Nase. „In … einer Kiste.“

„Eine Kiste? Einfach so?“

„Irgendwie … ja“, antwortete der kleine Held schulterzuckend.

„Und deine anderen Pfeile?“, wollte Leo weiter wissen

Neben den magischen Geschossen hatte Virri aus dem Schloss auch ein Bündel gewöhnlicher mitgenommen, die er neben den anderen im Köcher mit sich führte. Ihre Schäfte waren etwas kürzer als die der Lichtpfeile, wodurch er sie beim Ziehen leichter würde auseinanderhalten können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde Link beim finalen Kampf nicht ständig ein Dämon sein; die normalen Pfeile sollten dazu dienen, den Bestand an verzauberten so lange zu schonen, bis sie wirklich zum Einsatz kommen würden.

„Die waren die ganze Zeit da“, beantwortete Virri Leos Frage wahrheitsgemäß.

Darauf ging der Hylianische Ritter nicht weiter ein, zog nur eine sehr ernste, misstrauische Miene. Die Streitaxt in die Lederschlaufe an seinem Rücken schiebend, trat er hinter Virri, um den Greifenmantel anzuheben.

„Was ist los?“ Verwirrt versuchte der kleine Krieger, über die eigene Schulter zu linsen, doch der weiße Stoff seines Umhangs verwehrte ihm die Sicht.

Kommentarlos legte Leo die Linke an das untere Ende des Köchers, den der Bogenschütze auf dem Rücken trug, und registrierte mit Genugtuung das Triforce, das durch seinen Handschuh glühte. „Es scheinen die richtigen Pfeile zu sein“, stellte der Ritter fest.

Während er sich wieder entfernte, beteuerte Virri: „Na klar! Ich weiß doch, wie die Lichtpfeile aussehen!“

„Schon klar“, winkte Leo desinteressiert ab, „aber man kann nie wissen …“ Ohne anzuhalten, packte er Balaen am Waffengurt. „Knirps, du entschuldigst uns doch kurz?“

Der jüngste Held sah ihnen konfus nach, sagte aber nichts.

Da sich der ältere Ritter Leos Krafthandschuhen nicht widersetzen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mitziehen zu lassen, zwischen der Säulenreihe hindurch bis zur Seitenwand der Zitadelle. Dort angekommen zwang der Abenteurer seinen größeren Partner auf seine Augenhöhe. „Das ist doch auf deinem Mist gewachsen!“, zischte Leo zornig. „Ich dachte, wir hätten abgeklärt, dass der Knirps doch mit von der Partie ist!“ Endlich gab er Balaen frei.

Während der Held aus den Wolken den von der unsanften Behandlung verrutschten Paraschal richtete, behauptete er ungerührt: „Ich weiß nicht, wovon du redest.“

Der Hylianische Ritter verdrehte die Augen. „Erzähl mir nichts! Die Silberpfeile werden sich wohl kaum von selbst in einer Kiste versteckt haben.“

Damit fertig, den Schal neu zu arrangieren, ließ Balaen die linke Hand für einen Moment zu lang daran, bevor er auch die Tunika zurechtzupfte. „Vielleicht hat ein Soldat sie weggeräumt.“

Sarkastisch gab Leo zurück: „Natürlich! Weil Soldaten ja auch sonst solche Ordnungsliebhaber sind!“

In der Zeit, in denen sich die beiden Ritter ihr Wortgefecht lieferten, war Virri in den hinteren Bereich der Zitadelle gegangen und stand nun vor dem Altar. Ohne erkennbaren Zusammenhang überlegte er laut: „Hier werden bestimmt die Heiligen Steine eingesetzt.“

Die älteren Grüngewandeten blickten einander an, verschoben ihre Diskussion in stummem Einverständnis auf später. So gesellten sie sich zu ihrem kleinen Partner, um selbst zu betrachten, was er entdeckt hatte: Drei flache Vertiefungen, die in die Marmorplatte des Altars eingelassen waren.

„Sieht ganz danach aus“, pflichtete Leo Virris vorausgegangener Vermutung bei.

Neben ihm bückte sich Balaen, fuhr mit dem Fingernagel die Fuge entlang, die zwischen dem Opferstein und dem Boden lag.

„Was machst du da?“, wollte Virri wissen.

„Ist doch klar“, kommentierte Leo das seltsame Werkeln des Helden aus den Wolken hochnäsig. „Er betet um den Beistand seiner Göttin. Den wird er auch brauchen!“

Ohne auf diese abwertende Bemerkung einzugehen, stand Balaen auf, umrundete den Altar und inspizierte auch die Rückseite. „Ich suche nach Hinweisen“, antwortete er gedankenversunken.

Neugierig geworden, drängte der jüngste des Trios: „Hinweise worauf?“

„Ich frage mich, wie der Zugang zu dieser Geheimkammer, von der Zelda sprach, wohl aussieht.“ Nun richtete Balaen sich auf, vollendete seinen Weg um den Opferstein, ging noch etwas weiter, bis er sich wieder seitlich davon befand. Grübelnd verschränkte er die Arme, legte eine Hand ans Kinn.

Als hätte er den älteren Ritter bei einer Schandtat erwischt, grinste Leo gehässig. „Willst du dir den Schatz selbst holen?“

Rückwärts vom Objekt seiner Nachdenklichkeit wegtretend, ignorierte Balaen diese Unterstellung. „Es könnte wichtig für uns sein, das zu wissen, wenn Link es schafft, an uns vorbei zu kommen“, erklärte er sachlich. „Wenn die Heiligen Steine an ihren Plätzen sind … Ob der Altar sich dann zur Seite schiebt und einen unterirdischen Gang freigibt?“

Interessiert betastete Virri die Mulden im Stein. „Oder er verschwindet einfach.“

Obwohl Leo sich nicht an der Raterunde hatte beteiligen wollen, sponn er den Faden nun doch weiter: „Kann sein … Oder es öffnet sich ein magisches Portal.“

Zustimmend nickte Balaen – auch das hatte er bereits in Erwägung gezogen. Er schritt die Treppen hoch, die auf die Plattform hinter dem Alter führten. Dort stellte er sich so hin, dass er die ganze Zitadelle überschauen konnte, doch auch hier erspähte er nichts von Auffälligkeit. Geistesabwesend zog er sich den Schal über die Nase, nahm den in dem feinen Stoff gefangenen Duft auf. Verwundert hob Hylias auserwählter Held die Augenbrauen. „Oder möglicherweise …“, begann er, schob den Paraschal wieder zurück und drehte sich halb zur Wand hinter sich um. Musterte die darauf eingemeißelte Sonne, die zeitlos darin verewigt war.

Der Satz des Ritters sollte unvollendet bleiben, denn zu dem unsteten Flackern der Fackeln kam nun eine ganz neue Lichtquelle hinzu: Goldene Funken schwirrten, einem Schwarm Leuchtkäfer gleich, durch eines der hochgelegenen Fenster der Zitadelle. Sie schwebten auf die Steinplattform mit dem Triforce-Symbol zu, drehten dort eine knappe Schleife, bevor sie sich zu menschlicher Gestalt manifestierten. Kaum, dass sich der Schimmer um Prinzessin Zelda löste, ließ sie ihr mystisches Blasinstrument, das sie hergebracht hatte, wie immer sofort in einem blauen Aufleuchten verschwinden. Erst dann blickte sie sich nach ihren drei Berufenen um. Als sie sie beim Altar entdeckte, glitt ein Ausdruck tiefer Erleichterung über ihr Antlitz. „Gut, ihr seid alle hier.“

Leo war schon auf ein Knie gefallen, noch bevor die magischen Funken die Form fester Materie angenommen hatten. „Bei allem Respekt, Prinzessin“, hob er höflichen Tonfalls an. „Ihr solltet nicht hier sein. Wenn Link kommt, kann niemand für Eure Sicherheit garantieren.“

Anders als üblich gebot ihm die Regentin nicht, aufzustehen. „Darüber wollte ich mit euch reden“, meinte sie, ohne den Hylianischen Ritter im Besonderen weiter zu beachten. „Link ist … Link wurde festgenommen.“

„Was?!“, riefen die drei Helden wie aus einem Mund.

Dabei war Leo aus seiner Kauerhaltung erschrocken aufgesprungen; beschämt über seine Reaktion, räusperte und erkundigte er sich: „Wie ist das möglich?“

„Die Soldaten haben ihn in der Stadt gefunden, gefangen und ins Schloss gebracht“, ließ Zelda das Trio etwas zu hastig wissen.

Von der Plattform herabsteigend, fragte Balaen skeptisch: „Einfach so ohne einen Kampf?“

Gekonnt überspielte die Prinzessin ihre Verunsicherung, indem sie den Rücken straffte. „Ja. Er wurde … Er hat sich gestellt. Jetzt befindet er sich in einer Kerkerzelle, aus der er nicht so schnell ausbrechen wird.“

Ungläubig zog Balaen die Augenbrauen zusammen.

„Dann ist es also vorbei?“, meldete sich nun Virri zu Wort und deutete auf sich und seine beiden Partner. „Du brauchst uns drei nicht mehr?“

Mit einem sichtlich erzwungen unbefangenen Lächeln bestätigte Zelda: „So ist es, Viridian. Ihr seid frei von eurer Aufgabe und könnt in eure Zeiten heimkehren. Wenn ihr wollt, jetzt sofort.“ Sie hob die Hände aneinander, zwischen denen das altbekannte indigoblaue Licht erblühte.

„Warte!“, unterbrach Balaen sie jedoch in ihrem Tun. „Karmin ist nicht hier.“

„Und ich kann ohne Alvio nicht nach Hause“, fügte Leo hinzu.

Das blaue Leuchten erlosch, ohne einem Instrument gewichen zu sein. „Sicher …“, sprach Zelda zerstreut. Auf gedanklichen Befehl seines Reiters würde Karmin gewiss noch herbeikommen können, doch die Prinzessin bereute es instantan, nicht schon eher daran gedacht und den Hasen mitgebracht zu haben. Also redigierte sie ihr Angebot schnell: „Dann werde ich euch eben morgen zurückschicken. Solange seid ihr im Schloss selbstverständlich weiterhin meine Gäste.“

Ritterlich ehrerbietig verneigte sich Leo. „Vielen Dank, Prinzessin.“ Schon machte er sich auf, sich zu entfernen, und Virri beeilte sich, ihm zu folgen. Als die beiden jedoch merkten, dass sich der älteste des Heldentrios ihnen nicht angeschlossen hatte, blieben sie verwirrt stehen.

Balaen hatte sich nicht von der Stelle bewegt und musterte die Königliche nachdenklich, die seinen Blick unverwandt erwiderte. Leicht gereizt riet sie ihm an: „Du solltest auch gehen.“

„Teleportiert du uns nicht ins Schloss?“, verlangte der Ritter aus den Wolken zu erfahren.

Weil Zelda keine Antwort gab, mischte Virri sich ein: „Wir können uns doch von den Vögeln hinfliegen lassen.“

„Genau. Oder bist du dir zu fein, die paar Schritte zu gehen?“, setzte Leo spöttelnd hinzu. „In dem Fall kann ich dich mit Farores Donnersturm hinschicken.“

Ohne seine jüngeren Partner zu beachten, horchte Balaen sein royales Gegenüber weiter aus. „Musst du selbst nicht ins Schloss zurück?“

Das Kinn anhebend, gab Zelda diesmal zurück: „Ich wüsste nicht, was dich das anginge.“

„Wahrscheinlich eine Menge.“

Nun kam Leo zu den beiden zurück, baute sich Balaen zugewandt schräg vor Zelda auf und streckte schützend den linken Arm vor sie. „Lass die Prinzessin gefälligst zufrieden!“, forderte der Hylianische Ritter vom Ritter aus den Wolken, doch der machte weiterhin keine Anstalten, sich zu rühren.

Es war Prinzessin Zelda selbst, die ihm schließlich finster drohte: „Geh jetzt. Oder ich lasse dich von meinen Soldaten von hier entfernen.“

Standhaft bleibend, maßte sich Balaen an zu sagen: „Sie können es gerne versuchen.“

„Ihr müsst niemanden dafür rufen, Prinzessin“, knurrte Leo gefährlich ruhig. „Ich erledige das!“ Mit diesen Worten stapfte er auf den ältesten Grüngewandeten zu, packte ihn erneut am Waffengurt. Halb schleppte, halb zerrte er ihn, geführt von Virri, über die Teppichbahn, bis durch die Eingangspforte der Zitadelle und auf ihren Vorplatz. Als der jüngere Ritter ihn nun auch die Treppe hinab mit sich riss, begann Balaen zu versuchen, sich aus dem unnachgiebigen Griff loszumachen, was ihm nicht einmal im Ansatz gelang. Erst, als Leo ihn gerade so zurückhaltend von sich schubste, dass der ältere nicht der Länge nach stürzte, kam er wieder los. Stolpernd fing sich der Held aus den Wolken.

„Was war das schon wieder für eine miese Aktion?!“, versetzte Leo wutentbrannt. „Deine Anfeindungen gegen die Prinzessin hängen mir allmählich echt zum Hals raus!“ Wortlos zupfte Balaen an seiner Kleidung, weswegen der Hitzkopf donnerte: „Lass den Mist und antworte gefälligst!“

Ohne sich in seiner eitlen Geschäftigkeit beirren zu lassen, fragte Balaen ruhig zurück: „Wundert es dich denn gar nicht, wie schnell sie uns plötzlich loswerden wollte?“

„Ich kann mir sehr gut vorstellen, an wem das liegt“, entgegnete Leo bissig.

„Und doch wirkte sie irgendwie abwesend“, fuhr der ältere Held fort, „als sei sie mit den Gedanken nicht ganz bei sich …“

Der leidenschaftliche Hylianische Ritter fühlte sich dazu verpflichtet, die Prinzessin zu rechtfertigen. „Sie regiert ein ganzes Königreich; klar ist sie da abgelenkt. Sie hat doch selbst neulich gesagt, dass sie in letzter Zeit nicht zum Schlafen kommt.“

„Mag sein. Aber sonst, wenn sie mit uns spricht, ist sie nicht so … gehetzt“, beharrte Balaen.

Jetzt ließ auch Virri vernehmen: „Sie hatte auch keine Krone auf wie sonst immer.“

Sofort wirbelte Leo zu ihm herum. „Fang du nicht auch noch damit an!“, fuhr er den kleinen Krieger so heftig an, dass dieser erschrocken den Kopf einzog.

„Ich sag ja nur, dass mir das aufgefallen ist“, nuschelte er schüchtern.

Laut dachte Balaen nach: „Sie schien etwas zu verheimlichen …“

„Du bist doch paranoid!“ Schnaubend warf Leo die Hände in die Luft. „Es ist ihr Recht, Dinge zu verschweigen. Ganz besonders, weil sie uns jetzt nicht mehr braucht.“

„Genau darum geht es mir. Ich kaufe ihr nicht ab, dass Link plötzlich ein solches Einsehen hatte und sich gestellt hat“, suggerierte Balaen.

Der Hylianische Ritter zischte verächtlich. „Warum sollte sie darüber lügen?“ Als der Held aus den Wolken darauf nichts zu antworten wusste, wandte Leo sich aufgebracht von seinen beiden Partnern ab und schritt davon. „Jedenfalls gehe ich jetzt ins Schloss zurück und sammle meinen Hasen ein. Und wer nicht mitkommt, den schleppe ich persönlich und ganz ohne Magie dort hin!“ Um diese Ankündigung wirkungsvoll zu unterstreichen, reckte er die kraftbehandschuhte Linke gen Himmel.

Seine Drohung zeigte Wirkung bei Virri, der keinen Moment zögerte, ihm nachzulaufen, und auch Balaen seufzte und schloss sich ihnen widerwillig an. Zu dritt kehrten sie der Zitadelle der Zeit den Rücken.

Auch als das Heldentrio das heilige Gebäude schon längst verlassen hatte, blickte Prinzessin Zelda traurig in Richtung Eingang. Sie machte sich Vorwürfe dafür, die drei nach allem, was sie ihretwegen durchgemacht hatten, auch noch anzulügen. Doch es war das einzig richtige gewesen, das sie jetzt noch für die Grüngewandeten hatte tun können.

Umso mehr erschütterte sie Balaens Argwohn, hatte sie ihm doch so viel Vernunft zugetraut, dass, sollte er sie durchschauen, er auch ihre Gründe verstand, warum sie so handelte. Er mochte ein hervorragender Taktiker sein, doch von Diplomatie hielt er grundsätzlich nicht viel. Eine Eigenschaft, die alle Ritter zu teilen schienen, denn auch Leo ließ es am nötigen Taktgefühl mangeln. Den Methoden, die er anwandte, fehlte es nur zu sehr an zwischenmenschlicher Vorsicht, doch immerhin war die Prinzessin dank ihm Balaen vorerst losgeworden. Sie hatte einfach nicht die emotionale Kraft aufbringen können für einen Disput mit noch einem widerspenstigen Helden … Da lobte sich Zelda doch die naive, unkomplizierte Passivität Virris.

Die Lüge den dreien gegenüber war nur zu deren eigenem Wohl gewesen. Die Begegnung mit Link hatte Zelda endlich erkennen lassen, dass er aus völlig eigenem Willen handelte – es steckte keine dunkle Machenschaft Ganondorfs dahinter. Höchstwahrscheinlich wusste der Großmeister des Bösen nicht einmal von den Geschehnissen in Hyrule und fragte sich selbst, was die Säulen seines Gefängnisses im Heiligen Reich nach und nach zerstörte. Insofern stand Link also nicht unter seinem dämonischen Einfluss, weswegen die Lichtpfeile, die Prinzessin Zelda ihren Berufenen überreicht hatte, nicht wirken würden. Hätte Virri versucht, sie wie geplant gegen die grimmige Gottheit anzuwenden, er wäre aufs Schrecklichste gescheitert, und das wollte Zelda nicht verantworten. Sie – das in diesem Körper fremde Bewusstsein – konnte doch unmöglich noch einer Zeit ihren Helden nehmen …

Nun war sie her in die Zitadelle gekommen, nicht nur, um ihre Beschworenen fortzuschicken. Noch immer war sie bestürzt davon, dass im Schlossgarten die Hymne der Zeit nicht ihren gewünschten Effekt auf Link gehabt hatte. Ihre Hoffnung war, dass die heilige Melodie in dem Gebäude, in dem gespielt zu werden sie ursprünglich komponiert worden war, ihre wahre Macht entfalten würde. Sollte dies nicht geschehen, wären alle Bemühungen der letzten Wochen völlig umsonst.

Nervös blickte sich Prinzessin Zelda in der Zitadelle um. Dieser Ort hatte eine schauerliche Wirkung auf sie, seit Impa hier verstorben war. Auch wenn das Blut schon lange fortgewaschen worden und auf dem weißen Marmor nicht auch nur der Schatten eines Flecks geblieben war, konnte die Regentin noch genau sagen, an welcher Säule ihre Vertraute während ihrer letzten Atemzüge gelehnt hatte. Ungeweinte Tränen brannten in den königlichen, türkisblauen Augen; das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, rieb darüber, um sie wieder zurückzudrängen. Sie hielt sich schon viel zu lange in diesem Leib auf, sodass die Gefühle seiner wahren Besitzerin allmählich durchzusickern begannen. Zumindest redete sie sich das ein.

Die Prinzessin ertrug es nicht länger, in der Zitadelle der Zeit und der von unstetem Fackellicht erfüllten Dunkelheit zu verweilen. Also schritt sie den Teppich hinab bis unter den Torbogen, widerstand der Versuchung, sich an den Eingang zu lehnen. Nein, sie durfte keine Sekunde ihrer Gemütsschwäche nachgeben, musste standhaft bleiben!

Ihr Gespräch mit Link war schon fast eine halbe Stunde her. Selbst wenn er zu Fuß vom Schloss nach Hyrule-Stadt kam, hätte er die Metropole eigentlich schon erreicht haben müssen. Erst recht auf den wirbelnden Tatzen eines Wolfs oder den starken Hufen eines stolzen Rosses wie Epona, die gewiss in der Nähe des Palastes auf ihren Reiter gewartet hatte. Ob er sich der Beobachtung durch die als Obdachlose getarnten Soldaten und Wachhunde bewusst und noch darum bemüht war, von ihnen unbemerkt zur Zitadelle zu gelangen?

Sehr wohl war sich Zelda des Risikos bewusst, mit der Okarina der Zeit – dem letzten Schlüssel, der Link noch fehlte – ausgerechnet vor der verschlossenen Tür des abtrünnigen Helden zu harren. Doch etwas hatte sich drastisch verändert in dem Moment, als er erkannt hatte, wer die Prinzessin wirklich war. Sie wusste, dass sie nun nicht mehr fürchten musste, er könne ihr etwas antun. Vielleicht hätte er nicht einmal gegen ihre drei Berufenen gekämpft und würde sich wirklich ergeben, wie Zelda in ihrer Notlüge behauptet hatte. Entweder das, oder er benahm sich wie ein verwundetes, in die Ecke gedrängtes Tier, würde sich rücksichtslos zur Zitadelle durchschlagen und sein Ziel mit letzter Kraft durchsetzen. Nach diesem Blick, den er Zelda zugeworfen hatte, bevor er in die Nacht verschwunden war, wagte sie, das Beste zu hoffen, und befürchtete zugleich das Schlimmste.

Etwas regte sich in ihrem Augenwinkel; erschrockener, als sie es sich selbst eingestehen wollte, sah Zelda auf. Natürlich rechnete sie damit, einen Soldaten zu erblicken, der den in der Zitadelle vermuteten Helden die Kunde brachte, Link sei in Hyrule-Stadt gesichtet worden. Allenfalls den Gesuchten selbst hätte die Prinzessin noch erwartet. Umso überraschter erkannte sie, dass es sich wohl kaum um einen Krieger handeln konnte, der nun auf dem Platz vor der Sakralbaute ins Sternenlicht trat. Für einen solchen setzte er seine Schritte zu ungleichmäßig, ja schlurfte schon fast über das Pflaster. Nichtsdestoweniger schien er über erstaunliche Kraft zu verfügen, denn er trug auf dem gebeugten Rücken einen hellen Stoffbeutel, fast so hoch wie er selbst und doppelt so breit, der je nach Inhalt von beträchtlichem Gewicht sein musste. Der nicht sehr groß gewachsene Mann war wohl fahrender Händler. Es machte Prinzessin Zelda stutzig, was dieser zu so später Stunde an einem verlassenen Ort wie diesem verloren hatte. Zudem hatten die in der Nähe postierten Stadtgardisten die Anweisung, jeden Zivilisten von der Zitadelle der Zeit fernzuhalten. Wie nur hatte er ihre unsichtbare Barrikade passiert? Tatsächlich hielt der seltsame Mann genau auf die Sakralbaute zu und erklomm ihre Stufen.

Plötzlich nervös, spannte Zelda sich an. Sie kannte ihn!

Oder zumindest kam es ihr so vor. Das koboldhafte Gesicht, von unbestimmbarem Alter und hell wie der Mond, unter dem glatten, roten Haarschopf, mit den kurzsichtig zusammengekniffenen Augen erinnerte sie sich, irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Ob vor langer Zeit oder auch erst vor ein paar Tagen, konnte sie allerdings nicht festmachen. Wenn Zelda nach dieser Eingebung haschte, entwandt sie sich ihren mentalen Fingern, als verhindere ein anderer Geist, dass sie sich genauer entsann.

Verwirrt konzentrierte sich die Prinzessin wieder auf die Gegenwart, nicht auf die verworrenen Bilder vor ihrem inneren Auge. In dem Bestreben, dadurch eine Antwort zu erhalten, sondierte sie die Person vor sich.

Der nicht wirklich Fremde trug überraschend edle Kleidung in kräftigem Purpur, der Kragen verziert mit prunkvollen Goldstickereien, als sei er doch kein einsam durch die Lande streifender Verkäufer, sondern eher der reiche Leiter eines erfolgreichen Handelskontors. Allerdings gab es in Hyrule von diesen Kaufherren keinen, den die Regentin nicht persönlich kannte. Wäre sie jenem hier bereits begegnet, hätte sie nicht nur diese vage Ahnung gehabt, ihn irgendwann einmal lediglich flüchtig gesehen zu haben. An seinem Rucksack hängend, zeigten Masken in allen möglichen Farben und Ausführungen an, was er in dem Beutel selbst mit sich trug.

Erneut wurde Zelda von einer undeutlichen Erinnerung erfasst, und wieder schaffte sie es nicht, diese auch greifbar zu machen. Sie legte die Hand an den Kopf, kämpfte gegen den Schwindel an. Was war nur los mit ihr? Warum entglitt ihr jeder klare Gedanke?

Der Händler hatte die oberste Stufe erreicht, blieb stehen und musterte sie aus seinen schmalen Schlitzaugen. Auch wenn er sie freundlich anlächelte, blieb die Prinzessin doch auf der Hut. Deutlich spürte sie die finstere Aura, die ihn umgab, auch wenn diese nicht von ihm selbst auszustrahlen schien.

„Du bist aber sehr unglücklich“, sprach der Händler freundlich. Nicht einmal wirkst unglücklich hatte er gesagt, sondern die unumstößliche Tatsache vorgelegt, als wisse er genau, was in ihr vorging – unabhängig von ihrer geistigen Ermattung, die erst eingetreten war, als er erschienen war. Gut gelaunt tirilierte der Verkäufer: „Darf ich dir eine meiner Masken anbieten? Durch ihre Augen sieht die Welt gleich ganz anders aus.“

„Nein. Ich verzichte“, brachte Zelda zustande zu erwidern.

„Aber du hast dir doch noch gar nicht mein Sortiment angesehen.“ Das Lächeln des Mannes blieb unverändert zuvorkommend.

Auch wenn sie nicht gedachte, eine zu ersteigern, überwand sich die Regentin nun doch dazu, die Waren an seinem Rucksack in Augenschein zu nehmen. Die seltsamen Fratzen mit ihren starrenden Grimassen hatten allesamt keine Sichtlöcher, wie es von Masken eigentlich zu erwarten war, was sie wohl nur zu dekorativen Sammlerobjekten machte denn zu etwas, womit man das eigenene Konterfei verbarg. Keine von ihnen schmeichelte dem ästhetischen Empfinden der Königstochter, bis vielleicht auf die eine, die über dem Haupt des Händlers hing. Herzförmig war sie, gehalten in dunklen Rot- und Violetttönen. Insgesamt acht gelbe Dornen, auf beiden Seiten je drei im unteren Bereich sowie je eine oben, zierten ihre Ränder. Die großen, glutfarbenen Augen schienen in der nächtlichen Düsternis ihr eigenes schwaches Licht auszusenden. Die Maske war schön und unheimlich zugleich, hatte etwas Faszinierendes an sich, das eine unerklärliche Anziehungskraft auf die Regentin ausübte.

Dem geschulten Auge des Händlers entging nicht der interessierte Blick seines Gegenübers. „Ich muss dich enttäuschen“, sagte er mit gespieltem Seufzen. „Diese eine Maske ist sehr kostbar für mich und daher unverkäuflich. Auch wenn sie einer natürlichen Schönheit wie dir außerordentlich gut zu Gesicht stünde, Nomadenprinzessein.“

Was er sagte, ergab vom Wortlaut nicht einmal Sinn, doch was Zeldas Aufmerksamkeit wirklich auf sich zog, war, wie er sie soeben angesprochen hatte. „Nomadenprinzessin? Warum nennst du mich so?“ Ihre Verwunderung darüber klärte endlich ihren Geist, wenn auch nur geringfügig.

Der bekannte Fremde strahlte über ihre Neugier. „Nun, du wirkst durchaus sehr verloren. Wie eine im Niemandsland verirrte Nomadin.“

Zwar bezweifelte Zelda, dass dies der einzige Grund war, doch hakte sie nicht weiter nach.

„Ich glaube, dein Schicksal hat es nicht gut mit dir gemeint“, sagte da der Händler.

Sofort gab die Prinzessin herablassend zurück: „Was weißt du schon von meinem Schicksal?“

Der Mann, der kleiner war als sie, legte eine Hand vor die Brust und verneigte sich fast schon spöttisch. „Ich bin ein fliegender Händler“, erklärte er bereitwillig. „Als solcher schnappe ich so einiges auf. Und das schwere Los der Aristokraten und Monarchen ist allerorten dasselbe.“

Wieder so ein undurchschaubarer Rätselspruch, doch gelang es Zelda, zumindest eine Sache rauszuhören: Allem Anschein nach wusste der Maskenverkäufer, dass er die Regentin von Hyrule vor sich hatte. Obwohl sie die Krone im Schloss zurückgelassen hatte, sprach das Königswappen auf der Schärpe ihres Kleides zu deutlich dafür. Dennoch redete der Händler nicht mit ihr, wie es ihrem hohen Stand angemessen war, und brachte desweiteren nicht die Höflichkeit auf, sich selbst vorzustellen.

Stattdessen fuhr er fort: „Da dachte ich mir, ich könnte dich mit einer Maske glücklich machen. Oder mit der Möglichkeit, deinen Liebsten aus den Fesseln der Zeit zu befreien, die du ihm angelegt hast“, fügte er beiläufig hinzu. Erstaunlich behände drehte er sich und die Fracht auf seinem Rücken herum, stieg die Treppen wieder hinab. „Aber wenn wir nicht ins Geschäft kommen, werde ich eben weiterziehen.“

Zuerst war das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, zu verblüfft, um etwas zu erwidern. Auch wenn alles, was dieser Mann gesagt hatte, für Außenstehende verrückt geklungen hätte, wusste er ganz offensichtlich von Dingen, die Zelda nach Impas Tod niemandem mehr verraten hatte. Eigentlich hätte sie misstrauisch werden, ihn gehen oder noch besser gefangen nehmen und in den Kerker werfen lassen müssen, ihn über seine Quellen aushorchen. All dies, aber auf keinen Fall ihn zurückrufen – und genau das tat sie nun.

„Warte!“, gebot Zelda dem Händler schon, als er auf der zweiten Stufe angekommen war.

Der edel gekleidete Herr blieb nicht abrupt stehen, sondern setzte in aller Ruhe beide Füße nebeneinander. Anscheinend hatte er damit gerechnet, dass sie ihn aufhalten würde. Noch drehte er sich nicht wieder zu ihr um.

Verunsichert schluckte die Prinzessin. Wenn er über ihre Geheimnisse so gut informiert war, wie sie aus seinen Andeutung interpretierte, dann mochte es tatsächlich sein, dass er ihr helfen konnte. Zweifellos war es sehr riskant, ihm auch nur einen Funken Vertrauen entgegenzubringen, auch weil sich der unerklärliche trübe Schleier auf ihrer Erinnerung noch immer nicht gelichtet hatte. Doch durch das Versagen der Hymne der Zeit und der Ungewissheit, ob es sich wiederholen würde oder nicht, war Zelda verzweifelt genug, nach jedem sich bietenden Halm zu greifen. „Wie … kann ich ihn befreien?“, fragte sie beklommen.

Endlich wandte sich der Maskenhändler wieder zu ihr um. Auch wenn er noch immer lächelte, freundlich wie zu dem Zeitpunkt, da er vor sie getreten war, blitzte in den zu Schlitzen verengten Augen etwas auf, das Zelda ihre Entscheidung für einen Moment bereuen ließ. „Ich bin Geschäftsmann“, wies er überflüssigerweise hin. „Von mir gibt es nichts ohne Gegenleistung.“

Empört verzog Zelda die Augenbrauen. Wusste er am Ende doch nicht, mit wem er sprach? Sie war die Regentin eines ganzen Königreichs! „Geld spielt keine Rolle“, versicherte die Prinzessin.

Der Fremde ließ ein verhaltenes Lachen hören, das wirklich amüsiert, aber auch fast schon bösartig klang. „Da hast du recht, Geld spielt keine Rolle. Denn was ich will, ist von ganz anderer Natur.“ Kein Zweifel, er wusste, dass sie auf ihn angewiesen war, und nutzte dies schamlos aus.

Zerknirscht ließ sich Zelda auf sein Spiel ein und fragte nach: „Was willst du dann?“

Possenhaft tat der fliegende Händer so, als müsse er nachdenken und hätte nicht schon längst genau im Sinn, was er verlangen würde. „Ich jage seit bald sieben Jahren einer ganz bestimmten Maske hinterher … Ein selten schönes Exemplar, das ich unbedingt meiner Sammlung hinzufügen muss.“

„Fertigst du deine Masken denn nicht selbst an?“

Flüchtig winkte der Mann ab. „Wo werd ich denn? Nein, ich handle nur mit ihnen. Diejenigen, von denen ich sie aufkaufe, erschaffen sie selbst. Daher ist jedes einzelne Exemplar ein Unikat.“ Prüfend musterte er die von dieser Bemerkung sprachlose Prinzessin mit dem Interesse eines Kaufmanns. „Auch du könntest eine sehr schöne Maske machen, doch die werde ich wohl nie in die Hände kriegen. Bedauerlicherweise. Aber du kannst mir jene andere beschaffen, die ich so lange suche.“

Zelda fühlte sich seltsam betäubt. „Und woher bekomme ich sie?“

„Sie wird deinem umnachteten Liebsten vom Gesicht fallen, sobald du seine Fesseln löst“, prophezeite der Händler kryptisch.

Dies machte Zelda nun doch stutzig. Meinte er wohlmöglich das Gesicht der grimmigen Gottheit? Warum war es für ihn von solch großem Wert? Nur Link allein konnte sich damit verwandeln – was er nun, da kein Kampf gegen das Heldentrio mehr stattfinden würde, ohnehin nicht mehr nötig hatte. Auf der anderen Seite, wenn das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, das zu Ende brachte, weswegen es hergekommen war, würde die mächtige Maske auch niemand anderem mehr von Nutzen sein. Gern hätte Zelda deren unbekannte Herkunft eingehender erforscht, aber wenn sie durch diesen Tausch endlich etwas erhielt, womit sie ihre selbst auferlegte Aufgabe erfüllen konnte, war ihre Wissbegier ein Preis, den zu zahlen sie bereit war.

Also reckte die Prinzessin das Kinn und verkündete: „Diese Maske werde ich dir geben.“

„Sehr schön, sehr schön!“, plapperte ihr reisendes Gegenüber zufrieden und verneigte sich mehrfach hastig hintereinander, als nicke er besonders eifrig – eine körperliche Meisterleistung angesichts der Masse seiner Ware. „In drei Tagen gedenke ich, meine Zelte in dieser Stadt abzureißen und aufzubrechen. Zum Morgen des vierten Tages erwarte ich dich dann wieder hier, um unser Geschäft abzuschließen.“

Dass er nun auch noch Bedingungen zu ihrem Wiedersehen stellte, war eine bodenlose Unverfrorenheit, doch die Regentin nahm sie billigend hin. Letztendlich war sie die Begünstigte bei diesem Tauschabkommen, schien es doch so, dass der Händler damit ein wirtschaftliches Wagnis einging. Gäbe es an dieser Sache einen Haken, so würde der sich zweifellos in naher Zukunft zeigen.

„Was ist nun der Gegenstand, der mir helfen soll?“, drängte Prinzessin Zelda. Die Zeit wurde knapp; jeden Augenblick konnte Link hier erscheinen. Mehr als je zuvor konnte sie nachfühlen, wie es ihren drei Berufenen die letzten Tage ergangen sein musste.

Wieder lachte der Maskenverkäufer sein unheimliches Kichern. „Kein Gegenstand …“, korrigierte er die Königliche mysteriös und kam die Treppen wieder herauf.

Wie er sich näherte, spürte Zelda die dunkle Aura immer deutlicher. Mit unsichtbaren Fingern schien sie nach ihr zu tasten, aber nicht in der Lage zu sein, auch zuzupacken. Auch wenn der Prinzessin das Herz bis zum Hals schlug, wusste sie, dass sie keine Angst haben musste. Diese Aura konnte ihr nicht gefährlich werden, solange sie nicht selbst danach griff.

Der Händler bugsierte seinen wuchtigen Rucksack an seiner Klientin vorbei durch den Torbogen der Zitadelle der Zeit.

Irgendwie hatte Zelda das Gefühl, die Augen der düsterbunten Herzmaske seien auf sie gerichtet mit fast schon lebendiger Gier. Die Regentin blinzelte, und der Eindruck verflüchtigte sich.

Nach einigen Schritten in die Sakralbaute hinein winkte der Verkäufer Zelda zu. „Komm nur herein, Nomadenprinzessin.“

Zögerlich kam sie seiner Aufforderung nach – und erstarrte sogleich, als sie die Orgel erblickte, die jenseits eines Säulengangs an der Wand der Zitadelle stand. Das Tasteninstrument, mehr breit als hoch, war geschmückt von Messingornamenten in unheimlichen, okkulten Formen. Bis auf den Altar wies die Zitadelle der Zeit eigentlich kein kirchliches Interieur auf. Bevor Zelda sie zuvor verlassen hatte, war diese Stelle definitiv leer gewesen. Wo und wie war die Orgal also hergekommen?

Ratlos, was sie empfinden sollte, blickte die Prinzessin den Händler an. Der grinste unverändert freundlich und wies sie mit einladender Handgeste an: „Hol dein edles Instrument hervor und spiele das Lied nach, das ich vortragen werde.“ Erneut zupfte seine Wortwahl in Zeldas Geist an fernen Erinnerungen, doch die Resonanz blieb aus. Er trat an die Orgel heran, die aus dem Nichts erschienen war. „Präge es dir gut ein …“

Das Heldentrio legte einen kurzen Zwischenstop in der Kaserne ein, um die dort erhaltenen Seile zurückzugeben. Balaen versuchte, sich bei den Soldaten zu erkundigen, ob sie etwas über Links Festnahme wussten, was diese einhellig verneinten. Was das Misstrauen des Ritters aus den Wolken weiter anfachte, war für Leo nichts weiter als ein Beweis für den schlechten Informationsaustausch zwischen den in Hyrule-Stadt postierten militärischen Einheiten.

Die schlafende Stadt war schon längst vom Dunkel der Nacht hinter ihnen verschluckt worden, ihre Gebäude nur noch undeutliche Schemen in der weiten Landschaft. Genauso und doch auch anders erhob sich das Schloss als imposanter Schatten vor ihnen in den Sternenhimmel. Karmin, der um die Palasttürme seine Kreise gedreht und das Herannahen seines Reiters gespürt hatte, kam nun herbeigeflogen.

Eigentlich hätten sich die drei Helden von dem roten Wolkenvogel und seinen beiden blauen Vettern über die Grashügel zum Palast transportieren lassen sollen, hatten aber in stummem Einverständnis alle darauf verzichtet. Weder Leo noch Virri hatten ihre Flöte und Okarina hervorgeholt, und Balaen gab seinem Reittier zu verstehen, dass er seiner Dienste nicht bedurfte. So begleitete Karmin die Grüngewandeten nur auf ihrem Fußmarsch und trottete missmutig wie sie neben ihnen her. Um sie herum wetteiferten die Grillen darum, wer der lauteste Musikant war, und irgendwo quakte sogar ein Frosch.

Gleich, als das Heldentrio die Stadt verlassen hatte, hatte sich Leo an einem Grasbüschel bedient. Nun kaute er griesgrämig auf dem Halm, die Hände hinterm Kopf verschränkt und den Blick hinauf zu den Sternen gerichtet. In die Stille, die sich zwischen die drei gelegt hatte, murmelte der Hylianische Ritter: „Da hat dieser Mistkerl unsere Arbeit doch tatsächlich selbst übernommen. Das ist irgendwie …“ Er ließ den Kopf senken, suchte nach einem Wort, das dieses Gefühl, das er empfand, am besten beschrieb.

„Ernüchternd“, schlug Balaen vor.

„Erleichternd?“, kam es von Virri.

„Enttäuschend“, vollendete Leo seinen Satz selbstständig. „Wir haben uns auf den größten Kampf aller Zeiten vorbereitet – und jetzt bleibt der einfach aus? Dir, Knirps, haben wir dein Rumschreien ausgetrieben, und unser Flattermann musste lernen, als Gruppe zu kämpfen.“ Resignierend hob der Abenteurer die Schultern. „Wofür das alles?“

„Du hast dich selbst gerade nicht erwähnt“, merkte Balaen an.

Leo breitete die Arme aus. „Im Gegensatz zu euch musste ich auch nichts mehr lernen.“

„Was ist mir der Axt?“, fragte Virri.

„Ach, die?“ Der Hylianische Ritter nahm die besagte Waffe vom Rücken und wog sie prüfend in der Hand. „Ich geb’s ungern zu, aber es war echt nicht sehr schwierig, mich an sie zu gewöhnen.“ Zum Beweis schnippte er sie in die Luft, fing sie geschickt auf und grinste großspurig über sein Kunststück. „Aber ich bin ja auch kein tollpatschiger Rechtshänder.“

Angesäuert von dieser Bemerkung verdrehte Balaen die Augen. „Kommst du schon wieder damit?“

Leos Grimasse nahm schalkhafte Züge an. „Wieso? Fühlst du dich mit tollpatschiger Rechtshänder etwa angesprochen?“

„Nur, weil ich das Schwert in der Rechten führe, bin ich kein schlechterer Kämpfer als du.“

Der jüngere Held tat Balaens Einwand mit wegwischender Geste ab. „Weil du diesen Geist des Helden in dir hast.“ Was er dabei nur allzu leichtfertig ignorierte, war, dass diese Aussage auch auf ihn selbst zutraf. „Hättest du den nicht, wärst du genauso ungeschickt wie jeder normale Rechtshänder – nein, schlimmer noch“, korrigierte er sich. „Ein Linkshänder, dazu gezwungen, die andere Hand zu benutzen? Das kann auf Dauer nicht gutgehen!“

Gereizt gab Balaen zurück: „Ich wurde meine ganze Kindheit hindurch für unbegabt abgestempelt, als sei ich mit einer Behinderung geboren worden. So was muss ich mir von dir jetzt nicht auch noch sagen lassen!“

Übertrieben theatralisch wischte sich Leo imaginäre Tränen fort und äffte den Tonfall des älteren Ritters nach, als er jammerte: „Oh, ich zerfließe vor Mitleid! Du hattest es ja so schwer!“ Plötzlich wurde der Heißsporn ungewohnt ernst. „Weißt du überhaupt, was es bedeutet, verloren zu sein? Gab es bei deiner Heldenmission je einen Punkt, an dem du nicht wusstest, wohin du gehen sollst? An dem deine Göttin dich nicht bei der Hand genommen und dir gezeigt hat, was zu tun ist?“

„Ich habe dich in unserem Duell geschlagen“, erinnerte Balaen sich rechtfertigend, „ganz ohne Hylias Hilfe. Und das, obwohl wir diese schwachsinnigen Regeln entkräftigt hatten.“

Bislang hatte sich Virri nicht an der Diskussion beteiligt. Da er es jedoch war, der jenes Regelwerk, das Balaen erwähnt hatte, damals aufgesetzt hatte, warf er jetzt beleidigt ein: „Die waren nicht schwachsinnig …“

Leo überging den kleinen Krieger einfach, sprach nur zu dem älteren Ritter. „Ganz ohne die Hilfe deiner Göttin hast du es aber nicht geschafft. Oder hast du deinen Schild und die Peitsche etwa selbst gemacht? Wenn du micht fragst, ist es ein Wunder, dass bei so einem Helden die Menschen deiner Zeit nicht mehr auf ihren schwebenden Inselchen leben.“ Er bedachte Balaen mit einem verächtlichen Blick. „Keine deiner Heldentaten hast du aus eigener Kraft vollbracht!“

Die ganze Zeit über waren sie weitergelaufen; nun aber blieb Balaen stehen, riss die Augen weit auf, weil er nicht glaubte, was ihm da entgegen geworfen wurde. Als Spiegelung des unvermittelt aufflammenden, aber unterdrückten Zorns seines Reiters sträubte Karmin das zinnoberrote Gefieder. Der Held aus den Wolken ballte die Faust.

Virri registrierte die Geste und schnappte erschrocken nach Luft. „Hört auf, euch zu streiten“, versuchte er, die älteren Grüngewandeten zu beschwichtigen – vergeblich.

„Pass auf, was du sagst!“, ermahnte Balaen Leo gefährlich ruhig.

Doch der Heißsporn, der noch ein paar Schritte gegangen war, dachte gar nicht daran. Im Gegenteil setzte er sogar noch einen drauf: „Ohne deine Göttin wärst du nichts!“

Balaen spannte sich an, Karmin stieß ein pfeifendes Fauchen aus. Die Grillen und der Frosch verstummten.

Neben den älteren Helden stehend, musste Virri erkennen, dass er nicht beachtet wurde, und zog das Schwert der Vier. Da er die mystische Waffe zu gebrauchen nicht gedachte, schob er sie sogleich unter seinen Gürtel, und die eben erschienenen Klone taten es ihm gleich.

Jetzt hielt Balaen seine Wut nicht länger zurück. „Um dich zu besiegen, benötige ich nur ein einfaches Schwert!“, stieß er hervor.

Laut und freudlos lachte Leo auf. „Na, aber sicher!“, höhnte er sarkastisch. „Und weißt du was? Ich komm dir auch entgegen!“ Mit der Kraft seiner Handschuhe versenkte er die Axt in der Erde, entwaffnete sich somit selbst und brachte sich in scheinbaren Nachteil. Herausfordernd breitete er die Arme aus. „Zeig, was du kannst, Himmelsheld!“

Dazu ließ sich Balaen kein weiteres Mal auffordern. Überrascht krähte Karmin auf, als sein sonst so besonnener Reiter auf den Hylianischen Ritter zupreschte, die Rechte bereits am Heft seines Schwerts. Schon nach zwei Sätzen wurde er jedoch von Virri und zweien seiner Klone aufgehalten: Die kleinen Krieger warfen sich vor ihn und hielten ihn zu dritt fest. Vor Leo, der bereits Defensivhaltung eingenommen hatte, platzierte Virri seinen rotgekleideten Doppelgänger. Das Kurzschwert mit dem glühenden Zierstein hielt er dabei vor sich, aber nicht die Schneiden vorgedreht wie zum Angriff, sondern die flache Seite als schlichte Barriere, die Rechte an der Spitze.

„Geh mir aus dem Weg, Knirps“, zischte Leo drohend.

In ähnlichem Bestreben bemühte sich Balaen darum, sich loszureißen, doch Virri stemmte sich mit seinem ganzen verdreifachten Gewicht dagegen. „Tu’s nicht!“, rief der kleine Held verzweifelt. „Er ist viel zu stark!“

„Genau, Len“, pflichtete Leo ihm bei. „Hör besser auf den Knirps.“

Überrascht hielt Virri inne, als der Heißsporn sein Abbild im Nacken an der roten Tunika packte und ihm spielerisch einfach das Schwert entwand. Dann hielt er Klon und Waffe so weit voneinander entfernt, dass der kleine Krieger nicht mehr an sie herankam.

„Lass mich runter!“, verlangte Virri. „Und hör doch endlich auf, mich Knirps zu nennen!“

Seiner ungeachtet, boten sich Leo und Balaen über die Köpfe von Original und Kopien hinweg ein erbittertes Blickduell. Weil der ältere Ritter noch immer nicht einzuknicken bereit war, schwenkte Leo den Rotgekleideten demonstrativ vor sich herum. „Komm nur her. Das kann ich nicht nur bei Knirpsen mit bloßen Händen!“

Aufgebracht wiederholte Balaen: „Bloße Hände? Diese Handschuhe zu tragen ist doch wohl kaum …“ Plötzlich verstummte er, als er merkte, wohin ihn die jüngeren Helden unbewusst getrieben hatten: Er suchte Ausflüchte für seine Unterlegenheit. Die Erkenntnis bewirkte, dass er sich deutlich beruhigte, wodurch Virri in seiner Wachsamkeit nachlässig wurde. Sofort riss sich der Ritter aus den Wolken los, wirbelte herum und ging bemessenen Schrittes zu Karmin zurück. Das Gefieder des Vogels glättete sich allmählich, nachdem er das Schauspiel zwischen den drei Grüngewandeten und den Doppelgängern mit tierischer Verwirrung beobachtet hatte.

Virris rotgekleideten Klon absetztend, behielt Leo dessen Schwert noch in der Hand. „Was denn? Gibst du jetzt schon auf, bevor der Kampf beginnt?“, rief er dem ältesten Helden spöttisch hinterher.

Der streichelte die weichen Federn an Karmins Schnabelansatz, um daraus die Energie zu ziehen, sein erregtes Gemüt weiter runterzukühlen. Als leiser Gegenpol zu Leos erhobener Stimme sagte er bestimmt: „Ich bin, seit ich in diese Zeit gekommen bin, tief gesunken, wenn ich mich von einem Halbstarken provozieren und von einem Kind bevormunden lasse.“

Diesmal stürmte Leo, das rote Schwert der Vier niederwerfend und ohne von Virri ausgebremst zu werden, ungehindert auf Balaen zu, packte ihn mit der rechten Hand am Kragen. Mühelos hob er den größeren Krieger vom Boden und drohte ihm mit der freien Faust. „Wen nennst du hier bitteschön halbstark?!“

Unbeeindruckt von der heiklen Situation, in der er sich befand, erwiderte Balaen den zornigen Blick des jüngeren Ritters. Dafür stieß Karmin ein schrilles Kreischen aus, das mit aller Gewalt gegen Leos empfindliches Gehör schrammte wie ein schartiger Spieß. Unwillkürlich setzte er den Held aus den Wolken ab, um sich die schmerzenden Ohren zuzuhalten, und der Schrei des Wolkenvogels brach ab.

Im nächsten Moment schlug Balaen Leo die Faust ins Gesicht.

Der Haken kam so überwältigend unerwartet, dass er den Hylianischen Ritter aus dem Stand warf, während sein Grashalm davonsegelte. Fassungslos richtete Leo sich in sitzende Position auf, betastete ungläubig die pochende Unterlippe, die sich geschwollen anfühlte, zum Glück aber nicht aufgeplatzt war.

Die Gelassenheit selbst, schüttelte Balaen die vom Schlag schmerzende Rechte aus und betrachtete den jüngeren Helden am Boden mit ungnädiger Herablassung. „Du verlässt dich auch nur auf die Kraft deiner Hilfsmittel“, stellte er missbilligend fest.

Wutentbrannt sah Leo zu ihm auf. „Dich mach ich fertig!“, brüllte er und war mit einem Schwung schon wieder auf den Beinen. Sogleich wollte er sich wieder auf den älteren stürzen, der sich nicht einmal zur Verteidigung rührte.

Hinter dem Helden aus den Wolken breitete sein Vogel die riesigen Flügel aus, hielt den Kopf neben seinen Reiter und öffnete in einer Drohgebärde den wuchtigen Schnabel um ein paar Fingerbreit. Als Leo deswegen tatsächlich innehielt, verschränkte Balaen die Arme und ließ ihn wissen: „Das eben war noch gar nichts. Wagst du es, näher zu kommen, wird Karmin dafür sorgen, dass deine Trommelfelle platzen. Wortwörtlich.“

Ganz offensichtlich wäre der Hitzkopf ihm am liebsten an die Gurgel gegangen, doch der Wolkenvogel an der Seite des älteren Helden veranlasste ihn gegen seinen Willen, sich zurückzuhalten. Leo begriff, dass Balaen diesen hinterhältigen Schachzug nicht eben erst spontan ersonnen haben konnte. Machtlos ballte er die Fäuste, knurrte nur: „Du niederträchtiger Mistkerl …“

Da vernahm er ein leises, ersticktes Geräusch. Diesem folgend, wandten beide Ritter ihr Augenmerk Virri zu. Der kleine Krieger und seine Klone standen dicht beieinander und hielten alle die Köpfe gesenkt. Die schmalen Schultern des grüngewandeten Originals zitterten, als ob er schluchzte.

Mit einer unwirschen Geste, die seine eigene Verunsicherung überspielen sollte, in Richtung des Quartetts klagte Leo Balaen an: „Na wunderbar! Wegen dir haben wir gleich vier heulende Knirpse!“

Dieser Satz brachte das Fass zum Überlaufen.

Mit nicht vor Trauer – von der Leo fälschlicherweise ausging – bebender Stimme, jedes Wort betonend, wiederholte Virri, was er schon mehrfach im Guten erbeten hatte: „Nenn. Mich. Nicht … KNIRPS!“ Das Reizwort schrie er zuletzt – aus vier Kehlen gleichzeitig.

Leo war viel zu entsetzt, um zu reagieren. Die sonst so vollkommen unbewegten Mienen der Abbilder waren von Virris Wut ebenso verzerrt wie die des Originals. Das Vierergespann kleiner Krieger warf sich auf den Hylianischen Ritter und holte ihn erneut aus dem Stand. Die fünf Helden rauften in einem bunten Chaos miteinander, bis Leo endlich zu einer Handlung fähig war. Er schaffte es, aufzustehen und seine Peiniger mit Nachdruck von sich abzuschütteln. Die brauchten nicht lang, bis sie sich sammelten, um ihn wieder in die Mangel zu nehmen. Bevor dies passierte, riss Leo seinen Tauschhaken vom Gürtel, schleuderte dessen Klammer gegen den unbeteiligt abseits stehenden Balaen.

Ehe der sich versah, wurde er von vier kleinen Kriegern begraben. Iritiert von dem plötzlichen Positionswechsel seines Reiters, stakste Karmin zu diesem rüber, um ihm zu helfen, sich aus dem Gerangel freizukämpfen. Unschlüssig ließ der riesige rote Vogel den Schnabel über ihnen schweben, hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, seinen Herrn zu retten, und seiner Erziehung, diejenigen, die er als dessen Verbündeten verstand, nicht zu verletzen.

Indes hatte Virri erkannt, dass es nicht länger Leo war, den er am Boden festhielt, doch seine kindliche Rage richtete sich ohnehin gegen beide Ritter. Obwohl Balaen, auf dem Bauch liegend, verbissen um sich trat und schlug, drückten zwei der kleinen Krieger seine Beine nieder. Die beiden anderen zwangen ihm die Arme auf den Rücken und fixierten sie, indem einer sich auf sie setzte. Da somit den ältesten Helden zu bändigen drei Klone ausreichten, rollte sich das Original aus dem Knäuel und zückte im Aufstehen das Schwert der Vier. Derart bewaffnet wandte sich Virri Leo zu.

Der hatte in aller Gemütlichkeit die Tauschhakenkette aufgewickelt, weil er geglaubt hatte, aus dem Schneider zu sein. Nun jedoch sah er sich dem tobenden Jungen gegenüber. Kampfbereit zog der Ritter das eigene Schwert. Der blanke Stahl blitzte im Sternenlicht wie der Helden vor Wut funkelnde Augen. Virri hatte nicht die geringste Chance gegen Leo und seine Krafthandschuhe, das wussten sie beide sehr genau. Doch dem kleinen Krieger war das völlig gleichgültig.

Die Kontrahenten hielten aufeinander zu – aber noch bevor sie die Klingen kreuzen konnten, stürzte sich Karmin zwischen sie, schlug die Schwingen weit auseinander und fächerte sie mit erstaunlich heftigen Windböen von den Füßen. Während Leo unvermeidlich ein weiteres Mal stürzte, ergriff Virri die hellblauen Säume seines Greifenmantels und stabilisierte seine Flugbahn.

„Mieses Federvieh!“, fluchte der Ritter und rappelte sich auf. „Warte nur, bis ich dich rupfe …“

Doch der riesige Vogel achtete seiner nicht. Er hatte sich ganz dem Träger des Schwerts der Vier zugewandt, den Kopf in sicherem Abstand zu ihm gesenkt, blickte ihn auffordernd aus großen Adleraugen an. Dann richtete er sie auf seinen Reiter, der es aufgegeben hatte, sich gegen die Klone zur Wehr zu setzen. Deren Gesichter waren jetzt wieder unbewegt wie eh und je, nachdem sie bis eben noch von dem Zorn ihres Originals entfremdet gewesen waren, der so groß gewesen war, dass er sich sogar auf sie übertragen hatte. Und durch ihre Augen sah Virri sich selbst und Leo, beide mit Schwertern in Händen, mit denen sie Unvorstellbares getan hätten, hätte Karmin nicht eingegriffen. Und Virri verstand – weit mehr, als der Wolkenvogel mit seinem Maß an Intelligenz eigentlich hatte meinen können.

Zutiefst erschüttert schob Virri die Waffe schnell in die Scheide zurück. Augenblicklich lösten sich seine Abbilder auf, und Balaen kam überraschend frei. Erleichtert zischte Karmin und umkreiste den Ritter aus den Wolken aufgeregt, während dieser sich verwundert blinzelnd aufsetzte.

Leo, der sich missachtet fühlte, polterte: „Machst du jetzt auch einen feigen Rückzieher?“

Bedeutungsschwer schüttelte Virri den Kopf, jedoch nicht als Antwort auf Leos Frage. „Was machen wir hier bloß?“

„Wonach sieht es denn aus?!“, schmetterte der Heißsporn aufgebracht zurück. „Wir …“ Jetzt stutzte er doch, ließ das Schwert sinken, als auch er es endlich realisierte, und wich schuldbewusst Virris vorwurfsvollem Blick aus. „Wir bekämpfen uns.“

„Wir sollten doch zusammenarbeiten!“, beteuerte Virri. „Nur, weil Link jetzt gefangen ist, sind wir plötzlich keine …?“ Zitternd ließ er den Kopf hängen. „Ich dachte, wie seien Freunde …“

„Aber das sind wir doch, Kn- …“, begann Leo, unterbrach sich aber und trat auf den kleinen Grüngewandeten zu. Als er die Hand hob, zuckte Virri unwillkürlich zusammen, doch der Ritter legte sie ihm nur kameradschaftlich auf die Mütze. „Wir sind Freunde“, versicherte er. Mit scheuem Lächeln blickte Virri zu ihm auf, was Leo breit grinsend erwiderte. Dann wandte er sich an Balaen, der mittlerweile aufgestanden war und unter den wachsamen Augen seines Wolkenvogels nun schon zum dritten Mal an diesem Abend Tunika und Schal zurechtrückte. „Das siehst du doch genauso, Balaen, oder?“, erkundigte sich Leo bei dem älteren Ritter.

Bevor der Gefragte antworten konnte, durchbrach etwas die Stille, die die nächtlichen Sänger mit ihrem Schweigen schufen. Es war ein Laut, mit dem keiner der drei Helden noch gerechnet hatte, es in dieser Zeit wieder zu vernehmen: Das Heulen eines Wolfs. Intensiv und melodisch erfüllte es die klare Luft, als seien es die sanften, grasbewachsenen Hügel selbst, die es erklingen ließen. Von den Grüngewandeten hörte Leo es am deutlichsten, nahm es fast schon körperlich wahr wie einen Schwall eiskalten Wassers. Und auch Virri und Balaen erschauderten unter dem düsteren Ruf, der zweifellos ihnen dreien galt. Länger, als es ein Atemzug es überhaupt möglich machte, schien er anzudauern.

Als er endlich verhallte, hauchte Leo tonlos: „Nein …“ Seine Miene zeigte blankes Entsetzen. Für einige quälende Herzschläge war die Dunkelheit wieder absolut still, bis dem Ritter mit dem Hasengehör ein leises Surren, dann ein langanhaltendes, lauter werdendes Zischen an die Ohren drang. Vor Schock konnte er sich noch immer nicht rühren, doch nun erblickten auch seine beiden Partner etwas Merkwürdiges, das wie eine Sternschnuppe anmutete, die gemächlich über den samtblauen Himmel glitt. Dabei nahm sie schnell an Größe und Helligkeit zu und enthüllte ihre ungewöhnlich glutrote Färbung.

Karmin stieß einen Warnpfiff aus, und Balaen rief: „Ein Pfeil!“ Da war das Brandgeschoss auch schon heran, und der Held aus den Wolken, auf den es zuhielt, fing es reflexhaft mit dem Hylia-Schild ab. „Wir werden angegriffen!“ Kaum, dass er dies erkannte, zog er das Schwert, und Leo löste sich aus seiner Starre und tat es ihm gleich. Wie sie es die letzten Tage mehrfach erprobt hatten, stellten sich die beiden Ritter mit den Schultern ihrer Hinterhand zueinander, Balaen den Schild schützend vor sie beide gereckt. Alarmiert hielten sie Ausschau in die Richtung, aus der der Pfeil herbeigeflogen war.

Doch in den umliegenden Grashügeln regte sich nichts mehr. Die Nacht war friedlich wie zuvor.

In diese akustische Leere brüllte Leo über die Ebene: „Zeig dich, mieser Feigling!“

„Schaut mal hier …“, meldete sich Virri zu Wort.

„Was denn?“, keifte der Hitzkopf ihn an.

Der kleine Krieger hatte zwar auch das Schwert gezogen, sich aber nicht der Abwehrbereitschaft seiner älteren Partner angeschlossen und es unter den Gürtel geschoben. In den freien Händen hielt er etwas. Der Feuerpfeil war beim Aufprall auf Balaens Schild erloschen, doch im Lichte der Schwerter der Vier war mehr als genug zu erkennen. Auch wenn die Ritter ihre Waffen nicht wieder einsteckten, traten sie neben das grüngewandete Original, während die Doppelgänger ihnen Platz machten. Das Heldentrio begutachtete das einfache Blatt Papier, das mit einigen Zeilen offensichtlich hastig und doch deutlich gesetzter Schriftzeichen beschrieben war.

„Wo hast du das her?“, fragte Leo Virri.

„Das war an den Pfeil gebunden“, informierte der kleine Krieger mit einem Fingerzeit auf den im Gras liegenden Schaft.

„Scheint ein Brief zu sein“, überlegte Leo laut.

„Das ist mir auch durch den Kopf gegangen“, meinte Balaen nachdenklich. „Aber ich kenne diese Schrift nicht.“

„Zuhause habe ich ein Buch, das diese Zeichen übersetzt.“ Ratlos hob der Abenteurer die Schultern. „Aber auswendig weiß ich es nicht.“

Mit finsterer Miene sponn Balaen weiter: „Von wem er ist, kann ich mir aber schon denken …“

„Ich bin der Held der Zeit“, rezitierte Virri den ersten Satz des Schreibens souverän.

„Held der Zeit?“, wiederholte Leo. „Das kenn ich doch irgendwo her …“ Kurz grübelte er. „Ist das nicht dieser komische Heldentitel, der mir in der Stadt eingefallen ist?“

„Wusste ich es doch“, ließ Balaen verlauten. „Dieser Brief ist von Link!“

Sofort widersprach der heißblütige Hylianische Ritter: „Das kann nicht sein! Die Prinzessin hat doch gesagt, dass er sich gestellt hat.“

Balaen seufzte. „Glaubst du das wirklich noch?“

„Na, aber sicher!“, verkündete Leo mit dem Brustton der Überzeugung.

„Deine ritterliche Loyalität ehrt dich, aber überleg doch mal: Link steht knapp vor dem Ziel – warum sollte er sich jetzt noch stellen? Und der Wolf, den wir gerade gehört haben, war gewiss kein wildes Tier. Dafür sind wir zu nahe an der Zivilisation.“

Anstatt weiter dagegen zu halten, überdachte Leo tatsächlich stumm die aufgezählten Indizien und zog endlich die richtigen Schlüsse daraus. Der Held aus den Wolken schwieg, überließ den königlichen Ritter seiner berstenden Illusion von der Glaubwürdigkeit Prinzessin Zeldas.

„Und wenn schon“, argumentierte Leo kategorisch weiter, obwohl ihm sehr wohl bewusst war, dass Balaen recht hatte. „Warum denkst du, er hätte dieses Held der Zeit geschrieben?“

„Wer sonst sollte einen Brief an uns so einleiten?“, gab Balaen zu bedenken.

„Wo soll er diesen Titel schon her haben? Er hat nie seine Heldentat vollbracht!“

„Vielleicht trägt er ihn in dem anderen Zeitstrom“, vermutete der Ritter aus der Vergangenheit. „Oder er hat ihn sich selbst gegeben, eben weil er der Held ist, mit dem die Zeit aufgespalten wurde.“

Genervt davon, dass die beiden sich schon wieder in ein Streitgespräch verstrickten, fragte Virri dazwischen: „Wollt ihr nicht wissen, was sonst noch hier steht?“

Eigentlich setzte Leo dazu an, den kleinen Krieger zurechtzuweisen, er solle sich nicht einmischen, als ihn etwas anderes stutzig machte. „Moment mal!“, rief er überrascht aus. „Du kannst das lesen?“

Auch Balaen horchte jetzt auf. Virri warf Blicke zwischen den beiden hin und her, nickte schließlich. „Ich hab doch auch in Hyrule-Stadt alles lesen können“, erinnerte er die Ritter.

„Na dann, worauf wartest du?“ Auffordernd stupste Leo den kleinen Krieger mit dem Ellenbogen an. „Lies weiter!“

Die drei beugten sich über den Brief – wobei Balaen weiter wachsam die Umgebung sondierte – und lauschten seinem Inhalt.

- „Hol dein edles Instrument hervor und spiele das Lied nach, das ich vortragen werde.“ – Eins zu Eins ein Zitat aus Majora’s Mask, in dem der Maskenverkäufer ja eine große Rolle spielt.

Ohne ihre Reifenkrone auf dem Haupt, ohne die obligatorische Begleitung durch ihre Leibwächter, lustwandelte Prinzessin Zelda durch die Gärten von Schloss Hyrule. Es war nicht einfach gewesen, der Aufmerksamkeit der beiden gewissenhaften Soldaten zu entkommen; dazu hatte sie sich einer kleinen Schattenillusion bedienen müssen, die sie einst von Impa gelernt hatte.

Wozu brauchte sie schon die Gardisten um sich? Was sollte ihr hier schon geschehen, umgeben von Palastmauern, die jedem Angriff von außen unverrückbar standhielten, und mit all den Wachen, die darauf und dazwischen patrouillerten? Die Königliche konnte sich vorstellen, wie Hendrik, kaum, dass er merkte, dass sie verschwunden war, sogleich Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um sie zu suchen. Doch bis man sie auch fand, blieb seiner Schutzbefohlenen wenigstens ein bisschen Zeit für sich allein. Die hatte Zelda auch dringend nötig; im Gegensatz zu den Gardisten verstand Impa das immer. Über den Tag wünschten stets irgendwelche Minister, Vorgesetzten oder Sendboten, die Regentin zu treffen, obwohl diese ihre eigentliche Aufmerksamkeit nur einer Sache widmen wollte.

Soeben hatte sie Amira verabschiedet, die sich von ihren Verletzungen und dem Schock über den Anschlag einigermaßen erholt hatte. Natürlich hatte ihr die hylianische Prinzessin weiterhin ihre Gastfreundschaft angeboten, doch die Gerudo hatte dankend abgelehnt. Eine Nachricht war im Schloss eingetroffen, dass die Verteidigung der Festung, die Amiras Kameradinnen und die ihnen verbündeten Soldaten Hyrules aufgenommen hatten, gegen Ganondorfs Anhängerinnen sogar einigermaßen erfolgreich verlief. Das hatte die junge Wüstenrkiegerin dazu beflügelt, trotz noch nicht ganz verheilter Wunden hinzureisen und beim Wiederaufbau zu helfen, der voraussichtlich bald erfolgen sollte. Obwohl die gerade beginnende Nacht ihr samtenes Tuch über das Königreich gelegt hatte, hatte sie nicht weiter säumen wollen, und war mit ihrem geliebten Wüstenrappen gen Westen aufgebrochen.

Wenngleich sie Amira nie begegnet waren, so bewiesen auch Prinzessin Zeldas berufene Helden eine ähnliche Entschlossenheit für ihre Aufgabe. Unablässig hatten sie die letzten Tage an einer Taktik gefeilt, die das volle Potential aus ihnen und ihrer Ausrüstung rausholen sollte. Welche Schwächen ein einzelner von ihnen auch immer haben mochte, wurden sie durch die Stärken seiner beiden Gefährten ausgeglichen. Endlich bauten sie aufeinander, wie ihre Beschwörerin das von Anfang an gewollt hatte. Einen besseren Zusammenhalt konnten sie als Dreiergespann nicht mehr aufbringen. Wenn dies nicht ausreichte, Link das Handwerk zu legen, würde es gar nichts.

Aber es musste gelingen. Nach dem Angriff auf die Gerudo-Festung war Zelda gewillter denn je, dem kriminellen Helden den Prozess zu machen und ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen. Dafür musste er selbstverständlich überleben. Deswegen hatte sie vor einigen Tagen demjenigen die Lichtpfeile gegeben, der in der Lage war, ihre wahre Macht zu erwecken. Demjenigen, der nichts unversucht lassen würde, um den abtrünnigen Helden zu stoppen, aber gleichzeitig entschlossen war, beim Gebrauch der magischen Geschosse Links Leben nicht in Gefahr zu bringen.

Balaen scheiterte bereits an dem ersten Kriterium: Zwar kämpfte er durchaus noch mit, was Zelda ihm hoch anrechnete, doch war er nicht mit ganzem Herzen bei der Sache; was er wollte, war, Link so schnell wie möglich zu fassen, um dann wieder nach Hause zurückkehren zu können. Im Vergleich zu dieser Einstellung war Leo geradezu übertrieben rechtschaffen, sah in Link nur den Mörder, den er bei seiner Ehre als Hylianischer Ritter aufhalten musste; dem Befehl der Prinzessin, Rücksicht zu nehmen, würde er ohne Zweifel Folge leisten, dennoch änderte das nichts an seiner Grundeinstellung. Allein Virris Gewissen war rein und unbedarft genug, die Wirkung der Lichtpfeile in dem benötigten Maße zu verstärken und in die rechten Bahnen zu lenken, um Link von jedwedem dämonischen Einfluss zu erlösen. Ohne dabei den Menschen unter der Maske zu gefährden.

Im Moment befand sich das Heldentrio in der Zitadelle der Zeit. Da ihre gemeinsamen Übungen vollendet waren, bestand kein Grund mehr für sie, länger im Palast zu verweilen. Außerdem waren sie so gleich an Ort und Stelle, wenn Link von den soldatischen Spionen in der Stadt gesichtet werden sollte.

Auf ihrem Spaziergang durch die Schlosshöfe erreichte Prinzessin Zelda jenen kleinen Garten, der ihr von allen der liebste war. Unter einen kurzen Bogengang hindurch gelangte sie auf ein kreisrundes Rasenstück, umgeben von einem flachen Bächlein wie von einem schützenden Wehrkanal um eine Festung. Sein leises Plätschern unterstrich die Ruhe, die die umrahmenden Mauern gegen das geschäftige Treiben des Herrschersitzes von Hyrule abschirmten. Verträumt schritt Zelda über die kurze Brücke, die über den Wasserlauf führte, und atmete tief den herbsüßen Duft ein; über den Tag hatte er sich hier gesammelt und war noch nicht verflogen, weil die abendliche Brise nicht in das geschlossene Gärtchen Einzug halten konnte. Die Quelle dieses Geruchs waren die Lilien, die in zwei sorgsam von der Wiese abgetrennten Parzellen gediehen und die eleganten gelben Blüten zum Schlaf hängen ließen.

Hier war Prinzessin Zelda endlich wirklich ganz für sich allein, konnte alle ihre Verpflichtungen und die Sorgen der Welt für einige Augenblicke ausblenden. Seit sie ein Kind war, suchte sie diesen Garten gerne auf. Damals jedoch, weil sie so ihrem vielbeschäftigten königlichen Vater nahe hatte sein können. Gemächlichen Schrittes durchmaß die Tochter des Herrschers von Hyrule den Liliengarten, bis sie auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite eine Terrasse erreichte, die sich über dem Wasserlauf erhob. Flankiert wurde das Podest von zwei kegelförmigen Buchsbaumsträuchern, zwischen denen die Besucherin nun hindurchtrat. Ein bodennahes Fenster, über dem ein Triforce-Symbol in die Wand eingearbeitet war, gewährte Einblick in den Thronsaal.

Wie oft hatte Zelda hier gestanden, um ihren Vater bei seinen Audienzen zu bespitzeln … Ihr kurzzeitiges nostalgisches Lächeln wich einer unvermittelt eisernen Miene, als sie an Ganondorf dachte. Eben durch dieses Fenster hatte sie den verräterischen König der Gerudo das erste Mal beobachtet, wie er dem Herrscher von Hyrule seine scheinheilige Treue geschworen hatte. Schon damals hatte die kleine Prinzessin ihm nicht getraut, und schließlich hatte sich ihr Argwohn auf schreckliche Weise bewahrheitet. Das war nun schon so lange her …

Ein flüsterleises Rascheln erklang hinter ihr, als jemand auf den Rasen trat. Resigniert gestand sich Zelda ein, dass die kurze Zeit ihres Alleinseins bereits vorbei war, denn einer ihrer Leibgardisten hatte sie gefunden. Dann aber musste sie stutzen, denn wie konnte es sein, dass sie lediglich die Schritte im Gras gehört hatte, nicht auch das verräterische Scheppern von Rüstungsteilen?

Verwundert drehte Zelda sich um – und legte überrascht die Hand vor den Mund, als sie erkannte, wer wirklich im Bogengang stand.

Für einen Moment wirkte er auf sie ganz wie bei ihrer letzten Begegnung vor sieben Jahren. Doch Prinzessin Zelda merkte schnell, dass das nur eine Täuschung war, geboren aus dem Spiel schwindenden Abendlichts und ihrem eigenen Wunschdenken. Als er aus den Schatten trat, wurde nur zu deutlich, wie sehr er sich von dem Bild von ihm, das sie noch immer in ihrem Herzen trug, unterschied: Eingefallene, ja hohle Wangen verzerrten seine ebenmäßigen Gesichtszüge, das Haar unter der grünen Mütze war trocken und ausgeblichen wie Stroh – beides Anzeichen von Wochen, wenn nicht gar Monaten der Mangelernährung. Die vielfach geflickte Tunika hing ihm faltig am Leib, als hätte er nicht die passende Statur, sie richtig auszufüllen, zudem war sie an den Säumen fadenscheinig. Auch das Leder von Handschuhen und Stiefeln wirkte abgenutzt und fleckig. Wem sich Zelda hier gegenübersah, war in seiner Erscheinung nicht viel mehr als ein Landstreicher, der sich wie ein Held kleidete. Der verbissen versuchte, sich selbst nachzueifern, und kläglich daran scheiterte.

Noch ein paar Schritte ging er durch das Gras, diesmal, ohne einen weiteren Laut zu verursachen, als sei er ein Geist. Dass Zelda ihn zuvor überhaupt gehört hatte, konnte demnach nur in seiner Absicht gelegen haben. Ohne sie weiter zu beachten, ließ er den Blick durch den Garten schweifen, in dem sich die beiden als Kinder das erste Mal begegnet waren. Von dem umgebenden Wasserlauf, über die schlafenden Lilien bis hin zu einem Fenster in der Schlosswand. Hier verharrte er einen Moment, und amüsiert über eine ferne Erinnerung hob er die Augenbrauen, seine Mundwinkel zuckten ein wenig nach oben zu einem unscheinbaren Lächeln. So unpassend kindisch und naiv war dieser Ausdruck seiner stummen Gedanken, dass sich Prinzessin Zelda um Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt fühlte.

Insgeheim wünschte sie sich, er möge sagen, dass alles nur ein Missverständnis sei. Dass die Morde, die ihm angehängt wurden, jemand begangen hätte, der sich als er ausgab, oder dass es sich dabei nur um das blendende Zauberwerk einer dunklen Macht handelte. Und dass er gekommen sei, diese Angelegenheit zu berichtigen.

Aber das würde nicht geschehen. Dies war nicht der Held, den sie kannte, den wiederzutreffen sie sich all die Jahre herbeigesehnt hatte. Und leider war er es eben doch.

Zelda kämpfte den in ihr tobenden Gefühlssturm nieder, bemühte sich um eine feste Stimme. „Was willst du hier, Link?“

Seine Rundschau durch den Garten abschließend, wandte er sich endlich ihr zu. Auch wenn er nun nicht mehr lächelte, blieb sein Gesichtsausdruck offen und freundlich. Die Prinzessin fragte sich, ob er sie absichtlich aus dem Konzept zu bringen gedachte – jedenfalls gelang es ihm zumindest so weit, dass sie zunächst keine weiteren Worte mehr fand, obwohl sie ihm am liebsten tausend Anschuldigungen an den Kopf geworfen hätte.

Wie sie ohne eine Begrüßung, meinte Link: „Als ich das letzte mal hier war, sagtest du, ich sei jederzeit willkommen.“

Freilich erinnerte sich sein Gegenüber nicht daran, hatte dieses Versprechen doch jene Prinzessin gegeben, der dieser Körper gehörte, und nicht das fremde Bewusstsein, das sich dessen bemächtigt hatte. Ihr fiel nun auf, dass Link nicht bewaffnet war; weder Schwert noch Schild trug er bei sich, nur jene einem Fanghaken ähnliche Apparatur, von der auch das Heldentrio berichtet hatte.

Weil sie nicht glaubte, dass jenes Versprechen, auf das Link eingegangen war, noch eine Bedeutung hatte, sagte Zelda nichts dazu. „Wie lange schleichst du schon durchs Schloss? Hast du die drei ausspioniert?“

„Ich könnte sie aus dem Hinterhalt töten, wenn ich Bedarf daran hätte“, behauptete Link gelassen, was keine eindeutige Antwort auf den Vorwurf der Prinzessin war. „Ich bin hier, weil ich einige Fragen habe, die ich beantwortet sehen will, bevor ich dies zu Ende bringe.“ Offensichtlich war er davon überzeugt, dass ihm das auch gelingen würde.

Hoheitsvoll hob die Regentin das Kinn. „Dann stelle sie!“

Auf eine entsprechende Aufforderung ihrerseits hatte Link natürlich nicht gewartet. „Deine drei Kopfgeldjäger … Wo hast du sie angeheuert?“, wollte er wissen. „Hyrule-Stadt? Kakariko? Oder haben sie gar etwas mit den Kokiri zu tun?“ Diese Vermutung lag für ihn logischerweise nahe, denn die grüne Mütze und Tunika kannte er ausschließlich als die Kleidung der Kinder des Waldes, unter denen er aufgewachsen und daher genauso gewandet war.

Wahrscheinlich hatte er bereits alles über ihre Berufenen in Erfahrung gebracht, was das Palastpersonal wusste, und wollte Zelda jetzt nur auf die Probe stellen, ob sie ihm die Wahrheit verraten würde – was sie natürlich nicht vorhatte. „Sie sind Helden wie du, aber aus anderen Welten“, tischte sie ihm also dieselbe Lüge auf, die im ganzen Schloss und zum Teil darüber hinaus im Umlauf war.

„Andere Welten? Ist das so …“, sagte der Held der Zeit, hob die Augenbrauen, was sowohl gespieltes Überraschen wie auch Skepsis ausdrücken mochte. „Wenn sie wie ich sind, erklärt das, warum sie sich mir so lange erwehren konnten. Aber letztendlich hat ihnen das auch nichts gebracht“, fügte er hinzu ohne die geringste Spur von Überheblichkeit. „Sie mögen sich für eine Rotte erfahrener Jagdhunde halten, doch könnten sie nicht einmal eine Herde Ziegen hüten.“

„Wage es nicht, schlecht von ihnen zu reden!“, mahnte die Prinzessin aufgebracht. „Jeder einzelne von ihnen ist mehr Held als du!“

Ganz im Gegensatz zu ihr sehr ruhig erwiderte Link: „Meinst du damit den überanalysierenden Zauderer oder den kanophobischen Koleriker?“ Dass er Balaens und Leos Charakterschwächen so genau einschätzen konnte, mochte ein Beweis dafür sein, dass er sie tatsächlich beobachtet hatte – und wenn er das nicht getan hatte, für seine Auffassungsgabe, die so scharf sein musste, dass er nur zwei Begegnungen mit ihnen gebraucht hatte, um sie kennenzulernen. In der Auflistung Heldentrio fehlte noch ein Mitglied, dem sich Link nun widmete: „Nur der leichtherzige Naseweis ist mir für einen Moment wirklich gefährlich geworden.“

„Scheinbar weißt du alles über die drei“, stellte Zelda trocken fest. „Dein Besuch hat seinen Zweck also erfüllt.“ Sie machte eine abweisende Geste. „Verlasse nun das Schloss, sonst rufe ich die Wachen!“ Durchaus war ihr bewusst, dass dies keine wirksame Drohung war, doch sie hatte genug davon, dass Link diese Konversation beherrschte. Sie war hier diejenige mit königlichem Blut!

Dennoch blieb Link völlig ungerührt. Kryptisch sprach er: „Ich kann noch nicht gehen. Ich habe die drei kleinen Schlüssel. Mir fehlt noch der Master-Schlüssel …“

Das hatte sich Zelda schon gedacht: Er war nicht einfach nur gekommen, um sich über seine Jäger zu unterhalten. Wie die Beschwörerin ihnen an Virris Krankenbett erzählt hatte, brauchte Link die drei Heiligen Steine, um die Geheimkammer in der Zitadelle der Zeit zu öffnen, aber das war nicht die ganze Wahrheit. Es war noch ein weiterer sakraler Gegenstand vonnöten – jenes Musikinstrument, das Impa Link vor ihrem Tod hatte rauben können, mit dem Prinzessin Zelda anschließend die drei Helden herbeigerufen hatte: Die Okarina der Zeit.

Zelda war klar gewesen, dass Link, bevor er in die Zitadelle ging, erst vor ihr erscheinen würde, um zurückzufordern, was sich die letzten sechs Jahre in seinem Besitz befunden hatte. Vermutlich hatte er bislang noch nicht zugeschlagen, weil ihre Berufenen immer in unmittelbarer Nähe gewesen waren. Sie hatte die drei nicht nach Hyrule-Stadt geschickt, um Link zu einer Aktion zu bewegen, sondern um der dreien eigenen Willen: Unmöglich hätte sie sie noch länger in ihrem Innenhof einpferchen können.

Indes hatte Zelda aber auch nicht damit gerechnet, dass Link sofort handeln würde, kaum, dass seine Feinde fort waren. Noch hatte sie nicht mit sich selbst ausgemacht, was sie jetzt tun sollte, denn ihre Pläne waren nie so weit gegangen, dass sie einander auf diese Weise begegneten. Stets hatte sie darauf spekuliert, dass er schon früher gefasst werden würde; erst von Impa, dann vom Heldentrio. Sie konnte ihm die Okarina der Zeit doch nicht einfach so überlassen!

Nachdenklich senkte Link nun den Blick. „Dabei habe ich dir zugetraut, du würdest durchschauen, was ich vorhabe …“ Offenbar ging er nun von dem Gegenteil aus aufgrund ihrer scheinbaren Ahnungslosigkeit, aus der sich ihr derzeitiges Schweigen speiste.

Sofort versetzte Zelda: „Das habe ich durchaus!“ Als Link wieder aufmerksam aufsah, fügte sie hinzu: „Auch wenn ich zugegeben lange gebraucht habe, bis ich die Wahrheit herausfand. Nach deinem Mord an Ruto dachte ich zunächst, du wolltest wirklich einen Krieg zwischen den Hylianern und den Zora verursachen, in dem du dich als Held hervortun könntest.“ Das hatte sie schließlich auch als Notlüge über Links Beweggründe gegenüber den drei Helden behauptet.

„Warum sollte ich einen Krieg in Hyrule wollen?“, warf Link hart dazwischen. „Ich bin kein Ritter.“

„Die Zora sind vernünftig genug, dass sie mit ihren Verbündeten keinen Krieg führen. Das weißt du zweifellos“, gestand Zelda ihm zu. „Dass das also nicht deine Absicht hat sein können, habe ich endgültig erkannt, als du auch Darunia getötet hast. Seitdem sind zwar manche Goronen nicht gut auf uns Hylianer zu sprechen, aber ihr Volk ist viel zu friedliebend für größere Konflikte … Doch wenn nicht ihrer politischen Stellung wegen, warum solltest du die beiden dann ermorden?“

In Prinzessin Zelda kochte die Wut der letzten Wochen hoch, genährt von grenzenloser Enttäuschung, die ihr die Kehle zuschnürte. „Darunia hat dich zu deinem Bruder ernannt. Das ist die höchste Ehre, die ein Gorone verleihen kann! Und Ruto hat dich geliebt, obwohl ihr nicht einmal derselben Rasse angehört!“ Ihre Stimme brach; die folgenden Worte gestalteten sich nur noch als tonloser Hauch. „Wie konntest du den beiden das nur antun?“

Link wich ihrem vorwurfsvollen Blick aus. „Sie sind meine Freunde, das ist wahr. Aber nicht auf dieser Seite der Zeit. Hier kennen sie mich nicht.“

In Zeldas Augen brannten Tränen, die sie unter ungeheurer emotionaler Anstrengung daran hinderte, sich darin zu sammeln, und rief aufgebracht: „Und was ist mit Salia? War sie für dich auch nur eine Fremde?!“

Jetzt starrte der abtrünnige Held sie an, noch nicht geschockt, doch hatte die undurchdringliche Fassade seiner Gelassenheit einen haarfeinen Riss bekommen. „Du weißt von Salia?“, fragte er und klang dabei tatsächlich bestürzt.

„Ich bin die Weise der Zeit, Link“, erinnerte sie ihn. „Ich kann mit den anderen Weisen aus jeder Entfernung in Kontakt treten. Und Salia habe ich seit Tagen nicht erreicht. Seit du in den Verlorenen Wäldern gewesen bist!“ Die unabwendbare Schlussfolgerung, die sich daraus ergab, hatte sie bislang nicht wahrhaben wollen; erst Links Reaktion soeben hatte ihr schreckliche Gewissheit geliefert. „Sie war deine Kindheitsfreundin!“, klagte Zelda ihn weiter an. „Von all deinen Verbrechen ist dies das schlimmste.“

Wieder ließ Link den Kopf sinken. Der voranschreitende Abend hüllte sein Gesicht in undurchschaubare Schatten.

Prinzessin Zelda glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. War das etwa Reue?

Aus ihrer Beobachtung zog sie die Kraft, weiter auf ihn einzureden. „Du hast mit Ruto und Darunia begonnen, um mich in die Irre zu führen. Leider hattest du damit auch Erfolg. Deswegen bin ich erst nach Salias Tod auf die Idee gekommen, es könnte dir nicht um die Heiligen Steine gehen, sondern um die Weisen.“

Als Link den Blick wieder zu ihr hob, hatten seine Züge einen undeutbaren Ausdruck angenommen. „Du hast Naboru vor mir gewarnt“, vermutete er.

Abweisend bestätigte die hylianische Regentin: „Oh ja, das habe ich!“

Daher hatte die Generalin die Gerudo-Festung in Alarmbereitschaft versetzt, wie Amira es berichtet hatte. Während die zuständigen Kriegerinnen die nötigen Vorkehrungen gegen einen Feind ihnen unbekannter Identität getroffen hatten, war Naboru in Begleitung einiger weniger Eingeweihter heimlich geflohen – auch wenn ihr unerschütterliches Kämpferinnenherz ihr verboten hatte, ihre Kameradinnen im Stich zu lassen. Verspätet hatte Zelda davon erfahren, dass Naboru noch am Leben war, nachdem Amira ihr schon längst vom Angriff auf die Festung erzählt hatte. Die Weise der Geister hatte auf einen ruhigen Moment gewartet, der Prinzessin die Nachricht übermitteln zu können.

Links Augen weiteten sich geringfügig. „Wenn du dich mit ihr in Verbindung setzen kannst, … weißt du dann auch, wo sie ist?“, erkundigte er sich wissbegierig.

Tatsächlich hatte Naboru Zelda mitgeteilt, sie und ihre Eskorte hätten in der Wüste in einer Oase, fern der Festung Zuflucht gesucht, ihr jedoch nicht genau gesagt, wo sie sich aufhielt. Und selbst wenn dem so wäre, hätte Zelda es Link wohl kaum verraten. Da der abtrünnige Held dies zweifellos ahnen musste, konnte er diese Frage unmöglich ernst gemeint haben. Daher überging die Prinzessin sie einfach.

„Danach habe ich viel über deine Motive nachgedacht. Was du mit den Weisen zu tun hattest und inwiefern dich das zu dieser Mordserie antreiben könnte.“ Zelda schwieg für einen Atemzug. „Zunächst nahm ich an, es könnte Rache an ihnen sein. Rache, weil sie dich davon abgehalten haben, zum Helden zu werden, wie es dir bestimmt war.“

Vor sieben Jahren hatte Ganondorf den König von Hyrule stürzen wollen, wäre wahrscheinlich irgendwann wie in einem anderen Zeitstrom zum Dämon Ganon geworden, den schließlich nur ein Held hätte bekämpfen können. Die damaligen Weisen hatten den Gerudo hinrichten sollen, noch bevor dies geschah, und auch wenn es schiefgelaufen war, hatten sie ihn letztendlich ins Heilige Reich verbannt. Daher waren Links heroische Fähigkeiten nicht vonnöten gewesen. Der Herrscher von Hyrule und seine Tochter hatten sich dieserzeit dazu entschieden, nicht publik zu machen, welche Rolle der Junge aus dem Wald bei der Festnahme und dem Verfahren gegen den Landesverräter Ganondorf gespielt hatte. Das hatten sie getan wegen jenen Gerudo, die ihrem König, den sie für tot hielten, noch immer treu ergeben waren. Die echte Prinzessin hatte damals gefürchtet, die Wüstenkriegerinnen könnten Link aufspüren und ihn büßen lassen für seine Aussage gegen ihren König.

Also hatten die Weisen den Auserwählten nicht nur nicht unterstützt, wie es eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre, sie hatten auch einen nicht unwesentlichen Teil der seinen übernommen. Daher hatte Link in den letzten Jahren kaum einen Verbündeten oder Freund gehabt. Er war gezwungen gewesen, ganz allein die Stärke zu erlangen, die ihn jetzt so gefährlich machte – und nun mussten jene den Preis dafür zahlen, die ihn einst abgewiesen hatten.

An das, was sie zuletzt gesagt hatte, knüpfte Zelda an: „Aber wirklich geglaubt habe ich das nicht. Dich rächen zu wollen, wäre nur allzu simpel. Dann erfuhr ich von deinem Angriff auf die Gerudo-Festung.“

„Was dort geschehen ist, ist völlig außer Kontrolle geraten“, unterbrach Link sie matt. Ohne Schuldgefühle, nur mit Bedauern, als sei von einem Unglück die Rede, von dem er nur gehört hatte, aber nicht weiter daran beteiligt gewesen war. „Als ich merkte, dass ich erst einmal nicht mehr an Naboru würde rankommen können, wollte ich gehen, um es später zu versuchen. Aber ich wurde von Gerudo-Kriegerinnen gestellt … Nicht einmal als Wolf konnte ich ihnen entkommen. Sie waren einfach zu viele …“ Auch wenn es schien, als würde er sich gerade zu einer Rechtfertigung erniedrigen, war es wohl eher als nüchterne Erklärung für sein Verhalten gemeint.

„Also musstest du auf eine mächtigere Verwandlung zurückgreifen, um sie kurzerhand zu dezimieren“, schloss Zelda für ihn.

An ihrer Statt fuhr Link fort: „Ich habe nicht erwartet, dass es funktionieren würde. Normalerweise wirkt das Gesicht der grimmigen Gottheit nur, wenn ich mich sehr starken Gegnern stellen muss oder in Lebensgefahr schwebe … und beides war in der Festung nicht der Fall.“

Freudlos lachte die Prinzessin auf, verschränkte die Arme, um ihren Kummer zu verbergen. „Warum hast du es dann überhaupt probiert, wenn du dachtest, es werde ohnehin fehlschlagen?“

Eindringlich sah Link sie an, und sie erstarrte innerlich. „Seit ich in den Wäldern gegen deine drei Jagdhunde gekämpft habe, hat sich irgendwas verändert. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich kann die grimmige Gottheit seitdem viel leichter heraufbeschwören als jemals zuvor. Nur das, was danach kommt, kann ich noch immer nicht kontrollieren. Ich wollte nicht, dass er so viel Schaden anrichtet, aber …“

„Ich weiß sehr genau, was es mit der grimmigen Gottheit auf sich hat!“, fuhr Zelda ihm über den Mund, woraufhin er nur die Augenbrauen anhob und den Kopf leicht schief legte, um ihr genauestens zu lauschen.

Die drei Helden aus anderen Zeiten mochten diese seine Verwandlung als Dämon bezeichnen, doch der Geist, der in der Maske eingeschlossen war, schien eher göttlicher Natur zu sein, auch wenn Zelda nicht endgültig klar war, woher er stammte. Diesem Bewusstsein, das weder gut noch böse war, überließ Link, wenn er Gebrauch von jener Maske machte, gewissermaßen seinen Körper. Dies war keine Form der Besessenheit wie bei der echten Prinzessin und dem fremden Bewusstsein, ließ sich damit aber durchaus vergleichen. Das Ziel, das Link der grimmigen Gottheit eingab, verfolgte diese dann und beseitigte in Zuge dessen alles, was sich ihr in den Weg stellte – wie es auch im Wald und in der Wüste geschehen war. Oder im Gebirge mit Impa.

„Dass du mit dieser Maske nicht du selbst bist, ist keine Entschuldigung für die vielen Toten in der Gerudo-Festung“, sprach Prinzessin Zelda ungnädig. „Es war trotzdem deine eigene, bewusste Entscheidung, sie aufzusetzen, dich damit zu verwandeln. Du hast die Konsequenzen riskiert und warst bereit, diese Opfer zu machen.“

Weiterhin gab sich Link unbeteiligt. „Wenn sie nicht versucht hätten, mich gefangen zu nehmen, wäre es nicht passiert.“

„Ihre Festung und ihre Generalin zu verteidigen, ist ihre Pflicht!“, schmetterte Zelda zurück.

Überraschend niedergeschlagen stellte der abtrünnige Held fest: „Du suchst die Schuld unbedingt bei mir.“

„Natürlich! Bei wem denn sonst?!“, brauste die Regentin mit belegter Stimme auf. Die Antwort darauf konnte sie sich allerdings gleich selbst geben: Bei sich selbst. Hätte sie Naboru nicht vorgewarnt, wäre Link wahrscheinlich so unerkannt in die Gerudo-Festung eingedrungen wie heute Abend in Schloss Hyrule. In aller Ruhe hätte er das Attentat auf die Weise der Geister verübt. Anschließend wäre er wieder verschwunden, ohne noch jemanden auch nur zu verletzen. Gewiss wäre dieser Ausgang auch Naboru selbst lieber gewesen.

Unwirsch verdrängte Zelda diesen Gedanken, denn er bedeutete, Mitgefühl mit Link zu haben, und genau das musste sie vermeiden.

„Dieser Anschlag hat mich stutzig gemacht“, kehrte sie zum Kernthema zurück, „denn wenn du dich an den Weisen rächen willst, warum solltest du so viele Unbeteiligte töten, anstatt zu warten, bis du besser an Naboru herankommst? Woher diese Ungeduld? Macht dich die Anwesenheit dreier anderer Helden nervös? Bei den Zora und Goronen bist du auch nicht so drastisch vorgegangen, obwohl auch diese versucht haben, dich aufzuhalten.“

Schweigend kratzte sich Link beiläufig unterm Ohr.

„So makaber es auch klingt“, fuhr die Prinzessin nun wieder mit sichererer Stimme fort, „ein Gutes hat dein Massaker in der Festung: Es hat mich dazu bewogen, mithilfe der Okarina der Zeit in deine Vergangenheit zu blicken.“

Davor, dies zu tun, war sie bislang stets zurückgeschreckt, weil sie nicht erpicht darauf gewesen war, Links Beweggründe nachzuvollziehen, mit ihm zu fühlen oder ihm gar zu verzeihen. Und sie hatte Angst davor gehegt, dass ihr die eigene Verantwortung in dieser Angelegenheit aufgezeigt werden würde – zurecht, denn tatsächlich hatte sie deswegen die vergangenen Nächte kaum geschlafen. Aber letztlich hatte ihr ihre Wissbegier über das, was einen Helden derart verderben konnte, die nötige Entschlossenheit verliehen. Durch die Okarina der Zeit also hatte die Weise der Zeit alles zu Gesicht bekommen, was Link gesehen hatte, nicht aber, was er dabei gedacht und gefühlt hatte, und auch nur, sofern er das mystische Instrument bei sich getragen hatte. Das schloss auch seine verschiedenen Verwandlungen mit ein.

Nun wusste Zelda bescheid über seine Suche nach seiner Fee Navi, auf der er sich allein auf sein Pferd Epona hatte verlassen können; über seine albtraumhaften Erlebnisse in Termina, seine Zeit bei den Rittern und unter Wölfen; über die letzten zwei Jahre, in denen er mental darum gekämpft hatte, des Gesichts der grimmigen Gottheit Herr zu werden – wenngleich sie dies nur diffus rekapitulieren konnte, da diese Bemühungen allein in seinen Gedanken stattgefunden hatten. Die Morde an Ruto, anschließend an Darunia hatte die Prinzessin um ihren eigenen Seelenfrieden nicht genauer betrachtet.

Wie sie auch herausgefunden hatte, besaß Link eine ganze Menge Masken aus Termina; zweier von ihnen hatte er sich bedient, um sich in einen Zora und Goronen zu verwandeln und sich leichter in die jeweiligen Völker einzuschleichen. Diese beiden hatte er in geradezu ritueller Sentimentalität an den Tatorten hinterlassen. Dadurch hatte er sich selbst zu beiden Zeitpunkten als Hylianer enttarnt. Das stellte somit ein Fehlverhalten dar, das nicht mit dem Kalkül zu vereinbaren war, das sonst seine Handlungen bestimmte. Deswegen wollte Zelda gerne glauben, dass da noch ein Gewissen in ihm war, und hatte vorhin gehofft, es ansprechen zu können – vergeblich. Und sie meinte zu wissen, woran das lag.

Ihr Blick in die Vergangenheit hatte ihr auch gezeigt, dass Link tief in einem unbewohnten Waldgebiet weit im Nordwesten Hyrules ein Portal ins Heilige Reich entdeckt und es auch mehrfach durchschritten hatte. Ob er dabei dann auch Ganondorf begegnet war, konnte sie nicht eindeutig beweisen, weil er die Okarina der Zeit nicht in die Nebendimension mitgenommen hatte. Dennoch war sich die Prinzessin sicher, dass es so gewesen sein musste – und dass es nicht nur bei diesem bloßen Treffen geblieben war. Ganondorf musste ihn mit einem dämonischen Bann belegt haben – wie sonst sollte der Träger des Geists des Helden zu all diesen Gräueltaten fähig sein, wenn nicht unter dem Einfluss einer böswilligen Macht?

Die grimmige Gottheit war kein Dämon; die Lichtpfeile würden also keine Wirkung gegen die Maske haben, sollte Link sich damit verwandeln. Nein, Prinzessin Zelda hatte dem Heldentrio die magischen Geschosse überreicht in der Absicht, sie mögen Link von Ganondorfs dunklem Zauber befreien, auf dass er zu der Rechtschaffenheit eines wahren Helden zurückfände. Davon hatte sie die drei jedoch bewusst nicht in Kenntnis gesetzt. Insbesondere Virri musste in dem Glauben bleiben, gegen einen vollkommenen Dämon zu kämpfen. Ebensowenig durfte der kleine Schütze die Pfeile zur Reinigung auf Link als Mensch anwenden, da dies eine Trübung seines reinen Gewissens mit sich brächte und wiederum kontraproduktiv für den Lichtzauber wäre.

„Ich weiß jetzt alles über dich“, behauptete Zelda gegenüber ihrem gefallenen Helden, „was du planst und warum: Du beseitigst einen Weisen nach dem anderen, um Ganondorfs Kerker zu zerstören.“ Auf dass der Hexer nicht aus seinem Exil im Heiligen Reich ausbrach, hatten die neuen Sieben Weisen mit vereinten Kräften vor zwei Jahren ein Siegel erschaffen, das ihn an Ort und Stelle in Hyrules Paralleldimension festsetzte. Anfangs hatten sechs Säulen diesen von der echten Prinzessin Zelda gewirkten Zauber getragen, doch durch all die Morde waren es nur noch zwei. „Ich hätte früher darauf kommen sollen“, fuhr die Weise der Zeit bitter fort; Tränen verschleierten ihre Sicht bei dem Gedanken an ihre Vertraute, die Weise des Schattens. „Dann hätte ich dir Impa nicht in die Hände gespielt und alle Überlebenden in die Halle der Weisen gebracht. In Sicherheit.“

„Da wären sie auch nicht lange sicher gewesen“, meinte Link mit erschreckender Gewissheit. „Eigentlich hätten sie da eher in der Falle gesessen.“

Die Tränen fortblinzelnd, überging Zelda diesen Einwand. „Jetzt fehlen dir nur noch Naboru und Rauru. Wahrscheinlich wirst du später nochmal in die Wüste gehen. Jetzt aber bist du hier, um durch die Zitadelle der Zeit in die Halle der Weisen zu gelangen und dir Rauru vorzunehmen. Denn dazu hast du die Heiligen Steine doch gesammelt, um die Geheimkammer mit dem Portal zu öffnen, nicht wahr?“

Link erwiderte nichts, doch die Aufmerksamkeit, mit der er ihren Ausführungen zuhörte, zeigte ihr, dass sie Recht hatte.

„Vielleicht sollte ich dich tatsächlich so weit vordringen lassen“, überlegte sie laut. „Bestimmt hat das Master-Schwert die Kraft, dich von Ganondorfs Zauber zu befreien.“

Für einen winzigen Moment schwand Links unnahbare Offenheit, und er blinzelte überrascht. „Warte … Du denkst, Ganondorf hätte mich verzaubert?“

Verunsichert entgegnete die Prinzessin: „Ja. So hat er dich zum Schlüssel aus seiner Verbannung gemacht.“

„Warum hätte er das tun sollen?“, gab der Held zu bedenken. „Als ich bei ihm war, wusste er nicht einmal, dass ich ein Mensch bin.“ Dabei betrachtete er Zelda befremdet aus himmelblauen Augen, die wie Eis waren: kalt und klar.

In Zelda zerbarst all ihr guter Glaube, und sie musste sich mit aller Macht beherrschen, dass dieses Gefühl sie nicht auch in der Wirklichkeit zusammenbrechen ließ. Wenn Link nicht von dämonischem Einfluss besessen war, handelte und mordete er aus vollkommen eigenem Antrieb – die Lichtpfeile würden keinerlei Wirkung haben!

Statt fremdgesteuert hätte Zelda Link dann liebend gern einfach für wahnsinnig erklärt, aber dafür war sein Handeln zu kalkuliert. War es möglich, dass Ganondorf ihn statt mit Magie mit bloßen Worten manipuliert hatte?

„Du wirst keinen Erfolg haben, in die Halle der Weisen zu gelangen“, prophezeite Prinzessin Zelda bebend. „Das Master-Schwert wird einem Mörder niemals das Portal öffnen.“

Wie, als sinniere er über ihre Worte, legte Link den Kopf schief, saugte die Luft ein wie ein Raubtier, das Witterung aufnahm – und genau das war er auch, wie Zelda zu ihrem Leidwesen feststellen musste. „Du improvisierst“, erkannte er sehr richtig. Sie hatte keine Ahnung, ob das heilige Bannschwert sich ihm wirklich verweigern würde, war er doch noch immer der auserwählte Held. Was sie gesagt hatte, war nur ein kläglicher Versuch gewesen, an seine Vernunft zu appellieren. Den Blick gesenkt, entgegnete Link: „Wenn ich das Master-Schwert nicht ziehen kann, ist alles vorbei.“

Es entsetzte Zelda, dass er sich scheinbar jetzt schon damit abgefunden hatte, sollte er an dieser so wichtigen Stelle scheitern. „Und was ist mit Navi?“, fragte sie. „Du hast so lange nach ihr gesucht … Denkst du, sie wird jetzt noch zu dir zurückkommen?“

„Ich habe es aufgegeben, sie finden zu wollen“, sprach Link voll verdrängter Trauer, „weil ich erkannt habe, warum der Deku-Baum den Kokiri überhaupt Feen zur Seite stellt …“ Er schwieg für einen kurzen, bedeutungsschweren Augenblick. „Nämlich als Führung durch eine Welt, die sie nie begreifen werden, weil sie ewig Kinder bleiben. Ich hingegen habe aufgehört, ein Kind zu sein, in dem Moment, als ich meine Bestimmung erfüllt habe. Deswegen hat Navi mich verlassen …“

Bitter presste Zelda die Lippen aufeinander. Navi war aus seinem Leben verschwunden – und infolge dessen hatte er sich ohne die Leitung durch den guten Lichtgeist verirrt.

Nun sah er sie wieder an; in seinen Augen spiegelte sich die Melancholie von sieben langen Jahren. „Ich will nur korrigieren, was die Zelda von der anderen Seite der Zeit falsch gemacht hat.“

In tiefstem Bedauern flüsterte das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte: „Ich doch auch …“

Schnell fing sie sich wieder. Auf keinen Fall durfte sie sich dazu verleiten lassen, Mitleid mit ihm zu empfinden!

Ihr Herz war so voll von gerechtem Zorn, dass sie diese Unterhaltung nicht mehr weiterführen wollte. Verächtlich betrachtete sie ihr grüngewandetes Gegenüber, seine verlotterte, eingefallene Erscheinung, die sein Innerstes wiedergab. „Du bist nur noch der Schatten eines Helden. Ein Mörder, nicht besser als Ganondorf“, schmetterte sie Link die ärgste Anschuldigung entgegen, die man einem auserwählten Helden vorwerfen konnte. Ihre eigene leidenschaftliche Rede über Gut und Böse erinnerte sie unvermittelt an die Zeit, als sie ihm schon einmal ihre wahre Identität verheimlicht hatte. Doch mit dem philosophischen, freundschaftlichen Wortgeplänkel von damals hatte die jetzige Situation nichts gemein. In feierlicher Geste legte sie sich eine Hand auf die Brust. „Und als Regentin dieses Landes werde ich nicht rasten, ehe du nicht für deine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurdest!“

Unbeeindruckt von ihrem übertrieben dramatischen Auftreten schmetterte Link ihre kurze Anwandlung königlichen Selbstbewusstseins mit heroischer Gleichgültigkeit nieder. „Und wer soll mich vor dein Gericht bringen?“ Es war nur eine rhetorische, sachliche Frage, die er so ernst stellte, als erhebe ihn die Tatsache seiner Unaufhaltsamkeit über das Gesetz, das die Prinzessin Kraft ihrer royalen Abstammung vertrat. Diese Abschweifung übergehend, wollte Link nun wieder wissen: „Also denkst du, durchschaut zu haben, was ich mit all dem hier bezwecke?“

„Ich denke es nicht nur, ich habe es auch!“, zischte Zelda wütend vor Schmerz.

„Und was sind deine finalen Schlussfolgerungen?“, hakte Link nüchtern nach.

Warum nur war er so versessen darauf, in Erfahrung zu bringen, was sie über ihn dachte? Hegte er irgendeinen geheimen Wunsch, sie möge ihn verstehen und deswegen nach seinem Gutdünken walten lassen?

Wenn er eine genaue Zusammenfassung haben sollte, beschloss Prinzessin Zelda, sollte er sie gerne kriegen: „Du willst Ganondorf aus seinem Kerker befreien, damit er aus dem Heiligen Reich ausbrechen und wieder nach Hyrule zurückkehren kann. Du verrätst diese Welt an ihren schlimmsten Feind, um sie in eine Gefahr zu bringen, die nur du allein mithilfe des Master-Schwerts zurückschlagen kannst. Du willst einen Ruhm erlangen, den du deiner Taten wegen nicht mehr verdient hast.“

Unverwandt blickte Link sie an, dann wich sein perplexer Ausdruck ehrlicher Enttäuschung. „Also hast du doch nicht verstanden. Schade … Ich hätte mehr erwartet von der Trägerin der Weisheit.“

„Ich habe sehr wohl …“, begann Zelda, verstummte aber, als Link den Fuß auf die unterste der Stufen setzte, die zu ihr hochführten. Jetzt erst fiel ihr auf, dass er, während es um die beiden herum Nacht geworden war, immer näher an ihre Terrasse herangerückt war. Plötzliche, ungerichtete Panik ergriff Zelda, die sie sich nicht anmerken ließ. „Ich habe alles verstanden“, knüpfte sie an ihre vorigen Worte an. „Dieses Hyrule soll dich für die Vernichtung eines Dämons als Helden verehren. Genau wie …“

Wieder erstarb ihre bebende Stimme, als der letzte Satz, den er gesprochen und ihr als Faden ausgelegt hatte, scharf durch ihren Kopf schoss. Mit schockierender Klarheit wurde ihr nun das ganze Ausmaß seines Strebens bewusst; das Fundament, auf dem seine unfassbare Skurpellosigkeit baute – und wie falsch sämtliche ihrer bisherigen Vermutungen gewesen waren. Sie hatte geglaubt, als einzige Weise, an deren Leben keine Säule von Ganondorfs Kerker gebunden war, nicht zu Links Zielen zu zählen. Nun aber musste sie einsehen, dass er auch für einen Mord an ihr dasselbe Interesse hegte wie an der Befreiung Ganondorfs.

Unwillkürlich legte sie die Linke schützend um den rechten Handrücken. Link beobachtete diese Geste, erkannte, dass sie nun wirklich begriffen hatte, und trat siegessicher auf die nächste Stufe.

Ihre wachsende Panik niederringend, versprach Zelda fest: „Ich werde nicht zulassen, dass du mit dem davonkommst, was du getan hast!“ Ihre weltliche Verfügungsgewalt als Regentin mochte er nicht als Bedrohung anerkennen, doch ihren übersinnlichen Fähigkeiten als Weise würde er sich nicht widersetzen können. Sie hob die Hände mit geringem Abstand zueinander, und ein bläuliches Licht erblühte zwischen ihnen, das Prinzessin und Held mit seinem kalten Schimmer umhüllte. Schließlich manifestierte es sich zu indigofarbener Materie, legte die Okarina der Zeit frei. Sogleich führte Zelda das Mundstück an die Lippen und stimmte die Hymne der Zeit an.

Dünn und rein wie Silberdraht webten sich die Töne in die samtene Stille der Nacht, entschwebten dem Schlossgarten ohne einen Widerhall an seinen Wänden.

Mit halb gesenkten Liedern und schiefgelegtem Kopf lauschte Link; als die Okarina verstummte, sagte er verträumt: „Dieses Lied … weckt viele Erinnerungen.“ Sein Blick fiel auf das Instrument in den Händen der Prinzessin, und er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Nun hatte er die Treppen ganz erklommen und die Terrasse erreicht.

Entsetzt betrachtete Zelda die Okarina. Warum hatte die Hymne der Zeit nicht gewirkt?!

Schnell ließ sie das Kleinod in einem neuerlichen blauen Aufglühen verschwinden. „Nie wieder wirst du deine blutigen Hände an die Okarina der Zeit legen!“

Auch wenn das Objekt seiner Begierde nun nicht mehr da war, blieb Link nicht stehen, entschlossen, ihr das, was sie ihm verweigerte, zu entreißen – falls nötig mit Gewalt. Er war nicht länger nur eine geisterhafte Erscheinung, sondern eine sehr physische Bedrohung. Dies musste der Anblick sein, der sich Ruto, Darunia und Salia geboten hatte, als der einstige Freund zu ihrem leibhaftigen Tod geworden war. Der ihn umgebende Geruch wehte Zelda in die Nase – Gras und Eisen, dazu eine Ahnung seiner ganz eigenen Note, die geradezu neckisch an ihrem Verstand zupfte. Mit dem schweren Duft der Lilien, die sie so liebgewonnen hatte, wurde ihr die kühle Nachtluft plötzlich sehr stickig und rief widerstrebende Gefühle in ihr hervor. Ihr Herz raste; auch wenn ihr einziger Ausweg nicht versperrt gewesen wäre, war sie zu gelähmt, um davonzulaufen.

Da zuckte die linke Hand des Helden kaum merklich, und Prinzessin Zeldas Angst brach sich Bahn in eine Richtung, die sie seit Jahren nicht mehr eingeschlagen hatte: Sie stellte ein Bein zurück, aber nicht, weil sie vor Link zurückweichen wollte, sondern zur schrägen Angriffsposition des unbewaffneten Nahkampfes. Wieder hob sie die Hände, flach und angespannt, bereit, rasche und präzise Schläge auszuteilen.

Endlich hielt Link überrascht inne, starrte sie an, als sich in dem spärlichen Licht die Augenfarbe der Prinzessin zu verändern schienen. Was auch immer er zu tun gedacht hatte, war er nun zu geschockt, es weiter auszuführen.

Mit grollender Stimme drohte Zelda: „Keinen Schritt näher!“

„Prinzessin, seid Ihr hier?“

Abgelenkt blickte Link hinter sich zum Eingang in den Garten, wo die Frage hergekommen war. Dort stand Hendrik, der verwirrt ins Zwielicht blinzelte, als er des Grüngewandeten vor seiner Herrin gewahr wurde – und ihn erkannte.

„Link …“, stieß er fassungslos hervor, rief dann lautstark allen Wachen in Hörweite zu: „Link ist ins Schloss eingedrungen!“ Den Speer niedergeworfen, zog der Soldat stattdessen das Schwert, preschte über die Wiese, trat dabei einige Grassoden platt.

Wäre die Prinzessin bei sich gewesen, hätte sie ihrem Leibgardisten befohlen, zurückzubleiben. Denn was folgte, war unvermeidlich: Zähnefletschend wirbelte Link herum, sprang mit einem Satz die Treppen hinab. Fast schwebte er über das Gras, als er Hendriks Schwerthieb mit einer tänzerischen Ausweichbewegung entging, ihn am rechten Handgelenk packte und ihm den Arm schmerzhaft aus der Schulter auf den Rücken verdrehte. Der Gepeinigte ächzte, Link entwand ihm die Waffe und schubste ihn zu Boden. Knapp hinter Hendrik war Zeldas anderer Leibwächter aus dem Bogengang gekommen, der jetzt ebenfalls mit dem Schwert auf Link losging. Held und Soldat kreuzten die Klingen; Link lenkte die seines Gegners zur Seite ab, rammte diesem den Knauf des Diebesguts von unten ruckartig ans Kinn und fällte ihn wie einen Baum. Schon hatte er sich wieder Hendrik zugewendet, der auf die Knie gesunken war und sich gequält die Schulter hielt. Der Eindringling legte dem Gardisten die Schneide dessen eigener Waffe an den Hals, sodass er erstarrte.

Bebend blickte Hendrik zu seinem Bezwinger auf – innerhalb weniger Wimpernschläge hatte der Held die zwei besten Kämpfer Hyrules ausgeschaltet.

Warnrufe hallten aus den Gärten nebenan, als die dort postierten Wachen durch den Bogengang stürmten.

Link nahm keine Notiz von ihnen. Hendrik zuckte zusammen, als der Grüngewandete das Schwert von seinem Hals entfernte, jedoch nicht, wie der Gardist fürchtete, zum Todesschlag ausholte. Mit der Spitze voran spießte Link es in die Erde, riss den Fanghaken von seinem Gürtel, warf der Prinzessin auf der Terrasse einen letzten, alles und zugleich nichts sagenden Blick zu. Der Haken schoss hoch ans Dach des den Garten umschließenden Palasts. Die Kette zog sich wieder ein, und Link entfloh in die Nacht, bevor die nachströmenden Soldaten ihn erreichten.

Wankend stand Hendrik auf und wies die Gruppe barsch an: „Link ist hier! Gebt sofort an alle Nachtwachen durch, dass niemand das Schloss verlassen darf! Sie sollen ihn umgehend festnehmen!“

Schon salutierten die Soldaten zackig, wandten sich mit klappernden Rüstungen um, bis die einzige Person, die in der Befehlshierarchie über Hendrik stand, sie warnend zurückrief: „Nein!“ Ratlos sahen die Wachen einander an, als Prinzessin Zelda die Order mit rauer Stimme redigierte: „Niemand darf erfahren, dass er hier ist …“ Diesmal verneigten sich die Geharnischten ehrerbietig, bevor sie in langsamen, geordneten Reihen den Garten verließen.

Während sich sein Leibwächterkamerad alleine aufrappelte, trat Hendrik an seine Herrin heran. Die stolperte nun zurück, von Schwindel erfasst, suchte auf dem Sims des Fensters zum Thronsaal Halt. „Prinzessin …?“, wollte sich Hendrik besorgt um ihr Befinden erkundigen, streckte dabei vorsichtig die Hand nach der Regentin aus – als deren eigene unvermittelt vorschnellte und die seine ergriff, mit einer Kraft, die man ihrer zierlichen Statur nicht zutraute. Sie hielt den Kopf gesenkt, sodass der Gardist ihr Gesicht nicht sehen konnte. Eher ratlos als alarmiert fragte Hendrik: „Prinzessin, hat er Euch was angetan?“

Seine Herrin zitterte. Das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, rang um Kontrolle, die ihm soeben selbst abhanden gekommen war, und das nicht an die eigentliche Besitzerin. Rasch blinzelte sie, bis ihre Augen ihr ursprüngliches Türkisblau wieder angenommen hatten und erneut Tränen darin brannten. Dann ließ sie Hendriks Hand los.

Erst jetzt bemerkte Zelda, wie kühl es geworden war, und bekam eine Gänsehaut, die nicht unbedingt allein von der Temperatur herrührte. Sie schluckte. „Nein, hat er nicht“, versicherte sie heiser, auch wenn das wohl von der Interpretation abhing.

„Warum habt Ihr den Soldaten befohlen, Link nicht zu suchen?“, wollte ihr Gardist befremdet wissen.

Darauf blieb sie ihm eine Antwort schuldig, denn vermutlich hätte Hendrik ihre emotionalen Beweggründe nicht nachvollziehen können. Ohnehin bezweifelte sie stark, dass die Bemühungen der Wachen, Link aufzuspüren, Früchte getragen hätten. Gewiss befand sich der trickreiche Held schon gar nicht mehr auf dem Palastgelände. Ein solches Massaker wie in der Gerudo-Festung würde er jedenfalls nicht mehr veranstalten – weil er jetzt wusste, wer die Prinzessin wirklich war.

Diese materialisierte nun wieder die Okarina der Zeit.

„Gedenkt Ihr, die Helden aus der Zitadelle zu holen?“, fragte Hendrik.

Entschieden schüttelte seine Herrin den Kopf. Ohne ein weiteres Wort spielte sie die Kantate des Lichts, flog davon als goldener Funkenschwarm und ließ die verdutzten Leibwächter in ihrem Liliengarten zurück.

Ich befinde mich zurzeit im Urlaub in Rumänien, wo ich all dies am Smartphone machen muss, obwohl ich gewohnt bin, am Computer zu arbeiten. In zwei Wochen wieder... Mal schauen, wie das hier klappt xP Jedenfalls spielt hier einer auf der Straße seit über einer Stunde rumänische Volksmusik. Es gibt auf der Welt nix tranigeres <<' Und bei der mistigen Beschallung lese ich Korrektur. Na wunderbar ._.

Aber nu zum wichtigen:

Rusalka: Dankeee auch für diesen Kommentar =D Und Schande über mein Haupt, dass ich auf den vorigen noch immer nicht geantwortet hab ^^' Und hier am smartphone wird das auch vorerst nix... Sobald ich wieder an nem PC bin, hoffe ich dazu zu kommen.

- Zeldas "Du bist nur noch der Schatten eines Helden" ist eine Anspielung an den Geisterhelden aus Twilight Princess, der ja, wie wir wissen, der Held aus Ocarina of Time ist.

- schreibtechnisch war dies ein schwieriges Kapitel, da in ihm viele Handlungsstränge zusammenlaufen, die ich immer wieder verändert und angepasst hab; wozu auch die Ariette der Zeit gehört. Ursprünglich sollte nur dieses Kapi erklären, was Link erlebt hat durch Zelda Rückblick mit der Okarina. Aber wie das halt so ist bei mir, hatte ich immer mehr Ideen, außerdem konnte ich Links Motive nicht genau genug erklären. Also beschloss ich, dies alles auszulagern, wodurch die Ariette entstand.

- In diesem Rahmen will ich Werbung machen für eben die Ariette, aber auch für die Ballade des Unbesungenen, die indirekt erklärt, wo das Gesicht der grimmigen Gottheit herkommt. Eigentlich wollte ich an diese Stelle dann auch zwei entsprechende Links setzen, aber wie gesagt ist das am Smartphone halt so ne Sache... Der Interessierte möge vorlieb nehmen mit den Links in meiner Signatur oder im Startpost. Habs gar nich oft verlinkt xP

Durch den Innenhof der Helden klang das schneidend metallische Geräusch eines Übungskampfs, ausgelöst von magischem Stahl auf stumpfer Bronze. Neben dem Duellplatz saß Balaen auf dem Boden, die Augen von einem Stoffstreifen verbunden. Die Farbe seiner Kleidung verschwamm mit den Schatten, die das umgebende Schlossgebäude gegen die wandernde Sonne warf. Bei ihm stand Virri und beobachtete konzentriert Balaen und Leo, die gegeneinander fochten. Auf Anweisung des kleinen Kriegers führte der Hylianische Ritter ohne Krafthandschuhe das ungeschärfte Bronzeschwert zu einem Hieb gegen den blau gekleideten Kontrahenten rechts vor ihm. Der Ritter aus den Wolken, der unter der grünen Tunika zur Übung kein Kettenhemd trug, blockte instinktiv gegen bloße Luft. Längst hätte Leo getroffen, als endlich auch Balaens eigentlich von ihm anvisierter Klon mit Verspätung reagierte und das Schwert der Vier mit dem blauen Zierstein hob.

„Jetzt ein Gegenangriff!“, rief Virri aus dem Abseits.

Zusammen mit seinem Abbild in Rot, mit dem zu kämpfen Balaen bereits einstudiert hatte, sprang das Original vor, um Leo im Doppel zu attackieren – doch die Kopie war zu langsam. Der jüngere Ritter wischte den Schlag seines Gegenübers zur Seite weg, setzte vor zu dessen Klon und berührte mit der Bronzeklinge seinen Bauch. Damit hatte er ihn symbolisch ausgeschaltet. Sogleich wirbelte Leo zu dem Ritter in Blau herum, wich dann aber zurück, weil dieser wie blind vor sich eindrosch.

„Du musst mehr in den anderen Köpfen denken, damit du dich unabhängig bewegen kannst!“, mahnte Virri den ältesten Helden von Ferne.

Doch der achtete seiner nicht. Als das Original von der Seite auf Leo losging, blockte der jüngere mit einer einfachen Parade. Ohne die Doppelgänger noch weiter einzubeziehen – was der eigentliche Zweck der Übung war –, verwickelten die beiden Ritter sich gegenseitig in ein Gefecht. Gebannt wartete Virri darauf, dass Balaen sein taktisches Geschick spielen ließ und Leo, während er ihn von vorn ablenkte, durch die Klone von hinten angriff. Doch diese Finte blieb aus. Der Hylianische Ritter, der damit eigentlich auch rechnete, ließ einen weiteren Streich nach links von seiner Waffe abgleiten und rammte seinen Gegner überraschend mit der rechten Schulter, sodass dieser von ihm abließ. Während Balaen sich noch um sein Gleichgewicht bemühte, stieß der jüngere Ritter einen wilden Kampfschrei aus und fiel über die untätig dabeistehenden Abbilder her. So schlecht Balaens motorische Koordination mit seinen beiden künstlichen Körpern auch war, schaffte er es tatsächlich, beide gleichzeitig mit einer Vorwärtsrolle ausweichen zu lassen.

„Wehrt euch, ihr miesen Hohlköpfe!“, brüllte Leo ungehalten und setzte dem Fliehenden in Blau nach, schlug nach ihm – als dieser plötzlich mit ungerührter Miene zu ihm herumfuhr und die gegnerische Klinge mit dem Schwert der Vier abfing. Auch wenn der Held aus den Wolken in die Blockade nicht genug Spannung legte, sie daher einfach niedergeschmettert wurde, war es ihm diesmal immerhin gelungen, sich selbst und seinen rotgewandeten Doppelgänger zugleich nicht zu bewegen. Die Waffe gesenkt, ging Leo zufrieden grinsend auf Abstand.

Vor kindlichem Eifer jubelte Virri: „Ja, genau so!“

„Das ist demütigend!“ Zornerfüllt holte Balaen aus, wollte das Schwert der Vier mit Nachdruck in den Boden spießen, besann sich aber eines besseren und schwang es nur in einem raschen, silberweißen Bogen nach unten. „Ich bin ein ausgebildeter Krieger!“, schimpfte er aufgebracht. „Das sind Übungen für Erstklässler!“

„Naja, mit diesem Schwert bist du doch auch nur Anfänger …“, merkte Leo an. Mit diesen ausnahmsweise aufbauend gemeinten Worten erntete er von dem älteren Ritter jedoch nur einen vernichtenden Blick.

In dieser Sache unzweifelhafter Meister, erklärte Virri wiederholt: „Für das Schwert der Vier müssen Körper und Geist perfekt zusammenarbeiten. Du kannst eine Technik nicht auf deine Klone übertragen, wenn du sie nicht selbst beherrschst.“

„Ich beherrsche sie doch!“, widersprach Balaen vehement. „Besser als irgendjemand sonst!“

„In deiner Zeit vielleicht …“, fügte Leo gelinde genervt hinzu.

Seinen Einwand ignorieren, musterte der Ritter aus den Wolken die mystische Waffe abschätzend. Gleich von Beginn an hatte er seine Zweifel gegenüber der abenteuerlichen Idee der jüngeren Helden klar gemacht. Nur Virris Beharrlichkeit und Leos Dickschädel hatten ihn schließlich davon überzeugt, wenigstens zu versuchen, das Schwert der Vier zu meistern. Eines seiner Bedenken war, dass es für seinen eigentlichen Träger und dessen geringe Größe genau die richtige Länge haben mochte, aber für den ältesten des Heldentrios bestenfalls als Kurzschwert durchging. Alle Versuche, nach der Vervielfältigung eine andere Waffe zu benutzen, waren gescheitert. Anders als bei Virri, lösten sich Balaens Klone augenblicklich auf, wenn er das mystische Schwert aus der Hand legte. Immerhin waren sie im Gegensatz zu Leos gleich nach der Bildung stabil, und der Ritter aus den Wolken war mit der Erweiterung seiner Sinne schnell zurechtgekommen.

„Ich bringe mich nur selbst um mit so einer geringen Reichweite“, prophezeite Balaen düster.

„Aber genau deswegen hat das Schwert der Vier doch einen Vorteil“, behauptete Virri mit Überzeugung. „Längere Schwerter wie Dämon-Links Beidhänder sind von so nah nicht so gut zu gebrauchen.“

Die Augenbrauen hochziehend, echote Leo: „Dämon-Link?“

Verlegen kratzte Virri sich die Nase. „Ja, das ist mir gerade so eingefallen. Irgendwie müssen wir ihn doch nennen, oder?“

Balaen ging nicht ein auf den neuen Begriff für ihren gemeinsamen Feind. „Geringe Reichweite bringt mir wohl kaum etwas, wenn ich mit Anlauf angegriffen werde wie eben von Leo. Ich kann das nicht parieren.“

„Versuch, es wie einen Zweihänder zu halten“, schlug Virri vor.

„Meinst du wie Link das Dämonenschwert?“ Probehalber legte Balaen auch die Hinterhand ans Schwert der Vier, doch das Heft war zu kurz und bot nicht genügend Grifffläche.

Diesen fruchtlosen Versuch beobachtete Leo einen Moment und verdrehte dann die Augen. „Bist du schon so hohlköpfig wie deine Marionetten?“, giftete er. „Dämon-Link hat einen Beidhänder. Der Knirps aber hat gerade von Zweihändern gesprochen.“

Sich zurückhaltend, überging Balaen die Beleidigung; stattdessen wollte er wissen: „Gibt es da einen Unterschied?“ Die Begriffe hatte er bereits aufgeschnappt, als sich das Heldentrio die Waren des Schwerter verkaufenden Goronen angesehen hatten. Dennoch konnte er nichts damit anfangen.

Der Hylianische Ritter lachte freudlos, bis er merkte, dass der ältere ihn zwar verärgert, aber abwartend anstarrte. „Du weißt echt nicht, wie die sich unterscheiden?“, fragte er ungläubig, und Balaen schüttelte den Kopf. „Hat man in deiner Zeit den Krieg noch nicht erfunden?“

Der Held aus ferner Vergangenheit knirschte: „Es reicht uns, Schwerter mit nur einer Hand zu führen, weil wir immer auch einen Schild benutzen – was im Übrigen ein weiteres Problem mit diesem hier ist.“ Er schwang das Schwert der Vier zu einer wegwischenden Geste herum. Solange er noch lernte, sich überhaupt nur mit der Waffe zu koordinieren, hatte er auf einen Schild verzichtet. Außerdem waren sein Hylia-Schild wie diverse andere Ausrüstungsgegenstände, ähnlich wie bei Virri, nicht kopiert worden und lehnte daher ungebraucht an der Bank neben dem Duellplatz.

Auch die übrigen Habseligkeiten der Helden lagen dort in einem Sammelsurium aus Blau und Weiß, Lederbraun und Stahlgrau: Balaens Paraschal und Kettenhemd, Virris Heroenbogen, Köcher und Greifenmantel, Leos Krafthandschuhe und Tauschhaken sowie die beiden Okarinas der jüngeren. Alvio saß dabei, als sei er dazu abbestellt worden, diese Ausstellung der Ausrüstung zu bewachen, und observierte zu diesem Zweck Karmin wie einen verdächtigen Dieb. Der Wolkenvogel hockte auf dem Dach eines Wehrturms und beobachtete die übenden Krieger.

Froh, das Wissen als Lehrling des besten Waffenschmieds seiner Zeit unter Beweis zu stellen, flötete Virri: „Dieser Unterschied ist ganz leicht!“ Eifrig rannte er zu dem Gestell mit Leihwaffen hinüber, ließ den Blick darüber schweifen, bis er fand, was er benötigte. Der kleine Held ergriff ein Schwert, das mit Klinge und Heft länger war als er hoch, und quälte sich mit dessen Gewicht ab.

„Was machst du da, Knirps …“, murmelte Leo tadelnd. Auf dem Weg zu Virri kam er an der Bank vorbei, sammelte seine darauf liegenden Handschuhe auf und zog sie an. So half er mit dem Langschwert und auf Virris Bitte mit einem weiteren, das tatsächlich noch gewaltiger war als das erste. Dank der Krafthandschuhe konnte Leo allein beide Waffen dem kleinen Krieger hinterhertragen, als dieser zu dem ratlos wartenden Balaen zurückkehrte.

Dort angekommen, stellte der Hylianische Ritter die Schwerter mit der Spitze nach unten beidseitig neben sich auf und hielt sie weiter an den Griffen fest, damit sie nicht umkippten. Währenddessen trat Virri an das kürzere heran und begann mit dem Nachhilfeunterricht für den Helden aus der Vergangenheit. „Das ist ein Beidhänder“, erklärte er fachmännisch und deutete über sich zum Heft der ihn überragenden Waffe. „Weil es so lang und schwer ist, hat es auch einen langen Griff. Nicht nur, damit man es mit beiden Händen halten kann, sondern auch als Gegengewicht zur Klinge. Die Parierstange läuft sehr breit, weil es mit einem Beidhänder schwierig ist, abzublocken. So sind die Hände besser geschützt, falls die Klinge des Gegners bis zum Schaft abrutscht.“

Aufmerksam lauschend, stellte Balaen nun fest: „Links … Dämon-Links Schwert hat aber keine richtige Parierstange.“

Virri hob die Schultern. „Es ist ja auch keine normale Waffe.“

„Naja, und mal ehrlich“, warf Leo dazwischen, „er braucht nicht wirklich eine zum Schutz.“

Zustimmend wiegte Balaen den Kopf. Dann deutete er auf das andere Schwert, das der jüngere Ritter mitgebracht hatte. „Dann nehme ich an, dass das ein Zweihänder ist?“

Der Schmiedelehrling nickte, hüpfte auf Leos andere Seite und stellte auch diese Waffe vor. „Einen Zweihänder muss man auch mit beiden Händen führen, deswegen hat er wie ein Beidhänder einen langen Griff. Aber es ist auch möglich, ihn mit der Hinterhand weiter unten zu fassen. Hier an der Klinge, wo er nicht scharf ist.“ Zur Demonstration fuhr er mit dem Finger über die stumpfen Schneiden im Bereich unterhalb der Parierstange.

„Die Hinterhand vor der Schwerthand?“, unterbrach Balaen die Lektion. „Wie soll das funktionieren?“

„Das geht, weil der Schwerpunkt zwischen den Händen liegt“, erläuterte Virri. „Und damit die Hinterhand auch dann geschützt ist, hat ein Zweihänder hier diese Parierhaken.“ Er deutete auf die dornartigen Auswüchse an der Klinge, an denen die stumpfen Schneiden endeten. „Die können gegnerische Waffen abfangen.“

Den Zweihänder betrachtend, überlegte Leo laut: „Also, wenn ich es recht bedenke, könnte ich mir auch so einen zulegen.“ Er spießte den Beidhänder in den Boden und packte das verbliebene Langschwert wie Virri soeben beschrieben hatte an der Klinge. Damit stapfte er zu seinem Eichenstamm, der noch immer im Innenhof stand. Weit holte er aus, führte den Zweihänder seitwärts zu einem mächtigen Hieb, der das Holz glatt durchschnitt. Die obere Hälfte flog ein kurzes Stück weit und schlug mit dumpfem Laut auf dem Boden auf. Der schwertkämpfende Holzfäller lachte gehässig auf. „So gefällt mir das!“

Während Balaen für den Übermut des Heißsporns nur ein müdes Kopfschütteln übrig hatte, beendete Virri den Exkurs und widmete sich weiter der eigentlichen Lehrstunde. „Das Schwert der Vier hat solche Parierhaken zwar nicht und ist eigentlich auch zu kurz, um beidhändig damit anzugreifen. Aber wenn ich es an der Spitze packe, kann ich eigentlich immer gut abwehren. Als Träger kann man sich ja nicht daran schneiden“, erinnerte der kleine Held. „Versuch also mal, so zu parieren.“

Kurz dachte Balaen darüber nach, doch schüttelte dann den Kopf. „Das wird keinen Unterschied machen. Dämon-Link ist viel stärker als ich.“

„Wenn du allein bist“, erwiderte Virri sofort. „Aber du hast deine Klone. Du musst mit ihnen arbeiten!“

Ohne weiteres Veto probierte sich Balaen daran, einen imaginären Hieb mit der ungewohnten Technik zu blocken, versäumte aber im ersten Moment, dieselben Bewegungen auch mit den untätig dastehenden Abbildern auszuführen. Noch dazu griff die linke Hand des blau gekleideten Klons neben die Klinge. „Das ist doch lächerlich!“, rief der Ritter aus den Wolken aus. „Es wird ewig dauern, bis ich mir das aneigne!“

Lässig den Zweihänder geschultert, kam Leo zu den beiden anderen Helden zurück. „Dann solltest du gleich mit Üben anfangen, oder?“

Resignierend seufzte der älteste.

Während er die neuen Bewegungen ein wenig allein einstudierte, besprachen Leo und Virri untereinander, wie der jüngere Ritter den anderen am besten erproben könne. Leo legte die Handschuhe wieder ab, tauschte den Zweihänder gegen das Bronzeschwert aus und stellte sich Balaen und dessen Abbildern erneut zum Übungskampf. Wie er es vor jeder Runde getan hatte, hielt er die stumpfe Klinge seiner Waffe zum Rittergruß vors Gesicht und schwang sie nach unten – bevor er überraschend loslegte. In der Phase, als das Original nur mit dem rot gekleideten Klon umzugehen hatte lernen müssen, hatte Leo hauptsächlich diesen traktiert; ebenso ging er nun gegen den blaugewandeten vor. Da es Balaen in diesem Doppelgänger nur sehr schwer fiel, sich seiner zu erwehren, versuchte er, den jüngeren Helden aus anderer Richtung für ein Duell einzufangen, worauf dieser sich im Eifer des Gefechts einließ. Innerhalb kürzester Zeit waren die überflüssigen Krieger in Rot und Blau wieder vergessen.

Verzweifelt fasste sich Virri an den Kopf. „Nein, ihr macht das ganz falsch!“ Neben dem noch völlig ungebrauchten, violett gekleideten Doppelgänger lag dessen Kopie des Schwerts der Vier. Als Virri das Flackern im Zierstein registrierte, rief er warnend aus: „Die Klone lösen sich gleich auf!“

Alarmiert hielt Leo inne, und Balaen nutzte die Gelegenheit, mit einer Rückflugrolle auf Distanz zu gehen. Seine darauffolgende kampfbereite Lauerhaltung war gebeugter als üblich, und er keuchte nach Luft.

Ohne jedes Mitleid für die Erschöpfung seines Gegners, schwang Leo seine Waffe herausfordernd herum. „Stell dich nicht so an und mach sofort, was der Knirps von dir erwartet! Sonst schnapp‘ ich mir den Zweihänder und mache Kleinholz aus dir!“ Als wolle er diese Drohung gleich mit dem Übungsschwert schon wahrmachen, holte der Hylianische Ritter beidhändig aus und schlug zu.

Geistesgegenwärtig dachte Balaen daran, die Schwertspitze zu ergreifen, um den Hieb abzublocken, schaffte es aber nicht rechtzeitig. Die beiden Klingen trafen mit hellem Ton aufeinander, und Leo schmetterte seinem Gegner die Waffe aus den Händen.

„Was war das denn für ein Mist?!“, brüllte der jüngere den älteren an.

„Das ist Zeitverschwendung!“, gab Balaen unerwartet heftig zurück. Aufgebracht wirbelte er herum und stürmte in eine unbestimmte Richtung. „Wir sollten uns eine richtige Taktik zurechtlegen! Stattdessen haben wir schon einen ganzen Tag mit diesem Blödsinn vergeudet und nichts erreicht!“

Die beiden jüngeren Helden wechselten Blicke, Leo entnervt, Virri verunsichert – bis die beiden Balaens Abbildern in Rot und Blau auf dem Duellplatz und in Violett an dessen Rande gewahr wurden.

„Deine Klone sind noch da!“, wies Virri fröhlich hin.

Mit erstauntem Stirnrunzeln musterte Balaen seine Kopien, die Kopf und Schultern gesenkt hatten, als seien sie niedergeschlagen über das Ergebnis des letzten Kampfes.

„Bis vor Kurzem sind sie noch verschwunden, wenn du das Schwert der Vier weggelegt hast“, betonte auch Leo.

Während Balaen zu ihnen zurückkam, sagte er unbeeindruckt: „Das bringt uns auch nicht weiter. Ich kann sie nicht kontrollieren.“ Er bückte sich nach dem Schwert der Vier; erst, als er die Hand ums Heft der mystischen Waffe schloss, kehrte wieder Leben in seine Klone zurück: Sie strafften die Schultern und hoben die leeren Blicke.

„Trotzdem ist das ein Fortschritt!“, beharrte Virri weiter. „Ich hab Tage gebraucht, bis ich das geschafft hatte!“

Etwas zu harsch wollte Balaen von ihm wissen: „Wie lange hast du Zeit gehabt, den Umgang mit deinen Klonen zu lernen?“

Die Frage verwirrte den kleinen Helden. „Ein paar Wochen.“

„Insgesamt für alle drei oder für jeden einzelnen?“

Endlich begriff Virri, worauf der ältere hinauswollte. Sich die Nase kratzend, wandte er den Blick ab und gestand leise: „Für jeden einzelnen …“ Auf Balaens verächtliches Zischen fügte er hastig hinzu: „Aber nur, weil ich doch gar nicht alle von Anfang an hatte! Erst die Großen Feen haben mir geholfen, sie alle freizusetzen, und auch nur einen nach dem anderen.“

Trotzdem schien der Ritter aus den Wolken nicht überzeugt. Wie sollte er denn im Bruchteil der Zeit etwas schaffen, die Virri für dieselbe Aufgabe zur Verfügung gestanden hatte? Mehr noch: Auch wenn sie alle drei als Helden Erfahrungen mit Dämonen gemacht hatten, war dies eine völlig neue Situation für sie. Nun hatten sie es mit einem Dämon zu tun, der zugleich wie sie ein Held war. Das allein machte Link schon zum härtesten Gegner, dem sich Prinzessin Zeldas Berufene je hatten stellen müssen. Dabei wuchs der Druck, der auf ihnen lastete, mit jedem Tag, ja jeder Stunde, die verging, denn der Zeitpunkt für die nächste und wahrscheinlich letzte Herausforderung bestimmten nicht sie – sondern Link. Niemand konnte sagen, wo sich der abtrünnige Held befand, wann er zuschlagen würde und welche Überraschungen er noch für seine drei Jäger bereithielt. Ja, nicht einmal die Gewissheit, dass er, wie Zelda vermutete, in der Zitadelle der Zeit in Erscheinung tret würde, war gegeben. Zurecht fand Balaen, der Versuch zu lernen, Herr der Schwerts der Vier zu werden, sei Zeitverschwendung.

Mutlos blickte er von den beiden Klonen, mit denen er zusammen nicht einmal ein so guter Kämpfer war wie allein, zu dem violett gekleideten. Dessen Augen waren, wie auch die seines blauen Gegenstücks am Vortag, deswegen verbunden, damit die unnötigen Sinneseindrücke das Original nicht ablenkten. Das Ziel war natürlich, auch ihn hoffentlich bald in die Übungen aufzunehmen, und die absolute Königsdisziplin wäre schließlich die Bändigung des Hühnerhagels. Doch der Ritter aus den Wolken bezweifelte, dass er es je so weit bringen würde.

Die Augen zukneifend, rieb er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. „Ich hab Kopfschmerzen“, lamentierte er und verzog gequält die Miene, als sein Magen vernehmlich grollte. „Und Hunger …“

Nachdenklich tippte sich Virri an die Nasenspitze. Anders als Balaen war er noch nicht bereit, aufzugeben. Er sah auf zu dem Wolkenvogel, dessen rotes Gefieder in der sinkenden Abendsonne wie erlöschende Kohlen glühte. „Du bist mit Karmin doch telepathisch verbunden, oder?“, erkundigte sich Virri bei dem Helden aus den Wolken. Als dieser mit knappem Nicken bestätigte, theorisierte sein kleiner Lehrmeister: „Vielleicht stört das deine Verbindung mit den Klonen. Es könnte besser klappen, wenn er weiter weg ist.“

Unschlüssig grübelte Balaen über diese Möglichkeit nach. Noch immer schreckte er vor dem Risiko zurück, Karmin tagsüber allein fortfliegen zu lassen. Der rote Wolkenvogel spürte die Aufmerksamkeit, die ihm galt, und sträubte das Kopfgefieder.

Weil ihm sein eigenes Versagen mit dem Schwert der Vier noch ein Dorn im Auge war, hatte sich Leo an Virris fachmännischem Vortrag nicht beteiligt. Nun horchte er auf, als die Tür, die auf den Säulengang neben dem Garten führte, geöffnet wurde. Da allen Palastangestellten das Betreten des Innenhofs strikt verboten war, konnte die sich nähernde Gruppe nur aus drei Personen bestehen: Die beiden königlichen Leibwächter im Geleit ihrer Herrin Prinzessin Zelda. Sowie Leo der Königlichen gewahr wurde, schob er das Übungsschwert in den Riemen am Waffengurt auf seinem Rücken und entbehrte ihr den ritterlichen Kniefall. Die Prinzessin lächelte schwach mit gütiger Dankbarkeit und erlaubte dem Hylianischen Ritter, sich zu erheben.

Als der übliche Begrüßungsritus zwischen den beiden also abgeschlossen war, erkundigte sich Leo sofort aufgeregt: „Habt Ihr Meldung aus der Stadt erhalten? Ist Link aufgetaucht?“ Eine ganze Kompanie Soldaten war in und um die Zitadelle der Zeit stationiert, dazu einige getarnt als Zivilisten in den Straßen Hyrule-Stadts. Ihre Aufgabe war, der Regentin unverzüglich Nachricht zukommen zu lassen, sollten sie auch nur eine Spur von Link erhaschen. In solch einem Fall war angedacht, dass Zelda die Berufenen mittels eines Teleportlieds in die Zitadelle brachte, unabhängig davon, wie weit deren Kampftaktik dann ausgereift war. Deswegen hielten die drei ihre gesamte Ausrüstung stets in greifbarer Nähe, um im Notfall so schnell wie möglich aufbruchbereit zu sein.

Doch die Prinzessin schüttelte auf Leos Frage nur beruhigend den Kopf. Sie ließ den Blick über den Duellplatz schweifen. Die niedrig stehende Sonne tauchte ihr Gesicht in diffuse Schatten, dennoch entgingen Virri nicht die dunklen Ringe, die unter ihren rot geäderten Augen lagen.

„Du siehst irgendwie müde aus“, stellte der kleine Held unumwunden fest. „Ist alles in Ordnung?“

Bevor die Gefragte selbst antwortete, mischte sich Leo zischend ein: „Knirps! So was sagt man doch nicht zu einer Prinzessin!“

Wie, als habe er ihn geohrfeigt, zog Virri den Kopf ein, aber Zelda beschwichtigte: „Nicht doch, Leopold.“ Matt lächelnd wandte sie sich an den jüngsten ihrer Berufenen. „Ich danke dir für deine Besorgnis, Viridian. Es stimmt, ich bin letzte Nacht leider nicht ausreichend zur Ruhe gekommen.“

„Ihr habt wohl einige Regierungsgeschäfte zu tätigen gehabt“, vermutete der Hylianische Ritter vorsichtig.

Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde zeigte Prinzessin Zeldas Gesicht Verwunderung, bevor sie fast schon erleichtert lächelte. Das zerstreute Nicken, mit dem sie antwortete, passte so gar nicht zu ihrer sonst so bedachten Art. „Ja, Regierungsgeschäfte …“ Sie lenkte von sich ab, indem sie auf Balaens Klone wies, die sich wie für ihre Natur üblich an der Konversation nicht einmal mit ihrer Anwesenheit beteiligten. „Wie ich sehe, arbeitet ihr an einer sehr … ungewöhnlichen Taktik. War das deine Idee?“, wollte sie von dem eigentlichen Träger des Schwerts der Vier wissen.

Als er die Blicke aller Umstehenden – der beiden älteren Grüngewandeten, der Prinzessin und ihrer Leibwächter – auf sich ruhen sah, nickte Virri schüchtern. Halblaut murmelte er: „Ich dachte, wenn drei kleine Helden gegen Link nicht genug helfen können, dann vielleicht drei große …“

„Das ist wirklich ein kreativer Einfall.“ Anerkennend lächelte Zelda. „Wie ich es von dir erwarte.“

Der Gelobte errötete und wandte hastig das Gesicht ab.

„Auch ich bin nicht untätig gewesen“, vertraute die Prinzessin dem Heldentrio an. „Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich euch unterstützen könnte.“

Ehrerbietig verneigte sich Leo. „Das ist sehr großzügig von Euch, Prinzessin, doch es ist nicht Eure Pflicht, das zu tun.“

„Das sehe ich anders“, legte Balaen sogleich Widerspruch ein, und der jüngere Ritter funkelte ihn warnend an. „Es würde mich durchaus interessieren, wie du uns helfen willst.“ Dabei musterte der Held aus den Wolken die Prinzessin herausfordernder als nötig.

Das Kinn erhoben, begann Zelda, den dreien ihre grundlegenden Gedanken zu erläutern: „Nun, es ist klar, wenn Link seine Dämonenform annimt, könnt ihr ihn unmöglich besiegen.“

Während Leo unzufrieden, aber schweigend die Arme verschränkte, nickte Balaen zustimmend. „Keine Waffe kann ihm dann ernsthaften Schaden zufügen.“

„Das muss vielleicht nicht einmal nötig sein“, belehrte die Königliche.

Weil sie diese Aussage ungeklärt über ihnen schweben ließ, hüstelte Leo dezent. „Bei allem Respekt, Prinzessin … Wenn wir es nicht tun, werden wir diejenigen sein, die aufgeschnitten werden.“

Sein royales Gegenüber kommentierte seine Anmerkung mit einem schwermütigen Lächeln. „Anstatt zu versuchen, einen unverwundbaren Gegner zu verletzen – wohlmöglich auch noch erfolglos –, solltet ihr vielleicht lieber erst dafür sorgen, dass er wieder verwundbar wird.“ Weil den drei Grüngewandeten noch immer ihre Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben stand, brachte Zelda ihre Ausführungen auf den Punkt: „Ihr müsst Link in einen Menschen zurückverwandeln.“

Die Reaktionen der Helden darauf fielen sehr unterschiedlich aus: Virri erstarrte vor Entsetzen, Balaen hob vieldeutig die Augenbrauen, und Leo verzog die Miene zu einem halben, konsternierten Grinsen. Dennoch waren alle drei instantan derselben Meinung: Was ihre Beschwörerin da implizierte, war ein Ding der Unmöglichkeit.

Entschuldigend senkte die Prinzessin das Haupt. „Verzeiht. Was ihr im Wald durchgemacht habt, kann ich euch nur nachfühlen und es doch nie verstehen. Ich sollte euch nicht so leichtfertig einen solchen Plan unterbreiten, ohne mich genauer zu erklären. Also lasst mich euch zunächst dies hier zeigen …“ Auf ihre befehlende Geste trat Hendrik neben sie und reichte ihr ein Bündel, das er bislang wohl in den Armen geborgen hatte. Nachdem seine Herrin es entgegengenommen hatte, verneigte er sich knapp und zog sich unauffällig wieder zurück. Indes schlug die Prinzessin den feinen weißen Leinenstoff auf, um zu enthüllen, was darin eingewickelt war. Neugierig kamen die drei Helden näher und stellten sich im Halbkreis um das Objekt, das Zelda so tief hielt, dass auch der Kleinste von ihnen es sehen konnte.

„Pfeile?“, fragte Balaen wenig beeindruckt, als er das gute Dutzend Holzschäfte erkannte.

„Nicht einfach nur irgendwelche Pfeile“, wies Leo ihn besserwisserisch zurecht.

„Woher willst du das wissen?“, gab der Ritter aus den Wolken trocken zurück.

Der jüngere Held hob die linke Hand und ließ sie über die metallenen Spitzen schweben; sein Triforce-Mal antwortete der Magie darin mit schwachem Glühen. Triumphierend stieß Leo Luft durch die Nase. „Weil ich genau solche gegen den alten Ganon benutzt habe.“ Er wandte sich der Prinzessin zu. „Das sind Silberpfeile, nicht wahr?“

„In deiner Welt werden sie so genannt, doch in dieser heißen sie Lichtpfeile“, korrigierte Zelda, deutete dabei bewusst nicht an, dass sie die drei aus unterschiedlichen Zeiten beschworen hatte. Auch ihre Leibwächter sollten die Wahrheit nicht erfahren. „Ihr Zweck jedoch ist derselbe: Mittels reinigender Magie vernichten sie das Böse.“

Staunend betrachtete Virri die Geschosse, und Balaen nahm einen an sich, um die Spitze mit neuem Interesse genauer zu beäugen. Tatsächlich glänzte diese für gewöhnlichen Stahl im schwindenden Tageslicht zu hell und war zu kunstvoll verarbeitet, als sei nicht ein Waffen-, sondern ein Goldschmied zuwerke gegangen. Eine filigrane Gravur des Hylianischen Königswappens zierte jede einzelne Pfeilspitze. „Damit sollen wir also Dämon-Link beschießen, bis die Verwandlung so schwach wird, dass sie den Menschen wieder freigibt“, mutmaßte der Ritter aus den Wolken.

„Ich denke, ein gezielter Schuss reicht schon aus“, insistierte die Prinzessin, „und zwar in sein Gesicht, eben da, wo die Maske sitzt. So wie Viridian es bereits versucht hat.“ Durchdringend blickten ihre türkisblauen Augen den kleinen Helden an, der nervös schluckte. „Wie ich gehört habe, bist du von euch dreien der beste Schütze. Deswegen will ich die Lichtpfeile dir anvertrauen“, eröffnete sie und hielt ihm das Bündel hin.

Sofort sprang Virri geschockt zurück. „M-mir?!“, stammelte er. „Aber … aber … warum?“

Weil beide ihre Hände belegt waren, deutete die Prinzessin mit dem Kopf zur Bank und der Ausrüstung der drei Grüngewandeten. „Dein Bogen … Das ist doch ein Heroenbogen, nicht wahr?“ Auf Virris zurückhaltendes Nicken fuhr sie fort: „Heroenbögen sind so gebaut, dass sie mit viel mehr Kraft schießen, als sie gespannt werden müssen. Du besitzt bereits so einen besonderen Bogen; Balaen und Leopold hingegen müssten von meinen Soldaten einen gewöhnlichen ausleihen, der nie so gut wie der deine wäre.“ Sie lächelte gutmütig. „Es versteht sich also von selbst, dass du diese besondere Munition bekommst.“

Erst langsam, dann immer schneller und bestimmter schüttelte Virri abwehrend den Kopf. „Sie können meinen Bogen haben! Leo!“, rief er den älteren Krieger an. „Du hast gesagt, dass du die schon mal benutzt hast! Und du weißt, wie Magie funktioniert. Du sollst sie nehmen!“

Ehrlich bedauernd hob der Hylianische Ritter die Schultern. „Tut mir leid, Knirps. Ich werde der Prinzessin nicht widersprechen.“

Entsetzt und verloren starrte Virri ihn an.

Die Königliche übernahm wieder das Wort: „Mir wäre es durchaus lieber, ich würde dir den Zauber beibringen können, der gewöhnliche Pfeile mit Lichtmagie anreichert. Nur leider fehlt uns dafür die Zeit …“ Sie senkte den Blick auf das Bündel in ihren Armen. „Diese aber habe ich so vorpräpariert, dass es nur wenig Erfahrung mit Magie braucht, sie zu benutzen.“

Verzweifelt beharrte Virri: „Aber ich habe doch noch nie irgendwas Magisches gemacht!“

„Bist du dir sicher?“, fragte Zelda.

Die Augen geweitet, nickte der jüngste Grüngewandete hastig. „Mit dem Schwert der Vier muss ich nicht selbst zaubern.“

„Nun“, sprach die Prinzessin, ohne auf seine Widerworte einzugehen, „aber du hast deinen Techniken Namen gegeben, die du immer ausrufst, wenn du angreifst. Warum tust du das?“

Verlegen blinzelte Virri die älteren Krieger, Helden wie Soldaten, aus den Augenwinkeln an; eigentlich hatte es zu den Vorbereitungen gehört, ihm genau diese verräterische Angewohnheit auszutreiben. Kleinlaut antwortete er: „Weil sie dann stärker sind … glaube ich.“

Sein königliches Gegenüber schenkte ihm ein zuvorkommendes Lächeln. „Und wenn das stimmt, denkst du nicht, dass da ein kleines bisschen Magie dabei ist, wenn auch nur unterbewusste?“

Verbissen schwieg Virri, suchte nach dieser sehr nachvollziehbaren Argumentation offensichtlich nach weiteren Ausflüchten.

Schützend legte Zelda die Hand auf das Bündel Pfeile. „Viridian, hast du Angst? Willst du es deswegen nicht tun?“, fragte sie mitfühlend.

Erschrocken winkte der kleine Held ab und beteuerte: „Nein! Also, ich meine, doch, schon …“ Tief atmete er durch. „Es ist nur …“ Unbehaglich kratzte er sich an der Nase, ließ den Satz jedoch unvollendet.

Argwöhnisch verengte Balaen die Augen. Endlich meldete er sich auch wieder zu Wort und verteidigte indirekt Virris Standpunkt: „Eine Distanzwaffe wie ein Bogen ist bei Dämon-Link auf jeden Fall nicht verkehrt. Aber ich bezweifle, dass er sich einfach ins Gesicht schießen lassen wird.“

Da stimmte Zelda ihm zu und wandte sich nun an die beiden älteren ihrer Berufenen. „So ist es, und genau deswegen müsst ihr dafür sorgen, dass Viridian die Gelengenheit zum Schuss bekommt. Und was noch viel wichtiger ist …“ Ungebeten drückte sie dem kleinen, sprachlosen Helden die Lichtpfeile in den Arm, zog ihn überraschend zu sich heran, drehte ihn herum und legte die Hände auf seine schmalen Schultern. „Ihr müsst ihn beschützen, denn auch Link wird merken, wer von euch dreien am gefährlichsten für ihn ist.“ Verkrampft vor Nervosität, linste Virri zu ihr hoch, und Zelda blickte lächelnd zu ihm herab. „Viridian ist jetzt das wichtigste Mitglied eurer Gruppe.“

Schnell wandte der Junge das noch eine Spur rötlicher werdende Gesicht ab.

„Na, dann ist es entschieden!“, verkündete Leo, der natürlich sofort für den Plan der Prinzessin brannte. „Du bist jetzt unsere Geheimwaffe, Knirps!“ Dem kleinen Krieger, der vor Schock weiterhin keinen Ton rausbrachte, versicherte er: „Du kannst dich auf uns verlassen!“ Kameradschaftlich legte er Balaen den Arm um die Schultern und zog den größeren Ritter auf seine Höhe runter. „Nicht wahr, Len?“ Aufsässig bohrte er ihm den Finger in die Wange. „Er kann sich doch voll und ganz auf uns verlassen?“

„Pass auf, was du sagst“, raunte Balaen ihm warnend zu. Er hob Leos Arm an, tauchte darunter hinweg und ging zu der Bank, wo er den daran lehnenden Hylia-Schild auflas. Damit kehrte er zu der Gesellschaft zurück. „Hier, nimm du ihn“, sagte der Held aus den Wolken zu Leo, indem er ihm den Schild überreichte.

„Natürlich!“, zischte der jüngere herablassend sarkastisch. „Weil ich ja auch eine miese Schildkröte bin, die sich bei Gefahr feige in ihren Panzer zurückzieht!“

Kühl erwiderte Balaen: „Ich weiß, du bist eher ein um sich tretender Hase. Aber hier geht es nicht um dich. Wir alle müssen Kompromisse eingehen, das habe auch ich eingesehen. Virri hat es schon längst begriffen, sonst hätte er mir sein Schwert nicht überlassen.“

Erstaunt über die Anerkennung in der Stimme des ältesten, blinzelte Virri zu ihm auf.

„Der Hylia-Schild ist unzerstörbar“, fuhr der Held der Göttin fort, „aber wir haben nur einen. Damit ich ihn wirklich mit dem Schwert der Vier benutzen könnte, bräuchte es vier. Deswegen hat es keinen Sinn, dass ich ihn trage.“

Grüblerisch trat Leo näher an ihn heran. Anstatt den Schild entgegen zu nehmen, schob er ihn runter, sodass er Balaen verschwörerisch leise zuflüstern konnte: „Bist du dir sicher?“

Nur sie beide wussten, was der Hylianische Ritter genau meinte, doch um den Schein zu wahren, führte der ältere die Konversation in eine ungefährliche Richtung weiter. „Ich bin nicht stark genug, Dämon-Links Angriffe abzuwehren. Sollte ich es doch versuchen, wird er mir nur wieder den Arm brechen – bestenfalls. Alles, was ich tun kann, ist auszuweichen und selbst anzugreifen. Somit kommst nur du für Virris Verteidigung infrage.“

Nun betrachtete Leo den Hylia-Schild doch mit der nötigen Akzeptanz und nahm ihn seinem Gegenüber ab. Sein Blick wanderte von Balaen zu Zelda und weiter zu Virri, die ihn alle erwartungsvoll beobachteten. Seinen Stolz eines reinen Schwertkämpfers vergessend, drehte Leo den Schild herum, schob den rechten Unterarm durch die Haltegriffe. Wie das Idealbild eines königlichen Ritters reckte er das Hylianische Wappen vor. Mit allem gebührenden Ernst versprach er feierlich: „Ich werde dich beschützen, Knirps, und wenn es mein Leben kostet!“

Traurig lächelte die Prinzessin. „Ich hoffe, es wird nicht so weit kommen.“

Zelda blieb noch einen Moment, um ihren kleinen auserwählten Meisterschützen im Gebrauch der Lichtpfeile einzuweisen, die wesentlich einfacher zu handhaben waren, als er selbst angenommen hatte. Es war keine ganze Übungsphase notwendig, was umso besser war, da ihm die Prinzessin bis auf das bestehende Dutzend keine weiteren der kostbaren Geschosse zur Verfügung stellen konnte. Gerüstet mit seinem Heroenbogen, trat Virri an den Schießstand, legte einen der magischen Pfeile auf die Sehne. Wie Zelda es ihm angeraten hatte, visierte er schon eine der Zielscheiben an, bevor er die Sehne durchzog. Das reichte bereits aus, den der Silberspitze innewohnenden Zauber zu aktivieren. Eine gold leuchtende Aura erblühte um sie, erhellte den Innenhof und überstrahlte das Abendrot. Virri ließ die Sehne knallen, der Lichtpfeil flitzte einem Kugelblitz gleich über den Schießstand; sowie er mitten in die Zielscheibe aufschlug, erlosch das Leuchten. Stolz nickte die Prinzessin, und sie und ihre Leibwächter verließen den Innenhof.

Da Virri nicht recht wusste, was er als nächstes tun sollte, ging er zu der Holzscheibe, zog den eben verschossenen Pfeil und betrachtete die Spitze. Deren zuvor helles Metall wirkte nun wie angelaufenes Silber, das unter den Augen des Helden rasend schnell dunkler wurde und schließlich zu grauem Erzstaub zerbröselte. Dieser Verfall deckte sich zum Teil mit der Ermahnung der Prinzessin, dass sich der Zauber schnell aufbrauchte, sobald er einmal ausgelöst war – ob er nun ein Ziel traf oder nicht. Somit vermochte ein jeder Pfeil wenn überhaupt nur ein einziges Mal zu wirken.

Als Virri zu den beiden älteren Grüngewandeten zurückkehrte, nahm Leo ihn mit einem schiefen Grinsen in Empfang. „Da hat sich wohl jemand in die Prinzessin verguckt!“

Während Balaen ebenso unbeteiligt dreinschaute wie auch seine Klone, verriet sich Virri mit erschrockenem Japsen. „Gar nicht wahr! Und nenn‘ mich nicht Knirps!“

Schelmisch kicherte der Hylianische Ritter. „Habe ich doch gerade gar nicht.“ Jetzt lachte er sehr überzeugend boshaft. „Du solltest dir dein Schwert schnappen und dich mit eigenen Augen betrachten. Du bist so rot wie die Klamotten von deinem einen Mitknirps!“

Nun vor Wut, wurde Virris Gesicht gleich noch dunkler. „Nenn‘ mich nicht Knirps!“, wiederholte er, jedes Wort betonend. Missgestimmt stapfte er zur Bank, schmetterte den Heroenbogen und den aufgebrauchten Pfeil daneben und ging gleich weiter zu Balaens Abbild, mit dem umzugehen dieser als erstes eingeübt hatte. Den ergriff er am Arm, versuchte, ihn mit sich zu zerren, brachte den künstlich erschaffenen, rot gekleideten Krieger aber nur aus dem Gleichgewicht. „Du musst schon ein bisschen mithelfen!“, verlangte Virri von dem Original. „Du willst doch auch das Problem mit deinen Klonen lösen.“

Zunächst zögerte Balaen, seufzte dann aber und strengte sich an, nach der Pause wieder Kontrolle über den anderen Körper zu gewinnen. Virris Befehl nachkommend, steuerte er den rot Gekleideten dem kleinen Helden hinterher, der ihn zum Schießstand führte. Bei der ersten Zielscheibe hieß Virri ihm, sich davor zu stellen, drückte ihm den Finger gegen die Stirn und richtete ihn gerade auf. Einen Schritt zurücktretend, betrachtete der Junge sein Werk, kehrte um zu der Sammlung an Leihbögen, während Leo und Balaen über sein Tun verwunderte Blicke tauschten. Mit einem Bogen im Schlepp kam Virri zu ihnen zurück und streckte dem ältesten seine Fracht hin.

Der derzeitige Träger des Schwerts der Vier nahm die Gabe mit der leeren Linken entgegen. „Was soll ich damit?“, fragte er ratlos.

Kichernd scherzte Leo: „Das wär’s doch, wenn du deinen Klon damit abschießen müsstest!“

„Genau das soll er tun!“, eröffnete Virri seinen Mitstreitern.

Die beiden Ritter starrten ihn gleichermaßen entsetzt an. Die Stimme des älteren, den die Angelegenheit immerhin betraf, war deutlich belegt, als er fragte: „Warum das?“

„Es gibt dir ein ganz anderes Gefühl für deine Klone, wenn du mal mitbekommen hast, wie sie sterben“, erklärte Virri eisern.

Nachdenklich drehte Balaen den Bogen herum.

„Lass den doch weg, ich mach‘ das schon!“, mischte sich Leo ein und zückte sein Bronzeschwert. „Ich warte schon ewig darauf, ihm ungestraft den …“

„Nein!“, unterbrach Virri ihn barsch, und der Hylianische Ritter fuhr vor seinem Tonfall zusammen. „Er muss das selbst machen. Das hat den besten Effekt.“

Auf den auffordernden Blick des jüngsten Helden wollte Balaen wissen: „Und wie soll ich schießen, wenn ich das Schwert der Vier nicht aus der Hand legen darf?“

Aber Virri ließ sich von dieser offensichtlichen Finte nicht so leicht an der Nase herumführen. „Du kannst es doch jetzt. Schieb es unter deinen Gürtel, so wie ich das immer mache. Zerschneiden kann es ihn ja nicht.“

Resignierend kam Balaen der Anordnung nach – wobei sich seine Abbilder tatsächlich nicht auflösten –, und schritt, gefolgt von den jüngeren Helden, zum Schießstand. Dort angekommen, pflückte Leo einen Grashalm und schob ihn sich zwischen die Zähne, um angespannt darauf herumzukauen. Vor der Bank beim Duellplatz stellte Alvio intereissiert die Ohren auf und kam unauffällig herangehoppelt. Mit vor der Brust verschränkten Armen begutachtete sein Hüter das weitere Geschehen.

Der Ritter aus den Wolken nahm aus einem bereitstehenden Köcher einen hölzernen Übungspfeil, legte ihn auf die Sehne und spannte sie.

Sofort hielt Virri ihn auf. „Schau richtig hin!“

„Mach ich doch. Ich werde wohl kaum wo anders hinsehen, wenn ich ziele“, merkte Balaen an.

Aufgebracht warf der kleine Krieger die Hände in die Luft und wies ihn zurecht: „Ich meinte nicht dich. Deinen Klon! Er soll dich anschauen.“

Langsam ließ der ältere Held den Bogen sinken und blickte Virri skeptisch an. „Ich soll mich selbst dabei beobachten, wie ich mich erschieße?“ Die Absurdität dieser Vorstellung wurde durch die laute Aussprache noch deutlicher.

Auch wenn Virri ihn nicht ansah, zeigte seine Miene die Überwindung, die es ihn kostete, das Folgende zu sagen: „Ziele auf’s Herz. Das geht am schnellsten.“

Zögerlich atmete Balaen durch, hob den Bogen, spannte die Sehne und ließ sie los. Allerdings zielte er nicht gründlich genug, sodass das Geschoss an seinem Klon vorbeizischte. Wortlos reichte Virri ihm den nächsten Pfeil, den Balaen diesmal zwar auf den richtigen Kurs schickte, doch trotzdem verfehlte, weil sich sein Doppelgänger im letzten Moment in Sicherheit duckte. Sich die Augen reibend, rechtfertigte das Original: „Tut mir leid. War ein Reflex …“ Er legte den dritten Pfeil auf; zwecks besserer Konzentration streckte er diesmal den Zeigefinger der Linken aus, um dem leichten Zittern seiner Hände entgegen zu wirken.

„Das ist doch total mies!“, platzte da Leo lauthals.

Balaen erschrak derart, dass der Pfeil weit ins Jenseits flog, ohne seinem Ziel auch nur nahe zu kommen.

Den Grashalm zerbeißend, polterte der jüngere Ritter weiter: „Sich selbst erschießen! Was ist das für eine miese Übung?!“

„Es ist eine wichtige Übung!“, gab Virri angesäuert über die Störung zurück. „Um die Klone richtig zu beherrschen, muss man sie auch opfern können.“

„Was habe ich davon, wenn ich mich opfere?“, knirschte Balaen angespannt.

Altklug belehrte der kleine Krieger: „Nicht dich selbst, sondern deinen Klon. Du siehst zwar durch deine Klone, aber sie sind nicht du!“

„Das widerspricht allem, was du mir bislang über das Schwert der Vier beigebracht hast“, erinnerte der Held aus den Wolken. „Du hast immer gesagt, ich solle die Klone kontrollieren wie meinen eigenen Körper.“

„Da hast du was falsch verstanden …“, gab Virri hilflos zurück.

Leo trat dazwischen und stellte sich auf die Seite des älteren Ritters. „Nein, du hast ganz sicher gesagt, dass sie ein Teil von ihm sind.“

Heftig schüttelte Virri den Kopf, suchte nach erklärenden Worten, die vermittelten, was für ihn so natürlich war wie das Atmen. „Die Klone sind schon andere Körper“, versuchte er es schließlich, „durch die ich an anderen Orten sein kann, aber ich bin immer noch ich in mir selbst. Sie sind wie … Waffen. Nein, nicht einmal das …“

„Gestern meintest du, man muss das Schwert der Vier benutzen wie ein Handwerker“, half Balaen ihm auf die Sprünge.

Das mürrische Gesicht des kleinen Helden hellte sich auf, als er endlich eine passende Umschreibung fand. „Genau! Mit Klonen kämpfen ist wie das Schmieden: Eine Hand hält mit der Zange den Schwertrohling, die andere den Hammer. Man muss die Augen überall haben, das Glüheisen drehen und bearbeiten, aber man bleibt selbst an Ort und Stelle und denkt nicht darüber nach, wie es ohne Werkzeuge wäre. Und das sind die Klone: Werkzeuge“, vollendete Virri seine Metapher. „Nach getaner Arbeit wird das Werkzeug weggelegt, und so entsorge ich auch meine Klone, wenn ich sie nicht mehr brauche. Selbst wenn ich sie dafür selbst töten muss.“

Sprachlos gafften die beiden Ritter den Jungen an, der so plötzlich und selbstverständlich auf eine Art vom Tod sprach, wie es kein Kind je sollte. Leos Mund stand offen, und er nahm vor Staunen keine Notiz davon, wie ihm der Grashalm runterfiel und Alvio ihn ergatterte.

Virri begegnete den erstaunten Blicken seiner Mitstreiter, sah sich hinter sich um, doch war da nichts, das ihre Aufmerksamkeit auf sich hätte gezogen haben können. „Was ist los?“, wollte er einigermaßen verwirrt wissen.

Es war Leo, der als erster seine Stimme wiederfand: „Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet du der härteste von uns dreien bist …“ Mit geschlagenem Grinsen auf den Lippen ließ er sich zu Boden in den Schneidersitz sinken. Sogleich nahm Alvio mit dem begehrten Halm Reißaus, doch Leo beachtete den Hasen gar nicht.

Verlegen kratzte sich Virri die Nase. „Findest du?“

Balaen ignorierte den vielsagenden Seitenblick, den Leo ihm zuwarf, musterte stattdessen sein Abbild, das noch immer vor der Zielscheibe wartete. Mit bemessenen Bewegungen nahm er einen weiteren Pfeil zur Hand, zog die Sehne durch. Für einen Augenblick zögerte er, bevor er sich zusammenriss, schoss – und endlich traf.

Ohne das Kettenhemd drang sogar die einfache Holzspitze des Übungspfeils ohne Widerstand durch die rote Tunika. Nicht einmal einen Rückstoß gab es, der den Klon nach hinten geschubst hätte, als er sich sofort in einem Schwarm dunkelroter Funken auflöste. Nahezu zeitgleich ging Balaen mit gepeinigtem Aufschrei in die Knie. Das grüne Glühen im Zierstein des originalen Schwerts der Vier erlosch, und die beiden anderen Kopien verschwanden ebenfalls. Auf seinem Wachturm ließ Karmin alarmiert den Kopf in die Höhe schnellen. Seinem Reiter war der Bogen aus den Händen gefallen, die er nun auf die Brust schlug, wo der Klon vom Pfeil getroffen worden war. Vornübergebeugt schnappte er verzweifelt nach Luft.

Von dieser Reaktion zutiefst erschrocken, fragte Leo vorsichtig: „He, Mann … Geht’s wieder?“

Der riesige rote Vogel sprang in den Garten hinab, stakste näher und krächzte, irritiert vom Zustand seines Reiters. Dieser keuchte vor Qual: „Es tut so weh!“ Bebend sah er auf zu Virri. „Das kann doch nicht jedes Mal so wehtun!“

Virri bedachte sein Gegenüber mit einem Mitleid, das er für sich selbst nie empfunden hatte. „Ich habe mich daran gewöhnt.“

Vor Entsetzen riss Balaen die Augen weit auf, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie der Junge dies bewerkstelligte. Wie er, wenn im Kampf einer seiner Klone getötet wurde, trotz höllischer Schmerzen sofort weitermachen konnte …

Zurückhaltend interessiert erkundigte sich Leo: „Ist es wirklich so schlimm?“

Balaen und Virri nickten unisono.

„Oh, Knirps!“, rief der jüngere Ritter bedauernd aus. „Als wir gegneinander gekämpft haben, hab ich alle deine Klone auf einmal niedergemäht. Das war echt brutal von mir … Wenn ich gewusst hätte, was du da durchmachen musst …“ Verunsichert blinzelte er zu Balaen hinüber. „Und dann auch noch dreifach!“

Die Schultern hebend, versicherte Virri: „Es ist nicht so, dass sich der Schmerz dann auch verdreifacht.“

„Trotzdem …“

„Ich … kann das nicht“, flüsterte Balaen jetzt. Seine Hände waren noch immer in der grünen Tunika verkrampft. Er bebte am ganzen Leib, und kalter Schweiß war ihm auf der Stirn ausgebrochen. Nun lauter, doch noch immer heiser sagte er: „Dieses Gefühl … Als würde ich sterben.“ Die Augen zugepresst, krümmte er sich noch weiter zusammen und ächzte. „Ich ertrage das nicht!“ Tapsend kam Karmin näher und stupste ihn tröstlich mit dem riesigen Schnabel an.

Mitfühlend musterte Leo ihn. „Du fürchtest den Tod.“

„Jeder hat doch irgendwie Angst vor dem Tod“, stellte Virri fest.

Doch Leo winkte ab. „Ja, natürlich will jeder weiterleben. Aber ich meine dieses … dieses Zittern …“ Sein Blick hielt Balaens elendigen Zustand gefangen. „Diese lähmende Angst, wegen der man sich nicht mehr rühren kann.“

„Du hast doch gesagt, dass du vor gar nichts Angst hast“, entsann sich Virri an die erste Begegnung der drei Helden kurz nach ihrer Beschwörung in der Zitadelle der Zeit.

Skeptisch zog Leo die Augenbrauen hoch. „Wann das denn?“

Ihm antwortete eine wage Handgeste des kleinen Kriegers. „Ganz am Anfang.“

Balaen, der seine Nahtoderfahrung allmählich überwand, fügte hinzu: „Es war das erste, das du zu Zelda gesagt hast.“

Sich undeutlich erinnernd, hob Leo die Schultern. „Das war doch nur so ein Spruch. Natürlich gibt es Dinge, vor denen ich Angst habe.“

„Vor Wölfen?“, vermutete Virri.

Unwillig legte der Held, der einmal ein Hase gewesen war, den Kopf schief. „Ja, vor Wölfen, aber nicht nur. Ich habe Angst, dass mein Onkel zuhause plötzlich stirbt, weil ich nicht da bin, ihm zu helfen. Dass ich wie er verletzt werde und nie wieder kämpfen kann … oder von einem Abenteuer nie wiederkehre, ohne dass jemand erfährt, was mit mir geschehen ist. Manchmal …“, fuhr er mit gesenkter Stimme fort, „manchmal habe ich solche Angst, dass ich vergesse, was ich über den Schwertkampf gelernt habe, und wenn das passiert, hasse ich mich selbst.“ Er zog die Beine an sich, schlang die Arme darum und verbarg das Gesicht in den Knien wie ein verschrecktes Kaninchen, das Schutz vor einem Sturm suchte. „Mein Mut ist meine stärkste Waffe. Was bin ich schon für ein Held, wenn ich sie nicht benutzen kann?“ Alvio, der den gestohlenen Grashalm mittlerweile ganz verspeist hatte, kam wieder herbei – trotz Karmins unmittelbarer Anwesenheit – und hockte sich neben seinen Hüter. Geistesabwesend streichelte dieser über den weißen Pelz.

„Aber die Angst zeigt doch, wie wichtig einem eine Sache ist“, meinte Virri mit Überzeugung. „Dass man es unbedingt schaffen will. Das heißt doch nicht, dass man nicht mutig ist!“

Ungnädig sah Leo zu ihm auf. „Das kannst du so leicht sagen. Du hast deine Pappkameraden, die du vorschicken kannst, wenn dir eine Situation zu heikel wird.“

Balaen ließ ein ersticktes, bitteres Lachen hören. „Wenn es nur so einfach wäre …“

Kopfschüttelnd widersprach Virri: „Leo hat schon Recht. Ich habe mich oft zurückgezogen, wenn meine Klone nicht mehr da waren, und es erst am nächsten Tag neu versucht.“ Er umfasste die Arme mit den Händen, als sei ihm kalt. „Ich will nicht allein kämpfen müssen, auch wenn es nur gegen schwache Monster ist. Balaen kann das Schwert der Vier gern benutzen, weil ich es wieder kriege, aber wenn ich es eines Tages ganz weggeben muss …“ Bei dieser Aussicht schüttelte er trotzig den Kopf, dass der Zipfel seiner Heldenmütze hin- und herflog. „Niemals!“

„Es ist nicht einfach nur der Tod, den ich fürchte“, berichtete Balaen und schloss sich somit der Selbstoffenbarungsrunde an. „Sondern vor dem Versagen. Damals im Wolkenhort konnte jeder Fehltritt den Tod bedeuten, und mit jedem Tod kam das Fehlen einer geliebten Person … Das hat sich auf der Erde nicht sehr geändert. Ich will nicht sterben, weil ich diejenigen, die auf mich bauen, nicht im Stich lassen kann.“

Es folgte bedrücktes Schweigen, während dessen die drei Grüngewandeten darüber nachsannen, was sie über sich selbst preisgegeben und über ihre Mitstreiter erfahren hatten. In der Zwischenzeit sank die Sonne hinter die Schlossmauern, und Schatten als die ersten Boten der Nacht hielten Einzug im Garten der Helden.

„So ein mieser Unsinn!“, rief Leo aus und sprang so plötzlich auf, dass die beiden anderen Hylianer, der Hase und der Vogel erschrocken zusammenzuckten. „Niemand stirbt hier, und der einzige, der alleine ist, ist Link! Wenn wir drei zusammenarbeiten, wäre es doch gelacht, wenn wir ihn nicht fertigmachen können!“ Entschlossen hob er die geballten Fäuste. „Ab morgen starten wir so richtig durch, und dann wird der Mistkerl sein grünes Wunder erleben!“ Er blickte seine Gefährten an und streckte die linke Hand vor. „Also, sind wir Partner, oder was?“

Von seinem Eifer angesteckt, legte Virri die Linke auf. „Klar!“

Erwartungsvoll wandte sich Leo dem älteren Ritter zu mit der stummen Aufforderung, ihren ursprünglichen, geheimen Schwur, der nur zwischen ihnen beiden bestand, zu widerrufen. Schweigend, mit undeutbarer Miene stand Balaen auf, zupfte sich kurz mit der linken Hand am Kragen und schlug mit der eigenen Schwerthand ein.

- Die Definitionen von Beid- und Zweihändern habe ich hier größtenteils erfunden bzw. teilweise umgeschrieben. In Wirklichkeit sind sie anders und nicht so strikt voneinander getrennt.

- In A Link to the Past werden Silberpfeile als die einzige Möglichkeit aufgestellt, Ganon zu bekämpfen; in Ocarina of Time dienen Lichtpfeile dazu, Ganondorf kurzzeitig zu lähmen, und auch in späteren Spielen verhält es sich mit ihnen ähnlich. Insofern haben Silber- und Lichtpfeile die gleiche Funktion, weswegen ich sie hier als Synonym für dieselbe Sache benutze.

- Die Schilde in Skyward Sword haben auf der Rückseite links eine Lederschlaufe, rechts einen metallenen Haltegriff, damit ein rechtshändiger Schwertkämpfer sie am linken Arm tragen kann. Nun führt Leo sein Schwert jedoch bereits mit der Linken; damit er Balaens Schild also am rechten Arm tragen könnte, müssten die Positionen von Schlauf und Griff vertauscht werden. Aber das hab ich einfach mal professionell ignoriert :B

Nach der Rückkehr der drei Helden in Schloss Hyrule wollten Balaen und vor allem Virri gerne die Ritterin treffen, wohingegen Leo dieses Ansinnen nicht mit ihnen teilte. Als Grund schob er vor, dass er sich nicht ausgerechnet mit einer Frau über das Ritterdasein unterhalten wolle. Daher verspürte er auch nicht das geringste Bedauern darüber, dass die Ordensdame bei Ankunft der Tagesausflügler unpässlich war, da sie sich in einem vertraulichen Gespräch mit der Prinzessin befand. Gleich nach diesem reiste sie auch schon wieder ab, wovon der kleine Held und der aus den Wolken nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt wurden. So sollte die kurze Sichtung in der Stadt ihre einzige Begegnung mit der Ritterin bleiben.

Ein paar Tage später, kaum, dass Virri gänzlich wieder auf den Beinen war, vertrieb er sich die Zeit wieder hauptsächlich im Innenhof. Er und Leo bedienten sich dafür der Hühnerschar, die der kleine Held angemietet hatte und die noch immer für ihre Übungen bereitstand.

Virri und seine Klone, alle in Tunika und Mütze ihrer jeweiligen Farbe gekleidet, hielten vor dem Eingang der auf der Seite liegenden Holzkiste Wache, bildeten so eine Barrikade, damit das darin eingefangene Federvieh nicht abhauen konnte. Leo, ebenfalls in seiner vollständigen Heldenmontur, flitzte auf seinen Pegasusstiefeln, je ein Huhn unter beide Arme geklemmt, auf seine vier Mitkämpfer zu. Die gefiederten Tiere krähten empört, als der Ritter sie im Vorbeirennen zu je einem Doppelgänger hinüberpasste. Diese pflückten die unglückseligen Wesen aus der Luft und pfefferten sie in die Kiste.

Sofort bremste Leo ab, eilte zu dem Deckel, der vor der Kiste am Boden lag, setzte dazu an, ihn anzuheben und zu schließen – bis er merkte, dass Virri und die Klone noch immer darauf standen. „Was ist los, Knirps?“, keuchte der ältere Held erhitzt.

Konzentriert starrte der kleine Krieger in die Kiste, in der es aufgeregt raschelte und gackerte, während zwei seiner Doppelgänger den Hühnerhagel weiter am Ausbruch hinderten. Der dritte stierte in eine andere Richtung, sah sich auf dem Innenhof um. „Ich weiß nicht, ob das das letzte war!“, rief das grün gewandete Original verzweifelt. „Ich hab mich verzählt …“

Ungläubig wiederholte Leo: „Verzählt? Seit wann verzählst du dich?!“ Rasch warf er einen Blick auf die Sanduhr auf der Zuschauerbank, deren feinkörniger Inhalt ungnädig schnell weiter hindurchrieselte. Virris Unschlüssigkeit fraß wertvolle Sekunden!

Gehetzt versuchte der kleine Held, die Anzahl der weißen Hausvögel zu erfassen. Doch diese sahen einander so ähnlich und bildeten ein solches Durcheinander aus Federn und Flügeln, dass es sogar ihm unmöglich war, den Überblick zu wahren. Gerade holte Leo Atem, um ihn anzufahren, wie sinnlos sein Unterfangen doch sei, dass sie diesen Hühnerhagel ganz offensichtlich verloren hatten, als er über den Tumult in der Kiste ein entferntes Geräusch hörte.

Ohne Zögern aktivierte der Hylianische Ritter die Pegasusstiefel, fetzte in die Richtung, aus der er es vernommen hatte. Am anderen Ende des Hofs fand er die Quelle: Hinter einem Pfeiler des Säulengangs, der neben dem Schlossgarten verlief, pickte das achtundvierzigste Huhn geschäftig in einem Grasbüschel. Der Laut, der Leo hatte aufhorchen lassen, war das glückliche Gurren gewesen, mit dem das Tier seine Freude über eine vorbeiziehende Ameisenstraße geäußert hatte. An dieser tat es sich nun gütlich – bis ohne jede Vorwarnung der pegasusschnelle Krieger neben ihm erschien.

Es gackerte überrascht und flatterte erschrocken auf. Waghalsig hielt Leo gar nicht erst an, drückte sich in vollem Lauf mit dem Fuß von der Säule ab, katapultierte sich dem flüchtigen Federvieh hinterher. Im Flug zog er das auf seinen Rücken geschnallte Übungsschwert, legte die Rechte ans Heft dazu und drehte sich noch aus derselben Bewegung halb herum. Mit einem Hieb, unterstützt vom Drehmoment, schmetterte er die Breitseite der Holzklinge gegen das Huhn.

Nur eine Wolke weißer Federn blieb zurück, als der vor Entsetzen kreischende Vogel, von Leos Krafthandschuhen im Bruchteil einer Sekunde beschleunigt, mit aberwitziger Geschwindigkeit über den Platz geschleudert wurde. Sogleich erkannte Virri, dass es auf diesem Kurs unweigerlich über die Kiste hinwegfliegen würde, was nur noch mehr Verzögerung mit sich bringen würde. Also sprang auch er, dank des Greifenmantels noch höher als Leo, und reckte die Arme nach oben. Der langgezogene Schrei des Huhns über den brachialen Transport verstummte abrupt, als Virri es knapp zu packen bekam. Er vollführte eine Rückflugrolle, und kaum, dass er oben auf der Kiste aufsetzte, schmetterte er das bemitleidenswerte Tier unter sich in das Behältnis. Gleichzeitig hüpften seine Klone vom Deckel und hoben ihn an, um ihn zuzuklappen.

Da kam auch Leo auf dem Boden auf und gleich wieder herangeschossen, half den Doppelgängern, indem er die Kiste augenblicklich zuknallte. Das Original legte den Verschluss um, schob den Riegel vor und besiegelte somit den Hühnerhagel.

Unter ihm stützte sich Leo mit einer Hand gegen die Holzlatten, mit der anderen wischte er sich Haarsträhnen von der schweißnassen Stirn. „Diese miesen Viehcher“, ächzte er dabei. „Wie lange haben wir diesmal gebraucht?“

Virri hatte bereits seinen violetten Klon zur Sanduhr gesteuert und las die Zeit, die die fünf Krieger für den Hühnerhagel gebraucht hatten, durch dessen Augen ab. Das Original riss die eigenen vor Erstaunen weit auf. „Dreizehn Minuten! Das sind drei Minuten besser als vorhin“, verkündete er.

Erste jetzt blinzelte Leo zu ihm empor, verblüfft über dieses Ergebnis. „Aber das letzte Huhn hat doch so lange gedauert!“

Begeistert nickte der Held auf der Kiste. „Trotzdem!“

„Neuer Tagesrekord! Jetzt haben wir uns aber echt ein deftiges Mittagessen verdient!“ Breit grinsend streckte Leo die Faust zu seinem kleinen Mitkämpfer hoch.

Freudestrahlend schlug Virri ein, hob dann den Blick in Richtung Säulengang. „Len!“, rief er überrascht aus. Durch seinen violetten Klon hatte er den Ritter aus den Wolken erscheinen sehen, der nun bei der Zuschauerbank stehenblieb. Anders als die jüngeren Helden hatte er die grüne Gewandung anstelle der gewöhnlichen Alltagskleidung noch nicht wieder angelegt, und auch sonst hatte er keine Ausrüstung bei sich. Immerhin trug er wieder seinen Schal, der, nachdem Virris Blut restlos ausgewaschen worden war, wieder in makellosem Schneeweiß mit himmelblauen Akzenten erstrahlte.

„Wie gut, dass du auch mal wieder hier aufkreuzt. Fast hätten wir dich vermisst!“, nahm Leo Balaen in Empfang, während Virri federleicht von der Kiste glitt.

Die beiden gesellten sich zu dem ältesten Helden, der den Blick über den Innenhof schweifen ließ – über den erneut zerwühlten Sandbelag des Duellplatzes, die überall verstreut liegenden Federn und das hölzerne Gefängnis deren einstiger Besitzer. Schließlich fragte er: „Was genau macht ihr hier eigentlich?“

„Wir stellen uns dem Hühnerhagel!“, flötete Virri vergnügt. „Das ist einfach die beste Art zu üben!“

Zustimmend nickte Leo. „Früher hätte ich nicht gedacht, dass diese miesen Viehcher für irgendwas nützlich sein können. Aber es funktioniert wirklich!“

„Macht ihr das schon den ganzen Tag?“, wollte Balaen weiter wissen.

„Seit heute Morgen!“, verkündete Leo. „Mit Faulenzen ist jetzt nämlich Schluss. Wir müssen wieder in Form kommen!“

Der älteste Held hob eine Augenbraue, doch der jüngere ignorierte den wortlosen, vorwurfsvollen Tadel über den benutzten Plural .

„Am Anfang war es noch schwierig, weil wir nicht wussten, was der andere macht“, legte Virri dar und fuchtelte erklärend mit den Armen, während hinter ihm seine Klone die Szenen mit imaginären Hühnern nachspielten. Der rot gewandete übernahm dabei die Rolle des Hylianischen Ritters. „Leo hat mir immer wieder Hühner zugeworfen, und das hab ich manchmal nicht gleich bemerkt. Aber dann haben wir uns abgesprochen und wir wurden immer besser!“ Bis über beide Ohren strahlend sah der kleine Krieger seinen Übungspartner an.

„Das möchte ich doch meinen!“, fügte dieser überheblich hinzu. Er zerzauste Virri das Haar, während er lobte: „Und dieser Knirps hat endlich gelernt, im Kampf seine Angriffe nicht rumzuposaunen. Dann läuft das gleich viel flockiger!“

Doch Balaen äußerte Zweifel: „Seid ihr sicher, dass die Hühner nicht einfach nur erschöpft sind?“

Verunsichert sahen sich die beiden jüngeren Helden an. Genauer betrachtet mochte das durchaus eine Erklärung sein; vielleicht sogar dafür, warum sich bei der letzten Runde eines der Tiere nicht an der Rage seiner Artgenossen beteiligt hatte.

„Ich hab mich geirrt“, redigierte Leo seine Aussage von zuvor und hob resignierend die Hände. „Deinen miesepetrigen Realismus kann man nicht vermissen.“

Diplomatisch versuchte Virri, sich und den anderen Bezwinger des Hühnerhagels rauszureden: „Das gleicht sich doch bestimmt irgendwie aus. Wir werden doch auch müde …“ Da fiel ihm etwas ganz anderes auf. „Du hast deine Schlinge gar nicht mehr!“, stellte er aufgeregt fest und deutete auf Balaens linken Arm.

Dieser nickte und hob die Hand, drehte sie aus dem Ellbogen. „Ich war gerade beim Arzt, und er hat sie mir abgenommen. Er meint, es sei ganz verheilt.“

„Das ist toll!“, freute sich Virri.

„Genau!“, stimmte Leo zu. „Du kennst dich ja gut mit Federvieh aus, da kannst du in der nächsten Runde gleich mal mithelfen.“ Kumpelhaft grob boxte er Balaen in die linke Schulter. „Wird höchste Zeit, dass du wieder Muskeln in diesem Arm aufbaust, sonst kannst du nicht mal mehr Angriffe vom Knirps abwehren!“ Schwungvoll wandte er sich von den beiden ab. „Also, geh hol dein Zeug, dann können wir gleich weitermachen!“

Auch Virri wirbelte herum und schloss sich Leo an, um mit seinen Klonen seinen Posten vor der Kiste wieder einzunehmen. Jedoch hielt er inne, als er über eines seiner kopierten Augenpaare sah, dass Balaen keine Anstalten machte, der Aufforderung des jüngeren Ritters Folge zu leisten. Er stand nur da, rieb sich den Oberarm – mehr aus Nachdenklichkeit denn aus Schmerz – und blickte ihnen nach.

Weil keine Schritte hinter Virri und Leo zu hören gewesen waren, hatte auch letzterer registriert, dass Balaen ihnen nicht folgte. „Was ist denn nun schon wieder?“, fragte er entnervt.

Weil der älteste Held nicht zu einer Antwort ansetzte, betonte Virri: „Es ist nicht nur jetzt. Du hast auch in den letzten Tagen gar nicht mit uns geredet. Und in der Stadt nur ganz wenig.“

„Der Knirps hat recht“, stimmte Leo zu, als sei ihm dieser Umstand schon länger klar gewesen – tatsächlich aber war er ihm nur gerade aufgefallen, da Virri ihn erwähnt hatte. „Ich will ja nicht behaupten, dass du vorher besonders gesprächig gewesen bist“, fuhr der Hylianische Ritter fort, „aber seit wir in der Stadt waren, hast du dich gar nicht mehr blicken lassen.“

„Schon seit wir im Wald waren!“, ergänzte Virri, und Leo nickte.

„Es hat nichts damit zu tun, was im Wald geschehen ist“, stellte Balaen klar.

Die Augen verdrehend, weil man ihm jedes Bisschen an Information einzeln entlocken musste, hakte Leo nach: „Und womit dann?“

Anstatt zu antworten, nahm der Ritter aus den Wolken die Wehrgänge auf den Mauern um den Innenhof in Augenschein – keine Wachsoldaten in Sicht. Prinzessin Zelda war der Bitte ihrer Berufenen, während der Übungen unbeobachtet zu bleiben, bereits nachgegangen. Auch Karmin und Alvio waren nicht hier, die drei Helden somit unter sich. Also trat Balaen zur Bank, ließ sich darauf nieder, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und vergrub das Gesicht in Händen. Die beiden Grüngewandeten tauschten ratlose Blicke, bevor sie sich wieder ganz ihm zuwandten.

„Es geht um das, was Zelda gesagt hat“, eröffnete Balaen, nachdem er sich endlich zu einem Ansatz durchgerungen hatte.

Knurrend drohte Leo sofort: „Wenn du jetzt wieder mit deinen Anschuldigungen anfängst …“

„Nein, das ist es auch nicht“, fiel der ältere Ritter ihm harsch ins Wort. Mit den flachen Hängen rieb er sich erst übers Gesicht, bevor er sie sinken ließ, den Blick zum Himmel hob und sich seine folgenden Worte sorgfältig zurechtlegte. „Wir wissen jetzt, dass ich der erste aller Helden bin. Ich glaube nicht, dass ihr nachvollziehen könnt, was das für eine Verantwortung für mich bedeutet …“

Kopfschüttelnd verdrehte Leo wieder die Augen, und Virri war ebenfalls der Meinung, dass sie beide doch sehr genau verstanden, was als Helden von ihnen erwartet wurde. Doch sie äußerten nicht, was sie dachten, nicht jetzt, da Balaen endlich wieder mit ihnen sprach.

Der älteste von ihnen fuhr fort: „Bis vor ein paar Tagen habe ich gedacht, ich sei der einzige Held … und eigentlich hätte ich das auch bleiben sollen. Aber dass das nicht so kam, ist meine Schuld …“

Als darauf nichts weiter folgte, spornte Virri ihn an: „Woran Schuld?“

Noch immer richtete Balaen sein Augenmerk nicht auf die beiden, holte Luft und brachte es auf den Punkt: „Daran, dass der Geist des Helden immer wiedergeboren wird.“

„Na schön“, hob Leo an. „Deine Gedankengänge waren mir nie ganz klar, aber das kann ich nun absolut nicht nachvollziehen!“

Neben ihm nickte Virri. „Das musst du uns erklären.“

Jetzt senkte Balaen doch den Kopf, sah die beiden ihm gegenüberstehenden Krieger nacheinander an. „Erinnert ihr euch, was ich erzählt habe über meinen Kampf gegen den Todbringer?“

„Na klar!“, erwiderte der jüngste eifrig.

Patzig fügte Leo hinzu: „Sehen wir so blöd aus?“

Kommentarlos führte Balaen weiter aus: „Nachdem ich ihn besiegt hatte, hat er mit seiner letzten Kraft … einen Fluch ausgesprochen. Dass er eines Tages wirken würde, habe ich immer schon erwartet. Immerhin war der Todbringer ein mächtiger Dämonenkönig. Doch ich dachte, dass es noch zu meiner Lebzeit geschehen würde …“

„Was für ein Fluch überhaupt?“, unterbrach Leo ihn ungeduldig.

Balaen zog die Augenbrauen herab, und seine Miene umwölkte sich bei der Erinnerung an den sterbenden Todbringer. „Er hat alle verflucht, die vom Volk der Hylia sind … und insbesondere den Geist des Helden.“

„Hat er genau das gesagt? Geist des Helden?“, wollte Virri wissen.

Langsam nickte der Ritter aus den Wolken. „Ich habe gedacht, dass nur ich damit gemeint sein kann – bis Zelda vor ein paar Tagen auch diese Formulierung benutzt hat. Nun weiß ich, dass der Fluch auch euch mit einschließt – alle Helden, die nach mir kommen. Alle meine Wiedergeburten. Und es geht noch weiter.“ Ermattet machte er eine Pause und wischte sich über die Augen. „Seit einem Jahr frage ich mich, was der Fluch überhaupt bewirkt. Ich habe so viel darüber gegrübelt, dass ich sogar Schlafstörungen bekommen habe.“ Tief atmete Balaen durch; sich derart zu öffnen, kostete ihn ungeheure Überwindung. Wenn es nicht unbedingt notwendig gewesen wäre, hätte er nicht damit begonnen, und jetzt konnte er nicht mehr davon zurückweichen. „Dass die Hylianer immer wieder von Vaati, Ganon und anderen Dämonen heimgesucht werden … dass immer wieder Helden unter Einsatz ihres eigenen Lebens gegen sie kämpfen müssen … all das ist darauf zurückzuführen, dass ich den Todbringer nicht daran gehindert habe, seinen Fluch auszusprechen.“ Seine Stimme bröckelte. „Ihr könntet ein normales Leben führen als Schmied oder Ritter. Und auch das mit Link wäre nicht so gekommen, wenn der Fluch ihn nicht ans Heldentum binden würde …“

„Moment, Auszeit!“, stoppte Leo Balaens ohnehin ersterbenden Redefluss. „Nur, dass ich das richtig verstehe: Du glaubst, alles Böse sei wegen dir in der Welt?“

Düster raunte der älteste Held: „Zumindest hätte es mit seinem ersten König endgültig aus Hyrule verschwinden sollen. Wenn nur der Fluch nicht gewesen wäre.“

Schnaubend wirbelte der Hylianische Ritter herum, stapfte einige weit ausholende Schritte davon. „Oh, all ihr Götter!“, rief er aus und warf theatralisch die Hände in die Luft. „Das ist das anmaßendste das du, nein, das überhaupt irgendjemand jemals gesagt hat!“ Er wandte sich wieder den beiden anderen Kriegern zu und fuhr den älteren an: „Von wegen Realismus! Es fällt dir bestimmt schwer, weil du dein ganzes Leben ein Überflieger gewesen bist, aber komm mal besser auf den Boden der Tatsachen zurück und sperr die Lauscher auf, Himmelsheld!“ Mit dramatischer Geste deutete er auf Balaen. „Es gab vor dir schon Dämonen und Monster, und auch nach dir wird es sie immer geben – daran hat dein mieser kleiner Fluch nicht das geringste geändert!“

Während Balaen nichts darauf entgegnete, widersprach Virri: „Ich denke schon, dass der Fluch etwas anders gemacht hat.“

Leo stöhnte genervt auf. „Komm du jetzt nicht auch noch damit!“

„Ich meine damit“, präzisierte der kleine Krieger überzeugt, „dass der Geist des Helden zwar verflucht ist, gegen Bösewichte zu kämpfen, aber das ist doch was Gutes!“ Weil die Ritter nun beide skeptisch wirkten, erläuterte er geduldig: „Hyrule ist ein schönes Land. Eigentlich fast immer friedlich, weil immer ein Held da ist, der es vor großen Dämonen beschützt.“

„Wenn er nicht gerade selbst einer ist“, warf Leo zynisch ein.

Gedehnt pflichtete Virri ihm bei: „Ja, Link ist irgendwie eine Ausnahme … Aber dafür hat Zelda uns doch hergeholt. Drei Helden!“

Leo zog einen Mundwinkel zu einem halben Grinsen hoch. „Das ist wahr. Egal, welcher Mist in Hyrule am Dampfen ist, wir sind einfach die Besten, ihn wegzumachen.“

Trotz dieser Worte war Balaen bei weitem nicht umgestimmt.

Mit herablassendem Blick auf ihn seufzte der Hylianische Ritter. „Versink meinetwegen weiter in Selbstmitleid. Aber doch bitte erst, wenn wir hier fertig sind.“ Damit war dieses Thema für ihn erledigt, und er schnitt ein anderes an. In unterdrückter Wut kniff er ein Auge zu. „Findet ihr es nicht auch verdammt ärgerlich, dass wir drei zusammen keinen ganzen Helden abgeben, der es mit Link aufnehmen kann? Ich meine, wir sind doch ganz klar in der Überzahl, also warum …“ Sogleich verstummte er, als sein Blick auf Virris Klone fiel, die beieinander standen und abwesend ins Leere starrten. Überrascht blinzelte Leo über den Einfall, der ihm gerade kam. „Aber ja doch! Das ist es!“, rief er euphorisch aus.

Virri schreckte zusammen, als Leo sich ihm ruckhaft und mit schalkhafter Grimasse zuwandte, und stieß hervor: „W-was denn?“

„Ich hatte gerade die beste Idee überhaupt!“, verlautbarte Leo und lief zu den Schwertern der Vier, die unbenutzt am Rande des Gartens im Boden staken. „Wenn sechs von uns nicht genug sind, machen wir eben noch mehr aus uns!“ Ehe jemand – insbesondere Virri – Einwände erheben konnte, ergriff Leo das Heft des originalen Schwerts mit dem grünen Zierstein und zog es aus der Erde. Für einen Moment hielt er inne, blickte dann verwirrt um sich. „Sollte da jetzt nicht was passieren?“ Ratlos beäugte er die Gemme im Knauf der mystischen Waffen, die zwar leuchtete, doch damit nur die Existenz der Doppelgänger des eigentlichen Trägers indizierte.

Dieser erblickte mit Entsetzen das Schwert der Vier in fremder Hand, stürmte sofort auf Leo zu und haschte danach. Doch der Ritter hob es, ohne ihn anzusehen, in die Höhe, sodass die Finger des kleinen Helden daneben schnappten. „Gib es mir zurück!“, forderte Virri zornig. Dennoch wartete er gar nicht erst darauf, dass Leo darauf einging, und sprang sofort hoch. Doch der Ritter vollführte nur eine leichte seitliche Drehung, und der herangleitende Greifenkeiger verfehlte erneut. Leos Rechte schnellte vor, packte die Tunika des Fliegenden im Nacken und fing ihn auf.

Gequält keuchte Virri, als er sich plötzlich im Klammergriff des älteren Helden wiederfand. Er zappelte knapp mit den Füßen über dem Boden, versuchte, sich zu wehren und freizukommen, doch natürlich ließ Leo nicht locker. „Lass mich runter!“, tobte der Junge in kindlichem Zorn.

„Mach ich. Wenn du mir sagst, warum bei mir keine Klone erscheinen“, bot Leo an und hielt das Schwert der Vier dessen Besitzer vor die Nase, der fruchtlos danach die Hände ausstreckte.

Statt eine Antwort zu geben, wiederholte Virri: „Gib’s mir wieder!“ Erfolglos versuchte er, mit geballten Fäusten auf Leo einzudreschen, der ihn am ausgestreckten Arm in sicherer Entfernung vor sich hielt. Während das Original seinen eigenen aussichtslosen Kampf führte, setzte es seine Klone in Bewegung und steuerte sie nun auf seinen Peiniger zu.

Der hörte sie herannahen, trat dreimal schnell auf der Stelle und flitzte mit pegasusartiger Geschwindigkeit zum Schießstand auf der anderen Seite des Gartens. Die Doppelgänger nahmen mit unheimlich ungerührter Miene die Verfolgung auf, doch der Heißsporn entkam ihnen erneut ohne Probleme. Nachdem sich diese Prozedur noch zweimal wiederholt hatte, meinte Leo gelassen: „Wir können den ganzen Tag so weitermachen.“

Beleidigt verschränkte Virri die Arme und zog trotzig die Nase kraus. „Du kannst nicht ewig wegrennen! Meine Klone werden aber nicht müde!“

In Leos Augen zeigte sich ein interessiertes Funkeln. „Ist das so? Gut zu wissen …“ Unnachgiebig horchte er Virri weiter aus: „Aber warum habe ich keine? Bei dir tauchen sie immer gleich auf, wenn du dein Schwert ziehst.“

„Genau!“, schnauzte der kleine Held zurück. „Weil es mein Schwert ist!“

Aufmunternd schüttelte Leo seinen Gefangenen, der in seiner am Kragen aufgehängten Tunika hin- und herbaumelte. „Ach, komm schon, hab dich nicht so! Du hast selbst erzählt, dass du nicht der erste bist, der damit kämpft, also wohl kaum der letzte! Oder gilt das mit dem Geist des Helden hier nicht?“

Von der Bank aus, der Leo auf seiner Flucht vor den Doppelgängern wieder nähergekommen war, hatte Balaen dem vierfarbigen Treiben bislang schweigend beigewohnt. Nun meldete er sich zu Wort: „Warum willst du es denn unbedingt benutzen?“

Mit feurig lodernden Augen erklärte der jüngere Ritter: „Ist das nicht klar? Stellt euch doch nur mal vor, es gäbe zwölf von uns! Link hätte keine Chance!“

Diesen Optimismus teilte Balaen nicht, im Gegenteil prophezeite er: „Wir würden uns nur gegenseitig auf die Füße treten.“

„Und das Schwert der Vier zu beherrschen ist nicht leicht!“, ergänzte Virri fachmännisch.

Doch Leo brannte derart für seine Idee, dass er sich durch diese vernünftigen Bemerkungen nicht ausbremsen ließ. „Sag schon!“, forderte er und schüttelte seinen kleinen Gefangenen erneut.

Virri murrte etwas undeutliches, das Leo gönnerhaft überhörte. Damit gab der eigentliche Träger des Schwerts der Vier auf. „Am Anfang musste ich es immer hoch halten, mit der Spitze nach oben“, ließ er den Hylianischen Ritter wissen.

Bei dieser Beschreibung stutzte Balaen. „Es also … himmelwärts halten?“

„Ja, hab ich doch gerade gesagt!“, giftete Virri den Held aus den Wolken an.

Ungeachtet des Wortwechsels zwischen den beiden betrachtete Leo die übernatürliche Waffe in seiner Linken. „Etwa so?“, überlegte er laut und reckte das Schwert der Vier der Anleitung nach über den Kopf – woraufhin mehrere Dinge so schnell hintereinander erfolgten, dass sie fast gleichzeitig stattfanden:

Zuerst blitzte die weiße Klinge kurz auf, ihre bereits bestehenden Kopien lösten sich in Funken in hellem Rot, Blau und Violett auf, genau wie Virris Klone, was deren grüngewandetes Original zusammenzucken ließ. Drei neue Abbilder spalteten sich ab vom Schwert der Vier, gehalten von drei aus dem Nichts erscheinenden Händen. Auch Leo fuhr zusammen, ließ Virri unwillkürlich fallen. Der kleine Krieger brach auf dem Boden zusammen, zitterte unter dem unangenehmen Schauer, den das urplötzliche Verschwinden seiner drei zusätzlichen Körper durch den eigenen gejagt hatte.

Mit schreckgeweiteten Augen sah er auf zu den vier ihn umgebenden Rittern, die in Statur und Aussehen einander absolut glichen; ja sogar die vernähte Hasenscharte war übernommen worden. Lediglich in der Farbe ihrer Gewänder unterschieden sie sich voneinander. Die drei neuen Schwerter waren genau über Virri gekreuzt, nur das Original wurde jetzt gesenkt. Leo tappte rückwärts von ihnen weg, taumelnd unter dem Gefühl, aus sich selbst getreten zu sein, und kämpfte mit der unvermittelten Reizüberflutung.

Mit Mühe gelang es ihm, sich zu fangen und seine ausgelagerten Sinne unter Kontrolle zu bringen. Dadurch wurde er seiner Klone gewahr, betrachtete sie triumphierend. „Siehst du?“, wandte er sich an den sprachlosen Virri. „Klappt doch ganz wunderbar! Und es fühlt sich auch gar nicht mal schlecht an. Als sei ich … mehr.“ Bei dem Stichwort blitzten seine Augen gierig auf. Obwohl er sich darauf konzentrierte, auch in seinen Doppelgängern die Schwerter langsam runter zu nehmen, führten die drei die Bewegung so ruckartig aus, dass die Klingen den kleinen Helden zu ihren Füßen nur knapp verfehlten. Erschrocken krabbelte Virri rückwärts durch die Lücke, die Leos Abwesenheit in seinem Kreis freiließ. Als Kenner des Schwerts der Vier war er es gewohnt, dass er sich an der blanken Klinge nicht verletzen konnte. Doch nun, da ein anderer es führte …

Der falsche Träger der mystischen Waffe schritt um seine Klone und sondierte sie weiter; in ihren ausdruckslosen Mienen spiegelte sich sein selbstgefälliges Grinsen nicht. „Also, Blau und Rot hab ich ja schon getragen“, kommentierte Leo, „und Violett …“ Den Rest des Satzes schluckte er. „Aber Grün steht mir noch am besten!“ Das Schwert der Vier in die rechte Hand gewechselt, winkte er sich selbst in vierfacher Ausführung mit der Linken zu. Bei aller Gleichheit erkannte er jetzt auch diverse Unterschiede. „Merkwürdig. Kein Trifroce-Mal … Und auch keine Krafthandschuhe.“ Sein Blick wanderte hinab zum Schuhwerk seiner Abbilder, das anders als das eigene nicht mit Flügelchen verziert war. Resigniert fügte Leo hinzu: „Und Pegasusstiefel auch nicht. Das ist ärgerlich!“

„Und Virris Klone sind verschwunden“, stellte Balaen kühl fest. „Wie es scheint, kann sich immer nur einer vervierfachen. Wird wohl doch nichts mit deiner Armee aus Helden.“

Nicht einmal dieser offensichtliche Fehlschlag brachte Leo dazu, einen Rückzieher zu machen. „Ist doch egal!“, beharrte er störrisch. „Dann gehen wir eben einer nach dem anderen ran, die Klone immer zuerst. Wir müssten nicht einmal selbst was machen.“ Aus den Augenwinkeln blickte er Balaen vielsagend an. „Da könnte uns schon fast langweilig werden. Dieser Mistkerl soll sich auf was gefasst machen!“ In allen seinen vier Instanzen hob er kampfbereit die Schwerter und rannte los auf den Duellplatz zur Holzkiste, um sich mit der neuen Verstärkung gleich dem nächsten Hühnerhagel zu stellen. Doch er kam nicht weit, denn die Klone gerieten schon nach wenigen hastigen Schritten ins Straucheln. Sie stürzten übereinander und gingen in dreifarbigem Funkenschauer auf. Der zurückbleibende Grüngewandete stolperte noch etwas weiter, verwirrt von den sich überschlagenden und plötzlich verschwindenden Perspektiven seiner Doppelgänger. Fest blieb er stehen, überwand diese Veränderung seiner Wahrnehmung wesentlich schneller als die vorige Erweiterung.

„Was … ist passiert?“, fragte Leo und hob das Schwert der Vier probeweise erneut in den Himmel, doch diesmal vervielfachte es sich nicht. Er ließ es wieder sinken, klopfte die weiße Klinge auf die flache Hand. Das Glühen des grünen Steins im Knauf flackerte unregelmäßig und erlosch. „Ist das Ding kaputt?“

„Nein, ist es nicht!“, blaffte Virri, stürmte auf den Dieb zu und entriss ihm wütend das Schwert. Sofort erleuchtete der Zierstein, beschwor die Doppelgänger des eigentlichen Trägers herbei. Heftiger als nötig stieß Virri die Waffe in ihre Scheide am Gürtel zurück, sodass seine Abbilder sich gleich wieder auflösten.

Nun doch deutlich bestürzt über den Dämpfer, den er verpasst bekommen hatte, blickte Leo dem kleinen Krieger nach, als dieser zur Bank zurückkehrte. „Warum hat es nicht geklappt?“, fragte der Hylianische Ritter.

Missgestimmt behauptete Virri: „Weil dein Kopf zu durcheinander ist! Du willst zu viele Dinge auf einmal machen.“

„Aber das ist doch genau der Sinn der Sache: An vier Orten gleichzeitig zu sein“, rechtfertigte sich Leo einigermaßen konfus.

„Das ist es nicht!“, klagte der Experte ihn lauthals an. „Du verstehst das Schwert der Vier einfach nicht!“

Der Zurechtgewiesene fand sein Temperament wieder und schmetterte zurück: „Dann erklär es mir doch, Naseweis!“

„Das geht nicht“, versetzte Virri. „Du kannst das nicht verstehen.“

Auch Leo blieb weiterhin dickköpfig. „Und warum nicht?“

Etwas ruhiger, aber nichtsdestoweniger überllaunig belehrte Virri den älteren Krieger: „Weil du kein Handwerker bist.“

Verwirrt blinzelte Leo. „Was hat das damit zu tun?“

Ungeduldig wollte der kleine Held wissen: „Hast du je etwas mit deinen Händen hergestellt?“

„N-nein …“

„In der Schmiede hat mir mein Opa beigebracht, mir das, was ich schmiede, im Kopf schon vorzustellen. Ich musste vorausdenken, welche Materialien ich mit welchen Werkzeugen bearbeiten würde. Das hat mir geholfen, als ich gelernt hab, mit dem Schwert der Vier umzugehen.“ Unwillkürlich legte Virri eine Hand auf den Knauf. „Und trotzdem hat es sehr, sehr lange gedauert, bis es geklappt hat.“ Jetzt umfasste er den Griff und funkelte Leo vorwurfsvoll an, als wolle er die Waffe ziehen und auf ihn losgehen. „Und dann denkst du, du könntest es dir einfach nehmen und gleich beherrschen?“

Auch wenn der Ritter einsah, dass sein Verhalten unangebracht gewesen war, verbot es ihm sein Stolz, sich bei dem Kind zu entschuldigen. Immerhin überwand er sich zu einem demütigen Senken des Hauptes.

Dieses Zugeständnis war Virri jedoch nicht genug, und er wies den älteren Krieger weiter zurecht: „Es reicht nicht, durch jeden Klon gleichzeitig was anderes tun zu wollen. Man muss es geordnet machen, die Handlungen im Kopf aufteilen und sie doch zusammenhalten, damit nichts durcheinander gerät. Dafür muss man ruhig denken können, immer einen Überblick über die Lage haben wie … wie …“ Er verstummte, als ihm der bislang auf ihn so absurd wirkende Gedanke, das Schwert der Vier fortzugeben, plötzlich gar nicht mehr so verwerflich erschien. Lediglich für die Dauer eines Kampfes gegen Link bräuchte er die mystische Waffe zu verleihen. In diesem einen sehr klaren Augenblick erkannte Virri, dass er alles für einen Sieg gegen den abtrünnigen Helden geben musste, genau wie seine Mitstreiter.

Grüblerisch hob er den Blick zu dem besonneneren der beiden. Leo, der seinen Gedankengang erriet, musterte den ältesten ihres Trios ebenfalls abschätzend, grinste verwegen und nickte in stummer Zustimmung.

Als auch Balaen verstand, was die beiden im Sinn hatten, richtete er sich ruckartig auf und wehrte vehement ab: „Auf gar keinen Fall!“

Prinzessin Zelda hielt sich auf in ihrem altgedienten Arbeitszimmer, am Schreibtisch stehend statt auf dem Stuhl sitzend. Wie üblich leistete ihr Leibwächster Hendrik ihr Gesellschaft, während sein Kollege vor der Tür Wache stand.

Seit sie vor einigen Tagen in ebenjenem Zimmer Leo und Balaen Audienz gehalten hatte, hatte sie sich intensiv mit den Ereignissen beschäftigt, die unmittelbar vor der Beschwörung der drei Helden stattgefunden hatten: Der missglückte Versuch der Hylianischen Ritter dieser Zeit, Links habhaft zu werden. Das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, hatte sich seit seiner eigenen Ankunft nicht viel damit auseinandergesetzt; es waren andere Dinge wichtiger und außerdem nicht die Idee des fremden Geistes gewesen, die Ritter auszuschicken. Schon beim ersten Lesen des Berichts war ihr bereits aufgefallen, dass etwas darin nicht ganz Sinn ergab. Weitere Nachforschungen in diese Richtung hatten schließlich ans Licht gebracht, dass das Dokument längst nicht der Wahrheit entsprach. Deswegen hatte die Regentin die letzten Tage damit zugebracht, die an seinem Verfassen beteiligten Personen auszufragen – und nun stand Zelda vor drei verschiedenen Versionen derselben Vorkommnisse.

Ihnen allen war zumindest gemein, dass die Ritter am Todesberg Link tatsächlich begegnet waren und dass es zu einem Kampf gekommen war. Auch das, was nach diesem erfolgt war, deckte sich in allen drei Ausführungen: So hatte der Trupp des Ordens ursprünglich aus zehn Mitgliedern bestanden – sieben Ritter und drei Knappen . Aber nur fünf von ihnen waren schwer verwundet in Kakariko angekommen, wo noch einer dieser Überlebenden seinen Verletzungen erlegen war. Vor langer Zeit war das Gebirgsdorf von der Ehrenwerten Impa gegründet worden unter der Prämisse, jedem, der Unterschlupf suchte, mit Gastfreundschaft zu begegnen. Hier, so hatten die Ritter ganz recht vermutet, würde ihnen der Hass, den viele Bürger Hyrules noch immer auf den Orden empfanden, sicher nicht entgegenschlagen. Ins Haus der Gründerin waren sie eingezogen, das immer einige Gästebetten zur Verfügung hatte – während zeitgleich die Shiekah selbst sich an das gescheiterte Unterfangen gewagt und ebenfalls kläglich versagt hatte. Auf dem Friedhof Kakarikos hatten die verstorbenen Ritter und Knappen ein würdevolles Begräbnis erhalten, leider ohne die Anwesenheit der Regentin, die zu dieser Zeit andere Angelegenheiten hatte klären müssen.

„Der erste Bericht, den man mir vorgelegt hat, ist eine Abschrift, die der Kriegsminister nach den Schilderungen der Ritter verfasst hat“, erklärte Prinzessin Zelda Hendrik mit einer in einem Seidenstulpen gehüllten Hand auf einem Dokument des Staatsarchivs.

Der Gardist zeigte reges Interesse an der Sache, wusste er doch, dass ihre Gedanken auszusprechen seiner Herrin half, die neuen Erkenntnisse Revue passieren zu lassen – und nicht von den Gefühlen überwältigt zu werden, die in ihr brodelten.

„Darin wird recht detailliert dargelegt, wie die Ritter Link im Gebirge stellen“, führte die Prinzessin weiter aus, „doch ihr Kampf mit ihm wird unterbrochen, da sie von einer Gerölllawine überrascht werden.“ Sie hob das ordentlich beschriebene Blatt Papier auf und ließ die türkisblauen Augen darüber gleiten. „Link entkommt, während die Ritter schwer verletzt werden – und genau diese Stelle hat mich stutzig gemacht, denn die Wunden, die hier beschrieben werden, können nicht von einem Steinschlag verursacht worden sein. Das hat mir auch der Hofarzt bestätigt.“

Auf Hendriks stumme Bitte reichte sie ihm das Schreiben, damit er kurz den Abschnitt überfliegen konnte, von dem die Rede war. „Möglicherweise ist doch Link für all diese Verletzungen verantwortlich“, überlegte der Soldat laut.

Beipflichtend nickte Zelda. „Nun, der Kriegsminister ist auf meine …“, – sie zögerte kurz, da es nicht das fremde Bewusstsein gewesen war, das dies veranlasst hatte, sondern die damals noch freie Prinzessin selbst –, „… auf meine Anweisung nach Kakariko aufgebrochen, um sich mit den Rittern persönlich zu treffen. Wie sich jetzt herausgestellt hat, hat er jedoch nicht mit den verbliebenen Ordensmitgliedern gesprochen, wie er im Bericht behauptet. Diese waren nämlich aufgrund ihres kritischen Zustands nicht vernehmungsfähig. Zumindest behauptete das laut Kriegsminister der jüngste Knappe, der anstelle der vollwertigen Ordensmitglieder alles erzählte, was er von der Begegnung mit Link wusste. Dieser Knappe hat sich nämlich nicht an der Suche beteiligt, da seine Mentorin ihm nicht genug Kampferfahrung zuspricht.“

Dieser Umstand war letztendlich das Glück des Jungen gewesen, sonst wäre er wie die drei anderen Knappen ums Leben gekommen. Seine Lehrerin war die einzige Frau des Ordens und auch das einzige Mitglied, dessen Wunden für eine Reise ausreichend verheilt gewesen waren. Daher hatte die Prinzessin Ritterin und Knappe aus Kakariko ins Schloss bestellt und über die Angelegenheit ausgehorcht.

Nun nahm Zelda ein Blatt zur Hand, das sie im Zuge dieses Gesprächs selbst beschrieben hatte. „Die Geschichte des Knappen verfälscht die wahren Ereignisse, weil er den Stolz der Ritter nicht verletzen wollte. Auch hier finden sie Link und bekämpfen ihn mit Erfolg. Es gelingt ihnen fast, ihn zu überwältigen, als eine Gruppe Goronen dazwischenfunkt. Diese wollen Link selbst gefangen nehmen, wobei sie aber alle Hylianer angreifen, um sie aus dem Gebirge zu vertreiben. Dabei sollen die Ritter angeblich so schwer verletzt worden sein. Sie wagten es nicht, sich gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen, die doch eigentlich unsere Verbündeten sind.“

„Der Kriegsminister hat aus der Horde Goronen einen Steinschlag gemacht“, theorisierte Hendrik, „weil ein echter Angriff diplomatisch zu brisant gewesen wäre.“

Die Regentin nickte. Sie machte dem Minister dafür keinen Vorwurf; immerhin hatte er verhindern wollen, dass der Konflikt zwischen Hyrule und Goronia, der durch den Mord an Darunia ohnehin schon zwischen ihnen schwärte, noch weiter angefacht wurde. Nur leider schien er über die Treue zum Königreich seine Verpflichtung gegenüber der Familie, die es regierte, nur zu gerne zu vergessen. Gönnerhaft fuhr Zelda fort: „Er wie auch der Knappe haben mit ihrem Verfälschen nur im besten Willen gehandelt, um die Werte, die ihnen am meisten bedeuten, zu schützen.“

Vor ihrem Aufbruch hatte die Ritterin der Prinzessin versichert, ihren Knappen für sein kleines Märchen angemessen zu bestrafen. Doch Zelda hatte ausdrücklich darum gebeten, sie möge es nicht tun – selbst wenn mit seiner vorausgegangenen Lüge die ganze Fälscherei überhaupt erst begonnen hatte. Sein jugendlicher Leichtsinn mochte ihn dazu veranlasst haben, doch die Trauer um den Verlust seiner Freunde und seines Vaters, der auch zu den verstorbenen Rittern zählte, erachtete Zelda bereits als ausreichende Strafe.

„Und was ist nun wirklich passiert?“, ermutigte Hendrik seine Herrin, weiterzureden.

Diese räusperte sich und zog den letzten Aufschrieb herbei – die Schilderungen der Ritterin, unverändert und aus erster Hand. Bei diesen konnte sich Zelda nun gewiss sein, dass sie die endgültige Wahrheit darlegten. Also fasste sie für ihren Leibgardisten zusammen: „Die Ritter und die sie begleitenden Knappen stellen Link im Gebirge eine Weile nach, doch gelingt es ihnen nicht, ihn einzuholen. Schließlich scheint es, als werde er ihrer überdrüssig, denn er ist es, der sie so überraschend aus dem Hinterhalt überfällt, dass ihnen erst später in Kakariko klar wird, dass es sich um ihre Zielperson handelt.“ Für einen Moment schwieg die Prinzessin. Was für ein schreckliches Schicksal diejenigen ereilt hatte, die bei jenem Erstangriff bereits getötet worden waren, hatten sie doch nie erfahren, wer ihr Mörder war. „So gnadenlos geht er gegen sie vor, als empfände er einen persönlichen Groll gegen sie. Doch vermutlich will er sie einfach nur dazu zwingen, von einer weiteren Verfolgung abzulassen.“ Bitter schluckte Zelda. Die Interpretation dieser Tat war für sie nur schwer zu verkraften: Dass Link den Wert von zehn Menschenleben geringer eingeschätzt hatte als den pragmatischen Nutzen ihres Dahinscheidens. Innerlich schüttelte sie sich, fing sich aber schnell wieder. „Ein riesenhafter Gorone findet schließlich die Schwerverletzten und hilft ihnen, Kakariko zu erreichen.“ Dieser Steinkoloss schien der letzte Gorone zu sein, der den Hylianern noch bedingungslos wohlgesonnen war. Zelda hegte die starke Vermutung, dass es sich dabei um Angoro handelte, jener Gorone, den auch ihre drei Helden getroffen hatten.

Auch über den letzten Aufschrieb ließ Hendrik die Augen schweifen und stellte fest: „Er hat auch als Wolf gegen sie gekämpft. In den anderen Berichten aber kommt das gar nicht vor.“

Finster zog seine Herrin die Brauen runter, setzte sich endlich und stützte den Kopf in Händen. Was ihr Leibwächter anschnitt, stimmte: Links übermenschliche Fähigkeiten fanden in beiden gefälschten Versionen keine Erwähnung – offensichtlich hatte bereits der Knappe sie verschwiegen, um das angeschlagene gesellschaftliche Bild der Ritter nicht noch weiter zu schädigen. Auch in einer Welt der Magie schrammten manche Dinge doch noch zu sehr am Wahnsinn vorbei. Durchaus hatte Link gegen die Ritter den Feuerzauber angewandt, von dem auch das Heldentrio erzählt hatte, und sich in einen Wolf verwandelt – doch nicht in einen Dämon. Offenbar hatte er es nicht für nötig erachtet, bei seinen ritterlichen Gegnern zu seiner Geheimwaffe zu greifen. Auf der einen Seite war das vielleicht gut, weil der Orden andernfalls jetzt wohl nur noch ein Mitglied gehabt hätte, das seine Ausbildung noch nicht einmal abgeschlossen hatte; auf der anderen Seite jedoch war es schockierend, dass Links magische und rein menschliche kämpferische Fertigkeiten so weit gingen, dass ihnen nicht einmal die Kriegerelite Hyrules beikam. Aber dies war auch kein Wunder: Trotz allem, das er getan hatte, war Link nun mal ein auserwählter Held.

Prinzessin Zelda konnte sich glücklich schätzen, dass sich ihre drei Berufenen entgegen der erschütternden Niederlage in den Verlorenen Wäldern bereiterklärt hatten, diese Zeit noch nicht zu verlassen. Dafür war sie ihnen unendlich dankbar und würde alles in ihrer Macht stehende tun, um sie in ihrer Aufgabe zu unterstützen. Die größte Stärke der drei war Zeldas Meinung nach ihr Zusammenhalt, doch würde der zweifellos nicht ausreichen, um Link zu bezwingen. Daher hatte sich ihre Beschwörerin erhofft, bei der Erforschung der Wahrheit etwas über seine Dämonenform in Erfahrung zu bringen. Sei es auch nur die winzige Andeutung einer Schwachstelle, die, wenn schon nicht sieben Ritter, dann doch drei Helden auszunutzen vermochten. Aber sie hatte nichts dergleichen finden können.

Müde legte Prinzessin Zelda die Stirn auf die Hände. Seit Tagen fragte sie sich, ob ihre Vertraute möglicherweise überlebt, Link vielleicht sogar überwältigt hätte, wenn seine Dämonengestalt nicht wäre. Daran, dass Impa gegen seine mächtigste Verwandlung gekämpft hatte, bestand nicht der geringste Zweifel … „Er hat sich in etwas ganz Abscheuliches verwandelt.“ Das hatte die Shiekah in ihren letzten Augenblicken zu ihrer Herrin gesagt. Zuerst hatte das fremde Bewusstsein dies nur für eine Metapher für Links moralischen Sinneswandel gehalten, aber nun stellte es sich als Information heraus, die schon zu diesem frühen Zeitpunkt von größter Wichtigkeit gewesen und jetzt von unermesslichem Wert war. Doch die Prinzessin hatte nun keine Quelle mehr, aus der sie neue Kenntnisse hätte schöpfen können. Zumindest keine menschliche …

Nervös rieb sie sich die seidenverhüllten Hände. Es gab eine Möglichkeit, diese dringendste wie auch alle anderen Fragen zu klären, nur war sie auch bereit dazu, sich selbst dies anzutun?

„Prinzessin?“, meldete sich eine Stimme sanft neben ihr.

Die Angesprochene hob den Kopf und begegnete Hendriks besorgtem Blick. Schnell richtete sie sich in ihrem Schreibtischstuhl auf und sagte hastig: „Es geht schon. Ich war nur in Gedanken.“

Ihr Leibwächter, dem die Blaublütige keinerlei Rechenschaft schuldig war, stritt ab: „Das ist es nicht, was ich anmerken wollte.“ Mit einem Fingerzeig wies er zur Tür, die halb geöffnet war.

Dort stand sein Kollege, der, nachdem er auf sein mehrfaches Klopfen keine Antwort von seiner Herrin erhalten hatte, einfach eingetreten war. Ehrerbietig neigte er das Haupt. „Verzeiht die Unterbrechung, Prinzessin. Ich soll Euch Meldung bringen, dass jemand im Schloss ist, der Euch dringend sprechen will.“

Brüskiert strich sich die Regentin eine Haarträhne aus dem Gesicht. Eigentlich hatte sie Befehl erteilt, nicht in ihrem Arbeitszimmer gestört zu werden, und erneut war er missachtet worden. War es in diesem Schloss denn gar nicht möglich, eine Weile mit den eigenen Gedanken in Ruhe gelassen zu werden? Während sie nach der Wahrheit um die Begegnung der Ritter mit Link geforscht hatte, waren ihre königlichen Pflichten stets um sie geschwirrt wie lästige Insekten. Die Stadtreinigung hatte für die Beseitigung des Abfalls, mit dem die Ritterin und ihr Knappe beworfen worden waren, zusätzliches Geld beantragt, das zu bewilligen eigentlich dem Aufgabenbereich des Bürgermeisters Hyrule-Stadts angehörte. Wegen der hohen Summe jedoch und weil die Angelegenheit den Ritterorden betraf, war sie der Regentin zugefallen. Außerdem hatte Zelda von anderen, trivialen Zwischenfällen an jenem Tag erfahren, um die sich die Stadtgarde zu kümmern hatte. Dazu gehörten die Meldung eines Diebstahls angeblich wichtiger Dokumente und die Beschwerde über unerlaubt verbrannten Papiermülls. Alles Angelegenheiten, um die sich die Prinzessin weder sorgen musste noch wollte.

Ermattet winkte sie ihren Leibwächter in der Tür fort, stützte den Ellbogen auf die Armlehne und rieb sich die Stirn. „Wer auch immer es ist, die Dienstboten sollen ihm ein Gästezimmer zuteilen. Ich werde mich bei ihm melden, sobald ich die Zeit dazu finde.“

Ohne auf diese Anweisung einzugehen, ließ der Soldat seine Herrin wissen: „Es ist eine Gerudo.“

Nun horchte Zelda doch auf. „Eine Gerudo? Doch nicht etwa Naboru?“ Die Generalin der Gerudo-Festung würde diese wohl kaum verlassen, um der Herrscherin des verbündeten Hyrule einen Besuch abzustatten. Außerdem hatte sie es nicht nötig, persönlich vor ihr vorstellig zu werden. Ihnen beiden standen andere Mittel und Wege offen, sich miteinander in Verbindung zu setzen.

Wie zu erwarten schüttelte der Leibgardist den Kopf. „Sie ist in Naborus Namen hier – zumindest nach eigenen Angaben“, fügte er unverbindlich hinzu.

Seufzend machte die Prinzessin eine einladende Geste. „Wenn dem so ist, möge man sie zu mir bringen.“

Zu ihrer Überraschung schloss der Soldat nicht die Tür, bevor er den Befehl seiner Herrin weiterreichte. Stattdessen trat er nur zur Seite, machte so den Eingang frei für zwei Frauen, die hinter ihm auf Einlass gewartet hatten. Die beiden hätten nicht unterschiedlicher sein können: Die eine war eine Palastangestellte; in Würde gealtert und damit selbst nicht mehr in der Blüte ihrer Jahre, führte sie die andere, deren gebeugte Haltung über ihre eigentliche Jugend hinwegtäuschte, wie eine Greisin ins Arbeitszimmer. Tatsächlich wirkte die zweite nicht älter als die Prinzessin. Das lange, schwere Haar, wie bei allen Angehörigen ihres Volkes karmesinrot, stand wirr und zerzaust aus ihrem Reitzopf, zu dem sie es erfolglos gebändigt hatte. Über die sonnengegerbte Haut zogen sich zahlreiche kleinere Schürf- und Brandwunden, Schulter und Oberarm waren verhüllt von einem schlecht sitzenden, blutigen Verband.

Sowie Prinzessin Zelda der Verfassung der Gerudo gewahr wurde, sprang sie auf. „Warum hat man sich nicht um sie gekümmert?“, klagte sie die betagte Dienerin an.

Diese schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich bin untröstlich, Prinzessin. Seit sie da ist, hält sie das ganze Schloss auf Trab. Sie wollte ohne jeden Aufschub zu Euch.“

Hinter ihrer Herrin trat Hendrik vor, um einen der für Besucher bereitstehenden Stühle an den Schreibtisch zu schieben, doch die Wüstenkriegerin, so geschwächt sie auch wirkte, riss sich von der Palastangestellten los. „Ich brauche keine Hilfe“, zischte sie mit tiefer, heiserer Stimme. Nach eigenem Ermessen rückte sie das Sitzmöbel zurecht und ließ sich darauf nieder. Respektvoll rückte der Soldat von ihr ab.

Die Frau, die sie begleitet hatte, warf Zelda einen hilflosen Blick zu. „Sie will nicht, dass ihr ein Mann zu nahe kommt. Das macht es nicht gerade leicht …“

Verständnisvoll nickte die Prinzessin und gab Hendrik wortlos zu verstehen, er möge den Raum verlassen. Knapp verneigte sich der Leibwächter vor ihr und kam, dicht gefolgt von seinem Kollegen, der Aufforderung nach. Hinter ihnen fiel die Tür klackend ins Schloss. Die Dienerin hingegen blieb im Zimmer, hielt sich diskret beim Eingang, während ihre Herrin die Aufmerksamkeit ihrem Gast widmete.

Wie in jedem Raum des Schlosses, den die Regentin im Laufe des Tages vielleicht oder vielleicht auch nicht aufsuchen mochte, stand auch in ihrem Arbeitszimmer stets ein Tablet mit einem Trinkbecher und einer Karaffe frischen Wassers bereit. Davon hatte sie, seit sie sich zur Auswertung ihrer Nachforschungen zurückgezogen hatte, noch keinen Gebrauch gemacht. Nun schritt Zelda zu dem Gedeck, füllte den Becher mit Wasser und reichte ihn der Gerudo. Diese weitete beim Anblick der Gabe die ungewöhnlich kaltgelben Augen, die vor dem Verlangen nach bloßem Überleben aufblitzten. Etwas an dieser Gier kam Zelda unwillkürlich bekannt vor, doch bekam sie diesen Gedanken nicht recht zu fassen, als die Wüstenkriegerin ihr plötzlich den Becher aus der Hand riss und dessen gesamten Inhalt in einem Zug hinunterstürzte. Befreit atmete die Gerudo durch, hob Zelda das leere Gefäß bittend entgegen. Die Prinzessin nahm keinen Anstoß daran, ihren Gast weiter bedienen zu müssen, und schenkte großmütig nach. Diesmal trank die junge Frau schon langsamer.

Währenddessen schob Zelda einige Papiere auf ihrem Schreibtisch beiseite, stellte die Wasserkaraffe auf den freiwerdenden Platz in Reichweite ihres Gastes und setzte sich wieder. Nachdenklich fuhr sie sich mit einem seidenbehandschuhten Finger über die Lippen, betrachtete ihr Gegenüber genauer, um vielleicht den flüchtigen Eindruck von zuvor wieder einzufangen. Auch weiterhin blieb er aus, aber immerhin erkannte die Prinzessin nun, dass die Gerudo sogar noch jünger sein musste, als sie sie bei ihrem Eintreten eingeschätzt hatte. Wohl unlängst erst dem Kindesalter entwachsen, stand sie nun ganz am Anfang ihrer Reife zur Frau. Ihre Haut, selbst für eine Gerudo auffallend dunkel, spannte sich über ihr eingefallenes Gesicht. Die Lippen waren bleich und rissig, tiefe Ringe lagen unter ihren Augen. Welche Schrecken hatte sie auf dem Weg hierher offenbar durchmachen müssen, wenn diese sogar eine in der Unbill der Wüste aufgewachsene Kriegerin derart erschöpften?

Die Gerudo setzte den erneut geleerten Becher ab; dank des kühlen Nass hatte sie ihre Stimme ganz wiedergefunden. „Danke“, sagte sie schlicht ohne jede aufgesetzte Höflichkeitsfloskeln.

„Nimm so viel, wie du brauchst“, forderte die Prinzessin sie freundlich auf und wies auf die Karaffe. Die Wüstenkriegerin nickte dankbar, nahm das Angebot aber noch nicht in Anspruch. Ihr gegenüber lehnte sich Zelda auf ihrem Schreibtischstuhl zurück, musterte das Mädchen weiterhin. „Du wolltest so schnell wie möglich zu mir gebracht werden“, erinnerte sie. „Nun, hier bist du.“ Als die Gerudo weiterhin nur schweigend den Blick gesenkt hielt, ermunterte die Prinzessin sie: „Vielleicht nennst du mir erst einmal deinen Namen.“ Dabei verzichtete sie darauf, sich selbst vorzustellen; der Besucherin aus der Wüste durfte klar sein, wen sie hier vor sich hatte.

Diese verkrampfte die Hände um den Trinkbecher, atmete tief durch, bevor sie endlich antwortete: „Ich heiße Amira. Ich bin eine Kriegernovizin und gute Freundin Naborus.“

„Bist du als ihre Stellvertreterin hier?“, erkundigte sich Prinzessin Zelda.

Das kurzzeitige Selbstvertrauen, das Amira aus ihrer Identität geschöpft hatte, verflog sogleich wieder, und sie zitterte. „Ja … nein … Ich … ich bin drei Tage und Nächte geritten!“, beteuerte sie und hob ihren verzweifelten Blick zu der hylianischen Herrscherin. „Mein Pferd! Es ist ein guter Wüstenrappe, ein Geschenk von … Ich hab es geschenkt bekommen, nachdem ich das Reiten gelernt habe, und immer gehütet wie meinen Augapfel … und jetzt habe ich es zuschanden geritten!“ Ihre Stimme nahm einen flehentlichen Ton an. „Eine Dienerin hat gesagt, dass es in die königlichen Ställe gebracht wird. Kümmert man sich dort gut um es?“

Zelda bedachte sie mit einem gütigen Lächeln. Amira musste dieses Tier wirklich sehr wertschätzen, wenn sie sogar in ihrem Zustand noch darum besorgt war. „Es soll die beste Pflege erhalten, die dieses Schloss aufbieten kann“, versicherte sie dem Mädchen, „nur von Frauen, versteht sich.“

Über das Gesicht der jungen Gerudo legte sich ein Ausdruck tiefster Erleichterung, und sie ließ die angespannten Schultern sinken. Auch wenn sie sich nicht mit Worten bedankte, so hätte ihre Reaktion nicht eindeutiger sein können.

„Was ist denn nun mit Naboru?“, kam Zelda auf das eigentliche Thema zurück.

Einige Atemzüge schwieg die Botschafterin, bevor sie zögerlich antwortete: „Sie hat mich nicht geschickt, aber ich bin sicher, dass sie bestimmt jemanden entsandt hätte, wenn sie Gelegenheit gehabt hätte.“ Hier verstummte sie wieder.

Alarmiert, doch noch immer behutsam drängte die Prinzessin: „Was ist passiert?“

Langsam, aber gleichmäßig und ohne Zögern, als versuche sie, die Worte wiederzufinden, die sie sich eigentlich bereits zurechtgelegt hatte, erzählte Amira: „Alles begann am Abend vor vier Tagen, einige Stunden vor meinem Aufbruch. Naboru ließ verbreiten, sie habe eine Warnung bekommen, jemand wolle einen Mordanschlag auf sie verüben.“ Achtsam musterte die Gerudo ihr königliches Gegenüber, wie um herauszufinden, wie die Regentin diese Neuigkeit aufnehmen würde. Immerhin hatte Naboru als Generalin eine für Hyrule äußerst wichtige politische und militärische Stellung inne.

Undurchschaubar nickte Zelda und bedeutete Amira mit einer Geste, fortzufahren.

„Zuerst vermuteten wir, dass die Getreuen dahintersteckten.“ Die Kriegerinnen der Festung waren jene Gerudo, die sich vor über sieben Jahren der rechtmäßigen Herrschaft ihres Königs Ganondorf zwar gebeugt, jedoch insgeheim immer gegen seine unmoralischen Methoden gestanden hatten – allen voran Naboru selbst. Nach seiner Verurteilung zum Tode durch den König von Hyrule, den Ganondorf eigentlich hatte stürzen wollen, hatten diese Rebellinnen die Festung für sich beansprucht. Strategisch günstig im Gerudotal gelegen, war das Bollwerk aus Sandstein der beste Ort, die Ebene von Hyrule von der Wüste aus anzugreifen – oder zu verteidigen. Und zwar vor Ganondorfs Anhängerinnen, die von den ehemaligen Rebellinnen gezwungen worden waren, die Festung in Schimpf und Schande zu verlassen. Diese seine Getreuen waren auch heute noch der Ansicht, dass die Hinrichtung eine zu harte Strafe für ihren König gewesen war, der das in ihren Augen noble Ziel verfolgt hatte, die fruchtbare Ebene für sein Volk zu erobern. Schreckliche Rache hatten sie geschworen an allen, die bei Ganondorfs Verurteilung eine Rolle gespielt hatten. Die Sorge um ihre mögliche Vorgehensweise war dafür verantwortlich gewesen, dass der König von Hyrule, obwohl eigentlich noch kein alter Mann, einem Herzinfarkt erlegen war. Mit ein paar Jahren Verspätung und auf indirektem Wege hatte Ganondorf somit doch noch seine grausame Absicht vollendet.

Wie seine Getreuen die Hylianer verabscheuten, so missachteten sie auch die Angehörigen ihres eigenen Volkes, die ihren König verraten und sich mit den verhassten Herrschern der Ebene verbündet hatten. Daher war es nicht ungewöhnlich, dass sie versuchten, deren Anführerin zu assassinieren.

„Sofort ergriffen wir die üblichen Sicherheitsmaßnahmen, wenn unsere Spioninnen uns vor einem Überfall der Getreuen warnen“, sagte Amira nun. „Wir haben die Patrouillen verstärkt, und Naboru verschanzte sich in ihren Gemächern. Erhöhte Wachsamkeit reicht oft schon, Eindringlinge dazu zu bringen, sich zurückzuziehen – aber nicht diesen …“ Das viele Reden hatte die volle Stimme des Mädchens wieder brüchig werden lassen, also goss sie sich Wasser in den Becher nach und trank einige Schlucke davon, bevor sie den Faden wieder aufnahm. „Dann, kurz nach Einbruch der Nacht, gab es die ersten Kämpfe – die Getreuen greifen oft im Zwielicht an. Ich war nicht daran beteiligt, weil ich auf der anderen Seite der Festung stationiert war. Aber die Signalglocken riefen nach Verstärkung, und aus der Ferne waren Rauchsäulen zu sehen. Ich und einige andere Kriegerinnen machten uns also auf den Weg. Uns kamen fliehende Verletzte entgegen. Was sie über die Angreifer erzählten, war ganz wirr …“ Als müsse sie selbst ihre Erinnerungen sortieren, drückte sie sich eine Hand stabilisierend an die Schläfe. „Manche sagten, es seien gar nicht die Getreuen, ja nicht einmal Gerudo. Andere hielten sie für Hylianer.“

Prinzessin Zelda spürte, wie sie die Finger um die Armlehne verkrampfte, und lockerte sie schnell. „Hylianer? Das fällt dann wohl unter meine Verantwortung“, stellte sie mit leichter Heiserkeit fest.

Lange und traurig blickte Amira die ihr gegenübersitzende Regentin an. „Das bezweifle ich. Eine derer, die uns entgegenkamen, warf sich mir in den Arm und drängte uns dazu, umzukehren …“ Sie riss die Augen weit auf. „Ich hätte nie geglaubt, dass eine Gerudo je so viel Angst haben könnte wie sie. Sie wimmerte etwas davon, dass … Ganondorf von den Toten auferstanden sei, um sich persönlich an seinen Verräterinnen zu rächen. Und dass seine dämonischen Zauberkräfte schrecklicher seien als je zuvor.“

Umständlicher als nötig setzte sich Zelda aufrecht hin und verschränkte die Hände im Schoß. Die Gerudo – weder Ganondorfs Getreue noch Hyrules Verbündete in der Gerudo-Festung mit Ausnahme Naborus – konnten wissen, dass die Hinrichtung ihres Königs vor sieben Jahren misslungen war. Schweigend lauschte die Prinzessin gebannt, während die Botschafterin fortfuhr.

„Meine Begleiterinnen hielten das für übertrieben. Dass es nur ein besonders großer Überfall der Getreuen und ihrer hylianischen Mitverschwörer sei, und dass einer von diesen eben ein wenig Magie beherrsche. Sie besprachen sich schon, sich ins Innere der Festung zurückzuziehen, wo die Verteidigung leichter wäre. Aber ich … ich lief weiter. Wenn es wirklich Ganondorf war, der uns da angriff, dachte ich, könnte ich …“ Amira verstummte abrupt und sog erschrocken die Luft ein, versuchte schnell, von dem zuletzt Gesagten abzulenken, indem sie den Becher leerte.

Doch die Prinzessin, in ganz Hyrule und darüber hinaus nicht nur für ihre Güte, sondern auch für ihren scharfen Verstand bekannt, hatte bereits alles durchschaut, was bislang ungenannt gewesen war und es auch bleiben würde. Also mutmaßte sie, was allen nicht Eingeweihten vollkommen aberwitzig vorkommen musste: „Du warst sicher, du könntest ihn besänftigen.“

Vor Schrecken erzitterte Amira, sah ihr Gegenüber mit der verzweifelten Bitte an, die unumstößliche Schlussvolgerung nicht zu offenbaren – nicht hier vor der Dienstbotin, die noch immer schweigend bei der Tür stand, und auch in Zukunft vor sonst niemandem. Insbesondere die Kriegerinnen der Gerudo-Festung durften nie davon erfahren, verschmähten sie doch alles, was von ihrem einstigen König kam.

„Es ist in Ordnung, Amira“, sprach das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, mit sanfter Strenge. „Wir alle haben unsere kleinen, dunklen Geheimnisse.“

Die Miene der Gerudo hellte sich auf, und sie lächelte dankbar und grenzenlos erleichtert. Das Mädchen ließ die Schultern sinken, als sei ein sie jahrelang erdrückendes Gewicht von ihnen genommen, bevor sie sie mit neuem Selbstbewusstsein wieder straffte. So kehrte sie zum eigentlichen Gesprächsinhalt zurück: „Ich musste nicht lange suchen, weil ich irgendwann ein Licht entdeckte, das ganz anders war als der gelbe Feuerschein … grün und gespenstisch … und als ich gerade um eine Ecke trat, sah ich ihn.“ Wieder erschauderte sie. Zelda ahnte die folgenden Worte, bevor Amira überhaupt bebend Luft holte. „Es war nicht Ganondorf, das erkannte ich sofort. Er sah wie ein Hylianer aus, war aber viel größer als jeder, von dem ich je gehört habe. Und seine Augen … Von Ganondorfs Augen ist immer ein bösartiges Leuchten ausgegangen, aber dieser Hylianer – oder was auch immer er war …“

Bei der Szene, die vor ihrem inneren Auge abziehen musste, bildete sich auf Amiras dunkelhäutigen Armen Gänsehaut, und sie rieb geistesabwesend darüber. Ihre Hand wanderte höher, legte sich auf den behelfsmäßigen Verband an ihrer Schulter. Als sie weitersprach, war ihr Blick in die Ferne gerückt. „Er führte ein riesiges Schwert, als sei es nur ein Säbel, von dem das grünliche Licht ausging. Obwohl ich so weit weg stand, wo ich dachte, in Sicherheit zu sein, schwang er es herum, und eine …“ Für einen Moment schien sie nach einer passenden Beschreibung zu suchen. „Eine magische … Lichtscheibe kam auf mich zu. Ich konnte mich um die Ecke retten, aber sie hat mich noch gestreift.“ Die junge Gerudo zuckte zusammen, als sie unwillentlich die Finger um die Schulter krümmte. Mit bebender Stimme fügte sie hinzu: „Ich habe noch nie solchen Schmerz gefühlt.“

Prinzessin Zelda, der die Geste nicht entging, bot an: „Ich kann aus Hyrule-Stadt eine Ärztin kommen lassen, damit deine Wunde fachgerecht behandelt wird.“

„Ich glaube nicht, dass sie je richtig verhielt“, raunte Amira leise. „Sie sieht aus, als sei mir die Haut abgezogen worden.“

Bitter presste ihr Gegenüber die Lippen aufeinander. Impa hatte eine solche Verletzung gehabt, und auch Balaen und Leo hatten etwas ähnliches berichtet, nur dass sie sich lediglich so gefühlt hätten, als löse sich ihre Haut vom Fleisch. Wie es schien, unterschieden die grünlichen Schwertstrahlen der Dämonenwaffe zwischen Helden und gewöhnlichen Menschen.

In ihren eigenen Gedanken versunken, hätte Zelda fast nicht registriert, wie Amira ihren Bericht stockend fortfuhr: „Ich bin gerannt. Naboru hat mir beigebracht, dass eine Gerudo ihren Gegnern nie den Rücken zukehrt. Aber ich konnte nicht anders. Ich hatte so fürchterliche Angst, er könne mich verfolgen und in Fetzen reißen.“ Wie unter größter Kälte schlotterte sie. „Die Straßen waren voller Trümmer und Rauch, ich konnte kaum atmen. Überall lagen Verletzte, denen es viel schlechter ging als mir. Und sogar Tote …“ Ihre Rede erstarb, und die Wüstenkriegerin sank in sich zusammen.

Aus dem vorderen Bereich des Raums trat nun die Dienstbotin an die Gerudo heran, entnahm ihren zitternden Händen den Becher und stellte ihn auf den Tisch. „Du armes Ding …“, sagte sie voller Mitleid und umarmte das Mädchen behutsam.

„Ich bin einfach weggelaufen!“, klagte Amira schluchzend. „Dabei hätte ich meinen Kameradinnen doch helfen müssen!“

„Aber nicht doch, Kleines“, tröstete die ältere Frau. „Dafür bist du doch jetzt hier, oder nicht? Um die Prinzessin um Hilfe zu bitten.“

Überwätligt von dem Kummer der letzten drei Tage brachte Amira kein Wort heraus. Ihr ganzes Leben war sie auf die Schlacht vorbereitet worden und hatte selbst gewiss einige Kämpfe gegen Ganondorfs Getreue geschlagen. Doch das dämonische Massaker, dessen Zeuge sie geworden war, brach zwangsläufig auch die größten Kriegerinnen.

Etwas ganz Abscheuliches …

Langsam erhob sich Zelda, schritt um den Tisch herum zu ihrem Gast. Ihre Angestellte ließ die Gerudo los und trat rücksichtsvoll von ihr zurück. „Amira“, rief die Prinzessin sie leise an, und das Mädchen hob den tränennassen Blick zu ihr. „Du bist eine Kriegerin, also werde ich nun mit dir auch als solche reden: Nach dem, was du geschildert hast, ist die Gerudo-Festung unzweifelhaft geschwächt. Das werden sich Ganondorfs Anhängerinnen sicher zunutze machen, um sie einzunehmen. Daher werde ich deinen Kameradinnen so schnell wie möglich militärische Hilfe zukommen lassen. Immerhin seid ihr unsere Verbündeten.“

Um würdevollen Halt bemüht, nickte Amira.

Zelda fuhr fort: „Was Naboru betrifft, will ich dir keine falschen Hoffnungen machen.“

Nun starrte die Gerudo die Regentin doch niedergeschmettert aus ihren schwefelgelben Augen an.

„Wenn ich bislang noch keine Nachricht von ihr erhalten habe, ist sie höchstwahrscheinlich bei dem Anschlag gefallen.“

Diese Ansage zerstörte endgultig Amiras Selbstbeherrschung, und sie brach in Tränen aus. So jung sie auch war, sie hatte Schreckliches erlebt – ganz so wie noch jemand, den Prinzessin Zelda nur zu gut kannte.

Sie zog die Seidenstulpen aus und legte die Krone ab. Was Amira nun brauchte, war nicht die Erhabenheit königlichen Blutes, sondern eine Freundin. So kam es, dass die Prinzessin vor der Botschafterin niederkniete, und Zelda das weinende Mädchen in die Arme schloss. Mit jeder Minute, die sie sie so umfangen hielt, kochte in dem fremden Bewusstein eine finstere Entschlossenheit hoch, die es bislang noch nicht verspürt hatte.

Als Amira sich etwas beruhigt hatte, stand Zelda wieder auf. „Du wirst ein Gästezimmer bekommen“, sprach sie, während sie Krone und Handschuhe wieder anlegte, und nickte kurz in Richtung der Dienstbotin. Diese gab mit einer knappen Verbeugung das Zeichen, den suggestiven Befehl verstanden zu haben. „Eine Ärztin soll sich um deine Wunden kümmern. Du und dein Pferd dürft so lange bleiben und euch erholen, wie du es für nötig erachtest. Und während du hier bist, ist es besser, wenn du mit niemandem besprichst, was geschehen ist.“

Schwach nickte Amira. Ihr fehlte die emotionale Kraft, ihre Dankbarkeit für die Gastfreundlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Als sie sich vom Stuhl erhob, stellte Prinzessin Zelda fest, dass die Wüstenkriegerin voll aufgerichtet eine gute Spanne größer war als sie. Vielleicht ganz normal für eine Gerudo sogar ihres zarten Alters …

Die Palastangestellte nahm das Mädchen in Empfang und geleitete sie aus dem Arbeitszimmer. Unterdessen ging Zelda um den Tisch herum und ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. Dort öffnete sie eine Schublade mit Schreibutensilien, entnahm dieser einen sauberen Bogen Papier, Feder und Tintenfässchen. Rasch verfasste sie eine Nachricht an den Kriegsminister, in dem sie ihn über den Angriff auf die Festung der Gerudo informierte und ihn anwies, eine Hundertschaft Soldaten für einen Marsch in die Wüste bereit zu machen. Dabei ließ sie zwischen den Zeilen durchblicken, dass sie besonders nach der Verfälschung seines Berichts von ihm erwartete, unverzüglich zu handeln, auch wenn sie wusste, dass der im Grunde tüchtige Staatsbeamte den Ernst der Lage sofort erkennen würde. Zum Schluss setzte die Regentin ihre Unterschrift und den königlichen Stempel, schob das Schreiben in einen Briefumschlag. Mit diesem verließ sie ebenfalls das Arbeitszimmer.

Amira und ihr Geleit waren schon längst nicht mehr im Korridor, nur der Prinzessin Leibwächter hatten beidseitig der Tür Habachtstellung bezogen. Ihre Herrin reichte Hendrik den Brief und verlangte: „Bring dies auf der Stelle zum Kriegsminister!“ Gewiss war dies nicht die Aufgabe eines Soldaten, sondern eines Laufburschen, doch ein solcher konnte nur allzu neugierig sein auf die geheimen Dokumente, die er auslieferte. Die Prinzessin hatte sich nicht die Zeit nehmen wollen, den Umschlag auch noch zu versiegeln – oder überhaupt einen Laufbuschen herbeizurufen. Gefolgsam hinterfragte Hendrik nicht den ungewöhnlichen Befehl, nahm das Schreiben entgegen, verneigte sich und eilte unter dem Geklapper seiner Rüstung von dannen.

Sowie dies erledigt war, wandte sich Zelda an ihren anderen Leibgardisten. „Ich wünsche, nicht gestört zu werden – und zwar wirklich nicht!“, betonte sie mit erhobenem Zeigefinger. „Selbst wenn die Welt untergehen sollte!“ Die professionell zurückhaltende Miene des Soldaten zeigte einen Hauch seiner Skepsis. Seiner Herrin kam der Gedanke, dass diese Bedingung doch ein bisschen zu abstrakt war für die überwiegend einfach lebende Bürgerschaft Hyrules. Also hob sie hoheitsvoll das Kinn und fügte hinzu: „Wer sich dennoch für so wichtig hält, werde ich öffentlich auspeitschen lassen.“ Natürlich gedachte sie nicht wirklich, zu einem so barbarischen Mittel zu greifen. Doch wenn ihr bis an die Zähne bewaffneter und mit einer prächtigen Rüstung gepanzerter Leibwächter eine solche Drohung aussprach, würde gewiss jeder Bittsteller auf dem Absatz Kehrt machen. Ohne ein weiteres Wort schritt die Regentin ins Arbeitszimmer zurück und knallte die Tür demonstrativ hinter sich zu.

Als endlich alles veranlasst und die Prinzessin allein war, fiel die Anspannung von ihr ab. Ein Schwindel erfasste sie, und sie wankte zum Gästestuhl, an dessen Lehne sie sich abstützte. Dabei fiel ihr verschwommener Blick auf Amiras leeren Trinkbecher, auf den Stapel Papiere mit den Aufschrieben der letzten Tage.

Zitternd drückte Zelda den Handballen aufs Auge, kämpfte gegen die Tränen an, die darin brannten. „Warum zwingst du mich dazu?“, flüsterte sie in die Stille des kleinen Raumes hinein. Dann hob sie die Hände so aneinander, als hielte sie eine unsichtbare Kugel. Zwischen ihnen erstrahlte ein indigoblaues Licht, das das zornige Gesicht der Prinzessin von Hyrule in harte Schatten tauchte.

Link war einen bedeutenden Schritt zu weit gegangen, und nun war es an der Zeit für sie, es ebenfalls zu tun.

- Ganon(dorf) wird ja gerne als Wiedergeburt des Todbringers gehandelt, manchmal aber auch „nur“ als die Inkarnation seines Hasses, die er in seinem Fluch ankündigt. Ich habe hier eher die zweite Interpretation genommen und sie auch auf Vaati und alle anderen Dämonen ausgeweitet. Das erscheint mir iwie logischer =/ Insbesondere, da Ganondorf nicht als Dämon, sondern als normaler Mensch und nach meinem Wind-Waker-beeinflussten Fanstory-Canon als um sein Volk besorgter König anfängt.

- Amira ist arabisch für „Prinzessin“. Wie man mit dieser Info und dem, was im Kapitel zwischen den Zeilen über sie steht, umgeht, bleibt einem selbst überlassen…

Und Rusalkas Kommentar wird auch noch auseinandergenommen demnächst x3

Während der Regenerationsphase von Prinzessin Zeldas drei Berufenen stellten sich die sanften Kräfte der ihnen zur Verfügung gestellten Feen als unabdingbare Hilfe heraus, beschleunigten sie den natürlichen Heilungsprozess doch um ein Vielfaches. Einige Tage nach ihrer Rückkehr aus dem Wald war Leo schon ganz wieder hergestellt. Auch weiterhin trug Balaen den gebrochenen Arm in einer Schlinge, um ihn zu schonen, würde die Schiene aber wohl demnächst endlich ablegen können. Dahingegen genas Virri zumindest so weit, dass er das Bett für längere Zeit verlassen durfte, und brannte alsbald darauf, Hyrule-Stadt zu besuchen.

Natürlich hatten die drei Helden die Siedlung bereits gesehen – kurz nach ihrer Beschwörung das Innere der Zitadelle der Zeit sowie von oben auf ihrem Flug in die Verlorenen Wälder –, doch konnte bei beiden Malen wohl kaum die Rede von einer richtigen Besichtigung sein. Nun bot man dem Dreiergespann eine Hand voll Soldaten zur Begleitung an, doch sie lehnten einstimmig ab. Dies taten sie weniger, weil sie glaubten, dass eine militärische Eskorte für einen einfachen Stadtbummel übertrieben war, als viel mehr aus heroischem Stolz.

Also verließen die Gäste der Krone alleine das ummauerte Gelände des Schlosses von Hyrule, folgten dem Pfad durch die leicht hügelige Landschaft gen Süden in seine Hauptstadt. Die Metropole existierte in Balaens Zeit noch nicht, zu Leos nicht mehr, und auch seit Virris war sie stetig gewachsen. Doch immerhin war dem kleinen Krieger ihr Kern bestens vertraut, weswegen er die älteren Helden zuverlässig wie ein Fremdenführer durch die Altstadt geleitete. Die meisten Gebäude hatten sich über die Jahre kaum verändert, manche waren renoviert, andere sogar abgerissen und durch völlig neue Fachwerkhäuser ersetzt worden. Zu fast jedem einzelnen wusste Virri eine unwichtige, triviale Geschichte zu erzählen, wenngleich aus persönlicher denn historischer Perspektive.

Die Straßen waren überfüllt von Unmengen an Menschen, die diesen sonnigen, lauen Tag wie jeden anderen ausgesucht hatten, ihren Angelegenheiten nachzugehen. Dazu gehörten Bürger, die ihre Besorgungen erledigten, ebenso wie Reisende auf Durchfahrt. Die gesamte vergangene Woche wie auch jetzt trugen Zeldas Berufene nicht ihre grünen Heldengewänder und die dazugehörigen Mützen. In der schlichten Alltagskleidung einander ähnlich wie Brüder, fügten sich die übersinnlich zeitreisenden Krieger unauffällig in den Strom der Fußgänger – zumindest, wenn man von Virri absah, der mit vor kindlichem Eifer glühenden Wangen und glänzenden Augen eine Anekdote nach der anderen zum Besten gab. Zunehmend bedachten die Passanten den Jungen, der erstaunlich viel über längst Vergangenes wusste, mit befremdeten Blicken.

Leo hingegen nervte das unentwegte Geplapper; angespannt kaute er an dem Grashalm, den er auf dem Weg vom Schloss aufgelesen hatte. Irgendwann hatte er genug davon, also unterbrach er den kleinen Helden, indem er ihm die Hand von hinten an den Kopf drückte, diesen damit ruckartig nach vorn zwang.

Augenblicklich verstummte Virri, sprang vor und strich das Haar am Hinterkopf glatt. „Was soll das?“, beschwerte er sich zugleich.

Seine älteren Begleiter blieben ebenfalls stehen. „Ich finde, es wäre nicht schlecht, wenn du für ein Weilchen den Mund hieltest“, zischte Leo. „Glaub mir, ich bin der letzte, der irgendwas dagegen hat, wenn die Leute mir ihre Aufmerksamkeit schenken. Aber es gefällt mir dann doch besser, wenn sie mich dann auch als Held bejubeln. Oder hättest du es nicht auch lieber, wenn die da“, – knapp blinzelte er zu den Passanten hinüber, von denen manche zu tuscheln begonnen hatten –, „deinen Heldentitel skandieren, als dich so anzuschauen?“

Beschämt ließ Virri den Kopf sinken, und die Lästergrüppchen lösten sich schnell auf. Wieder weitergehend, murmelte der kleine Krieger halblaut: „Ich hab doch gar keinen Heldentitel …“

Als einziger, der die undeutlichen Worte verstanden hatte, fragte Leo verwirrt: „Wie, keinen Heldentitel? Willst du mich auf den Arm nehmen, Knirps?“

Auch Balaen zog verwundert die Augenbrauen zusammen. „Du hast doch einen Dämon besiegt.“

Ohne rechte Aussage hob Virri die Schultern. „Naja, das mit Vaati ist noch nicht lange her. Ich sollte eigentlich meinen Titel bekommen, bevor …“ Er stockte und machte eine vage Geste. Bevor er in diese Angelegenheit verwickelt worden war. Mit großen Augen blickte Virri die älteren Helden an. „Sagt mal … Seid ihr zufrieden mit euren Titeln, oder würdet ihr sie ändern, wenn ihr könntet?“

Großspurig schlug sich Leo die Hand auf die Brust und verkündete: „Ich bin der Held von Hyrule! Es gibt keinen besseren Titel!“

Nachdenklich verzog sein jüngerer Begleiter die Nase. „Aber Helden von Hyrule sind wir doch irgendwie alle.“

„Ich nicht“, widersprach Balaen sogleich. „In meiner Zeit hieß das Erdland noch nicht Hyrule.“

Neben ihm verdrehte Leo die Augen. „Ja, dich nennen sie bestimmt Held mit dem Kopf in den Wolken.“

Hinter vorgehaltener Hand kicherte Virri.

Angesäuert, aber gelassen erwiderte Balaen: „Ich bin einfach nur der Held der Göttin. Mein Titel ist genauso schlicht und zutreffend wie deiner.“

„Du sagst das so, als sei das nichts Besonderes“, klagte Leo ihn geringschätzig an.

Mittlerweile war Virri mit den Gedanken schon wieder ganz wo anders und sprach diese auch aus: „Also, ich bin ja nicht der erste, der Vaati mit dem Schwert der Vier besiegt hat. Mein Opa hat mir von einem Helden erzählt, der vor mir aus dem Schwert der Minish mit den vier Elementen erst das Schwert der Vier gemacht hat. Deswegen wurde er zum Helden der Elemente. Und der Held vor ihm war der Held der Menschen. Keiner weiß, warum der so genannt wurde, aber mein Opa glaubt, dass das Wort Minish nur falsch überliefert wurde, da dieser Held ja der erste mit dem Schwert der Minish gewesen ist.“

„Wie wahnsinnig interessant“, kommentierte Leo offenkundig gelangweilt.

Unempfänglich für seinen Sarkasmus nickte Virri eifrig. „Ja, nicht wahr? Das Schwert der Vier ist schon voll alt, und jetzt, da ich weiß, dass ich es schon in anderen Leben hatte, ist es noch viel aufregender, dass ich es benutze!“

Zwar mochte das Dreiergespann ein Teil der Menschenmasse sein, die träge durch die Stadt strömte, doch die damit eigentlich einhergehende Anonymität war bei dem Gesprächsthema, das sie führten, nur schwierig zu wahren. Das begann Balaen allmählich nervös zu machen, was auch daran lag, dass er nur die Gässchen des Erdhorts gewohnt war. In seiner Heimat standen die Gebäude zwar enger, waren aber kleiner und ließen damit mehr Luft zwischen sich als ihre Gegenstücke hier in den Straßen Hyrule-Stadts. Daher lotste der Ritter aus den Wolken seine jüngeren Begleiter in eine Seitengasse, in der weniger Passanten unterwegs waren. Hier waren die drei mit ihren höchst ungewöhnlichen Konversationen mehr unter sich.

„Wenn du es dir aussuchen könntest“, nahm Leo den Gesprächsfaden wieder auf, „wie würdest du als Held dann heißen wollen, Knirps?“

Grübelnd zog Virri den Mund schief und tippte sich mit dem Finger an die Nasenspitze. „Weiß nicht … Also, es müsste auf jeden Fall was passendes sein, wie bei euch. Eigentlich würde ich schon ganz gerne Held der Farben genannt werden.“

„Das ist doch viel zu langweilig!“, schmetterte Leo vehement nieder. „Held des Schwerts der Vier klingt, finde ich, viel besser. So lang, wie das ist, hättest du Vaati mit Rechts besiegt!“

Virris Miene war seine Ratlosigkeit deutlich anzusehen. „Versteh ich nicht.“

„Ich stelle mir das so vor …“ Verschmitzt funkelten die Augen des Hylianischen Ritters, als sie zwei ihnen entgegenkommende Personen musterten. Es waren ein Mädchen von vielleicht sieben Jahren, das seiner es begleitenden Mutter zum Verwechseln ähnlich sah. Während die Frau einen Korb mit Einkäufen bei sich trug, hielt ihre Tochter ein Püppchen in Armen, das wie sie zu zwei niedlichen Zöpfen gebundenes, blondes Haar hatte. Über ihnen waren Wäscheleinen zwischen den Hauswänden gespannt, und eine kleine Gruppe Spatzen hüpfte darüber hinweg.

Noch waren Mutter und Kind einige Schritte entfernt, und so wollte Leo schnell von Virri wissen: „Wie hieß dein Dämon nochmal?“

„Vaati, der Windmagier“, kam die prompte Antwort.

Leo nickte, als hätte er nur erfahren, was er schon gewusst hatte. Als die beiden Passantinnen an dem Dreiergespann vorbeikamen, nahm er den Grashalm aus dem Mund und drückte ihn Virri in die Hand mit den knappen, erklärungsbedürftigen Worten: „Hier, halt mal.“ Mit einer fließenden Bewegung entwendete der Ritter dem Mädchen die Puppe. Wie ein Derwisch hüpfte er davon, verfolgt von den Protesten der kleinen Besitzerin, die er dreist ignorierte. Die freie Hand auf einem Auge, verkündere Leo mit wie eine Böe zischender Stimme: „Ich bin Vaati, der Windbeutel! Jetzt habe ich dich endlich, Prinzessin!“ Triumphierend fuchtelte er mit seinem Diebesgut herum. „Jetzt sollst du meine Braut werden und mir bis in alle Ewigkeit Spiegeleier braten!“ Verzweifelt rannte das Mädchen ihm hinterher, doch auf seinen längeren Beinen war Leo zu schnell für sie. Boshaft lachend entkam er den Bemühungen seiner quengelnden Verfolgerin.

Deren Mutter warf dem vermeintlichen ältesten Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu, doch Balaen hob nur machtlos die Schulter. Empört setzte die Frau dazu an, den unverschämten fremden Jungen zurechtzuweisen, als Virri Leo plötzlich in den Weg sprang und sich in seine heldenhafteste Pose warf. „Keine Angst, Prinzessin!“, rief der kleine Krieger dramatisch. „Ich bin gekommen, um dich zu retten!“

Sein Gegenüber ließ eine erstaunlich überzeugende Dämonenlache hören. „Du kommst zu spät!“ Beiläufig hob er die Puppe höher, als deren Besitzerin seine scheinbare Unaufmerksamkeit ausnutzen wollte, und damit aus ihrer Reichweite. „Du wirst die Prinzessin nie befreien, Held des Schwerts …“ Bevor er den ellenlangen Titel aussprechen konnte, stieß Virri mit einem Schlachtruf vor und spießte seine Waffe – Leos eigener Grashalm – knapp am Auge des schauspielernden Ritters vorbei. Sofort schob Leo die Hand auch über jenes und schrie wie am Spieß: „Nein! Mein einziges gutes Auge!“ Als er das Püppchen endlich sinken ließ, pflückte Virri es ihm geschickt aus den Fingern.

Schützend barg der kleine Held das wertvolle Spielzeug in Händen. „Du bist gerettet, Prinzessin. Jetzt kannst du wieder heim“, sprach er feierlich und trat vor das Mädchen. Ehrerbietig verbeugte er sich vor ihr und reichte ihr ihre Puppe zurück.

Begeistert nahm sie diese entgegen. „Danke, mein Ritter!“, rief sie glücklich.

„Komm, wir müssen weiter, Aril“, meldete sich ihre Mutter zu Wort, und die Kleine sah auf. Hastig drückte sie Virri einen flüchtigen Kuss auf die Wange und beeilte sich, der Frau zu folgen. Eine Hand wieder in der ihrer Mutter, blickte sie noch einmal zu ihren beiden kurzzeitigen Spielkameraden zurück und winkte ihnen zum Abschied mit dem Püppchen. Die Spatzen zogen derweil ebenfalls weiter.

Den Grashalm wieder an sich nehmend, stupste Leo Virri, der sich gedankenverloren die Wange rieb, zwinkernd mit dem Ellbogen an. „Die Kleine steht auf dich, Knirps! So wie es aussieht, bist du jetzt offiziell der Held der Herzen.“

„Hör auf“, wehrte sich Virri, kam aber selbst aus dem Grinsen nicht raus. „Das klingt doch total blöd …“ Bei der Erinnerung daran, wie Leo Vaati nachgeäfft hatte, musste er prusten und lachte schließlich laut auf. Dabei bot er ein so ansteckend belustigendes Bild, dass sich sogar Balaen, der seine beiden Begleiter unbeteiligt beobachtet hatte, ein Schmunzeln gönnte – was Leo nicht entging.

Der jüngere Ritter grinste verschmitzt. „Sieh an. Die eiserne Jungfrau lächelt endlich mal!“

Schon wieder ernst, zog Balaen die Augenbrauen hoch. „Jungfrau?“, wiederholte er trocken.

„Wie steht es mit dir, Schlaukopf? Hast du einen passenden Titel für den Knirps?“, forderte Leo ihn dazu auf, seinen Beitrag zu der Unterhaltung zu leisten.

Balaen blickte Virri nach, der fröhlich wie ein Grashüpfer vor ihnen durch die Gasse tänzelte. „Held der Feen“, antwortete er unumwunden.

Tatsächlich ließ der Vorschlag den Jungen nachdenklich innehalten. „Das könnte passen, weil ich doch die Großen Feen gerettet hab“, überlegte er laut.

Doch seine Evaluation kam zum Erliegen, als Leo entschieden den Kopf schüttelte. „Das klingt, als seist du vom anderen Ufer – und wir wissen ja, dass du das ziemlich sicher nicht bist, sonst würdest du Ohrringe tragen.“

Ob dieser Bemerkung warf Balaen ihm einen warnenden Blick zu, den er betont ignorierte. Dahingegen verstand Virri nicht, worauf Leo überhaupt hinauswollte, und meinte unverblümt: „Es ist auf jeden Fall besser als Held von Hyrule.“

„Was soll das bitte heißen?“, knurrte Leo herausgefordert.

„Das hab ich doch schon mal gesagt!“, erwiderte der jüngste jedes Wort in die Länge ziehend. „Wir sind alle Helden von Hyrule, da ist das doch voll langweilig!“

Zähneknirschend verlangte der Hylianische Ritter: „Na dann schlag du was besseres vor, Naseweis!“

Wie um diesem Spitznamen gerecht zu werden, tippte sich Virri an die Nase, während er nun über einen alternativen Titel für Leo grübelte.

Derweil endete die Seitengasse, mündete jedoch nicht in eine weitere Straße, sondern unerwartet auf einem überraschend geräumigen Platz, ein paar Male größer als der Garten der Helden im Schloss. Obwohl hier wieder mehr Gedränge herrschte, war es längst nicht so dicht wie in anderen Teilen der Altstadt. Mittig dieser gepflasterten, ansonsten unbebauten Fläche stand ein Springbrunnen. Die Skulptur zeigte ein steinernes Abbild des Wappens der Hylianischen Königsfamilie, das geflügelte Triforce. Aus der oberen Spitze des heiligen Dreiecks sprühte ein Wasserstrahl, der die Luft mit feinen Tropfen zum Glitzern brachte und sich mit sanftem Plätschern in das kreisrunde Brunnenbecken ergoss.

Beim Anblick der Granitfigur riss Virri staunend die Augen auf. „Das ist neu!“, ließ er seine älteren Begleiter wissen. Durch die Passanten hindurch rannte er vor, hielt unbittelbar vor dem Brunnen an, warf die Arme in die Höhe und rief: „Den gibt es noch gar nicht in meiner …“ Eigentlich hatte er den Satz mit dem Wort Zeit beenden wollen, doch bei den Blicken, die er schon wieder von den Umstehenden erntete, besann er sich schnell eines Besseren. Verlegen räusperte sich der kleine Krieger aus der Vergangenheit und korrigierte mit deutlich gesenkter Stimme: „So was gibt es gar nicht bei mir zuhause.“

„Gut gerettet, Knirps“, kam es sarkastisch lobend von hinter ihm. Seine beiden älteren Begleiter gesellten sich zu ihm.

Unbehaglich kratzte sich Virri die Nase. „Tut mir leid. Es ist so schwierig, das für mich zu behalten.“

Leo nutzte den Geräuschschutz, den das unablässig murmelnde Wasser bot. „Gewöhn‘ dich lieber dran. Immerhin haben wir der Prinzessin versprochen, nicht darüber zu reden. Nicht hier und auch nicht, wenn wir in unsere Zeiten zurückkehren.“

„Weiß ich doch …“, gab Virri unzufrieden zurück.

Die drei sahen auf zu dem steinernen Triforce, und der Hylianische Ritter unter ihnen dachte an sein Geburtsmal auf dem linken Handrücken, das von bewusst zu lang gewählten Hemdsärmeln verdeckt wurde. „Es ist immer noch unglaublich“, sagte Leo geradezu ehrfürchtig.

„Ich hab was!“ Bei Virris plötzlicher Verlautbarung zuckte Leo zusammen, als sich sein jüngerer Begleiter ihm zuwandte und ihm mit dem Finger ins Gesicht deutete. „Einen Titel für dich! Held der Vergangenheit!“

Ungerührt stellte sein Gegenüber fest: „So weit ich das verstanden habe, komme ich doch aus der Zukunft.“

„Doch nicht so! Du bist der Held, der in seinem neuen Leben den Dämon besiegt hat, gegen den er im Leben davor verloren hat“, erklärte Virri eifrig.

Skeptisch verzog Leo die Augenbrauen. „Ein Titel, der sich auf diesen Mistkerl Link bezieht?“

Von seinem Tonfall eingeschüchtert, nickte der kleine Krieger unsicher.

Darauf zischte der Ritter herablassend und begann, den Brunnen stampfend zu umrunden. „Ganz sicher nicht!“, wehrte er Virris Vorschlag ab.

Seine beiden Begleiter folgten ihm. Der kleinere von ihnen sprang auf den Brunnenrand, um darauf entlang zu balancieren, schwieg aber niedergeschlagen. Daher mischte sich Balaen nun ein: „Dann wie wäre es mit Held des Schicksals?“

Über die Schulter blickte Leo zu ihnen zurück. „Und wieso das?“

„Weil du deinen eigenen Weg gehst“, erläuterte der Ritter aus den Wolken, „egal, was die Helden vor dir getan haben.“

Etwas offener für dieses Angebot, hellte sich Leos Miene auf, doch ganz einverstanden war er noch immer nicht. „Das geht schon in eine bessere Richtung …“ Er drehte sich um und ging langsamer rückwärts weiter. „Es sollte was sein, das mit all meinen Abenteuern zu tun hat. Etwas, woran sich die Menschen lange erinnern werden.“

Auf dem Brunnenrand holte Virri zu ihm auf, bis er neben ihm angekommen war. „So wie beim Held der Menschen? Der ist ja auch sehr lange bekannt, auch wenn er vorher ein bisschen anders genannt wurde.“

Unschlüssig wiegte Leo den Kopf. „So ungefähr. Aber mein Titel sollte sich nicht über die Zeit verändern. Er muss gleich von vornherein so episch klingen, dass niemand es wagt, ihn falsch auszusprechen.“ Nachdenklich blieb der Hylianische Ritter stehen, musterte die Springbrunnenskulptur und das Wasserspiel, das sich aus ihr ergoss. Geistesabwesend rollte er seinen Grashalm in der Kerbe, die die Narbe in seiner Oberlippe bildete. Plötzlich ging ihm ein Licht auf, und ein breites Grinsen erblühte auf seinem Gesicht. „Das ist es!“

Spielerisch versuchte Virri, sich einbeinig auf dem schmalen Sims zu halten. „Was?“, wollte er wissen.

„Held der Vergangenheit gefällt mir zwar nicht, aber er stimmt leider“, räumte Leo widerwillig ein. „Nur kommt das ja nicht allein von Link. Der Geist des Helden zieht sich durch die ganze Geschichte Hyrules. Aber das ist noch nicht alles!“ Strahlend referierte der Abenteurer weiter: „Das hier ist nicht das erste Mal, das ich in die Vergangenheit reise. Damals in Labrynna konnte ich auch frei zwischen den Zeiten wechseln. In Holodrum habe ich stellenweise sogar die Jahreszeiten kontrolliert. Deswegen bin ich …“

Mit einem Sprung setzte Leo auf den Brunnenrand, wirbelte geschickt auf der Stelle halb herum, wobei er Virri mit dem Fuß streifte und aus dem Gleichgewicht brachte. Mit den Armen rudernd, kämpfte der kleine Krieger darum, nicht ins Wasser zu stürzen. Reflexhaft packte ihn der vor ihm stehende Balaen mit der gesunden Hand am Ellbogen und fing ihn so auf.

Derweil stellte sich Leo aus der Drehbewegung breitbeinig hin, stemmte die Rechte in die Seite, reckte den Grashalm wie ein Schwert in den Himmel. Wie ein Bilderbuchritter mit dem Wappen der Hylianischen Königsfamilie hinter sich, vollendete er seinen begonnenen Satz: „… der Held der Zeit!“

Sogleich hielt er inne, als sei er seinerseits zur Marmorstatue versteinert. Auch Virri, der noch immer in gefährlichem Winkel über der Wasseroberfläche hing, und Balaen, der ihn am Arm festhielt, erstarrten in ähnlicher Nachdenklichkeit. Es schien, als sei die Zeit zwischen den Helden eingefroren, während um sie herum das geschäftige Treiben auf dem Brunnenplatz weiter ungestört seinen Lauf nahm. Die Blicke, mit denen das merkwürdige Dreiergespann nun bedacht wurde, blieben von diesem vollkommen unbeachtet.

Irgendwann am Ende dieses endlosen Augenblicks ließ Leo den Halm und den ins nirgendwo gerichteten Blick sinken. Virri fing nervös zu zappeln an, und Balaen verhalf ihm in festen Stand.

Der jüngste der drei war er erste, der wieder sprach: „Also, irgendwie klingt das …“ Schon verstummte er erneut und suchte nach dem richtigen Wort.

Schließlich fand es der Ritter aus den Wolken: „… falsch.“ Diese Beschreibung, so nichtssagend schlicht sie auch war, bezeichnete doch am besten, was die drei Zeitreisenden bei der Aussprache dieses Titels gefühlt hatten.

Grüblerisch schob Leo den Halm in einen Mundwinkel, hüpfte vom Brunnenrand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja … Vielleicht ist Held von Hyrule doch nicht so verkehrt“, murmelte er. „Immerhin hat mich die Prinzessin so betitelt. Da kann ich ja schlecht antanzen und von ihr verlangen, dass sie es ändert.“ Seinem Tonfall war anzuhören, dass das nicht der eigentliche Grund für seinen Sinneswandel war, doch vermochte er den wahren auch nicht zu greifen.

Damit hatte Leo die Diskussion um Heldentitel beendet. Ohnehin war keinem der dreien noch länger danach, sie weiter zu führen.

Der Bann, der sich über Prinzessin Zeldas Berufene gelegt hatte, löste sich unvermittelt, als Virris Magen lautstark auf sich aufmerksam machte. Peinlich berührt kratzte sich der kleine Krieger die Nase. „Ich hab Hunger …“, stellte er unnötigerweise fest.

Den Grashalm aus dem Mund pflückend, gestand Leo ein: „Ich könnte auch was Anständiges zwischen die Kauleisten vertragen.“ Stumm nickend stimmte Balaen ihm zu. Der jüngere Ritter warf den Halm über die Schulter hinter sich ins Brunnenbecken und wandte sich an Virri. „Du hast doch den Stadtplan im Kopf, Knirps. Weißt du vielleicht von irgendeinem Lebensmittelladen, den es schon früher hier gab?“

Der Angesprochene überlegte kurz. „Ich kenne einen Bäcker hier in der Nähe. Die haben dort ganz leckere Sachen. Also … hatten zumindest.“

Leo zog eine unwillige Miene. „Eine Bäckerei? Da bin ich nur mit von der Partie, wenn die irgendwas ohne Eier oder Milch haben.“

„Du kannst ja fragen, ob du etwas Mehl bekommst und Wasser zum Anrühren.“

Zuerst blinzelte Leo seinen jüngsten Begleiter perplex an, dessen Gesichtsausdruck absolut ernst war, bis er verstand, dass Virri sich gerade über seine Essgewohnheiten lustig gemacht hatte. „Hast du etwa …“ Leo sah zu Balaen. „Das hat er gerade nicht wirklich gesagt, oder?“

„Vermutlich nicht“, gab der ältere Ritter nüchtern zurück. „Es klang eher wie etwas, das du sagen würdest.“

Während Leo jetzt völlig sprachlos war, konnte Virri sich das Grinsen, das er bislang zurückgehalten hatte, nicht länger verkneifen. Kichernd hopste er vom Beckenrand und lief davon.

Endlich fand Leo seine Stimme wieder. „Du kleiner, mieser …!“ Er wollte die Verfolgung aufnehmen, doch Balaen hielt ihn rasch am Arm zurück. „Was denn?!“, polterte der Heißsporn.

„Was hast du vor?“, wollte der Ritter aus den Wolken kühl wissen. „Ihn durch die halbe Stadt jagen?“

„Wenn es nötig ist: Ja!“

„Vor ein paar Tagen wäre er fast gestorben“, erinnerte Balaen.

„So, wie er hier rumdackelt, scheint es ihm blendend zu gehen“, wies Leo hin.

Finster sprach sein Gegenüber: „Er ist wie wir, Leo. Du würdest es doch auch verheimlichen, wenn du Schmerzen hättest.“

Sein warnender Tonfall ging dem Abenteurer, dem der Ausflug gerade wieder Spaß zu machen begonnen hatte, gehörig gegen den Strich, und seine Erheiterung verflog. Trotzig erwiderte er den eindringlichen Blick des älteren Ritters.

„Wo bleibt ihr denn, ihr lahmen Hühner?“, rief ihnen Virri vom Rand des Platzes aus vergnügt zu. Aus der Entfernung war ihm der Inhalt des Zwiegesprächs seiner beiden Begleiter entgangen. „Die Bäckerei ist hier drüben!“ Man konnte es nicht sehen, doch unter seinem Alltagshemd war sein Bauch noch immer fest verbunden, falls die fast verheilte Wunde, die ihm beinahe das Leben gekostet hatte, doch wieder aufreißen sollte.

„Sei umsichtig mit ihm“, forderte Balaen noch einmal zischend von seinem Gegenüber.

Gereizt riss Leo den Arm mit einem Ruck frei. „Schon kapiert, ich bin ja nicht bescheuert“, grummelte er und fügte leiser hinzu: „Mieser Spielverderber …“ Blitzartig wandte er sich von Balaen ab und ihrem kleinen Begleiter zu. „Lahme Hühner?“, wiederholte er laut und entfernte sich vom Brunnen. „Für jetzt lass ich dich damit davonkommen, Knirps, aber warte nur, bis wir im Schloss zurück sind und ich meine Stiefel wiederhabe! Dann zeig ich dir, wer hier wirklich das lahme Huhn ist!“

Seufzend schüttelte Balaen den Kopf. Nachdem er einen letzten Blick auf die Springbrunnenskulptur in Form von Hylias Wappen geworfen hatte, folgte er den jüngeren Helden.

Mit dem Taschengeld, das ihnen von ihrer königlichen Gastgeberin für den Stadtbesuch zur Verfügung gestellt worden war, ersteigerten sie einen Laib Brot, den sich Balaen und Virri teilten – wobei der kleinere der beiden das deutlich größere Stück für sich beanspruchte. Dahingegen fand Leo nichts, das seinen Ernährungspräferenzen zusagte – auf den Mehlbrei, mit dem Virri ihn getriezt hatte, verzichtete er abgebrüht. Daher suchten sie auf Anraten der Bäckerin den Wochenmarkt Hyrule-Stadts auf, wo Leo sich an einem Obststand bediente.

Auf dem Markt hatten sie so einige Konversationen aufgeschnappt, von denen eine besonders ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte – denn deren Gesprächsstoff waren Zeldas drei Helden selbst gewesen. Zwar hatte die Prinzessin die Schlossangestellten um Verschwiegenheit angehalten, doch das hatte nicht verhindert, dass Einzelheiten nach außen durchgedrungen waren. So wurde nun in der Stadt zwangsläufig über die Berufenen geredet.

Leo und Virri amüsierten sich über die Marktweiber, deren Unterhaltung haarscharf an der Wirklichkeit vorbeigeschrammt war und sich doch hauptsächlich aus Gerüchten gespeist hatte. Vor Lachen kam der Hylianische Ritter kaum noch dazu, an seinem Apfelrest zu nagen. „Die glauben doch wirklich, du und deine Mitknirpse seid Vierlinge!“, grölte er schadenfreudig. „Das wär’s echt noch, wenn es vier von deiner Sorte gäbe. Da würde ja ständig irgendeiner quasseln!“

Auch Virri kicherte. „Ich find’s viel lustiger, dass sie denken, du könntest dich telelportieren, von ganz allein. Bestimmt nicht nur, weil du diesen Tauschhaken hast, sondern weil du auch so schnell bist mit deinen Pegasusstiefeln.“

Gespielt eingebildet schnaubte Leo. „Was redest du denn da? Ich habe auch Vierlinge, genau wie du, nur sind drei von uns einfach immer unsichtbar!“

Während Virri als Kommentar nur prustete, meldete sich nun auch Balaen zu Wort: „Ich weiß nicht, ob es euch so gefallen sollte, dass über uns gesprochen wird.“

„Wieso? Ist dir der Ruhm zu viel? Bist du wohl nicht gewohnt“, versetzte Leo hochnäsig.

„Link wird das bestimmt mitbekommen“, gab der Ritter aus den Wolken ernst zu bedenken. Misstrauisch blickte er sich um, als könne der feindliche Held sie plötzlich aus der Menge der Passanten anfallen und hinterrücks lynchen. „Wenn wir demnächst unsere Taktik ausarbeiten, sollten wir darum bitten, dass keine Dienstboten oder Wachsoldaten in der Nähe sind.“

Leo verzichtete darauf, auf dieses leidige Thema einzugehen, und ignorierte Balaens Einwand desweiteren. „Aber dieser Goronen-Händler erst! Der hat den Mund wirklich gefährlich voll genommen.“ Damit meinte er den behäbigen Steinkoloss, der einen Stand auf dem Markt führte und riesige, breite Schwerter und wuchtige Schilde feilbot. Nach eigenen Angaben waren seine Exponate von den besten Schmieden seines Volkes angefertigt und nur für die stärksten Kämpfer unter den Hylianern geeignet. Knurrend fügte Leo nun hinzu: „Hätte ich meine Handschuhe dabei, ich hätte mit diesen Schwertern jongliert!“

Virris Gesicht strahlte vor Erheiterung, und er wedelte auffordernd mit der Hand. „Mach ihn noch mal nach, bitte!“

Breit grinsend erfüllte Leo dem kleinen Krieger den Wunsch: Die Augenbrauen zu einer dümmlichen Grimasse runtergezogen, den Rücken gekrümmt, verstellte er seine Stimme zu einem tiefen Grunzen. „So’n Beedhänder is‘ viel zu schwer für dik, Hänfling. Lass ma‘ lieber liej’n.“ Da Virri über die mehr als gelungene Imitation lachte, setzte der Ritter noch einen drauf, indem er sich übertrieben heftig den Scheitel kratzte und brummte: „Die verkoof ick eij’ntlich nich‘. Mit den‘ schab ick mir die Steinläuse vom Kopp.“

Über das erfundene Zitat brach Virri jetzt in so schallendes Gelächter aus, dass seine Augen zu Tränen begannen. Dass er eine Hand an seine Seite presste, entging Leo; Balaen hingegen bemerkte es und versuchte, die Euphorie seiner jüngeren Begleiter mit laut ausgesprochenen Grübeleien zu bremsen. „Ist es nicht merkwürdig? Zelda hat doch gesagt, dass Goronen und Hylianer vor einem Krieg stehen. Warum verkauft er dann einem verfeindeten Volk Waffen?“

„Musst du eigentlich immer die Stimmung vermiesen?“ Die Augen verdrehend, stöhnte Leo entnervt. „Kriege werden doch meist nur von oben geführt. So ein Waffenhändler nutzt diese Situation dann aus. Dem ist doch die Politik piepegal, wenn nur das Geschäft mit genug Rubinen winkt.“

Von dieser Erklärung alles andere als überzeigt, schwieg Balaen.

Ihren Rundgang durch den alten Kern Hyrule-Stadts hatten sie mittlerweile beendet und wieder dessen Rand erreicht, wo die Fachwerkhäuser in die neueren Viertel übergingen. Da auch Virri sich nun nicht mehr ausreichend zurechtfand, mieden sie die verwinkelten Seitengassen, in denen sich nicht Ortskundige nur zu leicht verirrten. Stattdessen hielt sich das Dreiergespann auf der größeren Hauptstraße, die sich einer Aorta gleich schnurgerade zwischen den Gebäuden hindurchzog. Dass sie nicht die einzigen hier sein würden, stand zu erwarten – doch die dichte Ansammlung von Menschen war sogar für die Verhältnisse der Metropole ungewöhnlich.

„Wo wollen die alle hin?“, schnaubte Leo. Der Ritter führte die kleine Delegation der Helden an, die sich nahe der Hauswände entlangquetschte, wo das Gedränge tatsächlich etwas lockerer war. Dieser Weg wäre den dreien gewiss noch leichter gefallen, wenn manche Passanten den Anstand besessen hätten, zumindest einen Schritt zur Seite zu weichen. Stattdessen beschwerten sich die Leute auch noch bei Leo, wenn er sich grob an ihnen vorbeidrückte – nur um von dem Angemotzten eine entsprechende Retourkutsche zu kassieren, wobei der weitgereiste Krieger nicht einmal an der Oberfläche seines bunten Repertoires an Schimpfwörtern kratzte. Oft war es an Virri und Balaen in seinem Gefolge, sich für das ruppige Verhalten des Heißsporns an ihrer Spitze zu entschuldigen.

Doch allmählich kam nicht einmal mehr Leo mit seiner Ellbogentaktik noch voran, und er hielt resignierend inne. Dennoch fluchte er ohne Unterbrechung weiter: „Was bei allen Göttern soll dieser Mist?!“

Hinter ihm blieben auch die beiden anderen Helden stehen. Nicht ohne eine gewisse Anerkennung raunte Balaen dem jüngsten zu: „Erstaunlich, wie er es schafft, diese Launen in Zaum zu halten, wenn Zelda in der Nähe ist.“

Nickend pflichtete Virri ihm bei. „Dabei hat mir mein Opa erzählt, dass Ritter immer gute Manieren haben.“

Obwohl sie sich leise unterhielten, war Leos scharfes Gehör nicht so leicht zu täuschen. Da er sich in seiner Ritterehre einzig und allein den Angehörigen der Hylianischen Königsfamilie verpflichtet fühlte, gab er patzig zurück: „Ich pfeif‘ auf Manieren! Was tun hier alle so erstarrt?“

Tatsächlich war der Strom der Menschenmenge, der normalerweise jeden, der mit ihm schwamm, unweigerlich in die eine oder andere Richtung trieb, nicht nur ins Stocken geraten, sondern gänzlich zum Erliegen gekommen. Erstarrt, wie Leo es bezeichnet hatte, waren die Passanten jedoch keineswegs; manche blickten sich gespannt um, die meisten unterhielten sich, und die Luft vibrierte von ihren Stimmen.

Eine von ihnen hob sich plötzlich hervor, als sich jemand direkt an das Dreiergespann wandte: „Ihr seid doch die Herren Helden aus dem Schloss!“ Zwischen den Versammelten hindurch trat eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, auf sie zu. Obwohl sie nicht in ihre Uniform gewandet war, erkannten die drei sie sogleich als die Dienstbotin, die ihnen Tage zuvor ihre wiederhergestellten grünen Tuniken vorbeigebracht hatte. Sie gehörte zu jener Dienerschaft, die für die Reinigung und Wartung des Palastflügels zuständig war, in dem auch die Gästezimmer der Helden lagen. Anstelle eines dunkelblauen Kleids, einer weißen Schürze und weißen Haube, die ihr brünettes Haar zurückhielt, trug sie wie auch die hohen Gäste ihrer Herrin unscheinbare Alltagskleidung, war also gerade privat in Hyrule-Stadt unterwegs. Höflich verbeugte sie sich vor den dreien.

„Endlich mal jemand, der uns nicht wie den allerletzten Pöbel behandelt!“, stellte Leo zufrieden fest.

Die Dienerin schenkte ihm ein freundliches Lächeln und verneigte sich noch einmal knapp. „Serra ist mein Name, Held Leopold.“

„Also gut, Serra“, hob ihr Gegenüber an. „Weißt du, was hier los ist? Gibt’s was umsonst?“

„Aber nein!“ Serra kicherte milde erheitert und erklärte bereitwillig: „Es wurde angekündigt, dass ein Mitglied des Hylianischen Ritterordens auf Durchreise zum Schloss ist. Man hat sich wohl hier versammelt, um einen Blick zu erhaschen.“

Balaen und Leo sahen einander kurz an, und der jüngere meinte: „Ich kann mir ja denken, dass so eine Ankunft besonders ist, aber das kommt doch gewiss öfter vor. Ritter müssen doch immer mal wieder Anstandsbesuche vor dem Thron entbieten.“

Die Palastangestellte schüttelte unglücklich den Kopf. „Früher mal, aber davon habe ich nur noch Geschichten gehört. Seit dem Bürgerkrieg zeigt sich der Orden nur noch selten in der Öffentlichkeit wie heute. Es wird sogar gemunkelt, er stünde kurz vor seiner Auflösung.“

Darum bemüht, sich seine Bestürzung über diese Ankündigung nicht anmerken zu lassen, erwiderte Leo: „Ich verstehe …“

Seine Worte gingen fast unter in der Unruhe, die ohne Vorwarnung durch die Menge brandete. Die Gespräche wurden lauter, irgendwo rief sogar jemand etwas. Weil er zu klein war, um etwas zu sehen, fragte Virri verzweifelt aufgeregt: „Was ist los? Kommt jemand?“

Leo, der immerhin größer als sein jüngerer Begleiter war, musste sich doch auch etwas recken, um über die Köpfe der Leute zu spähen. „Nur eine Frau auf einem Pferd“, ließ er Virri wissen, als er des Zentrums des allgemeinen Interesses ansichtig wurde, das langsam die Straße heraufkam.

Schon vorher hatte der Held mit dem Gehör eines Hasen das schartige Klacken von Hufen gehört, ausgelöst von dem prächtigen Ross. Der kräftig gebaute Hengst, von intensiv dunkelbrauner Färbung und mit cremefarbener Mähne und Schweif, trottete gemächlich durch die schmale Gasse, die die Menschen vor ihm frei ließen. Seine Reiterin selbst saß aufrecht im Sattel, hielt die Zügel locker und den Blick geradeaus gerichtet auf das Schloss, das in der Ferne über den Hügeln auszumachen war. Die Schuppenrüstung, die sie trug, war aufgeraut von etlichen Kratzern, reflektierte aber dennoch gleißend das Sonnenlicht.

„Aber kein Ritter“, ergänzte Leo seinen knappen Bericht an Virri.

Neben ihm blinzelte Serra ihn befremdet an. „Was redet Ihr denn da? Das ist die Ritterin!“

Nun war es an Leo, sie anzustarren, als hätte sie ein drittes Auge. „Eine Ritterin?“ Das mochte die Rüstung mit dem Kampfspuren und auch das Schwert an der Hüfte der Reiterin erklären, das jetzt, da sie nähergekommen war, sichtbar wurde. Doch allein schon die Tatsache, dass eine Frau eine Waffe mit sich führte, ging gegen das Geschlechterbild, mit dem der Hylianische Ritter aufgewachsen war. Dass diese Frau dann auch noch den selben Rang wie er innehaben sollte, war für ihn noch weniger begreiflich.

Um sie herum wurden eindeutige, nicht sehr schmeichelhafte Schmährufe laut.

„Die scheinen nicht gerade begeistert zu sein, dass sie hier ist“, betonte Leo, erleichtert, dass die Versammelten ähnlich zu denken schienen wie er. „Eine Frau als Ritterin?“, empörte er sich und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wo hat man so was schon gesehen!“

„Also, ich sehe gar nichts!“, lamentierte Virri, wurde aber überhört.

Rücksichtsvoll mit seinem Unwissen belehrte Serra Leo: „Damit hat das nichts zu tun.“ Verstohlen blickte sie um sich. Die Miene einiger Umstehender zeigte unverhohlenen, abgekühlten, aber nie verrauchten Zorn. „Es gibt nicht viele, die nach dem Krieg noch gut auf den Orden zu sprechen sind“, fügte die Dienstbotin mit gesenkter Stimme hinzu.

„Denkt ihr im Schloss auch so über uns?“, wollte Leo wissen und wies auf Balaen.

Etwas zu heftig schüttelte Serra den Kopf. „Die, die direkt für die Krone arbeiten, sind da toleranter – oder zumindest vorsichtiger mit ihrer Meinung …“

Die Ritterin, die Schultern in unbeugsamem Kriegerinnenstolz gestrafft, ließ den Hass der Bürger, der wie Klingen aus Schall durch die Luft schnitt, mit stoischer Nichtbeachtung über sich ergehen.

Nun brachte auch Balaen sich in die Diskussion ein: „Was ist denn so ungewöhnlich an einem weiblichen Ritter?“ Da die Schule, auf der er ausgebildet worden war, nicht zwischen den Geschlechtern unterschied, wurde niemand zurückgewiesen, der mit dem Schwert umgehen zu lernen wünschte. Erst recht, seitdem die Bewohner des Wolkenhorts auf die Erde herabgekommen waren und jede Hand bitter nötig hatten, die eine Waffe halten konnte.

„Es gab immer schon nur wenige Ritterinnen“, erklärte Serra, die anscheinend sehr gut darüber informiert war. „Seit dem Ende des Krieges ist sie“, – die Dienerin deutete auf die Reiterin –, „sogar die einzige.“

„Es sollte gar keine geben!“, insistierte Leo störrisch. „Da, wo ich gerkomme, dürfen Frauen nicht einmal kämpfen, und das ist auch richtig so!“

Mit einem kleinen Funken unbegründeter Hoffnung, es möge doch anders sein, fragte Serra: „Denkt Ihr wirklich so, Held Leopold?“

„Absolut!“, versicherte dieser inbrünstig.

Die Palastangestellte wirkte enttäuschter als angebracht. „Dann ist es in Eurer Welt noch schlimmer um die Rechte der Frauen bestellt als in dieser.“ Noch immer glaubte Serra an die Lüge, die Zelda über die Herkunft ihrer Beschworenen verbreitet hatte. Obwohl die drei nun die Wahrheit kannten, hielt die Prinzessin sie weiterhin vor jedem anderen geheim.

Im Brustton der Überzeugung erwiderte Leo: „Ich würde sagen, dass es besser ist! So müssen sie sich keine Sorgen um Angriffe oder gar ganze Kriege machen.“ Altklug nickte er. „Mein Onkel hat mir beigebracht, dass Frauen nur dann kämpfen sollten, wenn ihre Männer sie nicht beschützen können.“ Er hob die Hände, als sei sein festgefahrener Standpunkt damit vollkommen nachvollziehbar. „Frauen, die Waffen benutzen müssen, sind Beweis für die Schwäche der Männer in ihrer Gesellschaft.“

Nicht dieser Meinung, fragte Serra leise: „Was, wenn sie dennoch kämpfen können wollen?“

„Warum sollten sie?“, gab Leo abschätzig zurück.

Die Dienerin wich seinem herausfordernden Blick aus. „Weil sie etwas bewegen wollen. Leuten helfen. Für die da sein, die sie lieben …“

Bislang nur aufmerksam gelauscht, zog Balaen die einzig richtige Schlussfolgerung aus ihren Worten: „Du willst Ritterin werden.“

Verunsichert nickte Serra. „Es war ein dummer Kindheitstraum – daraus wird nie etwas, da mache ich mir keine Illusionen mehr.“

So langsam, wie die Ritterin zu Pferde voranschritt, kam sie erst jetzt an den Helden und ihrer Gesprächspartnerin vorbei. Deutlich war nun das würdevoll gealterte Gesicht zu erkennen, die Falten, die ein Leben, dem Kampf für den Frieden in der Welt gewidmet, in es gegraben hatte.

Balaen erinnerte sich daran, was Leo darüber erzählt hatte, wie man in seiner Zukunft dem Orden in der Regel beitrat. „Kannst du denn nicht Knappe werden?“, fragte er Serra daher. „Du müsstest doch im richtigen Alter dafür sein.“

Die Angesprochene seufzte tief. „Das könnte ich vielleicht, aber dazu müsste ich schon in einem hohen Stand geboren worden sein … Als Mädchen habe ich darauf ansonsten keine Aussicht. Zumindest nicht ohne die nötigen Beziehungen.“

„Und um diese zu finden, arbeitest du im Schloss“, vermutete der Held aus den Wolken.

„Ich habe es gehofft, als ich angefangen habe“, gestand Serra.

Nun hatte die Dame in Schuppenrüstung die beiden Ritter in zivil passiert und kehrte ihnen den Rücken zu. Ein Umhang wallte ihr von den Schultern, auf dem auf blauem Grund ein roter, stilisierter Vogel, ein gelbes Triforce-Zeichen beschützend, dargestellt war. Die Farb- und Symbolkombination war auch den beiden Rittern aus anderen Zeitaltern bestens vertraut.

„Vielleicht ist es hier einmal anders gewesen? Dass Frauen doch Ritter werden durften“, deutete Balaen eine Tatsache an, über die er nur zu genau bescheid wusste. „Vor langer Zeit …“

Serra seufzte erneut erbittert. „Selbst wenn, was bringt es mir heute?“

Da musste Balaen ihr leider stummschweigend recht geben.

Die höhnischen Hetzrufe der Versammelten wurden lauter. Leo drückte sich mit beiden Händen die schmerzenden Ohren zu, was nicht sehr einfach war mit dem noch nicht ganz aufgezehrten Apfel in der einen. „Also, von mir aus sollen die denken, was sie wollen, aber das müsste wirklich nicht sein!“ Rücksichtslos holte er aus und warf den Apfelrest in eine willkürliche Richtung in die Menge.

Während sich die Palastangestellte und die Ritter unterhielten, ignorierten sie Virri, der sich eigenständig um eine bessere Sicht bemühte. Da, wo sie standen, gab es für ihn keine Chance, die Ritterin in Augenschein zu nehmen. Immer war ihm ein Kopf oder Rücken eines Erwachsenen im Weg. Auf der Suche nach einem sicheren Pfad in die vorderste Reihe des Publikums entfernte sich der kleine Held von seinen Begleitern. Nirgendwo hätte das Kind jemandem im Blickfeld gestanden, doch niemand schien bereit, für ihn zur Seite zu treten, weil dabei die Gefahr bestand, an jemand anderen seinen günstigen Stehplatz zu verlieren. Liebend gern hätte Virri nun das Schwert der Vier bei sich gehabt, um mit Hilfe seiner Klone an noch mehr Stellen nach einem Durchlass zu suchen oder gleich auf ihren Schultern stehend auf die nötige Höhe zu kommen.

Allmählich musste sich der kleine Krieger jedoch eingestehen, dass sein Unterfangen unmöglich zum Erfolg führte, und gab es schließlich auf. Missmutig zog er sich aus dem Gedränge zurück, wo es weniger eng war, und hielt Ausschau nach seinen Begleitern, um wieder zu ihnen zu stoßen. Plötzlich spürte er ein scharfes Pieksen am Kopf, fasste reflexhaft nach der Stelle. Erschrocken blickte er sich um, doch keiner der Umstehenden achtete seiner; alle hatten ihr hasserfülltes Augenmerk der Ritterin zugewandt. Da blitzte der spitze Schmerz wieder auf, und diesmal fiel Virri etwas vor die Füße. Neugierig sank er in die Hocke, hob es auf und stellte erstaunt fest, dass es eine pflanzliche Samenkapsel war.

Verwundert sah er auf; vom Rande der Straße lenkte eine Bewegung die Aufmerksamkeit des Helden auf sich: Auf dem untersten Ast einer Platane und damit höher als jeder erwachsene Mensch hockte ein Junge, der ein wenig älter zu sein schien als Virri. Er winkte ihn zu sich, und der kleine Krieger kam interessiert näher. Der Baum stand vor einem Haus, über dessen Tür ein Schild aufgehängt war, das einen blechernen, zweidimensionalen Amboss abbildete – eine Schmiede! Natürlich war Virri klar, dass sein Großvater in seiner Zeit nicht die einzige Schmiede in ganz Hyrule besaß, doch da dieses Viertel nicht mehr zu der dem Helden bekannten Altstadt gehörte, musste sie wohl neuer sein.

„Wenn du was sehen willst, kannst du gern hier hoch“, lud der Junge im Baum jenen am Boden ein.

„Darf ich echt?“, freute sich Virri strahlend. Als sein Gönner eifrig nickte, ließ sich der kleine Krieger nicht ein zweites Mal komplimentieren. Neben der Platane stand ein Kistenstapel, den er nun hinaufkraxelte, bis er jenen untersten Ast erreichte. Allerdings kletterte er von da aus nicht weiter, sondern blieb auf der obersten Holzkiste stehen und hielt sich auf dem Ast fest, indem er sich neben dem fremden Jungen mit den Ellbogen darauf abstützte. Ein Zweig mit Platanenfrüchten hing von weiter oben in greifbare Nähe herab; von dort stammte anscheinend die Munition, mit der Virri beworfen worden war.

„Netter Zufall, dass diese Kisten hier rumstehen“, meinte Virri im Plauderton.

„Das ist kein Zufall“, widersprach der andere Junge. „Die hab ich selbst hergebracht, als ich gehört hab, dass ein Ritter kommen wird.“

Der Held nickte bewundernd. „Schlau!“ Von seiner neuen Warte aus hatte er tatsächlich eine bessere Sicht auf die Ritterin, die langsam durch die Masse der Zuschauer schritt. „Das ist das erste Mal, dass ich einen richtigen Ritter sehe!“, sagte Virri begeistert. Dabei dachte er durchaus auch an Leo und Balaen, doch entsprachen die beiden nicht seinem mythologischen Bild eines königlichen Ritters in schimmernder Rüstung auf einem stolzen Ross. Anders als Leo versetzte es den kleinen Krieger nicht in Erstaunen, dass es sich bei der Ritterin um eine Frau handelte – eben schlicht deswegen, weil er in seinem jungen Leben noch gar keine Ritter zu Gesicht bekommen hatte und daher unvoreingenommen über sie dachte. In der Vergangenheit, aus der er kam, gab es zwar bereits welche, doch waren sie noch nicht an die Gemeinschaft eines Ordens gebunden, sondern befanden sich stets als Einzelne auf Reisen durch das Land. Auf seiner eigenen Heldenmission war er leider nie einem von ihnen begegnet.

Der Junge, der ebenso aufgeregt zu sein schien wie er, pflichtete ihm bei: „Ich auch! Einer meiner Vorfahren war sogar Ritter.“

Sofort war Virris Neugier geweckt. „Wirklich? Ist ja der Wahnsinn!“

Gerade war die Reiterin so weit gekommen, dass die beiden Kinder im Baum das Wappen des Hylianischen Ritterordens auf ihrem Umhang erblicken konnten.

„Weißt du, warum die einen roten Vogel als ihr Zeichen ausgewählt haben?“, fragte Virris Gönner, offenbar begierig darauf, das in seiner Familie weitergereichte Wissen um den Orden unter Beweis zu stellen.

Der kleine Krieger schüttelte den Kopf. „Nein. Warum?“

„Er steht für ihre Treue“, behauptete der fremde Junge überzeugt. „Sie kommen zum König, wenn er sie ruft, und machen alles, was er sagt – wie dressierte Falken!“

Sinnierend blinzelte Virri zu Balaen hinüber, der in seine Unterhaltung mit Leo und Serra vertieft war, und dachte an das Reittier des Helden aus den Wolken. „Bist du dir sicher?“, hakte er skeptisch nach.

Mit dieser Kenntnis aufgewachsen, beharrte sein Gesprächspartner: „Natürlich! Was sollte der Vogel sonst bedeuten? Siehst du nicht, wie er dem Triforce hinterherfliegt? Die drei gelben Dreiecke über seinem Kopf!“

Virri erinnerte sich an seine Konversation mit den beiden älteren Helden an ihrem ersten Abend in dieser Zeit und wusste daher auch ohne Spezifizierung, welches Symbol mit Triforce gemeint gewesen war.

Ungefragt referierte der Junge weiter: „Und das Triforce ist nicht einfach nur ein Zeichen. Es soll auch einen echten Gegenstand geben, der so aussieht. Ganz aus Gold, und er erfüllt jeden Wunsch.“

„Meinst du, dass man das Gold verkauft und sich dann mit den Rubinen holen kann, was man will?“

Der Besetzer der Platane schüttelte den Kopf, dass sein flachsblondes Haar nur so aufgewirbelt wurde, und wies die Vermutung seines Günstlings zurück. „Nein, doch nicht so! Das Triforce ist wirklich magisch. Es kann zaubern, dass dein Wunsch in Erfüllung geht!“ Tagträumend ließ er die graublauen Augen schweifen. „Kannst du dir vorstellen, alles haben zu können, was du willst?“

Verdrießlich erinnerte sich Virri daran, dass er das Schwert der Vier hatte zurückgeben müssen, bevor er in diese Zeit berufen worden war. Ungern grübelte er darüber, dass dies unweigerlich eintreten würde, wenn er wieder zurückkehrte. Missmutig verschränkte er die Arme auf dem Ast und legte das Kinn darauf. „Im Moment würde ich mir nur wünschen, ein bisschen größer zu sein.“ Oben im Baum war er zwar auf der richtigen Höhe, aber so weit weg zu sein empfand er dann auch nicht als das Gelbe vom Ei. Von hier aus hatte er nicht wirklich viel von der Ritterin gesehen, die sich bereits wieder entfernte. Virris einzige Hoffnung bestand darin, sie später im Schloss eventuell noch zu treffen. Unzufrieden seufzte er: „Ich komm mir wie ein Minish vor!“

Undeutbar musterte der fremde Junge seinen Gast. „Glaubst du, dass die Minish echt sind?“

Ertappt hob Virri den Kopf und kratzte sich an der Nase. Wohl kaum konnte er offenlegen, dass er eine Waffe besaß, die ursprünglich von dem winzigen Volk gefertigt worden war. Er druckste um eine Antwort herum, bevor er vage meinte: „Naja … Die gibt es doch eigentlich nur im Märchen. Wie das Triforce.“

„Ich glaube, sie sind echt“, vertraute sein Gegenüber ihm verschwörerisch leise an. „Sie helfen mir nämlich manchmal. Ohne sie hätte ich schon oft Ärger von meinem Meister bekommen!“

Unten in der Zuschauermenge warf Leo gerade seinen abgenagten Apfel.

Indem er sich aufrichtete, fragte Virri erstaunt: „Meister? Was für ein Meister?“

Die Antwort des Jungen wurde übertönt von dem Geschrei, das unvermittelt aufbrauste. Leos Wurfgeschoss war längst nicht in Richtung der Ritterin geflogen, doch irgendjemand in der Menge hatte es als Anreiz genommen, ein Stück Brot auf die Dame zu Ross zu schleudern. Sofort erschollen Rufe der Zustimmung, und andere Essensreste, die man zufällig in Händen hielt, segelten auf die Ritterin zu. Ahnungslos, was vorgefallen war, sahen die Kinder im Baum erschrocken dabei zu.

Die Tür der Schmiede knallte auf, und ein feister Mann stapfte heraus. „Sind denn jetzt alle verrückt geworden?!“, brüllte er über den Lärm und sah sich um, entdeckte die kleinen Späher auf dem Ast. „Genug geschwänzt! Zurück an die Arbeit!“ Mit diesen harschen Worten verschwand er wieder im Gebäude.

Der Junge zog eine unwillige Miene. „Das war’s dann wohl …“ Er hob etwas auf, das bislang neben ihm auf dem Ast liegend verborgen gewesen war, schüttelte es aus und setzte sich eine spitz zulaufende Zipfelmütze auf, die farblich mit seinem orangefarbenen Hemd korrespondierte. Sprachlos blickte Virri ihm hinterher, als er den Kistenstapel runterkletterte und zur Tür hetzte.

„W-warte!“, rief der Zurückgebliebene und sprang behände zu Boden. Nach der Landung hielt er kurz inne, bis das Stechen in seiner Seite wieder etwas abgeflaut war, und folgte dem anderen Schmiedelehrling.

Derweil brachten die Bürger ihre Verachtung mit noch mehr fliegendem Unrat zum Ausdruck; ein wahrer Hagel ging nun auf die Ritterin hernieder. Das meiste davon verfehlte sein Ziel, doch einiges sprang auch von ihrer Rüstung ab oder hinterließ unschöne Flecken auf ihrem farbenfrohen Umhang. Die Reiterin gab sich wie auch ihr Pferd nach wie vor ungerührt, auch wenn sie manchmal kaum merklich zusammenzuckte, wenn etwas mit härterer Gewalt als nötig auf sie traf. Die Werfer wurden tatkräftig unterstützt von Anwohnern, die sie aus Hausfenstern mit nötiger Munition versorgten. Wer sich weder auf diese noch die andere Art an dem Gesselschaftssport beteiligen konnte, skandierte eben weiter beleidigende Worte, um zumindest verbal mitwirken zu können. Nur die wenigsten hatten gar keine Sympathie für das Verhalten der Mehrheit übrig.

So auch Leo und Serra, die sich, dicht gefolgt von Balaen, durch das explosionsartig ausgebrochene Chaos kämpften, um nicht von der kollektiven Wut erdrückt zu werden. Die beiden Vorauseilenden hatten die Arme schützend über dem Kopf zusammengeschlagen, während der Held aus den Wolken vollauf damit beschäftigt war, den linken in der Schlinge zu schonen.

Abseits des Epizentrums der von ihm unbeabsichtigt heraufbeschworenen Katastrophe wandte sich Leo an die Dienstbotin. „Willst du noch immer Ritterin werden?“, fragte er sie, doch Serra schwieg verbissen. Leo wischte sich Bröckchen von etwas, von dem er lieber nicht wissen wollte, was es war, und das im Durcheinander irgendwie auf ihm gelandet war, von der Schulter. „Das dachte ich mir“, fuhr er zähneknirschend fort. „An deiner Stelle würde ich Müll auch lieber zusammenkehren, als damit beworfen zu werden!“ Die Finger in den blonden Haarschopf schiebend, schüttelte er weitere Krümel heraus.

Serra riss die Augen auf, um sie im nächsten Moment auch wieder zuzukneifen und die Augenbrauen zusammenzuziehen. Ihre Wangen färbten sich rot vor Zorn. „Was wisst Ihr schon!“, fuhr sie den Hylianischen Ritter an. „Zumindest durftet Ihr Eure Wahl selbst treffen!“ Abrupt drehte sie sich dem Ritter aus den Wolken zu, verneigte sich demonstrativ nur vor ihm. „Wenn Ihr entschuldigen würdet, Held Balaen, ich habe noch einige Besorgungen zu erledigen!“ Wutschnaubend wirbelte Serra auf dem Absatz herum und stürmte ohne ein Wort des Abschieds an den jüngeren der beiden von dannen.

Perplex blickte Leo ihr nach, als hätte sie ihn geohrfeigt – was zu tun sie ausgehend von ihrem Tonfall bestimmt auch im Sinn gehabt hatte. „Die hat gut reden. Ich hab es mir doch auch nicht ausgesucht, ein Held zu sein …“, murmelte er eher zu sich selbst und fragte dann lauter, an Balaen gewandt: „Was ist denn mit der los?“

Schweigend musterte der ältere den ahnungslosen, unreifen Krieger. Statt auf die Frage einzugehen, kam er auf das eigentliche Thema zurück: „Es stimmt, was sie sagt. Niemandem sollte die Chance, zu werden, was man will, verwehrt werden wegen etwas, womit man geboren wurde – oder gar dafür diskriminiert werden …“ Gedankenverloren kratzte er sich die linke Hand.

„Das hat doch gar nichts mit Diskriminierung zu tun“, behauptete Leo, „sondern mit ganz natürlichem physischem Nachteil. Es ist einfach so, dass Frauen nie so stark sein können wie Männer und deswegen im Kampf immer schlechter dran sind.“

Genervt rieb sich Balaen die Nasenwurzel. „Vielleicht solltest du erst mitreden, wenn du dich nicht mehr hinter deinen Krafthandschuhen versteckst.“

Streitlustig ballte Leo die Fäuste. Der Ritter aus den Wolken konnte sich glücklich schätzen, dass er die fraglichen Bekleidungsstücke gerade nicht bei sich hatte. „Sie gehören zu meiner Ausrüstung. Sie sind Waffen genau wie mein Schwert. Du würdest doch auch nicht ohne Ausrüstung in den Kampf ziehen!“

Wohlweislich verzichtete Balaen darauf, seinen Begleiter darauf hinzuweisen, dass er hier zweierlei Maß anlegte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sich Serra nicht von dem jüngsten des Dreiergespanns verabschiedet hatte, und bemerkte dessen Fehlen. „Wo ist eigentlich Virri?“ Balaen sah sich nach dem kleinen Helden um.

Zackig winkte Leo ab. „Der kommt schon klar. Kennt sich hier sowieso besser aus als wir. Oder hast du Angst, dass du dich ohne ihn verirren könntest?“, schickte er gehässig grinsend nach und spielte damit auf Balaens anfängliche Orientierungslosigkeit während seiner ersten Tage im Schloss an.

„Das ist es nicht, was mir Sorgen macht …“, knirschte der Held aus den Wolken. Da entdeckte er den Vermissten bei der Platane auf dem Kistenstapel, den er gerade runtersprang. Sich entfernend, insistierte Balaen: „Wir sollten zusammenbleiben. In diesem Chaos finden wir uns sonst nicht wieder.“

Die Augen verdrehend, wollte Leo ihm hinterhergehen, doch der vorbeigegangenen Ritterin folgten weitere Unruhen. In dem Kielwasser, das sie hinter sich in der Menge zurückließ, war das Schieben und Stoßen nur noch größer. Leo wurde von Balaen getrennt, stolperte über einen fremden Fuß und rempelte versehentlich einen Passanten an. Der Schrank von einem Mann, über den unerwünschten Körperkontakt alles andere als erfreut, wollte den scheinbar dreisten Pöbler von sich schubsen. Dem gelang es dank seiner Kriegerreflexe, tänzerisch auszuweichen.

Plötzlich fand sich Leo in einem Bereich wieder, in dem es so gut wie menschenleer war, ein Überbleibsel der Gasse, durch die die Ritterin gekommen war. Noch hatte er sich nicht wieder gefangen, stolperte orientierungslos vom Lärm weiter, als auch schon jemand gegen ihn rannte. Die Kollision schickte beide an ihr Beteiligten zu Boden, ein Beutel wurde fallengelassen, und Habseligkeiten verstreuten sich scheppernd über das Pflaster.

„Verdammt, kannst du nicht aufpassen, du mieser …!“, schnauzte Leo wütend und hätte wohl noch weiter über den Zusammenprall geflucht – doch verstummte augenblicklich, als er die Stimme seines Gegenübers vernahm, denn sie klang genauso wie seine. Mehr noch hatte sie ihn in demselben Tonfall mit den gleichen Worten angegeifert.

Überrascht sah Leo auf – und es war ihm, als blicke er in einen magischen Spiegel, der Farben verzerrte: Der Fußgänger, mit dem er zusammengestoßen war, musste so alt sein wie er. Die rechte Hand erhoben, rieb er sich den schmerzenden Schädel, wie Leo selbst es mit der Linken tat. Die dunkelgrünen Augen lagen unter Strähnen rabenschwarzen Haars, das zur selben Frisur fiel wie das kupferblonde des Helden. Das Gesicht, das dem seinen abgesehen von der Narbe an der Oberlippe völlig glich, zeigte denselben erstaunten Ausdruck.

In der Nähe entdeckte jemand die beiden Jugendlichen und erkannte des einen auf den Leib geschneiderte, violette Tunika. „Schaut mal hier!“, rief derjenige gehässig seinen Freunden zu. „Das ist ihr Knappe!“ Ein halber Salatkopf wurde geschleudert, hoffnungslos zerfleddert, weil er für diesen Zweck offensichtlich schon mehrfach genutzt worden war. Das Gemüse platzte am Oberarm von Leos Gegenüber, verteilte sich über ihn. Der Beworfene fuhr zusammen, und der Held in zivil bereute es instantan, dies in einem unbedachten Moment verschuldet zu haben.

Der Junge in Violett befreite sich aus seiner Erstarrung. Die Finger in den schwarzen Haarschopf schiebend, schüttelte er Salatreste heraus. Hastig begann er, seine Besitztümer aufzulesen, während er dieselbe Verachtung zu spüren bekam wie die Ritterin. Eine Verachtung, die sich unverdient gegen ihn richtete wegen eines Krieges, der noch vor seiner Geburt stattgefunden hatte.

Endlich schaffte es Leo, sich aufzurappeln. „L-lass mich dir helfen …“ Fahrig streckte er die Hand aus nach einem Siegelring aus purem Gold mit einem eingeprägten Triforce-Zeichen, der in der Mittagssonne blitzte.

Doch dessen Besitzer schnappte das Kleinod schon vorher weg, fuhr Leo an: „Pfoten weg! Ich kann das auch allein …“ Verletzt und wütend schmetterte er dem gleichaltrigen Ritter die Hand gegen die Brust und warf ihn wieder um. Während er weiter sein Hab und Gut in den Beutel stopfte, sichtlich um Selbstbeherrschung bemüht, bewarfen ihn die Umstehenden ungeniert mit allem, was sie fanden und ihnen in den Sinn kam.

Einer der Pöbler förderte von irgendwoher eine bereits zerquetschte Tomate zutage und schmetterte sie mit den Worten: „Hier, Möchtegernritter! Du hast was vergessen!“ dem violett Gewandeten in die geöffnete Tasche. Rötlicher Gemüsesaft und Fruchtstückchen spritzten dem unglückseligen Opfer wie Blutstropfen ins Gesicht, woraufhin seine Peiniger hämisch grölten. Der Tomatenmann versetzte ihm einen Stoß und schickte ihn zu Boden.

Das war Leo zu viel.

In nahtlos ineinander fließenden Bewegungen sprang er auf, stürmte auf den Tomatenmann zu, holte mit der Linken aus und hieb ihm die Faust ins Gesicht. Hätte der Held seine Krafthandschuhe getragen, er hätte dem ahnungslosen Tropf den Schädel zertrümmert; so ruckte dessen Kopf nur geringfügig zurück. Verdattert betastete der Mann seine aufgeplatzte Lippe und glotzte den Schläger, der so viel jünger war als er, mit dümmlichen Fischaugen an. Die sich darüber wölbenden Augenbrauen verzogen sich zu einer bösartigen Miene, als er seinerseits zuschlug. Reaktionsschnell duckte sich Leo, entging so der gegnerischen Faust mit Leichtigkeit. Noch in dieser gesenkten Haltung zog er die Schultern hoch, schnellte mit aller Kraft seiner Beine nach vorn und rammte seinem Gegenüber den Kopf in die Magengrube. Der Mann keuchte und knickte ein.

Schon hörte Leo Schritte hinter sich, die ihn vor einem weiteren auf ihn zukommenden Pöbler warnten. Zu diesem herumwirbelnd, neigte er den Oberkörper zur Seite und wich so dem Schlag um Haaresbreite aus. Der junge Krieger packte den noch immer ausgestreckten Arm, nutzte den eigenen Bewegungsmoment des Kerls aus, um ihn herumzuschleudern und auf seinen bereits gefallenen Kameraden zu drapieren, sodass sie ihn beide nicht mehr behelligen konnten.

Sodann wandte sich Leo den übrigen Pöblern zu, die, nachdem er zwei von ihnen in Windeseile ausgeschaltet hatte, noch zögerten, ebenfalls auf ihn loszugehen. Der halbe Überwurf hatte Leos Schulter überstrapaziert, doch er hütete sich davor, sich vor dem Mob die Schmerzen anmerken zu lassen. Stattdessen hob er kampflustig die Fäuste. Sollten sie es doch wagen, sich anzulegen mit ihm, Hylianischem Ritter und Held von Hyrule!

Die beiden sehr eindeutigen Verlierer schafften es endlich, sich voneinander zu lösen und auf die Füße zu kommen. Erstaunlich schnell gaben sie Fersengeld, und ihre noch unversehrten Kameraden schlossen sich ihnen an.

Zuerst wollte Leo instinktiv die Verfolgung aufnehmen – als ihm auffiel, dass er nunmehr alleine am Ort des Geschehens stand. Sein schwarzhaariger, grünäugiger, violett gekleideter Doppelgänger befand sich nicht mehr hinter ihm. Erschrocken blickte Leo sich um, doch alles, was er durch das Toben der Menge noch wahrnahm, war seine eigene Stimme aus einem anderen Mund: „Miese Gaffer …“

Eine andere, weibliche Stimme, weiter weg und doch deutlich, als stünde die Frau auf erhöhter Position, rief: „Wo bleibst du, Nathan?“

Langsam ließ Leo die Arme sinken, stand da und starrte in die Ferne.

Endlich hatte auch die Stadtgarde Kunde vom Menschenauflauf erhalten. Die Soldaten intervenierten professionell und so friedlich wie möglich, versuchten, Ordnung in das Chaos zu bringen und der Ritterin freies Geleit zu verschaffen. Allmählich beruhigte sich die Menge und begann, sich aufzulösen.

Mittlerweile hatte Balaen Virri aufgetrieben, und die beiden kehrten auf die Straße zurück. „Ich verstehe nur nicht, wie du aus einer Schmiede rausgeschmissen wurdest“, meinte der ältere gerade. „Wohnst du denn nicht in einer?“

„Ich hab nur die Werkzeuge aufgeräumt!“, rechtfertigte sich der kleine Krieger. „Die Haken dort sind genauso angeordnet wie bei meinem Opa!“

„Dann hat es dem Schmied nicht gefallen, weil du sie an die falschen Stellen gehängt hast“, wies Balaen ihn zurecht.

„Nein, eben nicht!“, beteuerte Virri aufgeregt. „Es hat alles gestimmt, das hat der Lehrling selbst gesagt!“

Sich die Stirn reibend, seufzte der Ritter aus den Wolken über die kindliche Unbedarftheit seines jüngeren Begleiters. „Du hättest dich einfach nicht einmischen sollen …“ Die beiden wurden Leos gewahr und gesellten sich zu ihm. Von der Schlägerei und dem Grund, aus dem der Hylianische Ritter sie während ihrer Abwesenheit angezettelt hatte, ahnten sie nicht einmal etwas. Ehrlich erleichtert atmete Balaen durch. „Zum Glück ist das jetzt vorbei. Wir sollten ins Schloss zurück.“

Virri, der für einen Tag ebenfalls genug erlebt hatte, nickte müde. Beide wandten sich um zum Gehen, doch hielten wieder an, als sie registrierten, dass Leo ihnen nicht folgte. Wie versteinert verharrte er weiter an Ort und Stelle.

„Willst du noch bleiben?“, klopfte Virri bei dem Hylianischen Ritter an. Als keine Reaktion kam, wechselten der jüngste und der älteste des Heldentrios ratlose Blicke. Schließlich trat Virri an Leo heran, wedelte ihm mit der flachen Hand vor den blicklosen Augen. „Leo!“, rief er nun lauter. „Hast du einen Geist gesehen?“

Endlich regte sich der Erstarrte und schlug verärgert Virris Hand fort wie eine neckische Fliege. Missgelaunt, wie seine Begleiter ihn kannten, schnauzte er: „Ja, ja, ich bin da. Es ist nur …“ Wieder wurde seine Miene ungewöhnlich grüblerisch. „Ich hab mich nur gefragt, wie viel Zeit zwischen unseren Wiedergeburten liegt.“

Der kleine Krieger, der sich diese Frage noch nicht gestellt hatte, blinzelte nachdenklich. „Hm … weiß nicht.“ Wieder sahen sich er und der Ritter aus den Wolken an. Worüber sich die beiden eher wunderten, war, was da so plötzlich in ihren Begleiter gefahren war.

„Vielleicht ein paar Jahrhunderte?“, lieferte Balaen einen vorsichtigen Lösungsvorschlag.

„Ja, wahrscheinlich …“ Leo nickte, doch schien es nicht, als ob ihm das zur Antwort gereichte.

Der Tag neigte sich noch lange nicht seinem Ende entgegen, doch der bisherige Ausflug hatte Virri erschöpft, und auch die älteren Helden hatte die Aufregung um die Ritterin ausgelaugt. Nun blieben sie auf der Hauptstraße, die auch die Kriegerin auf ihrem Pferd entlanggegangen und auf der wieder die relative Ruhe einer Metropole eingekehrt war. Gerade passierten sie die letzten paar Häuserreihen vor der Stadtgrenze, als sie schon von weitem gleichmäßiges, schweres Krachen vernahmen. Beim Näherkommen stellte es sich als das Geräusch eines geschäftig geschwungenen Hammers heraus. Vor einer holzvertäfelten Hauswand, die offenbar als Schwarzes Brett fungierte, stand ein feister, stämmiger Mann, gekleidet in eine graublaue Schreinerweste, und brachte einen Bogen Papier daran an. Während Balaen desinteressiert weiterging, Leo das Gesicht vor dem unangenehmen Hämmern verzog, schaute nur Virri genauer hin.

Erstaunt rief der kleine Held aus: „He, das ist ja Link!“

Augenblicklich fuhren seine älteren Begleiter alarmiert herum, rückten unwillkürlich näher zusammen. „Wo?!“, stieß Leo hervor. In ihrer Sichtweite entdeckte er nur ein paar friedliche Fußgänger und einen Obdachlosen im Schatten zwischen zwei Gebäuden, die alle ganz offenkundig nicht auf einen Angriff aus waren.

Für die Überreaktion der beiden Ritter hatte Virri nur milde Belustigung übrig. Mit einem Fingerzeig lenkte er ihren Fokus auf das Plakat, von dem der Handwerker gerade zurücktrat. „Dort!“

Auf dem Wisch stand in einigen Lettern etwas geschrieben, mit dem die Helden aus anderen Zeiten nichts anfangen konnten. Doch das Phantombild daneben machte nur zu deutlich, um was es sich hierbei handelte. Allem Anschein nach hatte der Zeichner nur auf Zeugenaussagen aus zweiter oder gar dritter Hand zurückgreifen können, denn die Gesichtszüge seines Werks waren neutral und nichtssagend. Nur wenige Merkmale hatte er eindeutig umsetzen können: Blondes Haar, blaue Augen und grüne Mütze. Hätten die drei Helden, die die Zeichnung nun betrachteten, ihre Uniformen getragen, hätte der per Plakat Gesuchte jeder von ihnen sein können.

Nach dem ausgelassenen Tag in Hyrule-Stadt riss dieses Stück Papier alle drei in die Wirklichkeit zurück, erinnerte sie nur zu schmerzlich daran, dass sie nicht zum Vergnügen in diese Zeit berufen worden waren.

Auch wenn er die Schriftzeichen nicht lesen konnte, so erkannte Leo doch die Ziffern unterhalb des Bildes. Mit einem anerkennenden Pfiff durchbrach er die angespannte Stille, die sich zwischen dem Heldentrio breitgemacht hatte. „Zehntausend Rubine! Das ist ein nettes Sümmchen! Ob wohl jeder von uns so viel bekommt, oder müssten wir es aufteilen?“

Die Nase rümpfend, merkte Virri an: „Zehntausend kann man doch gar nicht durch drei teilen!“

„Den einen Rubin dürftest du dann haben“, sicherte der Hylianische Ritter ihm zu und verwuschelte ihm das Haar. „Damit du deinen Mitknirpsen auch was kaufen kannst.“

Der Träger des Schwerts der Vier kicherte.

In der Zwischenzeit hatte sich der Schreiner gebückt, um Bündel aufgerollter Papierbögen aufzusammeln – vermutlich weitere Suchplakate. Da er das Gespräch der beiden Jungen mit angehört hatte, ließ er dies kurzweilig bleiben und unterzog die drei einer kurzen, skeptischen Musterung. Laut lachte er auf. „Denkt ihr Bürschchen, ihr könntet dieses Geld kriegen?“

Leo setzte sein verwegenstes Grinsen auf, das nicht unbedingt als das Selbstbewusstsein eines Helden, sondern auch als gewöhnlicher, jugendlicher Leichtsinn interpretiert werden konnte. „Wieso nicht? Hat der Kerl was Schlimmes angestellt?“

Abschätzend verzog der Schreiner den ergrauten Schnurrbart und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust. „Kann man wohl sagen! Seit Wochen versucht man, ihn zu schnappen. Habt ihr die Ritterin gesehen, die hier vorbeigekommen ist?“ Er wartete gar nicht auf ein bestätigendes Nicken, sondern fuhr sogleich fort: „Es heißt, der hätte eine ganze Dutzendschaft Ritter zur Strecke gebracht. Nur sie und ein paar ihrer Kollegen haben das überlebt. Wie es scheint, ist sich die Prinzessin jetzt zu fein, noch irgendwas zu machen.“

Darauf sah sich Leo genötigt, die Ehre Zeldas, die eigene und nicht zuletzt auch Virris und Balaens zu verteidigen. Einen Schritt vortretend, holte er Luft für Widerworte, doch der Ritter aus den Wolken gebot ihm mit erhobener Rechten Einhalt. Auf das kaum merkliche Kopfschütteln des älteren stieß Leo den Atem aus und kapitulierte vor der Vernunft.

Dem Handwerker war das wortlose Blickgefecht zwischen den Helden entgangen, und er redete ohne Unterbrechung weiter: „Deswegen hat eine reiche Familie aus Kakariko dieses Kopfgeld auf ihn ausgesetzt.“

„Dieses Angebot ist nicht aus dem Schloss?“, hakte Leo verwundert nach.

Lässig legte sein Gegenüber das Werkzeug auf eine der breiten Schultern, bückte sich wieder und klemmte sich die Papierrollen unter den Arm. „Was kümmert das uns?“ Mit dem Kopf deutete er auf die Bretter hinter sich und was er darangehämmert hatte. „Das ist ein waschechter Krieger, keine störrische Milchkuh. Dafür braucht es Hände, die ein Schwert benutzen können, und keine Forke.“ Damit wandte er den vermeintlichen Bauernjungen den Rücken zu und trottete behäbigen Wiegeschrittes davon.

Angesäuert blickte Leo ihm nach. „Ich hätte meine Tunika anziehen sollen, bevor wir hergekommen sind. Da werde ich doch lieber als Ritter verhasst, als dass man mich für einen miesen Kuhhirten hält!“ Mürrisch besah er sich wieder das Plakat und seufzte: „Wenn nicht die Prinzessin dieses Kopfgeld ausgesetzt hat, werden wir es wohl nicht bekommen. Immerhin hat sie uns ja beauftragt …“

Neben ihm zog Virri eine bedauernde Schnute. „Schade eigentlich.“ Er hatte bereits ausgemalt, mit den voraussichtlich dreitausenddreihundertvierunddreißig Rubinen die Schulden seines Großvaters tilgen zu können, wenn er in seine Zeit zurückkehrte.

Indes trauerte Balaen der Aussicht auf das kleine Vermögen nicht nach, sondern trat an das Schwarze Brett heran. Einhändig riss er das Suchplakat ab und knüllte es unordentlich zusammen. Nachdem er auf diese Art unkenntlich gemacht hatte, was es vorher gewesen war, warf er es achtlos in den Straßengraben, wo es in dem allgemeinen Unrat, den die unliebsame Gefolgschaft der Ritterin hinterlassen hatte, nicht mehr auffiel. Unweit der Holzvertäfelung beobachtete der Obdachlose, der in einen langen, hellbraunen Mantel gewandet war, das Gesicht von der weiten Kapuze verborgen, den Flug der Papierkugel.

Verwundert über die Handlung des Helden aus den Wolken fragte Virri: „Warum hast du das gemacht?“

„Er hat sich einer ganzen Truppe Ritter erwehrt“, sagte Balaen finster mit gesenkter Stimme. Seine Begleiter wussten natürlich sofort, von wem die Rede war. „Es ist besser, wenn sich außer uns niemand mehr mit ihm anlegt.“

Verächtlich zischte Leo: „Wenn irgendwelche Idioten so lebensmüde sind, lass sie doch machen … Außerdem, was willst du tun?“ Er deutete die Straße runter, auf deren lotgeradem Verlauf der Schreiner noch immer zu sehen war. „Ihm nach und alle Plakate abknöpfen?“

Darauf gab Balaen keine Antwort, doch der jüngere Ritter hatte auch keine erwartet. Die drei wandten sich vom Schwarzen Brett ab und setzten ihren Rückweg ins Schloss fort.

Im Hausschatten beobachtete der hellbraun Vermummte das sich entfernende Heldentrio. Als er sie weit genug wähnte, stand er auf, schritt für einen gewöhnlichen Obdachlosen auffällig bemessen zum Straßenrand und ließ sich auf ein Knie sinken. Die Linke nach dem zusammengeknüllten Plakat ausgestreckt, hob er dieses nicht auf, geschweige denn entfaltete er es wieder, um eventuell herauszufinden, was darauf abgebildet war. Er hielt die Hand nur locker darüber. Dank des Umhangs vor den Blicken der Passanten verbogen, stiegen Rauchkringel von der Papierkugel auf, bis kleine Flammenzungen aufblühten und sie rasch verzehrten. Schließlich blieb von dem Suchplakat nur noch zu harmloser grauer Asche verglühende Überreste zurück.

Ohne derer zu achten, die Hyrule-Stadt verließen, wandte sich der Vermummte in die Richtung, in die auch der Handwerker gegangen war.

- So wenig actionreich dieses Kapitel erscheinen mag, dürfte dem Leser doch das ein oder andere Geheimnis aufgefallen sein, das ich eingestreut habe… Wer sie alle findet, bekommt einen Keks :3 (ich biete eigentlich ziemlich viele Kekse an, kann es sein?)

- Das Aussehen einiger Nebencharaktere in diesem Kapitel habe ich aus Spielen übernommen: Der Schmiedelehrling ist orange gekleidet wie Link in Minish Cap, wenn man eines der Amulette der drei Göttinnen innerhalb eines Gebäudes anwendet. Die Uniform der Dienerinnen, die hier nur Erwähnung findet, ist ebenfalls aus MC. Der Handwerker ist aus Ocarina of Time. Der violett gekleidete Junge, mit dem Leo zusammenstößt, ist komplett Ravio aus A Link between Worlds nachempfunden, ist allerdings nicht derselbe Charakter. Dennoch kam er in dieser Story bereits vor… Und das ist eines der Geheimnisse, für das es einen Keks gibt ^-^

Auf dem Nachtschränkchen stand nur noch eine Flasche mit Fee; die andere hielt Virri in Händen. Die filigranen Libellenflügel angelegt, saß das winzige Wesen darin und strahlte den kleinen Patienten freundlich an, sowohl wortwörtlich durch seinen rosenfarbenen Schimmer, als auch übertragen mit offenem Lächeln. Der Träger des Schwerts der Vier fragte sich, ob die sanftmütigen Lichtgeister ihm bereitwilliger als anderen Helden halfen, weil er ihre Großen Schwestern vor langer Zeit aus Vaatis Gefangenschaft errettet hatte. Was sie sich wohl untereinander von ihm erzählten? Ob er bei ihnen sogar zur Legende geworden war?

„Schräg“, kommentierte Leo, und Virri sah auf. Der Ritter hatte einen Fuß gegen den hölzernen Bettrahmen gestellt und wippte auf dem Stuhl vor und zurück. Die Hände hinterm Kopf verschränkt, betrachtete er die Decke, als stünde dort eine geordnete Version seiner wirren Gedanken geschrieben. „Und ich dachte, mich könne nichts mehr überraschen“, fuhr er geistesabwesend fort. „Komm mir mit Zeitreisen und Gestaltwandlern, kein Problem. Aber Wiedergeburt …“ Er stellte den Stuhl ruhig, senkte den Kopf und schloss die Augen. „Einfach schräg …“

„Vielleicht sehen wir uns deswegen so ähnlich“, theorisierte Virri und blickte Leo, dann Balaen an, der seinen Platz an der Wand nicht verlassen hatte und, die Faust auf den Mund gepresst, die jüngeren Helden grüblerisch musterte. „Wir sind doch irgendwie derselbe.“

Leo, der auch weiterhin nicht akzeptierte, in direkter Verbindung mit Link zu stehen, winkte ab. „Das ist doch nur unsere Seele, dieser Geist des Helden, wie die Prinzessin ihn genannt hat. Der hat doch mit unserem körperlichen Äußeren oder welche Klamotten wir tragen nichts zu tun. Das ist doch eher Zufall. Jeder von uns ist einfach … er selbst.“

Frech grinste Virri ihn an. „Eigentlich bist du jetzt der jüngste. Du bist später geboren als ich.“

„Das hättest du wohl gern!“, gab Leo zurück und erwiderte die schelmische Grimasse. „Du hast noch immer weniger Jahre gelebt als ich. So leicht kommst du mir also nicht davon, Knirps.“ Die beiden kicherten.

Schließlich wandte sich der Hylianische Ritter an Balaen. „Also? Wie sieht der Plan aus?“

Der Angesprochene gab sich verdutzt. „Warum fragst du mich das?“

Mit einer Handgeste, als sei das selbstverständlich, meinte Leo: „Du bist doch unser Schlaukopf hier. Bestimmt hast du schon einen Plan ausgefuchst, wie wir Link dingfest machen!“

„Es gibt keinen Plan“, erwiderte Balaen schlicht.

Leo schnaubte überheblich. „Ja, das gefällt mir sowieso besser: Einfach alles draufknallen, was geht!“ Dabei hieb er mit der geballten Faust in die flache Hand.

„Mit stupider Haudrauf-Methode ist Link wohl kaum beizukommen“, stellte der ältere Ritter fest.

Irritiert verzog der Draufgänger die Augenbrauen. „Was hast du dann vor?“

„Wenn du es schon so formulierst: Ich habe vor, heimzugehen.“

Die schalkhaft erhobenen Mundwinkel sanken Leo herab, und er rang um Fassung. „W-was?“

Auch Virri blickte den Helden aus den Wolken mit geweiteten Augen an, schwieg aber.

Kühl betonte Balaen: „Ich werde nach Hause gehen. Beziehungsweise, mich in meine Zeit zurücksenden lassen.“

Für einen Moment wusste Leo nicht, was er sagen sollte, und platzte schließlich: „Du hast doch gesagt, wir würden es wieder versuchen, wenn wir mehr wissen!“

„Ganz so habe ich es nicht gesagt“, widersprach Balaen ruhig. „Und egal, wie ich es nun gesagt habe, mir steht noch immer das Recht offen, mich dazu zu entscheiden, mein Leben nicht einfach hinzuwerfen.“

„Jetzt, da uns die Prinzessin so viel verraten hat?“

„Ich bin ihr deswegen nicht das geringste schuldig. Außerdem hat sie uns nicht alles gesagt.“

„Bist du denn nie zufrieden?“, empörte sich Leo. „Wir wissen jetzt Dinge über uns und Link und alle Helden, die sonst keiner weiß und die wir auch nie hätten wissen dürfen! Was hat denn deiner Meinung nach denn noch gefehlt?“

„Zum Beispiel, wer sie eigentlich ist“, schlug Balaen vor.

„Was? Wer?“, fragte Leo verwirrt.

Gelassen antwortete sein Gegenüber: „Zelda.“

„Sie ist die Prinzessin“, mischte sich Virri überflüssig ein.

Der Hylianische Ritter machte eine dankende Geste in Richtung des kleinen Kriegers. „Genau. Ist doch ganz einfach.“

Skeptisch hob Balaen die Augenbrauen. „Denkt ihr? Überlegt mal: Sie weiß so vieles über uns, die Zeiten, aus denen wir kommen, und Ereignisse in der Geschichte, die nicht einmal zu diesen Zeiten selbst bekannt sind. Überhaupt, wie hat sie uns hergeholt?“ Nun blickten ihn die jüngeren Helden doch ratlos an; bislang hatten sie Zeldas übernatürliche Fähigkeiten nie hinterfragt. Also sprach Balaen weiter: „Sie erschafft einfach drei Portale in andere Dimensionen – ob das nun Welten oder Zeiten sind, ist irrelevant –, als sei sie eine Art Göttin. Mehr noch, sie hat die Kontrolle über unsere Tiere übernommen, Leo, und über deine Doppelgänger, Virri.“ Der Patient flüchtete sich in seine Kissen, als Balaen ihn eindringlich anstarrte. „Zweifellos weißt allein du, wie eng du mit ihnen verbunden bist und was es für dich bedeutet haben muss, als sie dir plötzlich nicht mehr gehorchten.“

Barsch wischte Leo die Argumente des älteren Ritters beiseite, bevor Virri darauf eingehen konnte. „Dann macht sie eben ein Geheimnis daraus, wie sie das alles hinkriegt, na und? Warum sollte das uns davon abhalten, zu erfüllen, wofür sie uns gerufen hat?“

Sachlich erklärte Balaen: „Meine Überlegung ist, dass wenn sie offensichtlich über solche Mächte verfügt, warum kümmert sie sich nicht selbst um Link? Ihn über so ein Portal in die weit entfernte Zukunft zu schicken, in der Hyrule ohnehin verloren ist, birgt weit weniger Risiken, als uns aus unseren Zeiten einzusammeln und den Verlauf der Geschichte zu verändern. Mir scheint sie etwas leichtsinnig oder ignorant zu sein.“

„Wage es nicht, die Prinzessin noch einmal so zu verleumden!“, knurrte Leo gefährlich.

Sich die Nasenwurzel reibend, sah Balaen den Hylianischen Ritter an. „Deine Königstreue in Ehren, aber sie macht dich blind für das, was sie uns verschweigt. Und das ist nicht gerade wenig.“

„Sie hat jede unserer Fragen beantwortet!“, insistierte Leo. Neben ihm nickte Virri eifrig, und die Fee im dabei wippenden Glas schwebte auf und nieder, als ahme sie die Bewegung nach.

„Sie hat uns nicht gesagt, was Link in der Zitadelle der Zeit sucht“, erinnerte Balaen.

Vehement widersprach Leo: „Das hat sie! Es ist nichts dort!“

„Doch was denkt Link dort zu finden?“, präzisierte der älteste Held. „Darauf ist sie nicht eingegangen. Und dass da kein Gegenstand sein soll, war gelogen. Dessen bin ich mir sicher.“

Perplex blinzelte Leo. „Du bist dir sicher. Einfach so.“ Aufgebracht feindete er den Ritter aus den Wolken an: „Ich hab genug von deinen haltlosen Behauptungen! Seit die Prinzessin uns in diese Zeit geholt hat, warst du ihr gegenüber immer nur misstrauisch!“

„Genau wie du“, stellte Balaen klar. „Ich habe mein Misstrauen nur nicht in den Wind geschlagen, im Gegensatz zu dir, der ihr zu Füßen gekrochen ist, als er erfuhr, wer sie wirklich ist.“

Zornig ob dieser Beleidigung, zog Leo die Nase kraus. Mit einer zackigen Bewegung deutete er auf Balaens gebrochenen Arm, als wolle er ihn mit dem Zeigefinger aufspießen. „Noch so eine schlaue Bemerkung, und ich gleiche den anderen an.“

„Dann tu es doch“, schmetterte Balaen unbeeindruckt zurück.

Sofort sprang Leo auf. Der Stuhl scharrte über den Boden und kippte um; Virri schreckte zusammen, was die Fee in ihrem gläsernen Behälter durchschüttelte, und Alvio, der zu Leos Füßen gesessen hatte, verzog sich wieder unter das Bett. Ausgerechnet Balaen war der einzige, er nicht einmal mit der Wimper zuckte. Entgegen der Herausforderung, stürmte Leo nicht auf ihn los, was auch seiner Müdigkeit geschuldet war. Die beiden Ritter starrten sich nur eine Weile an.

Irgendwann spuckte Leo: „Du bist doch nur zu feige, um dich mit Link anzulegen!“

Diese unverhohlene Beleidigung ließ Balaen völlig kalt. „Das ist nicht Feigheit, sondern gesunder Menschenverstand. Das hier ist einfach nicht unsere Angelegenheit. Ist es nie gewesen.“

„Nicht unsere?!“ Der Krieger mit dem Gehör eines Hasen glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. „Wir können Hyrule nicht seinem Schicksal überlassen! Wir sind seine Helden!“

„Mag sein“, räumte Balaen seufzend ein, „doch ich fühle mich in erster Linie dem Hyrule und den Menschen meiner Zeit verpflichtet. Was hier geschieht, ist für mich und Virri ferne Zukunft und für dich nicht einmal Vergangenheit.“ Er machte eine müde, wegwischende Geste. „Ob wir Link nun aufhalten oder nicht, wird unsere Zeiten nicht mehr beeinflussen, wohl aber, wenn wir nie mehr in sie zurückkehren.“

Verbissen versuchte Leo es auf einem anderen Weg, auch wenn er ihm selbst missfiel: „Link ist eine Inkarnation des Geists des Helden. Er hat dieselbe Seele wie wir, aber beschmutzt ihre Bedeutung. Unsere Bedeutung!“

Doch der ältere Ritter blieb weiterhin ungerührt. „Sieh an“, meinte er ohne echte Anerkennung. „Wenn es deiner Argumentation dienlich ist, kann sogar ein Hitzkopf wie du poetisch werden.“

„Das macht es nicht falsch“, entgegnete Leo.

„Du warst es, der eben gesagt hat, jeder von uns sei einzigartig für sich. Und du hast vollkommen recht: Wir führen alle unsere eigenen Leben. Ich für meinen Teil würde gerne in das meine zurück.“

„Du willst einen Rückzieher machen, nach allem, was wir dort im Wald durchgemacht haben?“, beharrte der jüngere Held weiterhin und wies auf Virri, der den Kopf einzog.

Balaen bestätigte mit einem Nicken. „Eben weil wir es durchgemacht haben.“

„Soll das alles umsonst gewesen sein, nur weil du Heimweh hast?“

„Natürlich nicht!“, winkte der Ritter aus den Wolken ab. „Ich denke dabei auch an Virris Wohl, an meines und nicht zuletzt an deins.“

„Ich brauche deine Fürsorge nicht!“, versetzte Leo.

Ohne Unterbrechung redete Balaen weiter: „Virri wäre beinahe gestorben, obwohl ihn eine Fee geheilt hat, und wären wir nicht geflohen, hätte es uns auch noch erwischt.“

Allmählich wurde es Virri leid, von den beiden behandelt zu werden, als sei er nicht anwesend. „Hört auf …“, warf er flehentlich ein. „Es bringt doch gar nichts, darüber zu streiten.“ Doch die diskutierenden Ritter beachteten den kleinen Patienten gar nicht.

„Wir hätten ihn fast gehabt!“, insistierte Leo nun. „Link war verzweifelt genug, seine Geheimwaffe einzusetzen. Du hast selbst gesagt, dass er das nur macht, wenn er nicht mehr gewinnen kann!“

„Dreh mir nicht schon wieder die Worte im Mund herum.“ Entnervt massierte sich Balaen die Schläfe. „Ich sagte, wenn er nicht unbeschadet gewinnen kann. Gestern hatten wir zu keiner Sekunde eindeutig die Oberhand. Noch bevor er sich auch nur in einen Wolf verwandelt oder mit bloßen Händen eine Feuerwand heraufbeschworen hatte, hat er uns schon wie Grundschüler aussehen lassen.“

„Euch vielleicht!“, giftete Leo feindselig. „Hätte mich sein mieser Gaul nicht verschleppt, hätte ich ihm schon gezeigt, wo der Hammer hängt!“

Darauf reagierte Balaen auf die einzige Art, von der er mittlerweile dachte, dass sie den heißblütigen Ritter wirklich erreichte: Mit Sarkasmus. „Du warst gestern anscheinend nicht dabei, als er uns fast in der Luft zerrissen hätte. Das ist echt ärgerlich. Vielleicht hättest du es geschafft, ihn daran zu hindern, diese Maske aufzusetzen.“

Tatsächlich verstand Leo, worauf sein Gegenüber hinauswollte. Mit dem Brustton der Überzeugung behauptete er: „Und wie ich das schaffen würde! Ich entreiße sie ihm und breche sie entzwei!“ Theatralisch, als hätte er den fraglichen Gegenstand gerade parat, ballte er die Hand zur Faust.

Freudlos lachte Balaen auf. „Und wenn dir das nicht gelingt? Er müsste dich nur für einen Augenblick überlisten, und sein Kampfstil besteht praktisch nur daraus.“ Seine aufgesetzte Belustigung verflog. „Ob es dir gefällt oder nicht, Link ist gerissener und geschickter als du. Als jeder von uns. Und sobald er sich zum Dämon verwandelt, ist alles vorbei.“

Soeben holte Leo Luft, um zu widersprechen, doch der ältere Ritter fuhr einfach fort: „Das liegt nicht nur an seiner übermenschlichen Kraft und dem magischen Schwert. Mit solchen Dämonen habe ich es schon zu tun gehabt. Doch wie soll man jemanden besiegen, der nicht blutet und den man daher nicht effektiv verletzen kann? Der nicht müde wird, egal, wie lange man ihn bekämpft?“

„Jeder Dämon hat irgendeine Schwäche, das wissen wir drei doch besser als irgendjemand sonst“, argumentierte der Abenteurer.

Nur scheinbar kam Balaen ihm entgegen: „Nun gut, Leo. Dann nenn mir doch mal diese Schwäche.“ Bevor der Hylianische Ritter antworten konnte, übernahm er das bereits selbst. „Physisch hat er offenbar keine. Meine Taktik in einem solchen Fall wäre dann, emotional anzugreifen. Meinen Gegner zu einem Fehler zu verleiten, den ich zu meinem Vorteil nutzen kann.“

Leo schlug sich mit der Faust auf die Brust. „Anderen auf die Nerven zu fallen ist eine meiner leichtesten Übungen!“

Betont ernst erwiderte Balaen: „Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Das Problem ist nur, dass Link viel zu abgebrüht ist für eine solche Aktion. Nur sein Pferd bedeutet ihm etwas, doch es kommt als Druckmittel für uns nicht in Frage, solange er noch ein Mensch ist. Und als Dämon hat er überhaupt keine Emotionen. Ihn dann provozieren zu wollen wäre, als versuche man ein Feuer zu löschen, das gar nicht brennt. Der Todbringer hat auf mich und meine Göttin zumindest noch Hass empfunden und den auch während unseres Kampfes gezeigt. Bei dir ist das mit Ganon bestimmt ähnlich gewesen.“

Mürrisch schwieg Leo, wartete auf das, worauf Balaen hinauswollte.

„Bei Link in Dämonengestalt ist das anders. Er hat uns verfolgt und verletzt und dabei absolut nichts empfunden. Weder Bedauern, noch Wut oder gar Schadenfreude.“ Bei der Erinnerung an die entsetzliche Kaltblütigkeit des unmenschlichen Kriegers verzog der Held aus den Wolken die Augenbrauen. „Einen von uns zu töten, hätte ihn nicht mehr berührt, wie sich eine Fluse von der Tunika zu zupfen.“

In die Ecke gedrängt, tat Leo unwillkürlich einen Schritt zurück. „Du übertreibst … Das klingt gerade so, als hätte er uns nur mit Blicken besiegt.“

Langsam aber sicher verzweifelte Balaen am jugendlichen Starrsinn des Abenteurers. „Leo, sieh uns doch an!“, appellierte er an das bisschen Vernunft, das er tief in Leo vermutete. „Link hat uns nicht einfach nur besiegt – er hat uns vernichtet. Glaubst du wirklich, beim nächsten Mal wird es anders werden? Wir sind sogar schwächer als vorher, denn ich habe im Wald meine Peitsche verloren, und du, Leo, dein Schwert. Vor uns sind schon Zeldas Ritter gescheitert. Auch wir drei werden keine anderen Resultate mehr erzielen. Geist des Helden hin oder her.“

Weil ihm nun tatsächlich keine Argumente mehr einfielen, mit denen er hätte punkten können, fragte Leo eisig: „Hat der Hofarzt dir Schmerzmittel für deinen Arm verschrieben?“

„Ja“, erwiderte Balaen verwirrt, aber kühl.

„Die vernebeln dir wohl den Kopf“, sprang Leo ihn ungnädig an.

Der Held aus den Wolken verdrehte die Augen und gab es auf. Dennoch blieb er bei seiner eigenen Meinung. „Renn doch in dein Verderben. Ich jedenfalls werde heimgehen.“

Herablassend hob der Hylianische Ritter das Kinn, sah dann Virri an, der scheu zu ihm aufblickte. Mit einer Kopfgeste deutete Leo auf den ältesten von ihnen. „Denkst du auch wie er?“

„Wirklich, Leo?“, redete Balaen dazwischen. „Das fragst du ausgerechnet ihn?“

„Er kann selbst antworten!“, keifte Leo zurück.

Der kleine Patient sank in sich zusammen, strich mit dem Daumen über das Glas, hinter dem die Fee saß, und schüttelte stumm den Kopf.

Zufrieden wandte sich Leo wieder an Balaen. „Siehst du? Virri findet auch, dass wir Link stoppen können!“

„Naja, vielleicht, wenn er uns nicht noch einmal überrascht …“, meldete sich der jüngste Held nun endlich mit heiserer Stimme zu Wort. „Aber … müssen wir das denn?“

„Natürlich!“, erwiderte Leo sofort. „Bevor er noch mehr Leute umbringt!“

Noch leiser, aber mit Bestimmtheit meinte Virri: „Ich glaube, er will das gar nicht tun.“

Diese Aussage versetzte nun beide Ritter in Erstaunen. Überrascht wollte Balaen wissen: „Wie kommst du darauf?“

Schwach zuckte der Verwundete mit den Schultern. „Ein Held zu sein, find ich schon toll … Also, wenn die Menschen dankbar sind, dass ich für sie kämpfe.“ Gedankenverloren kratzte er am Korken, der die Fee in ihrer Flasche gefangen hielt. Auch wenn Balaen und Leo ähnlich empfanden, verlautbarten sie dies nicht. „Link will doch auch nur ein Held sein …“ Virri hob den Blick. „Darf er das denn nicht auch wie wir?“

„Gar nichts darf er!“, schnaubte Leo. „Nicht nach allem, was er getan hat!“

Von diesen Widerworten ließ sich Virri diesmal nicht einschüchtern, sondern zog im Gegenteil sogar Selbstbewusstsein daraus. „Aber warum hat er es getan? Das ist, was ich mich frage … Diese Zora-Prinzessin und der Gorone wollten ihre Schlüssel für die Geheimkammer bestimmt nicht hergeben, da ist er vielleicht so wütend geworden, dass …“ Beklommen schluckte der kleine Held und ließ den Satz unvollendet stehen. „Aber dieser Baum ist noch da. Link konnte ihm den Schlüssel wahrscheinlich einfach wegnehmen, deswegen musste er dem Baum nichts tun.“

„Er hat ihm nichts getan, weil das nicht geht“, zischte Leo überzeugt. „Ich habe schon so alte weise Bäume gesehen, die sind riesig. Nicht einmal als Dämon dürfte Link die Kraft haben, so einen zu fällen!“

Trotzig schüttelte der Patient den Kopf und rief aus: „Selbst wenn! Ich bin mir sicher, wenn sich ihm niemand in den Weg stellt, würde er auch all diese schrecklichen Dinge nicht tun. Er ist ein Held, und Helden sind doch immer gute Menschen …“

„Von wegen guter Mensch! Er hätte dich fast getötet!“, empörte sich der Hylianische Ritter und nutzte damit eines von Balaens Argumenten mit einer anderen Interpretation.

„Weil wir ihn angegriffen haben“, beharrte Virri. „Eigentlich wollte er gestern gar nicht kämpfen. Nur an uns vorbeireiten.“

Seine Ermattung und Heiserkeit vergessend, brauste Leo nun heftiger als zuvor auf: „Damit soll einfach alles entschuldigt werden? Dass du und andere für ihren Tod selbst verantwortlich sind?“

„Leo“, sagte Balaen von seinem Platz an der Wand aus ruhig, doch der Heißsporn schimpfte bereits leidenschaftlich weiter.

„Link hat nicht nur irgendwelche Monster im Kampf getötet oder einen Dämon besiegt, der irgendwann wiederkommt!“

Virri drückte die Flasche an sich, als wolle er die Fee darin vor Leos Toben beschützen – oder emotionalen Halt bei ihr suchen.

„Leo!“, kam es nun warnend von Balaen.

Der jüngere Ritter bemerkte selbst gar nicht, dass er immer lauter wurde. „Seine Opfer kommen nicht wieder! Nie wieder! Weil er sie ermordet hat! Kapierst du Knirps überhaupt, was das bedeutet?!“

„Leopold!“, verschaffte sich Balaen jetzt schreiend Gehör.

Knurrend wirbelte Leo zu ihm herum. „Was denn?!“

Alarmbereit war der Held aus den Wolken aufgestanden. Eindringlich forderte er: „Beruhige dich.“

„Ich bin ruhig!“, brüllte der Wütende alles andere als das.

Darauf erwiderte Balaen nichts, ließ Leo Zeit, selbst zu erkennen, welches Entsetzen die Drohhaltung, die er eingenommen hatte, in Virri ausgelöst hatte. Und nicht nur das sah der Hylianische Ritter nun, sondern auch seine Fäuste, die so fest geballt waren, dass die hervortretenden Sehnen das Triforce auf dem linken Handrücken verzerrten. Er zwang sich dazu, sie zu entspannen. Zum Zorn auf Balaen, Virri und Link kam nun auch der auf sich selbst hinzu.

„Macht doch, was ihr wollt“, zischte Leo mühsam leise und stapfte zum Ausgang. Zum ersten Mal seit Beginn seines Ausbruchs kroch Alvio unter dem Krankenbett hervor und folgte seinem Hüter. Der riss die Tür nun auf; während der Hase schnell aus dem Raum hoppelte, als ahne er, was geschehen würde, drehte sich Leo noch einmal zu den anderen beiden Helden um. Aufgebracht spuckte er: „Wer braucht schon Feiglinge wie euch? Ich mach das allein!“ Damit stürmte auch er aus dem Zimmer und schlug die Tür geräuschvoll zu.

Aufatmend ließ Balaen die angespannten Schultern sinken und lehnte sich wieder an die Wand. Die Aufregung der letzten Minuten hatte ihn zu viel Energie gekostet. Ermattet rieb er sich die Nasenwurzel.

Weil Virri den Kopf hängen ließ, war sein Gesicht von emmerblonden Haarsträhnen verborgen, hinter denen er nun zu dem ältesten Helden hinüberspickte. Tief holte er Luft, druckste noch einen Moment herum und hob dann zu sprechen an.

Da die anfängliche Rivalität zwischen Prinzessin Zeldas Berufenen nicht mehr bestand, waren keine Soldaten mehr dazu abbestellt, am Tor zum Garten der Helden Wache zu stehen. Lediglich die Patrouillen auf den umliegenden Schlossmauern hatten noch Einblick auf jenen Innenhof. Während sich die drei Grüngewandeten auf königlicher Mission in den Verlorenen Wäldern befunden hatten, hatten Diener den großflächig verteilten Sand so gut wie möglich zusammengekehrt und damit den Duellplatz wieder aufgeschüttet. Die Leihwaffen waren eingesammelt und in die Gestelle zurückgelegt worden – um nun schon wieder benutzt zu werden.

Gleich im Anschluss zum Streit mit den anderen beiden Helden war Leo in sein eigenes Zimmer gestürmt, in dem er unablässig schimpfend auf- und abgetigert war wie ein Löwe in einem zu kleinen Käfig. Irgendwann hatte es zaghaft an der Tür geklopft, und eine verschreckte Dienstbotin hatte ihm sein tadellos geflicktes Rittergewand überreicht. Ohne ein Wort des Dankes hatte er es ihr abgenommen und ihr die Tür vor der Nase zugeknallt. Nachdem Leo sich gleich darauf umgekleidet und die Krafthandschuhe angezogen hatte, hatte er den Garten aufgesucht. Bei über seinen Zorn entsetzten Palastangestellten hatte er Strohballen als Übungsgegner bestellt, doch die waren unter seinem Wüten schnell zu einem Haufen klein gehackselter, vertrockneter Halme zerfallen.

Also hatte man ihm einen ganzen Baumstamm gebracht, wie Holzfäller sie zur Weiterverarbeitung an Schreiner lieferten. Den hatte Leo Kraft seiner Handschuhe – und seines Gemütszustands – ein Stück weit in die Erde gerammt, sodass dieser fest stand, und drosch nun hemmungslos mit einem Schwert darauf ein. Leider war dies nicht des Hylianischen Ritters eigene Waffe, sondern eine geliehene. Das spürte Leo nur zu deutlich: Mit jedem Schlag, den er nicht mehr als oberflächlich in das robuste Eichenholz setzte, brach mit hellerem, blitzendem Ton ein Splitter von der Schneide ab.

Neben Leo kauerte Alvio gemütlich im Stroh, das noch von dem vorigen Massaker an den Ballen übrig geblieben war, und knabberte Gras. Wenngleich der einzige Hase, so war er nicht das einzige Tier im Garten: Virris Übungshühner stolzierten frei darin umher, scharrten im Sand, pickten nach Insekten und achteten nicht weiter auf das Toben von Alvios Hüter. Ließ man es in Ruhe, so konnte das aggressive Federvieh durchaus friedliebend sein. Die offen stehende Holzkiste, in der es geliefert worden war, diente bisweilen als impovisierter Hühnerstall.

Mürrisch betastete Leo die mal wieder rettungslos abgestumpfte Klinge. „Diese miesen Schwerter hier halten einfach nichts aus“, beschwerte er sich bei dem Hasen. „Bei uns sind sie einfach viel besser!“ Mit wahrscheinlich mehr Schwermut als angebracht bedauerte er den Verlust seiner Waffe, die nun irgendwo in den Wäldern verloren vor sich hin rostete.

Leo fuhr fort, auf seinen Schlagbaum einzuhacken, auch wenn die Klinge nun immer weniger tief unter die Borke drang. „Miese Feiglinge …“, fluchte er dabei zähneknirschend. „Sollen sie sich doch von der Prinzessin in ihre Welt zurückschicken lassen. Oder Zeit oder was auch immer. Ich mach diesen miesen Mörder auch ganz allein fertig!“ Jetzt schwang er das Leihschwert von schräg oben; es verkantete sich im Holz, sodass es sich nicht gleich wieder ziehen ließ. Mit einigem Rucken bekam Leo es frei, doch verbog dabei die Klinge.

Lauter als bisher, damit die Wachen auf der Mauer ihn hörten, rief er: „Und dieser miese Soldat kann sich seine miese Axt sonst wohin stecken!“ Einer von ihnen hatte dem Ritter zu Beginn des Gemetzels an dem Eichenstamm nämlich geraten, eine Streitaxt zu benutzen, da sich eine solche für diese Tätigkeit wesentlich besser eignete. Daraufhin hatte Leo in seiner Raserei gedroht, die fragliche Waffe nur zu benutzen, um jedem Soldaten, der ihm zu nahe kam, den Kopf abzuschlagen – was wohl den gewünschten Eindruck hinterlassen hatte, denn seitdem hatte ihn niemand mehr behelligt.

Trotzig hieb Leo wieder zu; ein Span hüpfte aus dem Stamm und landete auf Alvios Kopf. Empört schüttelte der weiße Hase jenen und klopfte ähnlich zornig wie sein Hüter mit der Hinterpfote auf den Boden.

„Denkt der etwa, ich mache hier Feuerholz?“, tobte Leo weiter. „Oder noch schlimmer, hält der mich für einen miesen Söldner? Ich bin Ritter! Ich kämpfe nur mit Schwertern!“ Der nächste Hieb brach ein fingerlanges Stück aus der Schneide, das so haarscharf am Gesicht des Helden vorbeizischte, dass es ihm die Haut knapp unter dem Auge aufschlitzte. „Was für miese Schmiede habt ihr hier?!“, schrie er, hob das Schwert beidhändig. Mit hohlem, bis in den Kern dröhnenden Klang hackte er so kraftvoll zu, dass er es anschließend nicht mehr aus dem Holz bekam. Wutschnaubend zog der Hylianische Ritter daran. Von den Krafthandschuhen und dem Eichenstamm gepeinigt, zersplitterte die Klinge endgültig mit kreischendem Klirren.

Leo brüllte unartikuliert – woraufhin ein paar Hühner in der Nähe nun doch erschrocken ein kurzes Stück aufflatterten – und schmetterte das nutzlos gewordene Heft zu Boden zu zwei weiteren, bereits ruinierten Schwertern. Mit der edelsten aller Waffen derart rücksichtslos umzugehen, war für ein Mitglied des Hylianischen Ritterordens ein absoluter Frevel, doch wer auch immer der Schmied dieser Schwerter war, hatte es nicht anders verdient. Müde wischte sich Leo mit dem Handrücken das Blut ab, das ihm aus der Schnittwunde das Gesicht hinabrann, und knurrte leise: „Alles mies …“

Das wogende Rauschen riesiger Schwingen drang an seine Ohren, und Leo und Alvio hoben den Blick. Flatternd bremste Karmin seinen Flug ab und landete so elegant, wie es einem Vogel seiner Größe möglich war, auf dem Dach eines Wachturms und machte es sich darauf gemütlich. Als Leo Schritte hinter sich hörte, stampfte er zum Waffengestellt, griff sich das nächste Schwert und schnippte es herum, um seine Balance zu prüfen. „Total mies.“ Da ihm jedoch keine Alternative blieb, kehrte er eben mit dieser minderwertigen Waffe zum Baumstamm zurück und fuhr in seinem barbarischen Tun fort – nun noch brachialer vor den neuen Zuschauern. Sein Zorn vertrieb jede Erschöpfung, die noch vom Vortag übrig geblieben war, oder bewirkte zumindest, dass Leo sie nicht wahrnahm.

Einige Schläge fiel kein Wort, bis Balaen fragte: „Was genau treibst du hier?“

„Siehst du das denn nicht?“, schnauzte Leo zurück. „Ich bereite mich auf den Kampf gegen Link vor!“

Skeptischen Blickes musterte Balaen den malträtierten Baumstamm. Der jüngere Ritter trug zwar seine grüne Tunika, doch die dazugehörige Mütze hatte er dem Eichenstamm aufgesetzt. Natürlich war dem Held aus den Wolken klar, was Leo hiermit wirklich bezweckte. Eigentlich hatte er schon viel früher an ihn herantreten wollen, aber noch gewartet, bis der Hitzkopf etwas Dampf abließ und runterkam. Da dies nun auch nach zwei Stunden nicht geschehen war, Leo sich sogar immer weiter in seine Raserei hineinsteigerte, hatte Balaen ihn eben jetzt schon aufgesucht.

„Blindwütig auf Link einzudreschen, wird dich nicht weit bringen“, bemerkte der ältere Ritter wie schon zuvor.

Ohne innezuhalten, grollte Leo: „Was du nicht sagst.“

„Ich denke, es wäre effektiver mit einer A- …“

So plötzlich, dass die Bewegung zur Unkenntlichkeit verschwamm, schwang Leo das Schwert zu dem älteren Helden herum und brachte ihn zum Verstummen. Obwohl er die Stahlspitze drohend genau vor Balaens Nase hielt, zuckte dieser zu seinem Ärger nicht einmal mit der Wimper. Gefährlich flüsternd warnte der Hylianische Ritter: „Wage es ja nicht, dieses Wort auszusprechen!“ Damit wandte er sich wieder seinem hölzernen Opfer zu. „Du und dein Federvieh, seid ihr hier, um euch zu verabschieden?“, fragte er fast im Plauderton. „Das müsst ihr nicht machen. Kannst dem Knirps ausrichten, er auch nicht.“

„Deine hitzige Rede vorhin hat ihn umgestimmt“, ließ Balaen den Wütenden unumwunden wissen. „Er will sich Link nun doch wieder mit dir entgegenstellen. Leider.“ Nachdem Leo das Zimmer des kleinen Patienten wutschnaubend verlassen hatte, hatte dieser Balaen von seiner geänderten Meinung in Kenntnis gesetzt. Was der älteste Held davon hielt, wusste Virri allerding noch nicht.

Leo, der gerade erneut ausholte, hielt kurz inne. Diese Nachricht kam nun doch unerwartet. Um seine Stutzigkeit zu kaschieren, führte er die Bewegung schnell zu Ende und spuckte gehässig: „Gut, dann ist er doch nicht so ein Feigling wie du. Wir erledigen das, und du kannst gehen und deinen kleinen Kindergeburtstag veranstalten.“

„Stimmt, theoretisch müsste die Jahresfeier heute stattfinden“, meinte der Ritter aus den Wolken nachdenklich. Darüber hatte er sich in den letzten Tagen keine Sorgen mehr gemacht. Zunächst, weil andere Dinge wichtiger gewesen waren, und nun, weil er wusste, dass seine Beschwörung in diese Welt eine Zeitreise war. Prinzessin Zelda konnte ihn und Karmin zu genau dem Zeitpunkt zurücksenden, aus dem sie die beiden entrissen hatte, keine Sekunde nach ihrem Verschwinden. „Aber sie werden ohne mich auskommen müssen …“, fügte Balaen hinzu.

Was Leo hörte, konnte er nicht wirklich glauben. „Ach, du bleibst auch?“

Den gebrochenen Arm anhebend, stellte der ältere Held fest: „So bin ich für die anderen Ritter eher Behinderung als Hilfe.“

„Also machst du eine Kur hier im Schloss, lässt es dir gut gehen, während andere deine Aufgaben erledigen – und das gleich in zwei Zeiten.“

Seufzend schüttelte Balaen den Kopf. Es war nicht leicht, bei der Streitlust des Hylianischen Ritters eine ernste Konversation zu führen, wenn dieser immer wieder neue verbale Angriffspunkte suchte. Umso wichtiger war, dass Balaen als der erwachsenere von ihnen vernünftig blieb.

So nahe, wie es die unablässig erfolgenden Schwertschwünge zuließen, trat er an Leo heran, der dies missbilligend zur Kenntnis nahm. „Rück mir nicht auf die Pelle!“, knurrte er warnend.

Balaen hörte nicht darauf; möglichst leise, damit die Soldaten auf den umgebenden Mauern es garantiert nicht hörten, raunte er: „Hast du je einen Angehörigen verloren, Leo? Jemanden, der dir sehr wichtig war?“

Mehrfach hintereinander drosch Leo auf den Eichenstamm ein, dachte an seinen Onkel und schnauzte: „Das geht dich ‘nen miesen Mist an!“

„Bei mir sind es schon viele gewesen“, beantwortete Balaen seine eigene Frage mit belegter Stimme, „doch am schlimmsten war für mich der Tod eines Mannes, der in meinem Leben eine große Rolle gespielt hat. Er war der Leiter der Ritterschule und seit ich denken kann wie ein Vater für mich. Er ist derjenige, dank dem ich als umgelernter Linkshänder überhaupt erst zum Schwertunterricht zugelassen worden bin. Ohne ihn hätte ich wahrschienlich nicht zum Helden getaugt, als es darauf ankam. Und auch als ich auf meiner Mission war, konnte ich ihn immer um Rat ersuchen.“ Seine Mundwinkel hoben sich zu einem kleinen Lächeln, das jedoch schnell wieder von Bitterkeit umwölkt wurde. Was er Leo nun anvertrauen würde, wusste auch in seiner Zeit in der fernen Vergangenheit niemand.

„Es ist nur ein paar Monate her“, sprach Balaen also, während der jüngere Ritter seine Schläge unwillkürlich reduzierte, um besser zu lauschen. „Er wollte mich auf meiner Wachpatrouille durch den Wald um unsere Siedlung begleiten. Wenn ich unterwegs bin, begegne ich in der Regel nur vereinzelten Monstern, doch ausgerechnet an diesem Tag lauerte eine ganze Horde Bokblins auf uns. Fast, als hätten sie geahnt, dass ihnen ein alter Mann, der mit dem Schwert nicht mehr so geübt war wie früher, in die Arme laufen würde. Ich konnte nicht verhindern, dass er verletzt wurde …“

Nun versenkte Leo die Klinge mit einem Rückhandhieb im Holz und ließ sie erst einmal stecken. Für einen Moment kehrte geradezu gespenstische Stille im Innenhof ein, ehe Balaen, versunken in der erschütternden Erinnerung, fortfuhr.

„Ich war mir so sicher, dass Karmin und ich ihn würden verteidigen können. Dabei wäre es besser gewesen, sofort Hilfe zu holen. Gewiss wäre er an einer für die Bokblins schlecht zugänglichen Stelle eine Weile allein klargekommen. Als wir endlich die Gelegenheit zur Flucht bekamen, war es schon zu spät … Wir hatten gerade die Siedlung erreicht, als er seinen Verletzungen erlag. Unsere Heiler konnten nichts mehr für ihn tun.“

Leo zog das Schwert und hackte sogleich wieder zu, traf fast dieselbe Stelle wie zuvor, und ein keilförmiges Stückchen Holz flog davon. Nahezu sofort zockelte ein gutes Dutzend Hühner herbei und sammelte sich darum, um es auf seine kulinarische Verwertbarkeit zu evaluieren.

„Er ist gestorben, weil ich in meiner Vermessenheit zu glauben, ihn beschützen zu können, zu lange gezögert habe“, schloss der Held aus den Wolken, blickte in die Ferne und nahm doch nichts wahr. Sein Geständnis, das er so lange mit sich herumgetragen hatte, sprudelte nur so aus seinem Mund. „Und damit habe ich versäumt, ihn wirklich zu retten. Dieses Wissen quält mich jeden Tag, der seitdem vergangen ist.“ Seine Stimme nahm einen harten, unnachgiebigen Unterton an. „Auf keinen Fall will ich das je wieder geschehen lassen. Wenn ich die Chance sehe, jemandem das Leben zu retten, ergreife ich sie sofort, anstatt darauf zu warten, dass sich eine bessere ergibt.“

„Und wenn es die nicht gibt, lässt du denjenigen einfach im Stich“, kritisierte Leo ohne Mitgefühl für Balaens Leidensgeschichte. Er spielte auf die Situation vom Tag zuvor an, in der Link in Dämonenform ihn mit der Tauschhakenkette gewürgt hatte. Anstatt etwas für den Hylianischen Ritter zu unternehmen, war Balaen mit Virri geflohen. Der Held aus den Wolken war davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben, indem er sich um den kleinen Schwerstverletzten gekümmert hatte. Unmöglich hätte er Leo noch helfen können. Das hatte der Hitzkopf auch eingesehen, trotzdem war er tief enttäuscht davon, dass sein Mitstreiter ihn zum Sterben zurückgelassen hatte. Die beiden hatten diese Sache auf dem Rückflug zum Schloss aber bereits durchgesprochen, weswegen sie die Beweggründe des jeweils anderen Ritters gut verstehen konnten. Insofern ging Leo jetzt auch nicht mehr weiter darauf ein.

„Dann hast du diesen Mist über Link nur erzählt, um dem Knirps und mir Angst zu machen“, vermutete er, um wieder auf das eigentliche Thema zurückzukommen. Die Hand hielt er nur locker um den Schwertgriff, weil er vorerst nicht gedachte, es weiter zu gebrauchen. Sturköpfig, wie er war, wollte er sich nicht anmerken lassen, dass ihn die Schlagabfolge nun doch ermüdet hatte.

Unter geistigen Mühen gelang es Balaen, seine Konzentration von jenem schicksalhaften Tag, von dem er erzählt hatte, zurück ins Jetzt zu ziehen. „Keineswegs. Ich denke nach wie vor, dass er der gefährlichste Gegner ist, dem sich jeder von uns je stellen musste – doch das heißt nicht, dass ich ihn für vollkommen unbesiegbar halte.“

Zynisch gab Leo zurück: „Das sage ich schon die ganze Zeit.“

„Ich habe durchaus versucht, euch dazu zu bringen, vor einem weiteren Kampf mit ihm zurückzuschrecken“, offenbarte der ältere Ritter seinen Plan und bestätigte Leos vorausgegangene Theorie. „Danach hätte ich Zelda überzeugen müssen, mich nur zum Schein in meine Zeit zu senden.“ Mit der unverletzten Rechten machte er eine sein Scheitern anerkennende Geste. „Aber dein Dickschädel hat dieses Vorhaben schon im Keim erstickt. Erst bei dir selbst, und jetzt will auch Virri nicht mehr nach Hause.“

Gehässig grinsend zog Leo das Schwert und ritzte mit der Spitze eine Kerbe quer durch die Borke. „Du mieser Verräter wolltest uns loswerden und die Sache selbst erledigen“, fasste er bärbeißig zusammen.

Sich rechtfertigend, erklärte Balaen: „Dafür zu sorgen, dass Hyrules Helden unversehrt in ihre Zeiten zurückkehren, ist auch eine Art, es zu beschützen. Außerdem denke ich, dass diese Angelegenheit für ein Kind viel zu gefährlich ist.“

„Fängst du wieder mit dem Mist an?!“, protestierte Leo lautstark, stach zu und versenkte die Klinge bis zur Hälfte im Baumstamm. Die Wucht des Einschlags brachte diesen ins Wanken, und die grüne Heldenmütze segelte herab. Der Hylianische Ritter verdrehte sich unglücklich die linke Schulter; gequält aufschreiend presste er die Hand darauf, ohne die andere vom Heft zu nehmen.

Unbeeindruckt von dieser Kraftdemonstration blinzelte Balaen zu den Wachen auf dem Wehr hinauf, die interessiert zu den beiden runtersahen. Es war wichtig, dass sie nicht erfuhren, worüber die Helden sprachen. Also entschied sich Balaen für ein unverfänglicheres Thema. „Du hast Schmerzen.“

Leo, der reglos am Schwert hing, war nicht dazu in der Lage, sich davon abzudrücken, so heftig war das Pochen in seiner Schulter. „Bin nur gegen einen Baum gerannt“, ächzte er verbissen. „Nicht das erste Mal.“

„Und das Blut?“

Mit dem Handballen fuhr Leo über die aufgeschlitzte, mittlerweile verschorfte Wange. „Nur ein Kratzer.“

„Nicht das“, korrigierte Balaen. „Ich meinte deinen Arm …“

Nun richtete sich Leo doch auf, beäugte den weißen Verband an seinem rechten Unterarm, der von roten Flecken durchsetzt war. In seiner blinden Raserei hatte der Ritter noch nicht bemerkt, dass die Bisswunde aufgerissen war.

„Du solltest das vom Arzt vernähen lassen“, riet Balaen ihm.

Unbeteiligt sog Leo Luft durch die Nase, doch ging nicht darauf ein. Stattdessen wandte er sich endlich dem älteren Helden zu und warf ihm grollend vor: „Seit du uns kennst, nimmst du den Knirps und mich nicht für voll, weil wir jünger sind als du. Du denkst, wir seien einfach nur Kinder!“

„Das habe ich anfangs wirklich gedacht.“ Balaen senkte die Stimme auf ein Maß, das nur noch sein Gegenüber vernahm, „doch was du da drinnen gesagt hast, hat mich eines Besseren belehrt. Es hat mir klargemacht, dass du viel reifer bist, als du zunächst erscheinst – zumindest, was deine Moralvorstellungen betrifft.“

Überrascht hob Leo die Augenbrauen. Verärgert darüber, wie sehr diese Worte dem Hylianischen Ritter, der er trotz seines hitzköpfigen Charakters war, schmeichelten, vertuschte er diese Gefühlsregung, indem er nachhakte: „Und der Knirps?“

„Virri ist ein Kind, und dass er sich vervierfachen kann, ändert daran nichts. Bei ihm bin ich noch immer derselben Ansicht. Aber vielleicht ändere ich sie ja, wenn du mir hier und jetzt ins Gesicht sagst, dass du findest, ich läge falsch“, forderte Balaen den jüngeren Helden heraus.

Der wandte den Blick ab und schwieg. Allmählich kombinierte er aus dem Gesagten den Beweggrund, aus dem Balaen ihn im Innenhof aufgesucht hatte. Ohne Virris Anwesenheit. „Du willst, dass wir beide uns zusammentun und den Knirps rauswerfen“, schlussfolgerte Leo.

Erneut prüfte Balaen die Aufmerksamkeit der Soldaten, die sich noch immer nicht wieder ihren eigentlichen Aufgaben widmeten. Also schickte er Karmin mit einem unauffälligen Gedanken zur Ablenkung zu ihnen. Der Wolkenvogel, der seit seinem Erscheinen auf dem Wachturm geruht hatte, stieg nun, das Gleichgewicht mit ausgebreiteten Schwingen wahrend, von dessen Dach auf die Mauer. Beiläufig trottete er über den Wall ohne was Bestimmtes zu tun, doch bei seiner Größe reichte dies bereits, um unter den Wachen für Aufregung zu sorgen.

Zufrieden damit, sah Balaen nun wieder Leo an und sprach eindringlich: „Link ist bereit, Kinder zu töten. Er kennt keinerlei Skrupel. Genau deswegen müssen wir ihn aufhalten – und genau deswegen ohne Kind in der Truppe. Virri darf nicht sterben, weil wir ihn nicht rechtzeitig von dieser Gefahr ferngehalten haben.“

„Hm …“, machte Leo daraufhin nur nachdenklich. Seine Schulter hatte sich von dem Anfall erholt; den Fuß gegen den Schlagbaum gestemmt, zog der Ritter das Schwert mit einem kräftigen, beidhändigen Ruck aus dem Holz, wobei die abgebrochene Spitze darin stecken blieb. Während Leo wieder zudrosch, diesmal bedeutend umsichtiger, fragte er seinen Gesprächspartner: „Und wie stellst du dir das vor?“

„Wie du ganz richtig gesagt hast, bin ich der Taktiker von uns dreien“, begann der ältere Held, sein Vorhaben zu erläutern. „Ich werde also die nächsten Tage eine Strategie gegen Link zurechtlegen, die wir zu dritt einüben – zugleich aber auch eine, die wir beide ohne Virri durchführen können.“

„Und wenn es so weit ist? Wie werden wir den Knirps dann los?“

Ratlos hob Balaen die Schultern. „Das kann ich leider noch nicht sagen. Es hängt von der Situation ab, die dann herrscht. Aber überlasse es nur mir. Alles, was du tun musst, ist, die Sache geheim zu halten.“

Befremdet verzog Leo die Miene. „Klar, ich bin doch nicht bescheuert.“

„Nicht nur vor Virri“, betonte Balaen beschwörend. „Sondern auch vor Zelda.“

Blinzelnd stutzte Leo. Auf diesen Gedanken war der loyale königliche Ritter noch nicht gekommen, doch bei genauerer Überlegung war es auch für ihn selbstverständlich. Jetzt begriff er auch, warum Karmin oben auf der Mauer für Aufruhr sorgte, indem er dreist wie ein Rabe das Quartier im Wachturm in Unordnung brachte: Die Soldaten sollten die Konversation zwischen den Helden nicht belauschen und an ihre Herrin weitergeben. Dennoch ließ Leo zunächst Widerworte verlauten: „Ich soll die Prinzessin belügen? Das kannst du knicken!“

Sinnierend wiegte Balaen den Kopf. „Auch wenn ich ihr nicht ganz vertraue, habe ich doch den Eindruck, dass sie uns tatsächlich nach Hause schicken würde, sollten wir sie darum bitten. Doch einen von uns gegen seinen ausdrücklichen Willen auszuschließen, wird sie ganz bestimmt nicht tun. Vielleicht würde sie Virri sogar verraten, was wir vorhaben. Sie ist der festen Überzeugung, dass wir Link nur zu dritt bezwingen können, und das ist fatal.“

„Vielleicht hat sie ja recht“, ruderte Leo trotzig zurück.

„Du weißt am besten, wie weit du herumgekommen bist“, hob der Ritter aus den Wolken an. „Sie hingegen hat ihr ganzes Leben in diesem Schloss verbracht. Würdest du ihr dann mehr Kampferfahrung zusprechen als dir? Wer von euch beiden, du oder Zelda, kann unsere Siegeschancen besser einschätzen? Was meinst du?“

Allmählich wuchs dieses Gespräch zu einer rhetorischen Prüfung an Leo aus, was für ihn als Ritter mehr Wert hatte: Seine Treue zur Krone oder das Leben eines Freundes. „Was ist mit dem, was du über die Prinzessin denkst?“, wollte er wissen. Wie sollten die beiden so unterschiedlichen Ritter schon zusammenarbeiten, wenn der eine die Hylianische Königslinie ehrte, während der andere ihre Würde verleumdete?

„Diese Sache mit Link ist viel größer als mein Misstrauen gegen sie“, räumte Balaen ein. „Der Einfachheit wegen werde ich es beiseite legen … und du solltest auch vorerst vergessen, was ich da drinnen gesagt habe.“

Schweigend nickte Leo. Über den Kopf holte er mit dem Schwert aus, hackte es einer Axt nun doch nicht unähnlich in die obere Kante des Eichenstamms und ließ es darin stecken. Sein Zorn war noch nicht restlos abreagiert, doch auf ein umgängliches Maß verraucht. Er schritt um den Schlagbaum herum, bückte sich nach seiner Mütze und klopfte noch in der Hocke Strohhalme davon ab. Alvio hoppelte zu ihm und schnupperte an der grünen Kopfbedeckung.

Oben auf der Mauer hatten die Soldaten begonnen, Karmin mit Lanzen zu bedrohen – auch wenn sie es natürlich nicht wagten, das Reittier eines Gasts ihrer Herrin zu verletzen. Der riesige rote Vogel fauchte beleidigt, sprang vom Wall und glitt in den Garten herab, begleitet von den Protestrufen der Wachen, die sich auch und vor allem gegen Balaen richteten. Die Hühnerschar suchte angesichts des viel größeren gefiederten Tieres in den entlegeneren Winkeln des Gartens Reißaus.Wachsam stellte Alvio die Löffelohren auf, doch er flüchtete nicht; bei seinem Hüter fühlte er sich sicher. Leo setzte die Mütze auf und legte beruhigend eine Hand auf den pelzigen weißen Rücken. Indes stakste Karmin zu seinem Reiter und ließ sich für sein gelungenes Ablenkungsmanöver lobend den Schnabelansatz streicheln. Seit dem gestrigen Ausflug in den Wald war er schon viel ausgeglichener, trotz des turbulenten Endes.

Mit Blick auf den jüngeren Ritter meinte Balaen: „Ich finde es immer noch verblüffend, wie sehr du diesen Hasen liebst. Du schienst mir anfangs so kühl ihm gegenüber eingestellt zu sein. Ich glaube, als du dich im Gebirge von ihm trennen musstest, hast du dir doch mehr Sorgen um ihn gemacht, als du zugeben willst.“

„Wenn man Tieren seine Wertschätzung zeigt, sind sie die besten Freunde, die man sich wünschen kann“, sprach Leo bedeutungsschwer. „Sie verraten einen nicht, wenn sich die Gelegenheit bietet.“ Damit machte er klar, was er insgeheim von Balaens Vorhaben dachte.

„Ich weiß“, erwiderte der Vogelreiter, und Karmin krächzte bestätigend. „Sie können einen aber auch dann nicht verraten, wenn es Leben retten würde.“

Seufzend stand der jüngere Ritter auf. „Nun gut, Flattermann. Ich mache dein Spielchen mit“, sagte er schließlich zu, „aber sollten der Knirps oder die Prinzessin von alleine dahinterkommen und mich dazu ausfragen, werde ich ihnen die Wahrheit nicht vorenthalten.“

Unzufrieden schürzte Balaen die Lippen, doch nickte widerwillig. „Meinetwegen.“

Leo trat an ihn heran. „In meiner Zeit besiegeln Verschwörer ihren Pakt mit einem Handschlag. Mit der linken Hand, weil Verschwörer nunmal besonders … link sind.“ Der Hylianische Ritter grinste schief. „Ein interessantes Wortspielt, nicht wahr?“

Ohne darauf einzugehen, hob Balaen den verschienten Arm. „Damit kann ich gerade nicht dienen.“ Stattdessen bot er seinem Gegenüber die Rechte an.

Der vielgereiste Abenteurer nahm diese Geste nur mit einem Blick zur Kenntnis. „Dann brauchen wir einen Ersatz, damit das hier auch zünftig abläuft … Wir könnten es ja wie Söldner machen.“ Ohne zu zögern, spuckte er herzhaft in die eigene rechte Hand. Ehe Balaen reagieren konnte, hatte der jüngere Held die seine bereits ergriffen und ihr geheimes Bündnis beschlossen.

In einem Gästezimmer des Schlosses schob ein kleiner, schwerverletzter Krieger das Schwert der Vier in dessen Scheide zurück und wischte sich eine Träne von der Wange.

Ähm… ja. Kann hierzu nicht viel sagen xP Was dieses Kapitel endlich klärt, sind Balaens Schuldgefühle für Geporas Tod, die in seinem Prolog angeteasert wurden. Alles andere schaut halt eher in zukünftige Kapitel, und zu denen werde ich ganz bestimmt nix sagen >:3

Die grüngewandeten Ritter flogen nur gerade so weit, dass sie sich in Sicherheit wähnten, und ließen ihre so unterschiedlichen Vögel jenseits des Waldes landen. Dort versorgten sie ihre Verletzungen, erholten sich von der Angstrengung des Kampfes gegen Link und vor allem der Flucht vor seiner Dämonenform. Währenddessen wechselten sie nur die nötigsten Worte, und doch trieb sie beide der Gedanke an ihren jüngsten Mitstreiter um. Lange säumten sie nicht und setzten baldmöglichst ihren Rückweg über die Ebene von Hyrule zum Schloss fort.
Dort angekommen, vergewisserten sie sich nur, ob Virri – den Umständen entsprechend – wohlbehalten im Thronsaal angekommen war. Die über den Zustand des kleinen Helden zutiefst erschütterte und um ihre anderen beiden Ausgesandten besorgte Prinzessin ließen sie nur gerade so viel wissen, dass sie hoffnungslos gescheitert waren – was diese natürlich bereits selbst geschlussfolgert hatte. Nachdem Balaen und Leo von Hofärzten professionell behandelt worden waren und Blut und Schmutz abgewaschen hatten, zogen sie sich auf ihre Zimmer zurück. Zelda gewährte ihnen einen ganzen Tag verdienter und dringend benötigter Ruhe. Sowie diese Frist abgelaufen war, bestellte sie die Ritter zu einer Audienz, um endlich zu erfahren, was genau vorgefallen war. Dieses Treffen tagte in Prinzessin Zeldas Arbeitszimmer.
So eindrucksvoll der Auftritt eines amtierenden Regenten auf seinem Thron vor seinen Untertanen auch war, seine wahre weltliche Macht ging allein von einem solchen Raum aus. Hier wurden alle Staatsgeschäfte abgewickelt und Urteile gefällt, die die Geschicke Hyrules lenkten. Ein Federstrich konnte das Königreich und seine Bevölkerung ins Verderben stürzen – oder dafür Sorge tragen, dass es seinen Frieden behielt.
Doch deswegen hatte die Prinzessin diesen Raum nicht gewählt. Anders als der riesige Thronsaal erweiterte er nicht jedes Wort zu einem dramatisch nachhallenden Echo. Daher mochte sie die Ruhe, die seine Wände ausstrahlten, die unverziert seine reine, nüchterne Zweckmäßigkeit betonten. Nur ein schlichtes, rechteckiges Fenster blickte nach draußen auf die Ebene, über der freundlicher Sonnenschein über das Unwetter vom Vortag hinwegtäuschte. Regale mit Akten in platter Beamtensprache und ein wuchtiger Schreibtisch füllten das kleine Zimmer gut zur Hälfte. Den Rest nahmen die Prinzessin selbst ein, ihr Leibwächter Hendrik – dessen Kollege mit dem Hasen Alvio draußen vor der Tür Spalier stand – und die zwei Helden.
Das war letztendlich der Hauptgrund, warum Zelda sich für ihr Arbeitszimmer entschieden hatte. Der derart begrenzte Raum sollte Leo und Balaen zumindest unterbewusst von der Abwesenheit einer kleinen Person ablenken. Oder vielleicht wollte sich die Prinzessin selbst vorgaukeln, dass eine gewisse, großartige Kriegerin nicht mehr an ihrer Seite war. Dabei hätte sie deren moralischen und emotionalen Halt gerade wirklich gebraucht.
Ihr Leibgardist hatte hinter seiner Herrin Stellung bezogen, während die Helden ihr gegenüber auf der anderen Seite des Tisches saßen, wo sie normalerweise Minister und Berater in Empfang nahm. Die beiden trugen nicht ihre grünen Rittergewänder, die sich in den fähigen Händen im Schloss angestellter Wäscherinnen und Schneider befanden. Stattdessen hatte man ihnen schlicht gefertigte Alltagskleidung zur Verfügung gestellt. In diesen – mit Leos zerbissenem Arm in einem Verband, Balaens gebrochenem zusätzlich in einer Schlinge, übersät von zahlreichen Kratzern und Blessuren – wirkten die beiden nicht einfach nur fehl am sprichwörtlichen Platz. Sondern auch und vor allem fehl in ihrer Aufgabe, für die sie von Prinzessin Zelda auserwählt worden waren; irgendwie gar nicht heldenhaft, sondern eher wie unglückselige Bauernjungen, denen die Ziegen auf der Weide durchgegangen waren.
Wie die beiden nicht ihre Mützen trugen, die sie als Ritter auszeichneten, hatte die Prinzessin ihre Krone auch nicht aufgesetzt. Die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, die Hände ineinander verschränkt, lehnte sie die Stirn so dagegen, dass Ritter und Soldat ihr Gesicht nicht sahen. Die zu würdevoller Zurückhaltung erzogene Majestät rang um Fassung. Ihre gescheiterten Entsandten hatten soeben den Bericht über ihre zweite Begegnung mit Link beendet, und nun musste Zelda mit dem Gedanken klarkommen, fast für den Tod dreier Helden, dreier Menschen verantwortlich gewesen zu sein.
Das anhaltende Schweigen wurde jäh unterbrochen, als sich Prinzessin Zelda in ihrem Stuhl plötzlich zurücklehnte und über die Augen strich, wie man geistige Ermattung oder auch drohende Tränen wegwischte. Während Balaen darauf nicht reagierte, wandten Leo und Hendrik rücksichtsvoll ignorierend den Blick ab. „Eine Verwandlung zum Dämon“, murmelte die Regentin gedankenverloren. „Warum habe ich nicht schon früher davon gewusst … oder es zumindest geahnt …“
„Ich könnt nichts dafür, Prinzessin.“ Leo versuchte, ihre Selbstzweifel zu beschwichtigen. „Niemand hätte damit rechnen können, auch Ihr nicht.“
Sein Sitznachbar stimmte ihm zu: „Link hat sich dazu gezwungen gefühlt, weil wir ihn in die Ecke gedrängt hatten. Es dürfte nicht viele Kämpfer geben, die ihn zu so einer Verzweiflungstat treiben können.“
„Das ist nicht der Punkt …“, widersprach Zelda, verriet den drei Kriegern aber nicht mehr. Sie besaß die Mittel, in Erfahrung zu bringen, welche Wege Link in den sieben Jahren gegangen war, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Nur hatte sie noch keinen Gebrauch davon gemacht, doch genau dadurch hätte sie frühzeitig von der Dämonenform Kenntnis gewinnen und ihre Berufenen davor warnen können. Außerdem gab es auch noch andere Indizien, die sie hätten stutzig machen müssen und über die nachzudenken für sie noch immer zu schmerzlich war.
„Prinzessin, erlaubt Ihr mir eine Zwischenfrage?“, meldete sich Hendrik zu Wort.
Tief bestürzt über die Tatsachen, die sie nicht ändern konnte, machte Zelda eine einladende Handgeste. „Nur zu.“
Obwohl sie es nicht sah, neigte der Soldat dankend das Haupt. „Als Ihr soeben sagtet, Ihr hättet etwas ahnen sollen, spracht Ihr da von den Rittern, die in Eurem Auftrag nach Link gesucht haben?“
„Ritter?“, wiederholte die Regentin verwirrt. Die einzigen Ritter, die sie je entsandt hatte, saßen ihr gegenüber, doch diese konnte Hendrik wohl kaum meinen.
Der räusperte sich, verlegen, sie darauf hinweisen zu müssen. „Eure königlichen Ritter, Majestät, die Ihr ausgeschickt habt noch vor der Ehrenwerten …“
„Gewiss, die Ritter“, fiel die Prinzessin ihm hastig ins Wort, als ihr endlich klar wurde, auf was der Soldat hinauswollte: Die sieben Hylianischen Ritter und ihre Knappen, die auf Geheiß der Regentin ihre Festung weit im Norden verlassen und Link am Todesberg gestellt hatten, kurz, nachdem im Schloss die Nachricht von Rutos Ermordung eingetroffen war, aber noch bevor das fremde Bewusstsein sich Zeldas Körper bemächtigt hatte. Natürlich war jener andere Geist darüber informiert worden, bevor er seine eigenen Schritte gegen den abtrünnigen Helden eingeleitet hatte, doch hatte seitdem nicht mehr an die Ritter gedacht.
Hendrik führte seinen Gedankengang weiter aus: „Eure Ritter sind ebenfalls schwer verletzt worden, es gab sogar Tote. Möglicherweise mussten sie sich gegen den Dämon behaupten?“
Sinnierend legte Prinzessin Zelda den Kopf schief. „Ich habe ihre Berichte gelesen.“ Was nicht ganz stimmte, denn eigentlich hatte sie diese nur überflogen. Nachdem das Bewusstsein die Kontrolle über den royalen Leib übernommen hatte, waren andere Angelegenheiten dringlicher gewesen. Danach war das, was mit den Rittern geschehen war, ohnehin nicht mehr von Bedeutung gewesen – oder zumindest hatte es das gedacht. Bereitwillig erklärte Zelda nun: „Die Verluste unter ihnen waren nur deswegen so hoch, weil sie während des Kampfes von einem Steinschlag überrascht worden sind. Link hat sich vor ihren Augen in einen Wolf verwandelt und ist entkommen.“ Resignierend hob sie die Hand. „Von einem Dämon oder auch nur einer anderen Verwandlung war leider an keiner Stelle die Rede.“
Leise merkte Leo an: „Das kommt mir doch bekannt vor …“
„Du wusstest von der Wolfsgestalt?“, warf auch Balaen ein.
In zurückgehaltenem Schock zog die Prinzessin die Augenbrauen hoch. Das hätte sie vor dem Ritter aus den Wolken besser nicht erwähnen dürfen, war er ihr gegenüber doch bereits misstrauisch genug.
Daher wollte dieser jetzt vorwurfsvoll wissen: „Warum hast du es uns nicht gesagt? Am besten, noch bevor wir ihn im Gebirge gesucht haben. Vielleicht hätten wir besser auf den Wolf reagieren können, wenn wir es gewusst hätten!“
Weil Zelda nur die Lippen aufeinander presste, sprang Leo verbal dazwischen: „Das hätte doch gar nichts geändert. Wir wussten ja nicht einmal, dass er auch ein Held ist.“
„Genau das hätte sie uns am allerwenigsten verschweigen dürfen!“, gab Balaen barsch zurück.
Zum Glück fühlte sich Leo als Hylianischer Ritter in der Verantwortung, die Regentin weiter zu verteidigen, sodass die beiden Helden nun eine unnötige Diskussion vom Zaun brachen. Dies gab der Prinzessin die Gelegenheit, Hendrik mit einer Geste zu verstehen zu geben, näher heranzutreten. Gehorsam leistete er ihrem Befehl Folge, beugte sich zu ihr herab, und sie fragte: „Wo befinden sich die überlebenden Ritter und ihre Knappen zurzeit?“
„In Kakariko, Prinzessin. Im Haus der Ehrenwerten Impa.“
Knapp nickte seine Herrin. „Nach dieser Besprechung will ich, dass alles in die Wege geleitet wird, damit ich sie treffen kann.“ Dieses Vorhaben kam spät, das war ihr bewusst, und sie bereute, es nicht bereits früher in die Tat umgesetzt zu haben. „Auch wenn ich dafür selbst nach Kakariko reisen muss. Ich will aus erster Hand erfahren, was am Todesberg zwischen ihnen und Link vorgefallen ist. Derweil wünsche ich, dass jeder ausfindig gemacht wird, der die Berichte in Händen hatte, bevor sie auf meinem Schreibtisch lagen, und auch diese Personen sollen vor mir vorstellig werden.“ So sollte möglichst nichts an Informationen ausgelassen werden, das sie irgendwie kriegen konnte – in dieser Hinsicht musste sie Balaen durchaus recht geben. „Ist das alles verständlich?“, fragte Zelda ihren Gardisten der Form wegen.
Ehrerbietig neigte Hendrik den Kopf. „Klar und deutlich, Prinzessin.“
Damit entließ sie ihn aus dem heimlichen Wortwechsel und wandte sich wieder den Helden zu, zwischen denen es erstaunlich ruhig geblieben war. Beide waren sie noch immer zu erschöpft für einen wirklichen Streit. Daher gelang es Zelda recht schnell, ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. „Wie sind eure persönlichen Eindrücke zu diesen Kämpfen, zu Link selbst … sowohl, was seine menschliche Gestalt, als auch was … seine anderen betrifft?“
„Also“, hob Leo nach kurzem Zögern an, „ich denke, solange er ein Mensch ist, dürfte es kein Problem sein, ihm das Handwerk zu legen. Nur sollte man es machen, bevor er sich in irgendeine Killermaschine verwandelt.“
„Ich bezweifle, dass es so simpel ist“, meldete sich Balaen widersprechend zu Wort. „Ohne dir zu nahe treten zu wollen, du hattest mit seiner menschlichen Gestalt nicht so viel zu tun wie ich.“ Er überging Leos stummen Einwand, den dieser mit verärgert gerunzelter Stirn kundtat, und erläuterte weiter: „Auch unverwandelt reagiert er schon schneller als jeder Gegner, den ich bislang bekämpft habe. Er wechselt zwischen Angriff und Verteidigung so fließend, dass dazwischen praktisch kein Unterschied besteht. Gegen Virri, seine Klone und mich ist Link aufgetreten, als seien nicht wir, sondern er in der Überzahl, und selbst schwer verletzt lässt er niemanden an sich herankommen.“ Nun wandte sich der Ritter aus den Wolken an Zelda. „Er hat sich nur in einen Wolf verwandelt, als mit Leo jemand dazugekommen ist, gegen den er im Nahkampf unmöglich hätte bestehen können – ebenso, wie er auch in der Höhle nur deswegen zum Wolf wurde, um durch uns durchzubrechen und dem Einsturz zu entkommen. Oder zum Dämon, als seine Wunden ihn doch zu fällen drohten.“
„Du willst darauf hinaus, dass dahinter ein System steckt“, vermutete die Prinzessin.
Balaen nickte. „Ich würde ihm sogar zutrauen, dass nichts, was er gestern getan hat, irgendwie dem Zufall entsprungen ist, oder was er sonst in Gefechten tut. Mir schien, als plane er seine nächsten Schritte weit im Voraus, in jede nur erdenkliche Richtung, die ein Kampf einschlagen kann. So kann er blitzschnell auf alle Eventualitäten reagieren, ohne auf möglicherweise nachteilige Reflexe angewiesen zu sein. Wenn diese in der Regel unfehlbare Taktik doch einmal scheitert, nutzt er die Wendigkeit, Sprung- und Beißkraft seiner Wolfsgestalt, um das Blatt wieder zu seinen Gunsten zu wenden. Der Dämon hingegen ist schwerfälliger, aber stark und nahezu unverwundbar, und schon ein Treffer von ihm ist tödlich. Auf ihn greift Link nur zurück, wenn er einen Kampf nicht mehr unbeschadet für sich entscheiden kann.“
Missgestimmt, weil seine Ausführungen im Vergleich zu Balaens sehr dürftig ausgefallen waren, schnaubte Leo sarkastischen Tonfalls: „Wie schmeichelhaft, dass er uns für so zähe Gegner hält.“ Nun doch nicht ganz ohne Bewunderung, sah er den älteren Ritter an. „Du hast gegen beide Verwandlungen kaum gekämpft und das alles in dieser kurzen Zeit erkannt?“
„Ja. Nach gründlicher Überlegung über das Wenige, das ich beobachten konnte“, entgegnete Balaen.
Dennoch blieb Leo skeptisch. „Wunderbar, du Genie. Dann erklär mir doch, warum Link eine so mächtige Verwandlung nicht gleich anwendet. Ich danke den Göttern, dass er es nicht getan hat, aber mal ganz nüchtern betrachtet: Das hätte ihm selbst so einiges erspart.“
Gönnerhaft räumte der Held aus den Wolken ein: „Ich behaupte nicht, dass meine Schlussfolgerungen völlig logisch sind. Ich hatte auch am Anfang des Kampfes und vor allem, als ich an den Baum gekettet war, den Eindruck, Link würde Virri verschonen, weil er ein Kind ist. Aber das hat sich ja leider als falsch herausgestellt …“ Er verstummte, und über die Anwesenden legte sich betretenes Schweigen.
„Also, wie ist nun deine Einschätzung?“, wiederholte Zelda ihre Frage, die Balaen noch nicht abschließend geklärt hatte. „Ist es möglich, Link festzusetzen?“
Sachlich erklärte der Ritter aus den Wolken: „Das bezweifle ich sehr, und ganz offensichtlich weiß er das. Das einzige Mal, dass er wirklich verzweifelt wirkte, war, als Leo mit seinem Pferd davongeritten ist. Es ist Link so wichtig, dass er sogar weit länger als nötig im Gebirge geblieben ist, solange es noch angekettet war.“ Balaens Gesicht nahm einen harten Ausdruck an. „Dieses Pferd ist seine emotionale Schwäche.“
„Wenn du damit andeuten willst, es als Geisel zu benutzen wie diese miesen Goronen“, merkte Leo neben ihm an, „dann bist du bei mir an den Falschen geraten. Die Ritter bei dir zuhause mögen alle wortwörtlich einen Vogel haben, aber kein Hylianischer Ritter würde sich je zu so etwas herablassen!“
„Von nichts anderem gehe ich aus“, entgegnete Balaen ruhig. Ohnehin waren seine Überlegungen nur rein spekulativ gewesen; er selbst wusste, wie heilig das Band zwischen Reiter und Reittier war und würde es für solch niedere Zwecke unter keinen Umständen missbrauchen. „Ganz besonders nach dem, was du erzählt hast“, fügte der Held aus den Wolken hinzu. „Dennoch ist es erstaunlich, dass du es gestern nicht verletzt hast.“
„Warum hätte ich sollen?“, zischte der jüngere Ritter gefährlich leise zurück. Laut seiner Schilderung hatte er die Fuchsstute nach ihrem kleinen Zweikampf gefesselt liegen gelassen. Lediglich die Riemen von Links Gepäck hatte er durchgeschnitten, die Tasche zerrissen und ihren Inhalt in der näheren Umgebung verteilt. Sein Hintergedanke war gewesen, dass, selbst wenn der feindliche Held entkam, dieser auch mit Wolfsschnauze einige Zeit brauchen würde, um seine Habseligkeiten wieder einzusammeln. Zudem würde er ohne Beutel erst einmal Schwierigkeiten haben, überhaupt etwas zu transportieren. „Es kann nichts dafür, dass sein Reiter so ein Mistkerl ist“, verteidigte Leo die Stute.
Schulterzuckend meinte Balaen: „Bei deinem Wesen hätte es mich nicht gewundert, wenn du es sogar getötet hättest, um Link in seiner Mobilität einzuschränken.“
Zutiefst beleidigt von dieser haltlosen Unterstellung schnaubte Leo: „Da würdest du mich doch eher ein Stück rohes Rindfleisch essen sehen, als dass ich einem Pferd etwas antue!“
„Nun ja“, seufzte Balaen und kehrte, indem er sich wieder Zelda zuwandte, zum eigentlichen Thema zurück. „Abschließend lässt sich eines sicher sagen: Sobald Link tatsächlich derart in Bedrängnis gerät, dass nicht einmal die Verwandlung zum Wolf noch hilft, zerschmettert er unweigerlich jeden normalen Menschen als Dämon.“
Hellhörig geworden, ergriff die Prinzessin das Stichwort. „Jeden normalen Menschen. Doch wie steht es mit euch Helden?“
„Ich will es auf jeden Fall noch einmal probieren!“, sicherte Leo sogleich zu und rieb sich unwillkürlich den gezeichneten Hals. Leiser fügte er hinzu: „So eine Niederlage lasse ich nicht auf mir sitzen.“
„Dass Link uns den Kampf nicht leicht machen würde, war zu erwarten. Aber das …“ Nachdenklich senkte Balaen den Blick. „Dagegen können wir nicht viel tun mit dem, was wir zurzeit über ihn wissen.“ Herausfordernd musterte er sein royales Gegenüber.
Für dieses gerade zum rechten Zeitpunkt klopfte es an der Tür. Es waren die drei kräftigen Schläge, mit denen Zeldas Leibwächter sich auch wortlos identifizierten. Den Ellbogen auf die Armlehne, die Stirn in die Hand gestützt, erwiderte die Prinzessin seufzend: „Bitte, tritt ein.“ Die Tür wurde geöffnet, und Hendriks Kollege kam herein. Auch Alvio nutzte die Gelegenheit, ins königliche Arbeitszimmer zu seinem Hüter zu hoppeln. Treuherzig setzte er die Vorderpfoten auf Leos Stuhl, fast, als wolle er sich um des Ritters Befinden erkundigen. Dieser legte dem Hasen nur gedankenverloren die Hand auf den Kopf. Sein Hauptaugenmerk war auf den Soldaten gerichtet.
Der Gardist trat ganz in den Raum und bezog neben dem Eingang Stellung, bevor er sich ehrerbietig verbeugte. „Verzeiht die Störung, Prinzessin. Soeben ist ein Laufbursche hier vorbeigekommen mit einer dringenden Nachricht an Euch.“
Die Ablenkung erleichterte Zeldas ohnehin beschwertes Gemüt; dennoch rügte sie den Soldaten aus Prinzip: „Ich habe doch klar ausgedrückt, dass ich bei dieser Besprechung nicht gestört werden will!“ Dabei deutete sie auf die ihr gegenüber sitzenden Krieger in Alltagskleidung. Dem älteren der beiden war durchaus aufgefallen, dass sie seiner unterschwellig gestellten Frage aus dem Weg ging.
Tief nickte der Soldat, sodass es fast einer weiteren Verneigung gleichkam. „Gewiss, doch die Nachricht ist vom Hofarzt persönlich.“ Nun horchte seine Herrin doch auf, und auch Leo und der weiterhin argwöhnische Balaen wandten sich dem Leibwächter zu. Der sah nun sie beide an. „Ich soll euch ausrichten, dass ihr unverzüglich zum Zimmer des Helden Viridian kommen sollt.“

Noch bevor der Soldat ganz zu Ende gesprochen hatte, waren die Ritter und die Prinzessin von ihren Plätzen aufgesprungen. Die Leibwächter und den Hasen im Gefolge, stürmten sie, so schnell es die noch immer nicht ganz verflogene Erschöpfung und die königliche Würde es erlaubten, durch die Flure des Schlosses. Sowie sie die drei Heldenquartiere erreichten, sprang Leo vor, um die mittlere der Türen zu öffnen; trotz aller Hast vernachlässigte er nicht die ritterliche Höflichkeit, der Regentin den Vortritt zu gewähren.
Die Fensterläden waren zum Teil geschlossen, und Halbdunkel herrschte im Raum, das durchbrochen wurde vom zarten, rosenfarbenen Schimmer zweier in verkorkten Flaschen schwebenden Feen. Die leuchtenden Gefäße standen auf einem Nachtschränkchen neben einem weiteren, das allerdings leer war. Wie die Lichtgeister, die das Heldentrio in den Wald mitgenommen hatte, hatte Prinzessin Zelda auch diese hier persönlich darum gebeten, ihren drei Erwählten heilend zur Seite zu stehen. Auch wenn sie diese Hilfe liebend gern gewährten, besaßen sie als Feen dennoch die kurze Aufmerksamkeitsspanne von Schmetterlingen, weswegen sie sich hatten in Gläser einsperren lassen, damit sie nicht einfach gedankenlos davontrieben.
Der Hofarzt war noch anwesend. Dass sein Patient noch am Leben war, war dem Bemühen der besten Mediziner des ganzen Königreichs, vereint mit den Heilkräften Roten Elixiers und der der Feen zu verdanken. Er vergewisserte sich des relativen Wohlergehens des Jungen, wechselte ein paar knappe Worte mit der Prinzessin und huschte aus dem Raum. Die Neuankömmlinge achteten seiner nicht weiter, nur des Schwerverletzten im Bett.
Virri saß aufgerichtet darin, verschwand jedoch fast in dem dicken, weichen Kissen, das ihn gegen die Wand polsterte, an der er lehnte. Schwach lächelte er, als er seine Besucher sah, die im Chor aufatmeten, erleichtert, dass der kleine Held zumindest im Kopf wieder – oder immer noch – munter zu sein schien. Bleich war er wie das Krankenhemd, das er trug und das den Verband um seinen Bauch verbarg, ohne den er das Gefühl gehabt hätte, in zwei Teile zu zerfallen.
Neben dem Bett stand ein einzelner Stuhl, auf dem sich Balaen nun niederließ. Wie alle drei Heldenquartiere verfügte auch Virris über einen Schreibtisch, der mit einer weiteren Sitzgelegenheit ausgestattet war. Diese brachte Leo herbei und bot sie Zelda an, die dankend darauf Platz nahm. Der Hylianische Ritter selbst blieb neben ihr stehen, während sich Alvio zu seinen Füßen niederkauerte. Die beiden Leibwächter indes waren diskret vor der nun geschlossenen Zimmertür geblieben; in Anwesenheit der Helden wussten sie ihre Herrin in Sicherheit.
Einige Augenblicke fiel kein Wort, weil niemand es wagte, die schwer lastende Stille zu durchbrechen. Schließlich wurden Virri das andauernde Schweigen und die besorgten Blicke seiner Besucher unangenehm, und er wandte sich den Lichtquellen auf seinem Nachtschränkchen zu. „Arme Feen“, sprach er leise. Seine Stimme war ein wenig heiser, aber gut verständlich. „Wegen mir wurden sie eingesperrt …“
Sanft versicherte die Prinzessin: „Sie sind freiwillig darin. Du musst kein schlechtes Gewissen haben.“
Der kleine, verletzte Krieger erwiderte nichts, blieb aber bei seiner Meinung.
Leo war die bedrückte Stimmung zuwider, und so versuchte er, sie etwas zu lockern. „Mann, Knirps! Es hat dich ja ganz schön erwischt. Du musst dich fühlen wie ein frisches Felsenfilet!“
„Ich hab schrecklichen Hunger, aber der Arzt sagt, ich darf noch nichts essen …“ Der Patient zog eine wehleidige Miene. „Felsenfilet? Klingt lecker. Davon könnte ich jetzt ein paar verdrücken.“
Der Hylianische Ritter lachte auf. „Das ist Goronen-Essen. Die Dinger sind so groß wie du!“
„Wirklich?“, fragte Virri interessiert. „Dann will ich vier davon.“ Er kicherte kraftlos, vertrieb, wie Leo es beabsichtigt hatte, die deprimierende Atmosphäre, bis sein fröhliches Lächeln von einem traurigen abgelöst wurde. Träge blinzelte er zum Schwert der Vier hinüber, das in seiner Scheide steckend am Nachtschränkchen lehnte. Ohne Leos Geistesgegenwart, es mitzunehmen, hätte sein Träger es gestern im Wald zweifellos verloren. Nun sah Virri seine beiden Retter an. „Ich kann mich erinnern, wie ihr mich beschützt habt. Und dass ihr wegen mir auch noch in Gefahr gewesen seid.“ Tränen sammelten sich in seinen himmelblauen Augen. „Ihr seid die richtigen Helden. Und ich … ich bin es nicht.“
Der unglückliche, herzzereißende Anblick, den der Junge bot, erweckte in Leo den Wunsch, ihn zu trösten. „Du redest Mist! Schau dir doch nur mal Balaen an.“ Kumpelhaft schlug er dem älteren Ritter auf die rechte Schulter. „Hätte ich ihm nicht die Haut gerettet, hätte Link ihn gevierteilt – und zwar wortwörtlich, nicht wie du das bei dir mit deinem Schwert machst!“
Balaen warf ihm einen säuerlichen Seitenblick zu. Obwohl an Virri gerichtet, schoss er gegen Leo: „Das wäre ihm aber nicht gelungen, hätte ich mich zuvor nicht zum Schutz vor ihn gestellt.“
„Am besten fangen wir an, eine Strichliste zu führen“, schlug Leo vor, „damit auch jeder alles zurückzahlt!“
Der Versuch der beiden, zu betonen, wer der wichtigere Lebensretter war, trug wohl kaum dazu bei, dass Virri sich besser fühlte. Doch die Ritter bemerkten dies nicht und hätten wahrscheinlich gerade so weitergemacht. Daher mahnte Zelda sie ruhig: „Balaen, Leopold, lasst es gut sein …“ Sie legte die Hand auf Virris. Diese Geste lenkte den kleinen Patienten für einen Moment von seinem Selbstmitleid ab. Mit gütigem Lächeln und würdevoller Inbrunst sprach die Prinzessin: „Ich glaube fest daran, dass ihr alle wahre Helden seid, jeder von euch auf seine eigene Weise. Du ebenso wie Leopold und Balaen. Ich hätte euch nicht herbeschworen, wenn ich daran auch nur den geringsten Zweifel hätte.“
Für dieses Kompliment wäre Virri errötet, hätte er dafür bereits genug Blut im Körper gehabt. Doch auch die königliche Ansprache munterte ihn nicht auf. Niedergeschlagen ließ er den Kopf hängen. „So, wie ich bin, bin ich … zu klein.“ Er blinzelte, und eine Träne löste sich, fiel auf die Krankendecke. Verärgert wischte er sich hastig mit dem Ärmel über die Augen.
Die zuvorkommenden Worte der Prinzessin ließen Balaen sich auf sein Mitleid rückbesinnen. „Aber du hast wirklich einen beeindruckenden Treffer gelandet“, lobte er den kleinen Bogenschützen. „Genau in Links Hals. Ich habe noch nie einen so guten Schuss gesehen, und du warst auch noch schwer verletzt.“
Virri hob wieder den Blick, die Augenbrauen nachdenklich verzogen. Angestrengt rief er sich die Situation ins Gedächtnis, die Balaen angesprochen hatte. Mit Bestimmtheit meinte er: „Ich habe nicht auf seinen Hals gezielt.“
Verwundert blinzelte Balaen. „Worauf dann?“
Als Antwort tippte sich Virri auf die Nasenspitze.
Berechtigt fragte Leo: „Auf seine Nase?“
„Sein Gesicht“, korrigierte der Patient.
Nun wollte Balaen wieder wissen: „Warum nicht auf den Hals?“
„Weil ich gesehen habe, wie …“, hob Virri an, begann aber dann anders: „Also, mit meinem Klon, bevor Link ihn … geköpft hat.“ Seine Gedanken schweiften ab, und er starrte abwesend in die Ferne. „Es hat sich so schrecklich angefühlt. So bin ich noch nie gestorben …“ Bei der Erinnerung daran, wie am Vortag seine rot gekleidete Kopie gestorben war, rieb sich der kleine Krieger die Kehle. „Überhaupt, was war das für ein Schwert? So große Durchbrüche, da ist es doch gar nicht stabil genug zum Kampf. Und zwei Klingen so ineinander zu schmieden, wie soll das gehen …“
Als Virri nun auch noch anfing, über das Material der Dämonenwaffe zu theorisieren, lenkte ihn Balaen eindringlich auf den Aspekt des Berichts zurück, der ihn wirklich interessierte. „Virri, was hast du gesehen?“
Wesentlich sensibler fügte Prinzessin Zelda hinzu: „Es könnte wichtig sein.“
Verwirrt blinzelte der Patient, als werde er der Anwesenheit seiner Besucher erst jetzt gewahr. Tonlos sagte er: „Ich habe gesehen … wie Link eine … eine Maske aufgesetzt hat.“
„Eine Maske?“, wiederholte Leo, der, obwohl er am weitesten vom Krankenbett entfernt stand, als einziger das Wort deutlich gehört hatte.
Matt nickte Virri. „Sie sah genauso aus wie er. Also, fast genau. Wie … Link als Dämon eben“, beschrieb er stockend. „Er hat sie aufgesetzt, dann war da überall blauer Nebel … und als der weg war, hatte sich Link auch schon verwandelt.“
„Durch die Maske“, präzisierte Balaen.
Wieder nickte der Junge, fügte aber etwas unsicher hinzu: „Denke ich zumindest. Deswegen habe ich ihm auch ins Gesicht geschossen. Also, es versucht … Ich dachte, wenn ich diese Maske wegschieße, würde er sich wieder zurückverwandeln.“
Grüblerisch legte Balaen die Hand ans Kinn. „Dann funktioniert diese Verwandlung also anders als die zum Wolf … Mir ist aufgefallen, wie reglos Links Gesicht war. Er hat nicht einmal geblinzelt.“ Ratlos schüttelte der Ritter aus den Wolken den Kopf. „Aber eine Maske hat er nicht getragen. Die hätte ich bemerkt.“
„Und ich habe ihm ins Gesicht getreten. Da war keine Maske“, bekräftigte Leo.
„Es ist möglich, dass sie durch die Verwandlung mit ihm verschmolzen ist“, stellte Zelda eine Vermutung auf.
Gequält verzog Virri die Miene und drückte eine Hand auf die verbundene Seite. „Dann hätte es auch nichts gebracht, wenn ich getroffen hätte?“
Trocken stellte Balaen fest: „Wohl kaum. Eine Maske, die nicht da ist, kann man nicht abnehmen.“
„Irgendwie muss Link auch eine Rückverwandlung möglich sein“, widersprach die Prinzessin. „Bestimmt ist es nicht das erste Mal, dass er sich damit verwandelt.“ Schatten umwölkten ihr königliches Antlitz, doch sie straffte den Rücken. „Immerhin wissen wir nun etwas mehr über diesen … diesen Dämon, zu dem ihn die Maske macht. Mit dem, was wir noch über meine Ritter in Erfahrung bringen, wird uns das sicher weiterhelfen.“ Nacheinander blickte sie ihre drei Berufenen an. „Bis ihr Link das nächste Mal entgegentretet, habt ihr gewiss ein paar Tage Zeit, in denen ihr euch ausgiebig erholen könnt.“ Mit diesen Worten beendete sie das Gespräch und erhob sich.
Schnell sprang Leo zur Seite, als sie an ihm vorbeiging, und dann zur Tür, um diese der Hochgeborenen zu öffnen.
„Und du weißt natürlich genau, wann und wo Link auftauchen wird.“
Prinzessin Zelda hielt an und drehte sich zu Balaen um, erwiderte seinen herausfordernden Blick. „Nun, ich sende Späher aus, die uns Nachricht über seinen Aufenthaltsort zukommen lassen werden. So haben wir doch auch erst erfahren, dass er in den Verlorenen Wäldern ist.“
„Und wohin willst du sie schicken?“, stocherte der Ritter aus den Wolken weiter. „Sollen sie die ganzen Verlorenen Wälder nach ihm durchkämmen, vor denen sie sich im Übrigen wegen eines Ammenmärchens fürchten? Und selbst wenn du sie entlang des Waldrandes patrouillieren lassen würdest, können sie doch nicht wissen, an welcher Stelle Link rauskommen wird.“
Verbissen schwieg die Prinzessin.
„Außerdem“, ergänzte Balaen eisern, „haben deine Späher ihn erstaunlich schnell gefunden, nachdem er das Gebirge verlassen hatte. Er hätte sich in jede Himmelsrichtung wenden können, und ausgerechnet in der unwahrscheinlichsten Gegend wird er gesichtet.“ Argwöhnisch kniff er die Augen zusammen. „Erzähl mir, was du willst, aber ich glaube nicht, dass das ein Zufall war.“
Nun drehte sich Zelda ihm ganz zu und hob das Kinn. Da sie keine Anstalten machte, etwas zu erwidern, ging Leo dazwischen und fragte Balaen ungeduldig: „Worauf willst du eigentlich hinaus?“
Gelassen wandte sich der ältere Ritter an den jüngeren. „Darauf, dass wir noch immer nicht alles über Link wissen.“
„Er ist ein mieser Mörder, der sich in einen wandelnden Flohzirkus und einen Zinnsoldaten in Übergröße verwandeln kann. Was gibt es da schon noch mehr zu wissen?“, schnaubte Leo abfällig.
Geringschätzig winkte Balaen ab. „Ich meine nicht Link als Wolf oder Dämon, ja nicht einmal als verkommener Held. Ich meine ihn als Person. Was treibt ihn an? Was sind seine wirklichen Ziele? Wenn er einen Krieg zwischen den Völkern will, was sucht er dann in einem unbewohnten Wald? Und was hat ihn dazu bewogen, überhaupt zum Mörder zu werden?“
„Warum sollte die Prinzessin das wissen?“, warf Leo widerborstig ein, was Balaen einfach überging.
„Ich weigege mich, mein Leben für eine Sache aufs Spiel zu setzen, über die ich nichts weiß.“
In seinen Kissen nickte Virri schwach, aber bekräftigend.
„Du hingegen“, fügte Balaen hinzu und wandte sich wieder an Zelda, „weißt so einiges, und es ist an der Zeit, dass du es uns endlich verrätst!“
Die Prinzessin schwieg weiterhin und ließ sich nicht anmerken, wie sehr seine Rede sie bewegte. Sie betrachtete ihre drei Berufenen und all ihre Verletzungen, von den kleinen Blessuren, über Schürfwunden und Schnitten bis zu Balaens gebrochenem Arm, den Blutergüssen an Leos Hals und nicht zuletzt Virris grausamer Bauchwunde.
Bröckelnden Widerstandes presste sie doch die Lippen aufeinander. Hatte das wirklich Link getan? Ihr Held?
Schon holte Leo Luft, um sie weiter zu verteidigen, doch Zelda brachte ihn mit einer beschwichtigenden Geste zum Verstummen. „Nicht, Leopold. Er hat Recht.“ Sie seufzte geschlagen. „Ihr habt die Wahrheit verdient.“ Hoch erhobenen Hauptes schritt sie zu ihrem Stuhl zurück. Die Falten ihres Kleidrockes umständlich glättend, setzte sie sich, während Leo sich wieder neben sie stellte. Der Hylianische Ritter hatte die Miene mürrisch angespannt, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass die Prinzessin auf Balaens dreiste Forderung eingehen würde. Nun vergewisserte sich Zelda: „Habe ich noch immer euer Wort, dass ihr niemals jemandem verratet, was ihr hier erlebt? Ihr müsst bei eurer Heldenehre schwören!“ Dabei musterte sie vor allem den rebellischsten ihrer Berufenen gebieterisch – bei den anderen beiden konnte sie sich auf ihr Einverständnis verlassen.
Der älteste Held erwiderte nichts, der jüngste nickte nur, und Leo, die Linke aufs Herz gelegt, verkündete feierlich: „Ich schwöre sogar bei meinem Leben, Prinzessin!“
Tief atmete Zelda durch, um noch für einen Moment hinauszuzögern, was sie um jeden Preis hatte verhindern wollen: Dass die Helden erfuhren, wer sie wirklich waren. Doch ihr entglitt langsam aber sicher deren Vertrauen, das sie so dringend brauchte. Diesen Schaden möglichst rückgängig zu machen, war noch wichtiger, als das Geheimnis zu bewahren, sonst wäre ihre Berufung umsonst. Also holte Prinzessin Zelda weit aus. Sehr weit …

„Schon seit ewigen Zeiten, nachdem diese Welt erschaffen wurde, sah sie sich den steten Angriffen böser Mächte ausgeliefert. Eine davon wurde zu einer so großen Bedrohung, dass sie beinahe alles Leben auf der Erde ausgelöscht hätte. Dass sie abgewehrt und die Menschheit vor weiterem Unheil in Sicherheit gebracht werden konnte, hatte diese nur den Göttern zu verdanken.
Schließlich wurde der menschlichen Rasse, wie vielen anderen auch, der Auftrag zuteil, die Länder zu bevölkern, um sie wieder mit Leben und Lachen zu erfüllen. Einige Individuen wurden zudem dazu auserwählt, sie vor der Dunkelheit, die weiterhin auf Erden wandelte, zu beschützen, wie es einst die Götter getan hatten. Allein den gewissenhaftesten, die am meisten für diese hehre Aufgabe geeignet waren, wurde diese Ehre zuteil, und mit ihren Taten wurden sie ihr gerecht.
So kehrte eine lange Ära des Friedens ein, in der die Rassen die Gelegenheit hatten, sich zu entfalten. Das Böse, das sich zeitgleich erhob, um ihre Entwicklung umzukehren, wurde von den Kriegern des Guten in finstere Verliese gesperrt. Doch die dämonischen Mächte waren listig … Immer wieder suchten sie Wesen des Lichts auf, befielen deren reine Herzen und zogen sie so auf ihre Seite.
So auch einen König eines von den Göttern weniger gesegneten Volkes, dem es gelang, den Herrscher eines wunderschönen Reiches zu töten und mithilfe dunkler Magie dieses Land zu unterwerfen. Niemand, der sich ihm in den Weg stellte, konnte diesen Großmeister des Bösen aufhalten – außer den Dienern der Götter, die aus allen Völkern der Erde zusammenkamen und ihn in eine Welt der Schatten verbannten. Die rechtmäßige Königsfamilie erlangte den Thron zurück, und der Frieden war wiederhergestellt.
Doch der Einfluss des finsteren Königs war auch aus seinem Exil noch groß. Durch Zorn und Magie verlor er allmählich seine menschliche Gestalt und wurde zum Dämon. Aus der Parallelwelt, in die er verbannt worden war, fielen seine Schergen in jenem Land ein, das ihm einst verwehrt gewesen war. Mehrere Male sollte er versuchen, es zu erobern; auch wenn er immer bezwungen werden konnte, so kam er doch nach einigen Jahren wieder.
Letztendlich war das Land von seiner ewigen Wiederkehr derart gebeutelt, dass es vor dem endgültigen Verfall stand. Die Prinzessin, die zu jener Zeit lebte und regierte, sah nur noch eine einzige Möglichkeit, dies zu verhindern: Sie sandte ein Gebet in die Vergangenheit, eine Warnung vor dem dämonischen König, auf dass er aufgehalten werde, noch bevor er das erste Mal an Macht gelangte.
Jener gute König des fruchtbaren Landes, der von dem Verräter in einer anderen Zeit getötet worden war, erkannte endlich das Böse in ihm. Er ließ ihn wegen Hochverrats hinrichten. So war die Gefahr, die von ihm ausging, gebannt. In dem Reich seiner vernichtenden Begierde kehrte der Friede zurück – zumindest vorerst.
Denn nicht lange sollte es dauern, da wurde dieses wunderschöne Land von einer ganz neuen Bedrohung heimgesucht …“

Für einen Moment herrschte Stille in dem kleinen Zimmer. Das einzige, was zu hören war, war das Atmen der Anwesenden. Auf seinem Bett eingesunken, blickte Virri Prinzessin Zelda aufmerksam an, während Balaen sie mit leicht aufgerissenen Augen anstarrte. Die Regentin hatte die verschränkten Hände in den Schoß gelegt, die Seidenhandschuhe bildeten Falten um ihre verkrampften Finger. Ihr goldenes Haar hing als lichter Vorhang vor ihrem etwas nach vorn geneigten Gesicht, und sie sah keinen der drei Helden an. Obwohl ihre letzten Worte nach einer Fortsetzung klangen, war nur zu offensichtlich, dass sie am Ende ihrer Erzählung angekommen war.
Also durchbrach Leo das Schweigen: „Bei allem Respekt, Prinzessin, ich habe nichts gegen eine spannende Märchenstunde, aber … was hat das jetzt mit uns zu tun?“
Zeldas Mund war zu einem dünnen Strich verkniffen. An ihrer Statt antwortete Balaen: „Einfach … alles.“ Müde rieb er sich über die Augen, drückte die Hand dann flach auf die schmerzende Stirn. Erfolglos versuchte er, den Blick der Prinzessin einzufangen. „Dieses Land in deinem Märchen … ist Hyrule. Was du erzählt hast, ist die Geschichte Hyrules … und unsere.“
Prinzessin Zelda schloss die Augen. Blonde Strähnen wippten vor ihrem Gesicht, als sie es abwandte.
Schlussfolgernd endete Balaen: „Leo, Virri und ich … Wir kommen nicht aus verschiedenen Welten, sondern verschiedenen Zeiten.“
„Was?!“, platzten die beiden jüngeren Helden fast gleichzeitig. Der Hylianische Ritter blickte zur Prinzessin hinab, und ihm entfuhr gar nicht ritterlichen Tonfalls: „Ist das wahr?“ Als Zelda langsam nickte, fragte er erschüttert: „Warum habt Ihr uns das nicht früher gesagt?“
Mit bebender Stimme rechtfertigte sie sich: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr so lange würdet bleiben müssen. Euch zu erklären, dass ihr aus anderen Welten kommt, war leichter. Die Wahrheit hätte die Angelegenheit nur unnötig verkompliziert.“ Bestürzt senkte sie den Kopf. „Und Zeitreisen sind gefährlich. Allein schon dadurch, dass ihr jetzt davon wisst, geraten Vergangenheit und Zukunft durcheinander. Zumindest habe ich versucht, nicht zu sehr in eure jeweiligen Zeiten einzugreifen. Ich habe darauf geachtet, euch aus einer Periode zu holen, in der der Schutz durch einen Helden nicht so dringend benötigt wurde.“ Sie richtete sich auf und sah Balaen nun direkt in die Augen. „Du, Balaen, bist aus dem ältesten Zeitalter Hyrules … als es diesen Namen noch gar nicht trug. Dank deiner Heldentat konnte es überhaupt erst entstehen.“
Der Ritter aus den Wolken nickte bestätigend. Das hatte er bereits vermutet.
Unwillkürlich sank Virri tiefer in sein Kissen, als sich Prinzessin Zelda ihm zuwandte. „Du, Viridian, gehörst zu den Trägern des Schwerts der Vier und damit zu jenen Helden, die Hyrule zu der Blütezeit verholfen haben, in der es sich heute befindet. Und du, Leopold“, nun drehte sich die Prinzessin dem Hylianischen Ritter zu, der reglos neben ihr stand, „stammst aus einer Zeitlinie, die parallel mit der verläuft, in der wir uns gerade befinden … Aus einer alternativen Zukunft, in der es mehreren Helden, einschließlich dir, gelungen ist, den Verfall Hyrules für viele wertvolle Jahrhunderte hinauszuzögern.“
„Dann sind Virri und Leo …“, begann Balaen, Zeldas Ausführungen zu vollenden, zögerte aber einen Herzschlag lang, in dem sein Blick vom einen zum anderen wanderte. „Und auch Link … meine Nachfolger als Helden?“
Mit langsamem, vagem Nicken antwortete die Prinzessin: „Das und noch viel mehr. Sie sind Inkarnationen des Geists des Helden, der in dir seinen Ursprung hat. Ausgestattet mit selbstloser Tapferkeit, außergewöhnlichen kämpferischen und geistigen Fertigkeiten und beschützt vom heiligen Licht der Götter, seid ihr Helden dazu auserkoren, Hyrule in ewiger Wiedergeburt zu retten und zu beschützen.“
Während Zelda sprach, lauschten ihre drei Berufenen angespannt, und vor allem Balaen riss die Augen immer weiter auf. Kaum, dass die Prinzessin das letzte Wort gesagt hatte, schoss er so plötzlich von seinem Stuhl auf, dass dieser kippte. Schon war Leo zur Stelle und fing das Sitzmöbel auf, bevor es klappernd umfallen konnte. Die übrigen Anwesenden zuckten erschrocken zusammen. Alvio suchte Zuflucht unter Virris Bett; der Verletzte selbst presste die Hand gegen den stechenden Schmerz in seinem Bauch. Von nichts Notiz nehmend, stürmte Balaen von der Liegestatt davon, stapfte ohne rechtes Ziel in dem kleinen Raum umher wie ein gefangener Wolkenvogel. Schließlich blieb er abrupt stehen und lehnte, den Rücken zu den anderen gedreht, die Stirn an die Wand.
„Gütige Götter!“, rief Leo aus. „Was hat dich denn …?“
Er kam nicht dazu, auszureden, als Balaen mit der rechten Faust kraftlos gegen das Gemäuer hämmerte, sich herumdrehte und mit dem Rücken daran zu Boden sank. Die Hand flach über die Augen gelegt, blieb er sitzen und rührte sich nicht mehr.
Kopfschüttelnd stellte Leo den nun herrenlosen Stuhl wieder gerade und wandte sich an die Prinzessin, die Balaen undeutbar musterte. „Warum erzählt Ihr uns das nun alles?“, wollte der Hylianische Ritter von ihr wissen.
Zelda widmete ihm ihre ganze Aufmerksamkeit. „Weil es wichtig dafür ist, zu verstehen, was Links Beweggründe sind … und wie ihr mit ihm verbunden seid.“
„Ich denke, das haben wir“, meinte Leo mit einer abwiegenden Handgeste. „Irgendwie haben wir alle die gleiche Seele.“
Vorsichtig erklärte Zelda: „Da ist noch eine andere Sache, die dich mehr betrifft als Viridian und Balaen.“
Rechtschaffen, wie das jüngste Mitglied des Hylianischen Ritterordens war, konnte Leo sich nicht ausmalen, was er mit einem Mörder noch zu tun haben konnte. Unverwandt starrte er die Prinzessin an. „Mich?“
„Der Dämonenkönig, von dem ich gesprochen habe“, fuhr Zelda fort, „der Hyrules Geschichte für so lange Zeit maßgeblich beeinflusst, ist Ganon.“
„Moment!“, unterbrach Leo sie, weil er vor Schock für einen Sekundenbruchteil seine ritterliche Erziehung vergaß. „Ihr sagtet über diesen König, er sei ein Mensch gewesen. Das heißt … Ganon war einmal ein Mensch?“ Allein die Vorstellung war für den Helden, der den machtgierigen Wildschweindämon bekämpft und vernichtet hatte, vollkommen absurd.
Doch zu seinem Leidwesen nickte die Prinzessin. „Er war der König eines Wüstenvolkes. Sein Name lautete Ganondorf Dragmire.“
Als kaue er auf einem widerwärtigen Stück Schweinefleisch, wiederholte Leo stammelnd: „Ganon- … Ganondorf Dragmire?“ War es denn wirklich möglich, dass sein bestialischer Erzfeind tatsächlich einmal einen normalen, menschlichen Namen getragen hatte? Leo konnte das nur schlecht nachvollziehen.
Die Prinzessin sprach weiter: „Das Gebet meiner späten Nachfahrin in der alternativen Zukunft hat seinen Zweck erfüllt. Vor sieben Jahren wurde Ganondorf von meinem Vater zum Tode verurteilt. Das bewirkte, dass der Fluss der Zeit einen Nebenarm ausbildete. In dem deinen, Leopold, konnte Ganondorf jedoch nicht hingerichtet werden, und wurde als letzter Ausweg in die Welt verbannt, die dir als Schattenwelt bekannt ist. Damit sich der Nachfolger des Helden dieser Epoche eines Tages seiner annimmt. Denn dieser frühere Held ist im Kampf gegen Ganon gefallen.“
Es schwindelte Leo, als ihm eine furchtbare Erkenntnis kam. „Link …“ Seine Beine verließ alle Kraft, und er fiel auf Balaens Stuhl, stützte die Ellbogen auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. Sofort kroch Avio unter dem Bett hervor, kam zu ihm und schnupperte an seinem Hosenbein. „Ich bin nichts weiter als ein Stallbursche!“, klagte Leo lautstark.
Heiser, weil er so lange nichts gesagt hatte, fragte Virri: „Wie meinst du das?“
Leos Kopf sank noch weiter hinab, sodass seine Finger den kupferblonden Haarschopf zerteilten. „Ich musste Ganon besiegen, weil es ihm nicht gelungen ist! Ich habe den Mist weggeräumt, den er hinterlassen hat!“
Sanft tröstete Zelda: „Tu es dir nicht an, das so auszulegen. In dir ist der Geist des Helden wiedergekehrt, wie er es immer tut, um seinen göttlichen Auftrag zu erfüllen.“
Leo verkrallte die Finger in den Haaren. Das Triforce-Symbol prangte auf seinem Handrücken wie ein Mahnmal seiner Erwählung. Wehleidig lamentierte er weiter: „Noch schlimmer, ich bin Links direkte Wiedergeburt!“ Er sah auf, Verzweiflung lag in seinen Augen, als er sie auf die Prinzessin richtete. „Wozu habe ich überhaupt gegen Ganon gekämpft, wenn er doch immer wieder aufersteht? Es war alles umsonst!“
Zelda schenkte ihm ein aufbauendes Lächeln. „Du und die Helden nach dir haben den Frieden in Hyrule für viele Generationen gewährleistet. Tausende glückliche Leben konnten nur deswegen geführt werden – und das ist nie umsonst.“
Vehement widersprach der Ritter: „Für wie lange denn schon? Am Ende schafft er es doch, Hyrule zu zerstören. Das habt Ihr selbst gesagt!“ Ohne es zu merken, wurde er lauter. „Dabei hätte es ganz verhindert werden können, wenn Link ihn gleich vernichtet hätte! Sogar der Knirps hat das besser hingekriegt!“ Mit barscher Geste wies er in Richtung des Patienten. „Dieser Vaati kam doch auch nicht wieder! Und so ein harter Brocken ist Ganon nun auch wieder nicht gewesen.“
Mit ernsthaftem Tadel rügte die Prinzessin: „Gehe nicht so hart mit Link ins Gericht. Als er Ganon gegenüberstand, war er kaum jünger als du bei deiner ersten Heldentat. Doch kam er nie in den Genuss einer so umfangreichen ritterlichen Ausbildung, wie dein Onkel dir hat zugute kommen lassen.“
„Also tickt er deswegen so aus, weil er nicht damit leben kann, dass er so ein Versager ist?“, fragte Leo eisig.
Belehrend hob Zelda den Finger. „Du musst bedenken, der Link, gegen den ihr im Wald gekämpft habt, ist Ganondorf nicht begegnet, und Ganon hat es in dieser Zeit nie gegeben. Es hat keine große Schlacht stattgefunden, die Link hätte verlieren können.“
„Vielleicht ist er trotzdem sauer“, warf Virri spekulierend ein, „dass sein anderes Ich das nicht geschafft hat, was es sollte, und will beweisen, dass er doch ein Held ist.“
„Indem er einen Krieg auslöst, der ihm genau diese Chance liefert“, ergänzte Leo. „Aber das wussten wir doch schon.“
„Das stimmt so nicht ganz“, widersprach die Prinzessin, und Virri und Leo blickten wieder sie an. „Möglicherweise will er tatsächlich Hyrule in einen Krieg stürzen, in dem er sich als Held hervortun kann, aber dann nur nebenbei. Sein eigentliches Ziel ist etwas anderes … Nämlich eine Geheimkammer in der Zitadelle der Zeit. Um an etwas zu gelangen, von dem er glaubt, es allein zu besitzen mache ihn auch für die Öffentlichkeit zum Helden.“
„Und stimmt das?“, fragte Leo.
Unnötig heftig gab Zelda zurück: „Nein, gerade das ist das Problem! Link sitzt einem Irrtum auf, und in seinem blinden Streben weiß er das nicht oder will es nicht wahrhaben.“ Sie fing sich und zügelte ihr Temperament. „Um diese Geheimkammer zu öffnen, sind drei Schlüssel vonnöten, die sich im Besitz der Verbündeten des hylianischen Volkes befinden: Bei den Goronen, den Zora und einem weisen, alten Baum im Herzen der Verlorenen Wälder. Nun, zumindest waren sie dort … Link hat die beiden ersten mit den Morden an der Zora-Prinzessin und dem Goronen-Häuptling geraubt, und erst heute Morgen erreichte mich aus dem Wald die Kunde, dass er auch den letzten an sich gerissen hat.“ Hoheitsvoll hob sie das Kinn und blickte aus dem Augenwinkel zu Balaen hinab.
Seit er aufgestanden war, hatte der Ritter aus den Wolken nichts mehr gesagt. Er saß noch immer an die Wand gelehnt, das rechte Bein angewinkelt, der gesunde Arm darauf ruhend, und musterte die Prinzessin ungerührt aufmerksam.
Diese erläuterte nun: „Daher konnte ich meine Späher relativ zielgenau zwischen Gebirge und Wäldern suchen lassen. Nun, da Link alle drei Schlüssel hat, wird er definitiv als nächstes in Hyrule-Stadt bei der Zitadelle der Zeit in Erscheinung treten.“
„Was ist mit diesem Baum?“, erkundigte sich Virri schüchtern. „Hat er den auch getötet, um an den Schlüssel zu kommen?“
Die Prinzessin schüttelte den Kopf. „Dieser Baum ist tatsächlich noch am Leben.“
Ermutigt meinte Virri weiter: „Dann ist da noch etwas anderes, das ich nicht verstehe …“ So in sich zusammengesunken, die Hand weiterhin am Bauch, wirkte er noch viel kleiner als sonst. „Wenn es so viele Helden gibt, warum hast du uns ausgewählt? Warum ausgerechnet uns?“ Damit sprach er die Frage aus, die alle drei Berufenen gleichermaßen beschäftigte.
Zelda biss sich kurz auf die Lippe. „Ich brauchte jemanden, der mehr Lebenserfahrung hat als Link. Ich habe ihn seit sieben Jahren nicht gesehen und weiß nicht, was ihm in dieser Zeit widerfahren ist. Das machte die Auswahl unerwartet schwer. Unmöglich konnte ich einen einzelnen Helden finden, der ganz sicher mehr erlebt, mehr durchlebt und mehr überlebt hat als Link. Letztlich musste ich mich für mehrere entscheiden, auf die je eines dieser Kriterien zutrifft … und das seid ihr drei gewesen.“
„Nur drei?“, fragte jetzt Leo verwundert. „Warum nicht mehr?“
Entschuldigend breitete die Beschwörerin die Arme aus. „Das hätte meine Fähigkeiten überschritten. Schon mit euch bin ich an ihre Grenzen gestoßen.“
Wieder kehrte Stille ein, die Zelda einige Atemzüge andauern ließ. Als keine weiteren Fragen mehr aufkamen, wandte sie sich mit unverhohlenem Vorwurf an Balaen. „Ich hoffe, diese Informationen stellen dich zufrieden. Und dass du nun verstehst, warum ich sie euch verschwiegen habe.“
Der Ritter aus den Wolken mahlte mit den Zähnen, rieb sich die Schläfe und nickte stumm.
Die Prinzessin erhob sich wieder. Diesmal stand Leo nicht mit ihr auf, um ihr die Tür zu öffnen. Er hatte sich im Stuhl zurückgelehnt und starrte, den Kopf in den Nacken gelegt, an die Zimmerdecke. Ebenfalls in eine Decke, doch mit der er gebettet war, hatte Virri die Hände verkrampft.
Leise sprach Zelda: „Ihr habt eine Menge zu verarbeiten, wahrscheinlich wollt ihr es auch untereinander bereden. Ihr sollt nun zu dritt eine Entscheidung fällen, ob ihr mit diesem Wissen weitermacht. In ein paar Tagen dürfte Link die Zitadelle erreichen. So lange habt ihr Zeit, darüber nachzudenken.“ Der seidene Stoff ihres Kleides rauschte, als sie sich herumdrehte, zur Tür schritt, diese eigenhändig öffnete und Virris Krankenzimmer verließ.

Wer auch immer dafür verantwortlich ist, dass Leerzeilen verschwinden, wenn man von Quellcode auf "normale Ansicht" schaltet, den möge für die nächsten zehn Minuten die Nase jucken, und wenn er kratzt, soll es nicht besser werden! :<

So, da isse nun, die fiese offizielle Timeline. Mehr als in diesem Kapitel wird sie aber auch keine Rolle mehr spielen. Auf Dauer ist sie einfach zu kompliziert x.x Ich als Fanstoryautorin finde sie interessant und als Stilmittel spannend, aber als Gamerin bin ich nur noch angepisst von all den „Theoretikern“, die ihre eigenen Fanstories als wissenschaftliche Argumentationen aufsetzen und so tun, als sei es Tatsache. Als ob die fiktive, unzusammenhängende Geschichte von Videospielen so viel Sinn ergeben müsste wie echte Historie <<
Naja. Aber darum sollte es hier ja nicht gehen o0

- Eben weil die Timeline ziemlich kompliziert (und an einigen Stellen unlogisch .__.‘) ist, musste ich ihr ein eigenes Kapitel einräumen. Es dient aber auch und vor allem ihrer Bedeutung für meine Hauptcharaktere. Noch dazu habe ich die sogenannte „Adult Timeline“ nicht angeschnitten, da diese für meine Story unnötig ist. Diese findet ja ausreichend Erwähnung in der Ariette der Zeit.
- Eine kleine Ungereimtheit in der offiziellen Timeline aus der Hyrule Historia wurde 2017 seitens Nintendo durch die Hyrule Encyclopedia ausgeräumt. So war der Held aus A Link to the Past ursprünglich derselbe wie in den Oracle-Spielen und Link’s Awakening. Laut der Encyclopedia jedoch sind es nun zwei verschiedene Helden, nämlich AlttP/LA und OoA/OoS. Da ich meine Story und vor allem Leo als Charakter noch auf Grundlage der Historia entworfen habe, konnte ich diese Redigierung nicht in meine Fanfiction aufnehmen. Das ist äußerst ärgerlich, aber ich muss damit leben =/ Scher dich doch zu Ganon, Encyclopedia! :<
- Wie gesagt, nehme ich Fantheorien hinsichtlich der Logik innerhalb der Spiele nicht sooo ernst, aber ich wertschätze die kreativen Gedanken dahinter. So habe ich mit viel Interesse einer Theorie gelauscht, laut derer am Ende der Downfall Timeline die Prinzessin Zelda, die im Spiel The Adventure of Link aus ihrem langjährigen Schlaf erwacht, sich vom Triforce wünscht, Ganon werde niemals entstehen. Dadurch sollen die Ereignisse in Ocarina of Time ins Rollen gebracht worden sein, da die Prinzessin Zelda dort diese Nachricht als Visionen empfängt. Diese Theorie nehme ich hier zum Vorbild, und es ärgert mich unglaublich, dass ich das Video nicht wiederfinde ;___;
Darüber hinaus behandle ich sie auch in meiner Fanstory Das Abenteuer des letzten Helden, das eine Nacherzählung von TAoL ist.
- Beide Fanstories habe ich gewissermaßen im selben Universum geschrieben. Auch Die Ballade des Unbesungenen findet darin statt. In Zeldas Erzählung in diesem Kapitel wird auch diese Story geringfügig erwähnt: „(…) sie (die Welt Hyrule) vor der Dunkelheit, die weiterhin auf Erden wandelte, zu beschützen, wie es einst die Götter getan hatten.“
- In der Ariette und in der Symphonia Kapitel 3 habe ich in der Trivia erklärt, ich hätte meinen Storycharakter Link so genannt, weil es sich so angeboten hat. Wie es bei mir aber so ist, kann ein Name dennoch nicht einfach ohne Bedeutung blieben: So ist er die Verbindung zwischen den Zeiten und der Held, der die drei anderen als seine Jäger zusammenbringt.
- Weniger tragend als die Timeline sind noch zwei Aspekte im Kapitel, die auf Zelda-Spiele anspielen: Das Arbeitszimmer ist jenem am Ende von Spirit Tracks entlehnt, und die Ziegen, die den „unglückselige(n) Bauernjungen (…) auf der Weide durchgegangen waren“, deuten auf Twilight Princess hin, wenn man sich von den Ordon-Ziegen über den Haufen rennen lässt xD

„Ein was?“, wiederholte Balaen ungläubig. Seine Gedanken überschlugen sich, suchten eine Erklärung dafür, wie hier im Wald aus dem Nichts ein Dämon erschienen sein sollte.
Doch Virri kam nicht mehr dazu, diese Frage zu beantworten. Plötzlich krümmte er den Oberkörper nach vorn, ließ das Schwert der Vier fallen, in dessen Knauf das grüne Leuchten erlosch. Mit beiden Händen fasste sich der kleine Krieger an den Hals und hustete würgend.
Aus der Qualmwolke, die in dem stärker werdenden Regen dünner wurde, schossen dicht nacheinander zwei rotierende Scheiben aus purem, blassgrünem Licht. Die erste traf Leo, hüllte ihn in eine funkensprühende Aura, schickte ein widerliches Gefühl körperlicher Entrückung durch seinen Leib, das seine Muskeln wie gelähmt erschlaffen ließ. Er war noch nicht einmal dabei, zusammenzubrechen, als die zweite dieser Schockwellen Balaen ebenfalls zu betäuben drohte. Reflexhaft riss er jedoch den Hylia-Schild gerade noch rechtzeitig vor sich und den entsetzensstarren Virri, und das Geschoss verpuffte an dem göttlichen Stahl wie nebelartiger Äther.
Die zerfasernden Rauchschwaden teilten sich zur Gänze, als Link aus ihnen hervorpreschte – doch der abtrünnige Held hatte sich aufs Schrecklichste verwandelt, und das nicht in einen Wolf: Obwohl auch weiterhin von menschlicher Gestalt, war er nun viel größer als zuvor und von deutlich kräftigerer Statur. Nun trug er nicht mehr Leder-, sondern stählerne Panzerhandschuhe, und statt eines Schildes schützte seinen Rumpf eine archaische, goldverzierte Plattenrüstung, auf der das diffuse, wolkengefilterte Sonnenlicht dunkelsilbrig glänzte. Darunter war er noch immer in eine Tunika gekleidet, deren voriges lebhaftes Grasgrün wie auch das der dazugehörigen Mütze zu tristem Anthrazit ausgegraut war. Ganz ähnlich war auch das einst blonde Haar ihres Trägers bleich weiß geworden. Rote und blaue Kriegsbemalung schmückten das furchterregend ausdruckslose Gesicht – doch am fremdartigsten waren die Augen, die vollkommen weiß waren ohne Pupillen, ohne Iriden.
Dies war zweifellos der Dämon, den Virri durch seinen letzten und nun ebenfalls verschwundenen Klon erblickt hatte.
Welche Verletzungen Link im vorausgegangenen Kampf auch immer erlitten hatte, schienen sie ihn nun nicht mehr im Mindesten zu beeinträchtigen. Mit nur zwei weitgefassten Schritten war er am Heldentrio heran, hob ein gewaltiges Schwert, das sogar von einem Kämpfer seiner Körpergröße beidhändig geführt werden musste. Nach wie vor zu keiner Regung fähig, hatte Leo das Glück, nicht direktes Ziel dieses Angriffs zu sein; doch seine beiden Mitstreiter waren gezwungen, auseinanderzustieben. Während Balaen in einer Richtung mit einer Vorwärtsrolle auswich, vollführte Virri einen so hohen Greifensprung, wie ihm noch nie zuvor einer gelungen war, und wahrscheinlich wäre er auch der weiteste geworden.
Die Dämonenwaffe bestand aus zwei wellenförmig geschwungenen Klingen, eine malachitgrün, die andere eisengrau, die sich auf halber Länge kreuzten und so zwei konvex geformte Zwischenräume bildeten. Die beiden Helden, die gleichzeitig zu töten das Schwert von oben herab geführt wurde, verfehlte es um Haaresbreite, grub sich mit Wucht zwischen ihnen in den Waldboden. Sofort zog der unmenschliche Krieger es wieder, schlug zur Seite damit zu. Die keilförmige Spitze, zu der die beiden Schneiden zusammenliefen, erwischte Virri im Flug und schleuderte ihn unkontrollierbar aus der Bahn.
Auf der Stelle drehte sich Link zur Seite, holte diesmal doch wieder auch nach Leo aus. Dass der Hylianische Ritter davon nicht gefällt wurde, hatte er allein Balaen zu verdanken, der sich zwischen ihn und den Gepanzerten stellte und den Hieb mit dem Schild abfing. Die Kraft des Einschlags vibrierte elektrisierend durch Balaens ganzen linken Arm. Dennoch schaffte er es, Leo am Ellbogen zu packen, ihm halb beim Aufstehen zu helfen und hinter sich her zu schubsen, während Link mit weiteren Streichen die regennasse Luft zerteilte, die beiden Schritt für Schritt zurückdrängte. Jedes Mal, das die Doppelklinge mit eisernem Donnern auf den Hylia-Schild knallte, stolperte Balaen weiter rückwärts, rutschte dabei auf dem aufgeweichten Untergrund mehrfach fast aus. Die gemächliche Ungerührtheit, mit der der Dämonenkrieger vorging, ließ dem Ritter aus den Wolken vor Grauen das Blut in den Adern gefrieren. Bald keuchte er vor Anstrengung und verkroch sich in Todesangst hinter dem Wappen seiner Göttin.
Gerade, als Balaen glaubte, einem weiteren Schlag nicht mehr standhalten zu können, gönnte ihm sein Gegner unerwartet eine Verschnaufpause. Zitternd spähte er über seinen Schild, sah zu, wie Link die Waffe hob, die mit dem Griff fast dreimal so lang war wie das Kurzschwert, das er zuvor benutzt hatte. Mit einer fließenden Bewegung schwang der Dämonenkrieger sie sich über die Schulter bis weit hinter den Kopf – und ließ sie wie einen Streithammer auf sein wehrloses Opfer herniederfahren.
Anstatt auch diesen Angriff abzublocken, hätte Balaen besser ausweichen sollen, denn als die Doppelklinge auf den Schild traf, ertönte neben dem wiederholten metallischen Scharren ein spitzes Knacken wie von einem trockenen Ast. Der Held aus den Wolken stieß einen Schrei des Schmerzes und Entsetzens aus und sank auf die Knie. Kraftlos sackte ihm der gebrochene Schildarm herab, Hylias Wappen nach unten in den Schlamm gedreht. Tropfen prasselten dem gestürzten Ritter ins Gesicht, als er mit gequälter Miene zu seinem unmenschlichen Gegenüber aufsah, das mit der schrecklichen Waffe seitlich zu einem Rückhandhieb auf seiner Halshöhe ausholte, um ihn zu enthaupten. Schicksalsergeben schloss Balaen die Augen.

„He, Bleichgesucht!“
Dem Ruf, der irgendwo von oben her erklungen war, folgte sogleich etwas Metallenes, das Link ins reglose Antlitz sprang, sich daran festklammerte und ihn wider aller vernünftigen Erwartung innehalten ließ. Balaen, der die Luft angespannt angehalten hatte, keuchte überrascht und blickte über sich. Gerade zum richtigen Zeitpunkt hatte Leo seine Lähmung überwunden und war in einen nahen Baum geklettert. Die Tauschhakenkette in einer Hand, saß er nun auf einem Ast. „Leg dich mit jemandem in deiner Größe an!“, ermahnte er Link, ließ sich zugleich nach hinten fallen und zog an der Kette. Sofort wechselten die Krieger an beiden ihren Enden die Position; in einem Schauer aus Zweigen und Blättern stürzte Link durch die Krone und krachte zu Boden. Auch wenn Leo wusste, wie aussichtslos es war, stellte er sich schützend vor Balaen, wie dieser zuvor ihn verteidigt hatte. „Irgendeinen Plan, Boss?“, wollte er bärbeißig wissen.
Bevor er antwortete, sah Balaen zu Virri hinüber, der einige Schritte entfernt bewegungslos im Dreck lag. Im die Sicht verschwimmenden Regen war er nicht viel mehr als ein Flecken aus dem Grün und Weiß seines Gewandes und Greifenmantels, vermischt mit viel zu viel Rot. Mit dieser neuen Verwandlung hatte Link seine Jäger völlig überrumpelt; es bestand kein Zweifel daran, dass sie ihm jetzt nicht einmal im Entferntesten gewachsen waren. Das einzige, das den Rittern jetzt noch zu tun blieb, war, Virri das Leben zu retten – ohne das eigene dabei zu verlieren. Also wies Balaen Leo an: „Lenk ihn ab, solange du kannst.“
Vor ihnen war Link bereits dabei, wieder aufzustehen.
Leo verzog die Lippen zu einem zähnestarrenden Grinsen. „Wenn’s weiter nichts ist.“ Er rannte los, fort von dem älteren Ritter, und warf dann erst den Tauschhaken nach dem Dämon aus, um ihn von seinem Mitstreiter zu entfernen.
Dieser stolperte mehr als dass er lief zu Virri. Auf dem Weg zu dem kleinen Krieger erhaschte er einen Blick auf seine Peitsche, die noch immer dort lag, wo Link den Feuerkreis beschworen hatte. Dass die magische, unersetzliche Kugel am Ende ihres Riemens zerbrochen war, registrierte ihr Besitzer nur am Rande. Neben dem bewusstlosen Jungen kniete Balaen nieder, drehte ihn behutsam herum und betrachtete die Wunde, die ihm die Doppelklinge gerissen hatte – und verlor augenblicklich jeden winzigen Rest Hoffnung für ihn.
Zuvor hatte der Träger des Schwerts der Vier mit der Großen Wirbelattacke gegen den Wolf einen hervorragenden Treffer gelandet; nun in Dämonengestalt hatte Link ihm diesen hundertfach vergolten: Virris ganze Seite vom Rücken bis vor zum Bauch war aufgeschlitzt. Durch das viele Blut war für Balaen nicht zu erkennen, wie tief die Verletzung tatsächlich ging, ob es sich nur um eine schwere Bauchwunde handelte, oder sein kleiner Mitstreiter nur noch aus zwei lose zusammenhaltenden Hälften bestand. Es grenzte an ein Wunder, dass er nicht glatt quergeteilt worden war, und sollte das Dämonenschwert Wirbelsäule und Rückenmark verschont haben, wäre es unfassbares Glück. Dennoch würde Virri sterben, wenn ihm nicht geholfen wurde.
Aus seinen Gürteltaschen holte Balaen die Fee heraus. Weil seine linke Hand unbrauchbar war, zog er den Korken der Flasche mit den Zähnen und spuckte ihn neben sich. Ihren leuchtenden, kugelförmigen Inhalt schüttete er vorsichtshalber direkt über Virri aus, damit nicht versehentlich sein eigener gebrochener Arm geheilt wurde. Aber die Fee wusste instinktiv genau, wer ihrer Hilfe am meisten bedurfte, und tanzte pflichtbewusst um den kleinen Helden.
Während sie also ihre heilige Aufgabe erfüllte, ließ Balaen die leere Flasche achtlos fallen und widmete sich der eigenen Verletzung. Mit aller Vorsicht und doch unter größten Schmerzen, schob er den Arm aus dem Haltegriff an der Rückseite des Hylia-Schilds und brachte diesen an seinem Rücken an. Benebelt betrachtete er den Schaden: Die Hälfte seines Unterarms stand in übelkeiterregendem Winkel ab, der zumindest nicht groß genug war, als dass es sich um offene Brüche handelte.
In der Zwischenzeit hatte die Fee ihr Werk so weit vollbracht, wie sie es vermochte. Bedauernd und voller Mitleid musterte sie Virri, den zu heilen sie an die Grenzen ihrer Kräfte gebracht hatte und dem sie daher nicht weiter helfen konnte. Einen Schweif aus Funken hinterlassend, schwirrte sie davon. Balaen beachtete sie nicht weiter. In Ermangelung eines besser geeigneten Stoffs, presste er Virri dessen eigenen Greifenmantel auf die Wunde, um die noch immer starke Blutung irgendwie zu stillen. Bitter dachte der Ritter aus den Wolken an das Verbandszeug, das ihnen im Schloss mitgegeben worden war, doch nun mit Karmin in unerreichbarer Höhe über dem Wald kreiste. Es war angedacht gewesen für Verletzungen, die die drei Helden während ihres Kampfes gegen ihre Zielperson davongetragen hätten – Kratzer, oberflächliche Schnitte, schlimmstenfalls Fleisch- oder Bisswunden. Auch jetzt könnte es, um Virri zu helfen, von Nutzen sein.
Ermattet warf Balaen einen Blick hinter sich, wo Leo weiter darum bemüht war, Link von den beiden anderen Grüngewandeten fernzuhalten. Immer wieder schwang der Dämon das gewaltige Schwert, und Leo wich den Schockwellen aus, die im Wald ihre Verheerung anrichteten, ganze Baumkronen ihrer Äste zu entledigen. Manchmal nur im letzten Moment vor dem Abschuss tauschte der Hylianische Ritter die Position mit seinem Gegner, versuchte so, ihn beim Zielen durcheinander zu bringen.
Oben am Himmel glitt Karmin durch den Regen und schrie verzweifelt und machtlos nach seinem Reiter. Virri brauchte dringend Verbandszeug, doch Balaen wagte es nicht, seinen Wolkenvogel in diesen tödlichen Albtraum aus Stahl und Energie herabzurufen.

Mittlerweile hatte Link Leos Unterfangen durchschaut, versuchte jedoch nicht einmal, dem andauernden Tauschspiel zu entkommen. Im Gegenteil rückte er näher an den Ritter heran, sodass es nicht mehr notwendig für ihn war, Lichtstrahlen zu verschießen. Stattdessen hieb er ganz gewöhnlich mit dem Schwert zu, dem auszuweichen Leo nur mit größter Mühe gelang. Er duckte sich, sprang zur Seite, konzentrierte sich darauf, nicht getroffen zu werden, und musste dabei auch noch aufpassen, nicht zu nahe an seine Mitstreiter heranzurücken. Die eigene Waffe zur Parade zu erheben, wäre selbst mithilfe der Krafthandschuhe Wahnsinn, weil das einfache Stahlschwert von der bloßen Wucht der Doppelklinge gewiss zerschmettert worden wäre.
Hastig ging Leo wieder auf Abstand, um die ganze Länge der Hakenkette auszunutzen. Zum ersten Mal seit seiner Verwandlung nahm der Dämon die Hinterhand vom Heft. Sie schnellte vor, als der Tauschhaken ein weiteres Mal auf ihn zusprang, und fing ihn gekonnt auf. Mit metallischem Klang schlug die Klammer gegen den stählernen Panzerhandschuh. Sie schloss sich klickend, fand aber nichts, das sie mit dem Krieger am anderen Ende der Kette hätte austauschen können. Erschrocken wähnte sich Leo nun in der Falle, gab er doch ein perfektes Ziel für weitere Schockwellen ab, aber Link schien den Beidhänder mit nur einer Hand nicht anwenden zu können. Er steckte die Waffe neben sich in den Boden und begann, Leo an der Kette zu sich zu ziehen. Mithilfe der Stärke, die ihm seine Handschuhe verliehen, stemmte sich der Ritter dagegen, doch auf dem feuchten Untergrund rutschte er langsam aber sicher ins Verderben. Störrisch, wie er nunmal war, ließ er den Tauschhaken nicht los, wollte sich aber noch viel weniger weiter herumschubsen lassen wie ein angebundenes Tier.
Die Walderde platschte feucht, als Leo dreimal auf der Stelle auftrat und die Pegasusstiefel aktivierte. Nun warf er die Kette doch nieder, zog das Schwert und rannte, dessen Spitze voran, auf den abtrünnigen Helden zu. Der wich mit einem einfachen Seitwärtsschritt aus, nahm die herrenlose Kette dabei in beide Hände. Schlitternd kam Leo neben ihm zum Halt, wirbelte herum, einen wortlosen Kampfschrei ausstoßend, und hackte aus der Drehung die Klinge so hart er konnte in den schwarz gekleideten Oberschenkel. Jedem normalmenschlichen Gegner hätte er so geradewegs das Bein abgetrennt, doch die Haut des Dämonenkriegers war zäh wie Leder, der Muskel darunter steinhart, und die Schneide drang kaum zwei Fingerbreit darin ein.
Noch ehe Leo weiter reagieren konnte, hatte Link ihm die Hakenkette ums Genick gewunden und zog die Schlinge fest. Wenig erfolgreich schnappte der Ritter nach Luft, als sich seine Kehle urplötzlich verschloss. Der übermenschliche Krieger hob ihn vom Boden auf, die Kette, an der der unglückselige Held hing, horizontal gespannt, was dessen Atmung nun völlig lahmlegte. Leo wurde das Schwert entrissen, und er führte beide Hände an den Hals, versuchte, die Finger unter die Eisenglieder zu schieben, um sie aufzureißen. Doch sie saßen viel zu fest, sodass er sich nur die eigene Haut aufkratzte. Ihm wurde die Luft spürbar knapp, er zappelte panisch – und Link sah ihm in unerschütterlicher Seelenruhe dabei zu.

Ganz im Gegensatz zu Balaen, der voll Entsetzen Zeuge von Leos Todeskampf wurde, unfähig, ihm irgendwie zu helfen.
„L-Len …?“
Als er die schwache Stimme vernahm, wandte er sich überrascht Virri zu. Der Junge hatte die Augen flatternd geöffnet und ihren glasigen Blick auf Balaen gerichtet. Sein Gesicht war aschfahl. Jetzt schaffte es Virri nur zu einem Flüstern, als er fragte: „Gewinnen wir?“
Die Wahrheit wäre gewesen, dass das Heldentrio so weit von einem Sieg entfern war wie nur irgend möglich, doch Balaen wusste nicht, wie er diese Botschaft an einen Sterbenden herantragen sollte. Stattdessen versuchte sich der Ritter aus den Wolken an einem aufmunternden Lächeln, brachte aber nur eine verzweifelte Girmasse zustande. „Len?“, wiederholte er und hoffte, dass Virri nicht einfach nur genuschelt hatte. „Ist das dein Spitzname für mich?“
Offenbar war Virri die Frage entgangen, denn er lallte: „Klar gewinnen wir. Wir sind doch zu dritt.“ Zitternd hob er den Kopf. Hätte Balaen seine gesunde Hand nicht dafür gebraucht, das schwindende Leben im Leib des Jungen zu halten, hätte er ihn bei dieser Bewegung unterstützt. Virri ließ den Blick an sich hinab und über seine Kleidung wandern. Der Greifenmantel war mittlerweile so blutgetränkt, dass sein ursprüngliches Blütenweiß kaum noch vorhanden war. „Oder zu viert“, fügte der kleine Krieger hinzu. „Wusste gar nicht, dass Rot noch da ist …“ Seine Worte wurden immer undeutlicher, bis er die Augen grotesk nach oben verdrehte und sein Kopf wieder zurückfiel.
Sofort presste Balaen den Stoff noch fester auf die Wunde. Sie mussten hier weg!

Indes begannen Leos Lungen zu brennen, schrien danach, mit Frischluft gelöscht zu werden. Er gab es auf, sich die Kette vom Hals lösen zu wollen. Obwohl nicht im Stand, trat er dreimal nach unten aus und erweckte dennoch die beschleunigende Wirkung seiner Pegasusstiefel. Senkrecht trampelte er Link die Brustpanzerung hinauf, stampfte ihm zuletzt mit aller Wucht ins gefühlskalte Gesicht. Der Kopf des Dämons ruckte zurück, und er ließ endlich die Kette los. Der Rückstoß ließ Leo sich nach hinten überschlagen, er fiel sich drehend und kam flach auf dem Bauch auf. Vor Pein krümmte er sich, seine Finger gruben sich in das modernde, spöttisch schmatzende Laub.
Lange zauderte der heißblütige Held jedoch nicht, drückte sich mit beiden Händen vom Boden ab, zog die Beine an, sprang schwungvoll auf – und wankte sogleich, als sich der Wald um ihn drehte. Der Luftmangel forderte seinen Tribut. Angestrengt versuchte Leo, zu atmen, doch die Kette des Tauschhakens hatte seinen Kehlkopf zerstört.
Ähnlich betäubt stand Link vor ihm, eine gepanzerte Hand auf das Gesicht gepresst, als müsse er etwas darin festhalten. Doch als er sie wegnahm, war offensichtlich, dass Leos Tritt keinen Schaden verursacht hatte. Dafür hatte der Ritter ohnehin keinen Blick. Seine Augen waren auf sein Schwert gerichtet, das noch immer im Oberschenkel des Dämons stak. Der erkannte offenbar seinen Hintergedanken, zog die Waffe aus seinem Bein und warf sie in hohem Bogen in den Wald. Die zurückbleibende Schnittwunde war kaum zu sehen und blutete nicht.
Gegenüber dem viel größeren Krieger sehr deutlich im Nachteil und dem Tod näher als dem Leben, dachte Leo nicht einmal daran, aufzugeben. Widerspenstig hob er die dreckverschmierten Fäuste, bereit, sich notfalls auch nur mit diesen zu verteidigen. Von seiner Entschlossenheit ungerührt, schritt Link auf ihn zu. Leo holte zum Schlag aus, doch da erfasste ihn ein heftiger Schwindel, und seine Beine verließ alle Kraft. Als er auf die Knie sank, hatte ihn der Dämon erreicht, blieb aber nicht stehen. Ohne weitere Notiz von dem Ritter zu nehmen, ging er einfach weiter. Unbeachtet brach Leo endgültig zusammen.
Link trat zu seinem Doppelklingenschwert, zog es aus der Erde und wandte sich dem einzigen Grüngewandeten zu, den er noch nicht tödlich verwundet hatte. Doch der befand sich nicht mehr dort, wo er sich zuvor um Virri gekümmert hatte, und auch der jüngste Held war verschwunden. Die mächtige Waffe wieder in beiden Händen, schlug der Dämonenrkieger zielstrebig einen scheinbar willkürlichen Weg ein.

Unterstützt von den Adlerschreien und telepathischen Hinweisen seines Wolkenvogels, suchte Balaen nach einer unweit gelegenen Lichtung, die er neben anderen zuvor von oben entdeckt hatte. So gut es ihm mit nur einem intakten Arm und der Pein im anderen möglich war, schleppte er den bewusstlosen Virri neben sich her. Vermutlich war es genau das Falsche, den Schwerstverletzten zu transportieren, doch zweifelohne auch das einzig Richtige. Auf der spärlich bewachsenen Wiese angekommen, legte Balaen seine wertvolle Fracht vorsichtig ins Gras. Noch einmal ließ er den Blick prüfend über den kleinen Krieger schweifen. Die Blutung hatte gestoppt, doch Balaen gab sich nicht der falschen Illusion hin, dass das ein gutes Zeichen war. Vielleicht war der Stoff des Greifenmantels vom Regen zu durchnässt, um noch etwas anderes aufzunehmen, oder schlimmer, es war einfach kein Blut mehr dort vorhanden, wo es sein sollte.
Die Gewitterwolken hatten sich so dicht zusammengezogen, dass es dunkel und trübe geworden war, als ginge es auf den Abend zu. Aus dem düstergrauen Himmel sank Karmin herab, setzte zur Landung an. Die schweren Flügelschläge, mit denen er seinen riesigen roten Leib langsam auf die Lichtung herabgleiten ließ, erzeugten Luftstöße, die das Gras um die Helden herum aufpeitschten. Dicke Tropfen spitzten von dem regendurchtränkten Gefieder. Auf seiner Brust prangte wie ein Hoffnungsschimmer das Gepäck mit Hilfsgütern.
Sein Reiter wollte es abschnallen und untersuchen, ob etwas Sinnvolles damit anzufangen war, aber am wichtigsten war ihm, Virri von hier fortzuschaffen. Der kleine gefallene Krieger war leicht genug, dass Karmin ihn in die Krallen nehmen und aus dem Stand mit ihm abheben konnte. Es war nicht nötig, dass ein Papagei ihn auf den Rücken des Wolkenvogels hinauftrug, wie Balaen beim Aufbruch des Heldentrios aus dem Schloss.
Plötzlich zischte ein blassgrüner Lichtstrahl herbei, verfehlte Karmin knapp und streifte ihn am Flügel, schnitt einige Schwungfedern in der Mitte durch, als seien sie nur aus Papier. Der Wolkenvogel kreischte schockiert, flatterte auf und bremste seine Landung ab. Einer weiteren Energiewelle wich er aus, indem er vorschnellte, musste dann aber rasch wieder an Höhe gewinnen, sonst wäre er abgestürzt und am Boden zerschmettert.
Langsam, weil er es nicht wahrhaben wollte, wandte sich Balaen der Richtung zu, aus der das übernatürliche Geschoss gekommen war. Durch die Regenschlieren erkannte er in den Schatten am Waldesrand nur das undeutliche Blitzen von dunklem Metall – und ein fahles, grünes Leuchten, als dort ein weiterer Schwertstrahl aufgeladen wurde. Mechanisch führte Balaen die Rechte an den Rücken. Vielleicht konnte er den Schild auch mit dem Schwertarm benutzen …
Nein. Wenn er jetzt hier stehen blieb, war das sein sicheres Ende. Flucht war seine einzige Option.
Der Ritter aus den Wolken wirbelte zu Virri herum und machte sich daran, ihn aufzuheben, als ihn eine Schockwelle von hinten traf. Er zuckte zusammen und bretterte der Länge nach in eine Schlammpfütze – ein besonders harter Sturz, weil er sich mit nur einem Arm kaum abfedern konnte. Der unbenutzte Hylia-Schild hatte einen Teil der verheerenden Energie abgefangen, sodass Balaen anders als Leo zuvor nur für einen Wimpernschlag gelähmt blieb. Dafür wurde ihm durch den Schmerz in den gebrochenen Knochen für einen kurzen, viel zu langen Moment schwarz vor Augen.
Als Balaen wieder zu sich kam, stand Link über ihm, rollte ihn mit dem Fuß herum auf den Rücken. Den unzerstörbaren Schild so aus dem Weg geräumt, stellte der Dämonenkrieger Hylias Helden die Ferse schwer in den Bauch, drückte ihm die Glieder des Kettenhemds scharf in die Haut und quetschte seine inneren Organe. Unter Qualen registrierte Balaen, dass Links Kleidung und Haar vollkommen trocken wirkten, als berührten ihn die Regentropfen nicht. Sie perlten einfach von ihm ab wie auch Virris Blut von der schrecklichen Waffe, deren Spitze er nun zu dem Ritter herabdrehte.
Er war kurz davor, sein sich hilflos windendes Opfer endlich aufzuspießen – als er erneut an der Hinrichtung gehindert wurde: Etwas fuhr ihm knapp unter dem Kinn in den Hals, ließ ihn taumeln unter einem Rückstoß, der von dem winzigen Objekt physisch gar nicht stark genug gewesen sein konnte. Befreit von seinem Gewicht, erkannte Balaen, dass dem Dämon ein Pfeilschaft in der Kehle stak.
Auf den gesunden Arm gestützt, erhob sich der Ritter. Neben ihm hatte auch Virri es irgendwie geschafft, sich aufzusetzen, den Oberkörper weit genug aufzurichten, dass er den Heroenbogen hatte benutzen können. Der kleine Krieger bemerkte seinen Treffer und nuschelte benommen: „Mist …“ Er zog einen weiteren Pfeil aus seinem Köcher, kam aber nicht einmal mehr dazu, ihn auf die Sehne zu legen, bevor er ihm mitsamt des Bogens aus den Händen glitt. So groß seine Tat, dem Helden aus den Wolken das Leben zu retten, auch gewesen sein mochte, verlor er nun wieder unweigerlich das Bewusstsein. Schnell rappelte Balaen sich auf, sammelte Bogen und Schütze wieder ein und ergriff die Flucht.
In den anthrazitgrauen Gewitterwolken grollte der erste Donner.

Auf dem vereinsamten Kampfplatz kehrte Leo von der Schwelle des Todes zurück. Triefend nass vom Regen und geistig noch immer nicht ganz bei sich, wickelte er in betäubter Geschäftigkeit seinen Tauschhaken auf. Dabei klimperte die Kette an einen anderen metallenen Gegenstand und ließ ihren Besitzer aufhorchen. Den Haken an seinen Gürtel bindend, fand der Hylianische Ritter ein Kurzschwert mit auffällig weißer Klinge und einem grünen Zierstein im goldenen Heft – das Schwert der Vier. Irgendwo in seinem umnachteten Verstand begriff Leo, dass es wichtig war, und nahm es an sich.
Seine Gedanken gewannen schon fast ihre alte Klarheit zurück, als ein Vogelschrei an seine Ohren drang, also ging er in die Richtung, aus der das Geräusch ertönte. Auch wenn er wieder atmen konnte, fühlte sich sein Kehlkopf noch immer verengt an, und er wankte auf seinem Weg. Schließlich schaffte es Leo nicht mehr weiter, und er lehnte sich mit der Schulter gegen einen Baum. Sein Brustkorb hob und senkte sich verzweifelt um Luft kämpfend, als gerade der erste Donner durch den Himmel rumpelte.
Leo hatte die Lichtung erreicht, von der Balaen soeben erst geflohen war. Jetzt allein, stand Link dort noch immer auf der Wiese. Mit abgehackten Bewegungen, als könne er sie nicht richtig steuern, hob der Dämonenkrieger die Hand und zog sich Virris Pfeil aus dem Hals. Die Eisenspitze des Geschosses war von keinem Tropfen Blut benetzt. Er setzte dazu an, die flüchtigen Helden zu verfolgen, bis er Leos Husten gewahr wurde.
Der Ritter bemerkte den leeren Blick, grinste gehässig und krächzte mit rauer Stimme: „Tja, tut mir ja leid, dass ich nicht mehr tot bin …“
Der Dämon lief – nun, da der Pfeil entfernt war, wieder geschmeidig wie zuvor – auf ihn zu, seine Schritte dramatisch unterstrichen von einem weiteren Donnergrollen, und schwang das Schwert zu einem vernichtenden Hieb herum. So hoch Leo es vermochte, sprang er auf der Stelle, stach das Schwert der Vier über sich tief in das knirschende Holz, zog sich daran hinauf und die Beine so nah an den Körper wie möglich. Wo er gerade noch gestanden hatte, fuhr die mächtige Doppelklinge auf Brusthöhe waagerecht in den Stamm. Dieser knarzte und erzitterte bis in sein tiefstes Inneres wie unter dem Schlag einer gefräßigen Axt. Ihr eigentliches Ziel hatte die riesenhafte Waffe aber verfehlt.
Dieses ließ sich wieder runtersinken, sodass es nun auf ihr stand, und zog Virris verlorenes Kurzschwert aus dem Baum. Ein Blitzt zuckte durch den Himmel und erhellte die Lichtung. Leo sah in Links weiße Augen, in denen sich das Wetterleuchten spiegelte, die trügerisch blind und ohne zu blinzeln auf ihn gerichtet waren.
Im grimmigen Angesicht seines übermenschlichen Gegners, der jede Gelegenheit nutzte, ihn und seine Mitstreiter zu töten, tat Leo etwas, wofür in solchen Situationen in allen Welten wohl nur er allein die Nerven besaß: Er zog Link den Saum seiner grauen Mütze über die Augen.
Sofort haschte der Dämon nach ihm, erwischte aber nur leere Luft. Der grüngewandete Draufgänger sprang von der Doppelklinge, aktivierte noch im Fallen seine Stiefel und flitzte, kaum auf den Füßen aufgekommen, pegasusschnell davon.

Als der eben erfolgte Blitz seinen Donner hinterherschickte, tauchte Leo wieder in den Wald ein. Dennoch hörte er, wie Link das Schwert aus dem Stamm riss und in derselben Bewegung eine Energiewelle abschoss. Sie traf den Baum, an dem Leo gerade vorbeirannte, und schälte die Rinde vom Holz. Auf seiner überstürzten Flucht schlug der Ritter mit Virris Waffe und der freien rechten Hand Zweige beiseite, bevor sie ihm ins Gesicht peitschten – bis er im durch die Baumkronen flackernden Licht eines Blitzes vor sich etwas Grünes sah, das kein Strauch war.
Schon war Leo daran vorbeigeflitzt, bremste scharf und zog eine lange Furche durch den Waldboden. Das Schwert der Vier schob er unter den Gürtel, wie der eigentliche Träger der mystischen Waffe des zu tun pflegte. So wartete er, bis Balaen zu ihm aufgeholt hatte, und nahm ihm Virri ab. Ohne Last konnte der Held aus den Wolken auf normales Lauftempo beschleunigen, in dem der jüngere Ritter nun neben ihm herhetzte.
Bissig wie immer kommentierte Leo: „Grandioser Plan … Was jetzt?“
Balaen antwortete nicht, entdeckte aber in der Nähe einen umgestürzten Baumstamm. Leo folgte seinem Blick, hielt darauf zu und setzte mit einem Sprung darüber hinweg. Sein älterer Mitstreiter hingegen lief um das freiliegende Wurzelwerk herum. Hinter dem toten, einst stolzen Waldriesen Deckung suchend, schnappten die beiden nach Luft, Balaen keuchend, Leo hustend. Letzterer lehnte den jüngsten des Heldentrios behutsam an den Stamm, steckte dessen Schwert in die Scheide zurück, ebenso wie Balaen ihm den Heroenbogen wiedergab. Der Kopf des Jungen wippte dabei schlaff hin und her. Seine Haut war mittlerweile so blass wie Wachs, die Lippen blau angelaufen.
Wachsam spähte und horchte Leo in den umliegenden Wald. Hörte schwere, suchende, drohende Schritte. Um Heimlickeit war Link nicht gerade bemüht, hatte sie auch gar nicht nötig. „Er ist noch in der Nähe“, ließ Leo den Ritter aus den Wolken wissen. „Lange können wir hier nicht bleiben.“
An Virris Hals tastete Balaen nach einem Puls und schob es auf die eigene Aufregung, dass er keinen fand. Bitter erwiderte er: „Ich weiß.“
Angestrengt unterdrückte Leo einen lauteren Hustenanfall, wobei der ältere Ritter ihm behilflich war, indem er ihm seinen Paraschal in den Bauch drückte. Heiser fragte Leo: „Was soll ich damit?“
Geschäftig friemelte Balaen das Seil von seinem Gürtel, das einzige, das dem Heldentrio noch geblieben war – der ursprüngliche Plan, Link damit zu fesseln, war durch die Ereignisse der letzten Minuten geradezu lächerlich geworden. Mit einer Kopfgeste wies Balaen auf Virri. „Verbinde ihm den Bauch und gib ihm deine Fee.“
Bedauernd wich Leo seinem Blick aus und sagte tonlos: „Ich hab keine Fee mehr …“ Gedankenverloren rieb er sich den kratzenden Hals, an dem noch immer Würgemale zu sehen waren. Dennoch wickelte er Virri den Schal um den Leib, verknotete ihn so fest wie nötig und so locker wie möglich.
Während er ihm dabei zusah, verspürte Balaen plötzlich das Bedürfnis, den jüngeren, leichtsinnigen Ritter anzuschreien, ihm die Schuld zuzuschieben für den eigenen Zustand und den des kleinen Helden. Dass all das nicht geschehen wäre, wenn die beiden sich nicht eingemischt hätten. Doch dann entsann sich Balaen daran, dass er selbst ohne seine Mitstreiter höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben wäre, und das schon lange, bevor sich Link überhaupt in einen Dämon verwandelt hatte.
Einhändig bemühte er sich darum, einen neben dem von der Natur gefällten Baum kerzengerade gewachsenen Schössling abzubrechen. Weil ihm das nicht recht gelang, half Leo, nachdem seine Aufgabe erledigt war. Der Hylianische Ritter teilte den stabdünnen Stamm in zwei jeweils eine Elle lange Stücke, band diese mithilfe des Seils um Balaens gebrochenen Unterarm und stabilisierte ihn so. Vorsichtig bog er die Knochen einigermaßen gerade. Der Patient presste die Rechte auf den Mund und verbiss sich ins Leder seines Handschuhs, um keinen Schmerzensschrei von sich zu geben, der ihrem unmenschlichen Verfolger ihre Position verraten hätte. Auf sein Tun konzentriert, wickelte Leo Balaen das Seil hinten um den Nacken – und fuhr zusammen, als der ältere Ritter ohne Vorwarnung vornüberkippte.
Tadelnden Tonfalls rief Leo erschrocken aus: „Hey, Kumpel!“ Sich wieder hinhockend, packte er seinen Mitstreiter bei den Schultern und richtete ihn auf, doch Balaen hatte, da die Anspannung des Kampfes und der Flucht frühzeitig von ihm gewichen war, das Bewusstsein verloren. Nervös mahlte Leo mit den Zähnen. „Mach mir jetzt bloß nicht schlapp! Ich kann euch nicht beide mit mir rumtragen“, warnte er und klatschte seinem Gegenüber mehrfach unsanft auf die Wange, bis es endlich, benebelt vor Schmerz, die Augenlider hob. Ungeduldig forderte Leo von ihm: „Sag mir lieber, was ich mit dem Knirps machen soll!“
Auch wenn es noch einen Moment dauerte, weckte die Verantwortung des Ältesten Balaens Lebensgeister unverhofft wieder. Mit dem Handballen rieb er sich über ein Auge und drückte den Rücken aus eigener Kraft durch. Da er sich nun selbstständig aufrecht hielt, ließ Leo von ihm ab. Es blitzte ganz in der Nähe, der Donner krachte nur einen Wimpernschlag später und brachte den Ritter aus den Wolken auf eine Idee. „Bring Virri an einen sicheren Ort und schicke ihn mit dem Zauber ins Schloss zurück!“, befahl er Leo eindringlich. Im Thronsaal hatte man sich zwar auf die Ankunft eines gefangenen Schwerverbrechers vorbereitet, doch sobald die Soldaten erkennen würden, wer da in ihrer Mitte erschien, würden sie ihm gewiss helfen – und die beiden Ritter sich endlich um sich selbst kümmern können.
Angespannt nickte Leo, kniete sich neben Virri und schob sachte die Arme unter ihn. Da kam ihm ein Gedanke, und er fragte Balaen: „Was ist mit dir?“
Ohne eine rechte Antwort zu geben, verlangte der ältere Ritter: „Gib mir deinen Tauschhaken.“
Zwar gehorchte Leo ohne Zögern, wollte aber wissen: „Wofür brauchst du ihn?“
Sein Gegenüber hängte sich die aufgewickelte Kette über die Schulter des gesunden Arms. Doch dazu, sich zu erklären, blieb ihm keine Gelegenheit mehr.
Irgendeiner Eingebung folgend, warfen sich die beiden Ritter nach hinten auseinander, und Leo war geistesgegenwärtig genug, Virri mit sich zu reißen. Nur einen Sekundenbruchteil später zerfetzte eine blassgrüne Energiewelle den morschen Baumstamm.
„Lauf!“, brüllte Balaen, was Leo bereits selbst in den Sinn gekommen war. Mit dem kleinen Helden auf den Armen, kam er stolpernd auf die Füße, befeuerte dabei versehentlich seine Stiefel und raste los wie ein abgeschossener Pfeil.

Leo rannte, so schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben. Rannte um eben jenes und das des kleinen Kriegers in seinen Armen. Rannte und stolperte, und immer wieder bewahrten ihn nur seine Reflexe davor, zu stürzen oder auf dem nassen Waldboden auszurutschen.
Die Schritte des Gejagten, der in nur einem Augenblick zum Jäger geworden war, konnte Leo nicht mehr hinter sich hören – es wäre nun aber auch echt die Höhe gewesen, wenn Link in seiner Dämonenform auch noch an die Geschwindigkeit der Pegasusstiefel herangereicht hätte. Und doch rannte der Held, der einmal ein Hase gewesen war, weil sein Überlebensinstinkt es ihm befahl. In beherztem Zickzack lief er durch den Wald, wich immer nur haarscharf den Bäumen aus, die seinen Weg kreuzten.
Bis das unvermeidliche passierte: Leo zischte um einen Waldriesen herum, sah jedoch einen weiteren, der dicht bei dem ersten stand, nicht rechtzeitig. Auch wenn er versuchte, zu bremsen, und sich halb herum drehte, prallte er in vollem Lauf dagegen. Die Wucht dröhnte ihm tief in den Ohren, und deswegen bemerkte er erst einen Moment später, dass er am Boden lag. Sich krümmend presste er die rechte Hand auf die linke Schulter, durch die ein dumpfer Schmerz pochte. Dennoch quälte er sich auf die Füße und wankte zu dem reglosen Bündel hinüber, das ihm aus den Armen gefallen war.
Der Regen hatte den weißen Greifenmantel schon fast wieder rein gewaschen. Balaens Paraschal hatte kaum noch Blut aufgenommen, noch dazu hatte er sich gelockert, sodass Leo ungewollt einen Blick auf die Wunde erhaschte. Am Bauch, genau wie jene, an der sein Onkel vor zwei Jahren gestorben war …
Leos Panik und die von seinem Kriegerstolz aufgestaute Verzweiflung brachen sich plötzlich in heißer Wut Bahn. Zornig stampfte er in den Schlamm, sank neben dem Bewusstlosen nieder und schrie ihn an: „Das kommt davon, wenn man keine Fee hat!“ Mit fahrigen Bewegungen löste der Ritter den Schal, wrang Regen und Blut aus. „Wag es ja nicht, zu sterben!“, zeterte Leo weiter und musste husten wegen des Kratzens in seinem Hals. Sowie er sich davon erholt hatte, wickelte er den Schal wieder um den schmalen Leib. „Ich sag’s dir, Knirps, wenn du stirbst … wenn du stirbst, werde ich …“ Seine Schimpftirade geriet ins Stocken, weil ihm nichts einfiel, womit er hätte drohen können. So fest, dass er den Paraschal fast zerriss, verknotete er ihn wieder. Während seines ganzen Tuns hatte Virri nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
Mit einer Hand kramte Leo in seinen Gürteltaschen, mit der anderen wischte er sich verärgert über die Augen, die feucht waren und heiß brannten. „Mieser Regen …“, knurrte er dabei. Neben der leeren Feenflasche fand er endlich das, wonach er suchte: Den kleinen gläsernen Oktaeder, der Farores Donnersturm enthielt. Diesen über Virri gestreckt, rief der Ritter im Geiste seine magische Kraft an, um den Zauber zu aktivieren. Doch er schaffte es nicht, das Zittern zu unterdrücken, das ihn daran hinderte, sich ausreichend zu konzentrieren.
Ihm schoss der höchst unerwünschte Gedanke durch den Kopf, dass diese Art der Teleportation vermutlich nur bei lebenden Menschen funktionierte. Erneut brachte ein wässriger Schleier – ganz bestimmt der Regen – Leos Sicht zum Verschwimmen.
Nachdem er sich wieder über die Augen gewischt hatte, befahl er mit bebender Stimme: „Wirke!“ Als weiter nichts geschah, drückte er den Kristall auf Virris Brust, die sich weder hob noch senkte, und wiederholte lauter: „Wirke!“ Weil sich auch dieses Mal keine Reaktion zeigte, ballte er die Faust um das Objekt und brüllte trotz des Kratzens im Hals: „Wirke!“
Seine Stimme war noch kaum verstummt, als plötzlich das Triforce auf seinem Handrücken erstrahlte. Geblendet kniff Leo die Augen zu und wandte das Gesicht ab. Etwas brach seine Faust auf, und er zog den Arm zurück. Rückwärts krabbelnd, hob er wieder den Blick. Das goldene Strahlen seines Geburtsmals hatte sich auf die übliche Helligkeitsstufe gesenkt, mit der es für gewöhnlich Zauber indizierte. Dafür schwebte nun eine Kugel grellen grünen Lichts über Virri. Leo schluckte, kämpfte die Erinnerung an Links Energiegeschosse nieder und beobachtete das magische Schauspiel. Farores Donnersturm wurde größer, senkte sich geradezu quälend langsam auf den bewusstlosen Jungen herab. Auch danach dauerte es noch die Zeit zwischen zwei Wimpernschlägen, bevor Virris Konturen zu verschwimmen begannen – mehr als genug Gelegenheit für einen heroischen Kämpfer wie Link, aus dem Wirkbereich des Zaubers auszubrechen. Es war klar, warum es nötig gewesen wäre, ihn zu fesseln.
Leos Triforce-Mal erlosch, als sich die Kugel geräuschlos auflöste – und mit ihr war auch Virri endlich verschwunden. Die nervöse Anspannung verließ Leo, und er sank, wie er da saß, in sich zusammen. „Halt gefälligst durch, Knirps …“, murmelte er. Das einzige, woran er dachte, war seine Zusicherung an seinen kleinen Mitstreiter, Balaen und er würden ihn beschützen. Auch wenn es nur wenige Stunden sein konnten, schien ihm das nun Tage her zu sein.
So hockte Leo da im strömenden Regen, bis ihm das Haar in dicken, feuchten Strähnen im Gesicht klebte und Virris Blut von seinen Händen gespült war. „Halte durch …“, wiederholte er, und diesmal war es nur ein schwaches Flüstern. Endlich fand er die Kraft, aufzustehen. Aufmerksam lauschte er in den Wald, aber alles, was er hörte, war das unablässige Prasseln des Regens. Er fischte die Flöte aus ihrem Lederbeutel und rief seinen Papagei.

Wie es Balaens Verstand erwartet, sein Beschützerinstinkt gehofft und sein Selbsterhaltungstrieb befürchtet hatten, folgte Link nicht dem viel zu schnellen Leo – sondern ihm, dem Ritter aus den Wolken. Obwohl er zum Zusammenbrechen erschöpft war und ihn der Schmerz in seinem gebrochenen Arm verrückt machte, war die Vorstellung, was geschah, sollte der Dämonenkrieger ihn einholen, genug Ansporn, immer weiter zu hetzen. Sein titanenhafter Verfolger legte mit jedem Schritt mehr Strecke zurück, als Balaen mit seinen verzweifelten Sprüngen. Die Abhänge, die die Beute mühevoll die Balance haltend hinabschlitterte, nahm der Jäger mit nur einem Satz. Balaens einziger Vorteil war, dass er kleiner und flinker war und damit an Sträuchern und Schösslingen vorbeilaufen konnte, während Link zwar einfach durch sie brach, dann aber zumindest minimal ausgebremst wurde.
Dieser Effekt verstärkte sich glücklicherweise, als das Unterholz tiefer im Wald dichter zu werden begann. Daher erlaubte es sich Balaen, langsamer zu werden und im Gebüsch auf die Tarnfarbe seines Rittergewandes zu vertrauen. Über den Baumkronen, die so undurchlässig waren, dass kein Regen und kaum Licht durch sie drang, glitt Karmin durch die Luft. Der Flug des Wolkenvogels schlingerte geringfügig wegen der einseitig gestutzten Schwungfedern, und Karmin schrie frustriert. Deutlich spürte er die Not seines Reiters, doch war unfähig, ihm zu helfen.
Balaen hielt an und stützte sich an einen Baum. Seine Lungen arbeiteten auf Hochtouren und fühlten sich an, als stünden sie kurz vor dem Kollabieren. So gern er sich einfach nur hingesetzt und ausgeruht hätte, wusste er, dass er nicht am Boden bleiben durfte. Er nahm Leos Tauschhaken und schwang ihn, mit nur einer Hand unter größten Mühen, nach oben in den Baum. Erst nach elendigen drei Versuchen schaffte er es endlich, die Kette ähnlich seiner Peitsche um einen Ast zu wickeln. Die Metallklammer, die erfolglos nach einem Tauschziel schnappte, verkeilte wie die hellblaue Kugel. Wie ein Bergsteiger kletterte Balaen an der Kette hoch. Auf jenem Ast angekommen, löste er den Haken und zwang sich mit derselben Methode noch höher in den Baum.
Den Rücken gegen den Stamm lehnend, hockte er sich hin, um zu verschnaufen, die Kette aufzuwickeln und sie sich wieder auf die Schulter zu hängen. Völlig entkräftet rieb er sich die Augen, dann sah er sich um. Über das Rauschen des Regens oben in den Wipfeln konnte er nichts anderes hören, doch zumindest Link auch nicht in der Nähe entdecken. Balaen wusste nicht, was er eher glauben durfte: Dass er den abtrünnigen Helden abgehängt hatte, oder dass dieser endlich von ihm abgelassen hatte, weil er ohnehin keine Gefahr mehr für ihn darstellte. Jedenfalls, bemessen daran, wie unaufhaltsam Link ihn durch den Wald gehetzt hatte, hegte Balaen den starken Verdacht, dass er in der Dämonengestalt nicht ermüdete. Weswegen er die Jagd wohl ewig würde fortsetzen können …
Ganz am Morgen dieses verhängnisvollen Tages hatte Balaen noch im Schloss seine übliche Dosis Pilzsporen eingenommen, um seine obligatorischen Kopfschmerzen zu unterbinden – glücklicherweise mit Erfolg, sonst hätte er bis jetzt nicht durchgehalten. Aber gegen die Qualen, die ihm die Knochenbrüche bereiteten, war diese doch sehr geringe Menge nicht mehr stark genug. So gut es ihm mit nur einer Hand möglich war, entnahm er seiner Gürteltasche jenes Glasgefäß, in dem er die Glitzersporen verwahrte und stets bei sich führte, und entkorkte es. Die Flasche in der Linken, die steif vor Schmerzen war, fischte der gepeinigte Held eine Prise des pudrigen Inhalts mit den Fingern der rechten Hand heraus und strich ihn an der Zunge ab. Trocken, wie es war, schluckte er das widerwärtig staubig schmeckende Pulver mit so viel Speichel wie möglich und kämpfte gegen den Brechreiz an. Er würgte noch immer, als er den Korken wieder auf die Flasche drückte. Unwillkürlich sandte sein schmerzgeplagter Verstand ein Stoßgebet an seine Göttin, die erste Bitte ihres auserwälten Helden an sie seit einem ganzen Jahr.
Vorhin auf der Lichtung, auf der Karmin Virri hätte forttragen sollen, hatte Balaen dem kleinen Krieger die Okarina des Windes abgenommen und in die eigenen Taschen gesteckt. Nun tauschte er die Sporenflasche gegen jene aus. Konzentriert schloss er die Augen und rief sich ins Gedächtnis, wie seine Mitstreiter auf ihren Instrumenten gespielt hatten, um die Papageien anzulocken. Sachte blies er in die Okarina, ahmte die Griffe nach in der Hoffnung, es mochten die richtigen sein – und ebenso, dass sie nicht einen gewissen Dämon auf ihn aufmerksam machten.
Als er die Flöte sinken ließ und wieder wegpackte, strafte sein gebrochener Arm sein musikalisches Experiment mit tiefen, knochigen Schmerzen, die noch keine Dämpfung durch die Pilzsporen erfahren hatten. Ermattet lehnte er sich zurück, rieb sich wieder die Augen und dachte an das Märchen über die Verlorenen Wälder, das ein Soldat dem Heldentrio kurz vor der Abreise aus dem Schloss erzählt hatte. Während die Glitzersporen allmählich ihre Wirkung entfalteten, kam Balaen die irrsinnige Vorstellung, dass er wohl zu einem Skelett mit nur einem halben linken Unterarm werden würde und einer losen Hand, die er noch getrennt vom Körper bewegen konnte.
Als er die Augen öffnete, war der Wald auf die Seite gedreht. Erst im zweiten Moment erkannte Balaen, dass er vornüber auf dem Ast lag. Anscheinend war er bewusstlos gewesen, doch für wie lange? War in der Zwischenzeit Link vorbei gekommen und hatte seine Beute oben im Baum übersehen, wie diese es geplant hatte? Oder stand das noch bevor?
Noch immer benommen, fixierte sich Balaen auf den Sinneseindruck, der ihn geweckt hatte: Seine rechte Hand lag vor seinem Kopf auf dem Ast, und etwas zupfte neckisch daran. Er sah auf und erkannte den blau-weißen Papagei, der auf so wundersame Weise mit der Okarina des Windes verbunden war. Aus klugen, grauen Augen musterte ihn der Vogel, kam zu dem Schluss, dass er wohl doch nicht mitfliegen wollte, und flatterte auf. Hektisch hob Balaen die Hand nach ihm – als plötzlich eine Scheibe blassgrünen Lichts vor ihm Borke und Rinde des Asts zu Holzspänen zerriss. So dicht spürte er die Energie an seinen Fingern vorbeizischen, dass deren Spitzen taub wurden.
Der Papagei krächzte erschrocken, doch war nicht getroffen worden. Balaen erweckte seine letzten Kraftreserven, sprang auf, rannte über den blanken Ast, warf sich vor, um einer weiteren Schockwelle zu entgehen. Wieder streckte er die Hand nach dem flüchtigen Papagei aus. Für einen winzigen Augenblick schien es, dass seine Finger an den Vogelkrallen vorbeistreiften – und sie dann doch noch zu packen bekamen. Das plötzliche Gewicht zog das gefiederte Tier ein ganzes Stück runter, was ihm das Leben rettete, denn ein weiterer Strahl schoss über ihn hinweg. Der blaue Vogel bemühte sich darum, wieder an Höhe zu gewinnen.
Sein Passagier blickte bang in die Dunkelheit unter den Bäumen hinab – und begegnete für einen Augenblick dem bleichen Starren seines Verfolgers. Balaen hatte bereits Dämonen in menschlicher Gestalt gegenübergestanden. Ja, durch seine Hilfe war ein Dämon sogar zum Menschen geworden. Doch er konnte und wollte nicht verstehen, wie ein Held sich in einen Dämon verwandeln konnte.
Link preschte herbei, sprang übermenschlich hoch und schlug nach Balaen. Der zog die Beine an, sodass ihn die Doppelklinge verfehlte. Endlich hatte der Papagei den Kampf gegen den Absturz gewonnen. Er tauchte durch das dichte Blattwerk, das Balaen das Gesicht aufkratzte, weil er keine Hand frei hatte, dies zu verhindern. So gelangten sie außer Links Sicht, und ihnen folgten keine Lichtwellen mehr.
Mit Kettenhemd und Schild, noch dazu größer, war Balaen wesentlich schwerer als Virri. Dennoch schaffte es der Papagei mit bemerkenswerter Tragkraft, die denen der gewaltigen Wolkenvögel in nichts nachstand, den Ritter bis weit über die Bäume zu hieven. Karmin umkreiste seinen Reiter und nahm ihn mit einem fröhlichen Ruf in Empfang. Sowie er sich hoch genug wähnte, ließ Balaen sich fallen und brachte sich in etwas ähnliches wie die zum Vogelritt benötigte Liegeposition. Anders als üblich, pfiff er diesmal nicht nach Karmin; der schoss schon unter ihm hindurch und fing ihn zuverlässig auf, bevor er durch die Baumkronen in den sicheren Tod stürzte. Balaen war dazu gezwungen, sich mit nur einer Hand an den Halteriemen festzuklammern, und rutschte von dem rot gefiederten Rücken. Die stählerne Kette des Tauschhakens schlug dabei so heftig gegen seine Seite, dass er zweifellos Blutergüsse davontragen würde. Die Schwerkraft riss an seinem gesunden Arm, als wolle sie diesen auch noch auskugeln. Hilflos hing Balaen nur neben seinem Wolkenvogel und war nicht in der Lage, sich wieder hochzuziehen.
Wahrscheinlich hätte er demnächst vor Schwäche losgelassen, als Karmin eine beherzte Seitwärtsrolle vollführte und seinen Reiter so auf seinen Rücken zurückschwang. Während Karmin in einen stabilen Gleitflug überging, benötigte Balaen länger als gewöhnlich, bis er seine übliche Reitposition fand. Zur Sicherheit schob er den gesunden Unterarm unter die Zügel, falls er wieder bewusstlos werden sollte. Jetzt schon schnitten ihm die Regentropfen scharf ins aufgeschürfte Gesicht; ihm fehlte der Paraschal, um sich davor zu schützen.
Karmin wandte sich in nordwestliche Richtung, schlug kräftig mit den Flügeln und nahm Geschwindigkeit auf, um den verhängnisvollen Ort hinter sich zu lassen. Alsbald stieß Leo, getragen von seinem eigenen Papagei, zu ihnen.
Es fiel kein Wort. Die beiden Helden wechselten nur Blicke der Gewissheit einer absoluten Niederlage.
Um sie herum tobte das Gewitter unablässig weiter.

- Wir erinnern uns an den letzten Satz des dritten Kapitels der Ariette der Zeit: „Es war an der Zeit für ihn (Link), die letzte seiner Formen beherrschen zu lernen.“ Womit natürlich die grimmige Gottheit aus Majora’s Mask gemeint ist, wie man an diesem gesamten Kapitel sehen kann. In einer Fanstory, die maßgeblich nach MM spielt, darf natürlich Oni-Link nicht fehlen – erst recht nicht, wenn ICH die Autorin bin >x3 *fangirlkreisch*
(siehe dazu auch meine andere Fanstory: Die Ballade des Unbesungenen, Link (*badum-tss*) dazu die Sprechblase ganz rechts in meiner Signatur)
- „(…) wenn Link in seiner Dämonenform auch noch an die Geschwindigkeit der Pegasusstiefel herangereicht hätte.“ – Unnützes Wissen: In MM ist die grimmige Gottheit tatsächlich so schnell wie Link in seiner normalen Form mit Hasenohren. Hab ich selbst erforscht :B

Den Grashalm vorübergehend in die Hand nehmend, gähnte Leo lautstark, streckte und lehnte sich gegen den Baumstamm, nun wieder aufrecht, nachdem seine Haltung ein bisschen in sich gesunken war. Er schob den Grashalm wieder in den Mund, verbiss sich mürrisch darin und beobachtete Virris Klone, die vor ihm gegeneinander Schwerttechniken übten. Ihr grüngewandetes Original lehnte neben dem Ritter wie auch dieser am Stamm. Anders als die Tage zuvor hatte Virri nun endlich die Zipfelmütze angezogen, die er als Erkennungszeichen von Schmiedelehrlingen kennengelernt hatte und nach wie vor als solches verabscheute. Jetzt jedoch trug er sie wie auch Leo und Balaen als Teil ihrer gemeinsamen grünen Heldenuniform. Entsprechend schmückten auch die Köpfe seiner Abbilder jene Kleidungsstücke in ihren jeweiligen Farben.
„Unglaublich, wie du hier herumhüpfst“, kommentierte Leo das unruhige Treiben des regungslosen Jungen.
Ohne in jenem innezuhalten, erwiderte Virri: „Was soll ich sonst machen?“
Der Hylianische Ritter hob die Schultern. „Keine Ahnnung. Du bist so zappelig, ist dir langweilig?“
Zwei der Doppelgänger parierten den Hieb des dritten mit einer seitlich gelegten Kreuzklinge. „Überhaupt nicht“, antwortete Virri.
„Also ich sterbe bald vor Langeweile“, prophezeite Leo missmutig und drehte den Grashalm aus der Narbe in einen Mundwinkel.
Die Augen seines kleinen Mitstreiters leuchteten vor gespannten Erwartens. „Findest du das denn nicht auch aufregend? Wir werden bald gegen noch einen Helden kämpfen!“
„Darauf freust du dich?“ Leos Ton machte keinen Hehl daraus, was er von Virris Naivität hielt.
Der kleine Krieger nickte eifrig.
Wenig optimistisch bemerkte Leo: „Wenn wir ihn denn überhaupt finden …“ Wieder gähnte er herzhaft.
Prinzessin Zelda hatte ihre drei Berufenen in aller Frühe wecken lassen, während Alvio in seinem friedlichen Schlummer gar nicht erst gestört worden war. Das war schon seit dem Aufstehen Grund für die schlechte Laune des langschläfrigen Ritters – was er sich in Gegenwart der Königstochter natürlich nicht hatte anmerken lassen. Nachdem die Helden ihre grünen Gewänder und alle ihnen zur Verfügung stehende Ausrüstung angelegt hatten, hatte Zelda ihnen endlich eröffnet, in welcher Gegend ihre Zielperson gesichtet worden war: In einem uralten Wald im Südosten Hyrules, von dem es hieß, kein Mensch hätte ihn je lebend verlassen – ein Mythos, den auf sich zu beziehen Leo sich hütete, hatte er auf seinen Reisen doch bereits zu vieles gesehen und erlebt, um sich vor so einem Schwachsinn zu fürchten. Dennoch schlug ihm der unterschwellige Gedanke, dies hier nicht zu überleben, auf sein bereits angeknackstes Gemüt.
Er und Virri waren von den Papageien, die sie mit ihren Okarinas rufen konnten, hergebracht worden. Mit deren Hilfe war auch Balaen endlich sicher auf Karmins Rücken gelangt – sehr zur Freude seines loyalen Reittiers –, sodass auch er den Wald auf dem Luftweg erreicht hatte. Nun kreiste der Wolkenvogel lauernd über den Wipfeln. Die Helden waren darin übereingekommen, dass die beiden jüngeren zunächst am Boden warteten, während der älteste vom Himmel aus den Wald auskundschaftete. Und das verhagelte dem unverbesserlichen Draufgänger Leo die Stimmung endgültig: Zum Nichtstun verdammt zu sein.
Der Hylianische Ritter sah in den Himmel auf, an dem seit dem Morgen tief hängende Wolken vor sich hin dräuten. Hier vom Platz der beiden Helden waren der riesige rote Vogel und sein grüngewandeter Reiter nicht zu sehen. Seufzend ließ Leo den Blick sinken, schloss die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin nur etwas enttäuscht“, meinte er unzusammenhängend. „Ich bin in einer anderen Welt, da darf ich doch wohl erwarten, dass sie anders ist als alle die, die ich kenne. Aber nein!“ Schwungvoll breitete er die Arme aus, als präsentiere er Virri ebendiese unzureichende Welt. „Sie heißt nicht nur so wie meine, sie sieht auch noch genauso aus …“ Er dachte an die Landkarte zurück, auf der Prinzessin Zelda ihnen nur wenige Stunden zuvor den fraglichen Wald gezeigt hatte. An den Fingern listete er jetzt die Gebiete auf, die er darauf sonst noch erkannt hatte. „Im Zentrum eine große Ebene; ein Gebirge im Nordosten; ein großer Fluss, der dort entspringt, und weit im Westen eine Wüste.“
Durch seine Klone versuchte sich Virri an einem dreifachen Ausfallschritt, bei dem jedes der beteiligten Schwerter aus einem anderen Winkel zuschlug. „Willst du sie jetzt deswegen nicht mehr erkunden?“, stellte er eine Zwischenfrage.
Der notorische Abenteurer zischte abweisend. „Wo denkst du hin, natürlich will ich das noch! Ich meine ja nur, dass ich gern ein ganz neues Land entdeckt hätte.“ Mit einer zackig wischenden Geste deutete Leo um sich. „Ich geb’s zu, von diesem Wald hab ich in meinem Hyrule noch nicht gehört, was einfach bedeutet, dass er dort nicht existiert. Genau deswegen juckt es mich in den Füßen, mich hier genauer umzuschauen.“
„Zelda hat doch gesagt, wir sollen nicht weiter rein“, erinnerte Virri, blickte in die umliegenden Schatten unter den Baumkronen und erzitterte. „Bestimmt, weil es hier verflucht ist.“ Die Prinzessin selbst hatte ihr Gebot, den Wald nicht tiefer zu durchforsten, nicht begründet, doch ein Soldat hatte die Helden vor den sogenannten Verlorenen Wäldern gewarnt. Dass sie ungebetene Gäste zu Kobolden und lebenden Skeletten verwandelten … Schaudernd rückte Virri seine Klone näher an sich heran. Wegen des von den Wolken verschluckten Sonnenscheins wirkte der Wald besonders dunkel. „Unheimlich!“
Obwohl nicht minder beklommen, spielte Leo dies gekonnt runter. „Ich weiß doch! Wenn die Prinzessin es uns befielt, gehorche ich natürlich. Außerdem haben wir beide ja noch unsere Okarinas. Mit denen verlieren wir uns hier nicht so schnell.“
Eine Gesprächspause trat ein, während derer der Held mit dem Gehör eines Hasen in den Wald hineinlauschte. Auf das vielstimmige Rascheln kleiner Tiere, aber auch das Rauschen weicher Schwingen eines großen, eigentlich nachtaktiven Raubvogels, der sich schwerfällig in die Lüfte erhob.
„Wir sollten Link in den Wald spazieren lassen und warten, bis sich die Sache von selbst erledigt“, schlug Leo mit ganzem Ernst vor.
„Das wäre ja eklig!“, widersprach Virri vehement. „Stell dir nur mal vor, er wird zu einem Skelett und seine Knochen fallen zusammen, wenn wir versuchen, ihn zu schnappen!“ Er streckte die Zunge raus und schüttelte sich bei der widerwärtigen Vorstellung.
Skeptisch zog Leo eine Augenbraue hoch und blickte zu dem kleinen Krieger runter. „Du glaubst den Mist?“
Die Augen vor Schreck geweitet, nickte Virri. „Mit Magie geht doch immer irgendwie alles.“
Dem musste der andere Grüngewandete dann doch zustimmen – die Anwesenheit der drei Helden in dieser für sie mehr oder minder fremden Welt war der beste Beweis. Darüber hinaus hatte Prinzessin Zelda gerade ihm, Leo, den wahrscheinlich wichtigsten Gegenstand ihrer Mission anvertraut.
Gedankenverloren kramte der Ritter in seiner Gürteltasche, um jenen zu betrachten: Ein etwa walnussgroßer Oktaeder aus klarem Glas, in den eine grüne Kugel eingeschlossen war. Diese sandte ein schwaches Glühen aus, das das Triforce-Mal auf Leos Handrücken in seiner eigenen goldenen Farbe erwiderte. „Farore …“, murmelte der Hüter des Oktaeders nachdenklich den Namen, der ihm aus einer anderen Welt bekannt vorkam. So hatte die Prinzessin den Zauber bezeichnet, den das Kleinod enthielt: Farores Donnersturm. Sie hatte ihn an Leo übergeben, weil er von ihren drei Berufenen die meiste Erfahrung mit Magie hatte.
Zelda selbst hatte das Heldentrio nicht in den Wald teleportieren können, da es dort keinen Zielort gab wie im Innern des Vulkans oder auf dem symmetrisch angelegten Schlossgarten. Demnach würde sie sie auch nicht wieder in den Palast zurückbringen, sobald sie Link gefasst hätten. Einen Teil dieser Aufgabe sollte stattdessen Farores Donnersturm übernehmen. Laut Zeldas Erklärung beförderte der Zauber eine einzelne Person an einen vorher festgelegten Ort, der beliebiger sein konnte als bei ihrem mysteriösen Instrument. Damit sollten die drei Jäger den Gejagten in den Thronsaal von Schloss Hyrule schaffen, wo ihn bereitstehende Soldaten sofort festnehmen würden. Zweifelsohne würde Link ihnen nicht den Gefallen tun, lang genug still zu halten, bis die Magie des Donnersturms wirkte. Daher trug jeder der drei Helden ein Seil bei sich, um ihn, nachdem sie ihn überwältigt hätten, zu fesseln. Das würde auch die Arbeit jener Soldaten im Schloss sehr erleichtern.
Vor der Abreise des Heldentrios hatte Prinzessin Zelda jedem von ihnen je eine Glasflasche angeboten, in der eine Fee schwebte. Während die beiden älteren dankend angenommen hatten, hatte Virri entschieden den Kopf geschüttelt und war ohne diese Gabe losgezogen.
Leo packte Farores Donnersturm wieder weg. „Warum hast du eigentlich keine Fee mitgenommen, Knirps?“, wollte er wissen. „Du weißt schon, dass die kleinen Dinger echt nützlich sind, oder?“
Seine Klone, in denen Virri unverändert seine Übungen vollzog, umzingelten nun ein imaginäres Monster und erstachen es von drei Seiten. „Ich mag es nicht, wenn sie eingesperrt sind“, erklärte er. „Nicht, wenn ich sie selbst fange, und auch nicht für mich.“
„Aber für’s Heilen existieren sie doch. Sie machen das gerne.“ Trotz dieses ausgesprochenen Zweifels konnte Leo die Hintergründe seines kleinen Mitstreiters nachvollziehen. Immerhin verzichtete er bei seiner Ernährung auf alles Tierische, und das aus ganz ähnlichen Prinzipien.
Ihm nicht wirklich widersprechend, zuckte Virri mit den Schultern. „Wenn ich eine finde und sie brauche, lasse ich sie mich heilen. Aber dafür soll sie nicht in eine Flasche gestopft werden.“ Seine Heldenmission hatte hauptsächlich darin bestanden, die Großen Feen zu befreien, die von Vaati eingesperrt worden waren. Da konnte er als der Bezwinger des Winddämons doch kaum zum eigenen Nutzen so handeln wie jener. Während sich seine Klone einen kurzen Schwertkampf gegeneinander lieferten, sah Virri mit bittendem, hoffnungsvollem Blick zu Leo auf. „Ihr werdet doch auf mich aufpassen, du und Balaen? Dass mir nichts passiert. Auch ohne Fee …“
Leo schenkte ihm ein schiefes Grinsen und zerzauste seinem kleinen Mitstreiter den Teil der Frisur, der unter der Mütze hervorlugte. „Klar doch, Knirps!“
„Nenn mich nicht so“, forderte Virri grummelnd.
Wie immer überging Leo den Einwand. Während Virri seine verrutschte Mütze wieder richtete, sagte er: „Du bist mir einer, ein Geschenk der Prinzessin auszuschlagen, das dir wirklich helfen könnte. Wenn es nicht unhöflich gewesen wäre, hätte ich die Fee stattdessen genommen. Eine mehr kann nie schaden.“ Grüblerisch fasste sich der Ritter ans Kinn. „Es ist sowieso komisch, dass die Prinzessin jedem von uns nur eine Fee zugesprochen hat. Da, wo ich herkomme, und in den Welten, in denen ich sonst gewesen bin, haben sich mir Feen regelrecht an den Hals geworfen, weil ich ein Held bin.“
„Link ist doch auch ein Held. Vielleicht wissen sie, dass wir gegen ihn kämpfen werden, und wollen uns deswegen nicht zu sehr helfen“, stellte Virri eine Vermutung auf.
Bedächtig wiegte Leo den Kopf; diese Erklärung war so gut wie jede andere. „Mir soll’s recht sein. Ich werde meine nicht brauchen“, meinte er selbstüberzeugt. Wieder hob er den Blick in den deprimierend grauen Himmel in der Hoffnung, dort den Held aus den Wolken zu erspähen, der sich ihnen endlich annäherte mit der Kunde, etwas entdeckt zu haben. Weil sich dort aber mal wieder kein rot-grüner Fleck zeigte, biss Leo auf den Grashalm und murrte: „Das ist doch echt mies …“ Er stieß sich vom Baum ab und nestelte an der Verschnürung des Lederbeutels an seinem Gürtel herum.
Die unvermittelte Bewegung erschreckte Virri – wenn auch nicht genug, dass er die Übungen mit seinen Klonen unterbracht. „Was hast du vor?“, fragte er den Ritter.
„Mal schauen, was unser Spatzenhirn so treibt“, antwortete dieser und fischte seine Flöte aus dem Beutel.
Von dieser Verkündigung auf ein Weiteres überrascht erinnerte Virri: „Aber Balaen hat doch gesagt, wir sollen hier bleiben!“
Das Instrument zum Mund hebend, ließ sich Leo nicht beirren. „Kannst du gern machen. Ich jedenfalls habe keine Lust, vor Langeweile draufzugehen.“
Verunsichert sah sich der kleine Krieger zwischen den umliegenden Bäumen um. Ebensowenig wie Leo war auch er erpicht darauf, allein in diesem unheimlichen Wald rumzustehen. Ohne weitere Widerworte schob er das Schwert der Vier zurück in dessen Scheide an seiner Hüfte und nahm die Okarina des Windes zur Hand. Im Duett riefen die Helden die Papageien herbei, die zuverlässig wie immer aus den Kronen herabglitten, als hätten sie die ganze Zeit dort gesessen und darauf gewartet, zu Hilfe kommen zu können. Die Virtuosen räumten die Flöten wieder weg; während Virri wie jedes Mal von seinem Vogel an den Schultern gepackt wurde, ergriff Leo die Füße des seinen mit der Linken. Die Tiere erhoben sich und ihre Fracht in die Luft und alsbald über die Baumwipfel.
Fast ohne Lücken erstreckte sich der Wald in alle Windrichtungen wie eine dunkelgrüne Spiegelung der über allem liegenden Wolkendecke. Die beiden fliegenden Helden blickten sich suchend nach dem dritten um; schließlich war es Virri, der Karmins leuchtend rotes Gefieder entdeckte. In jene Richtung ragten über dem bewaldeten Horizont das Gebirge und der es dominierende Vulkan auf, versilbert durch Entfernung und Luftfeuchtigkeit. Treuherzig gehorchten die Papageien dem Befehl ihrer Passagiere, sich dem Wolkenvogel zu nähern.
Als sie ihn erreichten, flatterte Karmin soeben fast unbeweglich an derselben Stelle. Balaen hieß ihm, im Sturzflug hinabzustoßen, doch das riesige Tier breitete bremsend die Flügel aus, als es der kleineren blauen Vögel gewahr wurde. Mit den Schwingen schlagend, ging es wieder in kreisenden Gleitflug über. Auch sein Reiter sah überrascht auf, und dessen Augenbrauen zuckten unzufrieden, als er die jüngeren Helden erkannte. Den Paraschal, den er sich zum Schutz vor dem Flugwind über Mund und Nase gezogen hatte, schob er jetzt runter und rief: „Was tut ihr hier?“
Die Lautstärke nahm Leos Worten den aufgesetzt plauderhaften Unterton. „Der Knirps sagt, er will was zwischen die Zähne!“ Der Wolkenvogel hatte das Gepäck der Helden vor die Brust geschnallt, bestehend aus etwas Proviant sowie Verbandszeug für den Notfall.
Ungehört widersprach Virri: „Stimmt doch gar nicht!“ Wobei der Hylianische Ritter durchaus Recht darin hatte, dass der kleine Krieger wie stets hungrig war.
„Landet wieder“, riet Balaen ihnen, „bis ich euch rufe.“
Während sie miteinander sprachen, zog Karmin Kreise um die jüngeren, an den Papageienklauen hängenden Helden, die versuchten, ihm mit Blicken zu folgen. Dabei fiel Virri aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf, unten zwischen den dicht stehenden Baumkronen. Er richtete seine Aufmerksamkeit zu Boden, suchte ihn nach einer Spur seiner Sichtung ab. „Da war was!“, ließ er die anderen wissen.
Sofort erwiderte Balaen: „Ich habe es auch gesehen. Ist wahrscheinlich ein Waldtier.“ Mit der linken Hand, die noch immer am Schal lag, zupfte er beiläufig daran, als er sie wieder zu Karmins Reitgeschirr führte, um sich daran festzuhalten. Nun mit der Rechten machte er eine hinabweisende, befehlende Geste. „Und jetzt landet wieder!“
„Aber das Ding war so groß!“, begehrte Virri auf. „Wie ein … ein …“
Mit finsterer Miene beendete Leo den Satz für ihn: „Ein Pferd.“ Auch er hatte nun erkannt, was unter ihnen in gemächlicher Geschwindigkeit durch den Wald trabte und nur gelegentlich unter dem durchgängigen Blätterdach hervorblitzte. Aufgrund des rostroten Fells hätte man es tatsächlich für ein Reh halten können, wäre nicht die deutlich menschliche Gestalt auf dem Rücken des Tiers gewesen. Kontrastreich zur Farbe des Pferdes, das in den Bergen von den Goronen gefangen genommen und von Leo befreit worden war, war sein Reiter in intensives Grün gekleidet.
Begierig riss der Hylianische Ritter die Augen auf, ballte entschlossen die freie Hand zur Faust. „Das ist er!“ Er sah zu Balaen hinüber, der Link ebenfalls nachblickte. „Du hattest eine Aufgabe, Falkenauge, und der Knirps musste sie für dich übernehmen!“
Balaen ignorierte die gehässige Bemerkung, verlagerte das Gewicht und ließ Karmin so aus der Kreisbewegung ausbrechen. Mittels eines Tornadohiebs gewann er Abstand zu den Papageien. Nachdem er seinen Flug wieder stabilisiert hatte, spähte sein Reiter eine geeignete Stelle zur Landung aus, wo die Bäume weniger dicht standen und die Link, hielte er seinen Kurs bei, ebenfalls in kurzer Zeit erreichen würde. Zur Sicherheit zurrte Balaen das Gepäck fester, band sich anschließend den Schal ab. Karmin ging in leichte Schräglage, und der Ritter aus den Wolken sprang ab. Den Paraschal fest an beiden Enden gepackt, riss er die Arme hoch, bremste den freien Fall ab und kam sicher auf beiden Beinen ganz am Rande der Lichtung auf. Rasch wickelte er sich den Schal wieder um den Hals, drehte sich in die Richtung, aus der Link voraussichtlich gleich erscheinen würde.
Jetzt ließen sich auch Virri und Leo von ihren Papageien beidseitig des ältesten Helden absetzen. Wieder zog Balaen die Augenbrauen zusammen, rüstete aber Schwert und Schild aus und nahm Kampfposition ein. „Tut nichts Unüberlegtes!“, warnte er die jüngeren Krieger.
Auch Leo zückte seine Waffe, jedoch wesentlich lässiger als der andere Ritter. Breit grinsend, entgegnete er ohne jeden angebrachten Ernst: „Ich und unüberlegt? Wie kommst du drauf.“
Virri schluckte nur konzentriert, nahm schweigend den Heroenbogen zur Hand und legte vorsorglich einen Pfeil auf die Sehne.

Bereits von Weitem war das rhythmische Donnern der Hufe durch das Unterholz zu hören – da tauchte auch schon die Auslöserin auf der anderen Seite der Lichtung unter den Bäumen auf. Es war nicht festzustellen, ob ihr Reiter die drei anderen Helden vom Himmel hatte herabkommen sehen, jedoch schien Link kein bisschen überrascht zu sein, ihnen ausgerechnet hier wieder zu begegnen. Er machte keine Anstalten, sein Pferd zu bremsen, im Gegenteil gab er ihm die Sporen, sodass es in Galopp verfiel. Augenblicklich trieb er die Stute zu noch mehr Schnelligkeit an – er wollte mitten durch das Heldentrio hindurchreiten!
Kurz, bevor er sie erreichte, schoss Virri seinen Pfeil ab. Überraschend duckte sich Link über den Nacken seines Reittiers, und das Geschoss zischte haarscharf über ihn hinweg. Schon waren Pferd und Reiter heran; um nicht überrannt zu werden, warfen sich Balaen und Leo zur Seite. „Greifensprung!“, kam es hingegen von Virri, als er sich in die Höhe katapultierte. Gleichzeitig gab er einen weiteren Schuss ab, den Link gekonnt mit dem urplötzlich vom Rücken gerissenen Schild abwehrte. Sowie der abtrünnige Held unter dem kleinen Krieger hindurchritt, stieß dieser wie ein Greifvogel hinab, saß hinter dem Reiter auf dem Pferd auf. Mit den Beinen klammerte er sich am Oberkörper des älteren Grüngewandeten fest, legte ihm einen Arm um den Hals. Verbissen setzte sich Link gegen den Griff zur Wehr, kämpfte dabei erbittert um Halt auf dem Pferderücken. Endlich blieb die Fuchsstute stehen, bäumte sich wiehernd auf und trat um sich, sodass Leo und Balaen keine Chance hatten, ihrem jüngeren Mitstreiter zu Hilfe zu eilen.
Doch der kam erstaunlich gut allein zurecht: Bevor Link ihn abschütteln konnte, zog Virri mit der freien rechten Hand das Schwert der Vier an seiner Hüfte. Die unvorhergesehen vervierfachte Masse des kleinen Kriegers riss Link schließlich vom Pferd. Sofort ging dieses auf Abstand, um ihn nicht zu verletzen, während es weiter austrat. Link war noch gar nicht ganz auf dem Boden aufgekommen, als er schon aufsprang und den Schild vor sich hielt. Für die aus dem Nichts erschienenen Klone hatte er nur ein verwundertes Stirnrunzeln übrig.
Derweil mussten die Ritter den wirbelnden Hufen der Fuchsstute ausweichen, wobei der jüngere von ihnen unbeabsichtigt von ihrer Zielperson fortrückte. Der Held aus den Wolken jedoch griff Link von der Seite an, was dieser mit einer blitzschnellen Bewegung seines Schildes abfing, der mit der blau-roten Lackierung dem des Auserwählten Hylias, wenngleich kleiner, so ähnlich sah. Augenblicklich wirbelte Link herum, stieß Virri und einen Klon ebenfalls mit dem Schild von sich, wandte sich sofort wieder Balaen zu. Bevor der Vogelreiter das auch nur registrierte, rammte ihm sein Gegner die geschärfte Schildkante von unten gegen das Kinn, wo Kettenhemd und Paraschal keinen Schutz boten. Der Schlag riss dem Ritter den Kopf schmerzhaft in den Nacken und warf ihn von den Füßen. Das Schwert gezückt, setzte Link ihm nach, doch Virris beide bislang unbeteiligte Abbilder stellten sich ihm in den Weg, parierten seinen Streich mit einer Kreuzklinge, die das Original der Gewohnheit wegen zeitgleich verlautbarte. Durch die Augen der vor Link stehenden Klone bestaunte der Schmiedelehrling das mit goldenen Rauten verzierte Kurzschwert, aus den eigenen die dazugehörige Scheide auf dem Rücken des feindlichen Helden. Schnell befreite er sich aber von dieser Starre, verwickelte Link in einen Nahkampf Vier gegen Einen und trieb ihn von Balaen fort.
Der war jedoch nur für einen kurzen Moment in Sicherheit – denn das Pferd eilte herbei, als wolle es seinem Reiter helfen, und der Ritter aus den Wolken hatte das Pech, dass er auf dem Weg lag. Panisch schob Balaen Schwert und Schild zurück und richtete sich auf. Das stolze Tier blieb vor ihm stehen, stieg auf, wie um die Vorderhufen auf ihn herniedergehen zu lassen. Reflexhaft riss der Ritter die Arme über den Kopf. Doch die Stute hob sich für ein simples Niedertrampeln zu hoch auf die Hinterläufe – Leo war ihr von hinten überraschend auf den Rücken gesprungen, was sie aus dem Konzept gebracht hatte. Unvermittelt setzte sie aus dem Stand mit einem sowohl kräftigen als auch grazilen Sprung über Balaen hinweg und hatte erst danach wieder alle Viere auf dem Grund. Sie gebärdete sich mit zornigem Wiehern, versuchte vergeblich, den fremden Reiter abzuwerfen, der an ihrer cremefarbenen Mähne wie an Zügeln zerrte. Leo stieß dem Pferd die Hacken in die Flanken und ein lautes „Hya!“ aus, und es verließ mit einem aufgebrachten Schrei den Kampfplatz.
„Epona!“, rief Link ihr erschrocken hinterher, doch die Fuchsstute, außer sich vor Wut und Schmerz, hielt nicht an.

Kleinere Tiere ergriffen vor dem Poltern der Hufe die Flucht, und aus einer Baumkrone stieg ein Schwarm Vögel auf, als das Pferd vorbeiraste. Immer wieder blieb es abrupt stehen, wirbelte herum und trat aus. Kaum schaffte es Leo, sich auf dem kräftigen Rücken zu halten, geschweige denn, das störrische Schlachtross unter seine Kontrolle zu bekommen. Aus welchem Grund auch immer hatte Link seinem Pferd keine Zügel angelegt, so musste sein kurzfristig ungebeten eingesprungener Vertreter es weiter an den Haaren ziehen.
Das behagte dem Tierfreund fast ebenso wenig wie der Stute selbst. Also hievte er sich weiter nach vorn, bis er gewissermaßen auf ihrem Nacken lag, verschränkte die Hände über ihrem Nasenknochen. Das Pferd warf unwillig den Kopf herum und entriss sich ihm sogleich wieder. „Halt doch endlich still!“, knurrte Leo. Natürlich wurde seinem Befehl keine Folge geleistet, und nur mithilfe der Krafthandschuhe gelang es ihm, den Pferdekopf herab und an den Hals zu pressen. Unablässig schüttelte sich das Tier, jedoch mehr aus Trotz denn wirklich aus dem Glauben, noch obsiegen zu können.
Allmählich beruhigte es sich, wurde immer langsamer und blieb schließlich geschlagen stehen. Sein Bezwinger lobte zufrieden: „Na bitte, geht doch!“ Eine Hand noch immer auf dem Schädel belassend, nestelte er mit der anderen das Seil vom Gürtel, das eigentlich für Link bestimmt gewesen war. Nun schlang Leo es dem Pferd um die Schnauze, band darunter einen festen Knoten, wickelte es locker hinter die Ohren und um den Hals. So bastelte er sich einen Ersatz für das nicht vorhandene Zaumzeug.
Wachsam ließ sich der Ritter zurücksinken, bis er wieder sicher auf dem Pferderücken saß, und hielt dabei das Seil wie einen Zügel. Er beschaute sich die Fuchsstute genauer. Ebenso, wie sie ursprünglich kein Zaumzeug getragen hatte, fehlte auch ein Sattel; Link hatte ihr lediglich eine grob gewebte Decke übergeworfen. Auf der Kruppe lag ein Beutel, der mittels eines Riemens um den Bauch vor die Hinterläufe geschnallt war und aller Wahrscheinlichkeit nach Links Habseligkeiten enthielt. Seit ihrer ersten Begegnung mit dem Heldentrio hatte die Stute etwas mehr Fleisch auf den Rippen. Die von der Goronen-Kette wundgescheuerten Stellen an Hals und Nacken waren verheilt, das rostrote, glänzende Fell wuchs bereits nach. Der abtrünnige Held mochte ein Mörder sein, und von der zivilisierten Reitkunst hielt er anscheinend nicht viel, doch zumindest kümmerte er sich um sein Pferd, wie es einem solch edlen Tier gebührte.
„So, du heißt also Epona?“, fragte Leo beiläufig. „Ein hübscher Name.“
Die Stute, die mürrisch den Kopf gesenkt hatte, hob ihn nun und drehte die Ohren interessiert zu ihrem leidigen Reiter. Sofort legte sie sie wieder abweisend an, schnaubte und schüttelte den Kopf, als sei sie empört über ihre eigene Reaktion. Sanft klopfte Leo die Fersen gegen ihre Flanken, und sie verfiel in einen dumpfen Schritt. Indem der Hylianische Ritter einseitig an den improvisierten Zügeln zupfte, gab er ihr eine Richtung vor, in die Epona gehorsam einlenkte.
Begeistert stellte Leo fest: „Und anständig zugeritten bist du auch! Hätte ich gar nicht gedacht.“ Er ließ sie zu einem schlanken Baum traben, saß ab und führte sie an dem Seil noch ein wenig näher, schlang es um den Stamm, um die Stute anzubinden – und beging dabei den fatalen Fehler, ihr den Rücken zuzukehren.
Zuerst hörte der Ritter nur einen aufstampfenden Huf hinter sich und einen tiefen, schnarrenden Laut, den Epona aus ihren Nüstern heiß in seinen Nacken blies. Ehe er es sich versah, hatte sie ihn mit dem Gebiss am Kragen gepackt und schleuderte ihn zu Boden. Sodann galoppierte sie davon, während Leo noch damit beschäftigt war, sich aufzurichten. Kaum, dass er schwungvoll wieder auf den Beinen war, aktivierte er die Pegasusstiefel, flitzte sofort dem flüchtigen Pferd hinterher. Schnell hatte er es ein- und fast überholt, langte im Vorbeirennen nach dem gefälschten Zaumzeug, schwang sich daran herum vor die Stute, ergriff es auch mit der anderen Hand, stemmte die Füße in die weiche Walderde und bremste das Tier schlitternd aus. Störrisch wie eh und je warf Epona den Kopf herum, um sich ihm zu entreißen, doch Leo war stärker.
Er rang die Stute nieder, bis sie auf der Seite lag, und zerriss die Schlinge um ihre Schnauze mit einem knappen Ruck. Ein Vorderlauf schlug nach dem Ritter aus, den er mit einer Hand abfing. So packte er auch den anderen, führte beide zusammen und verknotete sie oberhalb der Hufe mit dem verstümmelten Seil. Als das mit viel Mühe vollbracht war, stand Leo auf und trat von dem Pferd weg, um wieder zu Atem zu kommen. „Das ist der Dank dafür …“, keuchte er abgehackt, „dass ich dich … in den Bergen befreit habe?“ Tatsächlich war die Fuchsstute im Gebirge bei weitem nicht so wehrhaft gewesen, was nicht nur an ihrer damaligen körperlichen Schwäche gelegen hatte. Sie war auch klug genug, um verstanden zu haben, dass der Tierfreund ihr hatte helfen wollen. Mürrisch stellte er jetzt fest, dass er im Gerangel mit ihr seinen Grashalm verloren hatte. Nichtsdestoweniger besorgt vergewisserte er sich, dass er sie bei dieser Aktion eben nicht verletzt hatte. Die Reitdecke war ihr vom Rücken gerutscht, aber ansonsten schien ihr nichts passiert zu sein. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung trat Epona ohne jede Behinderung – von den Fesseln abgesehen – um sich, rollte wütend mit den Augen und schnappte fruchtlos nach dem Ritter.
Zweifellos war sie ein großartiges Tier, ihrem Reiter absolut loyal, stark, temperamentvoll und wunderschön – ein Ross, wie es nur eines in königlichem Namen erkorenen Hylianischen Ritters würdig war. Leo musste sich eingestehen, dass er einen gewissen Neid auf Link verspürte.
„Du hast gut gekämpft, aber jetzt hältst du besser still“, riet er ihr, straffte sich und zog das Schwert.

Gleich, nachdem Leo mit Epona von dannen geritten war und Link ihr nachgerufen hatte, wandte Virri gegen ihn den Vierschwertstreich an, den er wie immer lauthals verkündete. Obwohl scheinbar abgelenkt von der Flucht seines Pferdes, richtete Link seine Aufmerksamkeit ohne Verzögerung wieder auf die kleinen Krieger. Dem fliegenden Original, das im Zuge seines Angriffes von oben eine Sturzattacke ausführte, entging der abtrünnige Held mit einer Rückwärtsrolle. Damit sprang er auch über den violetten Klon hinweg, der sich ihm von hinten näherte, kickte dabei Virri selbst aus seiner Flugbahn. Im Landen spießte er das Abbild auf, das daraufhin in violette Funken zerstob, stürzte sich sofort auf die anderen beiden, die seinen Hieb mit der Schildkante gerade noch rechtzeitig mit einer Kreuzklinge abfingen.
Den Schild auf die Waffen seines vervielfachten Gegners gedrückt, holte Link mit der eigenen aus, um zuzustechen – und wurde jäh daran gehindert, als sich ein roter Riemen, geführt von einer hellblau leuchtenden Kugel, um sein Handgelenk wickelte. Ruckartig zog Balaen an der Peitsche, riss Link zu sich heran. Der Ritter packte ihn am Schwertarm und, nachdem er die Peitsche weggesteckt hatte, auch am anderen, zerrte ihn noch weiter zurück. Unnachgiebig kämpfte er darum, Link beide Arme auf den Rücken zu drehen, scheiterte aber an dessen Gegenwehr. Immerhin gelang es Balaen, seinem Gegner das Kurzschwert zu entwinden, das daraufhin klimpernd zu Boden fiel. Der Entwaffnete verzog verärgert die Miene, hob, gehalten vom Held aus den Wolken, die Beine an und schwang sie nach unten, doch Balaen stemmte sich dagegen und ließ sich nicht aus dem Stand bringen.
Angestrengt presste der Ritter hervor: „Fessle ihm die Beine!“
Sofort schnappte sich Virri, dem er die Anweisung erteilt hatte, das Seil von seinem Gürtel, sammelte sich und machte sich und seine Klone sogleich daran, Folge zu leisten. Link kickte einen von ihnen von sich, bot den anderen aber so Gelegenheit, das Seil um sein Fußgelenk zu winden. Während Virri damit beschäftigt war, schaffte es Balaens Gefangener zu seiner Überraschung, den linken Arm loszureißen – und ihm den Ellbogen mitten ins Gesicht zu rammen. Wankend vor Benommenheit wäre der Ritter nach hinten gekippt, hätte ihn Link nicht nun seinerseits am rechten Arm festgehalten. Mit der freigemachten Linken griff er hinter sich, packte Balaen an der Tunika, beugte leicht die Knie und hievte ihn mit einem Überwurf vor sich. Das wiederum zwang Virri dazu, von seiner Tätigkeit abzulassen, um nicht unter seinem Mitstreiter begraben zu werden.
Wie seine Jäger führte auch Link am Gürtel weitere Ausrüstung, unter anderem einen Fanghaken an einer auf einer Spule aufgewickelten, durch eine Spannfeder ausfahrbaren Kette. Kurz wartete Link, dass Balaen wieder auf die Beine kam, rüstete dann den Haken aus, duckte sich tief, versetzte seinem Gegenüber mit ganzem Körpereinatz einen Stoß, schubste Balaen und die kleinen Krieger hinter ihm dichter an einen nahen Baum heran. Den Rückstoß wandelte Link in eine Rückflugrolle um, ging so auf Abstand. Aus diesem Manöver noch gar nicht ganz gelandet, hob er den Fanghaken, schoss ihn knapp an jenem Baum vorbei in den Stamm eines anderen, etwas weiter entfernten. Sowie der Haken traf und sich in die Borke fraß, zog sich die Kette durch den Mechanismus in der Haltevorrichtung ein. Link baute den Schwung, mit dem er vorgerissen wurde, in eine Kreisbewegung um seine Gegner aus, wickelte die Kette um sie und den ersten Baum. Auf dessen Rückseite angekommen, flankte er elegant über die Kette zwischen beiden Stämmen, koppelte den Griff des Fanghakens daran fest.
Überrascht schnappte Balaen nach Luft, als er sich plötzlich an das Gewächs gefesselt wiederfand. Gemächlichen Schrittes trat Link um dieses herum, stellte sich vor seinen gefangenen Gegner und funkelte ihn zornerfüllt an. Mit der Kette auf Bauchhöhe waren dem Ritter wortwörtlich die Hände gebunden, als der feindliche Held mit dem Schild ausholte. Von dem vorigen Treffer mit dessen ungewöhnlich scharfen Kante unterm Kinn hatte Balaen bereits einen blutigen Striemen am Hals davongetragen. Reflexhaft zuckte er jetzt zusammen und kniff die Augen zu, als Link den Schild vorriss – jedoch kurzfristig in eine andere Richtung, als zunächst von ihm geplant und von Balaen befürchtet. Mit hellem, metallischem Klang sprang etwas davon ab und landete zu der Helden Füßen: Ein Pfeil.
Virri war nicht mit Balaen und den Klonen an den Stamm gefesselt worden, weil er mittels eines Greifensprungs entkommen war. Nun nahm er Link unter Beschuss, zwang ihn so, hinter dem roten Eulenwappen Deckung zu suchen und sich rückwärtsgehend vom Baum zu entfernen. Im Versuch, sich zu befreien, warf sich Balaen gegen die Kette, erbrachte jedoch nur das Ergebnis, dass sie weiter auf ihrer Spule aufgewickelt wurde, aber nicht wieder herausglitt. Als Link weit genug weg war, kam Virri zu ihm, und Balaen wies ihn an: „Versuche, die Kette wieder auszufahren.“
Der kleine Krieger nickte stumm, eilte um den Baum und beäugte das messingbeschlagene Schutzgehäuse nach dem Mechanismus, den Link zuvor benutzt haben musste, um den Fanghaken überhaupt erst abzuschießen. Doch die komplexe Konstruktion war für den Lehrling und Enkel eines reinen Schwertschmieds nicht zu durchschauen. „Ich kann nichts finden“, teilte er Balaen mit, der zur Antwort nur ein Keuchen hervorbrachte, als ein weiteres Kettenglied eingezogen wurde und ihm noch mehr Platz zum Atmen nahm. Da kam Virri eine Idee, er sprang um den Baum, hob das Seil auf und flitzte zum Fanghaken zurück. Er zog eine Schlaufe durch das Glied, das schon fast im Gehäuse verschwand, und knotete sie fest, damit die Kette zumindest nicht noch kürzer wurde.
Obwohl er auf der rückwärtigen Seite des Baumstamms stand, sah Virri über einen der gefesselten Doppelgänger nun Link wieder herbeikommen. Der abtrünnige Held hatte sich das Kurzschwert zurückbeschafft und gedachte nun offenbar, die Angelegenheit zu beenden. Schnell hoppste Virri vor die Angeketteten, stellte sich allein dem Krieger entgegen, der seinen stärksten Angriff mit nur einem Sprung abgewehrt und dabei auch noch einen seiner Klone getötet hatte. Der kleine Held schluckte und zog das Schwert der Vier, das neben der Scheide unter seinem Gürtel stak. Die Spitze mit der Hinterhand ergriffen, hob er es in schützender Geste vor sich. Das Zittern in seiner Stimme konnte er nicht ganz unterdrücken, als er Link trotzig entgegenwarf: „Bleib weg!“

Und tatsächlich hielt Link an, doch wohl weniger Virris Forderung wegen: Durch den Wald tönte jetzt ein undefinierbares, langgezogenes Geräusch, das rasch lauter wurde und sich zu einem wortlosen Schrei steigerte. Plötzlich brach Leo pegasusschnell durch das Unterholz, die Schwertspitze vorgestreckt. Die zwischen den Bäumen gespannte Fanghakenkette gewahrte er zu spät und rannte in vollem Lauf dagegen. Der Haken löste sich aus dem Holz, seine Kette schleuderte herum wie eine eiserne Peitsche. Link entkam ihr durch eine Rückflugrolle, Virri mit einem Greifensprung in den Baum. Dem wehrlos gefesselten Balaen hingegen schlug sie schmerzhaft in den Bauch, band ihn sogar noch fester an den Stamm. Auch Virris übrige Klone gerieten durch den erhöhten Druck zunehmend in Gefahr, sich wie ihr violett gekleidetes Gegenstück aufzulösen.
Wegen des unerwarteten Hindernisses gestürzt, rappelte sich Leo wieder auf. „Hast du das mit Absicht gemacht?!“, fuhr er Link an und stampfte wütend mit dem Fuß auf. „Hättest mal lieber deinem miesen Gaul Manieren beigebracht!“
Links Oberlippe zuckte leicht nach oben, doch er erwiderte nichts. Stattdessen hob er Schild und Schwert.
Freudlos und spöttisch lachte Leo auf. „Oh, bitte, ist das dein Ernst?“
Sein Gegenüber griff an, doch der Hylianische Ritter schlug ihm mühelos die Waffe aus der Hand, schwang die eigene sogleich noch einmal wie eine Keule gegen das Eulenwappen und warf Link damit quer über die Lichtung dem Kurzschwert hinterher. Noch in der Luft wurde die Gestalt zu einem fliegenden, die Form verändernden Schatten. Dessen ungeachtet, wollte Leo ihm sofort nachsetzen, doch Balaen rief ihn zurück.
So unbeweglich die Arme des Gefesselten auch waren, konnte er zumindest mit dem Finger auf den Tauschhaken deuten, den sein Mitstreiter am Gürtel trug. „Tausch mit mir und zerreiß die Kette von innen.“
„Viel zu umständlich!“, schnaubte Leo abfällig und schob das Schwert ein. Bevor er in die Fanghakenkette greifen konnte, um sie mit der Kraft seiner Handschuhe zu sprengen, hörte er jedoch ein Knurren hinter sich. Abrupt hielt er inne und drehte langsam den Blick über die Schulter: Dort stand der goldene Wolf, Leos persönlicher Albtraum aus der Berghöhle. Das Nackenfell gesträubt, in Lauerstellung gekauert, hatte er das schreckliche Raubtiergebiss eindrucksvoll gebleckt.
„Leo, tausch mit mir!“, wiederholte Balaen seinen Befehl, diesmal dringlicher, weil er bereits während Links Verwandlungsphase befürchtet hatte, was nun unweigerlich folgte.
Denn der jüngere Ritter nahm ihn nicht mehr war. Zitternd wich er fort vor dem Helden in Wolfsgestalt, der bedrohlich langsam näher kam – und plötzlich absprang. Augenblicklich wirbelte Leo herum und rannte davon, vergaß vor Panik sogar, die beschleunigende Wirkung seines Schuhwerks zu gebrauchen.
„Verdammt!“, fluchte Balaen vor Frust und warf sich erfolglos gegen die Ketten.
Vor ihm glitt nun Virri mit greifenhafter Leichtigkeit aus der Baumkrone herab. Das Schwert der Vier, nun wieder unter den Gürtel geschoben, hatte er durch den Heroenbogen ausgetauscht und bereits einen Pfeil auf die Bogensehne gelegt. Noch bevor er aufkam, schoss er aus nächster Nähe seinem blauen Klon mitten in die Stirn. Der Kopf ruckte zurück, wurde von dem Projektil an den Baumstamm festgenagelt. Mit entsetztensweiten Augen sah Balaen für einen grausam langen Sekundenbruchteil mit an, wie die ins Leere gerichteten Pupillen winzig klein wurden, und das Abbild des Jungen in einem Schwarm blauer Funken aufging. Sein Verschwinden lockerte die Kette ausreichend, dass der andere Klon sich darunter rausschälen konnte. Das am Gehäuse verknotete Seil blockierte die Spule, sodass auch Balaen Gelegenheit hatte, sich zu befreien. Jetzt ohne Halt, rasselte die Kette zu Boden.
Der Held aus den Wolken starrte Virri an, der sich die stechende Stirn rieb. „Du hast gerade …“, brachte er fassungslos hervor, verschluckte sich aber an jedem weiteren Wort.
„Ja, musste sein“, meinte der Träger des Schwerts der Vier verstörend unbekümmert und verstaute den Bogen wieder im Köcher. Er und sein letzter Klon eilten, die Schwerter gezückt, ihrem Mitstreiter in Not zu Hilfe. Der rang, auf dem Rücken liegend, mit dem goldenen Wolf, der über ihm stand und sich knurrend in seinen Arm verbissen hatte. Virri schickte seinen Klon aus, das Raubtier mit einer Vorwärtsrolle wegzustoßen. Doch dieses sprang bereits vorher von dem Hylianischen Ritter weg, wich den Schwerthieben der kleinen Krieger in Grün und Rot geschickt aus.
Balaen, aus seiner Schockstarre gelöst, kam hinzu und fing Link ein, indem er ihm die Peitsche um den Hals schlang. Knurrend warf sich der Wolfskopf so heftig herum, dass Balaen den Peitschenstock mit beiden Händen festhalten musste, damit er ihm nicht entrissen wurde. Obwohl wie ein Hund angeleint, blieb dem abtrünnigen Helden wenn schon nicht nach hinten, so doch zu den Seiten genügend Spielraum, dem Schwert der Vier und seiner verbliebenen Kopie weiter zu entgehen. Schließlich hüpfte der originale Greifenkrieger allein um ihn herum, entfernte den Klon von sich.
„Große Wirbelattacke!“, rief Virri kurz darauf und steuerte sein rotes, kreiselndes Abbild wieder auf den gefesselten Wolf zu. Diesmal traf die weiße Klinge, schlitzte das goldene Fell längs der Flanke auf. Link jaulte vor Schmerz, sprang unvermittelt vor, rammte Balaen und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Endlich bekam das Raubtier den Kopf frei und zog sich eilig zurück.
Sofort stellten sich Virri und sein Klon schützend vor Leo, der noch nicht aufgestanden, nur rückwärts vor dem Wolf davongekrochen war. Auch Balaen gesellte sich zu ihnen, steckte die Peitsche zurück und kniete neben seinem zitternden Mitstreiter nieder. „Alles in Ordnung?“
Patzig schnauzte Leo: „Sehe ich etwa so aus?!“ Sein rechter Ärmel war durchgebissen, rasch anwachsende Blutflecke bildeten sich darin.
Mittlerweile hatte sich Link zurückverwandelt. Den Oberkörper leicht vorgebeugt, presste er die Hand auf die Schnittwunde an seiner Seite. Wütend bleckte er die Zähne. „Ihr seid hartnäckig“, knurrte er, und es war das erste Mal, dass er das Wort an seine Jäger richtete. Obwohl er jetzt als Mensch den Schild auf dem Rücken trug und das Schwert wieder aufgreifen konnte, tat er beides nicht. Stattdessen begann er, befremdlich anmutende Handgesten zu vollführen, fast so, als wolle er hier und jetzt Geister heraufbeschwören.
Während Virri und Balaen noch von dem in der Aufregung des Gefechts unpassenden Ritual verwirrt zusahen, erkannte Leo das Glühen des Triforce-Mals auf seinem linken Handrücken und deutete es richtig. Erschrocken warnte er seine Mitstreiter: „Er setzt Magie sein!“
Doch da stieß Link schon die linke Hand flach auf den Boden, und gleißende Flammen breiteten sich kreisförmig von der Einschlagstelle aus. Sie setzten vermodernde Pflanzenreste in Brand und bildeten so einen schützenden Ring aus Feuer um ihren Schöpfer. Der Zauber traf Virri und seinen Klon, die ihm am nächsten waren, zwar nicht, doch sie mussten vor der flimmernden Hitze zurückweichen.
Gehetzt insistierte Balaen: „Wir müssen etwas tun! Wenn er eine Fee hat, kann er sich da drinnen heilen.“
Mürrisch zischte Leo: „Ich stutze jeder Fee die Flügel, die diesem miesen …“ Er verstummte, als Balaen an ihm vorbeilief – gezielt und ungebremst auf die Feuerwand zu. „Spinnst du?! Was hast du vor?“, rief Leo dem älteren Ritter entsetzt hinterher.

Innerhalb seines lodernden Schutzkreises entkorkte Link tatsächlich eine Flasche, in der sich jedoch keine Fee befand, sondern lediglich heilendes Rotes Elixier. Gerade war er dabei, es zu trinken, als ihm die Flasche urplötzlich aus der Hand geschlagen wurde. Sie fiel zu Boden, ihr Inhalt ergoss sich über die verbrannte Erde und versickerte nutzlos darin. Link hob den Blick; vor ihm schritt Balaen, die Peitsche in der Rechten, durch die Flammen, die an seiner Kleidung und Haut entlangzüngelten, ohne ihn auch nur anzusengen. Seine glutroten Ohrringe glommen vor schützender, göttlicher Macht und wetteiferten mit dem Feuerschein.
Zwar hob Link die Augenbrauen, sagte aber in unbeeindruckter, geradezu entnervter Langeweile: „Sehr hartnäckig.“ Er führte die Hand zum Griff seines Kurzschwerts, beließ es aber noch in der Scheide.
Gelassener, als er eigentlich war, erwiderte Balaen: „Du ebenfalls.“
Überraschend wirbelte Link herum und zog blank. Der Ritter aus den Wolken hatte es nur den eigenen blitzschnellen Schutzreflexen zu verdanken, dass die kraftvoll geführte gegnerische Klinge vom Hylia-Schild absprang. Auch er wechselte nun zum Schwert, blockte einen weiteren Schlag und griff seinerseits an. Link schmetterte seine Waffe zu einer Parade dagegen, wich dann einen Schritt zurück. Sich krümmend, stöhnte er vor Schmerz – seine Tunika war von Virris Schnitt zwar unversehrt geblieben, da er diesen der Wolfsgestalt beigefügt hatte, doch die Wunde hatte Link auch als Mensch. Sie blutete stark und färbte den grünen Stoff dunkel.
Balaen nutzte die Lähmung seines Gegners, indem er ihn mit einer Schildattacke aus der Balance brachte. Für einen Augenblick war Link ohne Deckung; der Ritter stach zu, doch der abtrünnige Held fand in festen Stand zurück – viel zu plötzlich, als dass das ausgerechnet jetzt bloßer Zufall gewesen sein konnte. Mit einem Sprung zur Seite wich er aus, donnerte den Schwertknauf auf Balaens vorgerecktes rechtes Handgelenkt, woraufhin dieser unwillkürlich die Waffe fallen ließ. Link stellte einen Fuß auf die verlorene Klinge und fegte sie in die Flammen. Obwohl so schwer verletzt, sprang Link vor, band mit einem Schwertstreich Balaens Schild und rüstete den eigenen aus. Dessen geschärfte Kante hieb er dem Ritter ins Gesicht, schlug ihm so Wange und Lippen blutig.
Schwindelnd zog Balaen sich in den Schutz der Feuerwand zurück, gewann die Besinnung wieder und nahm die Peitsche zur Hand. Der nach seinen Füßen vorschnellenden Lichtkugel wich Link mit tänzerischen Schritten aus. Dabei rückte er gefährlich dicht an dem Flammenkreis entlang, ohne sich hineindrängen zu lassen. Aus den schon seit dem Morgen dräuenden Wolken fielen nun die ersten Regentropfen, brachten die glutheiße Barriere zum Zischen und ließen sie allmählich in sich zusammensinken.
Endlich erwischte Balaen Link am Fußgelenk, doch sein kleiner Teilerfolg erwies sich sofort als Falle: Augenblicklich trat der feindliche Held mit dem anderen Fuß vor auf den Riemen der Peitsche, was ihren Besitzer nach vorn riss. Erneut bekam er die Kante von Links Schild ab, diesmal auf den Hinterkopf. Der Peitschenstock rutschte ihm aus der Hand, und Balaen taumelte seitwärts, um nicht zu stürzen, durch das Feuer. So zumindest wieder bewegungsfrei, fischte Link aus einem Lederbeutel an seinem Gürtel ein paar Bomben, schickte sie seinem Gegner hinterher. Kaum, dass sie die ersterbenden Flammen berührten, explodierten sie sofort. Ihre eigene Feuerkraft machte Balaen dank der magischen Ohrringe nichts aus, aber ihre Druckwellen trafen ihn wie unsichtbare Fausthiebe, und der Rauch biss ihm in die Lungen. Nun sah sich der Held aus den Wolken, keuchend um Atem ringend, endgültig dazu gezwungen, sich zurückzuziehen.
Er, Leo, Virri und dessen Klon sammelten sich wieder umeinander.
„Was ging da ab?“, fragte Leo den älteren Ritter. „Hast du ihn erledigt?“
Balaen wischte sich Blut aus dem Gesicht, zischte wegen des scharfen Schmerzes und schüttelte mit finsterer Miene den Kopf.
Der Regen wurde heftiger und wusch den Pulverdampf der Bomben aus der Luft. Dafür stieg nun vom erlöschenden Feuer dichter Qualm auf.
„Jetzt kann er entkommen oder aus dem Hinterhalt angreifen“, theorisierte Balaen.
Gehässig meinte Leo: „Vielleicht hat er es ja endlich geschafft, sich selbst in die Luft zu sprengen.“
„Ich schau nach“, meldete sich Virri zu Wort und schickte sein letztes Abbild aus, dem der Rauch, da es nicht zu atmen brauchte, nichts ausmachte. Die rote Tunika und die Mütze wurden schnell von den aschgrauen Schwaden verschluckt. Die beiden älteren Helden schwiegen angespannt – bis ihr kleiner Mitstreiter verwirrt die Stirn runzelte. „Was …?“, begann er, führte den Satz aber nicht weiter.
„Was ist los?“, hakte Balaen ungeduldig nach.
Hinter den Rauchwolken schimmerte etwas Bläuliches, und ein Schrei ertönte, ausgestoßen wie unter größten physischen Qualen. Es war eindeutig Link.
Leo gab einen erstaunten Pfiff von sich. „Knirps, was machst du da mit ihm?“
Der Junge erwiderte nichts und riss geschockt die Augen auf.
Balaen packte ihn bei den schmalen Schultern, schüttelte ihn leicht und verlangte drängend zu wissen: „Virri, was siehst du?!“
Der kleine Held hob den Blick zu ihm, doch schien er geradewegs durch ihn hindurchzustarren. Mit heiserer Stimme stammelte er: „Ei-ein Dämon!“
Es war das letzte, das er sagte, bevor die Hölle über die drei hereinbrach.

- Farores Donnersturm ist ein Zauber in OoT und erfüllt den Zweck, innerhalb von Tempeln einen Raum festzulegen, an den man sich aus anderen Räumen hinteleportieren kann. Das Aussehen des Kristalls im Kapitel habe ich dem Aussehen des Items entlehnt.
- Die Szene, in der Virri im Fallen einen seiner Klone erschießt, scheint ähnlich des aus dem Fliegen Schießen in Breath of the Wild zu sein, wenn sich die Zeit verlangsamt. Tatsächlich handelt es sich hierbei aber um einen Zufall. Die Szene habe ich (wie den Großteil der Story) geplant, noch bevor ich von den meisten Spielinhalten in BotW gewusst habe.
- Vor gut zwei Jahren habe ich ein Video der Game Theorists geschaut, in dem MatPat diskutiert, welcher Link (also aus welchem Spiel) der stärkste ist. Wie das nun ausgegangen ist und auf welcher Begründung, sei mal so dahingestellt. Was mir jedoch durch den Kopf ging, war die Frage, welches Szenario die Helden denn zusammenführen könnte, um diese Schlussfolgerung auch zu beweisen. Und da wars dann auch schon geschehen: Die erste Idee für Hyrule Symphonia war geboren – und hat mich seitdem nicht mehr losgelassen .___.‘ Fast unablässig habe ich in dieser Zeit an der Story gefeilt (und Die Ballade des Unbesungenen und Das Abenteuer des letzten Helden zwischengeschoben).
Dies ist also meine Antwort auf die Frage des Szenarios =) Doch wird sich MatPats Schlussfolgerung auch bewahrheiten? ;3

Am nächsten Tag wurde im Schlosspersonal noch immer geklatscht und getratscht über die Kämpfe der drei Helden, auch wenn sich die allgemeine Aufregung darüber allmählich zu legen begann. Die wenigen, die noch auf dem Übungsplatz vorbeischauten, mussten schnell einsehen, dass sie kein solches Schauspiel mehr geboten bekommen würden wie am Vortag. Nur geringe Überreste der heroischen Waffenkünste gab es noch zu bestaunen, die es den Palastangestellten nicht wert waren, ihre Aufgaben zu vernachlässigen und sich dafür möglicherweise die Rüge der Arbeitsaufseher einzuhandeln. So verfolgte das Treiben im Schloss alsbald wieder seinen gewohnten Gang, und die einzigen, die auf dem Innenhof verblieben, waren zwei diensthabende Wachsoldaten und die Helden selbst.
Es war später Nachmittag; seit dem Morgen hatten die drei alle Möglichkeiten durchprobiert, doch noch zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen. Leo konnte es nicht auf sich sitzen lassen, nur uneindeutig der beste von ihnen, ja sogar so kläglich in seine Schranken verwiesen worden zu sein. Daher hatte der heißblütige Ritter selbst den unumstößlichen Ausgang ihres Wettstreits für nichtig erklärt, und die drei hatten sich in weiteren Disziplinen des Kampfes geprüft, im Gebrauch unterschiedlichster Waffen gemessen – alles mit demselben Ergebnis: Jeder von ihnen stellte sich in irgendetwas besser oder schlechter an als die beiden anderen. So war nichts davon repräsentativ, um herauszufinden, wer von ihnen am ehesten geeignet war, sich einem anderen Helden zu stellen.
Nun saßen sie beieinander am Rande des Kampfplatzes und sinnierten über einen alternativen Entscheidungsprozess. Als einziger hatte Balaen auf der Bank Platz genommen, stützte sich vornübergebeugt mit dem Arm auf den Knien auf; mit der anderen Hand kraulte er Karmins Schnabelansatz. Der rastlose Wolkenvogel hatte endlich etwas Ruhe gefunden und den Kopf entspannt neben seinen Reiter gelegt. Virri saß auf dem Boden, den Rücken an den seines violettgekleideten Abbilds gelehnt, die Beine ausgestreckt. Noch immer seine Heldenmütze zu tragen verweigernd, beobachtete er den Zug der Wolken am Himmel. Indes vertrieb er sich durch den roten und blauen Doppelgänger die Zeit, indem diese sich gegenseitig einen Spielball zuwarfen, den er irgendwo im Schloss gefunden hatte. Beide hatten sie die Augen geschlossen, und nur durch den violetten Klon observierte Virri sein eigenes Tun. Leo hatte sich in den Schneidersitz begeben; die Rechte auf ein Knie gestemmt, auf das andere den linken Ellbogen und das Gesicht in jene Hand gestützt, knabberte er mit den vorderen Schneidezähnen gedankenverloren an einem Grashalm. Dessen Ähre hüpfte dabei auf und nieder, wachsam beobachtet von zwei dunklen Hasenaugen: Alvio kauerte in der Nähe, überwand Schritt um Schritt seine Angst vor Karmin und die Distanz zu seinem Hüter.
Im Grübeln die Augen geschlossen, mochte Leo ihn heranpirschen gehört haben oder auch nicht; jedenfalls richtete er sich gerade in dem Moment überraschend auf, als Alvio die Nase zu dem begehrten Objekt emporstreckte. Enttäuscht sank der Hase wieder in seine naturgegebene Kauerhaltung und klopfte mit dem Hinterlauf verärgert auf die Erde. Die Arme verschränkt, brummte Leo: „Knirps.“
Entgegen seines Wunsches, nicht so genannt zu werden, horchte der Angerufene auf, ohne das Spiel seiner Klone zu unterbrechen.
„Bist du Ritter?“, wollte Leo von ihm wissen. Als der jüngere verneinte, nickte der andere Grüngewandete und schob den Grashalm in einen Mundwinkel. Eilig hoppelte Alvio auf seine andere Seite. „Wäre ja noch schöner, wenn du mir auch noch den Status als jüngster Ritter abspenstig machen würdest!“ Er breitete die Arme aus und machte dabei unbeabsichtigt einen weiteren Versuch Alvios, den Grashalm zu stibitzen, zunichte. „Dann ist die Sache für mich klar: Als Ausgesandter der Prinzessin kann nur ein Hylianischer Ritter herhalten.“
Auch Balaen meldete sich nun zu Wort: „Ich bin auch ein Ritter.“
Verächtlich schnaubte Leo: „Ja, aber kein königlicher Ritter.“
„Ich sehe da keinen nennenswerten Unterschied“, hielt der Held aus den Wolken dagegen.
Entschieden schüttelte Leo den Kopf und hob belehrend den Finger. „Die Ritterwürde ist die größte Ehre, die man von einem König erhalten kann. Was mich betrifft, führe ich sogar eine lange Familientradition fort.“ Mit wischender Handgeste winkte er ab. „Du hingegen hast irgendeine lausige Schule besucht. Das kann man wohl kaum verlgiechen.“
„Wenn du Link gegenüberstündest, würde es ihm egal sein, wie du zum Ritter geworden oder ob du überhaupt einer bist“, stellte Balaen kühl fest. Sein Blick wanderte zu dem Duellplatz, dessen Sandbelag nach der übermäßigen Benutzung ungehört danach schrie, von Schlossdienern mit Rechen wieder glattgestrichen zu werden. Einige gebrauchte Waffen lagen darauf herum, weil sich die Helden nicht die Muße nahmen, sie selbst aufzuräumen. „Vielleicht wäre es aussagekräftiger, wer die meisten Soldaten innerhalb einer bestimmten Zeit besiegt. Also zumindest, wenn es eher um Schnelligkeit als Kampfgeschickt geht …“
„Du warst es doch, der gestern gesagt hat, dass Soldaten vermöbeln nichts bringt“, wandte Leo ein.
„Das ist doch egal. Irgendwie müssen wir zu einer Entscheidung kommen, sonst sitzen wir ewig hier fest“, knirschte der ältere Ritter und rieb sich die Nasenwurzel. „Auf Zeit haben wir es noch gar nicht versucht. Und eine Sanduhr ist schon hier.“ Er deutete auf den genannten Gegenstand neben der Bank und fügte stutzig hinzu: „Warum eigentlich?“
Ratlos zuckte Leo mit den Schultern. „Also, ich hab sie nicht hergebracht.“
Die Blicke der beiden Ritter richteten sich auf Virri, der sie betont ignorierte.
Bevor noch jemand etwas sagte, lenkte ein Dienstbote die Aufmerksamkeit der drei Helden auf sich. Der Junge, kaum älter als Virri, verneigte sich hastig. „Verzeiht, dass ich störe!“
Leo machte einen gönnerhaften Handwink. „Kein Problem, Kleiner. Wieviele Autogramme möchtest du?“
Verunsichert antwortete der Palastangestellte: „K-keins …“ Er wandte sich an seinen Altersgenossen. „Ich soll dir Nachricht überbringen, dass deine Lieferung eingetroffen ist.“
Aufgeregt sprang Virri auf, und seine Klone ließen den Ball fallen. „Echt? Wo sind sie?“, rief er begeistert.
Der Junge deutete hinter sich. „Gleich hier.“
Durch den Säulengang folgten ihm zwei stämmig gebaute Kollegen, die zusammen an einer schweren, übermannsgroßen, fast kubischen Holzkiste schleppten. Über seine Klone sammelte Virri alle Ausgaben des Schwerts der Vier, die unbenutzt im Boden staken, dirigierte damit die Träger zu sich. „Bringt sie her, bringt sie her!“ Ungeduldig hüpfte er zum entstellten Sandplatz und deutete auf eine scheinbar willkürlich gewählte Stelle. „Genau her!“
Mit erstaunlichem Geschick, ohne gegen etwas zu stoßen, manövrierten die Dienstboten ihre Last zwischen den Pfeilern hindurch und weiter auf den Innenhof den kleinen Kriegern hinterher. Verwundert blickten die älteren Helden ihnen nach.
„Merkwürdig“, kommentierte Balaen. „Was da wohl drin ist?“
Den Kopf schiefgelegt, lauschte Leo auf das geschäftige Rascheln in der Kiste, hervorgerufen von aneinanderreibendem Gefieder, und das Kratzen von winzigen, scharfen Krallen auf Holz. Der Abenteurer verzog die Augenbrauen. „Das sind doch …“
Weil er kurz vor dem Stichwort verstummte, hakte Balaen völlig ahnungslos nach: „Du weißt, was das ist?“
Leos Antwort fiel als finsteres Nicken aus.
Derweil hatten die Träger ihr Ziel erreicht. Virri bedankte sich artig bei allen drei Dienstboten und kramte aus seinen Gürteltaschen jeweils fünf Rubine Trinkgeld. Von diesem geringen Betrag waren die Begünstigten nicht gerade begeistert, weil sie davon ausgegangen waren, dass ein vielgereister Held über eine beeindruckendere Barschaft verfügen musste.
Während sie nichtsdestotrotz klaglos den Innenhof verließen, gesellten sich die beiden Ritter zu dem kleinen Krieger und seinen Abbildern, die sich zu viert damit abmühten, die Kiste auf eine Seitenwand umzukippen. Kurzerhand half Leo ihm dabei; als das Holzbehältnis dumpf auf dem Sand aufkam, gackerte es empört in dessen Inneren. Vor Anstrengung keuchend, bedankte Virri sich fröhlich bei dem Hylianischen Ritter. Leichtfüßig und unterstützt von der Wirkung des Greifenmantels sprang er auf die Kiste.
„Keine Ursache“, erwiderte Leo langsam, während er ihm nachsah, „aber … was wird das hier?“
„Kann mir endlich mal einer sagen, was da drin ist?“, forderte Balaen unwirsch.
Auf der Kiste zog Virri am Riegel ihres Verschlusses, der sich jetzt, da sie auf der Seite lag, oben befand. Der jüngste der Grüngewandeten beantwortete die Fragen der beiden anderen sehr indirekt: „Prinzessin Zelda hat doch gesagt, wir dürften alles haben, was wir brauchen …“
Mit beginnender Ungeduld betonte Balaen: „Ja, aber was ist das?“
Endlich öffnete der kleine Held die simple Schließe, und die gusseisernen Scharniere quietschten, als der Deckel nach unten aufklappte. Wie aus einem platzenden Daunenkissen ergoss sich aus der Kiste ein Schwall weißer Federballen, die sich, froh, der Enge entfliehen zu können, über den Duellplatz verteilten.
„Wusste ich’s doch!“, rief Leo aus. „Hühner!“
Die Tiere blickten mit den ruckartigen Kopfbewegungen ihrer Spezies um sich und begannen, geschäftig in Sand und Gras zu picken. Karmin zog den langen Hals ein und beobachtete sie mit starrer Neugier. Alvio, der genauso groß wie die gut kniehohen Hausvögel war, hoppelte fast schon verspielt zwischen ihnen umher.
Abschätzend sah sich Leo um. „Wozu hast du dir … dreißig Hühner bestellt?“, fragte er Virri.
Der jüngste Held, noch immer oben auf der Holzkiste, korrigierte: „Achtundvierzig. So hab ich gelernt, mit dem Schwert der Vier umzugehen.“ Sein violettes Abbild steuerte er zu der Sanduhr bei der Bank, machte ihn bereit, sie umzudrehen, indem er sie in die Hand nahm. „Jedes Mal, wenn ein Klon dazugekommen ist, habe ich mit zwölf Hühnern mehr geübt.“ Mit greifenhafter Leichtigkeit ließ er sich von der Kiste gleiten und formierte seine Doppelgänger in Rot und Blau um sich. Die drei kleinen Krieger hoben die Schwerter und schlugen jeweils auf eines der weißen Geflügel, deren dichtes Gefieder sie vor Schnittverletzungen bewahrte. Überrascht gurrten die Hühner, flatterten ein Stück weit von ihren Peinigern weg, die ihnen nachsetzten, weiter auf sie einhackten und so über den ganzen Innenhof trieben.
Schon beim ersten Streich war Leo geschockt zusammengezuckt. „Knirps!“ platzte es nun aus ihm. „Bist du durchgeknallt?!“
Nickend stimmte Balaen dem jüngeren Ritter zu. „Ich verstehe auch nicht, warum er wehrlose Tiere quält.“
Kurz und freudlos lachte Leo auf. „Wehrlos? Die sind alles andere als das! Wenn der Knirps so weitermacht, sind wir am …“
Sofort verstummte er, als eines der gepiesackten Hühner ein spitzes Gackern hören ließ und aufgeregter als zuvor herumhüpfte. Zufrieden lächelte Virri, sammelte sich und konzentrierte seine dreifachen Bemühungen allein auf dieses Exemplar.
Völlig außer sich rief Leo: „Knirps, hör auf damit!“ Pegasusschnell flitzte er zu den drei Tierquälern, packte jene in Grün und Blau im Nacken beim Kragen und riss sie von dem Huhn fort.
Hilflos zappelnd protestierte Virri: „He, lass mich runter!“
Beide Hände voll mit kleinen Kriegern und damit zur Machtslosigkeit verdammt, musste der ältere Held zusehen, wie der freie, rotgekleidete Klon weiter auf das Huhn eindrosch. Gehetzt wandte er sich an Balaen. „Halt ihn auf!“
Anders als der Hylianische Ritter die Ruhe selbst fragte dieser: „Warum bist du so aufgebracht? Das ist doch nur ein kleiner Vogel. Was soll schon geschehen?“ Neben ihm gab Karmin ein bestätigendes Zischen von sich.
An seinem Unwissen resignierend ließ Leo seine Gefangenen sinken, und Virri machte sich mit einer behänden Drehung frei.
Die Augen des traktierten Huhns glühten zornig auf, und es stieß ein wütendes Krähen aus, in das seine Artgenossen einstimmten.
„Oh nein“, flüsterte Leo schicksalsergeben.
„Was passiert hier?“, wollte Balaen verwirrt wissen.
Vergnügt verlautbarte Virri: „Hühnerhagel!“
Am Rand des Duelplatzes drehte der violette Klon die Sanduhr herum – und heilloses Chaos brach aus.
Als sei von den Schlossmauern eine ganze Ladung von Virris Spielbällen in den Innenhof gekippt worden, woraufhin diese nun unkontrollierbar darin herumhüpften, flatterten die Hühner auf, schossen durcheinander in die Luft oder über den Boden, in Geschwindigkeiten, die ihren plumpen Körpern gar nicht zuzutrauen waren. Die meisten wirbelten blindwütig durcheinander, stießen alles um, was ihnen im Weg war. Einige aber stürzten sich ganz gezielt auf jedes Lebewesen, das nicht weiß oder gefiedert wie sie war. So waren Alvio und Karmin zwar fein aus dem Schneider, aber dennoch suchten die beiden unabhängig voneinander Deckung in verschiedenen Ecken des Gartens.
Weit weniger Glück als ihren tierischen Partnern war Leo und Balaen gegeben. Die Arme vor den schlagenden Flügeln und spitzen Krallen schützend über den Kopf haltend, flohen die Ritter unter den Säulengang, wo sich wie durch einen Wink des Schicksals noch keine Hühner eingefunden hatten. Hinter jeweils einem eigenen Pfeiler verkrochen, kamen die beiden wieder zu Atem.
„Was passiert hier nur?“, keuchte Balaen und zupfte sich neckisch haftende Daunen von der Tunika.
„Lektion drei für den hochgebildeten, hohlköpfigen Himmelsheld“, blaffte Leo sarkastisch. „Ärgere niemals ein Huhn, sonst wirst du es bitter bereuen. Diese Viehcher sind mieser als Monster! Kapierst du jetzt, warum ich den Knirps aufhalten wollte?“
Bissig gab Balaen zurück: „Schon verstanden … Aber was nun?“ Vorsichtig riskierte er einen Blick in den Garten, in dem die Hühner ihre ganz eigene Inszenierung eines Weltuntergangs vorführten. Dem Vogelreiter war es schleierhaft, warum man so agressive Nutztiere überhaupt kultiviert hatte und offenbar auch weiter züchtete.
„Ganz einfach“, behauptete Leo. „Wir verziehen uns von hier, bis die sich wieder beruhigt haben.“ Die beiden sahen zum Tor, das die Soldaten von innen zugezogen und ihren Wachposten verlassen hatten.
„Was ist, wenn es abgeschlossen ist?“, gab der Held aus den Wolken zu bedenken.
„Kein Problem.“ Leichthin tippte Leo auf die eigene behandschuhte Rechte. Dann würde er die Tür einfach aufbrechen.
Während die Ritter darauf zuliefen, wandte Balaen ein: „Wir müssen Virri da rausholen.“ In dem weißen Durcheinander im Garten war kein Aufblitzen der vier Farben des kleinen Kriegers auszumachen.
Leo hielt nicht inne. „Soll der schauen, wie er klarkommt. Er hat uns diesen Hühnermist doch eingebrockt!“
Nun hatten sie das Tor fast erreicht, als ausgerechnet jetzt ein Huhn im Säulengang genau vor ihnen erschien. Der jüngere der beiden Flüchtigen bremste so scharf, dass der andere nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte, ihn umstieß und seinerseits über ihn stolperte. Mit einer durch seine Krafthandschuhe etwas zu heftig geratenen Bewegung schubste Leo den Ritter aus den Wolken von sich und schmetterte ihn gegen die Wand. Sogleich sprang er auf und wollte in die Richtung fliehen, aus der sie gekommen waren – als er merkte, dass das weiße Tier vor ihnen gar kein Huhn war.
„Alvio!“, stieß Leo aufatmend hervor. „Du bist’s nur …“
Doch seine Erleichterung sollte nicht lange währen: Der große, braun gefleckte Hase hatte nicht begriffen, dass ihn das durchgedrehte Geflügel verschonte, und weiterhin Reißaus davor genommen. Dabei waren ihm zwei der Hausvögel gefolgt und entdeckten nun die beiden fliehenden Helden. Sie überfielen Leo zuerst, da er ihnen am nächsten war, krallten sich in seinem Gewand und Haaren fest und pickten mehrfach auf ihn ein.
Mittlerweile hatte Balaen die leichte Benommenheit durch den Aufprall an der Wand abgeschüttelt, war aufgestanden und ging dem jüngeren Ritter zuhilfe. Damit bewirkte er jedoch nur, dass eines der Hühner seine Wut nun an ihm ausließ. So waren beide Grüngewandeten mit sich selbst beschäftigt und lockten mit ihrer Gegenwehr weiteres Geflügel an. Wie ein Schwarm Bienen, deren Stock zerstört worden war, umschwirrten sie die Helden.
Eines von ihnen war für ein Huhn erstaunlich groß, außerdem nicht nur weiß, sondern zum gleichen Teil auch grün. Anders als seine Artgenossen griff es auch nicht an – zumindest nicht die Menschen. Sich selbst durch stete „Greifensprung!“-Rufe verratend und getragen von seinem Mantel, hüpfte Viri über die älteren Helden hinweg. In konzentrierter Geschäftigkeit schnappte er ein Huhn nach dem anderen. Wenn sich das eine oder andere mal nicht so leicht abpflücken ließ, hebelte er es mit dem Schwert weg, ohne die Hylianer dabei zu verletzen. Wann immer der kleine Krieger auf diese Weisen eines Vogels habhaft wurde, warf er ihn seinem in der Nähe stehenden rotgekleideten Klon zu. Dieser fing das Tier auf, um es gleich an sein blaues Gegenstück weiterzugeben, das noch weiter entfernt vom Säulengang im Innenhof postiert war. Das Ende dieser Kette bildete der violette Doppelgänger, der am Eingang zur Holzkiste stand. Die zu ihm geschleuderten Hühner schmetterte er darin hinein; bewacht von seinem Klon, damit die Geflügellieferung nicht gleich wieder ausbüchste, hatte Virri schon einen Großteil von ihr angesammelt.
Ehe sich die Ritter versahen, hatte der jüngste Grüngewandete sie von ihrer Plage befreit und war in den Garten zurückgekehrt. Ein paar Hühner rannten noch darauf herum, die Virri und seine Klone innerhalb nur weniger Augenblicke ebenfalls einfingen. Als auch der achtundvierzigste Vogel in der Kiste verstaut war, hoben die drei Doppelgänger eilig den Deckel an, stemmten die Rücken dagegen und verhinderten so, dass die Hühner ihn von innen wieder aufdrückten. Zornig gackernd brandete der Schwarm erfolglos dagegen an.
Das Original unter den vier kleinen Kriegern ging zur Sanduhr, hob sie auf und las an ihrer Skala die vergangene Zeit ab. „Sechs Minuten“, verkündete Virri. „Schade, nicht mein Rekord.“ Der unbemützte Haarschopf des kindlichen Helden wirkte unentwirrbar zerzaust; von Kopf bis Fuß war er voller weißer Federn und dazu völlig außer Atem. Dennoch freute er sich ausgelassen über das Ergebnis, das für seine Verhältnisse sogar eher schlecht ausgefallen war.
Da die Luft wieder rein schien, trauten sich auch Balaen und Leo zurück auf den Innenhof. Der jüngere der beiden rief lautstark: „Wahnsinn! Ich hab noch nie gesehen, wie jemand wütende Hühner bändigt! Ich dachte, das sei unmöglich.“
Schulterzuckend meinte der Bezwinger des Federviehs: „Eigentlich ist das gar nicht schwer. Also, zumindest nicht mit meinen Klonen.“ Selbstzufrieden schob er das Schwert der Vier in dessen Scheide, und seine Abbilder mitsamt ihren kopierten Waffen lösten sich auf. Noch im selben Moment erkannte Virri seinen Fehler, riss erschrocken die Augen auf und japste: „Ich hab den Verschluss vergessen!“
Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, klappte der Deckel der Holzkiste, da ihn niemand mehr hielt, wieder auf, und der Hühnerschwarm brach nun doch ungehindert aus. Das Geflügel schrie, nun noch wütender als zuvor, verteilte sich in einer Explosion aus weißen Federn und umherschießenden Leibern über den Innenhof. Das schiere Gewicht der Vögel stürzte das Waffengestell, dessen Inhalt mit metallenem Scheppern zu Boden klimperte.
Panisch gingen die Helden wieder hinter den Säulen in Deckung, und diesmal suchte auch Virri mit den Rittern dort Schutz. „Großartig gemacht, Knirps!“, fuhr Leo den jüngeren an, während hinter ihnen der Garten erneut in einer Apokalypse aus Federn versank. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich auch wie zuvor auf die versteckten Menschen stürzen würde. „Jetzt kannst du sie gleich nochmal einsammeln!“
Bedauernd senkte Virri den Blick. „Ich kann das nicht allein.“
Ungnädig schnauzte Leo zurück: „Dann hol doch deine Mitknirpse wieder!“
„Das … geht nicht, wenn sie einmal weg sind.“
„Und was war gestern?“, wandte Balaen widersprechend ein. „Nach unserem Kampf hast du sie auch erst aufgelöst, aber wieder gerufen, bevor du gegen Leo angetreten bist.“
Etwas gehetzt erklärte der Träger des Schwerts der Vier: „Weil … weil ich dazwischen was gegessen habe. Aber das geht jetzt nicht!“ Verzweifelt blickte er zwischen den beiden älteren Helden hin und her. „Bitte helft mir!“
Während Balaen mit seiner Entscheidung noch zögerte, wandte sich Leo abrupt ab und stakste davon. „Nicht mit mir! Ich mach deinen Hühnermist ganz bestimmt nicht weg!“
„Nein!“ Erschrocken warf sich Virri dem Ritter ans Bein und hielt ihn so auf. „Geh nicht!“, rief er flehentlich.
Fast wäre Leo gestürzt ob des plötzlichen Gewichts, fing sich aber stolpernd. „Lass los, Knirps“, knurrte er nur drohend und entledigte sich des kleinen Helden, indem er ihn im Nacken an der grünen Tunika packte und von seinem Bein löste. Entschieden stellte er Virri wieder auf dessen eigene Füße, und dieser ließ unglücklich den Kopf hängen. „Tut mir ja leid, Knirps“, sagte Leo, wobei sein Tonfall sehr deutlich das Gegenteil verriet, „aber das musst du ohne uns regeln!“ Damit wandte er sich ab und schritt weiter zur Tür.
„Ohne dich vielleicht.“ Überrascht hob Virri den Blick, als Balaen neben ihm die Peitsche zückte und probehalber schnalzen ließ. „Ich werde dir helfen“, versicherte der Held aus den Wolken. Das Gesicht seines kleinen Gegenübers erstrahlte vor erleichterter Freude, und es nickte dankbar. Zu allem entschlossen liefen die beiden unter der Überdachung des Säulengangs zurück auf den Innenhof und warfen sich ins Getümmel der Hühnerfedern.
Sowie Balaen sein Einverständnis, Virri zur Seite zu stehen, geäußert hatte, war Leo verdutzt stehengeblieben und blickte ihnen jetzt vollkommen perplex hinterher. „Seid ihr verrückt geworden?!“, rief er, doch die beiden anderen Grüngewandeten achteten seiner schon gar nicht mehr. Daher wandte sich der Zurückgebliebene an Alvio, der mal wieder bei seinem Hüter Schutz gesucht hatte. „Sie sind völlig verrückt!“ Ungläubig schüttelte er den Kopf, lockerte die Handgelenke und zupfte seine Krafthandschuhe zurecht. „Und ich muss es auch sein …“, fügte er grummelnd zu sich selbst hinzu, zog das Schwert und folgte den anderen Helden. Niemand sollte einem Hylianischen Ritter nachsagen können, er habe einen Hilfsbedürftigen im Stich gelassen!

Nicht mehr einzeln zu viert, sondern nun zu dritt stellten sich die Grüngewandeten dem Sturm, zu dem sich der Hühnerhagel entwickelt hatte. Sofort griff der gesamte Schwarm die drei Helden an, die sich mit Schwertern und Peitsche ihrer bloßen Haut erwehren mussten. Sogleich fing Virri an, die Hühner eines nach dem anderen einzufangen und wieder in der Kiste zu versammeln, während die älteren Helden Schwierigkeiten hatten, dafür überhaupt eine Technik zu finden. Die ruckartig auf und nieder springenden Ziele entgingen der nach ihnen haschenden Kugel von Balaens Peitsche und den schnappenden Händen des zwischen ihnen pegasusschnell herumflitzenden Leo. Erschwerend kam hinzu, dass niemand vor der Kiste stand, sodass einzelne Hausvögel immer wieder einfach herausschlpüften. Als einziger, der mit beiden Aufgabenbereichen bestens vertraut war, übernahm Virri kurzerhand die Wache. Dadurch waren aber die beiden Ritter auf sich alleine gestellt. Nur wenige Hühner bekamen sie überhaupt in die Finger, und das Behältnis füllte sich quälend langsam.
Schließlich trat Balaen, den Hylia-Schild ausgerüstet, neben Virri. „Geh und hilf Leo!“, befahl er dem kleinen Helden. „Ich mach das hier.“ Virri nickte knapp und folgte der Order, und Balaen nahm seinen Platz ein. Während der kurzen Ablöse startete ein Huhn einen Ausbruchversuch, den der Ritter aus den Wolken mit einer Schildattacke vereitelte. Dies versetzte das Tier und seine Kameraden derart in Rage, dass sie zusammen über Balaen herfielen. Jetzt tauschte er die Peitsche gegen das Schwert aus, schlug damit blind vor lauter Federn um sich.
Plötzlich rauschte anstelle vieler kleiner ein besonders riesiger Flügel über ihn hinweg, wischte einige Hühner mit armlangen Schwungfedern in die Kiste zurück. So hatte Balaen die Gelegenheit, sich von den übrigen selbstständig zu befreien. Dankbar blickte er zu Karmin auf, der ihm helfend zur Seite gekommen war. Der rote Wolkenvogel positionierte sich vor der Öffnung und bildete mit halb ausgebreiteten Schwingen eine für die Hühner undurchdringliche Barriere. Sein Reiter überließ ihm seine Aufgabe, um die jüngeren Helden in der ihren zu unterstützen.
Unter das aufgebrachte Gackern und Krähen mischten sich die Rufe der drei, die sich gegenseitig Anweisungen gaben, allen voran Virri, der von ihnen unzweifelhaft die meiste Erfahrung besaß. Lange dauerte es nicht, bis sie alle Hühner eingesammelt hatten; Leo schaffte aus den hintersten Winkeln des Gartens auch noch die letzten Exemplare herbei und warf sie in die Kiste. Sofort tappte Karmin vom am Boden liegenden Deckel herunter, die Helden hoben ihn an und verschlossen das hölzerne Hühnergefängnis. Während die Ritter sich gegen den sehr deutlichen Widerwillen der Vögel stemmten, versäumte es Virri diesmal nicht, auf die Kiste zu springen, den Klappverschluss umzulegen und den Riegel hindurchzuschieben.
Endlich gab der kleine Krieger den anderen Grüngewandeten das Signal, dass alles in Ordnung war. Die beiden lehnten sich mit dem Rücken gegen den Deckel und sanken erschöpft zu Boden, Balaen ein Bein angewinkelt, Leo beide ausgestreckt. Wie auch der jüngste der Helden nach der ersten Runde machten die beiden einen so gerupften Eindruck, als seien sie selbst die Hühner. Etliche kleine Kratzer zogen sich über ihre Gesichter und Arme, Risse durch ihre Kleidung. Regelrecht bedeckt von Staub und weißen Federn, hatte sich nicht einmal Balaen die Mühe gemacht, die Verunreinigung seiner Tunika zu entfernen. Wie durch ein für alle Helden allgemeingültiges Naturgesetzt war während der Schlacht beiden Rittern die Mütze nicht vom Kopf gefallen.
Der Innenhof bot keinen besseren Anblick: Das Gras war völlig niedergetrampelt, der sandgedeckte Duellplatz als solcher schon gar nicht mehr zu erkennen, weil sich sein Belag im ganzen Garten verteilt hatte. Das rote Gefieder gesträubt, stolzierte Karmin um die Holzkiste herum, hielt nach nicht vorhandenen Lücken in den Brettern Ausschau, durch die eines der Hühner vielleicht würde entkommen können. Die weißen Hausvögel gackerten weiterhin aufgebracht in ihrem Gefängnis. Alvio, der das Geschehen vom Säulengang aus beobachtet hatte, nutzte die Gelegenheit von Karmins Unachtsamkeit und eilte zu Leo. Interessiert schnupperte er in dessen Gesicht nach einem Grashalm, doch den hatte sein Hüter schon lange im Hühnerhagel verloren.
Virri segelte von der Holzkiste herunter und ging zur umgestürzten Bank am Rande des Kampfplatzes. Dort hob er die Sanduhr auf, die wie durch ein Wunder bei dem ganzen Tumult nicht umgekippt war, und betrachtete ihren fast durchgelaufenen Inhalt. „Eine halbe Stunde“, verkündete der kleine Krieger.
„Kommt mir eher wie eine ganze vor. Mindestens.“ Leos müder Kommentar war nicht viel mehr als ein erschöpftes Nuscheln.
Befremdet runzelte Balaen die Stirn. „Du hast die Zeit gestoppt?“
Seinem fragenden Blick ausweichend, hob Virri die Schultern. „Ich dachte mir, wenn wir schon den Hühnerhagel machen, können wir doch auch gleich nachschauen, wie schnell wir zusammen sind.“
„Und? Wie haben wir uns geschlagen?“, wollte Leo wissen.
„Eine halbe Stunde ist ziemlich schlecht“, begann der Träger des Schwerts der Vier, doch als er der angesäuerten Miene des Hylianischen Ritters gewahr wurde, ergänzte er diplomatisch: „Aber besser als meine ersten Versuche.“ Bevor Leo dazu noch mehr sagen konnte, fuhr Virri euphorisch fort: „Und das ist auch kein Wunder! Wie Leo durchgezischt ist, um die Hühner auseinander zu treiben! Oder wie Balaen sie mit dem Schild abgewehrt und betäubt und dann mit der Peitsche geschnappt hat! Und wie Karmin sie mit den Flügeln gefangen gehalten hat! So viel Spaß hatte ich beim Hühnerhagel noch nie!“
Sarkastisch hob Leo an: „Ja, das war echt …“
Der Abenteurer verstummte, als er endlich zu dem kleinen Krieger blickte und feststellte, dass dieser soeben die Manöver nachspielte, von denen er so überschwänglich schwärmte: Er rannte so schnell wie möglich hin und her, schlug mit der Breitseite seines Schwerts nach sich selbst, wovon er taumeld umfiel, ergriff den blauen Saum seines weißen Mantels und flatterte damit wie mit Flügeln – und das alles gleichzeitig.
Seine Klone waren wieder da!
Ungehalten polterte Leo: „Wie hast du deine Mitknirpse wieder?“
Erschrocken hielten alle vier inne, und das Original blickte seine Abbilder peinlich berührt an. „Hoppla …“, war alles, was ihm zu Leos sehr berechtigter Frage einfiel.
„Du hast doch gesagt, du müsstest erst was essen, bevor du sie wieder rufen kannst“, klagte der Hylianische Ritter ihn an.
„Und jetzt, da ich darüber nachdenke“, sponn Balaen weiter, „hieß es im Gebirge noch, du müsstest dafür schlafen.“
Leo pflichtete ihm mit einem Nicken bei. „Genau! Was denn nun, Knirps: Schlafen oder essen?“
Unbehaglich druckste Virri vor sich hin, seufzte dann und erklärte bereitwillig: „Wenn alle drei noch da sind, kann ich das Schwert der Vier einstecken und ziehen, sie verschwinden und erscheinen lassen wie ich will. Aber wenn auch nur einer von ihnen irgendwie getötet wird und ich es einstecke, kann ich sie erst dann wieder rufen, wenn ich geschlafen habe. Was essen ist nicht unbedingt nötig. Ich werde nur immer so hungrig, weil die Vervierfachung echt viel Energie braucht.“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, knurrte sein Magen jetzt geräuschvoll. Verlegen kratzte sich Virri an der Nase.
„Also hättest du sie jetzt bei der zweiten Runde auch wieder da haben können, einfach nur, indem du dein Schwert gezogen hättest?“, präzisierte Leo.
Virri nickte.
„Aber das hast du nicht“, stellte Balaen fest. „Du hast ein Leihschwert benutzt.“
Neben ihm riss auch der jüngere Ritter erkennend die Augen auf. Erst jetzt, um ihren Kampf gegen die Hühner nachzuahmen, hatte Virri sein mystisches Schwert wieder gezückt. Zu erschöpft für echten Zorn knirschte Leo: „Warum das Ganze? Wozu hast du uns gebracht, wenn du deine Mitknirpse hättest haben können?“
„Weil er mit uns zusammen gegen die Hühner kämpfen wollte“, antwortete Balaen an Virris Statt. „Deswegen auch das mit dem Deckel vorhin. Das war gar kein Versehen.“
Durchschaut zu werden, wurde Virri sichtbar unangenehm, und er wagte nicht, den von ihm hinters Licht Geführten in die Augen zu blicken. „Ich wollte doch nur schauen, wie gut wir sind, wenn wir zusammenarbeiten …“, rechtfertigte er sich halblaut.
Leo machte eine barsch wegwischende Geste. „Na, jetzt weißt du es. Hast ja selbst gesagt, wie mies eine halbe Stunde ist!“
„Aber doch nur, weil wir am Anfang nicht genau wussten, was wir machen sollen!“, behauptete Virri überzeugt. „Wenn wir es morgen wieder versuchen …“
Unwirsch fiel Leo ihm ins Wort: „Vergiss es! Da kämpfe ich doch viel lieber noch einmal gegen den alten Ganon!“
Betreten blickte Virri zu Boden und wusste darauf nichts mehr zu erwidern.
„Mit einem hast du aber recht.“ Die jüngeren Helden sahen Balaen an, der sich matt die Augen rieb. „Wisst ihr, in meiner Welt bin ich fast nur damit beschäftigt, mir Strategien gegen Monster auszudenken und andere Ritter darin einzuweisen.“ Versonnen ließ er die Hand flach auf den Augen ruhen und erlaubte sich das erste schwache, ehrliche Lächeln seit Monaten. „Ich hatte ganz vergessen, dass Kämpfen auch Spaß machen kann.“
Seine Worte munterten Virri wieder ein bisschen auf, und er lächelte vor bitterer Freude.
„Jetzt klingst du wirklich wie der Knirps“, kommentierte Leo und grinste gehässig. „Vielleicht nenne ich dich ab jetzt auch so.“
Während der älteste Held ihm nur einen mürrischen Seitenblick zuwarf, verteidigte der jüngste sie beide vehement vor Leo: „Nein! Du sollst gar keinen mehr Knirps nennen!“
Die Grimasse des Hylianischen Ritters wurde noch breiter. „Na gut, dann eben nicht Balaen. Aber wie sollte ich einen Kindskopf wie dich sonst ansprechen?“
„Ich hab doch schon gesagt, wie ich heiße“, erinnerte der Träger des Schwerts der Vier. „Viridian! Oder eben Virri, das geht auch.“
„Das passt auch viel besser zu dir, Knirps.“
Beleidigt die Arme verschränkend, schwieg Virri.
Balaen mischte sich ein: „Findest du? Besser, als deiner zu dir passt, Leonidas?“
Augenblicklich verflog Virris schlechte Laune. „Stimmt ja!“, rief er aus. „Du heißt gar nicht so! Wie war nochmal dein echter Name?“
Zur Antwort knirschte Leo nur mit den Zähnen, doch sein älterer Sitznachbar sprang für ihn ein: „Leopold.“
Jetzt kicherte der kleine Held. „Ja, genau!“
Genervt murrte Leo: „Kommt bloß nicht auf die Idee, mich so zu nennen!“
Während Virri nur hinter vorgehaltener Hand prustete, schmunzelte Balaen. „Werden wir nicht“, versicherte der Ritter aus den Wolken, „weil dieser Name viel zu edel für dich ist.“
Leo schnauzte noch: „Was soll das denn heißen?“, als Virri auch schon in helles Gelächter ausbrach.
„Edel? Der klingt total tranig!“
„Was kann ich dafür?“, begehrte Leo auf. „Ich bin nach meinem Großvater benannt.“
Virri platzte amüsiert: „Wohl eher nach deinem Urururgroßvater!“ Weil er jetzt noch losgelöster lachte, hob Leo den Fuß gegen ihn und versetzte ihm einen Schubs, was jedoch nur dazu führte, dass der Junge sich am Boden kugelte vor Lachen.
„Wolltest du dir nicht einen Spitznamen für den Flattermann ausdenken?“, murrte der Hylianische Ritter und deutete mit dem Daumen auf den älteren Helden neben sich.
Die Augen verdrehend, rieb Balaen sich die Nasenwurzel. „Erinnere ihn bloß nicht daran.“
Als könne er nichts dagegen tun, breitete Leo machtlos die Arme aus. „Gleiches Recht für alle! Du sprichst uns doch auch mit unseren Spitznamen an.“
„Im Gegensatz zu euch will ich aber keinen.“
Während des Wortgeplänkels der beiden älteren hatte Virri ununterbrochen weitergelacht; nun hatte er sich so weit wieder eingekriegt, dass er verständlich hervorbrachte: „Ich hab noch keinen, aber werde schon einen finden.“
Balaen stöhnte resignierend.
Eine Weile wechselten die drei Helden kein Wort mehr. In der Zwischenzeit begann der Abend über Schloss Hyrule zu dämmern. Die Wachsoldaten auf den Mauern wechselten die Schicht, und auch das Tor zum Innenhof wurde wieder geöffnet und flankiert. Die Sonne sank so weit, dass der Garten allmählich von Schatten geflutet wurde. Kein Wind wehte, die Luft stand absolut still.
Und in diesen vergehenden Tag webten sich nun die leichten, zarten Töne einer Flöte. Schweigend schlossen die Helden die Augen und lauschten. Ließen sich umfließen und durchdringen von der sanften Melodie, die von der beruhigenden Hoffnung der untergehenden Sonne sprach, auch am nächsten Morgen die Welt mit ihrem Leben spendenden Glanz zu erhellen. Sie resonierte in den drei heroischen Herzen und senkte ihren Puls. Der Zorn der Hühner legte sich endlich, und in der Holzkiste kehrte Ruhe ein, sodass auch Karmin sich gemütlich daneben niederkauerte. Auch nachdem das Lied verklungen war, blieben die Grüngewandeten noch einige Atemzüge stumm.
Als erster war es Virri, weiterhin am Boden, der flüsternd das Wort ergriff: „Was für ein schönes Lied.“
Wie auch die beiden anderen Helden aus der leichten Trance erwachend, bemerkte Balaen, dass er seinen Paraschal unwillkürlich an die Nase gedrückt hatte. Verwirrt hob er die Hand, um sich aus Gewohnheit Nasenwurzel und Stirn zu reiben, hielt aber inne, als er feststellte, dass seine stechenden Kopfschmerzen abgestumpft waren. „Was war das für ein Instrument?“, fragte er verwundert.
Noch immer etwas benommen, antwortete Leo überraschend präzise: „Eine Okarina aus Stein.“ Er hätte noch genauere Angaben über ihre Form sowie Anzahl und Größe der Löcher machen können, doch war er geistig zu ermattet, um weiter zu sprechen. Außerdem glaubte er, genau dieses Instrument schon einmal gehört zu haben, bekam diesen Gedanken aber nicht recht zu fassen.
„Du erkennst sogar das Material?“, fragte Virri bewundernd.
Langsam, ja mechanisch nickte Leo. „So ein voller Klang entsteht nur bei Stein.“
Nun ganz wieder bei Bewusstsein sagte Virri: „Ich hab auch eine Okarina!“ Geschäftig setzte er sich auf, nestelte am Köcher herum, den er die ganze Zeit auf dem Rücken unter dem Greifenmantel bei sich trug, holte die Okarina des Windes hervor und präsentierte sie den Rittern. Anders als das Blasinstrument, das sie gerade gehört hatten, bestand dieses aus blassem, blau lasiertem Ton.
Desinteressiert hob Leo eine Schulter. „Ja, na und? Ich hab auch eine.“
„Echt?“, hakte Virri aufgeregt nach. „Hast du sie hier?“
Leo, auf den das Lied intensiver gewirkt hatte als auf die beiden anderen Grüngewandeten, verstand die Frage falsch. „Nein, oben in meinem Zimmer.“
Aufgeregt sprang Virri auf. „Du hast sie hier? In dieser Welt?“ Schnell steuerte er seinen violettgekleideten Klon vom Innenhof ins Schloss.
Verspätet begriff Leo, was er gemeint hatte, und blickte dem Doppelgänger fassungslos hinterher. „Wo gehst du … also dein Mitknirps … Was hast du vor?!“, verlangte er verärgert zu wissen.
Vergnügt erwiderte Virri: „Ich bring deine Okarina her. Ich will sie sehen!“
„Wenn ich richtig verstanden habe, wie deine Mitknirpse funktionieren, reicht es doch schon, wenn der sie sich anschaut“, knirschte Leo.
Der kleine Held widersprach: „Ich will sie hier haben und mit meiner vergleichen.“
„Dann hättest du doch deine mitnehmen können …“
Leos Widerwillen missachtend, sagte Virri nach ein paar Minuten enttäuscht: „Ich kann sie nicht finden …“
„Gut“, keifte Leo ihn an. „Dann lass es bleiben!“
Nichtsdestotrotz blieb Virri beharrlich. „Sag mir, wo sie ist!“ Einer seiner zurückgebliebenen Klone sprang zu dem Ritter und schüttelte ihn. „Sag schon!“
Hilfesuchend wandte sich Leo an den neben ihm sitzenden älteren Ritter. „Mach, dass er damit aufhört!“, forderte er.
Zur Antwort zog Balaen teilnahmslos die Augenbrauen hoch. „Früher oder später wird er sie finden“, gab er nur zu bedenken, ohne einzugreifen. „Alles, was du tun kannst, ist, diese Prozedur für dich zu verkürzen.“
„Nicht dein Ernst …“, zischte Leo missbilligend, stieß schließlich, belästigt von der groben Behandlung, das Abbild von sich. „Ist ja gut! Ich sag’s dir, wenn du dann endlich Ruhe gibst!“
Sofort ließ Virris Klon ganz von ihm ab, und das Original setzte seine unschuldigste, erwartungsvollste Miene auf.
„Sie ist in einem Lederbeutel in meinem Schrank“, informierte Leo ihn endlich über den Aufenthaltsort jenes Gegenstandes, den ihm sein Onkel mitgegeben hatte, bevor er zum schicksalhaften Hasenhüten aufgebrochen war. Eigentlich hatte Nathan seinem draufgängerischen Neffen die Flöte anvertraut, damit dieser schnell wieder nach Hause zurück kam, sollte ihn das Abenteuer erneut in die Fremde führen. Hier allerdings, in einer anderen Welt, war sie für diesen Zweck wohl kaum zu gebrauchen.
Für einen Moment verfiel Virri in konzentriertes Schweigen und verkündete schließlich: „Ich hab sie!“ Kurz darauf kehrte der violette Sendbote mit dem Instrument zurück, und Virri hielt die seine daneben. Leos Okarina war ein wenig schlanker als seine eher bauchig modelierte, dazu aus naturbelassenem, ungefärbtem braunrotem Ton. „Kannst du sie spielen?“, fragte Virri neugierig.
Großspurig prahlte Leo: „Selbstverständlich!“ Sich von der Kiste abdrückend, stand er von seinem Platz neben Balaen auf, schnappte dem Klon seine Flöte weg und führte sie zum Mund. Die Melodie, die er nun anstimmte, war dieselbe wie jene, die vorhin Helden und Vögel beruhigt hatte. Wenngleich von derselben Schönheit, klang sie bei weitem nicht so zauberhaft oder setzte gar ihre sonderbare Wirkung frei wie auf der anderen, unsichtbaren Okarina gespielt.
Fasziniert fragte Virri: „Du kennst dieses Lied?“
Leo schüttelte den Kopf. „Hab ich heute zum ersten Mal gehört.“
Bewundernd riss der kleine Krieger die Augen weit auf. „Und weißt dann schon, wie es geht?“
„Eine meiner leichtesten Übungen!“ Leo schnaubte angeberisch.
Ungefragt ließ Virri ihn wissen: „Ich kann nur ein Lied.“ Seine Klone verschwanden, als er das Schwert der Vier einsteckte, um seinerseits auf seiner Okarina zu spielen. Die kleine Weise erzählte in ihrer Schlichtheit und Leichtigkeit von der Freiheit des Windes über endlosen Wiesen.
Nun doch ein wenig offener lächelte Leo. „Das kenne ich auch.“ Sodann wiederholte er die Melodie, die Virri geflötet hatte; seine Version war durch das anders geformte Instrument etwas höher.
Neben der Holzkiste hob Karmin den Kopf mit dem wuchtigen Schnabel und stieß einen für einen Vogel seiner Größe erstaunlich zarten Tschilplaut aus.
„Scheint, als gefiele das deinem Federvieh“, stellte Leo an Balaen gewandt fest.
Der Ritter aus den Wolken nickte verwundert.
„In meiner Welt“, mischte sich Virri ein, „rufe ich damit immer einen Papagei, der mich überall hinbringt, wo ich will.“
„Ich auch“, erwiderte Leo überrascht. Er blinzelte verdutzt, sah auf, und Virri folgte seinem Blick. In Richtung Sonnenuntergang stiegen zwei kleine Gestalten am Himmel auf, flogen über die Palastmauer und sanken in den Innenhof hinab. Das Gefieder eines der beiden Papageien war dunkelblau auf Rücken und Flügeloberseiten und weiß am Bauch. In einigem Abstand folgte ein Artgenosse mit ganz und gar hellblauem Gefieder. Beide grüßten mit einem Krächzen, glitten auf die grüngewandeten Virtuosen herab; während sich der erste auf Virris Schultern vorsichtig in dessen Tunika und Umhang verkrallte, landete der andere auf Leos ausgestrecktem linken Unterarm. Bereit für seine Befehle, musterte er den Ritter, der ihn gerufen hatte.
„Unglaublich“, staunte Leo. „Das Lied funktioniert auch hier!“
Virris Vogel war nicht so geduldig und hatte gleich begonnen, den kleinen Helden mit sich in die Lüfte zu nehmen. Hastig wimmelte er seinen gefiederten Träger ab. „Ich will nirgends hin! Das war nur ein Versehen!“ Der Papagei zögerte nicht lange und entledigte sich seiner überflüssigen Last. Weil er schon einiges an Höhe gewonnen hatte, packte Virri die Enden seines Greifenmantels, um langsam und sicher zu Boden zu schweben. Auch Leo entließ seinen Papagei, indem er den Arm nach oben schwang.
Der Anblick der kleineren Vögel, die ohne Mühe in den Abendhimmel aufstiegen, erinnerte Karmin daran, wie eng der Innenhof doch für ihn war. Balaen spürte das sehnsüchtige Verlangen seines tierischen Partners nach offener Weite und ließ ihn ziehen. Nun hielt Karmin nichts mehr am Boden, als er seinerseits die Flügel ausbreitete und den blaugefiederten Papageien folgte. Auch wenn der riesige und viel schwerere Wolkenvogel langsamer mit den Schwingen schlug, bedienten sich alle drei offensichtlich desselben Flugmusters. Im schwindenden Licht des Tages waren die drei Vögel nur noch als Schemen von gleicher Gestalt zu erkennen.
Die drei Grüngewandeten sahen ihnen nach.
„Vielleicht sind Wolkenvögel die Papageien deiner Welt“, meinte Virri zu Balaen.
„Nur größer“, ergänzte Leo ironisch.
Der älteste Held nickte nachdenklich. „Sieht so aus.“
„Ihr seid wohl … fleißig gewesen.“
Das Heldentrio wandte sich dem Säulengang zu, von wo die Bemerkung hergekommen war. In Begleitung ihrer Leibwächter stand dort Prinzessin Zelda. Prüfend blickte sie sich im verwüsteten Innenhof um. Seit Tagen war sie nicht vor ihren heroischen Gästen in Erscheinung getreten. Dennoch fiel Leo vor der Regentin sofort auf ein Knie, als sie zu ihnen trat, und stand erst auf, als sie ihm die Erlaubnis dazu erteilte.
Wie ein Wasserfall plapperte Virri auch schon drauf los: „Ja, erst war es ganz schön langweilig, aber dann haben wir Bogenschießen geübt und dann gegeneinander gekämpft – erst Balaen und ich, dann nochmal ich gegen Leo, und dann hat Balaen Leo herausgefordert! Und heute haben wir alles mögliche ausprobiert, was echt Spaß gemacht hat, aber am besten war der Hühnerhagel!“ Eifrig hob er die Stimme. „Wenn wir zusammenarbeiten, können wir alles schaffen!“
Erstaunt blinzelten Leo und Balaen ihn an.
Über Berichte von Soldaten war Zelda schon längst über die Vorkommnisse in Kenntnis gesetzt. Trotz milden Lächelns, hob sie lauernd interessiert Augenbrauen und Lider. „Ist das so?“
Plötzlich vergaß Virri seine Begeisterung und wandte sich errötend ab.
„Du hast uns lange warten lassen“, meldete sich Balaen zu Wort.
Ungerührt überging die Prinzessin seinen Einwand. „Link wurde gesichtet“, ließ sie die drei Helden wissen, deren Augen sich vor aufgeregter Erwartung weiteten. „Meine Späher wissen recht genau, wo er sich aufhält. Habt ihr jemanden ausgewählt, der sich an seine Fersen heftet?“, fragte sie.
Ihre drei Berufenen sahen einander an. In den letzten Tagen hatte sich kein endgültiges Ergebnis ihrer Rivalität ergeben, doch nach dem heutigen wussten sie auch ohne weitere Absprache genau, wie sie sich entschieden.
Als Hylianischer Ritter verneigte Leo sich vor der Königlichen und übernahm die Vorrede. „Das haben wir, Prinzessin.“
Hoheitsvoll nickte Zelda. Es brauchte keine weiteren Worte, um ihr den Entschluss der drei darzulegen. „Dann ruht euch für heute aus. Gleich morgen früh sollt ihr aufbrechen.“
Gefolgt von Alvio, verließ das Heldentrio den Innenhof, und sie zogen sich auf ihre Zimmer zurück.
Prinzessin Zelda blieb mit ihren Leibwächtern zurück. Sie wandte sich an Hendrik und ertappte ihn bei einem wohlverdienten, selbstzufriedenen Grinsen. „Nun, dein Plan ist aufgegangen“, stellte sie fest. „Woher wusstest du, dass sie sich besinnen würden, wenn sie … dies hier machen?“ Dabei umfasste sie den Kampfplatz mit einer weiten Geste.
Wieder ganz der professionell ernste Soldat, hob Hendrik die Schultern. „Ich will ehrlich mit Euch sein, Prinzessin: Ich wusste es nicht. Ich hegte nur die Hoffnung, sie würden erkennen, was sie miteinander verbindet, anstatt dessen, was sie unterscheidet.“
„Das Heldentum?“, vermutete Zelda
Doch der Gardist schüttelte den Kopf. „Mit Verlaub, Prinzessin, Ihr denkt zu philosophisch. Was ich meine, ist etwas viel Grundsätzlicheres, Schlichteres: Das Kämpfen.“ Leiser fügte er hinzu: „Ich bin mir sicher, darauf hätte auch die Ehrenwerte Impa gesetzt.“
Bedächtig nickte die Prinzessin, ließ den Blick durch die Schatten im Garten schweifen und gedachte der Weisen der Schatten. „Gut, dass sie nun aufeinander vertrauen. Sie werden es nötig haben.“

- Wütende Hühner, die Helden attackieren, sind ein wiederkehrendes Motiv in Zelda-Spielen (außer in Twilight Princess; wäre sehr dankbar, wenn mir jemand erklären könnte, was die sich dabei eigentlich gedacht haben ._.), dann ist es nur verständlich, das in einer umfassenden Fanstory auch unterzubringen. Der Name „Hühnerhagel“ für Virris Übungstaktik kommt von dem Minispiel in A Link between Worlds, in dem man für eine gewisse Zeit über den Bildschirm fliegenden Hühnern ausweichen muss.
- Ja, ich ziehe hier einen evolutionstechnischen Zusammenhang zwischen Wolkenvögeln und den Transport-Papageien. Nein, ich sehe das nicht als Tatsache, die sich Nintendo genau so überlegt hat. Ich bin kein abgefreakter Timeline-„Theoretiker“. Das sind meiner Meinung nach zumeist Fanstory-Schreiber in Verkleidung <<‘
- Das Lied, das die Helden beruhigt, ist Zeldas Wiegenlied. Wer das erkannt hat, bekommt nen Keks :3