Da meine Stelle in der Kette nun schon das zweite Mal "aufgefrischt" wurde, möchte ich sie hiermit bitte ausschlagen. Danke @Chess, dass du sie vorgeschlagen hast, aber nach bald zwei Monaten will ich doch jemand anderem den Vortritt gewähren ^^
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Kapitel 4: Hymne der Sonne
Seit sie einander vor vier Tagen nach kurzer Trennung im Gebirge schließlich im Schloss wiederbegegnet waren, war Alvio nicht mehr von Leos Seite gewichen. Das hatte den pubertären Ritter anfangs noch gestört, doch mittlerweile nahm er keinen Anstoß mehr daran. Immerhin war der Hase die einzige Gesellschaft, die er in dieser fremden Welt wirklich kannte – oder zumindest war sie ihm fremd erschienen, als er noch neu hier gewesen war. Je länger sich Leo hier aufhielt, umso mehr Gemeinsamkeiten zu seiner Heimat fielen ihm auf.
Dass er gewissermaßen im Palast eingesperrt war, stand der notorische Abenteurer nur deswegen durch, weil er auf königlichen Befehl hier verweilte – und die Gewissheit hatte, demnächst wieder losziehen zu dürfen. Diese Zeit vertrieb er sich damit, durch die Korridore zu schlendern und darüber zu staunen, wie ähnlich das Schloss dem doch war, das er aus seiner Welt kannte.
„Hier sieht es wirklich wie drüben aus“, sagte er zu Alvio, der wie immer neben ihm herhoppelte. „Naja, nicht ganz. Manche Flure könnte man ein bisschen renovieren, aber ihre Ausdehnung, ihr Verlauf … Ich erwarte fast, die Prinzessin zu sehen. Unsere natürlich.“
Die beiden gelangten an eine Kreuzung zu einem weiteren Korridor. Schon lange hatte Leo das Stampfen gepanzerter Stiefel gehört, doch auch wenn er taub gewesen wäre, wäre er genau hier stehengeblieben, wusste er doch, was auf ihn zukam. Ein Wachtrupp auf Schlosspatrouille erschien um die Ecke. Der Grüngewandete schlug die Faust aufs Herz, und die Soldaten erwiderten den Rittergruß, indem sie im Vorübergehen schneidig salutierten. Als sie vorbei waren und nur noch ihre verhallenden Schritte von ihrem Entfernen kündeten, merkte Leo an: „Drei Soldaten in Keilformation, jeder ein Speer und ein Schwert. Sie sind genau wie bei uns organisiert.“
Schließlich erreichten der Hase und der Held, der einmal ein Hase gewesen war, ein tagsüber offen stehendes Tor, das nach außen von zwei Wachen flankiert wurde – wie so gut wie jede andere größere Türöffnung des Palastes. Es führte auf einen Gang, der auf der einen Seite von den Fenstern einer Außenwand abgeschlossen wurde, während auf der anderen eine Säulenreihe seine Überdachung trug. Zwischen diesen Pfeilern hindurch öffnete er sich zu einem der vielen Innenhöfe des Schlosses – ein schlichter Rasen mit ein paar Kieswegen. Dieser war gleich am ersten Morgen der drei Berufenen als königliche Gäste eigens für sie präpariert worden. Obwohl jeder von ihnen eine eigene Ausrüstung mit sich führte, war ihnen von den Soldaten zur kämpferischen Ertüchtigung ein ganzes Waffenarsenal zur freien Verfügung gestellt worden. Neben einem mit frischem Sand gedeckten Duellplatz lag in eigens dafür herbeigebrachten Gestellen alles bereit, was das Kriegerherz höher schlagen ließ: Schwerter in allen Längen und Ausführungen, Schilde in allen Größen und Macharten, Lanzen, Speere und Äxte sowohl für den Nahkampf als auch zum Wurf, und mit noch größerer Reichweite Bögen und Armbrüste sowie die dazugehörige Munition. Zu deren Benutzung war außerdem ein Schießstand errichtet worden mit an Pfosten befestigten Zielscheiben in unterschiedlichen Höhen und Entfernungen.
Noch bevor Leo durch das Tor hinausgetreten war, hatte ihn eine regelmäßige Tonabfolge in Empfang genommen – ein rasches Sirren, Zischen und Klacken, sowie eine kurze Pause, bevor sie wieder von vorn begann. Als ihre Ursache entpuppte sich nun Balaen, der mit einem Leihbogen einen Pfeil nach dem anderen auf die Zielscheiben abschoss. Die eigene Ausrüstung hatte er nicht dabei und sogar darauf verzichtet, Kettenhemd und Handschuhe anzuziehen. Die losen Enden des Paraschals hatte er sich über die Schulter auf den Rücken geworfen, damit sie ihn beim Schießen nicht behinderten. Karmin saß bei ihm wie ein Huhn in seinem Nest und beobachtete ihn, den Hals eingezogen, den mächtigen Schnabel gemütlich auf die Krümmung gelegt. So friedlich das Bild auch war, das der riesige rote Vogel bot, war der leicht gesträubte Dauerzustand seines Nackengefieders nicht zu übersehen.
Obwohl Alvio misstrauisch blieb, was Karmin betraf, wagte er sich unter dem Säulengang hervor auf die Wiese, an deren Rande die diensthabenden Gärtner einige Grasbüschel unbestutzt gelassen hatten. Interessiert schnupperte der weiße Hase daran, bis Leo den längsten Halm, bekrönt von einer fast symmetrischen Ähre, vor seiner Nase abpflückte. Hin- und hergerissen zwischen seiner Angst vor dem Wolkenvogel und dem Vertrauen in seinen Hüter, hoppelte Alvio ihm doch einen vorsichtigen Schritt nach dem anderen hinterher.
„Na, auch mal herverirrt?“, fragte Leo den Ritter aus den Wolken, als er auf das Gestell mit den Schusswaffen zuging, und schob sich dabei den Grashalm in den Mund.
Die drei Helden hatten seit ihrem Streitgespräch zu Tisch noch ein paarmal miteinander gesprochen, wenn sie sich zu weiteren Mahlzeiten oder zufällig in den Korridoren getroffen hatten. Über ihre Welten, ihre Heldenmissionen und die Dämonen, die sie vernichtet hatten, hatten sie sich unterhalten; auch einmal über Link, doch da dieses Thema schnell wieder in die Diskussion, wer sich für die Jagd auf ihn am besten eignete, ausgeartet wäre, hatten sie es vorerst gelassen und waren im Groll auseinander gegangen. Nur auf ihrem Innenhof waren sie sich selten begegnet. Tatsächlich hatten sich die beiden berufenen Ritter hier noch gar nicht gesehen.
Reiter und Vogel widmeten den Neuankömmlingen nur einen kurzen Blick, bevor Balaen in seinem Tun fortfuhr, Pfeile auf die Sehne zu legen und auf eine kurze, schnelle Reise zu schicken. Die Übungsmunition hatte keine Stahlspitzen, dennoch blieben die angespitzten Schäfte aus Hartholz in den weicheren Zielscheiben stecken. „Verirrt ist gut gesagt“, bemerkte der ältere Ritter. „Ich verlaufe mich noch immer in diesem Schloss. Heute habe ich endlich mal hergefunden, ohne einen Diener nach dem Weg zu fragen.“
Leo schnallte sein Schwert ab, das er mitgebracht hatte, nahm sich einen Bogen und prüfte dessen Spannkraft, indem er die Sehne durchzog. „Du hättest ja auch den Knirps oder mich fragen können, ob wir dich mitnehmen“, schlug er vor, worauf Balaen nicht weiter einging, als eine unwillige Miene zu ziehen und die Kiefer aufeinanderzubeißen. Gehässig grinste Leo. „Wie bist du eigentlich während deines Abenteuers in den Tempeln zurechtgekommen, wenn du dich hier schon verläufst?“
„In denen sahen die Gänge nicht alle gleich aus“, rechtfertigte sich Balaen. „Und immerhin hatte ich immer eine Karte.“
Sich für einen Langbogen entscheidend, trat Leo neben ihn an den Schießstand. Mit kritischem Blick betrachtete er die Zielscheiben; zwar war kein Pfeil danebengegangen, aber es hatte auch keiner den mittleren der konzentrischen Kreise getroffen. „Du schlägst dich hier ja nicht besonders gut“, stellte Leo fest und fischte einen Pfeil aus dem Köcher, der zwischen den Rittern stand.
„Ich hatte lange keinen Bogen mehr in der Hand. Ich bin etwas aus der Übung.“ Balaen schoss erneut, und wieder ging der Treffer gerademal als ausreichend durch.
„So was verlernt man doch nicht“, meinte Leo und legte ebenfalls auf. Er schob den Grashalm in den Mundwinkel, damit der ihm nicht in die Quere kam, als er die Sehne ans Kinn zog. Nach kurzem Zielen fetzte der Pfeil davon – und traf auch nicht besser als die Geschosse des älteren Helden, der als einzigen Kommentar vielsagend die Augenbrauen hochzog. „Hm“, machte Leo neben ihm mit einem ungerührten Schulterzucken. „Ich muss wohl noch warm werden.“
Stillschweigend boten sich die beiden ein erbittertes Bogenschützenduell, bei dem keiner von ihnen so recht die Oberhand zu gewinnen schien. Schließlich war der Köcher leer; sie legten die Schusswaffen beiseite und gingen zu den Zielscheiben hinüber, um die Munition wieder einzusammeln. Während Karmin nur unbeteiligt beim Schießstand sitzen blieb, folgte Alvio sicherheitshalber seinem Hüter.
„Weißt du“, ergriff dieser auf dem Weg das Wort, „ich frage mich schon die ganze Zeit, wie du eigentlich Ritter werden konntest.“
„Das muss man bei dir aber auch sagen“, erwiderte Balaen. „Du bist fast noch ein Kind.“
Leo entfernte zwei nahe beieinander eingetroffene Pfeile gleichzeitig und fügte sie seinem Bündel hinzu. Sodann bog er großspurig den Rücken durch, schmetterte sich die Faust auf die Brust. „Meines Zeichens der jüngste Ritter in der Geschichte Hyrules! Das ist vor mir nur mein Großvater gewesen. Ich war bei meiner Ernennung sogar nochmal zwei Jahre jünger als er bei seiner.“ Er wurde wieder ernst und kam auf das eigentliche Thema zurück: „In meiner Welt gibt es immerhin zwei Wege zum Rittertum, aber bei beiden muss ein Mitglied der Königsfamilie die Ernennung durchführen. Wenn es in deiner keine Könige gibt, wie kannst du dann ein Ritter sein?“
Balaen zog den letzten Pfeil, blickte sich zwischen den Zielscheiben um, ob sie einen übersehen hatten, und die beiden machten sich auf den Rückweg zum Schießstand. „In meiner wird man in der Ritterschule ausgebildet“, beantwortete er Leos Frage.
„Eine Schule?“, schnaubte der ungläubig.
Der ältere Held nickte. „Nach ein paar Jahren Allgemeinbildung bietet sie Unterricht in Schwertkampf, Wissenschaften und dem Reiten von Wolkenvögeln an. Mindestens eine dieser Disziplinen muss jeder Schüler absolvieren, je nach späterem Beruf. Aber nur mit allen dreien darf man als Ritter tätig werden. Das schaffen nur die wenigsten, da es Durchhaltevermögen erfordert und auch nach dem Abschluss mit viel Verantwortung und Pflichten verbunden ist“, schloss Balaen seine Erläuterung und steckte die eingesammelten Pfeile in den Köcher zurück.
Leo tat es ihm gleich und verdrehte genervt die Augen. „Jaja, hab schon kapiert, du bist ein echter Überflieger.“ Die beiden griffen wieder zu den Bögen. „Also sind das bei euch eher akademische als königliche Ritter?“, wollte der jüngere weiter wissen.
„Kann man wohl so sagen.“
„Echt verrückt!“, stellte Leo mit nur geringfügiger Kritik fest.
Als ihr gemeinsamer Köcher wieder halb geleert war, erschien auch Virri im Innenhof. Weil er sich auch weiterhin nicht mit seiner Zipfelmütze anfreunden mochte, trug er sie anders als die anderen Helden nicht. Der Junge erblickte die beiden am Schießstand und flötete fröhlich: „Morgen!“ Wie immer, wenn er herkam, hatte er seinen eigenen Heroenbogen dabei, schnappte sich dazu passende kurze Übungspfeile und gesellte sich zu den Schützen.
„Es ist Mittag“, stelle Balaen klar.
„Wohl eher später Morgen“, widersprach Leo.
„Dann einfach hallo!“, beendete Virri heiter die sinnlose Diskussion.
Von der Unruhe gestört stand Karmin auf, lockerte die Flügel mit müdem Schlagen und wirbelte Staub auf. Das schreckte Alvio auf, und er rannte gegen die Beine seines Hüters, der gerade die Sehne durchzog. Der Pfeil flitzte an der anvisierten Zielscheibe und auch allen anderen vorbei in das Netz, das hinter ihnen aufgehängt war. Es war das erste Geschoss, das an diesem Tag fehlgegangen war. Unauffällig schürzte Balaen die Lippen zu einem Schmunzeln.
„Was ist denn mit deinem Federvieh los?“, knurrte Leo missgestimmt.
Dieses trottete durch den Innenhof, die Flügel halb ausgebreitet, als wolle es eigentlich abheben, war jedoch unschlüssig, ob es auf dem begrenzten Raum genug Anlauf nehmen konnte. Wieder ernst wie immer erklärte Balaen: „Die Enge macht ihn nervös. Ich lasse ihn nur ungern alleine durch die Umgebung fliegen, wo er sich nicht auskennt. Und eigentlich sollten wir mal wieder zusammen ausfliegen. Das ist wichtig für unsere Verbindung, aber ich habe hier einfach keine Möglichkeit, auf seinen Rücken zu steigen.“ So groß das Schloss auch war, bot es keinen Punk, der hoch genug für einen Absprung lag; außerdem vertraute Balaen all den hervorstehenden Giebeln und Erkern nicht. Ohne die göttlichen Vogelstatuen, die es in dieser Welt gewiss nicht gab, war auch sein Paraschal nutzlos.
„Verbindung? Du klingst wie der Knirps, wenn er über seine Klone spricht!“, kommentierte Leo.
Virri, der begonnen hatte, seine eigenen Pfeile den ihren an den Zielscheiben hinzuzufügen, murmelte: „Das ist doch was ganz anderes …“
Anstatt auf den kleinen Bogenschützen einzugehen, stachelte Leo Balaen weiter gehässig an: „Wenn du hier nicht wegfliegen kannst, wird’s wohl doch nichts mit dir und Link suchen, was? Du bist schließlich nicht so der Pferdefreund, wenn ich mich recht erinnere.“
Jetzt flatterte Karmin schwerfällig auf, erhob sich über die Mauer, auf der ihm ein Wachsoldat staunend hinterherblickte. Auf den blauen Dachschindeln eines Türmchens kämpfte er mit den Krallenfüßen um Halt, bis er sich endlich darauf niederließ und elendig wie ein verwundeter Drache zusammenkauerte. Balaen, der ihm nachgeschaut hatte, senkte den Blick und rieb sich die Stirn. Zu Karmins eigener Nervosität kam auch noch die innere Unrast seines Reiters hinzu, die sich über ihr telepathisches Band auf ihn übertrug. Weil Balaens Vorrat an Glitzersporen schon zur Hälfte aufgebraucht war und er nicht wusste, wie lange es dauerte, bis er sich Nachschub beschaffen konnte, hatte er das Schmerzmittel abgesetzt – und das spürte er nur zu deutlich. Außerdem rückte in einer anderen Welt die Einjahresfeier des Erdhorts immer näher, und der Held aus den Wolken war nicht dort, wo er sein sollte, um ihren reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. „Wer weiß, wie lange wir hier noch festsitzen“, seufzte Balaen. „Die Prinzessin lässt uns warten. Seit einer halben Woche sind wir hier und haben sie nicht mehr gesehen.“ Mürrisch zog er den Bogen zu schnell durch, schoss so ungenau, dass der Pfeil gerade noch an der Kante einer Scheibe hängen blieb.
„Glaub mir, mir gefällt’s am wenigsten, dass wir hier eingesperrt sind“, versicherte Leo ihm. „Da draußen ist ein ganzes Hyrule, das ich noch entdecken muss!“ Das vorfreudige Leuchten in seinen Augen erlosch sogleich, als er bedauernd die Schultern hob. „Aber die Prinzessin hat bestimmt wichtige Staatsgeschäfte zu erledigen. Da hat sie keine Zeit für uns.“
„Dann hätte sie uns nicht hierherholen sollen“, knirschte Balaen.
Zwar dachte Leo genauso, meinte aber: „Wir müssen uns damit abfinden.“
Verdrossen schwieg der ältere Ritter. Wenn ein Heißsporn das einsehen konnte, dann er erst recht.
Es trafen drei weitere Pfeile mit hölzernem Klacken, von je einem der Helden abgeschossen.
„Außerdem haben wir auch noch nicht geklärt, wer überhaupt auf die Suche gehen soll.“ Leo kam auf jenes unliebsame Thema zurück, das über ihnen schwebte wie ein dräuendes Unwetter, das unbedingt ausbrechen musste, um wieder reine Luft zu schaffen.
„Wer der beste Bogenschütze ist, ist jedenfalls offensichtlich“, merkte Balaen an. In den Zielscheiben staken nicht nur mehr kurze Pfeile, als die beiden Ritter in dieser Runde zusammen verschossen hatten, sondern waren auch noch alle ins Schwarze gegangen.
Ungefragt plapperte Virri, der als einziger den Zusammenhang zum Thema erkannte: „Mein Opa hat sich während seiner Lehrlingszeit ganz übel die Hand verbrannt und musste so ganz lange weiterlernen. Als er dann wieder geheilt war, konnte er viel besser schmieden, als wenn er normal gelernt hätte.“
Neben ihm verdrehte Leo die Augen. „Aha. Interessante Geschichte.“
„Ich war doch noch gar nicht fertig!“, entgegnete Virri. „Ich wollte damit sagen, dass man, wenn man etwas lernen muss, aber irgendwie daran gehindert wird, es noch viel besser hinbekommt, wenn man es wieder normal machen kann. Weißt du, es ist nämlich schwierig, auf genau einen Punkt zu zielen, wenn ich aus vier Richtungen draufschaue, aber ich musste es trotzdem manchmal machen. Wenn ich jetzt meine Klone nicht bei mir habe, ist es deswegen ganz leicht!“ Er entsandte einen weiteren Pfeil, der knapp neben einem anderen aufkam, allerding in einem äußeren Kreis.
Kurz und spöttisch lachte Leo auf. „Der war jetzt aber mies!“
„Ich hab auf den anderen Pfeil gezielt“, behauptete Virri, dem das plumpe mittige Schießen langweilig geworden war.
„Das würde ich an deiner Stelle auch sagen.“
Verärgert zog Virri die Brauen zusammen. Zum Beweis seiner Worte schoss er nun auf jenen Pfeil, den Balaen an den Rand einer Zielscheibe gesetzt hatte, traf dabei so genau neben dessen Spitze, dass das längere Geschoss aus dem Holz heraussprang. Leo stieß einen anerkennenden Pfiff aus, und Virri rieb sich verlegen die Nase.
Nach einigen weiteren punktgenauen Treffern des kleinen Schützen – und erfolglosen Bemühungen der beiden älteren, mit ihm mitzuhalten – platzte Leo der Kragen. „Das ist doch total mies!“, fluchte er. „Als ob es irgendwen interessieren würde, wie gut wir schießen können. Wir sollen einen Krieger fangen und keine Wildschweine jagen!“ Missgestimmt stapfte er zu dem Gestell mit den Schusswaffen, pfefferte, ohne anzuhalten, den Bogen grob zurück, und ging gleich zu den Nahkampfwaffen weiter. Dort schnappte er sich den erstbesten Einhänder; indem er sich zu den beiden anderen Grüngewandeten umdrehte, schwang er ihn wie zum Angriff herum. „Ein Held kämpft nur mit dem Schwert!“, verkündete er dabei. Prüfend schnippte er es in die Luft. Im Flug drehte es sich, und er fing es vorsichtig an der Klinge auf, ohne die Schneiden zu berühren. Sogleich wiederholte er den Wurf, sodass er nun wieder das Heft in der Hand hatte. Herablassend fügte er hinzu: „Auch wenn es so mies ausbalanciert ist wie dieses hier.“
Balaen und Virri kamen dazu und suchten sich ebenfalls Schwerter aus, deren Länge proportional zu ihrer Körpergröße passte. Mit dem fachmännischen Blick eines Lehrlings und Enkels des besten Schmiedes seiner Zeit betrachtete Virri die Waffe. „Es ist nicht so gut wie die von meinem Opa, aber in Ordnung.“
Auch der Ritter aus den Wolken wog das seine in der Hand und meinte: „Jedenfalls besser als in meiner Welt.“
„Das hätte ich mir fast gedacht“, kommentierte Leo gehässig. „Aber hast du ein Schwert schon mal so geprüft?“, erkundigte er sich und warf seins wieder zweimal kreisend hoch.
Balaen schüttelte den Kopf und machte es nach – doch schon der erste Fangversuch misslang. Mit schmerzerfülltem Zischen ließ er das Schwert fallen, als er sich daran die Handfläche leicht aufschnitt. Der jüngere Ritter prustete schadenfroh, während Balaen die Verletzung in den Mund steckte, um die Blutung zu stillen. „Sehr witzig“, grummelte er verärgert. „Ich trage meine Handschuhe nicht, anders als du. Du hast doch erwartet, dass mir das passiert!“
Daraufhin brach Leo in nur noch amüsierteres Lachen aus. „Hab ich zwar nicht, aber das ist auch nicht schlecht!“ Er wandte sich an Virri. „Probier’s auch mal, Knirps!“
„Nenn mich nicht Knirps!“, erwiderte der, was er in den vergangenen Tagen häufiger von dem Hylianischen Ritter verlangt hatte. Nachdem er die Leihwaffe zurücklegte, zückte er stattdessen das Schwert der Vier, das sofort seine Klone erscheinen ließ. Nach Leos Vorbild vollführte er dessen Trick, ohne sich an der Klinge zu verletzen oder dass es ihm entglitt – und das durch seine Doppelgänger auch noch in vierfacher Ausführung.
Mit überheblichem Grinsen sah Leo wieder zu Balaen. „Siehst du? Sogar der Knirps kriegt das ohne Handschuhe hin.“
Virri stimmte ihm zu: „Natürlich – ich kann mich am Schwert der Vier nämlich gar nicht schneiden.“ Um seine Worte zu unterstreichen, fuhr er demonstrativ mit dem Finger über die weißsilberne Schneide – ein Anblick, bei dem Leo zusammenzuckte – und präsentierte dessen unversehrte Kuppel. „Wäre schon blöd, wenn ich mich selbst verletzen würde, wenn ich mit meinen Klonen mitten im Kampf bin“, schloss der kleine Krieger.
Die Schultern hebend, schnaubte Leo herablassend zu Balaen: „Trotzdem. Es ist kein Wunder, dass du das nicht hinbekommen hast. Rechtshänder sind dafür einfach zu ungeschickt. Ich kann nicht nachvollziehen, wie du da ein Held werden konntest!“
Erkennend riss Virri die Augen auf und rief aus: „Stimmt! Du kämpfst mit der Linken“, deutete erst auf Leos, dann auf die eigene Nase, „so wie ich! Und Link auch. Alle Helden sind irgendwie Linkshänder.“ Er warf einen Blick auf Balaens Schwerthand. „Aber du nicht.“
„Doch, ich bin Linkshänder“, stellte der ältere Ritter richtig.
Virri und Leo blinzelten ihn an, der eine ratlos, der andere skeptisch. Der ältere der beiden flüsterte dem jüngeren hinter vorgehaltener Hand zu: „Ich glaube, er kann links und rechts nicht unterscheiden.“ Nach allem, was er über Balaens primitive, anarchische Gesellschaft erfahren hatte, überraschte ihn das nicht mehr.
Da war Virri schon verständnisvoller. „Sei nicht so fies“, raunte er zurück. „Vielleicht ist in seiner Welt alles gespiegelt.“
Auch wenn sie leise gesprochen hatten, war Balaen der Wortwechsel nicht entgangen. Mit knappem Abwinken räumte er ein: „Ja, ich kämpfe mit rechts, aber eigentlich bin ich Linkshänder.“
Befremdet verzog Leo die Augenbrauen. „Was ist das für eine verdrehte Logik?“
„Da, wo ich herkomme, haben die Menschen lange in Isolation vom Rest der Welt gelebt“, erklärte der Held aus den Wolken mit finsterer Miene. „Wir waren wenige, und doch war der Raum zu eng für uns. Da müssen sich Minderheiten früher oder später anpassen. Wer als Linkshänder geboren wird, wird schon beim Schreibenlernen umgewöhnt. Wenn es sein muss auch unter Zwang. Und dann wird man auch noch als weniger begabt abgestempelt. Fast wäre ich nicht im Schwertunterricht aufgenommen worden, weil ich kein richtiger Rechtshänder bin.“
„Aber den Bogen hast du auch mit links gespannt“, merkte Virri an.
„Weil ich das Schießen erst auf meiner Mission gelernt habe, ohne Aufsicht.“
Leo fasste zusammen: „Also bist du eher ein Nichtshänder?“
Obwohl davon verärgert, rieb sich Balaen die Nasenwurzel und zog es vor, nichts darauf zu erwidern. Stattdessen insistierte er: „Es hat keinen Sinn, das noch weiter vor uns herzuschieben. Wir sollten endlich festlegen, wer sich von uns an Links Fersen heftet und die Sache erledigt.“
„Wie schon gesagt.“ Leo hob die Leihwaffe. „Der beste Schwertkämpfer!“
„Wie finden wir heraus, wer das ist?“, fragte Virri – und kaschierte ein spitzbübisches Grinsen mit scheinheiligem Gesichtsausdruck.
„Wer die meisten Soldaten fertigmacht?“, schlug Leo vor und linste mit schadenfroh funkelnden Augen zu den Wachen. Sie waren vom Tor zwischen die Säulen getreten, als der erste Grüngewandete ein Schwert in die Hand genommen hatte. Wenig erfolgreich versuchten die beiden, nicht so auszusehen, als seien sie nur dazu abbestellt worden, einzugreifen, falls die Situation zwischen den Helden eskalierte.
„Das wäre weniger eine Frage des Könnens, sondern eher der Ausdauer“, widersprach Balaen dem jüngeren Ritter. „Außerdem bezweifle ich, dass es dafür überhaupt genug Soldaten gibt.“
Nachdenklich stimmte Leo ihm zu: „Guter Punkt.“
„Dann lasst uns gegeneinander kämpfen!“, rief Virri, woraufhin die Wachen unmerklich hellhöriger wurden. „Mit unserer ganzen Ausrüstung, damit wir zeigen, was wir damit alles können!“
„Ich dachte, hier geht es nur um Schwerter“, warf Leo ein und zog die Augenbrauen hoch. „Oder hast du ansonsten Angst zu verlieren, Knirps?“
Sich beleidigt gebend, schwieg Virri; an seiner Statt entgegnete Balaen: „Eigentlich hat Virri schon recht. Es ist nur authentisch, wenn wir mit unserer ganzen Ausrüstung kämpfen, denn gegen Link werden wir sie bestimmt auch gebrauchen.“
Dem konnte Leo nicht widersprechen und gab nach. „Na gut.“ Er legte das Leihschwert zurück, eilte zu seinem eigenen, das bei Alvio am Schießstand zurückgeblieben war, und kam damit zu den beiden anderen Helden zurück. „Also, ich hab alles da“, verkündete er mit einem Klopfen auf den Tauschhaken an seinem Gürtel. „Meinetwegen können wir gleich anfangen!“ Ungeduldig, wie der Heißsporn war, brannte er darauf, die Spannungen, die sich in den letzten Tagen zwischen den dreien aufgebaut hatten, endlich zu entfesseln.
Doch Balaen bremste ihn aus. „Virri und ich müssen unsere Ausrüstung noch holen.“ Diese lagerten sie nämlich, wenn nicht in Benutzung, in den Zimmern, in die sie von ihrer königlichen Gastgeberin einquartiert worden waren.
„Ich hol meinen Greifenmantel einfach jetzt.“ Anstatt, dass Virri selbst losging, verließ sein violetter Doppelgänger den Innenhof. „Soll ich dein Zeug auch mitbringen?“, bot der kleine Krieger dem älteren an.
Noch immer irritiert, mit welcher Selbstverständlichkeit Virri mit seinen drei zusätzlichen Körpern umging, fragte Balaen: „Kannst du das alles herschleppen?“
Virri legte den Kopf schief. „Ich bitte einen Diener um Hilfe. Irgendwie wird das schon gehen, auch wenn ich nicht mit ihm reden kann.“
Während Virri auch sein blau gekleidetes Abbild ausschickte, wandte er sich ganz anderen Sorgen zu. „Wir haben noch gar keine Spielregeln festgelegt!“
Skeptisch wiederholte Balaen: „Spielregeln?“
Eifrig nickte Virri und zählte an den Fingern auf: „Was man alles tun darf … und was nicht … und wie man gewinnt.“
„Ist doch klar, wer gewinnt“, sagte Leo. „Wer seinen Gegner kampfunfähig macht, indem er ihn entwaffnet.“ So hatte er immer mit seinem Onkel geübt.
„Nein, so nicht!“, entgegnete der kleine Held, hob belehrend einen Finger und drückte ihn Leo auf die Nasenspitze, der ihn wie eine lästige Fliege verscheuchte. „Man gewinnt, wenn man dem anderen die Klinge an den Hals hält.“ Er führte es vor, indem er genau das bei seinem verbliebenen rot gekleideten Klon tat.
„Das hättest du wohl gern!“, rief Leo aus. „Du kannst dich einfach hinter deinen Mitknirpsen verstecken. Bis man die durchhat, dauert’s doch ewig!“
„Ich würde mich nicht verstecken“, beteuerte Virri bestimmt. „Das macht doch gar keinen Spaß!“
„Spaß?“, wiederholte Balaen auch das, sogar noch skeptischer als zuvor.
„Und damit es gerecht bleibt, scheiden meine Klone aus, wenn sie ganz normal getroffen werden“, fuhr Virri fort und machte auch das vor: Er schwang das Schwert der Vier gegen den rotgewandeten Rücken; daraufhin schob der Doppelgänger die eigene Klinge unter den Gürtel, ließ sich neben dem Waffengestell zu Boden sinken und starrte unbeteiligt ins Leere. „Dann darf ich mit ihnen nicht mehr mitmachen, weil in einem echten Kampf würden sie sich auflösen“, fügte Virri hinzu. „Und wir benutzen Holzschwerter.“
Leo schnaubte: „Das ist doch kein richtiger Kampf ohne den Klang von Stahl auf Stahl!“
„Aber wir wollen uns ja nicht wirklich verletzen“, widersprach Virri, zögerte dann aber. „… oder?“ Verunsichert blickte er zwischen Leo und Balaen hin und her; seit die beiden grundverschiedenen Ritter im Gebirge so heftig aneinandergeraten waren, waren sie von ihnen dreien am wenigsten gut aufeinander zu sprechen.
Der ältere wandte ein: „Wirklich gut ausgebildete Krieger können auch so vorsichtig kämpfen, dass sie ihren Gegner nicht ernsthaft verletzen.“
Abfällig prustete Leo. „Vorsichtig kämpfen? Da spricht doch der Rechtshänder aus dir!“ Herausfordernd verschränkte er die Arme. „Also, mich hat der Knirps überzeugt. Lieber will ich mir mit Holz alles erlauben, als mit Stahl vorsichtig sein zu müssen! Jetzt müssen wir uns nur noch welche bestellen“, meinte er mit einem Blick zum Waffengestellt, auf dem sämtliche Klingen aus Eisen gefertigt waren.
„Nö. Brauchen wir nicht mehr“, versicherte Virri. Soeben kamen seine beiden Klone wieder, gefolgt von einem Schlossdiener; der hatte sich Balaens Ausrüstung angenommen, während der Blaugewandete Virris Greifenmantel um die Schultern trug. Außerdem teilte er sich mit dem violetten Doppelgänger die Last von sechs Holzschwertern. Vergnügt bedankte sich Virri bei dem Dienstboten für seine Unterstützung, als dieser seine Ladung an Balaen übergab.
Der nahm sie zwar entgegen, hatte jedoch nur Augen für die hölzernen Waffen, von denen zwei zufällig jeweils so lang waren wie seins und Leos eigenes Schwert; die übrigen glichen Virris Schwerter der Vier, sogar bishin zu den farbig differenzierten Knäufen. Balaen nahm das offensichtlich für ihn vorgesehene in die Hand, betrachtete die Bearbeitungsspuren am Holz. „Die sind frisch geschnitzt!“, stellte er fachkundig fest und sah den kleinen Helden an. „Die hattest du in deinem Zimmer, nicht wahr? Du hast sie für die Duelle im Voraus vorbereiten lassen.“
„Du hast das alles geplant!“, erkannte nun auch Leo. „Dass wir das genau so klären, mit diesen Siegbedingungen und Spielregeln.“
Ertappt kratzte sich Virri an der Nase, wich ihren Blicken aus. „Vielleicht …“
Seufzend rieb sich Balaen seinerseits die Nasenwurzel. „Na dann. Lasst uns spielen!“Wenn es nach Leo gegangen wäre, hätte er am liebsten sofort losgelegt – doch zu seiner Enttäuschung wählte das von Virri vorgeschlagene Losverfahren, wer gegen wen zuerst antrat, den ältesten und den jüngsten Helden zu Duellpartnern. Mürrisch zog sich der Benachteiligte auf die Bank zurück, die am Rande des Sandplatzes aufgestellt war. Zu ihm gesellte sich Alvio, indem er neben ihn sprang, und richtete sich auf die Hinterläufe auf, um an seinem Gesicht und vor allem dem Grashalm zu schnuppern. Leo drückte dem Hasen eine Hand auf den Kopf und streichelte ihn mit grober Zärtlichkeit. Hinter ihm raunten die Wachsoldaten einander zu, schätzten die Lage ab, ob es nötig werden könnte, dazwischenzugehen. Immerhin trauten sie Balaen genug Vernunft zu, einem Kind nicht ernsthaft Schaden zufügen zu wollen.
Der Ritter aus den Wolken trug unter der grünen Tunika wieder sein Kettenhemd, hatte seine ganze Ausrüstung inklusive des Paraschals angelegt. Ebenso hatte auch Virri seinem Klon den Greifenmantel abgenommen und sich selbst umgeworfen. Weil sogar die unscharfe Übungsmunition zu gefährlich für den bevorstehenden Freundschaftskampf war, verzichtete Virri auf den Heroenbogen und gedachte, als Ersatz eine einfache Steinschleuder zu benutzen – die viel zu zufällig unter den geliehenen Schusswaffen lag, als dass nicht ein gewisser kleiner Manipulator sie schon im Vorfeld dort platziert hatte. Statt seines Köchers mit Pfeilen band sich der Schütze einen Beutel mit derselben Anzahl Deku-Nüssen an den Gürtel. Das Schwert der Vier durfte er nicht einstecken, da das die Doppelgänger wieder aufgelöst hätte; daher spießte ihr Träger die vervierfachte Klinge einfach neben den Kampfplatz in den Boden. Zu den Holzschwertern gehörten einfach gearbeitete Lederschlaufen, die die Helden an ihren Waffengurten anbringen konnten, sodass sie als Scheiden fungierten.
Die Kontrahenten stellten sich auf der sandgedeckten Fläche einander einige Schritt weit gegenüber. Der ältere hatte bereits Hylia-Schild und Schwert gezückt; sein jüngeres Gegenüber überließ in lockerer Formation vorerst seinen Klonen den Nahkampf und belud selbst die Schleuder mit einer Nuss.
Virri eröffnete den Kampf, indem er Balaen auch gleich mehrfach damit beschoss, der, gegen die aufblitzenden Kerne hinter den Schild geduckt, unaufhaltsam auf ihn zukam. Ohne sein Tun zu unterbrechen, entfernte sich der kleine Schütze rückwärts, während er zwei seiner Doppelgänger um seinen Gegner herumsteuerte, um ihn einzukreisen. Aus dem Augenwinkel wurde Balaen einer blauen Bewegung gewahr; sogleich fuhr er herum, schlug von oben nach dem Klon. Ungerührt, wie die künstlich erschaffenen Abbilder immer waren, hob der das eigene Schwert, ergriff mit der Hinterhand die Spitze, wodurch es ihm leichter fiel, den Angriff des stärkeren Helden abzufangen. Schon musste Balaen sich wieder mit dem Schild schützen, da Virri ihn unverändert mit Deku-Nüssen eindeckte. Mit ein paar Seitensprüngen gelangte der Ritter aus der Umkreisung der drei kleinen Krieger, rückte damit näher an deren schießwütiges Original heran. Doch dieses floh weiter vor ihm und brachte seine Klone wieder zwischen sich und den anderen Grüngewandeten.
„Dass du einfach in deine Klinge greifst, ist legitim“, meinte Balaen, während er sich vor weiteren Kernschüssen verschanzte. „Dein eigenes Schwert ist immerhin auch ungefährlich für dich. Und tätest du es nicht, könntest du wohl kaum parieren. Aber vorhin hast du doch gesagt, du willst dich nicht hinter den dreien hier verstecken.“ Mit einer schwungvollen Schwertgeste deutete er auf die Doppelgänger vor sich, hätte dabei fast einen von ihnen erwischt, aber Virri manövrierte ihn rechtzeitig in Sicherheit. „Macht dir das jetzt Spaß?“, betonte der Ritter aus den Wolken herausfordernd. Trotz dieser provokativ gemeinten Worte schoss Virri weiter unbeirrbar auf ihn.
Unvermittelt ruckte Balaen den Schild vor, sodass die Nuss auf den Schützen zurückgefeuert wurde. Vor Überraschen, dass er plötzlich seinem eigenen Geschoss entgehen musste, schaffte Virri es kaum, „Greifensprung!“ zu rufen, als er mit ebendiesem Manöver auswich. Sofort hackte Balaen, der glaubte, das Original sei ausreichend abgelenkt, auf den nächststehenden Klon ein; die beiden anderen kreuzten ihre Schwerter über dem anvisierten Opfer und packten mit der leeren Hand jeweils die Spitze der anderen Waffe. „Kreuzklinge!“, keuchte Virri aus der Entfernung, während seine Abbilder damit Balaens Streich abfingen. Der so beschützte Klon tauchte unter den Holzwaffen hervor, ging aus nächster Nähe auf den älteren Helden los, doch der schubste ihn mit einer Schildattacke von sich. Wieder wurde der Ritter dazu gezwungen, hinter Hylias Wappen Deckung zu suchen, als Virri ihn unter Beschuss nahm.
Allmählich musste Balaen sich eingestehen, dass sein kindlicher Gegner im Viererpack doch nicht so leicht zu besiegen war, wie er zuerst angenommen hatte. Er ging auf Abstand, um sich aufmerksam beobachtend eine neue Taktik zurechtzulegen.
Am Rande des Sandplatzes gähnte Leo übertrieben geräuschvoll und sah – wobei Alvios Blick dem Schwenk des Grashalms folgte – zu der Gruppe, die mittlerweile zwischen den Säulen zusammengekommen war. Die beiden Wachen vom Eingang hatten, als die Anzeichen auf Kampf gestanden hatten, eine der Dreierpatrouillen hinzugeholt, falls sie Hilfe benötigen sollten. Außerdem hatten sich zu dem Dienstboten, der Balaens Ausrüstung gebracht hatte, zwei Kollegen gesellt. „Hey, ihr dort!“, rief Leo sie alle an, und sie blickten auf. „Ich weiß nicht, wie es euch geht, doch ich find’s sterbenslangweilig, hier nur rumzuhocken. Wie wär’s, wenn wir uns das ein bisschen spannender machen …“ Mit dem Daumen deutete er auf die Duellanten. „Ich setze zweihundert Rubine auf die Knirpse!“
„Dein Ernst?“, kommentierte Balaen und musste den Hylia-Schild herumreißen, als Virri mit einer Deku-Nuss versuchte, seine scheinbare Unaufmerksamkeit auszunutzen. Ganz rechtzeitig gelang ihm das nicht, denn das Geschoss fetzte so dicht an seinem Kopf vorbei, dass der Luftstrom ihm die Haare zauste.
Gespielt nachdenklich tippte Leo sich ans Kinn. „Hm, du hast recht. Das passt nicht.“ Er wandte sich wieder ans Publikum. „Ich gehe auf fünfhundert Rubine!“ Einer der Soldaten setzte eifrig dieselbe Summe auf Balaen, woraufhin auch andere in die Wette einstiegen. Als einziger, der auf Virris Sieg getippt hatte, rief Leo seinem Favoriten zu: „Enttäusch mich nicht, Knirps!“
Der achtete nicht dieser Anfeuerung und entfernte sich von seinem Gegner in seinen vier Körpern, verstreute sie dabei in die Breite. Balaen versuchte, die ganze Front im Blick zu behalten. „Leo wettet mehr Rubine auf dich, als er vermutlich dabei hat“, meinte er und ignorierte den Protest des jüngeren Ritters, „und beleidigt dich im selben Atemzug. Lässt dich das denn ganz kalt?“ Anstatt zu antworten, verteilte Virri sich und seine Klone um den älteren Helden, der diesmal nicht plante, untätig abzuwarten, was die kleinen Krieger taten. Kaum, dass diese gleichzeitig zu einem Vierschwertstreich auf ihn losgingen, drehte sich Balaen blitzschnell um die eigene Achse und schwang das Schwert in einem weiten Kreis herum.
Um nicht davon getroffen zu werden, mussten die Klone stehen bleiben, die gegnerische Klinge abwehren oder zurückweichen. Das grüngewandete Original indes war für seinen eigenen Part des umfassenden Angriffs ohnehin in die Höhe gesprungen und wandelte ihn nun in einen geringeren um. „Sturzattacke!“, rief er, als er in seinem Flug genau über Balaen angekommen war, und stieß die Klinge die Spitze voran hinab. Der Ritter, der schon mit einem Angriff von oben gerechnet hatte, riss seinen Schild hoch und fing ihn ab. Virris Schwert wurde abgelenkt, und der gleitende Greifenkrieger segelte zu Boden.
Derweil hatte der violett gekleidete Klon das Schwert unter den Gürtel geschoben und näherte sich Balaen von hinten. Überraschend sprang er dem älteren Helden in den Rücken, umklammerte seinen Bauch mit den Beinen und presste ihm die Hände auf die Augen. Nur kurz versuchte Balaen, ihn abzuwerfen, denn er wollte nicht riskieren, noch weiter nicht beobachten zu können, was Virri an einer anderen Stelle aushecken mochte. Stattdessen zwang er dessen Doppelgänger dazu, ihn loszulassen, indem er sich nach vorne abrollte. Sofort fuhr der Ritter aus den Wolken zu ihm herum und traf ihn mit einem Schwertstreich in die Seite. Schnell schützte er sich wieder mit dem Hylia-Schild, ganz wie gewohnt weil Virri ihn mit Deku-Nüssen beschoss. Während Balaen auf Abstand zu dem ausgeschiedenen Klon ging, stand dieser auf und verließ wie vereinbart den Platz, ohne noch etwas zu tun. Ganz so, als habe er sich mitsamt seinem Pendant des Schwerts der Vier in Luft aufgelöst, nahm er auch das violett gekennzeichnete Holzschwert mit.
„Was für ein billiger Trick …“, kritisierte Balaen den dreisten Versuch seines Gegners, ihn blind zu machen. Dann erst fiel ihm auf, dass dort, wo der violette Doppelgänger gefallen war, ein weißes Stoffstück zurückgeblieben war. Überrascht stellte Balaen fest, dass dort sein Paraschal lag. „Sehr billig“, wiederholte der Ritter aus den Wolken, „ja kindisch muss man sagen. Und das nur, um mir meinen Schal abzunehmen?“ Die beiden verbliebenen Klone kamen wieder auf ihn zu, griffen von zwei Seiten an. Den einen wehrte Balaen mit dem Schild, den anderen mit kreuzendem Schwert ab. Virri selbst wechselte von der Schleuder zum eigenen Schwert, nutzte die Lücke in Balaens Verteidigung von vorn aus. Der ältere Held stieß die kleinen Krieger in Rot und Blau beidseitig von sich und entkam mit einem Rückwärtssalto aus der Reichweite dessen in Grün.
Sowie er wieder auf den Füßen auftrat, wich er noch weiter zurück. „Du zielst erst jetzt auf meinen Hals“, stellte er erkennend fest. „Deswegen also hast du mir meinen Schal genommen! Solange ich ihn getragen habe, gab es keine Möglichkeit für dich, mir die Klinge an den Hals zu legen und zu gewinnen.“
Ertappt biss sich Virri auf die Lippen, blinzelte zum Paraschal hinüber – jetzt musste er unbedingt verhindern, dass sein Besitzer ihn sich wiederbeschaffte. Der hatte den Blick bemerkt und lief los, um genau das zu tun. Schnell zückte Virri wieder die Schleuder, doch schon nach zwei nutzlosen Schüssen auf den Hylia-Schild brach er ab, da er auch ohne nachzuprüfen wusste, dass ihm genau jetzt die Munition ausgegangen war.
Also lief Virri in seinem nächststehenden Klon los, erreichte das weiße Kleidungsstück sogar noch vor dem Ritter und nahm damit Reißaus. Balaen zog einen Mundwinkel zu einem halben Grinsen leicht hoch – der kleine Krieger war in seine Falle getappt. Mit der blitzschnell gezückten Peitsche umfing er den Knöchel des rot gekleideten Doppelgängers, warf ihn um und zog ihn zu sich heran. Sodann ließ er ihn los, zog wieder das Schwert, sprang vor, noch bevor der Klon aufstehen konnte, und spießte die Klinge mit einem Fangstoß knapp neben ihm in den Boden – zu genau, als dass er ihn versehentlich verfehlt hätte. Noch während Balaen sein Schwert befreite, ließ Karmin einen spitzen Warnschrei hören, doch auch so verriet sich Virri mit einer laut gerufenen „Sturzattacke!“
Der ältere Held drehte sich herum und fing den Angriff aus dem fehlgeschlagenen Hinterhalt ab. „Ist mir feige in den Rücken zu fallen die einzige Taktik, die dir für mich einfällt?“ Balaen beobachtete, wie Virri langsam wieder zu Boden glitt, und deutete auf dessen roten Klon. „Ich denke, wir sind uns einig, dass der auch raus ist, auch wenn ich ihn nicht getroffen habe.“ Das Original blieb darauf so stumm wie seine Abbilder, manövrierte nur den Rotgewandeten ins Aus zu seinem anderen Doppelgänger. Derweil hob Balaen nun endlich den Paraschal auf, schüttelte die Sandkörner ab, die kaum daran haften blieben. Nach kurzem Nachdenken legte er ihn sich so locker auf die Schultern, dass der Hals freiblieb. Auffordernd schwang er das Schwert und verlangte: „Kein Versteckspiel mehr. Kämpfen wir richtig!“ So ging auch er nun in die Angriffsphase über, derer sich Virri nur auf zweihändige Weise erwehren konnte. Dadurch war er zu sehr damit beschäftigt, sich und seinen Klon gegenseitig zu beschützen, dass er nicht mehr dazu kam, mit eigenen Streichen zu kontern.
„Häng dich rein, Knirps!“, feuerte Leo ihn an, während das Publikum Balaens Namen skandierte.
Schließlich stellte sich Virri seinem viel erfahreneren Gegner allein, und sein Doppelgänger zog sich zurück. Siegessicher holte Balaen aus, schlug in dem Moment zu, in dem der Greifenkrieger auch schon wieder hochsprang. Abwehrbereit hob der Ritter aus den Wolken den Schild, doch war er nicht wie erwartet Ziel einer Sturzattacke. Stattdessen verkündete Virri: „Große Wirbelattacke!“ Plötzlich war der blaue Klon wieder im Spiel, drehte sich wie ein Kreisel auf Balaen zu. Der hielt seinen Schild gegen das wieder und wieder dagegen krachende Holzschwert. Das grüngewandete Original landete leichtfüßig vor ihm, duckte sich unter den Schild und klammerte sich an einem Bein fest.
„Verdammt, was …?“, fluchte Balaen, und die Wirbelattacke gegen den Hylia-Schild brach ab. Er drehte das Schwert mit der Spitze hinab, zielte auf den Jungen an seinem Bein, um den Kampf zu beenden – als dessen Klon auch das andere packte. Der kleine doppelte Krieger stemmte sich gegen das Gewicht seines größeren Gegners und hebelte ihn aus dem Stand. Der Sandbelag federte den harten Sturz ab, und ehe Balaen reagieren konnte, war Virri beidseitig neben ihn gehopst und kreuzte die Holzklingen genau an seinem Hals.
Der Held aus den Wolken, der sich gerade hatte aufrappeln wollen, hielt inne, blinzelte abgrundtief erstaunt zu seinen Bezwingern hoch, die seinen Blick erwiderten – der eine ruhig und völlig emotionslos, der andere ganz außer Atem, mit breitem Grinsen und leuchtenden Augen. „Verloren!“, rief Virri vergnügt, als hätten sie Fangen gespielt und nicht erbittert gekämpft. Vor Freude jubelte der kleine Krieger und begann, über den Duellplatz zu hüpfen – jedoch weniger seines Sieges wegen. „Wie du deinen Schild benutzt hast, um die Nuss abzuwehren!“, rekapitulierte er den Kampf tirilierend. „Ich wusste gar nicht, dass das geht. Oder die Sturzattacke ganz ohne Greifenmantel!“ Mit seinem Klon versuchte er, den Fangstoß des älteren Helden nachzuahmen, sprang jedoch längst nicht hoch genug.
Noch immer am Boden, blickte Balaen ihm nach und wiederholte ungläubig: „Verloren …“ Sein Kopf sank wieder zurück, und er legte die Hand über die Augen. „Verloren. Gegen ein Kind!“
„Ach komm, sei nicht so hart zu dir“, tröstete Leo ihn hämisch. „Es sind zwei Kinder.“ Dafür blitzte der ältere Ritter ihn zwischen den Fingern hervor an.
Virri flötete weiter: „Du hast die Wirbelattacke so plötzlich eingesetzt, ohne dich vorzubereiten.“ Auch das versuchte er nachzumachen, stürzte aber der Länge nach hin. Dennoch hörte er nicht auf, fröhlich zu lachen.
„Vergiss seine Wirbelattacke“, wandte sich Leo an den Jungen. „Deine war mal gar nicht schlecht! Ich kenne das nur mit einer einfachen Drehung.“
„Das war ja auch keine normale, sondern eine große Wirbelattacke“, erklärte Virri altklug. „Die hat mir der Geist eines alten Schwertmeisters beigebracht.“
„Warum hast du die nicht gleich eingesetzt?“, verlangte Leo zu wissen.
„Mir wird damit immer so schnell schwindelig, wenn ich sie selbst einsetzte. Und wenn ich es als ein Klon tue, ist es mit ihm hinterher schwerer, gleich weiterzukämpfen.“
Doch Leo beharrte: „Damit hättest du diesen Hochstapler sofort fertiggemacht!“
Balaen, der mittlerweile aufgestanden war und sich Staub von der Tunika klopfte, warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Mach du es besser“, forderte er ihn grollend heraus.
Der jüngere Ritter lachte, zog sich die Handschuhe aus und warf sie auf die Bank. „Das werde ich! Ich mache alle drei Zusatzknirpse auf einmal platt! Darauf kannst du gleich bei denen mitwetten.“ Mit einem Fingerzeig deutete er auf das Publikum, das noch um ein paar weitere Schaulustige angewachsen war. Die Wettteilnehmer sammelten gerade die Einsätze zusammen, um sie Leo zu übergeben, doch der winkte gönnerhaft ab. „Lasst nur. Ihr Schlucker habt die Rubine dringender nötig als ich.“ Er ergriff das Holzschwert und schwang es herausfordernd herum. „Lass uns loslegen, Knirps!“
„Noch nicht“, widersprach Virri jedoch.
Davon genervt, wieder einmal ausgebremst zu werden, knurrte Leo: „Was ist denn jetzt schon wieder?“
„Ich muss erst was essen. Das Frühstück ist schon zwei Stunden her“, erklärte Virri.
Damit fertig, seine Tunika zu richten, band sich Balaen den Schal nun wieder ordentlich um. „Das empfindest du als lang?“, fragte er den kleinen Helden.
Mit weit aufgerissenen Augen nickte dieser; er zog das Schwert der Vier aus dem Boden und schob es in die Scheide zurück, sodass das Glühen im Knauf erlosch und sich seine Abbilder auflösten. „Als vier zu kämpfen macht einfach schrecklich hungrig!“Eine Stunde später kamen die drei Helden wieder auf dem Innenhof zusammen. Die Kunde, dass sie ihre Mittagspause beendet hatten, breitete sich rasant durch das Schloss aus, und auch das Publikum fand sich schnell wieder ein – mit neuen Mitgliedern, doch fehlten auch ein paar derer, die beim ersten Wettkampf dabeigewesen waren. Hauptsächlich Soldaten waren von ihren Vorgesetzten zurechtgewiesen worden, weil sie ihre Pflichten vernachlässigt hatten. So hatten nur die wenigen das Privileg, zuzusehen, die jetzt Dienstschluss hatten oder ohnehin am Innehof Wache schoben.
Natürlich wurden die Wetten dort weitergeführt, wo sie aufgehört hatten. Nachdem Virri gegen den einige Jahre älteren und deswegen irrtümlich erfahreneren Balaen gewonnen hatte, vertrauten viele Zuschauer in die Fertigkeiten des kleinen Helden. Andererseits wussten sie noch nicht, was Leo zu bieten hatte, weswegen immerhin gut die Hälfte des in die Wettkasse eingehenden Geldes auf ihn gesetzt wurde.
Trotz seiner kläglichen Niederlage hatte auch Balaen sich dazu entschieden, zuzusehen; wie der jüngere Ritter zuvor hatte er auf der Bank Platz genommen. Karmin war wieder bei ihm, daher kauerte Alvio viel lieber bei den menschlichen Zuschauern neben dem Säulengang an einem Grasbüschel und mümmelte in angespannter Friedlichkeit.
Der Beutel mit Deku-Nüssen an Virris Gürtel war wieder mit Munition befüllt. Auch diesmal umgab sich der kleine Held mit seinen Klonen, die er neu heraufbeschworen hatte, und stellte sich seinem Kontrahenten entgegen. Der hatte sich mittlerweile einen frischen Grashalm beschaffen müssen und verbiss sich entschlossen daran.
Anders als der Ritter aus den Wolken, lieferte er dem kleinen Krieger gar nicht erst die Gelegenheit, ihn irgendwie zu beschießen. Nach drei Schritten auf der Stelle flitzte er, die Schwertspitze wie einen Rammbock vorgedreht, pegasusschnell auf seine vier Gegner zu. „Greifensprung!“, rief Virri und wich in die Höhe aus, während er seine Doppelgänger mit Vorwärtsrollen in Sicherheit brachte. Leo zischte, ohne einen zu treffen, zwischen den vieren hindurch, und wirbelte Sand auf, als er bremste und schlitternd zum Stehen kam.
Der schwebende Grüngewandete sank in sicherer Entfernung langsam zu Boden, verteilte seine Klone um den Ritter. Mit zwei, drei Deku-Nüssen, die Leo gekonnt mit dem Schwert abfing, lenkte Virri seinen Gegner ab, während er mit seinen Klonen ein neues Manöver vorbereitete, mit dem er den älteren Helden besonders zu beeindrucken gedachte. Auch einen Namen improvisierte er jetzt dafür: „Dreifache Große Wirbelattacke!“ Sogleich näherten sich Leo aus drei Richtungen hölzerne Klingenkreisel, zwischen denen auch mit Pegasusstiefeln kaum Platz blieb, zu entkommen. Ihr Ziel zauderte nicht, steckte die Waffe ein und griff nach dem Tauschhaken an seinem Gürtel. Leo schleuderte die Metallklammer gegen den echten Virri, zog an der Kette und versetzte ihn ins Zentrum seines eigenen Angriffs. Die vier kleinen Krieger purzelten übereinander; sofort versuchte das Original, wieder Herr über seine Klone zu werden und schnell aufzustehen.
Indes riss Leo den Tauschhaken zurück, fing die Klammer geschickt auf, zückte wieder das Schwert, sprang vor und schlug nach seinem am Boden liegenden Gegner. Der riss reflexhaft die Arme vors Gesicht, japste gleichzeitig: „Kreuzklinge!“ und schützte sich selbst mit den Waffen zweier seiner Klone.
„Musst du eigentlich immer so rumschreien?“, beschwerte sich Leo. „Das nervt auf Dauer ganz gehörig.“ Während der dritte Doppelgänger den Ritter in ein Gefecht verwickelte, stand Virri endlich auf. Er verteilte sich um seinen Gegner, setzte den Vierschwertstreich ein – natürlich nicht, ohne dessen Bezeichnung laut im Voraus zu verkünden. Daher hatte Leo gerade genug Zeit, die Pegasusstiefel zu aktivieren und mit einem kurzen Sprint aus der Falle der vier Klingen zu entkommen, bevor sie zuschnappen konnte. Und wieder warf sich Virri deswegen nur selbst über den Haufen.
„Hör auf, ihn zu umzingeln. So kommst du nie an ihn ran!“, meldete sich Balaen vom Rande des Platzes zu Wort.
„Wer hat dich nach deiner Meinung gefragt?“, keifte Leo scharf zurück.
Die kleinen Krieger rappelten sich wieder auf und blieben, Balaens Rat folgend, nahe beieinander, mit dem Original schützend in ihrer Mitte. „Du verkriechst dich wieder zwischen deinen Mitknirpsen!“, warnte Leo, rannte wieder los, diesmal mitten durch seine Gegner, und zwang sie so dazu, auseinanderzustieben. Kaum, dass er vorbei war, rottete Virri sich wieder zusammen, nur um erneut durch einen stürmischen Sprintangriff von seinen Klonen getrennt zu werden. So eng wie möglich rückte Virri mit ihnen zusammen, bereit für Leos nächsten Vorstoß – als ihm eine Idee kam.
Die kleinen Krieger stellten sich in einer Raute auf, drehten die rechte Seite nach innen; jeder von ihnen umfasste das Handgelenk des nächststehenden. So bildete Virri eine fest zusammenhängende Einheit aus vier Körpern. Nach außen streckte er nun die Holzschwerter hervor, drehte sie in Richtung Leo. Auch dafür erfand der kreative Kindskopf gleich einen neuen Namen: „Klingenigel!“
Als Leo ihn diesmal mit einem Sprint durcheinanderwerfen wollte, lenkte Virri das vorschnellende gegnerische Schwert mit einer Kreuzklinge ab, die er mit dem Klon neben sich vollführte. Auch weitere Versuche vonseiten des Ritters scheiterten an Virris Zusammenhalt. Aufgebracht stapfte der ehemalige Hase um den Igel herum, suchte nach einem Weg, dessen Stacheln zu umgehen. Jedoch gab es keine Seite ohne ein Holzschwert oder aufmerksam auf ihn gerichtete Augen. Es war klar, dass Leo diese Formation irgendwie durchbrechen musste, doch ließ sie ihn nicht an sich heran.
Der Hylianische Ritter warf einen Blick zur Bank und ertappte sich dabei, für einen Moment zu bereuen, seine Handschuhe ausgezogen zu haben. „Nett von dir, dem Knirps zu helfen“, sagte er sarkastisch zu dem dort sitzenden Balaen. „Hast du auch einen Tipp für mich parat? Nicht, dass ich ihn wirklich brauche.“
Ruhig erwiderte der ältere Held: „Ziel auf seinen Hals.“
„Ach, tatsächlich?“, knurrte Leo zynisch. Wieder preschte er vor, hielt das Holzschwert genau auf Virris Halshöhe – doch der schützte sich wieder mit einer Kreuzklinge, diesmal durch die beiden Doppelgänger im Gespann vor und hinter ihm. Schnell musste Leo zurückweichen, als das Original auch schon zum Gegenschlag ausholte.
„Jetzt verstehe ich!“, rief Leo aus. „Auf den Hals zu zielen hast du nicht mir geraten, sondern ihm!“ Er hob die Schulter. „Meinetwegen. Ich kann meine Kämpfe alleine sowieso besser austragen.“ Mit diesen Worten schob er das Schwert ein, nahm den Tauschhaken, den er zuvor in einem kurzen ruhigen Moment am Gürtel befestigt hatte, wieder ab. Als er ihn jetzt nach dem Original auswarf, wehrten die es umgebenden Klone die Klammer nur mit einer Kreuzklinge ab.
Leo zog die Kette wieder ein und aktivierte die Pegasusstiefel. Virri machte sich mit einer weiteren Kreuzklinge zur Parade bereit, als der ältere auf ihn zuflitzte – und im letzten Moment vor dem Einschlag absprang. Die Geschwindigkeit trug ihn über das Viergespann hinweg, das sich unwillkürlich duckte. Leo warf den Tauschhaken unter sich, der sich um die Schulter des grüngewandeten kleinen Kriegers schloss. Die Kette noch immer in der Rechten, zückte der Ritter im Landen das Schwert, während Virri mit der vereinten Kraft seiner Klone verzweifelt versuchte, die Metallklammer zu lösen. Den Schwertarm zur Seite abgewinkelt, spannte Leo die Muskeln an, entließ die Energie in einer Wirbelattacke, zog dabei an der Kette und vollendete die Drehung inmitten der Doppelgänger. Dabei mähte er diese einen dicht gefolgt vom anderen um – wie er es Balaen zuvor großspurig angekündigt hatte.
Haltlos fielen die drei Holzschwerter in den Sand. Die dreifarbigen Funken, zu denen die Abbilder zerfallen waren, waren noch nicht erloschen, da stürzte sich der Ritter auch schon wieder auf seinen nun allein dastehenden Gegner. Der ließ davon ab, die Hand an den schmerzenden Kopf zu pressen, gab ein erschrockenes „Greifensprung!“ von sich und wich damit aus. Als Leo unter ihm war, stieß er hinab, jedoch ohne Sturzattacke, und klammerte sich an seinem Rücken fest. Anstatt ihm wie Balaen die Augen zu verdecken, nahm Virri die Schwertspitze in die Hinterhand und versuchte, die Klinge an den Hals des älteren Helden zu bringen. Doch der ließ sich überraschend nach hinten fallen und rammte den kleinen Krieger in den Boden.
Virri stöhnte vor Schmerz, musste seine Lähmung aber überwinden, als Leo schwungvoll aufstand, herumfuhr und zu einem Hieb nach ihm ausholte. Die eigene Waffe zurücklassend, robbte Virri panisch rückwärts einige Schritte vor ihm weg, drehte sich herum, sodass die gegnerische Klinge ihn knapp verfehlte, rappelte sich stolpernd auf und wich einem weiteren Schlag mit einer beherzten Vorwärtsrolle aus. Endlich wieder auf den Beinen zückte er die Schleuder, wandte sich dem bedrohlich hinter ihm herstapfenden Leo zu, zielte rückwärtsgehend auf die pegasusbestiefelten Füße. Dabei trat er auf seinen dicht am Boden schleifenden Greifenmantel, kam ins Straucheln, sodass die Deku-Nuss zu hoch ging und den Ritter mitten ins Gesicht traf.
Leo erreichte ihn, schlug zu, und wieder entkam Virri nur mit einem Greifensprung. Er segelte über seinen weiterlaufenden Gegner hinweg, landete leichtfüßig und holte sich das grün markierte Schwert wieder. Sowie er es aufhob, fuhr Leo zu ihm herum, griff ihn an – und auch wenn Virri nicht ausgewichen wäre, war es nur zu offensichtlich, dass er ihn verfehlt hätte. „Du mieser kleiner Grashüpfer, halt endlich mal still!“, fluchte der Hylianische Ritter mit zusammengebissenen Zähnen. Der kleine Held keuchte vor Anstrengung und schaffte es kaum, den Namen des Greifensprungs zu rufen, als Leo ihm auch weiterhin keine Verschnaufpause gönnte.
Wieder ließ Balaen von sich hören: „Sei so leise wie möglich, Virri. Die letzte Deku-Nuss hat ihn geblendet.“
Wutschnaubend wirbelte Leo in Richtung seiner Stimme herum, deutete mit dem Schwert erschreckend genau auf ihn. „Ruhe auf den billigen Plätzen!“, fuhr er den ältesten Helden an.
Nun erkannte auch Virri, dass Leos Pupillen winzig wie Stecknadelköpfe waren. Erstaunt rief er aus: „Du kannst mich nicht sehen!“
Dafür konnte er ihn umso besser hören: Leo sprang auf den kleinen Krieger zu und hackte auf ihn ein. Virri lief vor ihm davon, wobei die Nüsse in ihrem Beutel aneinanderklackten und seinem Gegner seine Position verrieten. Die Hand in der Hoffnung, das Geräusch zu unterdrücken, darauf gedrückt, tat Virri einen greifenhaften Satz und landete, ohne einen Laut zu verursachen. So sehr es seine Lungen auch quälte, senkte er die Atmung auf ein Minimum, schlich vorsichtig um Leo herum und überlegte fieberhaft, was nun zu tun war. Wachsam lauschte der ehemalige Hase; zwar konnte er die leichten Schritte im Sand vernehmen, aber sie waren tatsächlich nicht laut genug, um sagen zu können, wo sich ihr Verursacher genau befand.
„Hier ist jemand auf sehr leisen Sohlen unterwegs …“, stellte Leo fest. „Du vertraust also diesem Versager?“ Womit natürlich Balaen gemeint war, der darauf nicht einging, sondern nur abschätzend die Arme verschränkte. „Er hat dir schon geraten, mit deinen Mitknirpsen zusammenzubleiben. Deswegen war es überhaupt erst so ein Kinderspiel für mich, sie alle auf einmal wegzuhauen. Es ist doch klar, dass er dich jetzt verlieren sehen will, nachdem du ihn besiegt hast.“
Verunsichert senkte Virri das Schwert und sah zu dem ältesten der drei Helden hinüber. „Ist das wahr?“ Die Frage verriet Leo sogleich wieder, wo er stand, doch bis er seine Stiefel aktiviert hatte, blieb dem Greifenkrieger immerhin genug Zeit, auszuweichen und flüsterleise zu landen.
Balaen – der längst nicht so ein schlechter Verlierer war, als dass er das, was Leo andeutete, hätte tun können – schüttelte den Kopf über Virris Naivität. Seine folgenden Worte wandte er an den jüngeren Ritter. „Sei froh, dass er nur einen Hinweis bekommen hat. In einem richtigen Kampf mit echten Pfeilen wärst du jetzt tot.“
Leo schnauzte: „Wenn du noch so einen gescheiten Kommentar ablieferst, stopfe ich dir mit deinem Schal dein mieses Maul!“
Ungerührt sagte Balaen wieder zu Virri: „Er versucht, sich Zeit zu erkaufen. Lass dich nicht darauf ein und tu etwas, bevor sich seine Augen erholen!“
Natürlich hatte Virri schon längst nach einer Möglichkeit gesucht, seinen Vorteil auszunutzen, und jetzt kam ihm endlich ein Einfall. So leise er konnte, schob er das Schwert in die Lederschlaufe, band vorsichtig den Nussbeutel vom Gürtel. Als Leo diesmal, dem Klacken folgend, auf ihn zukam, erlaubte sich der kleine Held, mit einem Greifensprung auch gleich dessen Bezeichnung auszurufen. Zugleich schwang er den offenen Lederbeutel nach oben. Der Inhalt ergoss sich in weitem Bogen über den Himmel – und ging sogleich als Hagel hernieder. Verwirrt blickte Leo um sich; gerade hatten seine Augen angefangen, wieder undeutliche Schemen auszumachen. Die Deku-Nüsse, die in Blitzen und Knacken um ihn herum zerbarsten, narrten daher beide seine wichtigsten Sinne. Deswegen merkte er nicht, wie Virri vor ihm landete, sofort wieder absprang – diesmal die Lippen aufeinandergepresst, um sich zum Schweigen zu zwingen – und gleichzeitig das Schwert zog. Auf den Hals seines Gegners zielend, holte er zum finalen Schlag aus.
Unvermittelt kippte Leo den Oberkörper nach hinten. Virri glitt über ihn hinweg, und sein Hieb fetzte dem Ritter den Grashalm aus dem Mund. Jetzt wusste Leo nur zu genau, wo sich der kleine Held befand. Seine rechte Hand schoss vor, packte Virri an der Tunika; der Greifenkrieger schnappte erschrocken nach Luft, als Leo sich ruckartig wieder aufrichtete, diese Bewegung noch weiter nach vorn führte und ihn zu Boden schmetterte.
„Hab ich getroffen?“ Leo kniff die Augen blinzelnd zusammen, erkannte nun endlich Virri, der sich windend unter ihm lag – und dass er tatsächlich die Holzklinge an dessen Hals drückte. Triumphierend grinste der Ritter. „Ha, verloren!“, jubelte er wie Virri zuvor, stand auf und steckte das Schwert ein.
Sein gefallener Gegner setzte sich auf und sah ihn mit großen, leuchtenden Augen an. „Das war echt klasse!“, lobte Virri fröhlich.
Befremdet blinzelte Leo ihn an. „Warum freust du dich so? Du hast verloren.“
Virri sprang auf. „Ist doch egal! Es macht echt Spaß, gegen jemanden zu kämpfen, der so gut ist wie ihr!“, erklärte er begeistert und schloss damit auch Balaen ein. „Woher hast du nur gewusst, wo ich bin?“, wollte er von seinem Bezwinger wissen. „Wäre ich blind, würde ich meine Klone brauchen, um noch etwas zu sehen.“
„Als du gerade zum Schluss ausgeholt hast, hast du das Schwert fester gepackt, und dein Daumengelenkt hat geknirscht“, ließ Leo ihn wissen.
„Und das hast du gehört, obwohl überall die Nüsse geknackt haben? Wahnsinn! Und als du dich so zurückgebeugt hast, hab ich schon gedacht, du lässt dich umfallen, und ich müsste nur eine Sturzattacke machen, um zu gewinnen.“ Nun versuchte sich der kleine Held auch an Leos gelenkigem Trick, bretterte aber nur flach auf den Rücken. Dennoch fügte er vergnügt hinzu: „Bin ich erschrocken, als du plötzlich wieder hochgekommen bist!“
Leo warf einen kurzen, unzufriedenen Blick zu Alvio, der seine Furcht vor Karmin zumindest temporär überwunden hatte, um gemütlich an dem in der Mitte geknickten, seinem Hüter verlustig gegangenen Grashalm zu mümmeln. Seufzend ließ der Ritter, der den einen Kampf gewonnen, aber den gegen den Hasen verloren hatte, davon ab und wandte sich Balaen zu. „War das wirklich so schwer?“ Überheblich schnaubte er Luft durch die Nase. „Damit steht es fest!“ Vorfreudig rieb er die Hände aneinander. „Ich kann es kaum erwarten, mir diesen Mistkerl Link vorzuknöpfen!“
„Ich fordere dich zum Kampf heraus“, verkündete Balaen und erhob sich von der Bank.
Gehässig prustete Leo. „Wozu noch? Unser kleines Turnier ist vorbei, und ich bin ganz klar der Sieger!“
„Dann dürfte es doch kein Problem sein, wenn wir jetzt noch kämpfen“, meinte der ältere Ritter schulterzuckend. „Du stehst außerhalb jeder Konkurrenz.“ Provokativ zog er eine Augenbraue hoch. „Es sei denn natürlich, du fürchtest, zu verlieren.“
Verärgert blitzte Leo ihn an, hob aber in gespielter Resignation die Hände. „Bitte, wenn du meinst, wir müssten das machen, gern. Aber denk dran, ich habe den Knirps fertig gemacht und er dich. Du kannst gar nicht gewinnen!“
Nun mischte sich Virri ein. „Aber du hast doch gerade erst gekämpft! Und deine Augen müssen sich doch noch ganz ausruhen!“
Sein Einwand wurde von beiden Rittern überhört. Balaen schlug vor: „Die Regeln von unserem Spiel vorhin heben wir auf. Ich denke, das ist auch in deinem Interesse.“
Leo lachte kurz und freudlos auf. „Worauf du Gift nehmen kannst! Die einzige Regel, nach der ich spiele, ist, dass derjenige verloren hat, der kampfunfähig ist.“
Der ältere Held nickte knapp. „Einverstanden.“
„Und wir kämpfen mit richtigen Schwertern aus gutem altem, geschärftem Stahl“, fuhr Leo fort, zog das Holzschwert und fuchtelte herablassend damit herum. „Nicht mit diesen Spielzeugen!“
Wieder versuchte Virri, die beiden Streithähne aufzuhalten: „Aber das ist doch viel zu …!“
Doch Leo fuhr ihm über den Mund: „Lass nur, Knirps, hier kämpfen jetzt richtige Krieger! Das bedeutet, dass auch ihr nicht mitmischen dürft, sonst bereut ihr es noch!“ Die letzten drohenden Worte hatte er an die Soldaten gerichtet, die unter dem Säulengang hervorgetreten waren und jetzt zögerlich innehielten.
Balaen stimmte ihm zu: „Genau, das ist ein Kampf Mann gegen … nun, immerhin nicht mehr ganz Kind.“
Leo bleckte die Zähne zu einer entschlossenen Grimasse.
Beleidigt verschränkte Virri die Arme vor der Brust und murmelte: „Dann macht doch. Wirst ja sehen, was du davon hast …“
Mit einem bösartigen Kichern nahm Leo die Handschuhe von der Bank und zog sie an. „Das wird er garantiert!“Die Stimmung im Publikum war sehr zwiegespalten: Auf der einen Seite standen die wachhabenden Soldaten, deren Befehle klar vorgaben, das offene Austragen der Konflikte zwischen den Helden zu vermeiden. Die bisherigen Kämpfe waren dank der Holzschwerter immerhin noch harmlos vonstatten gegangen. Doch sie intervenierten nicht, da sie nicht nur die Drohung des einen Helden fürchteten, sondern sich insgeheim wünschten, zur anderen Seite des Publikums zu gehören.
Die sensationsgierigen Wettteilnehmer setzten vermehrt auf Leo – nachdem sie nun gesehen hatten, wozu er fähig war, war das nur allzu verständlich. Andere hingegen, die erst nach der Mittagspause hergekommen waren, machten Balaen zu ihrem Favoriten – sehr zum Vergnügen der Zuschauer, die Zeuge seiner Niederlage gegen ein Kind geworden waren. Hauptsächlich spekulierten seine Gönner in seine taktischen Überlegungen, mit denen er den Kampf der beiden jüngeren Helden analysiert hatte. Dennoch stand es denkbar ungünstig für den Ritter aus den Wolken – was diesen nicht im Mindesten kümmerte.
Stattdessen war er ganz allein auf seinen Gegner konzentriert, genau wie dieser auch auf ihn. Wie bei den Duellen zuvor stellten sie sich in sicherem Abstand einander gegenüber. Wie unter Rittern in beiden ihren Welten üblich, grüßten sie einander, indem sie die Klingen der eigenen Waffen vors Gesicht hielten und mit einer schwungvollen Bewegung nach unten führten. Sogleich hoben sie sie wieder, gingen aufeinander los – und endlich erklang auf dem Innenhof das tödlich melodische Scharren von Stahl auf Stahl.
Es war nur allzu offensichtlich, dass sich nun tatsächlich zwei bestens ausgebildete Krieger ein ernsthaftes Duell lieferten anstelle eines freundschaftlichen Wettstreits. Schnell vergaß Virri seinen Ärger, beobachtete mit begeistert geweiteten Augen, wie die beiden geschickt voreinander herhüpften. Als einziger heroischer Zuschauer konnte er dem Flug der Klingen folgen; für alle anderen verschwommen ihre Bewegungen zu silbernen Kreisbögen, und nur das gelegentliche Aufblitzen von Sonnenlicht verriet für je einen Sekundenbruchteil, wo sie sich befanden. Und in diesem stürmischen Gefecht der Schwerter fanden die beiden Ritter doch tatsächlich noch Atem für eines mit Worten.
Sarkastisch spöttelte Leo: „Dafür, dass du das Schwert in der falschen Hand hast, stellst du dich gar nicht mal so schlecht an. Da muss ich mich doch fragen, wie du gegen den Knirps so abgestunken hast.“ Er holte aus und schlug mit einem Ausfallschritt zu.
Balaen fing den Hieb mit dem Hylia-Schild ab. „Ich habe daraus gelernt und daher nicht vor, mich heute von noch einem Kind besiegen zu lassen.“
„Ach, vorhin sagtest du noch, ich sei nur nicht mehr ganz Kind“, gab Leo zurück.
„Du bist unzweifelhaft ein gutes Stück kleiner als ich“, stellte der ältere Held fest. „Vielleicht sollte ich dich auch einfach Knirps nennen.“
„Große Töne für jemanden, der die Ohrringe trägt, die ihm sein Verlobter geschenkt hat.“ Leo parierte einen seitlich geführten Streich, riss die Klinge herum und stach zu.
Jedoch ins Leere, als Balaen mit einem Sprung zur Seite auswich. „Ich würde sagen, wir reden weiter, wenn du im Stimmbruch gewesen bist.“
Beidhändig führte Leo das Schwert von oben zu einem Hieb hinab, und Balaen hob den Schild dagegen, stach gleichzeitig darunter hindurch. Die Klinge des jüngeren glitt ab und schlug die seines Gegners seitlich von sich. Balaen versetzte ihm mit dem Schild einen Stoß, ließ ihn zurücktaumeln. „Und du beschwerst dich über die billigen Tricks vom Knirps“, knurrte Leo gereizt. „Aber wie soll man auch mit Ehre kämpfen, wenn man es nicht für einen König tut.“
„Immerhin bin ich aus eigenem Können Ritter geworden“, entgegnete Balaen. „So, wie du hier mit dem Schwert herumfuchtelst, muss das bei dir pures Glück gewesen sein.“ Er sprang vor, stach zu, und Leo wich mit einer Vierteldrehung aus, kreuzte mit der eigenen Waffe – und beschloss, sich nicht mehr länger zurückzuhalten. Die brachiale Beiläufigkeit, mit der er jetzt zuerst das Schwert, dann auch den Schild zur Seite wischte, brachte Balaen aus dem Konzept. Kaum hatte Leo so die Verteidigung seines Gegners durchbrochen, schlug er auch nach diesem selbst. Der ältere Ritter ging mit einer Rückwärtsrolle auf Abstand.
„Du redest mir entschieden zu viel“, grollte Leo und aktivierte die Pegasusstiefel. Beidhändig hielt er das Schwert seitlich, die Spitze vorgedreht und rannte los. Balaen riss den Hylia-Schild vor sich, um ihn gegen den Sprintangriff zu stemmen. Als sei da kein Widerstand, schleifte Leo ihn vor sich her, ließ dabei eine langgezogene Staubwolke hinter sich – bis Balaen mit dem Rücken gegen eine Wand des Schlossgartens stieß. Die Zuschauer riefen überrascht aus, dicht gefolgt vom Jubel derer, die auf den jüngeren Ritter gewettet hatten.
Dessen Schwertspitze rutschte seitlich vom Schild ab, und Leo stampfte noch einen Schritt vor, nahm die Hinterhand vom Heft und schmetterte sie gegen Hylias Wappen, drückte Balaen an die Wand. Das Schwert seines Gegners kreuzte er bewusst vorsorglich mit dem eigenen, blockierte es so. Ohnehin war Balaen zu sehr damit beschäftigt, dem unbarmherzigen Druck gegen seinen Schild standzuhalten. Er lugte über die obere Schildkante und presste angestrengt hervor: „Dafür, dass du nur so ein halbes Hemd bist“, – er keuchte, als Leo ihn für diesen Ausdruck noch fester ans Gemäuer presste –, „kannst du erstaunlich hart zupacken. Isst du vielleicht doch heimlich Fleisch?“
„Das habe ich nicht nötig.“ Leo hob die Schwerthand, ihren Rücken nach vorn gedreht. Dabei hielt er die Waffe so, dass er, sollte sich Balaen auf dem begrenzten Platz zum Angriff entscheiden, diesen doch abwehren konnte. „Krafthandschuhe. Machen stark wie ein Hinox. Kann ich wirklich nur empf- …“ Er erstickte an den restlichen Silben und zog den letzten Buchstaben lang, als ihm Balaen unter Schild und Schwert hindurch die Faust in die Magengrube rammte. Gequält krümmte sich Leo, legte unwillkürlich die Rechte auf den schmerzenden Bauch.
Mit einer Schildattacke schubste Balaen ihn von sich, holte ihn dann mit einer weiteren, von einem Ausfallschritt unterstützten von den Füßen. Der ältere Held sprang vor, ließ die Schwertspitze hinabzischen, wie um seinen Gegner aufzuspießen, zielte jedoch so, dass er nur dessen Schulter oberflächlich verletzen würde. Doch er hatte die Rechnung nicht mit Leos Reflexen gemacht: Der schlug die Hände über sich zusammen, fing die Klinge zwischen ihren Flächen ab. Balaen versuchte, sie ihm wieder zu entziehen, aber sie war unverrückbar wie zwischen Felsen eingeklemmt.
Über Leos Gesicht zog ein schadenfrohes Grinsen. Mit einer beiläufigen Geste schnippte er die Waffe seines Gegners zur Seite und entriss sie ihm mühelos. Er stemmte die Hände unter die Schultern, drückte sich vom Boden ab, zog die Beine an und kam mit einem Schwung auf selbige. Sogleich packte er den perplexen Balaen am Kragen und schickte ihn einhändig auf einen Parabelflug in eine andere Richtung als das Schwert.
Der Aufprall trieb Balaen die Luft aus den Lungen. Unter Schmerzen, die er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, stand er auf. Indes hatte Leo sein eigenes Schwert aufgehoben und versperrte seinem Gegner den Weg zu dem seinen. Der ältere Ritter warf einen abmessenden Blick darauf, dann auf Leo. Er machte ein paar prüfende Seitwärtsschritte, die der jüngere Held spiegelverkehrt imitierte, damit er nicht an ihm vorbeikam. Mit geheuchelter Anerkennung sagte Balaen: „Es ist bemerkenswert, dass ein Hitzkopf wie du eine solche Kraft so lange geheimhalten konnte. Oder du es nicht ausgeplaudert hat.“ Damit wandte er sich an Virri. „Bestimmt hast du davon gewusst. Es muss ihm lächerlich einfach gefallen sein, dich in der Höhle unter diesem Stein herauszuholen.“
Der kleine Krieger saß im Schneidersitzt neben der Bank auf dem Boden, die Fußflächen aneinandergelegt, die Hände darauf gestützt, und wippte hin und her. Schulterzuckend meinte er: „Ich fand das auch irgendwie komisch.“
Balaen konzentrierte sich wieder auf Leo. „Du hast mich überrascht, das gebe ich zu. Aber jetzt weiß ich, womit ich es zu tun habe.“
„Das bringt dir auch nichts mehr. Wir sind hier fertig“, meinte der jüngere Ritter und ließ in einer dramatischen Geste das Schwert sinken. „Du bist unbewaffnet! Ich habe gewonnen.“
„Streng genommen warst du sogar noch vor mir unbewaffnet“, erinnerte Balaen kühl. „Außerdem sind die Siegbedingungen doch, den anderen kampfunfähig zu machen.“
Leo winkte ab und behaupte überzeugt: „Das ist doch dasselbe!“
„Bist du dir da sicher? Sieh dich um.“ Balaen wies auf das Gestell neben dem Sandplatz mit all den Lanzen, Äxten und weiteren Schwertern. „Wir haben nichts als Waffen hier. Sobald du mir eine entreißt, bin ich noch lange nicht kampfunfähig und nehme mir einfach die nächste. Natürlich kannst du dasselbe tun …“
Abfällig zischend warf Leo ein: „Ich kämpfe nur mit Schwert!“
„… insofern sind wir wohl in einer Pattsituation“, vollendete Balaen seinen Satz ungerührt. „Wir werden so lange kämpfen müssen, bis einer von uns müde wird.“ Schalkhaft grinste er. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe mich nach meinem Kampf gegen Virri ganz gut erholt.“
Verärgert zog Leo die Augenbrauen zusammen und wischte sich hastig einen Schweißtropfen von der Stirn, der ihm ins Gesicht zu rinnen drohte.
Scheinheilig wollte der ältere Ritter wissen: „Sollen wir eine Pause machen?“
„Ganz gewiss nicht!“, polterte Leo kurzatmig.
„Na, dann hast du bestimmt nichts dagegen, wenn ich mich bediene …“ Bedächtigen Schrittes schlenderte der Held aus den Wolken zum Waffengestell. Pegasusschnell flitzte Leo auf ihn zu, um ihn aufzuhalten – und Balaen wechselte abrupt die Richtung zu seinem eigenen Schwert. Als Leo das bemerkte, bremste er scharf, wirbelte herum und trat wieder dreimal auf. Balaen hastete weiter, rollte sich den Rest der Strecke ab genau über der Stelle, an der seine Waffe lag – nur den Bruchteil einer Sekunde, nachdem der Pegasusbestiefelte vor ihm vorbeizischte und sie ihm vor der Nase wegschnappte. Unzufrieden schnalzte Balaen mit der Zunge, sehr leise zwar, doch entging es Leo nicht.
Der jüngere Ritter setzte eine prahlerische Miene auf, schnippte das abgeluchste Schwert einige Male herum. „Hast du was verloren?“
Balaen gab sich ebenso gelassen. „Meinetwegen darfst du es gerne benutzen, wenn du denkst, zwei Schwerter zu brauchen. Auch wenn du vorhin gesagt hast, nur mit einem Schwert zu kämpfen“, betonte er das Wort, das Leo in dem Zitat gar nicht gesagt hatte. „Ich habe gedacht, du würdest das auch beweisen. Oder denkst du, deine Handschuhe liefern dir nicht ausreichenden Vorteil gegen mich? Bei Virri hast du sie immerhin nicht getragen“, stichelte er.
„Bilde dir ja nichts darauf ein!“, schnauzte Leo zurück. „Ich habe den Knirps auch ohne fertig gemacht, im Gegensatz zu …“ Er verstummte verdutzt, als er merkte, dass er sich provozieren ließ. Die Zähne gereizt gebleckt, deutete er mit dem Schwert auf dessen einstigen Träger. „Ich habe durchschaut, was du vorhast!“
Noch war Balaen vorsichtig damit, verunsichert zu klingen. „Ach ja?“
„Ja“, behauptete Leo großspurig. „Und du wirst dieses Schwert nicht wiederbekommen. Dafür werde ich sorgen!“ Er drehte die fragliche Waffe herum, sodass er sie wie einen Wurfspeer hielt, und schleuderte sie wie einen solchen. Einem Armbrustbolzen gleich flog das Schwert vom Duellplatz hinüber zum Schießstand bis zu einer der höchstgelegenen Zielscheiben, traf dabei einen von Virris ins Schwarze gegangenen Pfeilen. Die Klinge spaltete den Schaft der Länge nach von der Befiederung bis zur Spitze, blieb anschließend fast bis zur Hälfte in der Scheibe stecken – zu hoch, um die Waffe einfach vom Boden aus zu erreichen und wieder zu ziehen. Der Holzpfosten wackelte noch etwas nach. Das Publikum ließ einen Laut der Bewunderung hören.
„Da bleibt dir wohl wirklich nichts anderes übrig, als was anderes zu nehmen“, meinte Leo überheblich.
„Ich hab’s mir anders überlegt“, widersprach Balaen gelassen. „Solange ich Schild und Peitsche habe, brauche ich nichts anderes.“
Überzeugt davon, nicht mehr verlieren zu können, schnaubte Leo spöttisch: „Was willst du damit schon offensiv ausrichten?“
Auch wenn er das selbst noch nicht wusste, erwiderte der ältere Ritter: „Unterschätze mich mal besser nicht. Hochmut kommt immer vor dem Fall.“
„Ist das euer Motto in den Wolken“, wollte Leo ohne jedes Interesse wissen, „oder bist du gerade erst darauf gekommen, weil der Knirps besser ist als du?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er die Schwertspitze erneut vor und sprintete auf seinen Gegner zu.
Der versuchte jetzt gar nicht mehr, ihn mit dem Schild abzufangen, da es ihm wie auch zuvor nicht gelungen wäre. Stattdessen hielt Balaen Hylias Wappen nur vorsichtshalber vor sich und wich mit einem Seitwärtssprung aus in die Richtung, in die er ohnehin unterwegs war. Nach ein paar weiteren, so gut wie unauffälligen Schritten zum Schießstand sagte er: „Jetzt wird mir auch einiges klar, was im Gebirge passiert ist. Zum Beispiel, warum du keine Hemmungen hattest, dich mit einem Goronen anzulegen. Oder wie das Pferd freikommen konnte.“ Er legte eine kurze Sprechpause ein, um Leo ein weiteres Mal aus der Laufbahn zu springen. „Angoro hat gesagt, diese Kette sei nur mit der Kraft eines Goronen zu zerreißen. Ich weiß zwar nicht, was ein Hinox ist, aber so, wie du mich gerade gegen die Wand gedrückt hast, ganz wie Calgoro …“ Wieder musste er ausweichen. „Du hast das Pferd befreit!“ Jetzt ging Leo mit einem so plötzlichen Sprintangriff auf ihn los, dass er Balaens Schlussfolgerung wortlos bestätigte.
Schamlos machte der ältere Ritter weiter: „Link ist vermutlich so lange in den Bergen geblieben, weil er selbst sein Pferd nicht befreien konnte. Jetzt weiß keiner, wo er ist.“ Er ließ eine weitere von Leos Sturmattacken ins Leere gehen. „Es muss unerträglich für jemanden mit deinem Moralempfinden sein, zu wissen, dass ein gesuchter Schwerverbrecher frei rumläuft – dank dir.“
„Halt’s Maul!“, brüllte Leo zornentbrannt. Wieder rannte er auf ihn zu, und als Balaen diesmal auswich, bremste er rechtzeitig, fuhr zu dem älteren Ritter herum und bearbeitete den Schild mit mehrfachen Schlägen. Zwischen diesen blieb Balaen nur gerade so viel Zeit, den Hylia-Schild immer wieder schützend vor sich zu reißen, bevor der nächste ihn wieder zur Seite fegte; dabei wich er immer weiter zurück. Spätestens jetzt wurde deutlich, warum Leo auf Stahlschwerter bestanden hatte: Holz wäre bei dieser rabiaten Behandlung schon längst zerbrochen. Die für Balaen sehr nachteilige Situation war nicht mit dem fast schon harmlosen Schlagabtausch zu vergleichen, mit dem die Ritter ihren Kampf begonnen hatten.
Dennoch hörte Balaen nicht auf, auf seinen physisch überlegenen Gegner einzureden. „Deswegen willst du Link unbedingt alleine finden. Um deinen Fehler mit seinem Pferd wiedergutzumachen.“ Während er sprach, zog er hinter seinem Schild die Peitsche aus dem Gürtel, schwang sie vor und umwickelte Leos Schwertarm damit. Er ruckte daran, brachte den jüngeren Helden damit aus dem Gleichgewicht und verschaffte sich so die Zeit, auf sicheren Abstand zu gehen, bevor er die Peitsche wieder löste. „Interessant“, kommentierte Balaen, als er seine Vermutung bestätigt sah. „Deine Handschuhe wirken nur verstärkend auf Bewegungen, bei denen auch deine Hände involviert sind. Ansonsten bist und bleibst du ein Schwächling.“
Für diese Verhöhnung wollte Leo ihn gleich wieder über den Haufen rennen. Blitzschnell ließ Balaen die Lichtkugel am Ende seiner Peitsche knallen, und ihr blau-roter Riemen verlängerte sich auf übernatürliche Weise. Daher erwischte er Leo auch aus der Entfernung am Fußgelenk, noch bevor der ein drittes Mal aufgetreten war. Gerade, als er losflitzen wollte, warf Balaen ihn wieder um. Geduldig wartete er einen Atemzug lang, während dem Leo aufstand, und peitschte dann sogleich erneut nach ihm. Doch der jüngere Ritter entwischte, indem er auf der Stelle sprang und die Beine so hoch wie möglich anzog. Bevor Balaen wieder ausholen konnte, trat er gleich bei der Landung rasch dreimal auf und sprintete pegassuschnell auf ihn zu. Nun wich der Held aus den Wolken abermals aus, und als Leo fast an ihm vorbei war, umschlang er dessen Knöchel mit der Peitsche – nur gerade kurz genug, um den Fuß unter ihm wegzureißen, sodass Leo in vollem Lauf in den Sand stürzte. Sofort hechtete Balaen vom damit bestreuten Kampfplatz auf die Zielscheiben zu.
Als er noch einige Schritte von jener entfernt war, in der sein Schwert stak, pfiff Karmin ihm von seinem Beobachtungsposten aus eine Warnung zu. Mit einer schräg zur Seite weisenden Vorwärtsrolle warf sich Balaen aus der Bahn, als Leo erneut nur haarscharf an ihm vorbeipreschte. Das Schwert hielt der Heißsporn dabei wie bei jedem dieser Sprintangriffe nach vorn gedreht – und versenkte es prompt im Holzpfosten der Zielscheibe.
Kaum wieder in sicherem Stand, erkannte der Ritter aus den Wolken nun endlich seine Chance.
Mit der rechten Hand riss sich Balaen den Paraschal vom Hals, während er seinem Gegner zugleich mit dem Hylia-Schild einen Stoß versetzte. So überraschend kam die Attacke aus nächster Nähe, dass Leo zu Boden stürzte, und das Schwert blieb herrenlos im Holz stecken. Einen Fuß darauf setzend, stieg Balaen schwungvoll daran hoch, brachte den Schild wieder an seinem Rücken an und langte nach dem oberen Schwert in der Zielscheibe. Den Schal nutzte der Held aus den Wolken, um seine Hände vor den blanken Schneiden zu schützen; so zog er sich unversehrt daran hoch, bis er auf der eigenen Waffe stand.
„Weißt du, was dein Problem ist?“, fragte Balaen den jüngeren Ritter, während er mit weit ausgebreiteten Armen versuchte, auf der Klinge die Balance zu halten.
Unter ihm stand Leo soeben auf, unterdrückte ein erschöpftes Keuchen – mit der Angriffsserie eben hatte er es doch etwas übertrieben. „Dass du so ein arroganter Mistkerl bist!“, keifte er ungehalten.
Geringschätzig zog Balaen die Augenbrauen hoch. Das sagte gerade der Richtige.
Der bodengebundene Ritter trat an sein Schwert heran, zog es ruckartig heraus, sodass der Pfosten gefährlich ins Wanken geriet. Um nicht runterzufallen, war Balaen gezwungen, sich in die Hocke sinken zu lassen und sich an der Scheibe festzuhalten. Sie beide wussten, wenn der ältere Held nun stürzte, war der Kampf entschieden.
Während Balaen sich den Schal wieder um den Hals legte, knüpfte er gelassener als angebracht an Leos vorige Worte an: „Das auch. Aber noch viel wichtiger ist: Hier oben sind dir weder deine Kraft noch deine Schnelligkeit von Nutzen.“
„Dann hole ich dich eben von deiner Hühnerstange runter!“ Aufgebracht rammte Leo sein Schwert in die Scheide, löste den Tauschhaken vom Gürtel und brachte ihn sofort zur Anwendung. Begleitet von einem glockenartigen Gong, schlug Balaen die Metallklammer mit einer Schildattacke zurück, und Leo duckte sich reflexhaft vor dem Geschoss. Alsdann ließ er die Kette fallen, machte Anstalten, den ganzen Pfosten mitsamt der Zielscheibe und was auf ihr war schlicht aus dem Boden zu ziehen.
In ruhigem Tonfall tadelte Balaen: „Ich meinte nicht, wenn ich hier oben bin …“ Er zückte die Peitsche und ließ sie zweimal rasch und gezielt vorschnellen. Mit scharfem Knall traf die Kugel Leo am Handgelenk, der dieses daraufhin unwillkürlich mit der anderen Hand umschloss; mit dem zweiten Hieb umwickelte Balaen beide Gelenke. Sofort sprang er ab, sodass das Schwert in der Zielscheibe zwischen den beiden Rittern war. So bildete der Riemen ein Flaschenzugsystem, das durch Balaens Gewicht erst die umfangenen Arme, dann den verdutzten Leo selbst bis zum Fixpunkt hinaufriss. Kaum, dass er landete, ließ Balaen die Peitsche los, wodurch der jüngere Held wieder ein gutes Stück runterrutschte – bis der Griff rasant um das Schwert wirbelte, das lose Ende darum herumwickelte und Leos Fall abrupt stoppte. Der Pfosten der Zielscheibe kippte, jedoch nur so weit, dass der an ihm hängende Ritter mit den Füßen knapp über dem Boden schwebte.
Leo überwand sein Überraschen, zerrte an der Peitsche, die seine Handgelenke gefesselt hielt und somit nicht von der Wirkung seiner Krafthandschuhe betroffen war. Also ergriff er den Riemen darüber, doch so elastisch dieser war, wenn ihr Besitzer die Peitsche benutzte, ließ er sich jetzt nicht einmal mehr dehnen. Nur ein schwaches, Triforce-förmiges Glühen auf Leos Handrücken deutete darauf hin, dass er hierbei an Magie war. „Was ist das für ein mieses Ding?!“, fluchte er knurrend.
In aller Ruhe strich der Held aus den Wolken sein Rittergewand glatt. „Diese Peitsche ist ein Geschenk meiner Göttin. Nicht einmal mit deinen Handschuhen dürftest du stark genug sein, sie zu zerreißen.“ Er zog das Schwert aus der Scheide am Rücken seines Gegners, der keine Notiz davon nahm, so verbissen war er darin, sich zu befreien. „Damit steht der Sieger eindeutig fest“, behauptete Balaen wahrheitsgemäß. „Du bist sowohl unbewaffnet als auch kampfunfähig. Und um unseren vorigen Spielregeln Genüge zu tun …“ Geschockt hielt Leo inne, als er den blanken Stahl des eigenen Schwertes am Hals spürte, das Balaen betont lässig und mit aller gebührenden Vorsicht daranlegte. „Verloren“, verkündete er, stieß die Klinge in die Erde neben dem Holzpfosten und ging einfach.
Leo tobte vor Wut, trat brüllend um sich und baumelte dabei nicht gerade ritterlich würdevoll herum. „Warte nur, bis ich hier runterkomme, dann mach ich dich kalt!“ Es folgte eine Reihe wüster Flüche und Beleidigungen, die Balaen völlig ungerührt ließen. Er nahm den Schal wieder ab, um ihn sich gleich im Anschluss geordnet wieder umzubinden, und kehrte zur Bank zurück.
Im Publikum wechselte ein Vermögen an Rubinen die Besitzer, und auch die Wachsoldaten entspannten sich trotz Leos anhaltender Drohungen. Virri war aufgestanden, fuchtelte mit dem Holzschwert und machte die Streiche und Paraden der älteren Helden so naturgetreu wie möglich nach. „Ihr wart einfach großartig!“, frohlockte er, als Balaen ihn erreichte. „Wie schnell Leo angegriffen hat, und du bist so einfach ausgewichen. Und dann deine Tricks mit der Peitsche! Woher hast du gewusst, dass er das mit deinem Schwert machen würde?“ Er holte mit der Holzwaffe aus und warf sie wie Leo zuvor die aus Stahl, schaffte es allerdings nicht einmal annähernd so weit.
Nach dem bewegungsreichen Kampf zupfte Balaen die Tunika noch immer zurecht und erwiderte: „Das wusste ich nicht.“ Verständnislos blinzelte Virri ihn an, und der ältere Held wollte wissen: „Du hast versucht, zu verhindern, dass er und ich gegeneinander kämpfen, nicht wahr? Du wusstest, er würde gegen mich viel rücksichtsloser mit seiner Kraft umgehen als gegen dich.“
Vage nickte der kleine Manipulator.
„Ich danke dir dafür“, sagte Balaen ehrlich, „aber es wäre nicht nötig gewesen. Eben weil er so rücksichtslos ist, denn das macht ihn leichtsinnig. Deswegen konnte ich nämlich Worte als zusätzliche Waffe gebrauchen. Ich habe ihn nur provoziert, damit er irgendeinen Fehler macht, den ich zu meinem Vorteil nutzen kann. Welcher das sein würde, konnte ich natürlich nicht ahnen.“
„Das hast du bei mir nicht gemacht“, stellte Virri fest.
Karmin war zu seinem Reiter getreten, um ihn zu beglückwünschen. Der streichelte seinen Schnabelansatz und gab schulterzuckend zu: „Ehrlich gesagt, ich habe es versucht. Ich dachte, wenn ich nur genug darauf herumhacke, dass du noch ein Kind bist, würdest du unachtsam werden. Nur bist du im Kampf viel zu konzentriert auf dich und deine Klone, als dass bloße Worte bei dir wirken könnten.“
Überrascht erkannte Virri die Anerkennung in Balaens Stimme, die vor ihrem Duell noch nicht vorhanden gewesen war, und strahlte vor Stolz.
Mittlerweile hatte Leo seine Schimpftiraden beendet und war dazu übergegangen, sich an der Peitsche hochzuziehen. Durch sein Gezappel hatte sich der Holzpfosten gefährlich zur Seite geneigt – und stürzte schließlich ganz ein. Mit einem Aufschrei krachte Leo zu Boden.Die Hymne der Sonne aus Ocarina of Time
Wechselt die Tageszeit von Tag zu Nacht und umgekehrt, ist also von der Wirkung gleich wie die Kleine Tag- und Nachtmusik aus Wind Waker. Demnach stehen die Titel der Kapitel 3 und 4 in Verbindung. Es dürfte klar sein, warum ich sie so verteilt habe: Kapitel 3 ist recht kurz, eine „kleine Musik“, während Kapitel 4 mit f*cking 23 Seiten sehr lang, also eine große „Hymne“ ist.
- In keinem Zelda-Spiel ist es je Thema, dass (die Spielfigur) Link Linkshänder ist, sodass er in Skyward Sword auch unangezweifelt Rechtshänder ist. Im Spiel eine unwichtige Kleinigkeit, die sich gut als Stilmittel und Konflikt eignet. Außerdem äußert sich Balaens eigentliche Chiralität in seinem Kampfstil, da er beim direkten Nahkampf mehr auf den Schildarm denn Schwertarm setzt. Was wiederum auch im Spiel auffällig oft passiert, denn das erste, was (die Spielfigur) Link macht, wenn man die Wii-Fernbedienung nur schief anschaut, ist, Schild und Schwert zu zücken, wobei der Schild dabei aktiver ist.
- Das Losverfahren, mit denen die drei entscheiden, wer gegen wen zuerst antritt, hat es auch bei meiner Planung gegeben. Ich wusste nicht, welche Reihenfolge ich nehmen sollte, also habe ich ausgelost, in welcher die Duelle stattfinden. Außerdem hat auch der Zufall entschieden, wer jeweils gewinnt, wobei natürlich schon von vornherein festgelegt war, dass es keinen endgültigen Sieger gibt (so, wie es halt auch in Pokémon mit den Startern ist: Pflanze schlägt Wasser, Wasser schlägt Feuer, Feuer schlägt Pflanze xP) Auf dieser Grundlage habe ich dann auch die Handlung vor, zwischen und nach den Kämpfen aufgebaut.
- Ja, Leo ist, wie wir schon wissen, doch nicht nach einem Filmhelden benannt, ahmt hier aber einen anderen nach. In meinen Notizen vermerkt als „Leo macht einen auf Neo“ lol. Außerdem ist er es, der Robin Hoods legendären Schuss mit einem Schwert statt eines Pfeils nachahmt. Dieses Meisterbogenschützenklischee wollte ich dann doch nicht Virri zuschreiben und auch nicht exakt kopieren (weil ausgelutscht)
- Wer schon vorher bemerkt hat, dass Leo Krafthandschuhe trägt, kriegt nen Keks :3
- „Wie unter Rittern (…) üblich, grüßten sie einander, indem sie die Klingen der eigenen Waffen vors Gesicht hielten und mit einer schwungvollen Bewegung nach unten führten.“ – So auch zu lesen in Das Abenteuer des letzten Helden, als (mein Fanstory-Charakter) Link von seinem Schatten zum Kampf herausgefordert wird. -
Kapitel 3: Kleine Tag- und Nachtmusik
In dem großen Speisesaal sorgten einige Kerzen und Kronleuchter unter der Decke für ausreichendes Licht. Die Gardinen an den wandhohen Fenstern waren eingezogen und gaben Ausblick auf die junge Nacht. Beidseitig der doppelflügeligen Eingangspforte standen zwei Wachsoldaten, denen anzusehen war, dass sie keine Antwort auf jede Frage gäben, die ihnen gestellt würde. Darauf bestand deswegen keine Hoffnung, weil auch ihre Kollegen zuvor nicht darauf eingegangen waren, als die Helden hatten wissen wollen, wo sie sich überhaupt befanden oder wer die Vermummte mit dem mysteriösen Instrument sei.
Unter ihrer Kapuze hatte sich diese nicht anmerken lassen, was sie davon hielt, dass ihre Entsandten ohne ihre Zielperson zurückgekehrt waren. Seit sie die drei aus dem Gebirge abgeholt hatte, hatte sie sich nicht mehr bei ihnen blicken lassen. Mit einem dritten Teleportlied hatte sie Virri, Leo, Balaen und dessen Wolkenvogel zu einer Steinplatte an einem Ort gebracht, der ihnen noch nicht bekannt gewesen war: Ein perfekt symmetrisch angelegter Garten mit akkurat gestutztem Rasen, sorgfältig gepflegten Blumenparzellen und in Form geschnittenen Buchsbaumbüschen. Umrahmt wurde die Grünanlage von hohen Backsteinmauern. Nach der Freiheit, die Karmin im Gebirge genossen hatte, schon wieder eingeschlossen, war der riesige Vogel nur ungern hier zurückgeblieben; doch hatte er sich vorerst von seinem Reiter trennen müssen.
Anstelle der Dame in Grau hatte die drei Helden eine Eskorte Soldaten durch Korridore geleitet, bei denen es sich aufgrund ihrer schieren Weite nur um die eines Schlosses handeln konnte. Während Leo diese Tatsache ohne Kommentar zur Kenntnis genommen und Virri wortreich und unfachmännisch die Architektur bewundert hatte, hatte sich Balaen in stummes Staunen gehüllt. Immerhin lebten in dem Palast mit all seinen Wachen, Höflingen und Dienstboten mehr Menschen, als dort, wo er herkam, überhaupt existierten.
Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen. Die Grüngewandeten saßen an einem langen Tisch nebeneinander, nach Größe aufgereiht wie Orgelpfeifen. Aus Höflichkeit vor ihrem unbekannten Gastgeber hatten sie ihre Ausrüstung an die Soldaten abgegeben; ihre Mützen hingen hinter ihnen an den Stuhllehnen, bei Leo und Virri über der linken, bei Balaen der rechten Schulter. Schweigend aßen sie von der reichgedeckten Tafel, die schon für sie bereitgestanden hatte, als sie in den Saal hereingeführt worden waren. Sie bestand aus einer üppigen Auswahl an verschiedensten Fleisch- und Fischgerichten, allerhand Gemüsebeilagen, Saucen und Salaten, und das in Mengen, die auch drei noch so ausgehungerte Helden nicht verzehren konnten.
Während Virri nacheinander ganze drei Portionen verdrückte, begaffte er den neben ihm sitzenden Leo unverhohlen aus großen Augen. Schließlich brach der Ritter genervt das geschäftige Schweigen. „Hab ich was im Gesicht?“, fragte er rhetorisch.
Tatsächlich nickte Virri mit vollem Mund, schluckte und sagte: „Ja, diese Narbe. Warum hast du eine Narbe an der Lippe?“
Mit einem boshaften Grinsen zeigte Leo die Zähne und erzählte dem Jungen eine Lügengeschichte über die Hasenscharte, die ihm schon im Kleinkindalter vernäht worden war. „Ich habe einem Ritter eine dumme Frage gestellt, und zur Antwort hat er sein Schwert gezückt und es mir über den Mund gezogen.“
„Ach so.“ Für die versteckte Botschaft unempfänglich, horchte Virri ihn weiter aus: „Isst du deswegen kein Fleisch?“
Nun doch stutzig, fragte Leo: „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“
„Na, weil“, hob Virri gedehnt an, „du dein eigenes Blut geschmeckt hast und deswegen kein Fleisch mehr magst. Und hier nur Salat isst“, fügte er mit einem Blick auf das Grünzeug im Teller seines Nebensitzers hinzu.
„Ich hatte vorhin eine Süßkartoffel“, wies Leo ihn auf das hin, was er bereits verspeist hatte.
Virri winkte ab. „Die macht doch nicht satt! Probier lieber den Hackbraten, der ist echt lecker!“ Damit spießte er ein Stück von besagtem Gericht auf und schob es sich demonstrativ in den Mund. Kauend nuschelte er: „Und der Kräuterquark sieht auch toll aus. Du hattest ja nicht einmal davon was auf deiner Kartoffel!“
In der Hoffnung, ihn damit endlich zum Schweigen zu bringen, teilte Leo ihm mit: „Weil ich nichts Tierisches esse.“
Damit hatte der Ritter jedoch eine ganz neue Fragerunde eröffnet. „Echt?“, machte Virri langgezogen. „Also auch keinen Fisch?“
„Genau“, erwiderte Leo.
„Und du trinkst auch keine Milch?“, wollte der Junge weiter wissen.
„Nein.“
„Aber Honig isst du doch!“
„Auch nicht.“
Virri riss die Augen auf, als ihm ein Gedanke kam, der ihm bis zu diesem Zeitpunkt absolut unvorstellbar gewesen war. „Auch keine Spiegeleier?!“
Am Ende seiner Geduld angekommen, schnauzte Leo: „Was an nichts Tierisches hast du eigentlich nicht verstanden?“
Ein weiteres Stück Hackbraten verschwand in Virris Mund, während sein Blick nachdenklich abschweifte. „Wie willst du dann groß werden? Mein Opa sagt immer, ich soll viel Fleisch essen, damit ich groß und stark werde!“
„Also, in meiner Welt funktioniert das anders. Und in deiner offenbar auch, denn du bist immer noch ein Knirps.“ Mit dem Daumen deutete Leo auf Balaen, der links von ihm saß und sich an einem gefüllten Kürbis gütlich tat. „Und unser verhinderter Lulatsch hier isst auch Fleisch und ist nicht gerade der Größte.“
Der ältere Ritter, der gerade die Verzierung seines Trinkbechers genauer in Augenschein nahm, richtete seine Aufmerksamkeit nun auf die Hand seines Sitznachbarn, die er zum ersten Mal ohne Handschuh zu Gesicht bekam. Bevor Leo sie wieder sinken lassen konnte, packte er sie überraschend am Gelenk.
„Was zum …!“, fluchte der Held in der Mitte und versuchte, sich loszureißen.
„Warum hast du ein Triforce auf dem Handrücken?“, forderte Balaen zu wissen und ließ ihn endlich frei.
Leo zischte eine undeutliche Beleidigung und rieb sich das Handgelenk. „Was, das alte Ding hier?“, fragte er dann überheblichen Tonfalls und stellte sein Geburtsmal zur Schau, indem er den Arm ausstreckte, damit auch Virri es staunend betrachten konnte. „Es zeigt, dass ich von den Göttern auserwählt bin. Habt ihr etwa keins?“
Grüblerisch blickte Balaen auf den eigenen blanken rechten Handrücken. „Ich hatte eins.“ Für ihn hatte es allerdings eine andere, wenn auch ähnliche Bedeutung gehabt.
„Ich weiß nicht, was dieses Triforce ist“, flötete Virri gut gelaunt. „Ich kenne nur Force. Davon musste ich nämlich ganz viel sammeln und die Großen Feen damit befreien. Und Vaati wollte es haben, ein ganz böser Dämon. Er hat die Prinzessin entführt, um sie zu heiraten und mit ihrem Force Hyrule zu beherrschen.“
Leo prustete. „Heiraten? Wie furchteinflößend! Der Dämon, den ich bekämpft habe, die alte Wildsau Ganon, hat meine Prinzessin entführt, um sie zu töten! Das ist, was wirklich böse Dämonen machen!“
„Warum sagt ihr ständig Prinzessin?“, fragte Balaen, der mit diesem Wort nichts anfangen konnte. Es hatte ihn aber bereits stutzig gemacht, als die Vermummte und die beiden Goronen es gebraucht hatten.
„Weißt du etwa nicht, was eine Prinzessin ist? Muss man dir denn alles erklären!“, schnaubte Leo abfällig. „Sieh dich doch nur mal um!“ Er deutete um sich. „Hast du das Zeichen bemerkt, das hier überall ist?“ Natürlich war auch Balaen das Symbol des geflügelten Triforce aufgefallen, das scheinbar jede Oberfläche im Schloss zierte: Die Türen und Torbögen, durch die sie gekommen waren, ebenso wie die Wandbehänge und Gardinen; die Rüstungen der Soldaten und die Uniformen der Bediensteten, bishin zu den Trinkbechern und aufs Feinste ins Besteck eingraviert. „Es ist klar, wer hier hat dekorieren lassen“, ergänzte Leo. „Die Königsfamilie geizt nicht mit ihrem Wappen.“ Als er Balaens ratlos zusammengezogener Augenbrauen gewahr wurde, rief er aus: „Hast du noch nie von der Königsfamilie von Hyrule gehört?“ Sein Tonfall machte dabei deutlich, dass er Balaen nun endgültig für unterbelichtet hielt.
„In meiner Welt gibt es kein Hyrule“, erinnerte der Held aus den Wolken. „Und dieses Zeichen ist das unserer Göttin.“
Das war nun wiederum für Leo, der von einem leidenschaftlichen Ritter erzogen worden war, unvorstellbar. „Aus was für einer primitiven, unzivilisierten Welt kommst du, wenn es dort weder Pferde noch Könige gibt!“
Ruhig stellte Balaen richtig: „Es gab einen König.“
„Gab?“, hakte Leo nach.
„Ja“, erwiderte sein Sitznachbar. „Ich habe ihn getötet.“
Sprachlos vor Entsetzen starrte Leo ihn an.
Weiter kamen sie nicht, denn die Tür zum Speisesaal wurde geöffnet. Zuvor, als die Helden hereingeführt worden waren, war es nur einer der Torflügel gewesen; diesmal schwangen beide nach innen auf. Ein Soldat trat ein, der von hohem Rang zu sein schien, denn die Wachen neben dem Eingang hoben die Hand zum schneidigen Salut an die Stirn. Der Neuankömmling blieb nach ein paar stampfenden Schritten in den Raum fest stehen. Das untere Ende seines Speers hieb er dreimal auf den Steinboden, kündigte mit kräftiger Stimme an: „Ihre königliche Majestät, Prinzessin Zelda von Hyrule!“
„Zelda?!“, wiederholten die drei Helden wie aus einem Mund.
Der Soldat trat zur Seite und verneigte sich tief, was ihm seine wachhabenden Kollegen gleichtaten. Die Mitglieder der Tischgesellschaft blickten zur Tür – durch die nun ein großer, weißer Hase hereingehoppelt kam. „Alvio!“, rief Leo überrascht aus, als er ihn erkannte. Das Tier bemerkte seinen Hüter, kam eilig zu ihm, sprang mit einem Satz in seinen Schoß und schnupperte neugierig nach dem, was er auf dem Teller hatte.
Neben ihm kicherte Virri belustigt. „Das ist doch keine Prinzessin!“
„Wenn er hier ist, bedeutet das …“, setzte Balaen an und kniff nachdenklich die Augen zusammen.
Dahingegen riss Leo die seinen weit auf, als er die mittlerweile vertraut gewordenen Schritte vor der Saaltür vernahm und zur selben Erkenntnis gelangte wie der ältere Ritter.
Endlich trat diejenige ein, die von dem Soldaten angekündigt worden war. Ohne ihren langen, dunkelgrauen Mantel war sie wie eine Erscheinung aus heller Seide; fast wirkte es, als reflektiere sie mehr Licht, als von den Kerzen überhaupt auf sie fallen konnte. Die langen, weißen Handschuhe rundeten das rosenfarbene Kleid ab. Dessen blaue Schärpe zeigte jenes Königswappen, das die Helden soeben noch diskutiert hatten. Auf dem Haupt, von dem langes, weizenblondes Haar herabfloss, trug die junge Frau eine Reifenkrone aus goldenen Blättern mit einem blutroten Juwel. Ein Hauch von Blütenduft umwehte sie und nahm für einen Moment den gesamten Luftraum für sich in Anspruch.
Ungeachtet des Hasen auf seinem Schoß, sprang Leo sofort auf, was Alvio wieder zu Boden beförderte. Der Ritter stürmte auf die Prinzessin zu. Der pflichtbewusste Soldat, der vor ihr eingetreten war, machte Anstalten, sich schützend vor seine Herrin zu stellen, die ihm daraufhin mit gebieterischer Geste zu verstehen gab, es zu unterlassen. Nicht im Entferntesten dachte Leo daran, ihr etwas anzutun, ja fiel sogar in respektvollem Abstand vor ihr auf ein Knie. „Es ist mir eine Ehre, Prinzessin“, grüßte er sie förmlich.
Prinzessin Zelda war sein Verhalten merklich unangenehm. „Du kniest vor mir?“, fragte sie unsicher. „Du weißt, ich bin nicht die Prinzessin, der du als Ritter verpflichtet wurdest.“
„Den Mitgliedern der Königsfamilie von Hyrule gebührt meine Hochachtung, wo auch immer ich bin“, erwiderte Leo redegewandt. „Bitte verzeiht meine unflätigen Worte bei unserer ersten Begegnung. Ich hatte Euch nicht als die erkannt, die Ihr seid.“
„Nun, meine Verkleidung sollte schließlich eben diesen Zweck erfüllen. Dir sei vergeben.“ Zelda machte eine rituell auffordernde Geste. „Erhebe dich, Ritter.“
Während Leo der erteilten Erlaubnis nachkam, nahm Alvio auf seinem Stuhl Platz, setzte die Vorderpfoten auf die Tischkante und bediente sich am Salat seines Hüters. Hinter ihm stützte sich Virri auf die Sitzfläche und beugte sich zu Balaen hinüber. „Hättest du das von ihm erwartet?“, flüsterte er dem älteren Helden hinter vorgehaltener Hand zu.
„Nicht im Mindesten.“ Beide staunten sie über die ausgesuchte Höflichkeit, die der dritte Grüngewandete zur Schau stellte. Der Heißsporn, dessen Launen sie im Gebirge kennengelernt hatten, schien wie ausgewechselt.
Leo hörte ihre geraunten Worte, ging aber nicht darauf ein. Stattdessen verbeugte er sich kurz vor Prinzessin Zelda und sprach: „Als Ritter ist es meine Pflicht, Euch darüber zu unterrichten, dass Ihr einen Königsmörder unter Euer Dach geladen habt.“ Mit großer Geste deutete er auf Balaen. „Dieser Mann hat selbst zugegeben, den König seiner Welt getötet zu haben!“
Der derart Angeklagte verschränkte die Arme; noch immer war es für ihn unverständlich, was daran verurteilenswert war.
Die Prinzessin erwiderte: „Aber wenn er als Königsmörder bezeichnet werden kann, dann du doch auch.“
So erschüttert, wie für eine solche Behauptung mehr als angemessen, starrte Leo sie an. „P-Prinzessin …?“, stammelte er.
Als sie seine Reaktion bemerkte, winkte sie hastig ab. „Nein, so habe ich das nicht gemeint! Du hast mich falsch verstan- …“ Sie verstummte, atmete tief durch und warf ihm eine entschuldigende, mitleidige Miene zu. „Setzen wir uns erst, dann werde ich alles erklären.“
Noch immer geschockt, begleitete Leo die Prinzessin an den langen Tisch, an dessen Ende ein einzelner, leerer Stuhl für sie bereitstand. Der Ritter zog ihn ihr heraus, wartete, bis sie sich darauf niedergelassen hatte, trat einen Schritt zurück und verneigte sich knapp. In seine Richtung nickend, sagte Zelda: „Vielen Dank, Leopold.“
Der Galan zuckte zusammen und presste, ohne es an gebührender Höflichkeit mangeln zu lassen, hervor: „Gerne, Prinzessin.“ Ausdruckslos stakste er zu seinem eigenen Platz zurück, scheuchte Alvio, der den Teller leergeputzt hatte, davon und setzte sich steif.
Virri grinste schief und kicherte: „Leopold?“
„Ist das dein richtiger Name?“, fragte Balaen.
„Haltet die Klappe“, zischte Leo gereizt. Wieder sprang der weiße Hase auf seinen Schoß und machte es sich darauf bequem.
Ein weiterer Soldat, jünger als die übrigen, war seiner Herrin unauffällig in den Saal gefolgt; die beiden Leibwächter hatten nun hinter ihrem Stuhl Stellung bezogen. „Verzeih, dass ich dich so erschreckt habe“, sagte Zelda nun zu Leo. „Ich habe mich falsch ausgedrückt.“ Sie wies mit der Hand auf den ältesten der drei Helden. „Der König, den Balaen getötet hat, war der Todbringer, ein Dämonenkönig, wie auch Ganon einer war. In seiner Welt gab es nie einen menschlichen König, weil seine Gesellschaft die Monarchie als Regierungsform nicht kennt.“
Entschuldigend neigte Leo den Kopf. „Das wusste ich nicht. Bitte verzeiht das Missverständnis.“ Trotz dieser Worte an die Prinzessin, funkelte er aus dem Augenwinkel Balaen vernichtend an, als trüge der die Schuld an seinem Patzer.
Die Ellbogen auf die Tischkante gestützt, deutete Zelda auf die Vielfalt an Speisen, die sich vor ihr erstreckte. „Ich wusste nicht mit Sicherheit, welche kulinarischen Vorlieben ihr habt. Ich hoffe, das, was ich habe auftragen lassen, war dennoch zu eurer Zufriedenheit.“
„Schmeckt ganz wunderbar!“, rief Virri enthusiastisch und unterstrich seine Aussage, indem er sich eine weitere Portion Hackbraten auf den Teller lud.
„Es war in Ordnung“, sagte Balaen weit weniger begeistert.
„Vorzüglich, Prinzessin. Vielen Dank“, sprach Leo. Auf seinem Schoß richtete Alvio die langen Löffelohren nach vorn, als wolle er seinem Hüter zustimmen.
Prinzessin Zelda lächelte erleichtert und versicherte: „Euch als meinen Gästen soll es an nichts mangeln. Wenn ihr irgendeinen Wunsch habt, wendet euch an einen Dienstboten, und ich werde dafür Sorge tragen, dass er erfüllt wird.“
„Dann würde ich gerne gleich etwas fragen“, griff Balaen das Stichwort auf und wartete Zeldas auffordernde Geste, weiterzusprechen, gar nicht erst ab. „Wieso hast du dich zuerst vor uns verkleidet, tust es jetzt aber nicht mehr?“
Die ursprünglich Vermummte nickte bedächtig. „Eine durchaus berechtigte Frage, die aber einfach zu beantworten ist: Ich hatte gehofft, diese Angelegenheit sei schnell erledigt und ich könne euch schon zum Abend wieder in eure Welten zurücksenden. Ihr alle drei seid mit dem Namen Zelda sehr vertraut, und ich wollte euch nicht unnötig damit verwirren, dass auch ich ihn trage.“ Ihre Lippen umspielte ein freundliches Lächeln. „Aber jetzt kann ich euch unmöglich weiter im Dunkeln lassen.“ Sie wurde ernst, beendete dieses Thema, verschränkte die Finger ineinander und wandte sich dem Wesentlichen zu. „Denn leider war eure Mission nicht erfolgreich“, stellte sie ohne jeden Vorwurf fest. „Was genau ist vorgefallen?“
Abwechselnd berichteten die drei Helden – am wenigsten Virri, da er zum Teil noch mit Essen beschäftigt war – vom ersten Abschnitt ihrer Suche, ihrem Fund und der Flucht des Pferdes und ihrer Begegnung mit Calgoro und Angoro.
An dieser Stelle nickte die Prinzessin bedauernd. „Dass vereinzelte Goronen sich uns Hylianern gegenüber so verhalten würden, hatte ich bereits befürchtet. Aber dass sie gar derart handgreiflich werden würden, hätte ich niemals erwartet. Ich hoffe, du wurdest nicht ernsthaft verletzt?“
Balaen, an den sie die Frage gerichtet hatte, versicherte: „Nichts Dramatisches.“
Die Helden fuhren in ihrer Erzählung fort und gelangten an jene Szenen, die sich im Hohlgang abgespielt hatten. Als sie bestätigten, dass sie darin jemanden entdeckt hatten, faltete Zelda in gestiegener Aufmerksamkeit die Hände.
„Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie er in diese Höhle gekommen ist“, überlegte Leo laut. „Es war nichts dort. Da drinnen hätte man sich nur verstecken können, wenn man etwas hat, das unsichtbar macht.“ Der Abenteurer selbst besaß einen magischen Umhang mit einer solchen Wirkung, weshalb für ihn diese Vermutung nahe lag.
„Wir haben uns nur sehr kurz darin umgesehen“, gab Balaen zu bedenken. „Ich vermute eher, dass er sich in irgendeiner Nische versteckt hat, die uns aufgrund des Lichtmangels nicht aufgefallen ist.“ Er sah Leo an. „Ich bin misstrauisch geworden, als du gesagt hast, du hättest etwas gehört. Deswegen bin ich zurückgeblieben in der Hoffnung, er würde es in der Dunkelheit nicht bemerken. Ich dachte, wenn ich dann überraschend meine Peitsche zücke, könnte ich ihn in ihrem Licht sehen und mit ihr zuschlagen, um ihn zu fangen. Aber er muss doch erkannt haben, dass ich noch da war und was ich vorhabe, denn gerade, als ich nach meiner Peitsche griff, warf er schon die erste Bombe. Und zwar so präzise, dass ich sie selbst mit der Peitsche auslöste …“ Missmutig runzelte Balaen die Stirn. „Mir blieb keine Zeit, auszumachen, wo er sich hätte verbergen können“, schloss er.
Es folgten die Schilderungen des Kampfes in der Höhle – bei der Erwähnung, die Zielperson habe sich in einen Wolf verwandelt, kniff Prinzessin Zelda die Lippen aufeinander –, deren Einsturz und die Flucht der Helden.
„Viridian und Leopold“, sprach die Prinzessin an ihre beiden jüngeren Gäste. „Obwohl ihr euch nur so kurz kennt, habt ihr euch doch füreinander aufgeopfert. Das war sehr mutig von euch.“ Sie schenkte ihnen ein anerkennendes Lächeln.
Während Virri vor Verlegenheit errötete und sich hastig ein besonders großes Stück Hackbraten in den Mund schob, neigte Leo ehrerbietig den Kopf. „Vielen Dank, Prinzessin.“
Balaen, der Virri ursprünglich hatte retten wollen, bevor Leo ihn daran gehindert hatte, ließ es kalt, dass Zeldas Lob nicht auch ihm galt. „Leider ist er entkommen, bevor wir uns wieder gesammelt hatten“, beendete er ihre Ausführungen.
„Verzeiht unser Versagen“, fügte Leo hinzu.
Die Prinzessin schüttelte verständnisvoll den Kopf. „Bitte, entschuldigt euch doch nicht. Zumindest seid ihr selbst unversehrt dort rausgekommen.“ Sodann verfiel sie in nachdenkliches Schweigen.
Missgestimmt verschränkte der jüngere Ritter die Arme. „Es ist wirklich bedauerlich, dass es zu dunkel und staubig war, um etwas zu erkennen. Mir ist es lieber, wenn ich weiß, wie meine Gegner aussehen, vor allem wenn sie versuchen, mich in die Luft zu sprengen.“
„Ich konnte einen Blick auf ihn erhaschen“, informierte Balaen, „nachdem die Decke das erste Mal aufgerissen ist. Kurz, bevor er zum Wolf wurde.“ Leo hob den Blick und hörte aufmerksam zu, als sein Sitznachbar resümierte: „Er dürfte inetwa in meinem Alter sein und war offensichtlich für einen Kampf vorbereitet. Er besitzt einen Schild, der meinem erstaunlich ähnlich sieht, jedoch mit einer Eule anstelle eines Wolkenvogels. Zwar hat er es nicht benutzt, aber auf dem Rücken trug er ein Schwert, dessen Griff mit einer goldenen Raute verziert war.“
Über die Beschreibung der Waffe sinnierend, tippte Virri sich an die Nasenspitze. „Klingt schön.“
Auch Leo meldete sich wieder zu Wort: „Er trägt also den Waffengurt über der Schulter? Dass er das Schwert so zieht?“ Er hob die Linke und machte vor, wie er das eigene zu zücken pflegte. Balaen bestätigte mit knappem Nicken, und Leo grübelte: „Das ist komisch. Nur Hylianische Ritter tun das.“ Mit Schrecken wandte er sich an die Prinzessin, die ihrer Konversation stumm gelauscht hatte. „Ist er etwa ein Ritter?“
Zu seiner Erleichterung verneinte sie.
„Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit, die wir mit ihm haben …“, fuhr Balaen zögerlich fort.
„Sprich für dich selbst“, wandte Leo abwinkend ein. „Ich habe nichts gemein mit einem Mörder.“
Nachdenklich betrachtete Balaen ihn und Virri. „Er hat blondes Haar, blaue Augen … trägt eine Tunika und eine Mütze, alles in Grasgrün.“
Erstaunt rief Virri aus: „Was? Dann sieht er ja aus wie wir!“
„Noch so einer …“, seufzte Leo resignierend.
Der Ritter aus den Wolken nickte. „So ist auch das Missverständnis mit den Goronen zustande gekommen. Mit meinem Schild sehe ich ihm für jemanden, der nur eine grobe Beschreibung von ihm hat, zum Verwechseln ähnlich. Kein Wunder, dass Calgoro mich für ihn gehalten hat.“
„Warum hast du uns das nicht früher gesagt?“, wollte Leo wissen. „Zum Beispiel, nachdem er abgehauen ist?“
„Es hat mich zu sehr beschäftigt, dass er sich in einen Wolf verwandelt hat“, erwiderte Balaen mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er wandte sich wieder an Prinzessin Zelda. „Wie Leo sagte, das Schwert auf dem Rücken zu tragen, ist eine ritterliche Gepflogenheit. Wenn du mich allein in diese Welt gerufen hättest, hätte ich es für einen Zufall gehalten, einem anderen Ritter mit grünem Gewand zu begegnen.“
„Nicht in allen Welten kleiden sich Ritter wie in deiner oder Leopolds“, stellte die Gastgeberin klar.
„In meiner tun es nur Schmiede so wie ihr“, bestätigte Virri, „und Ritter nur früher einmal.“
Wieder nickte Balaen. „Eben deswegen denke ich auch nicht, dass er zwangsläufig ein Ritter ist, oder, noch wichtiger, unsere Begegnung mit ihm ein Zufall.“ Er sah der Prinzessin eindringlich in die Augen. „Wenn wir die Helden unserer Welten sind, ist er der Held dieser Welt. Nicht wahr?“
Zelda seufzte. Es hatte keinen Zweck, ihnen die Wahrheit noch länger vorzuenthalten. „Sein Name ist Link“, eröffnete sie ihnen endlich. „Und du hast Recht, Balaen, auch er ist ein zum Helden Auserwählter wie ihr drei.“
„Bei allem Respekt, Prinzessin“, widersprach Leo höflich. „Das ist eine Beleidigung für mich und die beiden hier.“ Dabei deutete er mit den Daumen beidseitig auf seine Sitznachbarn. „Ein wahrer Held würde nie einen Mord begehen!“
„Weiß er denn von seinem Schicksal?“, erkundigte sich Balaen bei Zelda.
Nach kurzem, abwägendem Schweigen antwortete diese: „Ja. Ich selbst habe es ihm vor sieben Jahren gesagt, als wir beide noch Kinder waren. Seitdem habe ich ihn nicht mehr getroffen und, bevor mich vor zwei Wochen die Berichte aus dem Reich der Zora erreichten, nur wenig von ihm gehört. Die friedliche Situation dieses Hyrules hat ihm noch keine Gelegenheit geliefert, eine so große Heldentat zu vollbringen wie ihr. Vor einigen Jahren herrschte zwar Bürgerkrieg, aber der war bereits kurz nach Links Geburt beigelegt. Seither ist Frieden – ein Frieden, der unlängst ins Wanken geraten ist durch den gewaltsamen Tod der Zora-Prinzessin und des Goronen-Häuptlings, wie ihr bereits wisst.“
Während er der Unterhaltung der älteren Hylianer gefolgt war, hatte Virri weiter auf beiden Backen vor sich hin gekaut. „Vielleicht langweilt er sich“, vermutete er mit vollem Mund.
Skeptisch fragte Balaen nach: „Was meinst du damit?“
Bevor er antwortete, schluckte Virri anständig. „Also, als man mir gesagt hat, ich muss Hyrule retten, war ich ganz aufgeregt und wollte es unbedingt so schnell wie möglich schaffen. Dieser … ähm … Link weiß auch, dass er es tun müsste, und das schon total lang. Aber es passiert einfach nichts Schlimmes.“ Als sei die daraus resultierende Schlussfolgerung offensichtlich, hob er die Schultern.
Leo griff den Gedanken auf und spann ihn weiter. „Der Knirps hat Recht! Was, wenn er einen Krieg heraufbeschwören will, damit er eine Chance bekommt, sich als Held zu beweisen?“
Vorsichtig pflichtete Prinzessin Zelda ihnen bei: „Das ist zwar unwahrscheinlich, aber durchaus möglich. Ein gewisser Ehrgeiz sollte allen Helden gegeben sein, wie ich es bei euch festgestellt habe.“
Für diese Eigenschaft legte Leo auch sogleich ein perfektes Beispiel ab: „Er muss aufgehalten werden! Am besten, solange er noch im Gebirge ist!“
„Kurz, bevor ich hier zu euch kam, habe ich Nachricht von den Goronen erhalten“, ließ die Prinzessin die drei bedauernd wissen. „Link ist aus ihrer Sperre entkommen. Auch wenn wir seinen genauen Aufenthaltsort nie wirklich gekannt haben, können wir jetzt nicht einmal annähernd feststellen, wo er sich befindet. Der Suchradius ist zu groß, als dass ich euch einfach wieder auf ihn ansetzen könnte wie heute Vormittag.“
Leise zischte der Ritter, kehrte aber schnell zu seiner anerzogenen Höflichkeit vor der Krone zurück. „Gewiss stellt es für Euch keine Schwierigkeit dar, einen Suchtrupp auf die Beine zu stellen, der im Gebirge und Umgebung nach Link sucht“, schlug er vor.
„Durchaus“, bestätigte Zelda, ohne weiter darauf einzugehen.
Das feuerte Leo in seinem Enthusiasmus noch mehr an. „Wenn sie Spuren von ihm entdecken, sollen sie uns einfach Nachricht bringen, und wir erledigen dann den Rest!“
„Das dauert zu lang“, widersprach Balaen, bevor die Prinzessin etwas sagen konnte. „Auf Karmin bin ich viel schneller und kann ein weit größeres Gebiet absuchen – und Link dazu sofort stellen, wenn ich ihn finde.“
„Leo und ich können dann doch gar nicht mitkommen“, gab Virri zu bedenken.
„Für mich ist das kein Problem“, merkte Leo an. „Ich halte auf meinen Pegasusstiefeln mit.“
Beleidigt rümpfte Virri die Nase. „Nur ihr beide wollt gehen? Was ist mit mir?“
Der Held in der Mitte winkte ab. „Kinder sind auf dieser Suche nicht erwünscht.“
„Genau“, ergänzte Balaen. „Ich kann es nicht brauchen, dass mir Kinder in die Quere kommen.“
Obwohl zunächst zufrieden die Arme verschränkt, weil der ältere Ritter ihm zugestimmt hatte, wiederholte Leo jetzt irritiert: „Dir? Was soll das denn heißen?“
Knapp bestimmte Balaen: „Ihr beide werdet hierbleiben.“
Daraufhin lachte Leo freudlos. „Ich lasse mich von einem wie dir garantiert nicht hier festbinden! Ein mieser Rechtshänder, der auch noch Frauenschmuck trägt!“ Als Balaen befremdet die Augenbrauen zusammenzog, legte Leo demonstrativ die Spitzen von Daumen und Zeigefinger an die Ohrläppchen, um die Feuerohrringe seines Nebensitzers zu simulieren.
Die drei fuhren damit fort, sich Beleidigungen und Anfeindungen an den Kopf zu werfen. Verzweifelt versuchte Prinzessin Zelda, die immer heftiger werdende Diskussion zu beenden. „Bitte, ihr drei … Ihr könnt doch nicht …“ Doch der Streit ließ keine Lücken, in denen sich die beruhigende Stimme der Gastgeberin hätte Gehör verschaffen können. „Ich habe euch nicht als Einzelne herberufen …“
Hinter ihr trat Hendrik vor, bis er neben ihrem Stuhl stand, und beugte sich zu seiner Herrin herunter. „Prinzessin, dürfte ich einen Vorschlag machen?“, raunte ihr Leibwächter.
Die Prinzessin seufzte tief, ließ sich an die Lehne zurücksinken. Einen Ellbogen auf die Armstütze gesetzt, machte sie eine auffordernde Geste. „Bitte. Natürlich.“ So flüsterte Hendrik ihr den Plan zu, den er eben zurechtgelegt hatte, wie die Entscheidung fallen sollte, um die die Helden gerade stritten. Anerkennend nickte Zelda und lobte: „Das ist eine gute Idee.“
In diesem Moment wandte Leo das Wort an sie: „Seid Euch versichert, Prinzessin, diese beiden könnt Ihr bereits wieder nach Hause schicken. Mit mir braucht Ihr nur einen Helden. Überlasst mir einfach ein paar Soldaten, die mir helfen, Link zu finden, und ich mache ihn dann auf eigene Faust dingfest!“
Die Angesprochene erhob die Stimme: „Deine Entschlossenheit, diese Aufgabe allein anzugehen, ehrt dich, aber …“
„Ich bin sogar vier Helden und finde trotzdem, wir sollten zusammen gehen!“, wandte Virri ein.
Leo schnauzte ihn an: „Lass die Prinzessin gefälligst ausreden, Knirps!“
„Leopold, das ist schon in …“
„Deine Doppelgänger sind empfindlicher als du selbst“, überging Balaen sowohl Zelda als auch Leos Einwand. „Wenn es stimmt, dass Link ein auserwählter Held ist …“
„Warum sollte es nicht stimmen?“, redete Leo dazwischen.
„… haben wir nur einen Bruchteil dessen gesehen, wozu er kämpferisch fähig ist“, fuhr der ältere Ritter ungerührt fort. „Gingen wir zusammen, wäre ich nur damit beschäftigt, euch zu beschützen.“ Er sah Leo an. „Euch beide.“
„Vielen Dank für deine Fürsorge“, erwiderte Leo pampig und meinte das Gegenteil. „Ich komme sehr gut allein zurecht! Bei dem Knirps hingegen könntest du recht haben. Ohne mich wäre der heute draufgegangen.“
„Du ohne mich auch!“, versetzte Virri sofort. „Ich bin auch ein Held! Und ich habe nicht einfach nur ein normales Schwert wie ihr!“
Herablassend zog Leo eine Augenbraue hoch. „Ja, aber kannst du Knirps auch damit umgehen?“
Vehement beteuerte der kleine Krieger: „Ich kann auch kämpfen! Wenn es sein muss, beweise ich euch das sogar allein!“
„Ach, auf einmal?“
„Ja!“, gab Virri schroff an Leo zurück. „Weil du mich ständig Knirps nennst“ ,– er wandte sich an Balaen –, „und du denkst, ich könnte nichts allein schaffen, weil du mich für ein Kind hältst!“
„Du bist ein Kind“, stellte Balaen trocken fest.
„Trotzdem habe ich auch einen Dämon besiegt!“
Schadenfreudig grinste Leo. „Oh ja! Du großartiger Held hast seine Hochzeit zum Platzen gebracht.“
Dies entfachte eine Diskussion darüber, wer von den dreien den gefährlicheren Dämon vernichtet hatte, und wieder achteten sie nur einander. Selbst Leo nahm keine Notiz davon, dass Zelda erneut versuchte, das Wort zu ergreifen, um Hendriks Vorschlag an sie heranzutragen. Der Prinzessin kam der Gedanke, mit einer Gabel gegen ein Trinkgefäß zu klopfen, wie es üblich war, zu Tisch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch da sie nicht hatte mitessen sollen, war für sie kein Geschirr oder Besteck aufgetragen worden. In ihrer Machtlosigkeit spürte Prinzessin Zelda Ärger in sich aufsteigen. Sie sprang auf, schlug die Handflächen auf den Tisch – nicht laut genug, als dass es irgendwas gebracht hätte – und holte Luft.
Sogleich zuckte sie vor Schreck zusammen, als Hendrik neben ihr den Speerschaft auf den Boden knallte – noch kräftiger als sein Kollege bei ihrer Ankündigung, und hörte anders als dieser nach drei Malen auch nicht auf. „RUHE!!“, brüllte er lautstark, wobei er jede Silbe in die Länge zog und Leo dazu brachte, sich die schmerzenden Ohren zuzuhalten. Der Soldat hieb weiter zu, bis alle drei Streithähne verstummt waren. Mit ruhiger, unterschwellig drohender Stimme sagte Hendrik: „Die Prinzessin hat etwas zu sagen.“
Nun waren die erhitzten Gemüter der Helden zwar noch lange nicht besänftigt, aber zumindest ihre Aufmerksamkeit wieder auf sie gerichtet. Zelda räusperte sich, vertrieb so den eigenen Wutschrei, der ihr in der Kehle saß. „Danke, Hendrik“, sprach sie, und ihr Leibwächter neigte den Kopf. Er konnte es nicht wissen, doch er hatte soeben das Bewusstsein, das sich Prinzessin Zeldas Körper bemächtigt hatte, davor bewahrt, aus der Rolle der diplomatisch zurückhaltenden Regentin zu fallen.
Sie wandte sich an die Helden, die sie in der Erwartung anblickten, sie möge schnell zum Punkt kommen, damit sie ihre eigenen Diskussionen fortsetzen konnten. Plötzlich verspürte Zelda keinerlei Lust mehr, ihnen Hendriks Plan zu erläutern, und fügte ihm stattdessen ihre eigene Note der Geheimniskrämerei hinzu. Gezwungen sanft, aber bestimmt sagte sie: „Ich werde Soldaten ausschicken, die Link aufspüren sollen. Bis sie hoffentlich erfolgreich sind, dürft ihr untereinander ausmachen, wer sich dann seiner annehmen darf.“
Virri schaffte es nicht, ein herzhaftes Gähnen zu unterdrücken, und Balaen rieb sich die Nasenwurzel. Die Prinzessin fügte hinzu: „Aber jetzt ist es spät, und es war ein langer Tag. Meine Diener haben für jeden von euch ein Zimmer vorbereitet. Ich wünsche euch eine erholsame Nacht.“ Damit drehte sie sich herum, stolzierte hoch erhobenen Hauptes und ohne es an majestätischer Würde mangeln zu lassen aus dem Saal.Die kleine Tag- und Nachtmusik aus Wind Waker
Im Spiel lässt sie die Zeit vergehen, damit aus Nacht Tag wird und anders rum. So eine ähnliche Bedeutung soll der Titel auch hier haben, denn der Tag (der schon im ProProlog begonnen hat, ganze sechs Kapitel zuvor!) mündet hier endlich in die Nacht.
Woah, also war diese unbekannte Frau die ganze Zeit Zelda D: Wer hätts geahnt.
- Das Teleportlied, mit dem Zelda die drei Helden nach Schloss Hyrule bringt, existiert nicht in Ocarina of Time (anders als zB der Bolero des Feuers, mit dem sie sie zum Todesberg teleportiert). Ich habs dazuerfunden, da es für meine Helden einfacher war, gleich im Schloss zu erscheinen, als von der Zitadelle langatmig dorthin zu reisen.
- Das Ritual, mit dem der Soldat Zeldas Eintreten ankündigt, ist dasselbe wie in meiner anderen Fanstory Das Abenteuer des letzten Helden, wobei meine Idee der Symphony älter ist und jenes Ritual somit hier als erstes existierte. Es gibt noch weitere so kleine Parallelen, die meine Fanstories halt einfach ein bisschen miteinander verbinden sollen ^^
- Was Virri betrifft, habe ich die Story von Four Swords ein bisschen modifiziert. So muss man im Spiel Rubine sammeln, nicht um die Großen Feen zu befreien, sondern um sie zu „beeindrucken“. Außerdem will Vaati Zelda nicht ihres Forces wegen heiraten; da habe ich ein bisschen Minish Cap einfließen lassen.
- In diesem Kapitel erfahren wir mehr von Leo, auch Dinge, die nur zurecht überraschend sind. Das Paradoxon seines Charakters zu seiner guten Erziehung, die er sogar ernst nehmen kann, zum Beispiel. Ganz gewöhnliche heldenhafte Charaktere garniere ich ja gerne mit ungewöhnlichen Attributen – einen autistischen Helden hatte ich schon, hier versuche ich mich mal an einem Veganer. Leonidas, wie ich im vorigen Kapitel behauptet habe, ist nicht sein richtiger Name – aber Leopold bleibts jetzt, versprochen x3 Wobei es dennoch ein bisschen mehr mit gerade diesem Namen auf sich hat :3
- Da ich die Ariette der Zeit immer schon als Einleitung bezeichnet habe, dürfte es keine besondere Schwierigkeit darstellen, zu erraten, dass diese Story also die Fortsetzung der Einleitung ist; genauer spielt sie etwa zwei Jahre danach (und damit sieben Jahre nach OoT. So ein Zufall aber auch). Wie ein aufmerksamer Leser (ich bin Fan von aufmerksamen Lesern lol) vielleicht schon in vorigen Kapiteln gecheckt hat, handelt es sich bei der Zielperson der drei Helden um jenen Link aus der Ariette – und damit auch aus OoT und Majora’s Mask. Nach der Logik, mit der ich Link in DAdlH benannt habe (nach dem Titel des Spiels The Adventure of Link) müsste eigentlich Leo ebenfalls Link heißen (nach Link’s Awakening); da es sich aber so besser ergibt (und Leo eh viel besser passt), heißt also der Ariette-Anti-Antagonist Link. Ganz ohne Bedeutung ist dieser Name trotzdem nicht, das geht bei mir einfach schlecht. Aber dazu am Ende mehr ^^ -
Kapitel 2: Bolero des Feuers
Als sich die Funken wieder zu den übersinnlich Reisenden zusammensetzten, hatte sich deren Umgebung völlig verändert: Anstatt in einem heiligen Gebäude befanden sie sich nun in einer noch viel gigantischeren, natürlich entstandenen Höhle. Beleuchtet wurde sie von gelblichem Glühen, das von Lavaseen ausging, die vereinzelte Inseln erstarrten Gesteins umgaben. Rauchschwaden hingen in der Luft, und ein Hitzeflimmern verzerrte die Sicht. Glutpartikel stiegen von den brodelnden Tümpeln in die Höhe, wo die dunklen Steinwände aufeinander zuliefen, um sich schließlich fast kreisrund zum Himmel zu öffnen. Offensichtlich war dies das Innere eines Vulkans.
Begeistert sah sich Virri um und rief aus: „Wie hast du das jetzt gemacht?“
Wie auch zuvor erklärte die Fremde bereitwillig, aber weiterhin kryptisch: „Das Musikinstrument, das ihr gehört habt, kann diejenigen, die vom Schicksal entsendet sind, an viele Orte wie diese bringen.“ Bei diesen Worten deutete sie auf die Platte, auf der sie alle gerade noch gemeinsam Platz hatten und deren helles Material eher dem marmornen Baustein der Zitadelle ähnelte denn dem hier vorherrschenden Basalt. Ein Triforce-Symbol war mit gelber Farbe darauf gemalt, überdeckt von einer roten, stilisierten Flamme.
In kindischem Ernst fragte Virri: „Bist du das Schicksal?“
Der untere Teil des Gesichts der Vermummten zeigte erst Verwunderung, dann lächelte sie traurig. „Das habe ich noch nie bedacht. Aber ja, so was in der Art bin ich wohl.“
Auch wenn die Zitadelle einem nun viel weitläufigeren Raum gewichen war, blieb Karmin aufgrund der ihn einschließenden Wände weiterhin nervös. Unruhig stakste der Wolkenvogel um seinen Reiter herum. Das brachte Alvio dazu, vor Angst zwischen Leos Füßen Schutz zu suchen, der ungeniert über die Hitze im Vulkan fluchte. Über steinige Wege und eine hölzerne Hängebrücke, die hier wie durch ein Wunder Bestand hatte, führte die Dame in Grau ihre Begleiter aus der Höhle unter den freien Himmel. Vor Erleichterung hielt Karmin nichts mehr am Boden; sogleich schwang er sich mit einigen schwerfälligen Flügelschlägen in die Luft auf. Gegen das plötzlich grelle Licht beschattete Balaen mit einer Hand die Augen und sah seinem tierischen Partner nach, der über das Gebirge aufstieg, das sich rings um jenen höchsten Gipfel des Vulkans erstreckte.
Befreit atmete Leo auf, lockerte die Tunika, um frische Luft darunter zu fächeln, zog sich die Mütze ab und wischte mit dem Ärmel Schweiß von der Stirn. „Heilige Hera!“, keuchte er. „Was für eine Höllenhitze! Wie hält die das nur aus?“ Mit dem Kinn deutete er zu der Fremden in ihrem Ganzkörpermantel, die ohne innezuhalten weiterging. An Balaen gewandt ergänzte er: „Oder überhaupt du unter deinen ganzen Schichten und deinem Stofffetzen hier.“ Dabei schnippte er gegen das lose Ende des weiß-blauen Paraschals.
Der ältere Ritter quittierte diese Geste und die sie begleitenden Worte mit einem vernichtenden Blick und warf sich den Schal über die Schulter.
Ungefragt mischte Virri sich ein: „Das war doch nicht schlimmer, als vor einer Esse zu stehen!“
Die drei beendeten ihr kleines Zwischengespräch und holten rasch zu der Frau auf, dicht gefolgt von Alvio, der Leo nicht von der Seite wich. Vom Eingang in die Vulkanhöhle führte ein teils mit Geröll bedeckter Weg abwärts tiefer ins Gebirge hinein.
„Nun hast du uns hierhergebracht“, merkte Balaen überflüssigerweise an, „uns aber keine genauen Informationen gegeben, wieso. Woraus besteht diese Aufgabe, für die wir hier sind?“
Endlich gab die Fremde auf die wiederholte Frage eine Antwort, mit der auch etwas anzufangen war: „Ihr sollt jemanden aufspüren, der sich hier in den Bergen versteckt.“
Skeptisch zog Leo eine Augenbraue hoch. „Hier in den Bergen“, wiederholte er und sah sich um. „Ja, das grenzt den Bereich sehr ein.“
„Ihn zu finden, wird nicht weiter schwierig sein“, versicherte die junge Frau. „Eure Zielperson ist außer uns zurzeit der einzige Hylianer, der sich in der Gegend aufhält. Die hier lebenden Goronen hindern ihn daran, sie zu verlassen. Er steht im Verdacht, ihren Häuptling ermordet zu haben, und darüber hinaus wird er auch des Mordes an der Prinzessin der Zora bezichtigt.“
„Dann ist das doch eher eine Angelegenheit der Goronen und Zora“, stellte Leo schulterzuckend fest. „Warum denkst du, dich darum kümmern zu müssen? Das ist kein hylianisches Problem.“
Die Fremde nickte. „Unter den Goronen gibt es viele, die genauso denken. Andere wiederum finden, ein Hylianer sollte auch von Hylianern festgenommen werden, und ihre Stimmen sind die lauteren. Sie sehen in diesem Attentat ein politisch orientiertes. Ähnlich steht es mit den Zora. Beide drohen unserem Volk mit schwerwiegenden Konsequenzen, sollte der Mörder ihrer Oberhäupter nicht gefasst und über ihn gerichtet werden.“
„Warum hast du dann uns hergeholt? Was ist mit den Kriegern dieser Welt?“, wollte Balaen nun wissen.
„Wollt ihr heim?“, stellte die verhüllte Person eine Gegenfrage und blickte halb zu ihren Begleitern zurück. „Ich kann euch sogleich wieder in eure Welten schicken.“ Ihr war anzuhören, dass sie dies durchaus so meinte, jedoch ungern täte.
Tatsächlich dachte Balaen über dieses Angebot nach, aber Leo, der sich von dem gerade begonnenen Abenteuer nicht abbringen lassen wollte, empörte sich: „Spinnst du? Auf gar keinen Fall!“ Und damit war die Sache entschieden.
Die Fremde wandte sich wieder nach vorn und nahm den zuvor fallen gelassenen Faden wieder auf. „Nun, durchaus haben sich andere an dieser Aufgabe versucht, allesamt gestandene Kämpfer und furchtlose Krieger – und sind kläglich gescheitert. Wie gesagt, ihn zu finden ist nicht die Schwierigkeit, sondern, ihm das Handwerk zu legen.“
„Und du denkst, dass uns das gelingen wird“, schlussfolgerte Balaen.
„Ihr seid die Helden eurer Welten“, erinnerte ihre Führerin milde. „Wenn ihr es nicht schafft, wer sonst?“Der abschüssige Weg ging schließlich in einen bergauf führenden über. Am Tiefpunkt angekommen, kündigte die Fremde an, sich nun von den Helden zu trennen. Auch auf Balaens erneute Frage, wer sie sei, lenkte sie ab, indem sie Leo anbot, Alvio in ihre Obhut zu nehmen. Der Gefragte kam gar nicht dazu, darauf einzugehen, denn der Hase war bereits zu den unter dem Umhang verborgenen Füßen der Dame gehoppelt und schnupperte an dem grauen Stoff. Die vier vereinbarten, sich am Abend wieder an dieser Stelle zu treffen. Sodann bat die Vermummte die drei Helden, Abstand zu ihr zu wahren, bevor sie wieder das geheimnisvolle Blasinstrument zückte, das auch diesmal vor ihren Blicken verborgen blieb. Mit einem anderen Lied als zuvor verwandelte sie sich und Alvio in einen Schwarm goldener Funken, der in den Himmel aufstieg und aus dem Gebirge verschwand.
„Merkwürdiges Frauenzimmer“, kommentierte Leo, als die leuchtenden Punkte außer Sicht gekommen waren.
„Du weißt nicht, ob du ihr vertrauen kannst, und lässt dein Tier einfach so mit ihr gehen?“, kritisierte Balaen diese Entscheidung.
Gelassen winkte Leo ab. „Der kommt schon klar. Ich mache mir eher um unsere Bezahlung Sorgen. Die denkt wohl, sie käme mit allem davon, nur weil wir nicht wissen, wer sie ist.“ Er wandte sich an Virri. „Hey, Knirps. Du hast doch ihr Gesicht gesehen, oder?“
Zögerlich erwiderte der Junge: „Naja, es war ziemlich dunkel unter der Kapuze …“
„Na, irgendwas wirst du schon erkannt haben!“, spornte Leo ihn an.
„Sie hat … eine schöne Nase“, sagte Virri langsam und kratzte sich verlegen an der seinen.
Freudlos lachte Leo. „Ihre Nase? Das ist alles, was du gesehen hast?“
Sein Gegenüber hob die Schultern. „Ja.“
Kopfschüttelnd wandte der Hylianische Ritter sich ab und winkte im Weggehen. „Na dann, ihr Stümper. Man sieht sich im nächsten Leben!“
„Warte!“, versuchte Virri erfolglos, ihn zurückzurufen. „Wo willst du hin?“
„Na, wohin wohl?“ Leo schnaubte überheblich. „Ich finde diesen Kerl und poliere ihm die Visage. Ihr könnt gern hier warten, bis ich wiederkomme.“
„Ganz allein?“
„Nein, wieso? Ihr seid doch zu zweit.“
Nun mischte auch Balaen sich ein. „Ich denke, mir wird es am leichtesten fallen, hier irgendetwas zu entdecken“, insistierte er und deutete zu seinem Wolkenvogel, der über den Gipfeln gemächlich Kreise zog. Die weißen Schwungfedern leuchteten in der Sonne. „Karmin kann die Berge von oben observieren.“
„Da kann ich auch helfen!“ Aufgeregt zückte Virri das Schwert der Vier, und sofort setzte dessen mystische Wirkung ein: Die drei in unterschiedliche Farben gekleideten Klone erschienen wie aus dem Nichts, und die Sinne ihres Originals erweiterten sich durch die ihren. Dieses vertraute Gefühl nahm Virri mit Erleichterung zur Kenntnis, denn nachdem seine Doppelgänger ihn in den Kristall gestoßen hatten, hatte er befürchtet, dass das Schwert der Vier ihm gar nicht mehr gehorchte.
Balaen und Leo staunten nicht schlecht, als sie plötzlich vier identisch aussehenden kleinen Helden gegenüberstanden. Für die beiden war es so erschienen, als hätten sich von Virri flimmernde Luftspiegelungen seiner selbst gelöst, die schließlich eigene Farbe und Substanz angenommen hatten.
„Wie … wie hast du das gemacht?“, fragte Leo und prüfte seinen Handrücken, unter deren ledernem Schutz jedoch kein Triforce glühte. „Das war keine Magie, oder?“
„Magie?“, wiederholte Virri und zog die Nase kraus. „Das ist doch nur etwas für Magier und Prinzessinnen.“ Stolz präsentierte er seine Waffe. „Das ist das Schwert der Vier! Damit kann ich mich in vier aufteilen. So können wir uns hier gleich viel besser umsehen!“ Noch ehe er den Satz zu Ende gebracht hatte, ließ er seine Doppelgänger in Blau und Violett vorauslaufen, um das vor ihnen liegende Felslabyrinth auch vom Boden aus auszukundschaften.
Sprachlos blinzelte Leo den beiden nach und gab sich schließlich widerwillig geschlagen. „Vielleicht sollten wir doch zusammen gehen …“
„Wäre wohl am besten“, stimmte Balaen zu, der von Virris Vorführung nicht minder beeindruckt war als der jüngere Ritter.
Nun zu viert, folgten sie dem steinigen Gebirgspfad weiter. Leo und Balaen sondierten in verschiedene Richtungen die Gebirgshänge; Virri schob sein Schwert neben dessen Scheide unter den Gürtel und lief vorneweg, wobei sein Doppelgänger in Rot noch ein paar Schritte weiter vorausging. Der kleine Grüngewandete selbst tappte rückwärts vor den anderen beiden her, um ihre Klamotten zu betrachten, die einander und seinen eigenen so überraschend ähnlich waren. Insbesondere interessierten ihn ihre Zipfelmützen; die seine hatte er, seit er in aus dem Portal gekommen war, nicht wieder abgesetzt. Im Plauderton fragte Virri: „Ihr tragt genau solche Mützen wie ich. Seid ihr auch Schmiedelehrlinge?“
Balaen schüttelte verneinend den Kopf. „In meiner Welt ist sie nur Rittern vorbehalten.“
„In meiner den Göttern sei Dank auch!“, schmetterte Leo „Das einzige, was ich je mit Schwertern zu tun haben will, ist, Monster damit zu schnetzeln.“
„Naja, jeder gute Schmied kann auch kämpfen.“ Auf diese Behauptung Virris setzte Leo zu einer weiteren bissigen Entgegnung an, doch sein Gegenüber plapperte bereits weiter: „Ich weiß ja noch gar nicht eure Namen!“ Er deutete mit dem Zeigefinger auf seine Nase. „Ich bin Virri. Also eigentlich Viridian, aber alle sagen immer Virri zu mir.“
Fast schon feierlich schmetterte Leo sich die Hand auf die Brust und verkündete: „Mein Name ist Leonidas, kurz Leo. Aber ihr könnt mich gern Großer Held von Hyrule nennen!“
„Heißt das Land in deiner Welt Hyrule? Was für ein Zufall, in meiner nämlich auch!“ Virri wandte sich an Balaen. „Bei dir auch?“ Weil der ältere Krieger wieder nur schweigend den Kopf schüttelte, hakte er hartnäckig nach: „Wie dann?“
„Es hat keinen.“
„Wie: Ein Land, das keinen Namen hat?“ Der kleine Krieger zog eine ratlose Schnute. „Aber du hast doch bestimmt einen?“
„Balaen“, kam die knappe Antwort.
Befremdet runzelte Virri die Stirn. „Das klingt ja total langweilig! Du brauchst einen Spitznamen. Ich werd‘ mir einen ausdenken.“ Damit war die Vorstellung abgeschlossen, sodass der redselige Junge abrupt das Thema wechselte. „Ihr seid also auch Helden? Mit Dämonen und Monster töten und Allem?“
„Gezwungenermaßen“, erwiderte Balaen.
„Natürlich, sonst würde das Reisen doch keinen Spaß machen!“, schnaubte Leo und lachte kurz auf.
Bedächtig nickte Virri. „Klar. Sieht man ja auch, so ausgerüstet wie ihr seid. Kenne ich nur von mir selbst. Aber einen Schild wie deinen hab ich noch nie gesehen“, merkte er an Balaen gewandt an. „Der ist bestimmt was ganz Besonderes!“
Neben dem älteren Ritter verdrehte Leo die Augen. „Ich hab auch einen, der genauso aussieht. So besonders ist der nicht.“
„Warum hast du ihn nicht dabei?“ In Virris Stimme lag keinerlei Vorwurf, nur die Neugier an diesem Umstand.
Über das empfindliche Gesprächsthema bleckte Leo die Zähne. „Weil ich finde, dass es keine bessere Verteidigung als den Angriff gibt.“
Diese Antwort gab dem Kindskopf erst zu Grübeln, bevor er nachdenklich sagte: „Hm, ja, ich kann einen Schild unter meinem Mantel auch nicht so gut rausholen. Deswegen habe ich auch mein Schwert nicht auf dem Rücken so wie ihr. Sind das Pegasusstiefel?“, fragte er nahtlos weiter, als ihm die ledernen Flügelchen auffielen, die Leos Stiefelsäume zierten. „Von denen habe ich auch ein Paar, aber ich benutze sie nicht so gerne. Da laufe ich immer gegen Dinge oder mitten unter Monster, und meine Doppelgänger können nicht mithalten, und wenn ich zu weit von ihnen weg bin …“
Er kam nicht dazu, seinen Satz zu Ende zu sprechen, denn Leo sprang plötzlich lautstark knurrend vor, schlang ihm einen Arm um die Schultern und presste ihm die andere Hand auf den Mund. Virri versuchte, sich zu wehren, und blickte Leo konsterniert an. Mit einem Kopfnicken zu dem roten Klon wollte der größere Held wissen: „Dein Zwilling hier. Kann der reden?“ In seinem unnachgiebigen Griff schüttelte Virri knapp den Kopf. „Wunderbar“, kommentierte sein menschlicher Knebel. „Dann tu doch uns und vor allem dir den Gefallen und schneid dir eine Scheibe davon ab. Verstanden?“ Diesmal nickte der Gefangene und schaffte es, sich freizuzappeln, als Leo locker ließ.
Weiterhin rückwärtsgehend, verschränkte Virri beleidigt die Arme vor der Brust. „Ich wollte euch ja nur besser kennenlernen …“
„Ich brauche euch nicht zu kennen“, gab Leo eisern zurück. „Wir erledigen diese Sache einfach. Was ihr danach macht, ist mir egal. Ich werde erst rausfinden, was es in dieser Welt für mich zu holen gibt, und verschwinde dann wieder von hier.“
„Achte lieber darauf, wohin du trittst, bevor du stolperst“, riet Balaen dem kleinen Helden.
Der jüngere Ritter pflichtete ihm bei: „Genau, wenn du schon nicht mithilfst beim Suchen.“
Erstaunt behauptete Virri: „Aber ich tue doch beides.“ Beiläufig stieg er dabei über einen auf dem Weg liegenden Stein, den er unmöglich hatte sehen können und der ihn daher eigentlich ins Straucheln hätte bringen müssen.
„Jetzt sag mir nicht, dass du auch noch Augen am Hinterkopf hast!“, rief Leo ungläubig aus.
Darauf verzog Virri unverständig die Augenbrauen, da er nicht nachvollziehen konnte, wovon sein Gegenüber sprach. Jenen Stein, über den zu stolpern er vermieden hatte, hatte er nicht bewusster wahrgenommen als jemand, der ihn vor sich liegen gesehen hätte.
Da erkannte Balaen, was es damit auf sich hatte. „Deine Doppelgänger! Natürlich wissen sie schon längst, wie der Pfad vor uns aussieht. Teilen sie dir telepathisch mit, wo sich Hürden befinden?“
„Wie kommst du denn auf so einen Mist?“, fragte Leo abschätzig dazwischen.
„So ähnlich bin ich mit meinem Wolkenvogel verbunden.“
Aufgeregt hielt Virri nach Karmin Ausschau, der jedoch nirgendwo an dem von hier sichtbaren Abschnitt des Himmels zu erspähen war. „Ach, echt? Wie geht das denn? Spricht er dann so richtig mit Worten zu dir?“, quasselte er dabei in einem Fort.
„Nein, es bedeutet nur, dass er einen Vogel hat.“ Zur Unterstreichung seiner Worte ließ Leo den Zeigefinger neben seiner Schläfe kreisen.
Frostig wies der Ritter aus den Wolken auf seine vorausgegangene Frage zurück: „Ich würde jetzt gerne wissen, wie das bei dir und deinen Doppelgängern ist.“
Froh, durch dieses Interesse nun auch offiziell wieder zum Reden aufgefordert worden zu sein, erklärte Virri: „Nee, sie können mir überhaupt nichts sagen. Sie können ja noch nicht einmal denken. Aber ich selbst kann mit ihren Augen sehen und sie so steuern, wie ich will.“
„Während du gleichzeitig mit uns sprichst?“
Eifrig nickte Virri Balaen zu.
„Und ich dachte, du seist nur faul und hast sie hergerufen, damit du nichts selbst tun musst“, gestand Leo. Er holte zu dem vorausgehenden Klon auf, um ihn zu betrachten. Der Doppelgänger erwiderte seinen neugierigen Blick aus unheimlich leeren Augen. „Krass“, kommentierte Leo und drehte den Rotgewandeten so, dass das grüne Original die Hände des Ritters nicht sehen konnte. „Wie viele Finger zeige ich?“, wollte er von dem kleinen Helden wissen und hielt dessen Ebenbild die Hand vors Gesicht.
„Zwei“, antwortete Virri ohne Zögern.
„Richtig! Und jetzt?“
„Wieder zwei, aber diesmal Zeige- und Mittelfinger.“
„Echt Hammer!“
Dieses Spielchen hätte Leo so wohl noch weiter geführt, doch Balaen funkte dazwischen: „Könntet ihr mit diesen Albernheiten aufhören? Wir haben Wichtigeres …“ Plötzlich verstummte er und sah in den Himmel auf.
„Was ist los?“, fragte Leo ohne echtes Interesse. „Hast du einen Schlaganfall?“
Der ältere Ritter deutete nach oben; über einem Gipfel kam soeben sein riesiger Wolkenvogel in Sicht und lenkte die Aufmerksamkeit der drei mit einem Kreischen auf sich. „Karmin hat etwas entdeckt.“
Unter der Leitung von Balaens gefiedertem Partner schlugen sie einen Hohlweg ein, der zunächst von Felswänden umschlossen war. Alsbald weitete sich die eine Seite zu einem Abhang, der Ausblick auf weitere nahe Berge bot.
„Ich seh es jetzt auch!“, meldete Virri plötzlich.
Ratlos blickte Leo sich um. „Hier? Also ich sehe nur Steine.“
Ungeduldig berichtigte der Träger des Schwerts der Vier: „Nicht ich ich, sondern mein Klon. Aber irgendwie ist es komisch …“
„Was, ein Stein, der Witze erzählt?“, kicherte Leo.
„Nein. Ein Pferd.“ Auf Leos verwunderten Blick deutete Virri auf die Wegbiegung, auf die sie sich zubewegten. „Gleich da vorne … Hat dein Vogel vielleicht dieses Pferd gesehen?“, fragte er Balaen.
Der hob eine Schulter. „Kann schon sein. Was ist denn ein Pferd?“
„Du weißt nicht, was Pferde sind?“ Geringschätzig zog Leo die Augenbrauen hoch. Als der Ahnungslose nur den Kopf schüttelte, erklärte der Hylianische Ritter betont langsam, als spräche er mit einem Kleinkind: „Vier Beine mit Hufen, Mähne und Schweif … Ziemlich groß, und man kann darauf reiten.“
„Ich kenne nur Vögel als Reittiere“, erwiderte der Held aus den Wolken.
Sie erreichten die Kurve, hinter der auch schon Virris violetter Doppelgänger reglos auf sie wartete. Einige Schritte voraus stand tatsächlich ein Pferd am Wegesrand. Eine schwergliedrige Kette war um seinen Hals gewunden, mittels derer es an einen Felsen gefesselt war. Trostlos ließ es Kopf und Ohren hängen.
„Merkwürdig“, murmelte Leo argwöhnisch. „Wer bindet ein Pferd mitten im Nirgendwo an?“
Die drei Grüngewandeten und die beiden Klone traten näher, um die Sache genauer zu untersuchen. Es war Leo, der das steinerne Knirschen schon vernahm, als es für die anderen noch kaum zu hören war, und wollte seine Begleiter warnen. Da sprang ein runder Felsen in der Nähe des Pferdes auch schon auf wie eine Spiralfeder, polterte auf sie zu; eine riesige Hand packte den überraschten Balaen bei der Tunika, der reflexhaft den Schild ausgerüstet hatte – doch vergeblich. Auch wenn der Steinerne nicht viel größer war als sein Opfer, drückte er es doch mit einer Kraft gegen eine Felswand, der es sich nicht erwehren konnte.
„Hab ich dich endlich, Spitzohr!“, donnerte der Gorone ohrenbetäubend.
Ohne jeden Erfolg bäumte sich Balaen gegen den steinharten Griff auf. „Was soll das?!“
„Das weißt du ganz genau, du Mörder!“, pfefferte sein Peiniger zurück. „Gestehe, dann bin ich vielleicht gnädig und zerquetsche dich schneller!“ Seine Worte unterstrich er, indem er den wehrlosen Hylianer noch fester gegen den Felsen presste.
„Mörder?“, keuchte Balaen atemlos und fürchtete schon um seine Rippenknochen. „Ich habe niemanden ermordet!“
„Lügner!“ Der Gorone nahm ihn kurz von der Wand weg, nur um ihn mit noch roherer Gewalt als zuvor wieder gegen sie zu rammen. Gequält stöhnte Balaen.
Panisch trat Virri neben den Goronen und fuchtelte beschwichtigend mit den Armen. „Bitte, lass ihn runter! Er hat wirklich nichts gemacht! Wir sind zum ersten Mal im Gebirge!“ Er wandte sich an den anderen Helden. „Leo, sag auch was!“
Der grinste nur gehässig. „Wieso denn? Wir haben endlich deinen Stein, der Witze erzählt, gefunden.“
„Das ist nicht witzig!“, rief Virri verzweifelt.
„Also ich find’s zum Schießen.“
Der Gorone nahm keine Notiz von dem kurz geratenen Menschen, grollte Balaen nur weiter drohend an: „Willst du immer noch nicht gestehen?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest!“, beharrte sein Opfer.
„Wenn das so ist …“ Wieder riss er den Hylianer von der Wand und stapfte mit ihm im Schlepp auf den Steilhang zu.
Als Leo das sah und erkannte, was der Steinerne ganz offensichtlich vorhatte, verflog seine Belustigung nun doch sofort. In rascher Folge trat er dreimal abwechselnd mit den Füßen auf, um die Pegasusstiefel zu aktivieren, und flitzte vor den Goronen, um ihm den Weg abzuschneiden. So amüsant er Balaens Lage bislang auch gefunden hatte, war auch bei ihm Schluss mit Lustig, wenn ein Leben in Gefahr war. „Der Spaß ist jetzt vorbei“, bestimmte der Ritter mit weit ausgebreiteten Armen.
Der Gorone knurrte vor Zorn. „Denkst du, ich mach hier Spaß?“ Mit dem Hylianer, der auch weiterhin versuchte, sich aus dem festen Griff zu befreien, machte er eine wegwischende Geste. „Geh mir aus dem Weg, sonst werfe ich dich hinterher!“
Aber Leo, wenngleich er sich bei dem ulkigen Anblick, den der ältere Ritter bot, ein Grinsen kaum verkneifen konnte, blieb trotz dieses Ultimatums so felsenfest wie ein Gorone selbst.
In seiner Entschlossenheit wurde er jedoch abgelenkt, als er von Ferne schwere, krachende Schritte vernahm. Den Steinkoloss und dessen hilflosen Gefangenen vor sich ignorierend, fragte Leo Virri: „Kommt da etwa noch einer?“
Der kleine Held hob zuerst ratlos die Schultern, hielt dann aber inne. Über einen anderen Pfad, als der Suchtrupp emporgekommen war, zog gerade sein blauer Klon zum Original zurück. Aus dessen Augen sah Virri tatsächlich einen weiteren Goronen herbeitrotten. Genüsslich nagte dieser an einem roten Steinbrocken und summte dabei gut gelaunt ein Liedchen, das die Luft wie ein munter rollender Felsen zum Vibrieren brachte. Äußerlich unterschied er sich kaum von dem ersten Goronen – sah man davon ab, dass er mindestens doppelt so groß war.
Als er seinen Kollegen mit dem hilflos zappelnden Hylianer erblickte, verstummte er und ließ die Ladung steinernen Knabberzeugs fallen, die er mit sich gebracht hatte. Donnernd wie eine Gerölllawine stampfte er herbei; Virri konnte sich, seinen roten und violetten Klon nur im letzten Moment mit Vorwärtsrollen in Sicherheit bringen, bevor alle seine drei Körper über den Haufen gewalzt worden wären. Auch Leo nahm nun die Beine in die Hand – die Sache wurde ihm zu heiß mit gleich zwei Goronen, noch dazu mit einem solchen Riesen.
Aber dessen reiskuchenförmiges Gesicht zeigte nur Besorgnis. „Calgoro!“, rief er den anderen Goronen an. „Was machst du da mit dem armen Hänfling!“
„Wonach sieht es denn aus, Angoro? Ich bestrafe Darunias Mörder!“, gab Calgoro zurück.
Zweifelnd beäugte Angoro Balaen. „Und das soll er sein? Der kann ja noch nicht einmal einen Kiesling anheben!“
„Siehst du es denn nicht?“ Calgoro fuchtelte mit seinem Gefangenen vor des anderen Goronen Gesicht.
Verärgert darüber, wie ein Gegenstand behandelt zu werden, forderte Balaen weiter: „Lass mich runter!“ Dabei drosch er auf die Hand ein, die ihn noch immer umfasst hielt.
Seine Bemühungen beeindruckten Calgoro nicht im Geringsten. „Er sieht genau so aus, wie der Zora es gesagt hat. Er trägt sogar diese Zipfelmütze!“ Grob riss er Balaen besagten Gegenstand ab und schmetterte ihn zu Boden.
Angoro versuchte weiterhin, ihn zu beschwichtigen. „Aber Hylianer sehen doch alle irgendwie gleich aus. Schau doch!“ So groß, wie der Steinriese war, musste er sich nicht von der Stelle bewegen, sondern nur zu Virri hinüberbeugen. Der hatte mittlerweile alle seine drei Klone um sich versammelt. Angoro fasste die kleinen Krieger einhändig zu einem Strauß zusammen und hielt sie seinem Bruder unter die Nase.
Um ein freundliches Grinsen bemüht, wünschte sich Virri, Angoro möge ihn auch schon wieder freigeben. Für ihn selbst war dessen Quetschgriff nicht lebensgefährlich, aber wenn er nur noch ein bisschen härter zupackte, würden sich alle Klone auf einmal auflösen. Hätten die Goronen um den Hintergrund gewusst, warum ausgerechnet diese vier Hylianer absolut gleich aussahen, wären diese ein denkbar schlechtes Beispiel für das angesprochene Vorurteil gewesen. So aber stimmte der angebliche Beweis Calgoro tatsächlich nachdenklich. Sein riesenhafter Kollege setzte das bunte Bündel wieder ab; schnell lief Virri zu Leo zurück, der, da die größte Gefahr vorerst gebannt war, darüber prustete, wie die Goronen mit seinen beiden Begleitern umsprangen.
„Hast du es schon mit dem Pferdchen versucht?“, wollte Angoro von seinem Bruder wissen. „Wenn es ihn erkennt, wissen wir genau, ob er das mit Darunia gemacht hat.“ Da Calgoro nur langgezogen brummte und nicht darauf einging, nahm ihm der Steinriese den Hylianer ab und stellte ihn unbeabsichtigt so unsanft wieder zu Boden, dass Balaen sich selbst um einen festen Stand bemühen musste. Sowie dies geschafft war, brachte er den Hylia-Schild wieder an der Schwertscheide an, rückte Gürtel und Schal zurecht, strich eine Falte seines Gewandes glatt und klopfte Staub davon ab.
„Na los, Spitzohr!“ Mit wachsender Ungeduld schubste Calgoro Balaen Richtung Pferd.
Der unglückselige Held stolperte darauf zu, kämpfte um sein Gleichgewicht. Als Calgoro ihm gleich noch einen Stoß versetzen wollte, hob er abwehrend die Hände. „Ist gut! Ich geh ja schon!“ Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, unterwegs seine Mütze aufzulesen, auch sie zu entstauben und wieder aufzusetzen. Dann erst schritt er langsam an das Pferd heran wie an ein wildes, ungezähmtes Tier. Es hatte bei seinem Nähertreten die Ohren zurückgestellt und beobachtete ihn wachsam aus klaren, klugen Augen. Die Farbe seines rostroten Fells hob sich deutlich ab von dem braunen Vulkangestein.
Bis auf Armlänge ließ das Pferd Balaen herankommen – dann plötzlich schnappte es nach ihm. Das hatte er bereits befürchtet, da auch Karmin so auf Fremde reagierte. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass das Huftier wiehernd nach ihm austrat. Nur die zu kurz geratene Kette an seinem Hals verhinderte, dass es Balaen niedertrampelte. Dieser wich zurück und entfernte sich rasch von dem tobenden Tier.
An seinen Bruder gewandt, sagte Angoro: „Siehst du? Wenn es wirklich sein Pferdchen wäre, würde es das wohl kaum machen.“
Widerwillig musste Calgoro dem zustimmen. Dennoch verschränkte er abweisend die Arme und betrachtete prüfend die Helden, die sich nach der ganzen Aufregung wieder zu einer Gruppe zusammenfanden. „Eigentlich haben wir klargemacht, dass wir keine Hylianer mehr in unserem Gebirge wollen, und jetzt sind es gleich sechs?“
Trotz der Behandlung, die ihm zuteil geworden war, legte Balaen den Goronen sachlich ihre Mission in allen Einzelheiten dar, die ihnen selbst bekannt waren.
Nur am Rande hörte Leo dem zu, widmete seine Aufmerksamkeit stattdessen hauptsächlich dem Pferd. Als Angoro bemerkte, dass er auf es zuging, warnte er den Helden: „Bleib lieber weg von ihm. Es ist aggressiv.“
Lässig erwiderte Leo: „Passt schon, bin ich auch.“
Konfus verzog Angoro die Miene und kratzte sich die steinerne Glatze, sodass es klang, als werde Marmor geschliffen.
Das Pferd tänzelte nervös, als Leo näherkam, aber anders als Balaen ausreichend Abstand wahrte. Die Augen des Hylianischen Ritters strahlten vor Begeisterung, als er das Tier betrachtete. „Du bist ein echtes Schlachtross!“, bewunderte er die Stute, ihre Größe und den stämmigen Körperbau. Doch war sie abgemagert, die Form ihrer Knochen stach unter dem glanzlosen Fell hervor. Die schmiedeeisernen, daumendicken Kettenglieder hatten die Haut des kräftigen, aber geschwächten Nackens wundgescheuert. Wie schmutzig sie war, erkannte man insbesondere an der Blässe auf ihrer Stirn, deren eigentliches Blütenweiß grau von Staub war. Etwas zu Fressen oder gar Wasser war nicht in Sicht. „Jemand sollte diesen Kalksteinschädeln eine Lektion einmeißeln“, schimpfte Leo voll zornigen Mitleids. Verstohlen linste er zu der Gesellschaft hinüber, um sich zu vergewissern, dass keine Blicke auf ihn und das Pferd gerichtet waren.
Derweil hatte Balaen seine Ausführungen beendet.
„Das ist zwecklos“, schnauzte Calgoro gleichbleibend ungnädig. „Wenn wir Goronen ihn nicht finden, dann niemand.“ Mit einer weiten Geste umfasste er die gesamte bergige Umgebung. „Wir haben das ganze Gebirge nach ihm durchsucht, aber er versteckt sich zu gut.“
„Ist er denn überhaupt noch im Gebirge?“, stellte Balaen eine sehr berechtigte Frage.
Es donnerte, als Calgoro sich mit der Faust auf die steinerne Brust schlug und mit Überzeugung verkündete: „Natürlich! An uns kommt niemand vorbei!“ Abweisend verschränkte er die Arme. „Und jetzt verzieht euch!“
Angoro beugte sich zu einem von Virris Klonen runter und schnupperte an ihm, wunderte sich jedoch, dass kein Geruch von ihm auszugehen schien. Also prüfte er Virri selbst, der zwar eine gesunde Furcht vor der riesenhaften Nase hatte, aber nicht davor zurückschreckte. „Ich kenne dieses Parfüm …“, murmelte er nachdenklich. „Hat die Prinzessin euch geschickt?“
„Prinzessin?“, wiederholte Balaen.
Ein lautes Wiehern unterband jede Erwiderung, und alle wandten sich dem Geräusch zu. Von seiner Kette befreit, stieg das Pferd und streckte die müden Glieder, die vom langen Rumstehen steif geworden waren. „Was?!“, platzte Calgoro, als das Tier auch schon aus dem Stand losgaloppierte. „Fang‘s!“, brüllte der kleinere Gorone seinem Bruder zu. Die Stute schlug eine Hacke, die man ihrer eingefallenen Erscheinung gar nicht zutraute, und entkam der nach ihr packenden Pranke Angoros um Haaresbreite. Sie sprang seitlich an der Felswand ab an dem anderen Goronen vorbei, und rasch verklang das Klacken ihrer Hufe.
„Verdammt!“, fluchte Calgoro wütend. „Wie konnte es nur entkommen?!“ Aufgebracht wandte er sich den Hylianern zu. „Ihr! Von euch kommt nichts Gutes, das habe ich gleich gewusst!“
Er stampfte auf sie zu, doch Angoro stellte sich ihm in den Weg. „Aber Bruder, wie können sie das Pferdchen befreit haben? Sie waren doch alle hier bei uns!“
Während die Goronen die Möglichkeiten diskutierten, betrachtete Virri durch einen seiner Klone die am Boden liegende Kette. Über einen anderen musterte er Leo, der, kurz bevor das Pferd weggelaufen war, pegasusschnell neben ihm erschienen war.
Balaen trat vor und unterbrach das Streitgespräch der Felsenbrüder. „Lasst ihr uns nun weitergehen?“
Wutschnaubend erwiderte Calgoro: „Wie oft denn noch? Geht heim und sagt eurem Prinzesschen, dass wir keine Hilfe von Hylianern brauchen!“
„Aber Calgoro“, wandte Angoro wieder ein, „ohne das Pferdchen können wir nichts mehr machen. Und eigentlich sehen diese Hänflinge ganz pfiffig aus. Vielleicht finden sie ihn ja doch?“
Die drei Helden ließen Calgoros misstrauische Begutachtung über sich ergehen: Leo angriffslustig, Balaen auffordernd, Virri erbittend, seine Klone ausdruckslos.
Schließlich grummelte der kleinere Gorone: „Na gut, überredet. Sucht ihn doch meinetwegen. Aber bei Sonnenuntergang seid ihr wieder weg!“
„Länger werden wir nicht brauchen“, meinte Balaen – hoffte es zumindest, denn er war sich darüber selbst nicht so sicher.
Sie waren den Pfad schon weitergegangen, als Calgoro schnauzte: „Als ob ein Mützenwicht bei uns nicht schon genug wäre!“Auch auf ihrer weiteren Suche hielten sie Ausschau nach jeder Auffälligkeit. Das Ungewöhnlichste, das einer von ihnen in dem von nur wenig Leben bewohnten Gebirge entdeckte, war eine goldbraune, seltsam weiche Vogelfeder. Da Virri sie durch einen seiner Klone fand, der weit von der Gruppe entfernt war, hätte es einen Moment gedauert, sie herbeizutragen. Außerdem fürchtete der kleine Held, von seinen älteren Begleitern als dumm und kindisch abgestempelt zu werden, wenn er ein so unbedeutendes Fundstück an die große Glocke hängte. Deswegen ließ er es liegen und erwähnte es auch nicht. Irgendwann holte er alle seine Doppelgänger wieder zu sich, da es doch nichts zu nützen schien, sie in der Umgebung zu verteilen.
Bald kamen sie an einer Spalte in einer Felswand vorbei, ein Eingang in eine Höhle, wie es Dutzende andere im Gebirge gab. Ohne sich zu wundern, warum ausgerechnet diese, betraten die drei sie in stummem Einverständnis. Nach oben ließ die Felsdecke eine schmale Lücke, sodass es nicht stockfinster unter ihr war; außerdem spendeten die Ziersteine an den Knäufen von Virris Schwertern zusätzlich einen schwachen, vierfarbigen Schimmer. Der Gang war nicht allzu eng, dennoch blieb kein Platz für ihre Besucher, auch nur zu zweit nebeneinander zu gehen. So schlichen sie in einer Reihe hintereinander her; Balaen durchmaß die diffuse Dunkelheit vor ihnen und führte sie an, dicht gefolgt von den vier kleinen Kriegern, mit Leo als Nachhut, der auf das achtete, was hinter ihnen sein mochte. Irgendwann bogen Balaen und Virri in einen kurzen Seitengang, der vom Hauptweg abzweigte; letzterer ließ seine Klone geradeaus weitergehen, und nur Leo folgte ihm. So gelangten nur die drei Grüngewandeten in den kleinen Raum, in den der Seitengang mündete. Durch seine geschlossene Decke war dieser zwar dunkler als die sonstige Höhle, aber genauso leer, seine Wände ebenso kahl und uninteressant.
Die Suchenden kehrten bereits in den Hauptgang zurück, als Leo sich noch einmal umdrehte. Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, lauschte er in den Raum hinein, der nun, da das grüne Licht von Virris Schwert ihn nicht mehr durchschnitt, wieder von Schwärze erfüllt war.
Hinter dem jüngeren Ritter war auch Balaen stehen geblieben. „Was ist?“
Nachdenklich raunte Leo: „Nichts. Mir war nur … als hätte ich etwas gehört.“ Kopfschüttelnd wandte er sich wieder ab. „War vielleicht nur eine Ratte. Miese Ratten …“
Diesmal führten Virri und seine Abbilder den Suchtrupp an, während sie schweigend den Gang weiterschlichen. Sie waren einige Schritte weit gekommen, als plötzlich ein Knall die Felswände zum Erbeben brachte. Sich die schmerzenden Ohren zuhaltend, brüllte Leo unnötigerweise, da der Krach schon verhallt war: „Verdammt, was war das?“
Virri merkte etwas ganz anderes an: „Wo ist Balaen?“
„Na hier …“, setzte Leo zu einer Antwort an, aber verstummte, als er feststellte, dass der Vermisste gar nicht hinter ihm war wie erwartet. Das Rätsel um seinen Verbleib war noch nicht gelöst, als ein neuer Knall erklang. Steine regneten auf die beiden Grüngewandeten und die Klone herab, während sie in jenen leeren Seitenraum von zuvor zurückeilten, wo Balaen bislang unbemerkt zurückgeblieben war. Im Staub stehend, der als Wolke durch die kleine Höhle schwebte, hielt er seinen Schild schützend vor den Oberkörper; in der anderen Hand hatte er die Peitsche, deren Kugel ein türkisblaues Leuchten von sich gab.
Lautstark verschaffte Leo sich Gehör: „Bist du wahnsinnig? Was treibst du hier?!“
Nur kurz blickte Balaen zu den beiden zurück, bis etwas gegen den Hylia-Schild klackte. Der Gegenstand kullerte zu Boden – und explodierte. „Verschwindet! Er wirft mit Bomben!“, rief Balaen seinen Begleitern zu.
„Wer denn? Hier war doch niemand!“, erinnerte Leo. „Warte mal … Ist das der Kerl, den wir suchen?“
Balaens Antwort ging in dem Donnern unter, den die immer häufiger eintreffenden Bomben auslösten. Das Gestein über ihren Köpfen knirschte bedrohlich, und weitere Bruchstücke lösten sich. In all dem Krach hatte Leo keine Orientierung, während er den herabfallenden Steinen zu entgehen versuchte. Virri hingegen hatte durch seine Klone die ganze Decke im Blick; als mehrere große Brocken genau dort niedergingen, wo Leo gerade stand, schrie er: „Pass auf!“ In einem Klon rollte er vor zu dem Ritter, schubste ihn fort und wurde an seiner Statt erschlagen. Unter dem Geröllhaufen stoben blaue Funken auf und zeugten von seiner Aufopferung. Mit Schreck sah Leo zu, wie sie erloschen.
„Verschwindet von hier!“, wiederholte Balaen seinen Befehl. Der Bombenhagel wurde abgebrochen, doch noch immer stürzten Felsen herab. Der Spalt in der Decke über dem Hauptgang riss bis in den Nebenraum herein auf, und das neu einströmende Licht ließ Balaen blinzeln. In dem Pulverdampf, der die Luft verpestete, machte er einen undeutlichen Schemen aus, den er erst für den eigenen Schatten hielt, da auch dieser sich mit einem Schild schützte. Der Bombenleger schien etwas in einer Tasche zu suchen – vermutlich weitere Sprengsätze –, beging dabei den Fehler, dass er Balaen den Rücken zugekehrt hatte. Der wechselte nun Peitsche gegen Schwert, sprang augenblicklich vor und schlug zu. Die Klinge traf mit metallischem Scharren auf Widerstand.
Da erkannte der Ritter seinen Irrtum. Er hatte fälschlicherweise angenommen, sein Gegenüber stehe mit dem Rücken zu ihm, weil der Umriss von Balaen aus gesehen den Schild an der spiegelverkehrten Seite trug. Also am linken Arm wie auch er selbst, wie es rechtshändige Schwertkämpfer nunmal zu tun pflegten. Doch sein Gegenüber war gar kein solcher.
Für einen Augenblick sahen die beiden einander überrascht an – dann schubste sein Gegner Balaen von sich, vollführte eine wohlbemessene Rückflugrolle, sodass er mit den Füßen an der Felswand hinter sich aufkam, und Schatten hüllten ihn ein. Er sprang ab, katapultierte sich über Balaen hinweg, der perplex mit ansah, wie seine Konturen die Form änderten.
Zwischenzeitlich hatte Virri seine beiden verbliebenen Klone formiert, um Balaen im hinteren Teil der Höhle zu unterstützen. Aus der Staubwolke dort sprang etwas hervor und landete genau vor ihm – ein Wolf mit gelbbraunem Fell, das im diffusen Licht wie Gold glänzte, und einer Schulterhöhe, die fast an die Virris heranreichte. Das stattliche Raubtier stutzte einen Moment wegen der drei absolut gleichen Gesichter vor sich, legte die Ohren zurück und knurrte. Es sprang vor, packte den Rotgewandeten – und hielt überrascht inne, als sein Opfer in rote Funken aufging.
Hinter dem Wolf stolperte Balaen aus der Staubwolke, dem er nur ein aufhorchend zurückgedrehtes Ohr widmete. Vor ihm sprang der originale Virri hoch, getragen vom Greifenmantel, spießte das Schwert hinab und rief: „Sturzattacke!“ Der Wolf entging der Klinge, packte den Angreifer am Fuß. Erschrocken japste Virri, als er herumgewirbelt und Balaen entgegengeschleudert wurde. Das ungewöhnliche Wurfgeschoss traf den Ritter an der Brust, und die beiden gingen zu Boden.
Balaen keuchte. „Leo, halte ihn auf!“, rief er gegen das Bersten von Gestein, das ununterbrochen über ihnen grollte.
Der jüngere Ritter stand am Durchgang aus der kleinen Höhle. Er hob das Schwert gegen den Wolf, der mit wenigen Sätzen auf ihn zurannte. Noch ehe er heran war, sprang Leo zur Seite, kauerte sich zusammen und schlang die Arme schützend über den Kopf. Der Wolf gelangte ungehindert an ihm vorbei und entkam in die Dunkelheit.
Stetig prasselten mehr und mehr Brocken herab. Balaen und Virri waren aufgestanden, und der ältere Krieger schubste das Original und den violetten Klon vor sich her. „Raus hier!“, brüllte er gegen den Lärm. Die auf vier reduzierten Helden stolperten mehrfach, während jeder für sich seine liebe Mühe hatte, den auf sie einstürzenden Steinbrocken zu entgehen. Gegen den Staub hustend gelangten sie schließlich ins Freie – allerdings nur Balaen und Leo. Von Virri und seinem Klon fehlte jede Spur.
Sofort sahen sich die beiden älteren Helden nach ihm um. Die Staubwolke des letzten polternden Hagels verflüchtigte sich, und in der instabilen Düsternis des Hohlwegs schimmerte grünes und violettes Licht heraus. Dort hatte Virri das Schwert der Vier wieder unter den Gürtel geschoben und kämpfte gegen das unverrückbare Gewicht eines Felsbrockens, der größer war als er selbst. Als er zuvor während der überstürzten Flucht über einen im Weg liegenden Stein hinweggesprungen war, war ein weiterer auf ihn herniedergegangen. Wahnsinniges Glück musste er gehabt haben, dass er nicht davon erschlagen worden war, aber sein Greifenmantel war nun zwischen jenen beiden Felsen eingeklemmt. Zaghaft zerrte Virri daran, aus Furcht, ihn zu zerreißen. Indes versuchte sein Doppelgänger mit ganzem Körpereinsatz, aber aussichtslos, den oben liegenden Brocken wegzuschieben oder zumindest etwas anzuheben, damit der Mantel freikam. Über ihm rumpelte es bedrohlich.
Schon eilte Balaen zurück, um ihm zu helfen. Leo, der draußen blieb, seufzte: „Oh nein, so nicht …“, nahm den Tauschhaken von seinem Gürtel. Er wirbelte die Kette zweimal herum, um Schwung aufzubauen, und warf sie Balaen hinterher, ohne das andere Ende loszulassen. Die eiserne Klammer schnappte zu, Leo zog an der Kette – und die beiden Ritter tauschten jäh die Plätze.
Balaen lief noch ein paar Schritte, ehe er registrierte, was geschehen war; er strauchelte und blinzelte ob des plötzlichen Positionswechsels verwirrt um sich. Die Metallklammer, die mit ihm ans andere Ende der Kette gesprungen war, fiel mit hellem Klang auf den steinernen Grund. Hinter ihm donnerte es, mehr Geröll als zuvor ging nieder; eine Staubwolke stieg auf und nahm jede Einsicht in die Höhle. Ein grüner, verwischter Schatten, schnell wie ein Pfeil, wirbelte sie auf in genau dem Moment, als die Decke endgültig einstürzte. Er flitzte an Balaen vorbei, prallte von einem Felsen ab, und Leo und Virri purzelten zu Boden.
Der kleine Krieger schnappte keuchend nach Luft; zwar war sein letzter Klon nicht mehr bei ihm, doch er selbst und sogar sein Mantel waren unversehrt. Zitternd rappelte er sich auf die Knie, blickte zu Leo rüber. „Pegasusstiefel?“
Sein Retter hob ein bestiefeltes Bein sowie den ausgestreckten Daumen, der jedoch, da er auf dem Rücken lag, nach unten wies. „Nur das Beste vom Besten für den Helden von Hyrule!“
„Danke, dass du mir geholfen hast“, sprach Virri ernst.
Leo winkte ab. „Jaja, schon gut. Ich würde sagen, wir sind quitt. Du hingegen“, – er deutete auf Balaen und setzte sich auf –, „schuldest mir was. Überlass todesmutigen Leichtsinn denjenigen, die damit umgehen können!“
Balaen verdrehte die Augen, sah sich um. Natürlich war der Wolf bereits auf und davon, und auch Karmin war gerade leider nicht in Sichtweite. „Warum bist du ausgewichen? Du hättest diesen Wolf aufhalten sollen!“, warf er dem jüngeren Ritter vor.
Der hatte sich in den Schneidersitz begeben und begonnen, die Kette seines Tauschhakens wieder aufzuwickeln. „Bleib du mal ruhig, wenn so ein Riesenvieh auf dich zurennt“, rechtfertigte er sich.
„Ich will gar nicht wissen, wie du bei richtigen Monstern reagierst“, zischte Balaen zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Ruckartig sah Leo auf. „Was soll das …“ Er verstummte, und sein Blick rückte in die Ferne.
„Leo? Stimmt was nicht?“, klopfte Virri vorsichtig bei ihm an.
„Ich höre was …“ Lauschend hatte der ältere Held den Kopf schiefgelegt, ja sogar die klirrende Kette sinken lassen.
„Also, ich höre nichts“, meinte Virri und fragte Balaen: „Du etwa?“
Bevor der antworten konnte, versetzte Leo: „Seid still!“ Jetzt konnte er das Geräusch, das zwischen den Felswänden des Gebirges hallte, deutlicher vernehmen. „Da heult ein Wolf.“ Doch es war nicht nur irgendein zufälliger tierischer Singsang, sondern eine richtige Melodie: Dreimal die gleiche Abfolge dreier absteigender Töne, dann ein hoher und wieder ein tiefer. Als hätte sich das stete Auf und Ab langer Reisen in die Klänge eines beschwingten Liedes gekleidet.
„Aus welcher Richtung?“, wollte Balaen wissen, und Leo deutete sie vage an. Der Ritter aus den Wolken nickte knapp, rief Karmin mit einem Pfiff herbei und schickte ihn mit einem Wink und einem konzentrierten Gedanken in jene Richtung aus. An Virri gewandt orderte er: „Ruf deine Doppelgänger wieder.“
Bedauernd erklärte der kleine Held: „Kann ich nicht. Sobald sie weg sind, muss ich einmal schlafen, damit das wieder funktioniert.“ Er zog das Schwert der Vier aus dem Gürtel und schob es in seine Scheide zurück; das Glühen des Ziersteins war bereits mit dem Tod seines letzten Klons erloschen.
„Ist doch gar nicht nötig“, meinte Leo schulterzuckend und wies zum eingestürzten Höhleneingang. „Den, den wir gesucht haben, hat’s erwischt, da kann uns der Wolf doch egal sein.“
„Das ist doch gerade das Problem.“ Balaen klang gehetzt. „Er wurde nicht verschüttet. Er ist der Wolf!“Balaen gab ein strammes Tempo vor, mit dem Virri auf seinen kürzeren Beinen nicht mithalten konnte. Leo, dem das wesentlich leichter gefallen wäre, war so kollegial und blieb an der Seite des kleinen Kriegers, der immer weiter zurückfiel. „Jetzt warte doch mal!“, rief der Hylianische Ritter dem Vorauslaufenden zu. „Willst du mir ernsthaft erzählen, dass wir hier jetzt einen Wolf verfolgen?“
„Die Frau hat doch gesagt …, dass er Hylianer ist“, erinnerte Virri neben ihm kurzatmig.
„Ich weiß“, erwiderte Balaen, ohne anzuhalten. „Aber er ist …“ Um weitere Worte bemüht, die er jedoch nicht finden konnte, stieß er einen Frustschrei aus.
Auch Leo knurrte nun wütend, aktivierte die Pegasusstiefel, holte den älteren Ritter blitzschnell ein und stellte sich ihm in den Weg. Als Balaen einfach an ihm vorbeigehen wollte, hielt er ihn auf, indem er ihm die flache Hand vor die Brust klatschte. „Jetzt spuck schon aus!“, forderte er genervt.
Noch immer druckste Balaen herum. „Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte …“ Er schüttelte den Kopf, als müsse er seinen Geist klären. „Es ist so verrückt!“
„Ich habe bis heute sieben Welten bereist“, ließ ihn der vagabundierende Held wissen. „Da habe ich viel Verrücktes gesehen, glaub mir.“
Auch Virri hatte die beiden endlich erreicht, stützte die Hände auf die Knie und schnappte nach Luft. Zwischen zwei keuchenden Atemzügen drängte er: „Genau, sag endlich!“
Dennoch zögerte Balaen noch einen Moment, bevor er schließlich mit der Sprache rausrückte: „Der Wolf … Der, den wir suchen, hat sich … in den Wolf verwandelt.“
Mit einer Mischung aus Verwunderung und Geringschätzung hob Leo die Augenbrauen. „Deswegen zierst du dich hier wie ein kleines Mädchen? Du hast einen Menschen gesehen, der sich in ein Tier verwandelt hat?“
Balaen hatte zwar bereits erlebt, wie ein Dämon zum Menschen wurde, doch auch das war eine Geschichte, die er nicht gerne erzählte, da er fürchtete, sein Zuhörer könne an seinem Verstand zweifeln. Daher nickte er mit gequältem Gesichtsausdruck, bereit, Leos Spott über sich ergehen zu lassen.
Doch der hob nur eine Schulter, wandte sich ab und schlenderte weiter. „Wenn’s nur das ist“, meinte er salopp.
Erstaunt sah Balaen ihm nach. „Du glaubst mir?“
„Glaubst du dir?“, fragte Leo zurück, ohne sich herumzudrehen, und verzichtete dabei darauf, zu erwähnen, dass er selbst eine Zeit lang ein Tier gewesen war. „Du hast heute gesehen, wie aus einem Knirps vier wurden, da sollte dich so etwas nicht mehr schocken.“
Sprachlos blickte der Held aus den Wolken Virri an, der bekräftigend nickte.
Zwar suchten sie nun mit Karmins Hilfe die nähere Umgebung ab, aber auch nach Stunden hatten sie keine Spur von dem Wolf oder seiner menschlichen Form entdeckt.
„Vielleicht gehen wir in die falsche Richtung“, vermutete Balaen schließlich.
„Ich weiß genau, aus welcher Richtung ich das Heulen gehört habe“, sagte Leo empört.
Der ältere Ritter gab zu bedenken: „Möglicherweise hast du dich geirrt. Vielleicht war das nur das Echo.“
„Ich werde ja noch ein Echo von einem richtigen Geräusch unterscheiden können!“
Balaen seufzte. „Oder er ist längst fort.“
„Hätte dein Federvieh gleich, als er aus der Höhle kam, besser aufgepasst, wären wir jetzt nicht in dieser Lage!“, feindete Leo ihn an.
Allmählich gereizt rieb sich der Vogelreiter über die Augen und gab zurück: „Karmin kann nicht ewig über derselben Stelle gleiten.“
„Wir haben keine Zeit mehr …“, bemerkte Virri vorsichtig. Die Berghänge, die sie umgaben, waren in kupfernes Glutlicht getaucht, das ihnen das Aussehen gab, als flösse die Lava des Vulkans an ihnen herab – die Sonne ging unter.
„Schade“, seufzte Leo, als der Abenteurer in ihm feststellen musste, dass die von Calgoro gesetzte Frist verstrichen war.
Widerwillig schlugen die drei Helden unverrichteter Dinge den Rückweg zu den Goronen ein, auf dem ihnen Angoro entgegenkam. Fröhlich, sie zu sehen, brummte der Steinriese: „Da seid ihr ja! Ich hab euch gesucht, damit ich euch fortbringe. Eigentlich würde ich euch gerne noch hier spazieren lassen, aber Calgoro …“ Er seufzte grunzend, drehte sich für seine enorme Größe erstaunlich leichtfüßig herum und winkte einladend. „Kommt mit.“ Während die Grüngewandeten dieser Aufforderung nachkamen, fragte er Virri: „Wo sind denn deine kleinen bunten Freunde?“
Der Junge improvisierte schnell: „Die kommen noch nach.“
„Hm.“ Von der tiefen Stimme des Kolosses lösten sich ein paar Kieselsteinchen von einer nahen Felswand. „Hoffentlich brauchen sie nicht zu lang. Das würde meinem Bruder nicht gefallen. Und ich will euch alle was fragen … Es geht um das entflohene Pferdchen.“
„Es ist das Reittier des Hylianers, der euren Häuptling ermordet hat, richtig?“, vermutete Balaen.
Als Angoro behäbig nickte, riss Leo die Augen auf und biss sich auf die Lippe.
„Wir glauben, er ist noch nicht aus dem Gebirge weg, weil wir sein Pferdchen gefangen haben“, informierte der Gorone die Helden. „Mein Bruder dachte, wenn wir dem Spitzohr damit eine Falle stellen, kriegen wir ihn auch.“ Seine lapislazuliblauen Augen wurden weit vor Schreck. „Calgoro ist stinksauer, weil das Pferdchen weg ist. Er will rausfinden, wer es befreit hat.“
Unauffällig fiel Leo einige Schritte zurück.
„Ist es nicht möglich, dass es sich selbst befreit hat?“, fragte Balaen den Goronen.
Polternd wie ein Steinschlag lachte Angoro. „Die Kette ist an einem Glied gerissen. So was schafft man nur, wenn man stark ist wie ein Gorone!“ Dabei spannte er prahlerisch grinsend seinen knotigen Bizeps an. „Leider haben wir nicht gesehen, was genau passiert ist. Ihr wart doch auch da. Habt ihr vielleicht irgendwas gesehen?“ Balaen schüttelte den Kopf, und auch Virri verneinte im Namen seiner Klone. Angoro blickte zu Leo zurück, der unbeteiligt hinter ihnen herstapfte. „Und was ist mit dir?“
Weil der Gefragte nicht reagierte, rief Virri ihn an: „Leo, hast du gehört? Angoro hat uns was gefragt!“
So scharf, dass der kleinere Held zusammenzuckte, versetzte Leo: „Ich hab nichts gesehen, kapiert?“ Mit einer zackigen, wegwischenden Geste deutete er auf Balaen. „Fragt doch unseren Flattermann und sein mieses Federvieh.“
„Was ist dir eigentlich über die Leber gelaufen?“, fragte der Vogelreiter.
„Ach, halt den Schnabel!“, murrte Leo.
Sie kamen wieder an dem Ort an, wo die beiden Goronen Wache geschoben hatten. Calgoro erwartete sie dort, die Arme verschränkt und die zerrissene Kette in Händen. Mit gehässiger Freude nahm er die Hylianer, ihre Kratzer und Blutergüsse in Augenschein. „Sieh an, die Herren mit der Zipfelmütze. Ihr habt euren Freund wohl doch nicht gefunden?“
„Freund?!“, schmetterte Leo zurück, der durch diese Bezeichnung in seinem Ehrgefühl verletzt wurde.
„Haben wir!“, versicherte Virri eifrig.
„Soso“, schnaubte Calgoro und spähte übertrieben suchend um sich. „Und wo ist er?“
Kleinlaut erwiderte der Junge: „Er ist verschwunden …“
Der Gorone stieß ein bösartiges Lachen aus. „Ich sagte doch, dass ihr ihn nicht finden würdet!“
„Hast du ihm gerade nicht zugehört, du Taubgestein?“, blaffte Leo ihn an.
Calgoro fuhr wütend zu ihm herum. „Wie hast du mich gerade genannt?!“
„Oh, verzeih, falls ich zu schnell gesprochen habe“, erwiderte Leo zynisch. „Soll ich es dir buchstabieren?“
Balaen rieb sich die Nasenwurzel und unterbrach ihn müde: „Leo, lass gut sein.“
Doch der Dickschädel dachte gar nicht daran. „Ganz bestimmt nicht!“
Etwas klimperte stählern, als Calgoro den drei Helden einen Gegenstand vor die Füße warf. Zwar war das Stück Eisen zur Unkenntlichkeit verbogen, doch war unschwer zu schlussfolgern, dass es sich hierbei um jenes Kettenglied handelte, an dem die Gefangenschaft des Pferdes gescheitert war. „Denkt ja nicht, ihr wärt aus dem Schiefer, weil ihr Schwächlinge das nicht gewesen sein könnt“, warnte Calgoro.
„Schwächlinge?“, wiederholte Leo wutentbrannt, hob herausfordernd die Fäuste. „Ich zeig dir, wer hier der Schwächling ist, miese Backsteinfresse!“
Diese Provokation ließ sich Calgoro, der ebenso streitlustig war, nun nicht mehr gefallen; es war Angoro, der sich seinem Bruder entgegenstellte und ihn daran hinderte, sich auf Leo zu stürzen. Während er mühelos mit dem kleineren Goronen rang, sagte er im Plauderton zu den Helden: „Entschuldigt Calgoro. Er braucht dringend ein Bad in einer heißen Quelle. Wir sitzen schon tagelang hier rum und sind einfach fertig.“ Er nahm seinen Bruder in den Klammergriff, schleuderte ihn herum und warf ihn den nahen Abhang hinunter, dem Balaen zuvor hatte zum Opfer fallen sollen. Zu einem runden Felsen zusammengekugelt, rollte Calgoro in die Tiefe. Der Steinriese, der ihn auf die unerwartete Talfahrt geschickt hatte, kratzte sich am Kopf und grunzte. „Bestimmt kommt er gleich wieder hoch“, meinte er an die Hylianer gewandt. „Ihr solltet besser gehen.“
Diesem Rat kamen sie gerne nach; auf ihrem Rückweg fluchte Leo ungehalten über Calgoro, weitete seine Schimpftirade jedoch schon nach wenigen Sätzen auch über Angoro bishin zum goronischen Volk im Allgemeinen aus. Davon hatte Balaen schließlich genug: Er verpasste dem jüngeren Ritter eine gehörige Nackenschelle, die ihn augenblicklich verstummen ließ und auch Virri erschreckte.
„Was schlägst du mich wie ein ungezogenes Kleinkind?!“, brauste Leo auf und rieb sich unnötig heftig den Hinterkopf.
„Weil du dich wie eines benimmst“, entgegnete Balaen kühl. „Erst legst du dich leichtfertig mit diesem Goronen an und jetzt zeterst du ununterbrochen vor dich hin.“
„Du machst dir bei dem Gedanken an dieses Dungfossil vielleicht ins Hemd, aber mir ist er nicht zu groß!“, gab Leo zurück und baute sich vor Balaen auf, der ihn um einen halben Kopf überragte.
Die Ruhe selbst, sagte der ältere Held: „Der Wolf war auch nicht groß, und trotzdem bist du ihm aus dem Weg gehüpft wie ein verschrecktes Kaninchen.“
Darauf ruckte Leos Hand vor, packte sein Gegenüber am Kragen, und er hob drohend die andere Faust. „Sag das noch einmal, du mieser …“
Er ließ ihn los, und beide Ritter zuckten zusammen, als Virri wie am Spieß schrie: „Hört doch auf!“ Ohne auf die anderen zu achten, rannte er allein voraus zu der Stelle, wo sie sich Stunden zuvor von der fremden Frau getrennt hatten. Dort wartete diese bereits auf die Rückkehr ihrer Entsandten, noch immer in ihren dunkelgrauen Mantel gehüllt. „Schicksal!“, rief Virri verzweifelt, während er auf sie zulief. „Bring mich weg von hier! Ich hab ‘nen Riesenhunger!“Der Bolero des Feuers aus Ocarina of Time
Zum Einen aus ähnlichen Gründen wie der Titel des ProPrologs (Verbindung zu Darunia, dem Weisen des Feuers), als auch, weil es jenes Lied ist, mit dem „die Fremde“ sich und die Helden in den Todesberg teleportiert, wie es auch im Spiel gebraucht wird. Außerdem wird es im Spiel als ein „Lied der Freundschaft“ bezeichnet, was in diesem Kapi eine gewisse Ironie hat.
- Endlich verrät hier auch Leo seinen vollen Namen; benannt ist er nach dem Charakter Leonidas aus dem Film 300.
- Die Namen von Angoro und Calgoro kommen von den englischen Adjektiven angry und calm, wobei ich Namen und Eigenschaften vertauscht habe (der ruhige Gorone heißt Angoro, der aufgebrachte Calgoro). Das Suffix -goro kommt in den Spielen bisweilen in Namen von Goronen vor.
- Das Lied, das Angoro bei seinem Auftreten summt, ist das Goronische Schlummerlied aus Majora’s Mask bzw eine aufgewecktere Variante.
- Auch die Wörter „Hänfling“ und „Kiesling“ sind nicht willkürlich gewählt. In A Link between Worlds nennt Rosso Link bei Übergabe der Krafthandschuhe „Hänfling“; Rosso sieht nicht nur einem Goronen sehr ähnlich, er wird auch als Nachfolger des Weisen Darunia dargestellt. „Kiesling“ kommt von dem Pokémon dieses Namens und ist hier der Begriff für ein Goronen-Kind.
- Calgoros „die Herren mit der Zipfelmütze“ ist aus Twilight Princess. Da sagt der Anführer der Goronen nämlich „Der Herr mit der Zipfelmütze möchte gehen!“, wenn man sich vorerst weigert, gegen ihn zu catchen. So ist auch die Szene, in der Angoro Calgoro in den Abgrund wirft, dem Goronen-Ringkampf in TP entlehnt.
- Leo gibt an, sieben Welten bereist zu haben. Das schließt die Welt, in der er sich gerade befindet, nicht mit ein; dazu zählen stattdessen natürlich sein „eigenes“ Hyrule und die Schattenwelt in A Link to the Past, Holodrum und Subrosia in Oracle of Seasons, Labrynna in Oracle of Ages und Kokolint in Link’s Awakening. Nun ist Kokolint natürlich keine Welt an sich, und Subrosia ist gewissermaßen ein Teil von Holodrum, aber ich habe mich für diese Zählweise entschieden, weil sieben Welten einfach einen coolen Klang hat x3
Und an dieser Stelle möchte ich nochmal meinen Unmut darüber äußern, dass Nintendo die Timeline in der Hyrule Encyclopedia redigiert hat. Das zerschießt mir meinen Kanon T-T -
Kapitel 1: Melodie des Echos
In der diffusen Dunkelheit, die sich gegen den anbrechenden Tag zwischen dem Mauerwerk verfangen hatte, glühten, etwa auf Schulterhöhe schwebend, drei Kugeln auf. Sanftes, blaues Licht ging von ihnen aus und vertrieb die Schatten; lautlos wuchsen sie an, ohne dass sie sich gegenseitig überstrahlten. Noch längst nicht so hell, dass sie blendeten, verblassten sie wieder zu bläulichem Schimmern, entließen friedlich die in ihnen eingeschlossenen Gestalten, bevor sie schließlich in aller Ruhe vergingen.
Und dann brach das Chaos aus.
Karmin bäumte sich panisch auf, warf dabei seinen Reiter ab und stieß einen spitzen Schrei aus. Gegen das stechende Geräusch presste sich Leo die Hände auf die Ohren, und Alvio zu seinen Füßen wurde aufgeschreckt. Der Hase flitzte davon, beförderte Virri auf den Hosenboden und suchte hinter ihm Deckung. Noch immer gegen die Betäubung ankämpfend, zog Leo reflexhaft das Schwert. In der Zwischenzeit war Balaen aufgestanden und versuchte, seinen Wolkenvogel am Halsgefieder festzuhalten; doch Karmin entriss sich ihm mit einem Ruck, als er mit dem mächtigen Schnabel nach Leo ausholte und ihm das Schwert aus der Hand schmetterte. Das Zaumzeug als Kletterhilfe nutzend, stieg Balaen von vorn auf sein Reittier, das mit den Schwingen schlug und Virri, der eben wieder auf die Füße gekommen war, erneut umwarf und ihm den Greifenmantel über das Gesicht wischte. Mit beiden Armen umklammerte Balaen Karmins Schnabel so fest wie möglich, drückte den Vogelkopf mit seinem Gewicht nieder. Und endlich kehrte Ruhe ein.
Dann erst sahen die drei einander an: Balaen, dem bei all dem Tumult der Paraschal vom Gesicht gerutscht war; Virri, der den Greifenmantel wegschob, um darunter hervorzulinsen; Leo, der die abwehrbereit erhobenen Fäuste wieder sinken ließ.
Hinsichtlich Alter, Aussehen und Teilen ihrer Ausrüstung unterschieden sich die drei Helden stark voneinander. Wenngleich alle blond, waren auch ihre Haarfarben nicht vom selben Ton: Während Virris ins Emmerblond ging, Balaens eher ins Dunkelgold, hatte Leos Haar einen leichten Stich ins Kupferfarbene. Aber diese Unterschiede zogen ihr Interesse zunächst nicht so sehr auf sich wie ihre Gemeinsamkeiten: Nämlich ihre Augen, bei jedem genauso blau wie der wolkenklare Himmel über der Ebene von Hyrule, deren sattes Grasgrün ihren Heldengewändern gegeben war.
„Wer seid ihr?“, fragte Virri verwirrt.
„Was geht hier ab?“, platzte Leo ungehalten.
„Wo sind wir hier?“, stellte Balaen eine ganz andere Frage.
Die drei sahen sich um; sie standen vor einem stilisierten Abbild der Sonne, zeitlos eingemeißelt in die Hinterwand eines Gebäudes, das sich vor ihnen zu einem riesigen Kirchenschiff öffnete. Links und rechts trug jeweils eine Säulenreihe die gewölbte Decke, unter der Kronleuchter hingen. Diese waren nicht entzündet, sodass nur der junge Morgen das Innere erhellte, der durch die hohen Fenster und die weit geöffnete Eingangspforte hereinsickerte. Letztere befand sich gegenüber den Neuankömmlingen an der anderen Seite der Sakralbaute; eine rote Teppichbahn, längs der Ränder mit goldenen Stickereien verziert und zwischendurch unterbrochen von einer flachen, sechseckigen Steinplatte, verband beide Enden. Sie führte zu einem schwarzen Altar, der vor der erhobenen Plattform errichtet war, auf der die Helden standen und von der man über ein paar Stufen beidseitig des Opfersteins hinabgelangte. Und vor diesem Altar stand eine Gestalt wie ein lebendig gewordener Schatten.
„Bitte, habt keine Angst.“ Die zierliche Statur war ganz in einen langen, dunkelgrauen Umhang gehüllt. Unter der weiten Kapuze zeigte sich die untere Hälfte eines Gesichts mit feinen Zügen, die mit der hellen, weiblichen Stimme korrespondierten.
Auf ihre Worte lachte Leo freudlos. „Angst? Hör mal, Püppchen, ich habe vor gar nichts Angst!“
Neben ihm ließ Balaen von Karmin ab, der sich endlich beruhigt zu haben schien, und strich seine Tunika zurecht. Prüfend musterte er die fremde Person. „Weißt du, was das für ein Ort ist und wie wir hergekommen sind?“
Als die Gefragte nickte, verlangte Leo: „Dann spuck schon aus, was Sache ist!“ Mit dem Daumen deutete er auf die anderen beiden Grüngewandeten. „Wer sind diese Hampelmänner und warum sehen sie so aus wie ich?“
Während der vergangenen Sätze war Virri aufgestanden und nah an Leo herangetreten, um dessen Gesicht genauestens zu beäugen. Ohne den Blick von seinem kleineren Gegenüber abzuwenden, drehte Leo leicht den Kopf weg und verzog genervt die Augenbrauen. „Was denn?!“
Da hob Virri die Hand und kniff ihm unerwartet in die Nase.
Als hätte ihn eine Biene gestochen, verscheuchte Leo den dreisten kleinen Helden und polterte wütend: „Hast du sie noch alle?! Was soll das?“
Unbedarft erklärte Virri: „Ich wollte nur testen, ob ich träume.“
„Müsstest du dich da nicht selbst kneifen?“, murrte Leo und rieb sich die schmerzende Nase.
Nun wandte sich Virri auch an Balaen. In Karmin, der noch immer nervös war, regte sich sein Beschützerinstinkt, und er schnappte nach dem Jungen. Erschrocken zog dieser die Hand zurück, bevor der riesige Hornschnabel mit hohlem Klacken zuschlug. Mit einem scharfen Zischen wies Balaen seinen Vogel zurecht, konnte aber nicht verhindern, dass er auch nach Leo ausholte.
Der wich reaktionsschnell aus. „Halt dein mieses Federvieh zurück!“, keifte er.
Das tat Balaen nun auch, indem er Karmin hinter sich schob und ihm gebieterisch die Hand auf den Schnabelansatz drückte.
Die Fremde in Grau zog wieder die Aufmerksamkeit der drei Helden auf sich, indem sie Balaens und Leos Fragen beantwortete: „Ich bin es, die euch hierher geholt hat. Ihr kommt aus verschiedenen Welten, aus denen ich euch in diese, in meine beschworen habe.“
„Eine andere Welt?“, murmelte Leo zu sich und schnaubte selbstzufrieden. „Wusste ich’s doch …“
„Das geht einfach so? Wie hast du das gemacht?“, wollte Virri erstaunt wissen.
Die Person lächelte geheimnisvoll. „Mithilfe eines kleinen, magischen Tricks.“
Das genügte dem kleinen Helden bereits als Antwort, aber Balaen war sie bei weitem nicht genug. Daher hakte er nach: „Also bist du dafür verantwortlich, dass Karmin in diesen Kristall geflogen ist?“
„Bei dir auch?“, meldete sich Leo zu Wort. Er deutete auf Alvio, der ohne den Sichtschutz, den Virri bot, wieder zu Füßen seines Hüters gehoppelt war, die Ohren stets wachsam in Richtung Karmin gedreht. „Dieser kleine Gauner fand es wohl sehr witzig, mich ins Portal zu schubsen!“
Das Lächeln der Fremden wich Ernst. „Es tut mir leid, dass ich in eure Welten eingegriffen habe. Ihr wolltet euch von den Portalen entfernen oder sie sogar zerstören, und das hätte meine Bemühungen, sie zu erschaffen, zunichte gemacht.“
Virri deutete sich auf die Nase und rechtfertigte sich: „Ich wollte gar nicht weggehen!“
„Aber deine Intention, das Portal wegzubringen, hätte den Zauber aufgelöst“, erklärte die verhüllte Frau geduldig.
„Oh …“, machte Virri nur und kratzte sich verlegen an der Nase.
Balaen kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Wer bist du überhaupt?“, wollte er von der Unbekannten wissen.
Diese ging nicht direkt darauf ein. „Sichert ihr mir euer Stillschweigen zu über alles, was in dieser Welt geschieht? Ihr dürft niemandem davon erzählen, was ihr hier erlebt und erfahrt.“
„Na klar!“, verkündete Virri mit der naiven Überzeugung eines Kindes.
„Wenn es sein muss, ja“, erwiderte Balaen vage.
„Kommt drauf an, was für mich hierbei rausspringt“, fügte Leo wenig überzeugend hinzu.
Diese Antworten nahm die Vermummte mit einem knappen Nicken an. „Ich brauche eure Hilfe“, eröffnete sie endlich, „aber zunächst muss ich wissen, ob ihr die richtigen für diese Aufgabe seid. Sagt mir eines … Wonach strebt ihr als Helden?“
Die drei sahen einander an, dachten kurz über diese Frage nach.
Leo war der erste, der das Wort ergriff: „Freiheit. Ich will alles sehen, alles erleben. Und jedem, der mir dabei krumm kommt, so richtig was auf’s Maul geben!“ Seine Worte unterstrich er mit einem Kinnhaken gegen einen imaginären Gegner.
„Gerechtigkeit“, sagte Virri entschlossen und legte unwillkürlich eine Hand auf den Schwertgriff. „Wenn jeder das bekommt, was ihm zusteht, können alle ein friedliches Leben führen.“
„Unbesiegbarkeit“, erwiderte Balaen, der weiterhin argwöhnte, dass seine eigene Frage an die Fremde einfach übergangen worden war. „Um die zu beschützen, die mir wichtig sind.“
Diese Vermummte schwieg einen Moment, in dem sie die Antworten der Helden abwog und auswertete. „Wenn auch in andere Worte gekleidet und aus unterschiedlicher Gesinnung heraus, so habt ihr doch alle denselben noblen Wunsch geschildert“, evaluierte sie schließlich. „Dann seid ihr die richtigen Helden. Bitte“, – sie deutete mit einer einladenden Geste neben sich –, „tretet näher zu mir.“
Die drei Hylianer und ihre tierischen Begleiter kamen der Aufforderung nach, indem sie die Treppen um den Altar herum von der Plattform hinabstiegen, Balaen und Karmin rechts, Virri, Leo und Alvio links. Als Leo an seinem fallengelassenen Schwert vorbeikam, hob er es auf und steckte es ein. Im Halbkreis um die Fremde kamen sie schließlich wieder zusammen; Virri, der ihr am nächsten stand und als einziger der Helden kleiner war als sie, versuchte, unter ihre Kapuze zu spicken. Das entging ihr jedoch nicht, und sie zog sich den Saum tiefer ins Gesicht, um seiner Neugier zu entgehen. Ertappt wandte sich Virri wieder ab.
„Na schön, da sind wir“, stellte Leo unnötigerweise fest. „Und was nun?“
„Was ist diese Aufgabe, die du für uns hast?“, wollte auch Balaen wissen.
Die Dame in Grau ermahnte sanft: „Nur Geduld.“ Sie drehte sich zum Altar herum, sodass sie ihnen den Rücken zukehrte, und hob beide Hände zum Gesicht. Überraschend erklangen Flötentöne – die Fremde stimmte mit einem Instrument, das sie in einem ihrer weiten Ärmel versteckt hatte und auch jetzt noch den Blicken der Helden verborgen war, eine flotte, feurige Melodie an. Die vor dem Altar versammelte Gruppe Menschen und Tiere wurde von Licht umhüllt, das zu glutroten Funken zerfiel. Wie ein Schwarm übernatürlicher Glühwürmchen stiegen sie auf, entschwebten durch ein Fenster und verließen die Zitadelle der Zeit.Die Melodie des Echos aus Oracle of Ages
Wird im Spiel gebraucht, um Zeitportale zu öffnen. Tja, aber was hat diese Bedeutung mit meiner Story zu tun? Da sind es doch Weltenportale. Hoppla. Da hab ich mich im Titel für dieses Kapitel doch ganz schön vergriffen.
</sarcasm>- Da sind sie also, die drei Helden aus den Prologen, zusammengekommen im ersten Kapitel. Natürlich sind sie alle „Links“, aber es ergibt sich für die Story verständlicherweise besser, dass jeder einen eigenen Namen hat (eine Möglichkeit, die die Spiele ja auch selbst hergeben). Dazu kommt für jeden ein eigener Charakter, der beim Lesen immer mal wieder den Gedanken „Typisch!“ auslösen soll bei allem, was sie tun und sagen. Zu den Persönlichkeiten passend kommt später dann auch ein Kampfstil dazu, der grob auf dem Gameplay des/der Spiels/Spiele basiert, aus dem/denen der Held stammt.
- Wie in meinen Zelda-FFs üblich wird dem Hauptcharakter eine Grundsatzfrage gestellt: In Die Ballade des Unbesungenen fragt Hylia Kishin, was er sich vom Triforce wünschen würde. In Das Abenteuer des letzten Helden fragt Zelda Link, wem seine Leidenschaft gilt. Auch hier gibt es eine solche Frage, aber wer ist diese Frau, die sie stellt? Hmmm… =/ -
Prolog 3: Ballade des Kronos
Eine laue Brise rauschte durch die Bäume, brachte ihr Laub viel zu schwer und feucht zum Rascheln. Ein Vogel zwitscherte, und aus größerer Entfernung bekam er gedämpfte Antwort. Eigentlich hätte ihr Gesang von dem schrillen Zirpen abendlicher Zikaden begleitet werden müssen, und eigentlich waren sie auch selbst gar keine Abendsänger. Ihr Chor hatte seinen Zeitpunkt nicht recht getroffen. Merkten sie denn gar nicht, dass es auf die Nacht zuging?
Mürrisch zog sich Leo die Mütze über die Augen, als auch noch die untergehende Sonne damit drohte, ihn aus seinem Schlummer zu wecken. Dabei hatte er sich zum Dösen doch bewusst an der Ostseite des Hauses niedergelassen!
Hinter jener Wand, an der er in schwindender Gemütlichkeit lehnte, stampften Schritte durch sein heimatliches Gebäude. Natürlich konnte es sich dabei nur um eine einzige Person handeln, aber Leo erkannte sie vor allem an ihrem unverwechselbaren Gang. Selbst wenn dutzende Männer derselben Statur gleichzeitig durchs Haus getrampelt wären, hätte er doch genau herausgehört, welcher von ihnen sein Onkel war.
Die Haustür wurde geöffnet, und der Klang der Schritte änderte sich von den hohlen Holzdielen zu dumpfem Erdboden, als Nathan herauskam. Der betagte Ritter umrundete das Haus und entdeckte seinen in verblassender Schläfrigkeit versunkenen Neffen. Er stellte sich vor den Jugendlichen, sodass sein Schatten auf diesen fiel und somit den dreisten Schein der Abendsonne verdeckte. „Warst du etwa die ganze Nacht hier?“, wollte Nathan wissen.
Na wunderbar. Jetzt begann auch noch sein Onkel, mit der Tageszeit rumzuspinnen. Als ob das Sonnenlicht und die Vögel nicht schon genug gewesen wären.
Erst, als Leo es nun doch wagte, die Mütze hochzuschieben und zu blinzeln, sah er endlich ein, dass es doch Morgen sein musste. Nach Osten blickend, konnte das, was ihn so blendete, nur der Sonnenaufgang sein. Ungerührt hob der unerwünscht Erleuchtete die Schultern. „Mein Bett scheint mich nicht vermisst zu haben, sonst hätte es nach mir gerufen.“
„Sehr witzig“, brummte Nathan und meinte das genaue Gegenteil. Mit tadelnder Stimme wies er seinen Neffen zurecht: „Gestern hast du auch nichts anderes gemacht, als hier herumzulungern. Dabei möchte man meinen, dass du, nachdem du zwei Monate ununterbrochen geschlafen hast, gar kein Auge mehr zubekommst.“
Der Angeklagte gähnte herzhaft. „Wie oft soll ich es dir noch erklären? Das waren nur ein paar Tage in der Realität. Und es ist ja nicht so, dass ich in dieser Zeit nichts gemacht habe. Ich musste mal wieder eine ganze Welt retten.“
„Die nur in deinem Traum existiert hat, den du mit einem fliegenden Wal geteilt hast.“ Nathans Stimme war deutliche Skepsis anzuhören.
In gespielter Kränkung empörte sich Leo: „Aber, Onkelchen! Wenn du das so sagst, muss ich ja denken, dass du mir nicht glaubst!“ Er warf die Theatralik ab, streckte seine langen Beine und entspannte sich. „Ich warte auf mein nächstes Abenteuer“, ließ der Held sein Gegenüber wissen.
„Du denkst, das kommt dich besuchen wie eine Anstandsdame?“
„Zumindest habe ich es nicht selbst gefunden.“ Tatsächlich hatte Leo das vergangene halbe Jahr, seitdem er von seiner Irrfahrt auf See nach Hyrule zurückgekehrt war, das Königreich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung durchwandert. Da er keiner solchen, oder zumindest keiner nennenswerten begegnet war, hatte er sich in seinem Heim niedergelassen und verbrachte Tag um Tag mit Nichtstun. „Wer weiß“, meinte Leo auf die Bemerkung seines Onkels. „Vielleicht klappt’s ja sogar. Ich wollte sowieso mal was Neues ausprobieren. Außerdem“, fügte er gelassen hinzu, „bin ich immer auf alles vorbereitet. Ich hab hier meinen Tauschhaken“ – er klopfte auf die aufgewickelte Kette mit der rechteckigen Metallklammer, die an seinem Gürtel befestigt war, hob anschließend den Fuß – „meine Pegasusstiefel und, nicht zu vergessen, meine Lieblingshandschuhe.“ Seine Vorstellung vollendete Leo damit, dass er den Fuß wieder sinken ließ und seinem Onkel stattdessen die Faust entgegenreckte, so besagtes ledernes Bekleidungsstück präsentierte, das die Finger aussparte und an den Knöcheln mit Nieten besetzt war.
„Sag mir bitte nicht, dass das diese Magnethandschuhe sind!“, klagte Nathan und hob abwehrend die Hände. „Als du die heimgebracht hast, dachte ich, ich hätte Ohrgeräusche.“
Leo lachte kurz und freudlos. „Immerhin musstest du sie nicht andauernd benutzen. Aber es kann schon mal sein, dass sie piepsen, wenn Eisen in der Nähe ist.“
„Dann sind sie in deiner Waffenkammer ja bestens aufgehoben“, sagte der ältere Ritter sarkastisch.
„Keine Sorge, die geben keinen Mucks von sich. Ich hab sie besonders dick eingepackt. Nur für dich, Onkelchen!“
„Zu gnädig.“ Nathan ließ seinen Blick neben seinen Neffen wandern, wo ein in seiner Scheide steckendes Schwert an der Wand lehnte. „Zumindest verlässt du dich auch noch auf dein Schwert, wie es sich gehört. Auch wenn du keinen Schild bei dir hast“, stellte er missbilligend fest.
„Ich habe vier große Abenteuer hinter mir“, erinnerte Leo seinen Onkel, „und der Schild hat mir nur beim alten Ganon etwas gebracht. Ich schlepp doch nicht extra einen mit mir rum!“
„Und ich dachte, ich hätte dir etwas anderes beigebracht.“ Nathan seufzte streng. „Ich habe dich zum Ritter erzogen, aber du benimmst dich nicht entfernt wie einer. Seit über einem halben Jahr bist du sogar offiziell Ritter, und in dieser Zeit hast du nichts Ritterliches gemacht.“
Genervt verdrehte Leo die Augen. Fing sein Onkel wieder mit diesem Quatsch an? „Die Prinzessin hat mich zum Ritter ernannt für das, was ich in Holodrum und Labrynna geschafft habe – in ihrem königlichen Auftrag! Das ist doch genau das, was ein Ritter tun sollte.“
„Ich fürchte, du hast nicht verstanden, was das bedeutet“, ermahnte Nathan. „Du magst dafür zum Ritter geworden sein, aber damit fangen deine Pflichten erst an. Du musst beweisen, dass du dieser Ehre auch weiterhin gerecht bist. Wenn nicht, kann die Prinzessin dir deinen Titel genauso wieder aberkennen.“ Als sein Neffe daraufhin nichts erwiderte, fragte er: „Hast du in letzter Zeit mal bei der Schlosswache vorbeigeschaut?“
„Hab ich, und es war sterbenslangweilig“, antwortete Leo langgezogen. Die Soldaten, die für den Schutz von Schloss Hyrule und seiner weniger wehrhaften Bewohner zuständig waren, gaben wider Erwarten ganz passable Schwertkämpfer ab – zumindest für die Verhältnisse von Rechtshändern. Daher hatte es nur eines Helden bedurft, sie in ihre Schranken zu weisen. „Sie konnten mir nichts Neues zeigen“, ergänzte Leo.
„Ich habe dich nicht zu ihnen geschickt, damit sie dir was beibringen“, informierte sein Onkel.
„Ja, das habe ich auch gemerkt.“ Obwohl die meisten Schlosswachen mehr als das Doppelte an Jahren im Dienst waren, als der Jugendliche überhaupt an Alter zählte, waren sie nie von ihrem Posten auf, um und innerhalb der Palastmauern weggekommen. Von klein auf von seinem Onkel in ritterlichen Schwerttechniken unterrichtet, dazu als Held weit herumgekommen, kannte Leo so einige Kniffe, die den Wachen völlig unbekannt waren und denen sie kämpferisch auch nichts entgegenzusetzen hatten. Schlussendlich war es eher er, der ihnen noch die ein oder andere Lektion erteilen konnte.
Nathan gab es auf und versuchte, über einen anderen Weg an das erstrebte Ziel dieser Konversation zu gelangen: „Hast du mitbekommen, dass die Prinzessin wieder ihren Fechtlehrer entlassen hat? Das ist nun schon der neunte in fünf Monaten.“ Er trat aus der Sonne, sodass ihr morgendlicher Schein wieder blendend auf Leo fiel, und stapfte zur Regentonne hinüber, die an der nächsten Hausecke stand. „Jetzt sucht sie wieder einen neuen.“
Der jüngere Ritter sparte es sich, seine Meinung darüber, dass sein Onkel diese Entlassungen mitzählte, laut auszusprechen. „Wie wunderbar“, kommentierte er stattdessen unbeteiligt. „Du sagst doch immer, der Ruhestand sei nichts für dich. Dann kannst du dich gleich mal bewerben.“
„Nicht ich soll das machen. Sondern du!“
Gereizt schnauzte Leo: „Kommst du wieder mit diesem Blödsinn! Warum willst du unbedingt, dass ich dort hingehe?“
„Weil du einer langen Blutslinie von Rittern entstammst und es deine Pflicht ist!“, schmetterte sein Vormund das Argument zurück, das er schon häufiger in dieser Angelegenheit gebraucht hatte. Auf das herablassende Schnauben seines Neffen führte Nathan weiter: „Und du bist talentiert und noch jung. Ich will, dass mehr aus dir wird als ein vagabundierender Querkopf.“
Demonstrativ breitete Leo die Arme aus. „Onkel, ich bin der Held von Hyrule! Was könnte noch mehr aus mir werden?“
Erneut seufzte Nathan, bückte sich schwerfällig nach der Gießkanne. Mit einem feuchten Klatschen tauchte das Gefäß in die Tonne, und leise röhrend strömte Wasser hinein. Die anderen Hylianischen Ritter hielten Leo, der ohne eine Knappenzeit zu einem der Ihren ernannt worden war, für einen eingebildeten Emporkömmling. Doch Nathan als sein Vormund wusste es natürlich besser: Leo hatte durchaus das Zeug dazu, nicht einfach nur der Fechtlehrer der Prinzessin zu sein, sondern sogar ihr persönlicher Leibwächter. Stattdessen zog er es vor, seinem Onkel das Leben schwer zu machen. „Du bist genau wie dein Großvater“, bemerkte der ältere Ritter geringschätzig.
„Danke für das Kompliment“, gab Leo schneidig zurück. Sein Großvater war nämlich als einer der erfolgreichsten Ritter in die Geschichte Hyrules eingegangen – dafür aber ein umso schlechterer Vater gewesen. Nachdem sich Nathan Leos Erziehung angenommen hatte, hatte er immer versucht, seinem Neffen ein besserer Vormund zu sein als sein eigener Vater ihm.
So führte er den Vergleich zu den schlechten Seiten weiter, versuchte, seinem Adoptivsohn ins Gewissen zu reden – auch wenn er wusste, dass das ebenso unmöglich war, wie einen Wildhasen mit bloßen Händen zu fangen. „Wenn du nicht gerade auf Reisen nach wissen die Götter wohin bist, verschläfst du den ganzen Tag. Ich will die Entscheidung der Prinzessin nicht kritisieren, aber sie hätte dich nicht zum Ritter ernennen dürfen. Jedenfalls nicht so bald, nachdem du deinen Heldentitel erhalten hast. Beide zusammen sind dir zu Kopf gestiegen. Wie es normal ist bei jungen Leuten, wenn sie belohnt werden, ohne sich vorher bemühen zu müssen.“
„Da sprichst du wohl kaum aus Erfahrung, was?“
Mit einem Rauschen wurde die Gießkanne wieder aus dem Wasser gehoben, als Nathan sich seinem Neffen zuwandte. Obwohl die Reihe seiner Ahnen aus vielen ruhmreichen, begnadeten Mitgliedern des Hylianischen Ritterordens bestand, war es Nathan immer schon sehr schwergefallen, dieser Familientradition gerecht zu werden. Jedes bisschen Anerkennung hatte er sich hart erkämpfen müssen. Den Ruf, den er nun genoss, hatte er sich durch eigene Anstrengung verdient – wohingegen Leo in ganz Hyrule und darüber hinaus bekannt war, und das schon in einem Alter, in dem sein Onkel noch ein namenloser Knappe gewesen war.
Die beiden lieferten sich ein Blickduell zwischen erzieherischer Autorität und pubertärer Aufsässigkeit – das letztere schließlich verlor. Dies kaschierte Leo, indem er das Bein aufstellte, näher an die Wand heranrückte und die Augen wieder schloss.
„Das hab ich mal überhört“, knurrte Nathan mit der behäbigen Wut eines alten Löwen und wandte sich zum Gehen. „Jedenfalls, bis dein Abenteuer vorbeischneit, kannst du mir ruhig zur Hand gehen. Lass die Kaninchen auf die Weide.“ Seit er im Ruhestand war, hielt sich der alte Ritter eine kleine Horde Kaninchen als einfach zu versorgende Fleischquelle. Vor zwei Jahren jedoch, nachdem Leo in der Schattenwelt zum Hasen verwandelt worden war und seinem Onkel diese Schmach endlich gebeichtet hatte, waren die kleinen Nager nur noch nett anzusehende Haustiere.
Wieder gähnte Leo; die eine Hand vor dem Mund, winkte er mit der anderen ab. „Jaja, natürlich doch.“ Nathan, der schon in Richtung Gemüsegarten unterwegs war, blieb sogleich wieder stehen. Sein Neffe hob die Augenlider und bemerkte den Blick, den ihm der alte Ritter zuwarf. „Ach, das hast du ernst gemeint?“
„Ach, hast du es etwa anders verstanden?“, giftete sein Onkel zurück.
„Geh du doch, wenn du mit dem Gießen fertig bist!“, murrte Leo trotzig.
„Man muss sie jetzt rauslassen, sonst werden sie ungeduldig. Und“, fügte Nathan hinzu, als Leo Luft holte, um einen weiteren unsinnigen Vorschlag zu machen, „ich kann nicht jetzt gehen, sie ins Gehege lassen und mich dann um meinen Gemüsegarten kümmern. Sie buddeln nur zu gerne unter dem Zaun. Wenn niemand auf sie aufpasst, büchsen sie aus.“ Dabei sprach er nicht allein von den Kaninchen.
Gerade wollte Leo zähneknirschend anmerken, dass ein unter den Auslauf gegrabener Maschendraht die Sache lösen könnte, als die Gießkanne zu Boden polterte und sich ihr Inhalt plätschernd aus ihr ergoss. Leo, dem bereits aufgefallen war, dass sein Onkel den Fuß beim letzten Schritt schwerer aufgesetzt hatte als bei den vorherigen, war sofort auf den Beinen und eilte zu ihm. Nathan war auf ein Knie gesunken, presste die Hand auf die Brust und stöhnte vor Schmerz.
„Onkel!“, rief Leo ehrlich besorgt. „Ist alles in Ordnung?“
„Sehe ich etwa so aus?!“, polterte Nathan zurück. Jäh unterbrach er sich und keuchte gequält. Als sein Neffe ihm beim Aufstehen half, wehrte er ihn barsch ab. „Pfoten weg! Ich kann das auch allein …“, brummte er; dennoch blieb Leo für den Fall an seiner Seite, als er zur Rückwand des Hauses schlurfte. Dort stand eine Bank, die den kleinen Gemüsegarten überschaute. Schwer ließ sich Nathan darauf nieder, und Leo setzte sich daneben in die Hocke, nahm die grüne Mütze ab. Während sich der alte Ritter langsam erholte, legte der Held seine Kopfbedeckung auf eine Armlehne der Bank, umklammerte sie mit den Händen und stützte die Stirn auf die Handrücken. Dabei pochte die ganze Zeit über der schwache, unregelmäßige Herzschlag seines Onkels vorwurfsvoll an sein Trommelfell.
Am liebsten wäre Leo vor Schuldgefühlen im Boden versunken. Über zwei Jahre lag jene regnerische Nacht zurück, in der Nathan seiner ritterlichen Pflicht nachgekommen war, dem König zur Seite zu stehen, und dabei von dem Verschwörer Agahnim tödlich verletzt worden war. Nachdem Leo dem Dämon Ganon das Triforce entrissen hatte, hatte er damit seinen Onkel ins Leben zurückgewünscht, doch jene fatale Wunde bereitete ihm noch immer Probleme. Das hatte sich auch noch verschlimmert, seit Leo nach Ausübung seiner Heldenmission in Labrynna ohne Ankündigung in See gestochen und dann erst einmal verschollen war. Die Sorgen, die sich Nathan um seinen Neffen gemacht hatte, hätten ihm beinahe das vom Triforce geliehene Leben gekostet.
Als er sich von der Herzattacke erholt hatte, fragte der alte Ritter erneut: „Kümmerst du dich um die Kaninchen?“
Leo umklammerte die Armlehne fester, doch als das Holz bedenklich knirschte, ließ er schnell wieder locker. Zwar sah er es nicht, hörte aber, wie sein Onkel ihm das Gesicht zuwandte, und konnte sich den warnenden Blick aus den dunkelgrünen Augen nur zu genau vorstellen. „Ich mach ja schon …“, presste Leo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er aufstand und sich die Mütze wieder aufsetzte.
Im Gehen inbegriffen, hielt er inne, als sein Onkel bat: „Warte noch kurz.“ Angestrengt erhob er sich von der Bank und verschwand bedächtigen Schrittes ums Haus.
Dieser Aufforderung kam Leo nicht ganz nach, denn er ging dorthin zurück, wo er geschlummert hatte, um sich das vergessene Schwert auf den Rücken zu schnallen. Drinnen stampfte Nathan durch den Flur, öffnete Leos Waffenkammer. Es folgte metallenes Scheppern, als er in seines Neffen Sammlung wühlte; dabei kullerten die Magnethandschuhe heraus, und der Stoff wickelte sich auf. Nathan fluchte wenig ritterlich über das Piepen, das nun durch das Haus pfiff, ließ sie aber vorerst liegen.
Als Nathan wieder rauskam, reichte er Leo einen kleinen Lederbeutel. Neugierig spähte der Held hinein, während sein Onkel sich erklärte: „Damit du wieder heimfindest.“
Zwar zischte Leo genervt, aber tat ihm den Gefallen und band den Beutel an seinem Gürtel fest.
Als er ging, rief ihm Nathan hinterher: „Ich löse dich ab gegen Mittag.“
Ohne sich umzuwenden, winkte Leo ab. „Du musst mich nicht kontrollieren! Ich hau schon nicht ab wie beim letzten Mal. Versprochen.“Der Auslauf der Kaninchen, den Nathan großzügig als Weide bezeichnete, war ein kleiner, mit einem kniehohen Holzzaun abgesteckter Bereich Wiese unter den Ästen eines Apfelbaums, die als Sichtschutz vor Greifvögeln dienten. Im neben dem Baum stehenden Stall wuselte es aufgeregt, Fell rieb sich an Fell und den Brettern, aus denen der Unterschlupf errichtet war. Leo öffnete das Gatter, und eine Schar Löffelohren tragender Fellknäuel strömte daraus hervor, verteilte sich auf dem Auslauf, der schon längst von jeglichem Bewuchs befreit worden war. Wie ein Rudel ausgehungerter Löwen machten sich die Kaninchen über die vom Baum gefallenen Äpfel her.
„Ich soll der Prinzessin das Fechten beibringen?“, beschwerte sich Leo bei den Tierchen, die in ihrem Tun keine Notiz von ihm nahmen. Ruckartig riss er die Holzkiste auf, die an den Hasenstall gebaut war. „Ganz sicher nicht! Und wisst ihr auch, warum?“ Er entnahm der Kiste einen Heuballen, trug ihn zum Zaun hinüber. „Weil Schwerter nicht in die Hände von Frauen gehören, darum!“ Wutschnaubend pfefferte Leo das Heu ins Gehege. „Was kommt als nächstes?“, lamentierte er weiter. „Dass sie Hosen tragen und breitbeinig wie Männer auf Pferden sitzen? Nicht, solange ich hier der Held bin!“ Die Kaninchen beachteten ihren Hüter auch weiterhin nicht, stürzten sich auf das Heu, ohne auch nur eine Andeutung von Dankbarkeit zu zeigen. Unzufrieden murmelte Leo: „Ich bin der Held von Hyrule. Ich sollte auf Abenteuerfahrt sein und Monstern den Kopf absäbeln, aber was mache ich stattdessen? Ich muss mich mit euch dummen Tieren abgeben.“
Eines der Kaninchen war wesentlich größer gewachsen als seine Kameraden, weswegen die Vermutung nahe lag, dass sich irgendwann ein Feldhase in seine Familiengeschichte eingemischt hatte. Ganz weiß war es mit Ausnahme eines hellbraunen Fleckens im Gesicht, der sich bis über eines der für ein Kaninchen viel zu langen Ohren zog. Alvio, wie Nathan ihn getauft hatte, gab sich nicht mit dem trockenen Gras ab, sondern kauerte sich an den Zaun nieder und begann, mit den Vorderpfoten in der Erde zu scharren. Knapp außerhalb des Geheges lag ein Apfel; auch wenn Leo nicht verstand, was an diesem im Vergleich zu denen innerhalb der Abgrenzung so besonders sein sollte, hob er ihn auf. Dabei fiel ihm ein Grashalm ins Auge, so perfekt, wie er nur selten einen fand: Fast eine Elle lang, die Ähre voll und kräftig grün. So nah am Boden wie möglich, pflückte Leo ihn und warf den Apfel zu den Kaninchen. Dieses Geschenk würdigte Alvio keines Blickes, sondern richtete sich auf und schnupperte zu Leo hoch.
„Wenn du weder Heu noch Äpfel willst, hast du eben Pech gehabt.“ Der Held legte dem Hasen die Hand zwischen die Ohren und drückte ihn sanft nieder. Alvio klopfte mit einem Hinterbein, blieb jedoch in der erzwungenen Position und rührte sich nicht. Leo wandte sich ab, stakste zum Baum. Dabei schob er sich das untere Ende des Grashalms in den Mund, genau in die kleine Kerbe, die von der Narbe gebildet wurde, die durch seine Oberlippe verlief. Zu Füßen des Stammes ließ er sich nieder, lehnte sich an ihn und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. So beobachtete er die Kaninchen, die, anstatt friedlich zu mümmeln, ganze Strähnen von Heu aus dem Ballen rissen wie Löwen Fleischfetzen aus frisch erlegter Beute – bis auf Alvio, der noch immer an Ort und Stelle hockte und zu dem Hylianer zurückstarrte.
Leo seufzte. Es war einfach unglaublich. Wer hatte schon von einem Hylianischen Ritter gehört, der Hasen wie Schafe hütete!
Er blickte zum Haus zurück, sah im Gemüsegarten den graumelierten, einst rabenschwarzen Haarschopf seines Onkels. An Nathans rechter Hand blitzte in der Morgensonne der goldene Siegelring mit eingeprägtem Triforce-Zeichen, ein Erbstück seines Vaters. Als Kriegsveteran bekam er eine hervorragende Rente, und niemand hätte es sich entgehen lassen, für den Schwertmeister des Helden von Hyrule zu arbeiten. Ohne Weiteres könnte er sich eine Haushaltshilfe einstellen, die sich um den Garten und die Kaninchen kümmerte – aber Leo wusste, welcher Erziehung er seinen eigenen Dickschädel verdankte. Nathan brauchte die Aufregung trotz seines schwachen Herzens, weswegen er auch nicht dafür sorgte, dass sich die Kaninchen nicht unter dem Zaun freibuddelten: Er wollte bei ihnen sitzen und sie hüten, sich mit der schweren Gießkanne abmühen. Sein Herzleiden ließ aus ihm bisweilen einen gebrechlichen alten Mann werden, und das gefiel dem einst so starken Krieger ganz und gar nicht.
Zwar döste Leo weg, doch es konnte nicht viel später sein, als ihn ein Kitzeln im Gesicht wach werden ließ. Er blinzelte, erkannte ein großes, schwarzes Auge umgeben von weiß-braunem Fell. Es war Alvio, der sich auf die Hinterläufe gestellt hatte und in Leos Gesicht schnupperte, wobei seine Tasthaare neckisch darüberstrichen. Noch im Schlummer, reagierte der Held nicht darauf, bis sich Alvio plötzlich den Grashalm aus seinem Mund schnappte und blitzschnell herumdrehte. Jetzt hellwach, konnte Leo gerade noch sehen, wie der weiße Hase auf und davon hoppelte.
„Du mieser kleiner Dieb! Komm sofort zurück!“, rief der Bestohlene ihm nach. Er sprang auf, wobei ein jäher Schmerz in der Schulter seine Nachlässigkeit strafte, die Schwertscheide nicht wieder abgeschnallt zu haben. Mit einem beiläufigen Blick zum Zaun stellte er fest, dass es dort kein frisch gebuddeltes Loch gab. So wie es aussah, hatte sich Alvio nicht darunter durchgegraben, sondern war wohl eher darüber hinweggesprungen. Leo wollte ihm nachhetzen, hielt aber noch einmal kurz inne. Und die sonstigen Kaninchen? Wer sollte auf sie aufpassen? Natürlich war Nathan ausgerechnet jetzt nicht mehr im Gemüsegarten, um ihn kurzzeitig herbeizurufen, und auch nicht auf dem Weg hierher. Also befand Leo, dass die Tierchen erst einmal zu beschäftigt waren mit ihrem Heu, um auszubrechen, und falls sie es doch täten, würden sie schon wieder zurückfinden. Zumindest, wenn die Ähnlichkeit zu ihrem Hüter nicht an dieser Stelle endete.
Über die Ablenkung hatte Leo aus den Augen verloren, wohin Alvio verschwunden war, und so schlug er nur eine grobe Richtung ein. Auf der weiten Wiese gab es ohnehin nur einen Ort, an dem sich der Hase auf die Schnelle versteckt haben konnte: Im Wildwuchs entlang des Bettes eines Rinnsals, das nur mit viel Fantasie als Bach durchging. Wachsam näherte sich Leo, lauschte angestrengt jedem noch so kleinen Geräusch.
Da raschelte es im Gestrüpp genau neben ihm, und der Jäger sprang sofort hinein. Seine Hände packten genau dort zu, wo das Geräusch hergekommen war – doch er verfehlte, und anstelle des Hasen, den er eigentlich als Verursacher vermutet hatte, sah Leo eine fette, hässliche Ratte durch das Rinnsal entfliehen.
„Miese Ratten“, knurrte der Held genervt und stand wieder auf, musste dabei jedoch feststellen, dass sein Ärmel in einer Dornranke hängen geblieben war, die sich in dem harmlos wirkenden Strauch verborgen hatte. Fluchend versuchte ihr Gefangener, sich von ihr zu befreien, doch es wirkte, als würde er sich umso mehr darin verwickeln, je ärger er daran riss. Schließlich kam Leo mit einem Ruck frei, stolperte dabei rückwärts weiter und schaffte es mit einer akrobatischen Drehung, nicht im flachen Wasser zu landen – dafür aber am jenseitigen Ufer im nächsten Dornengestrüpp. Scharf sog er die Luft ein vor dem stechenden Schmerz, fluchte erneut und stand schnell auf, um dem teuflischen Gewächs sofort zu entkommen.
Dabei bemerkte Leo bläuliche Lichtreflexe, die auf der leise plätschernden Wasseroberfläche tanzten. Als er den Dornenstrauch umrundete, erblickte er einen riesigen, schwebenden Kristall vor sich. Von Neugierde gepackt, trat der Abenteurer durch das flache, um seine Stiefel flüsternde Wasser darauf zu – bis ihm das gelbliche Glühen auffiel, das sich zu dem blauen Schimmer hinzugesellte. Es ging von seinem linken Handrücken aus, wo ein Trifroce-Symbol durch den Lederhandschuh leuchtete. Leo hob die Hand gegen den Kristall, und das goldene Licht wurde heller. Diese Erscheinung war also ein magischer Zauber, noch dazu ein sehr mächtiger. Welcher Art, das konnte der Hylianer allerdings nicht feststellen.
Interessiert wollte Leo den Kristall berühren – doch seine Finger glitten einfach ohne Widerstand unter die bläuliche Oberfläche, und Lichtkringel breiteten sich davon aus wie auf ruhigem Wasser. Erschrocken zog der Grüngewandete die Hand wieder zurück. Weil der Kristall durchsichtig war, konnte man alles, was hinter ihm lag, genau sehen – nur die in ihn eingetauchten Finger waren unsichtbar gewesen. Bedeutete das vielleicht, dass sie sogar verschwunden waren, möglicherweise in eine andere Welt? Gut möglich, dass Leo hier einem Portal in die Schattenwelt gegenüberstand, auch wenn jene, über die er sonst dorthin gelangt war, anders ausgesehen hatten.
Ein zähnebleckendes Grinsen zog sich über Leos Gesicht. Da war sie endlich, seine Anstandsdame!
In seinem jungen Leben hatte er viele Erfahrungen gesammelt, und mittlerweile erkannte er die Gelegenheit für ein neues Abenteuer, wenn er eines sah. Aufgeregt wollte Leo schon ins Portal gehen, als ihm einfiel, dass er wohl besser die Mondperle holen sollte, die zuhause in seinem Zimmer lag. Seit Ganon nicht mehr das Sagen in der Schattenwelt hatte, war es dort zunehmend weniger gefährlich geworden. Dennoch wollte Leo auf keinen Fall schon wieder in einen Hasen verwandelt werden!
„Genau“, murmelte der Held zu sich selbst. „Wo ist eigentlich Alvio?“
Wieder raschelte es ganz in der Nähe, diesmal hinter ihm. Leo drehte sich herum, und dort hockte an einer trockenen Stelle wie aufs Stichwort der große, weiße Hase und mümmelte genüsslich an dem geraubten Grashalm, von dem nicht viel mehr als die Ähre übrig geblieben war.
„Hab ich dich endlich!“, lobte Leo einen Erfolg, den er nicht wirklich aus eigener Kraft errungen hatte. „Gib das sofort zurück!“, verlangte er barsch. Als er vortrat, um sich zurückzuholen, was rechtmäßig ihm gehörte, klatschte seine Stiefelsohle laut auf das Wasser. Sogleich hielt Alvio im Knabbern inne, stellte die Ohren auf und hob ruckartig den Kopf. Es schien, als würde er jeden Moment wieder Reißaus nehmen. „Warte!“, platzte Leo sofort. „Ich meine …“ Er ging in die Hocke, streckte die Hand vor und zwang sich zu seinem freundlichsten Lächeln. „Gibst du mir bitte meinen Grashalm wieder?“
Die einzige Regung, die von dem Hasen ausging, war das Auf- und Niederhüpfen seiner keilförmigen Nase. Er machte keinerlei Anstalten, auf sein Gegenüber zuzugehen. In seinen dunklen Augen spiegelte sich das Licht des Kristalls.
Diesmal zorniger, forderte Leo: „Du dummer Nager, gib mir endlich …!“ Da verschluckte er sich an den letzten Worten, als Alvio plötzlich vorsprang und der Held erkannte, dass das bläuliche Glühen keine Reflexion war, sondern von den Augen des Tieres selbst ausging. Der Hase rammte Leo den Kopf gegen die Brust, stieß ihn um – und damit Rücken voran in das magische Portal.
Der Kristall leuchtete auf.
Im nächsten Augenblick war er verschwunden, und mit ihm Held und Hase.So. Dies war der letzte Prolog. Ab sofort gibts wieder alle zwei Wochen ein neues Kapitel ^^
Die Ballade des Kronos aus Majora’s Mask
Im Spiel bewirkt dieses Lied die Verlangsamung / Verschnellerung des Vergehens der Zeit. Hier als Titel muss es so interpretiert werden, dass Leos Abenteurersinn zuerst verlangsamt vorliegt durch sein Herumlungern zuhause und mit Auffinden des Kristalls wieder beschleunigt wird. Ziemlich simpel und eig einer der Titel, die leider nicht so gut getroffen sind, wie ich selbst finde =/
- Leo ist hier der Held aus A Link to the Past, welches zwei Jahre vor dieser Story stattfindet. Zudem spielt die Story ein halbes Jahr nach Link’s Awakening. Wie im Startpost erwähnt, habe ich hier die in der Hyrule Encyclopedia erfolgte Modifikation an der Timeline nicht berücksichtigt, die den Link aus Oracle of Ages und Seasons zu einem eigenen macht, der von jenem aus ALttP/LA getrennt ist, wo sie in der Hyrule Historia noch ein und dieselbe Person gewesen sind. Ich richte mich hierbei nach der Historia, da ich Leo schon lange auf dieser Grundlage plane und nicht mehr umändern kann. Eigentlich müsste er Link heißen wie auch meine Hauptfigur in Das Abenteuer des letzten Helden, weil das Spiel LINK’s Awakening auch hier diesen Namen vorgibt. Stattdessen habe ich ihm das lateinische Wort für Löwe als Namen verpasst, weil der gut zu seinem Charakter passt. Hier in meiner Story ist er 14 Jahre alt.
- Der Name des Hasen Alvio ist eine Kreuzung aus dem Wort albus für „weiß“ sowie Ravio, dem Charakter aus A Link between Worlds. Alvio und Ravio als Charaktere haben miteinander nichts zu tun; es spielt lediglich der Name mit.
- Links Onkel hat in ALttP keinen Namen (genau wie Karmin in Skyward Sword… wtf eigentlich?!? Aber dem Vogel in Minish Cap kann man nen Namen geben…), doch für diese Szene wäre es äußerst schwer gewesen, ohne einen zu arbeiten. Als ich über einen Namen nachgedacht hab, musste ich spontan an Nathan der Weise denken. Inwiefern die beiden Charaktere miteinander assoziiert werden können, ist eine andere Frage xP -
Prolog 2: Lied des Schatzsuchers
An dem klaren, wolkenlosen Himmel kroch die Sonne langsam über den Horizont. Wie ein Bogenschütze feuerte sie ihre Lichtpfeile über die erwachende Ebene von Hyrule mit höchster Präzision durch die schmalste Lücke, die sie finden konnte: Die einzige fehlende Lamelle in den hölzernen Klappläden eines Fensters. Weiter drangen die Geschosse vor bis ins Innere des Zimmers, mitten in die Augen des darin Schlafenden. Unruhig regte Virri sich, presste die Lider fester zusammen. Er drehte sich zur Seite und versank wieder in Tiefschlaf, bevor er überhaupt erwacht war. Langsam, geduldig schlich der Lichtstreifen weiter und ließ ihm seine Ruhe – vorerst.
Denn nun sollte auch Alberich seine Bemühungen, Virri zu wecken, hinzufügen. Der alte Schmied, der nach seinem Vorfahren benannt worden war, stapfte die Treppen hoch in das Zimmer, das er sich mit seinem Enkel teilte. Ohne Rücksicht auf diesen ging er weiter zum Fenster, riss die Läden auf. Sogleich flutete morgendliches Sonnenlicht den Raum. Alberich trat ans Bett und musterte den Jungen, der noch immer wohlig schlummerte. Er legte seinem Enkel eine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn mit der leichten Grobheit, die ein Schmied als sanft verstand. Daraufhin drehte sich Virri zur anderen Seite, zeigte desweiteren aber keine Reaktion.
„Es ist Zeit, aufzustehen, kleiner Held“, dröhnte die brummige Großvaterstimme, und Alberich versuchte es mit einem neuerlichen Rütteln. „Du wirst erwartet.“
Virri murmelte etwas Undeutliches, das jedoch nur eines sein konnte: „Noch fünf Minuten, dann helfe ich.“
Der alte Mann lachte absichtlich laut. „Das würde der Prinzessin bestimmt nicht gefallen, wenn du deine Verabredung mit ihr sausen lässt, um mir in der Schmiede zu helfen!“
„Prinzessin ... Zelda ...“ Erschrocken riss Virri die Augen auf und richtete sich ruckartig auf. „Zelda!“, rief er. Vom schnellen Aufsetzen schwindelte es ihm, sodass er wieder umkippte. Im Halbschlaf reckte er den Finger in die Höhe. „Keine Angst, Zelda, ich werde dich retten!“ Schlaff fiel der ausgestreckte Arm wieder herab, sodass Virri auf dem Rücken alle Viere von sich gestreckt dalag. „Vaati kann was erleben ...“
Sein Großvater lachte wieder, kniff ihm in die Nase. „Aber du hast Vaati doch besiegt, schon vergessen?“
Allmählich klärte sich Virris Geist, und er erinnerte sich: Er hatte den Winddämon vor einigen Tagen vernichtet und gebannt. Und nun musste er, damit dieser nie wieder ausbrach ...
Bei dem Gedanken zog Virri eine ärgerliche Schnute. Die Augen wieder fest zugekniffen, verscheuchte er die Hand von seiner Nase, fischte das Kissen unter seinem Kopf hervor und drückte es sich aufs Gesicht.
Belustigt fragte Alberich: „Also fünf Minuten?“ Das Kissen wackelte, als Virri darunter den Kopf schüttelte und ein von der Daunenfüllung gedämpftes verneinendes Geräusch hören ließ. „Zehn?“, versuchte es sein Großvater weiter, und der Junge wiederholte seine Antwort. Gespielt erstaunt rief Alberich aus: „Fünfzehn? So viel Zeit hast du nicht mehr.“
„Ich will gar nicht gehen.“ Virri schob das Kissen runter, bis sein zerzauster Haarschopf sichtbar wurde. Aus müden Augen sah er seinen Großvater flehentlich an.
Dieser seufzte und sprach, diesmal ohne liebevollen Humor: „Ich weiß, Virri, aber ich hab dir doch schon gesagt, dass das nicht geht. Auch wenn der König und ich befreundet sind, wird er das Gesetzt nicht ändern.“
Verärgert zog Virri die Augenbrauen kraus, schob sich das Kissen wieder über das Gesicht. „Aber ich hab die Prinzessin gerettet! Hab ich‘s dann nicht verdient?“
„So sind die Gesetze in Hyrule“, erinnerte Alberich milde.
„Diese blöden Gesetze sind nicht gerecht!“, behauptete Virri und drehte sich zur Seite.
Sein Großvater entfernte sich wieder zur Tür. „Du solltest aufstehen. Es gibt dein Lieblingsfrühstück.“
Bei diesen Worten riss Virri sofort das Kissen vom Gesicht. „Spiegeleier? Echt?!“, fragte er euphorisch. Die letzten Spuren des Schlafes verflogen augenblicklich.
Die Treppen runtergehend, lachte der alte Schmied. „Hast du noch ein anderes Lieblingsessen?“
Sein Enkel warf die Decke von sich, hüpfte ohne jeden Schwindel aus dem Bett und kämpfte schon mit seinem Nachthemd. In Windeseile war er umgezogen und eilte die Treppen hinab in die Wohnstube, die ihm und seinem Großvater als Küche, Wohn- und Esszimmer diente. Gähnend trat Virri ein; als er den Berg an Spiegeleiern auf dem Tisch sah, wurden seine Augen mindestens ebenso groß wie jener. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, sein Magen grummelte lautstark. Diesem Ruf folgend, sprang er zum Stuhl.
Alberich, der am Herd stand, sah von der Pfanne auf. „Nicht so schnell, junger Mann“, wies er seinen Enkel zurecht. „Hast du dich gekämmt?“
Virri zog den Stuhl unterm Tisch hervor. „Nö, wieso?“
„Würde mich auch sehr wundern. Du siehst aus wie ein Löwenzahn nach einem Sturm.“
Mit einem Blick in den Spiegel, der an der Wand hing, stellte Virri fest, dass der Schmied recht hatte: Wenn die Frisur des Jungen die Blüte darstellte, waren seine grüne Tunika Stiel und Blätter. Belustigt kicherte er.
„Kämm dich, bevor du zur Pusteblume wirst!“, orderte Alberich.
Widerwillig kam Virri der Aufforderung nach, fuhr sich nachlässig mit dem Kamm neben dem Spiegel durchs Haar und pflanzte sich endlich an den Esstisch. Auf den bereitliegenden Teller lud er sich gleich drei Spiegeleier auf, schnitt von einem davon ein großzügiges Stück ab und schob es sich in den Mund. Dann erst wurde er des guten Dutzends kleiner Tiegelchen gewahr, die vor ihm aufgereiht waren. „Was ist das?“, wollte Virri kauend wissen.
„Gewürze vom Markt in Hyrule-Stadt“, antwortete Alberich. „Die haben zwar ein Vermögen gekostet, aber heute ist ein wichtiger Tag für dich. Ich hab gedacht, du würdest dich darüber freuen.“
„Aber immer doch, Opa! Danke!“ Begeistert nahm Virri ein Gefäß nach dem anderen und streute von jedem eine Prise auf seine Portion.
Während er sich daran gütlich tat, kam sein Großvater an den Tisch und lieferte die gerade fertig gewordenen Eier ab. „Schmeckst du überhaupt noch etwas raus bei so vielen Gewürzen und wenn du so schlingst?“
Mit vollem Mund erwiderte Virri: „Klar.“ Schon hatte er den Teller geleert und beschaffte sich Nachschub, den er ebenfalls mit Würze garnierte.
Alberich beobachtete ihn bei seiner Speisung, schüttelte irgendwann den Kopf. „Seit du dieses Schwert hast, hast du wie vier gegessen, und doch ist dein Babyspeck ganz verschwunden. Gut, dass du es heute weggibst, dann isst du wenigstens wieder normal.“
„Ich find's schade“, meinte Virri, noch bevor er schluckte. „Dann kann ich doch nicht mehr so viele von deinen leckeren Spiegeleiern essen.“
„Besser so!“, rief Alberich. „Ich muss bei der Hühnerzucht in Hyrule-Stadt bald einen Kredit aufnehmen bei den ganzen Eiern, die ich dort kaufe! Erst recht die Miete für deine Übungshühner.“
Nachdenklicher meinte der Schmied: „Aber ich muss schon zugeben, dass sechs zusätzliche Hände in der Schmiede nicht verkehrt waren. Wenn du das Schwert zurückgegeben hast, sollte ich noch ein paar Lehrlinge anstellen.“
Virri hielt im Kauen inne, schluckte schwer und stopfte sich schnell das letzte Ei in den Mund, um nicht darauf eingehen zu müssen. Eilig sprang er auf und sammelte seine Ausrüstung zusammen. Er band sich den Gürtel mit der Schwertscheide um die Hüfte, den er, wie er einmal mehr feststellte, ein Loch enger schnallen konnte als noch vor seinem Abenteuer – wie sein Großvater gesagt hatte, hatte er abgenommen. Prinzessin Zelda hatte ihn gebeten, neben dem Schwert mit seiner ganzen Heldenmontur zu erscheinen, zu der Köcher und Heroenbogen gehörten wie auch sein Greifenmantel, den sich Virri um die Schultern warf. Als er sich zu Boden setzte, um in sein Schuhwerk zu schlüpfen, erhob sich Alberich vom Tisch.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte der alte Schmied fest: „Du bist schon spät dran. Nimmst du nicht lieber diese magischen Stiefel, die dich schneller machen?“
„Ich hab doch meine Okarina“, erinnerte Virri, „damit kann ich mich zum Schloss fliegen lassen.“ Er stand auf, sah an sich herab und warf sich in Pose. „Und? Sehe ich wie ein Held aus?“
„Ich bin mir sicher, deine Vorgänger waren kaum heldenhafter“, meinte sein Großvater.
Virri grinste breit und legte die Hand auf den Knauf des Schwertes, das vor ihm zwei andere Helden besessen hatten. Plötzlich schwermütig, senkte er den Blick.
Alberich wusste genau, was in seinem Enkel vorging. Er trat zu dem Jungen, kniete sich auf seine Augenhöhe hinab und umfasste seine Oberarme mit den kräftigen Schmiedepranken. „Ich weiß, so weit weg von der Stadt hattest du nie viele Spielkameraden, daher ist dieses Schwert mit seinen Zauberkräften für dich besonders wichtig. Aber es ist jetzt wie altes Werkzeug: Wenn es seinen Zweck erfüllt hat, wird es entsorgt.“
Bitter nickte Virri, auch wenn er damit nicht einverstanden war. Nun sah er doch auf und bemerkte, wie sein Großvater hastig den Blick abwandte, doch Virri hatte bereits erkannt, wie feucht seine Augen waren. „Opa, was ist los?“, wollte der Junge besorgt wissen.
„G-gar nichts“, beteuerte der alte Mann mit deutlich belegter Stimme und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Ach, es ist nur ... Es kommt mir vor wie gestern, als du noch zu klein warst, um in der Schmiede mitzuhelfen, und mir über alles Löcher in den Bauch gefragt hast. Ständig musste ich darauf achten, dass du dir nicht irgendwie wehtust. Und heute ...“ Er schluchzte schwer unter seinem aschgrauen Bart. „Heute wirst du schon zum Helden ernannt.“ Plötzlich zog er seinen Enkel zu sich heran und nahm ihn in eine feste, herzliche Umarmung. „Und wenn die Prinzessin dich sogar zum Ritter schlägt?“, rief er verzweifelt. „Dann ziehst du ins Schloss und kommst mich nie mehr besuchen!“
Gequält japste Virri: „Opa, ich krieg keine Luft!“ Tatsächlich fühlte er sich wie im Quetschgriff eines Gibdo, bis Alberich ihn zum Glück endlich losließ, um sich mit dem Ärmel die Augen zu trocknen. Auch in Virris bahnten sich nun Tränen an, die er schnell wegblinzelte. Ein Held weinte nicht! Tröstend kniff er seinem Großvater in die Nase. „Sag doch nicht so etwas! Ich werde immer hier wohnen. Wo sonst gibt es so tolle Spiegeleier zu essen?“
Niedergeschlagen sagte Alberich: „Das Schloss hat die besten Köche in ganz Hyrule.“
„Aber nur du weißt genau, wie sie sein müssen“, widersprach Virri vehement. „Deine Spiegeleier sind die besten, und ich esse keine anderen! Das wird immer so sein!“
Hoffnungsvoll fragte Alberich: „Auch wenn du ein Ritter bist?“
„Auch wenn Zelda und der König jeden von mir zum Ritter ernennen!“, versicherte der kleine Held mit Inbrunst.
Der alte Mann nickte, erhob sich und ging wortlos zum Schrank. Dort öffnete er eine Schublade, entnahm ihr etwas aus grünem Stoff und hielt es seinem Enkel entgegen. „Bitte trag das bei der Zeremonie.“
Befremdlich sagte Virri: „Meine Lehrlingsmütze? Die ist nur für Kinder. Ich bin doch fast elf!“
„Sie ist für neue Lehrlinge“, korrigierte Alberich, „und du hast dein erstes Ausbildungsjahr noch nicht abgeschlossen.“
Doch Virri hielt weiter dagegen. „Bei der Zeremonie wird der ganze Hofstaat da sein! Und ganz wichtige Leute! Da kann ich doch nicht so was tragen!"
Traurig nahm sein Großvater die Kopfbedeckung in beide Hände und betrachtete sie. „Weißt du, warum jeder Schmiedelehrling so eine Zipfelmütze bekommt?“
Virri verdrehte die Augen. „Ja, Opa. Das hast du mir schon tausendmal erzählt.“ Die Mütze sollte die frisch eingeführten Lehrlinge durch Übersensibilisierung an die Hitze ihres zukünftigen Arbeitsplatzes gewöhnen.
Ohne auf seine Bemerkung einzugehen, sprach Alberich: „Vor langer Zeit war die Zipfelmütze das Markenzeichen der Hylianischen Ritter. Diese Tradition haben sie leider vergessen. Wir Schmiede haben sie zum Glück rechtzeitig übernommen, sonst wäre sie noch ganz verschwunden. Wir unterrichten unsere Lehrlinge in den Grundlagen des Schwertkampfes und geben ihnen diese Mütze, damit sie mit dem Kopf derjenigen, die es einmal benutzen, ein wirklich gutes Schwert schmieden. Denn in dieser speziellen Form der Mütze ist ein wenig vom Geist der Ritter enthalten.“
Gebannt lauschte Virri der Erzählung; diese Version kannte er nicht.
„Was, wenn die Ritter irgendwann diesen guten Geist aus der Vergangenheit vergessen, weil sie keine Mützen mehr tragen?“, stellte Alberich eine rhetorische Frage auf. „Du bist im ganzen Land bekannt durch deine Reise, auf der du immer die Mütze getragen hast. Deswegen ... Vielleicht ... Wenn die Prinzessin dich zum Ritter ernennt, denkst du, du könntest diese Tradition wieder einführen?“
Als sein Großvater ihm die Mütze diesmal überreichte, nahm Virri sie an und antwortete, indem er sie aufsetzte.
Mit einer Mischung aus der zuvor ausgebrochenen Trauer und noch mehr Stolz verkündete Alberich: „Na bitte! Jetzt siehst du wie ein richtiger Held aus! Der aber jetzt wirklich los sollte. Es ist spät!“
Bekräftigend nickte Virri, huschte zum Eingang und holte unter seinem Greifenmantel gleichzeitig die Okarina des Windes hervor, die mittels einer Lederschlaufe am Köcher angebracht war. Sowie er die Tür aufgerissen hatte, spielte er das Instrument, und während er auf das Erscheinen des Vogels wartete, der ihn zum Schloss bringen würde, wandte er sich zum Abschied noch einmal an seinen Großvater. Der umarmte ihn wieder, diesmal wesentlich vorsichtiger. Nachdem er ihn wieder losgelassen hatte, kniff er seinem Enkel in die Nase. „Und dass du mir ja nicht auf dumme Gedanken kommst, Viridian Waffenschmidt! Keine Umwege! Du darfst die Prinzessin nicht warten lassen.“
„Ja, ja. Weiß ich doch“, wehrte Virri den unterschwelligen Vorwurf ab, während der blaue Papagei Zeffa, angelockt vom Lied der Okarina, Tunika und Greifenmantel mit den Krallen an beiden Schultern packte und mit dem kleinen Helden im Schlepp abhob.
Alberich sah ihm nach, als ihm noch etwas einfiel. „Virri, ich hab noch ein Geschenk für dich!“, rief er dem Scheidenden nach.
Der verdrehte den Hals, um zu seinem Großvater zurückzuschauen, und winkte ihm. „Gib's mir nach der Zeremonie heute Abend. Dafür komme ich sogar früher nach Hause. Versprochen!“Alberich der Ältere, der vor Generationen seine eigene Schmiede gegründet hatte, war der unbestrittene Meister seines Fachs gewesen. Von seinen Schwertern hieß es, sie seien wie zu Stahl erstarrte Blitze gewesen – blank, scharf und rechtens geführt absolut tödlich. Auch wenn den Schmied eine lebenslange Freundschaft mit dem damaligen König verbunden hatte, so hatte er sich nie von diesem aufkaufen lassen, um dessen Schlosswache mit diesen ultimativen Waffen auszustatten. Mehr noch, hatte er seinen Standort in Hyrule-Stadt aufgegeben und sich für ein Leben als Aussiedler weiter im Süden der Ebene, fern der Metropole entschieden. Der lange Weg, den seine Kunden von jedweder Zivilisation gehen mussten, um eines seiner heiß begehrten Schwerter in Auftrag zu geben, sollte sie in ihrer Beharrlichkeit prüfen. Nur denjenigen, die nach dem langen Fußmarsch an seinen Meisterstücken interessiert waren, hatte Alberich der Ältere diesen Wunsch erfüllt.
Diese Philosophie hatten alle seine Nachfolger weitergeführt. Der Weg zwischen Schmiede und Stadt war noch immer genauso weit wie seit Jahrzehnten, schlängelte sich zwischen Weiden, Feldern und vereinzelten Baumgruppen hindurch. Diesen mäandernden Pfad zu beschreiten, mochte Anwärter auf ein überlegenes Schwert nachdenklich stimmen, aber für Virri wäre er heute viel zu lang gewesen. Er hatte einen wichtigen Termin im Schloss, da konnte er sich diesen Spaziergang nicht leisten. Mit Zeffas Hilfe über alle Kurven geradewegs hinwegzufliegen, sparte ihm eine Menge Zeit.
Die er aber nicht weiter zu sparen gedachte. Als er sich außerhalb der Sichtweite seines Hauses wähnte, gebot Virri, indem er den blauen Papagei an den Füßen tippte, ihn in einem kleinen Wäldchen abzusetzen. Das gefiederte Tier hinterfragte nicht, vom ursprünglich vorgegebenen Ziel abzuweichen, und ging in den Sinkflug. Knapp über dem Boden ließ es seine Fracht vorsichtig fallen, schlug ein paarmal kräftig mit den Flügeln, um wieder an Höhe zu gewinnen, und zog davon.
Virri wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihm beim Flug über die Augen gerutscht war, und sah sich um. Unter den lichten Baumwipfeln wuchsen einige Sträucher, säumten regelrecht den Waldesboden und boten hervorragende Verstecke für Kleingetier und was sich sonst noch darin verbergen mochte. Die Hand schon seit der Landung auf dem goldenen Schwertgriff, umfasste Virri ihn nun, und mit einem melodischen Zischen glitt die Waffe aus der Scheide. Ihr Träger reckte die reinweiße Klinge in den Himmel. Zuerst wirkte es, als teile sie sich auf – und schließlich erschienen, mit der ursprünglichen gekreuzt, drei weitere von genau derselben Form und Farbe.
Das Schwert der Vier wieder sinkend, sah sich Virri seine drei Abbilder an, mit denen er im Kreise stand. So wie die Klingen, die sie hielten, waren auch sie exakte Kopien des Originals, glichen ihm noch mehr als das sprichwörtliche Ei dem anderen. Freilich konnte die wundersame Waffe nicht alles, das Virri bei sich hatte, auf seine Klone übertragen; so hatten sie weder Greifenmantel noch Köcher erhalten. Der maßgebende Unterschied waren jedoch die Farben von Tunika und dem Schmuckstein im Knauf des Schwertes: Was beim Original lebhaft grün war, zeigte sich bei den anderen dreien in leuchtendem Rot, tiefem Blau und kräftigem Violett. Ihre Blicke waren starr geradeaus gerichtet; Virri konnte jeden von ihnen zwar unabhängig voneinander steuern, aber ihre Gesichter waren zu keiner Gefühlsregung fähig.
Da sie genauso aussahen wie er, konnte Virri für das, was er überprüfen wollte, auf einen Spiegel verzichten. In seinem rot gekleideten Klon nahm er die Mütze ab, die ebenfalls mitkopiert worden war, und verglich sich mit sich selbst. Auch wenn sein Großvater behauptete, mit Mütze sähe er mehr wie ein Held aus, konnte Virri dem nicht zustimmen. Ohne wirkte er viel fescher!
Mürrisch wandte er sich seine vier Rücken zu und begann, in allen Himmelsrichtungen das Unterholz kurz und klein zu schlagen. Das gehörte mittlerweile zu seiner als Held einstudierten Routine, denn er hatte festgestellt, dass sich so tatsächlich Rubine finden ließen. In Hyrule seit jeher als Währung gehandelt, enthielten die verschiedenfarbigen Kristallsteine auch jene Energie, die nötig gewesen war, um die Großen Feen von Vaatis dunkler Magie zu erlösen. Jetzt, da Virris Aufgabe erfüllt war, musste er nicht mehr nach vielen Rubinen suchen, wollte aber Alberich eine kleine Freude machen, indem er nun doch etwas Geld nach Hause brachte.
Was Zelda betraf, konnte diese gerne auf ihn warten. Er würde nicht so früh im Schloss aufkreuzen. Als ob es wirklich eines ganzen Tages bedurfte, diese Versiegelungszeremonie einzustudieren! Zelda tat einen auf pflichtbewusste Prinzessin, aber in Virris Augen war sie einfach nur ein zickiges Mädchen. Da fragte er sich als der Held, der sie vor Vaati gerettet hatte, schon fast ernsthaft, warum der Dämon sie nicht freiwillig übergeben und kapituliert hatte.
Nachdem Virri das Schwert der Vier vor knapp drei Monaten aus seinem Siegelstein gezogen hatte, hatte er nicht sofort Zugriff auf alle drei Klone gehabt. Erst mit der Befreiung der Großen Feen hatten es diese ihm nach und nach ermöglicht, diese Abbilder seiner selbst zu erschaffen. Das war auch unbedingt notwendig gewesen, denn nur mithilfe dieser Fähigkeit zur Vervierfachung war es Virri gelungen, den Winddämon Vaati zu besiegen und dessen Essenz in der reinigenden Klinge des Schwertes aufzunehmen. Nun musste es wieder versiegelt werden, auf dass Vaati nie wiederkehren möge.
Aber das würde heute Abend noch früh genug in der Praxis stattfinden. Gerne konnte Virri darauf verzichten, während der von Zelda angedachten Proben wieder und wieder in der Theorie durchzugehen, wie er sein Schwert für immer fortgab.
Er hatte durch den Beschnitt des Unterholzes schon ein kleines Taschengeld angesammelt, als sich ein naher Strauch raschelnd bewegte. Durch die Augen eines Klons sah Virri, wie daraus etwas hervorgeflogen kam und auf den Hinterkopf eines anderen zuhielt. Dank dieser Rundumsicht konnte das Ziel dem Geschoss mit einer Vorwärtsrolle ausweichen, ohne es mit eigenen Augen gesehen zu haben.
Sofort richtete Virri seine vierfache Aufmerksamkeit auf den schießwütigen Strauch. Etwas Rotes schob sich dort zwischen den Blättern hervor, ein Wesen mit kurzem, schlauchartigem Rüssel und einem melonenförmigen Körper auf stummeligen Tentakeln. Der Oktorok glotzte die vier kleinen Krieger mit riesigen schwarzen Glubschaugen an. Geräuschvoll atmete er ein und bombardierte sie mit einem weiteren Steinklumpen. Auch diesen Angriff wehrte Virri ab und ging sogleich in Kampfposition.
Sein Gegner war nur ein Oktorok, an dem das Beeindruckendste der harte Schädel war, über den die Ähnlichkeit mit den knochenlosen Gegenparts der Tierwelt hinwegtäuschte. Die Brocken, die er verspie, riefen, sofern sie denn trafen, allerhöchstens blaue Flecke hervor. Kein Grund für Virri, eines seiner Manöver zu gebrauchten, die er für viel gefährlichere Wesen entwickelt hatte. Aber dies war möglicherweise seine letzte Gelegenheit, mithilfe seiner Klone zu kämpfen, und die wollte er sich nicht entgehen lassen.
Also verteilte Virri sich um den Oktorok. Seinen violett gekleideten Doppelgänger platzierte er genau hinter seinen Gegner, den blauen seitlich. Der verbliebene rote Klon und Virri selbst stellten sich ihm von vorn. Verwirrt blickte das Monster um sich, versuchte abzuschätzen, in welche Richtung es sich wenden sollte. Stattdessen ging Virri zum Angriff über, und alles ging ganz schnell: Der blaue Klon sprang vor, führte sein Schwert gegen den Oktorok. Der saugte Luft ein, um sich nun instinktiv zur Wehr zu setzen, als ihn eine weitere Bewegung dazu brachte, herumzufahren: Der grüngewandete Held war, getragen vom Greifenmantel, der ihn leicht wie eine Feder machte, in die Höhe gesprungen, und sein rotes Abbild hielt gleichzeitig auf die Kreatur zu. Diese schoss den Stein auf letzteres ab, das ihm erneut mit einer Rolle entging. Es reckte dem Oktorok in der Vorwärtsbewegung die Schwertspitze entgegen, während nun auch sein violettes Gegenüber von hinten auf ihn losging.
In der Luft drehte Virri die originale Klinge herab, den Griff mit beiden Händen umfasst. „Vierschwertstreich!“, rief er den Namen seiner stärksten Attacke, stieß herab und spießte das Schwert der Vier in den kugeligen Monsterleib. Der Oktorok kam gar nicht erst dazu, überrascht zu quietschen, denn fast zeitgleich fuhren von allen Seiten drei weitere Klingen in ihn, so zielgenau aneinander vorbei, dass sie sich nicht gegenseitig blockierten. Sofort graute die braunrote, schleimglänzende Haut aus, und das Tintenfischwesen verging in einer Staubwolke.
Über diesen spielend einfachen Sieg in Jubel ausbrechend, streckte Virri alle vier Schwerter kreuzend in die Höhe. Er lachte ausgelassen, ließ sich nach hinten umfallen und blieb flach auf dem Rücken liegen. Noch immer kichernd, schloss er für einen Moment die Augen, genoss das Gefühl, trotzdem sein ganzes Umfeld genau im Blick zu haben. In melancholischer Freude hob Virri seine Waffe über sich, sodass die blanke Klinge Himmel und Baumkronen zu zerteilen schien.
Sein Opa mochte der beste Schmied in Hyrule, vielleicht sogar der ganzen Welt sein, aber vom Schwert der Vier hatte er keine Ahnung. Alberich dachte, sein Enkel hielte aus simpler Langeweile oder Einsamkeit daran fest, dabei war es nichts von beidem. Virris Klone waren für ihn keine Spielkameraden, ja nicht einmal Kampfgefährten. Sie waren alle er selbst, gleichzeitig in drei weiteren Körpern – vier Präsenzen unter der Kontrolle eines einzigen Geistes. Mit seinen Doppelgängern fühlte er sich irgendwie räumlicher; durch sie waren seine Sinne nicht schärfer, aber umfassten einen weit größeren Winkel, als wenn er nur über einen Körper gebot. Ganz zu schweigen von der vervierfachten Kampfkraft, der kein Monster und letztendlich nicht einmal ein mächtiger Dämon gewachsen waren.
Wenn jemand genau wusste, wozu das Schwert der Vier befähigte, dann war das allein Virri. Vor ihm hatten es zwei andere Helden geführt, und beide hatten sein Potential nicht annähernd so ausgeschöpft. Es gehörte ihm, war ein Teil von ihm geworden. Das hatte er mehr als einmal bewiesen, als er mit der übernatürlichen Unterstützung zuerst die Großen Feen und dann sogar Zelda gerettet hatte. Und trotzdem: Sein Großvater, der König, selbst die Prinzessin, … Alle erwarteten sie von Virri, dass er diese einzigartige Waffe weggab. Doch sie wussten nicht, wie schwer ihm das fiel, und wie ungerecht er es fand, dazu gezwungen zu werden.
In sein Selbstmitleid vertieft, observierte Virri gleichzeitig über seine sechs zusätzlichen Augen den Wald in alle Richtungen. Dabei fiel ihm durch einen Klon ein bläuliches Leuchten auf, das zwischen den Stämmen glühte. Es war nur sehr schwach und wurde vom frisch angebrochenen Tag fast verschluckt. Neugierig schlich Virri in seinem violetten Späher heran; als er die Lichtquelle sah, setzte er selbst sich überrascht auf. In Begleitung der beiden anderen Doppelgänger holte er sich ein, bis er mit allen seinen Augen die Erscheinung sehen konnte.
Es war ein Kristall, fast doppelt so hoch wie der kleine Held, der knapp über dem Waldboden schwebte und ganz aus ätherischer Substanzlosigkeit zu bestehen schien. Fasziniert sprang Virri vor. „Was für ein riesiger Rubin!“, rief er dabei und breitete begeistert die Arme aus. „Du bist bestimmt hundert … nein, tausend Rubine wert!“ Mit diesem Schatz müsste sich sein Großvater keine Sorgen um die Bezahlung seiner Schulden machen. Noch war Virri nicht allzu weit von Zuhause weg; wenn er seinen wertvollen Fund jetzt gleich heimbrachte, würde Alberich bestimmt darüber hinwegsehen, dass sein Enkel doch noch nicht zum Schloss gegangen war.
Virri trat näher heran, um den Rubin anzuheben und fortzuschaffen – und bemerkte, dass sich seine Doppelgänger nicht in Bewegung setzten. Sich herumdrehend, sah er durch ihre Augen seinen eigenen verdutzten Gesichtsausdruck. Ihre Blicke waren wie immer starr, und er konnte über ihre Sinne alles wie gewohnt wahrnehmen. Nur auf die Befehle seines Kopfes reagierten sie nicht, als seien sie gelähmt. So etwas war noch nie vorgekommen!
Nachdenklich betrachtete Virri das Schwert der Vier, das er, seitdem vorhin gezogen, nicht mehr aus der Hand gelegt hatte. Gehorchten ihm seine Klone nicht mehr, weil er sich seiner Pflicht verweigerte, es zurückzugeben? Zumindest leuchtete der grüne Zierstein gleichmäßig; ein Flackern war sonst immer das untrügliche Zeichen, dass etwas mit den Abbildern nicht in Ordnung war. Vielleicht war nach dem Kampf mit dem Oktorok irgendein Fehler passiert, der behoben wäre, sobald die Klone erneuert waren.
Dafür schob Virri das Schwert in seine Scheide zurück – und da kam der Korrekturprozess auch schon zum Erliegen: Die Klone und ihre Kopien der Waffe lösten sich nicht in dreifarbige Funken auf, wie es hätte passieren müssen. Eigentlich konnten sie gar nicht existieren, wenn das Schwert eingesteckt war!
Virri langte in seinen Köcher, um daraus Bogen und Pfeile hervorzuholen. Diese Sache gefiel ihm nicht, und er sah nur eine Möglichkeit, sie geradezubiegen.
Vor Schreck fuhr er zusammen, als sich der dreifache Blick seiner Doppelgänger genau auf ihr Original richtete. In ihren Augen, denen auch weiterhin jeder Ausdruck fehlte, glühte ein unheimliches bläuliches Licht. Ohne Virris Zutun steckten sie die Schwerter in den Boden, um die Hände frei zu haben, und kamen auf ihn zu. Sein rotgewandeter Klon hinderte ihn an seinem Vorhaben, indem er seine Arme ergriff, während der blaue und der violette ihn an den Beinen packten. Fruchtlos wehrte sich Virri gegen ihre Überzahl; auch weiterhin entzogen sie sich seiner geistigen Kontrolle, schleppten ihn zu der blauen Lichterscheinung hinüber.
Ihr gefangener Befehlshaber zappelte. Die Schmiede war fern, Hyrule-Stadt lag nicht einmal in der Nähe. Auch wenn er wusste, wie verschwindend gering die Chance war, gehört zu werden, wollte Virri nach Hilfe rufen. Noch bevor er nach Luft schnappen konnte, holten die abtrünnigen Klone aus, schwangen ihn herum und warfen ihn in den Rubin.
Der Kristall leuchtete auf.
Im nächsten Augenblick war er verschwunden, und mit ihm Held und Doppelgänger.Auch diesmal werde ich den nächsten (und letzten) Prolog gleich nächste Woche posten.
Das Schatzsucherlied aus Spirit Tracks
Wird im Spiel dazu benutzt, versteckte, für die Lösung von Rätseln gebrauchte Objekte und Schatzkisten erscheinen zu lassen. Hier kommt nicht diese Bedeutung, sondern nur der reine Name zum Tragen, da Virri stets auf der Suche nach Rubinen ist.
- Virri ist hier der Held aus Four Swords, welches zeitlich einige Tage vor diesem Kapitel stattfindet. Wie auch im Kapi genannt, ist er „fast elf“. Sein voller Name, Viridian Waffenschmidt, setzt sich aus der Berufsbezeichnung seiner Vorfahren als Nachname und der Farbe viridian zusammen. Dieses Wort gibt es im Deutschen nicht und beschreibt ein kräftiges Blaugrün. Außerdem habe ich ihn nach dem Vertania Wald (engl. „Viridian Forest“) aus Pokémon benannt, da ich gerade den Kanto-Abschnitt des Mangas las, als ich an meinen ersten Entwürfen für die FF arbeitete (*sfz* das ist sooo lange her!). Das kindisch-gutmütige Wesen des Charakters Yellow/Gelb stand zudem Pate für Virri.
- Da Four Swords storytechnisch nicht viel hergibt, musste ich mir Inhalte aus seinen beiden Geschwistern leihen. So stammen manche der Items aus Minish Cap und Teile des Hintergrundplots aus Four Swords Adventure. Dementsprechend sind die beiden erwähnten Helden, die vor Virri das Schwert der Vier hatten, der aus MC und der aus dessen Vorgeschichte.
- Virris Vorliebe für Eier habe ich nicht aus der Luft gegriffen: In FS bezeichnen die Großen Feen nach ihrer Befreiung ihre vier Retter als „kleine Heldeneier, die bald schlüpfen werden“.
- Den Doppelgängern jedem ein Bewusstsein und wie im Manga wohlmöglich auch noch eine Persönlichkeit zu geben, hätte den Rahmen dieser Story gesprengt. Deswegen sind sie keine Individuen, und Virri kann sie (fast) beliebig herbeirufen und wieder auflösen – sozusagen eine Weiterentwicklung der temporären Hologramme in MC. -
Prolog 1: Ruf der Vögel
So ruhig der Morgen über der Siedlung herandämmerte, abgeblendet durch den Nebel, der über den Häusern hing, so unruhig war der Schlaf, in dem Balaen gefangen war. Ganz ähnlich unsanft war schließlich auch sein Erwachen, das mit einem markerschütternden Poltern einherging – das Erste, das er an diesem noch jungen Tag wahrnahm. Allmählich arbeitete sich sein Bewusstsein an die Oberfläche seines Geistes, und als nächstes stellte er fest, dass nicht nur das Geräusch als solches markerschütternd gewesen war, sondern auch und vor allem buchstäblich seine Ursache.
Dumpfer Schmerz pulsierte durch Balaens Kopf, als er müde die Augen aufschlug. Wie erwartet sah er über sich die Decke seines Zimmers – und am Rande seines Blickfeldes die Kante seines neben ihm stehenden Bettes. Seufzend rieb er sich über die Augen, unter denen dunkle Ringe lagen. Also war er schon wieder aus dem Bett gefallen. Dabei stand doch ernsthaft zu erwarten, dass er als junger Erwachsener für so eine Kinderei allmählich zu alt wurde.
Langsam richtete Balaen sich auf, eine Hand gegen das Pochen an seinem Hinterkopf gepresst, konnte aber nicht verhindern, dass es in Stirn und Schläfen zog und zu einem unangenehmen Stechen wurde. Aus Erfahrung wusste er, dass es den ganzen Tag nicht verfliegen würde. Dass er sich sogar glücklich schätzen konnte, wenn es nicht zu Schmerzen auswuchs, die sich anfühlten, als skalpiere ihm ein Bokblin mit einem schartigen Messer den Schädel, um ihn anschließend mit Sandpapier glatt zu schmirgeln.
Ächzend stand Balaen auf, kämpfte um Gleichgewicht und Orientierung, die beide noch aus dem Schlaf zu ihm zurückkehren mussten. Sowie das geschehen war, tappte er zum Tisch, das einzige Möbelstück seines Zimmers, das keinen wirklichen Zweck mehr erfüllte. Seitdem er seine Ausbildung in der Ritterschule abgeschlossen und aus ihren Wohnquartieren ausgezogen war, hatte er keinen Bedarf an einer Schreiboberfläche gehabt, da er nicht mehr für theoretischen Unterricht lernen musste. Sein strammer Tagesplan als vollberuflicher Ritter ließ ihm nicht einmal die Zeit, in seinen eigenen vier Wänden zu essen. So dienten sie ihm lediglich als Schlafunterkunft und Umkleide. Und hin und wieder als Rückzugsort, an dem er ungestört gegen seine Kopfschmerzen vorgehen konnte.
Auf dem Tisch standen ein Krug Wasser und ein Glas bereit; Balaen füllte das kleinere Gefäß, leerte es einmal und schenkte sich erneut ein. An der Wand hing ein Regal, dessen beide Böden sich einige verstaubte Schulbücher, eine rettungslos verdorrte Topfpflanze und zwei Vogelfigürchen teilten. Eines dieser Abbilder besaß ein rotes, gehäkeltes Gefieder, gefüllt mit echten Daunen, das andere bestand aus grob geschnitztem Holz. Letzteres schob Balaen zur Seite und nahm eine dahinter wohl verborgene, verkorkte Flasche mit goldenem, pulvrigem Inhalt heraus.
Seit jeher benutzten die Ritter des Wolkenhorts medizinisch wirksame Pilzsporen, um Verletzungen ihrer Wolkenvögel zu behandeln, wofür sich die im Erdland neu entdeckte glitzernde Variante nicht eignete. Eingeatmet lähmte diese jedes Lebewesen kurzzeitig, egal ob Tier oder Monster, und auch Menschen waren nicht dagegen immun. Balaen hatte die Vermutung aufgestellt, dass die Glitzersporen mit ihrer sowohl heilenden als auch lähmenden Wirkweise ein hervorragendes Schmerzmittel abgeben mussten. Von seinen andauernden Kopfschmerzen zu ausreichender Verzweiflung getrieben, hatte der junge Krieger es schließlich probiert – und war für diesen Wagemut mit einem positiven Ergebnis belohnt worden. Seitdem nahm er die Sporen fast täglich, um sein chronisches Leiden zu behandeln, so wie heute auch.
Vorsichtig öffnete Balaen die Flasche, sorgfältig darauf bedacht, das Pulver nicht aufzuwirbeln und womöglich in seiner Atemluft zu verteilen. Er entnahm eine Prise, die weder zu viel noch zu wenig war, und streute sie ins Wasser. Mit einem Schwenk verrührte er die beiden Substanzen, atmete tief durch, um seinen Ekel zu überwinden, und kippte sie in einem Zug herunter. Sofort versuchte sein Körper mit einem Würgereiz, sich des modrigen Geschmackes zu entledigen, aber Balaen drückte sich die Hand auf den Mund und kämpfte gegen den Husten an.
So begann sein Tag wie jeder andere entweder mit Kopfschmerzen oder Übelkeit, und das wegen des Schlafmangels aufgrund der Albträume, die ihn immer wieder heimsuchten. Das Bild des Todbringers, der zurückkehrte, um das grausame Werk der Vernichtung fortzuführen, an das ihn Balaen vergangenes Jahr gehindert hatte, ließ ihm keine Ruhe. In dieser Nacht war der Dämonenkönig in der monströsen Gestalt des Verbannten aus dem Siegel unter der Statue der Göttin ausgebrochen, hatte diese dabei gefällt und zerstört. So unnatürlich riesig, dass es die ganze Senke des Siegelhains ausgefüllt hatte, war das Ungetüm über dessen Rand gestiegen und hatte unaufhaltsam alles niedergemacht, was auf seinem Weg lag. Die im Vergleich zu ihm winzigen Bäume des Waldes von Phirone waren unter seinen mächtigen Schritten eingeknickt, und von den noch kleineren Häusern der Siedlung war nichts als Schutt zurückgeblieben.
Balaen fragte sich, ob diese Träume aus unterbewusster Angst geboren oder vorhersehend waren wie jener, der ihm gekommen war, bevor er von seiner Bestimmung als von der Göttin auserwählter Held erfahren hatte. Natürlich hoffte er um erste Variante, aber für seine Nachtruhe waren beide nicht besonders dienlich.
Nicht nur diese und ähnliche Schreckensbilder brachten ihn um den Schlaf, sondern auch ganz reale, greifbare Bedrohungen und die stete Grübelei, wie die seiner Order unterstellten Ritter sie am besten abzuwehren vermochten. Gerade in letzter Zeit war es immer häufiger zu Bokblin-Angriffen gekommen, die den Menschen, die im Erdland verzweifelt Fuß zu fassen versuchten, das Leben schwermachten. Natürlich war das noch lange keine Katastrophe, aber auf Hintergrund von Balaens Befürchtungen um den Todbringer vermutete er, dass der dunkle Fürst Girahim die Befehlsgewalt über die Monster übernommen hatte und nach Rache für die Vernichtung seines Herren sann. Der Held, der Girahim im letzten Jahr mehrfach im Duell besiegt hatte, zweifelte daran, ob ihm dies ein weiteres Mal gelingen würde. Damals hatte er göttliche Hilfe erfahren – heute wäre er ganz auf sich allein gestellt.
Während die Wirkung der Glitzersporen langsam einsetzte, tauschte Balaen seinen Schlafanzug gegen seine Alltagsklamotten ein, zu deren festem Bestandteil Kettenhemd und Rittertunika geworden waren.
Die einstigen Bewohner des Wolkenhorts hatten ein turbulentes Jahr hinter sich. In dieser Zeit, in der sie sich in ihre neue Heimat, dem Land ihrer frühesten Vorfahren, wieder eingefunden hatten, war der Unterricht in der Ritterschule einstweilen ausgesetzt und erst vor wenigen Monaten wieder aufgenommen worden. Balaens ehemalige Klassenkameraden hatten daher erst unlängst ihre Abschlussprüfungen bestanden und waren dafür mit ihren Rittergewändern belohnt worden. Ihre Uniformen hatten die Farbe des Jahrgangs unter ihnen; das ursprünglich für sie angedachte Grün trug deswegen nur Balaen, dem das Gewand frühzeitig als Reisekluft überreicht worden war. Auch war er der einzige, der sein letztes Lehrjahr und die anschließende Prüfung nie absolviert hatte.
Aufgrund seiner Heldentat hatte noch niemand angezweifelt, ob er das Rittergewand auch offiziell verdiente – bis auf ihn selbst. Zwar hatte er den Dämonenkönig besiegt und damit die Welt gerettet, und das mochte ihn zum Helden machen, aber nicht zum Ritter. Dafür waren andere Voraussetzungen vonnöten, die Balaen einfach nicht erfüllte.
Die Horde Bokblins, die die Siedlung in letzter Zeit besonders hartnäckig traktierten, hatte nach der Beobachtung der Vogelreiter ihren Stützpunkt beim Vulkan Eldin, in einer Gegend, die selbst Balaen während der Ausführung seines göttlichen Auftrages nicht bereist hatte. Lange hatte er überlegt, welche Ausrüstung für dieses unbekannte Gelände geeignet sein könnte. Schließlich hatte er sich für das Allernötigste entschieden, um nicht von zu viel Gepäck beeinträchtigt zu werden. Neben dem obligatorischen Schwert und dem unzerstörbaren Hylia-Schild nahm er die mit einer magischen Kugel ausgestattete Peitsche mit. Gegen die Hitze im Land des Feuers legte er die dort erhaltenen Feuerohrringe an. Zunächst musterte er zögerlich die Flasche auf seinem Schreibtisch; was an Glitzersporen in dem Gefäß noch übrig war, reichte für eine Woche, vielleicht zwei, wenn er sparsam damit umging. So lange gedachte er nicht, fortzubleiben, steckte sich die Flasche dennoch vorsichtshalber in die Gürteltasche. Gegen Bokblins kämpfte es sich leichter ohne Kopfschmerzen.
Die Falten glättend, die seine Tunika unter den Lederriemen gebildet hatte, ignorierte Balaen die Unordnung, die stets in seinem Zimmer herrschte, und wandte sich der Tür zu. An einem Haken an der Wand neben dem Ausgang hingen der weiß-blaue Paraschal und das letzte Stück des Rittergewandes, die grüne Zipfelmütze. Der Held nahm ersteres herunter, strich liebevoll über den weißen Leinenstoff. Er führte ihn ans Gesicht, atmete tief die feine Duftnote ein, die ihm anhaftete. Auch nach über einem Jahr, seitdem Balaen ihn erhalten hatte, egal wie lange er ihn selbst trug, wie oft er ihn auch wusch, roch der Schal noch immer nur nach derjenigen, die ihn gewebt hatte. Balaen band ihn sich um den Hals, zog sich die Mütze über und verließ den Raum.
Weil er im Zuge seiner Mission den Großteil des Waldes von Phirone bereist hatte, bauten die Ritter bei ihrer Tätigkeit, die Einwohner der Siedlung zu beschützen, auf diese seine Erfahrungen. Das brachte eine Menge Verantwortung für den Grüngewandeten mit sich, die Mitschuld an seinem Schlafmangel trug, hatte aber gerade heute einen äußerst praktischen Vorteil: Er hatte die Wachen so eingeteilt, dass es ein Leichtes war für jemanden, der die richtigen Stellen kannte, unerkannt hindurch zu schlüpfen. Dank seiner Albträume war Balaen vom Langschläfer zum Frühaufsteher geworden, sodass er jetzt, die Nachtschichtler ausgenommen, der einzige Mensch in der Siedlung war, der bereits unterwegs war. Davon versprach er sich, sie ungesehen zu verlassen.
Nichtsdestotrotz schlich Balaen leise durch die Gassen zwischen den alten Gebäuden, die die Menschen aus dem Himmel mitgenommen hatten, und den im letzten Jahr neu errichteten. Es war ein kalter Morgen, der in dichtem Nebel zwischen den Ziegelwänden hing, die Sicht begrenzte und Geräusche dämpfte. Somit war er eine zusätzliche Hilfe für den Heimlichtuer – konnte sich aber auch genauso gut gegen ihn wenden.
„Balaen? Bist du das?“
Der Enttarnte zuckte ertappt zusammen und fuhr in die Richtung herum, aus der die Stimme zu ihm gesprochen hatte. Meister Otus, einer der Lehrer der Ritterschule, kam aus der Gasse, die in jene mündete, die Balaen beschritt, auf ihn zu. „Tatsächlich“, stellte Otus fest, als er sein Gegenüber genauer erkannte. „Welch seltener Anblick, dich so früh auf den Beinen zu sehen.“
Hastig erklärte Balaen ungefragt: „Ich bin eingeteilt.“
„Aber die Wachablösung ist doch erst in ein paar Stunden“, meinte der Professor erstaunt, blickte aber hinauf in den Himmel – sinnlos, denn der sich dort perlfarben ankündigende Morgen konnte er durch den Nebel vom Boden aus nicht sehen. „Oder habe ich wieder die Zeit vergessen?“
Unbeholfen versuche Balaen, ihn von seinen Fragen abzulenken. „Wo ist eigentlich Kombu?“ Normalerweise wich der Kyu dem Botaniklehrer, mit dem er sich angefreundet hatte, nicht von der Seite.
„Nun, er ist, wie du weißt, ein Pflanzenwesen“, erläuterte Otus fachmännisch, „daher ist er nur bei Sonnenschein aktiv. Aber es gibt Gewächse, die nur oder gerade nachts interessant sind hinsichtlich Metabolismus und Reproduktion. Die will ich natürlich genauer untersuchen. Außerdem“, fügte er hinzu und senkte die Stimme, als ob er dem Ritter ein Geheimnis anvertraute, „habe ich ihn nicht so gerne bei meinen Forschungen dabei. Der Kleine weiß so viel über die Pflanzen von Phirone, da komme ich mir vor wie sein Schüler. Und du verstehst bestimmt, dass das an meinem Stolz als Lehrer kratzt.“
Abwesend nickte Balaen und suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, das Gespräch schnell zum Ende zu bringen, ohne den Professor unhöflich stehen zu lassen.
Der fuhr einfach fort: „Da fällt mir ein, hast du noch Glitzersporen? Ich bin an einigen Pilzen vorbeigekommen, ich hätte welche einpacken können.“
„Ich habe noch für die nächsten paar Tage.“ Balaen hatte den wissbegierigen Pflanzenexperten bezüglich seines Selbstversuches mit den Sporen ins Vertrauen gezogen, bereute das aber mittlerweile, vor allem jetzt.
„Wie wirken sie?“, wollte Otus weiter wissen.
„Einigermaßen“, antwortete der Ritter kurz angebunden.
Der Professor nickte. „Ich vertraue deiner Vernunft, sie nicht zu hoch zu dosieren. Immerhin können wir nicht ausschließen, dass sie Nebenwirkungen haben.“ Nachdenklicher fügte er hinzu: „Wobei es mich schon brennend interessieren würde, wie sich ein vermindertes Schmerzempfinden auf dein kämpferisches Geschick auswirkt. Hier unten können die Ritter jede Verstärkung brauchen, die wir finden können.“ Er legte eine Kunstpause ein, während der er Balaen durchdringend ansah. „Und nun würde ich gerne wissen, wo du wirklich hingehst.“
„Habe ich doch schon gesagt“, beharrte der Grüngewandete. „Ich habe Dienst.“
Mit der pädagogischen Strenge, die ihm fast den Posten als Leiter der Ritterschule eingebracht hatte, sprach Otus: „Belüge niemals einen Lehrer, Balaen. Wir haben ständig mit euch Schülern und euren vergessenen Hausaufgaben zu tun, und gerade bei dir erkenne ich die Anzeichen, die auf Unehrlichkeit hindeuten.“ Prüfend zog er eine Augenbraue hoch. „Am untrüglichsten ist deine Angewohnheit, an deinem Kragen zu zupfen, oder in diesem Fall an deinem Schal. Nur ganz kurz und immer mit der Linken.“
Sprachlos blinzelte Balaen zuerst den Botaniker an, dann die verräterische Hand, die er tatsächlich unwillkürlich angehoben hatte.
„Fast, als müsstest du eine Schlinge lockern, die sich um deinen Hals zuzieht“, metaphorisierte Otus belustigt und setzte seinen ehemaligen Schüler matt.
Balaen rang mit sich. Wie es schien, konnte er den misstrauischen Professor nur loswerden, wenn er die Wahrheit sagte, und vielleicht war das auch gar nicht so dramatisch. Otus war ein kluger Mann; wenn Balaen ihm die Dringlichkeit seines Vorhabens darlegte, würde er ihn gewiss ziehen lassen und noch dazu Stillschweigen bewahren. Also weihte der junge Ritter ihn zumindest teilweise ein: „Es gibt da etwas, das ich tun muss, und zwar allein. Ohne, dass jemand davon erfährt.“
„Eine wichtige Heldenangelegenheit?“, vermutete Otus. Auf Balaens wortloses, verschwörerisches Nicken musterte er ihn kurz. „Wie ich dich einschätze, bist du immer noch derselbe Romantiker, der alles tat, um seine Freundin zu retten. Aber das Erdland hat dich erwachsen werden lassen. Wie uns alle.“ Stumm senkte Balaen den Blick, während der Botaniklehrer den seinen über die Siedlung schweifen ließ, die von Nebel umschlungen war. „Kaum zu glauben, dass wir tatsächlich schon ein ganzes Jahr hier unten leben. Bei allem, was geschehen ist, hätte ich uns weit weniger Ausdauer zugesprochen. Die Zeiten sind schwierig, und Geporas Tod hat auch vielen von denen die Zuversicht genommen, die sie vorher nie hatten aufgeben wollen. Es wäre fatal, wenn auch noch ausgerechnet derjenige einfach verschwindet, der es der Menschheit ermöglicht hat, auf die Erde zurückzukehren.“
Die beiden Männer sahen einander an; Balaen konnte sich trotz dieser Worte sicher sein, dass Meister Otus hinter seinem waghalsigen Vorhaben stand. Der Held lächelte erleichtert und erwiderte: „Ich werde rechtzeitig zum Fest wieder hier sein. Versprochen.“Wolkenvögel, seit Generationen die Reittiere der Bewohner der schwebenden Inseln, waren so groß und schwer, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie sich überhaupt selbst in der Luft halten konnten – geschweige denn zusätzlich einen Menschen. Mit diesem Gewicht auch noch abzuheben war ihnen hingegen völlig unmöglich. In ihrer alten Heimat waren die Vogelreiter einfach vom Rande der Inseln abgesprungen und hatten sich von ihren bereits fliegenden Partnern auffangen lassen, um auf deren Rücken zu gelangen.
Im Erdland war das nicht mehr so einfach, hatte es hier von Beginn an doch keinen Punkt gegeben, der dafür hoch genug lag. Daher war ein Turm errichtet worden, eine im Verhältnis zu ihrer Höhe über alle Bäume im Umkreis federleichte Holzkonstruktion, ein Meisterwerk menschlicher Baukunst. Die auf der Spitze befindliche Absprungschanze schaffte ähnliche Voraussetzungen für die Reiter wie die, die über den Wolken geherrscht hatten. Der Turm stand nahe der Siedlung und war von überall innerhalb dieser einsehbar – und daher für Balaen in seiner Heimlichkeit vollkommen ungeeignet. Zum Glück hatte er als auserwählter Held Zugang zu einer noch viel einfacheren Methode, die er sich stattdessen zunutze machen konnte.
Während er durch den schmalen Teil des Waldes schlich, in dem er sicher keiner Wache begegnen würde, begannen Sonnenstrahlen, den Nebel zu beleuchten und mit dem Grün der Baumkronen zu tränken. Oberhalb des Dunstes glitt ein geflügelter Schatten vorüber – Karmin, Balaens nach seinem roten Gefieder benannter Wolkenvogel, rauschte über seinen Reiter hinweg. Auf seine übliche Begrüßung, einen lauten Adlerschrei auszustoßen, verzichtete das majestätische Tier, da es spürte, wie wichtig Stille im Moment war.
Fernab der Siedlung suchte Balaen eine der Vogelstatuen auf, die im ganzen Erdland von der Göttin für ihren Auserwählten hinterlassen worden waren. Dieser band sich nun den Schal ab, nahm die Enden fest in beide Hände. Als er näher trat, reagierte das steinerne Bildnis: Die orangefarbenen Ornamente, mit denen es verziert war, glühten auf, und eine magische Böe wirbelte um Balaen und verfing sich im Paraschal. Sogleich wurde der Held in die Höhe gerissen und stieg vom Aufwind getragen über den Wald hinauf. In ausreichender Distanz zum Boden ließ er den Schal einseitig los und drehte sich im Fallen bäuchlings in die richtige Position. Mit einem Pfiff rief er seinen Wolkenvogel, der schnell wie ein Pfeil unter ihm vorschoss und ihn zuverlässig wie immer auffing. Sicher auf dem rot gefiederten Rücken aufgekommen, suchte Balaen einhändig Halt am Zaumzeug zwischen den Schultern des Vogels, legte den Schal wieder an und zog ihn als Atemschutz gegen den Flugwind über Mund und Nase. Karmins Reiter bedeutete seinem Wolkenvogel sofort, sich in Richtung Norden zu wenden, und überließ ihn vorerst dem sturen Geradeausfliegen.
Balaen blickte zurück. Oberhalb der Baumkronen war die Luft klar und versprach einen wunderschönen, sonnigen Tag. Die Siedlung war bereits hinter den Bäumen von Phirone verschwunden, und mit ihr der sie umgebende Palisadenzaun, der, weil er nur unzureichend Schutz gegen Monster bot, teilweise durch einen Ziegelwall ersetzt worden war. Nur der Absprungturm und die Statue der Göttin waren aus der Entfernung noch zu sehen. Die riesige Steinfigur war durch die Jahrhunderte vom prallen Sonnenschein und der kühlen Luft über den Wolken empfindlich geworden. Die veränderten Witterungsbedingungen auf der Erde hatten ihr daher die Federgravuren ihrer Flügel geraubt und nun auch begonnen, ihre Gesichtszüge unkenntlich zu machen.
Diese Welt war ihren neuen Einwohnern nicht freundlich gesonnen. Das zeigte sich schon mit solchen Kleinigkeiten wie den Wimpeln und Windrädern, die als Zierde zwischen den Gebäuden hingen. Im Nebel waren sie nicht deutlich zu erkennen gewesen, aber Balaen wusste, wie leblos sie in der windstillen Luft hingen und nur zu deutlich zeigten, wie fremd ihnen diese neue Heimat war. Die einzige Entwicklung hin zu reinen Erdbewohnern vollzogen die Kinder, doch deren merklich wachsendes Desinteresse, eine geistige Verbindung mit einem Wolkenvogel einzugehen, wurde von niemandem positiv aufgenommen. Hinzu kamen die andauernden Auseinandersetzungen mit Monstern aller Art, die im Wald hinter jedem Baum, unter jedem Stein gezielt auf menschliche Beute zu lauern schienen. Jahrhundertelang hatten die Krieger des Wolkenhorts außer ihren Kollegen kaum Gegner gehabt, und ihre Aufgaben hatten hauptsächlich in der Rettung von Inseln abstürzender Mitmenschen bestanden. Ihre verkümmerten Kampfkünste waren für reine Bodengefechte nicht geschaffen, das hatte auch Balaen zu Beginn seiner Mission schmerzhaft feststellen müssen.
Nachts wurde in der Kürbisbar gemunkelt, der Verfall der Statue, den ihrer schieren Größe wegen niemand aufhalten konnte, sei ein Zeichen dafür, dass die Göttin ihre Schützlinge im Stich gelassen habe. Vermutlich, weil diese das ihnen von ihr geschenkte schwebende Zuhause verlassen hatten. Immerhin seien sie ein Volk des Windes und der Wolken, das keinen festen Boden unter den Füßen brauchte. Noch leisere Stimmen flüsterten darüber, ob eine Möglichkeit bestand, in die Welt im Himmel zurückzukehren, wo sie wieder sicher vor den Gefahren des Erdlandes von ihrer Göttin beschützt sein würden.
Dabei war es ausgerechnet Hylia selbst, die die Menschen hier herabgeführt hatte: Nicht nur während ihres göttlichen Wirkens vor tausend Jahren hatte sie Vorkehrungen getroffen, dass die Inseln eines Tages auf die Erde zurückkehren konnten, sondern hatte dies auch in ihrer wiedergeborenen, menschlichen Gestalt in die Wege geleitet. Die Bewohner des Wolkenhorts hatten Zeldas sehnlichen Wunsch geteilt und waren ihrem Versprechen einer neuen Welt gefolgt. Als Inkarnation der Göttin tat sie alles dafür, dass die Menschen ihre neue Heimat schätzen und vielleicht irgendwann lieben lernten wie ihre alte. Sturköpfig, aber sanftmütig suchte Zelda nach einem passenden Namen für ihr Dorf, der den alten Traditionen ferner lag als Erdhort – der sich unter seinen Bewohnern im Erdland äquivalent zum Wolkenhort im Wolkenland eingebürgert hatte. Zu jedem sich bietenden Anlass stellte Zelda eine kleine oder auch größere Festivität auf die Beine; als vor einigen Wochen Balaen als erster ihrer Altersgruppe im Erdland die Volljährigkeit erreicht hatte, hatte seine Kindheitsfreundin die ganze Siedlung zum ausgelassenen Feiern animiert. Das nächste Woche stattfindende erste Jubiläum des Umzugs aus den Wolken versprach, ein absolutes Spektakel zu werden. Daran durfte auch der tragische Tod von Zeldas Vater nichts ändern.
Aber Balaen, der Zelda von Kindesbeinen an genau kannte, blickte hinter die Fassade. Meister Gepora, der im Wald von einer Horde Bokblins überfallen und getötet worden war, hatte nicht nur den Posten des Schulleiters hinterlassen, sondern auch seine zutiefst um ihn trauernde Tochter. Als ob es nicht reiche, dass sie schon lange davon beunruhigt wurde, dass die Erinnerungen an ihr früheres Leben als Göttin allmählich verblassten. Jedes Mal, wenn Zelda merkte, dass eine weitere gegangen war, erschütterte es sie aufs Neue. Und trotz allem blieb sie stark für jene, die ihr treuherzig gefolgt waren – und auch Balaen musste das sein, immerhin war er doch ihr auserwählter Held.
Dennoch wusste er nicht auf alles eine Antwort, so gern er etwas anderes behauptet hätte. Im Tempel des Siegels gab es zwar jemanden – ein Geschöpf und Dienerin der Göttin –, bei dem sich das anders verhielt, aber Balaen hatte bislang verzichtet, dort um Rat zu suchen. Manchmal ertappte er sich bei der Überlegung, ob es nicht klüger sei, es doch zu tun, bevor die Situation ausartete – auch wenn es gegen die neue Lebensphilosophie der Menschen ging, der er sich verschrieben hatte.
Denn Balaen vertrat die nicht sehr populäre Ansicht, dass, sollte der gute Geist Hylias ihre Schützlinge tatsächlich verlassen haben, es in ihrer eigenen Verantwortung lag, ihr weiteres Schicksal selbst zu bestimmen. Genau das hatte er schließlich auch jetzt vor: Er würde dafür Sorge tragen, dass die Vorbereitungen und die Jubiläumsfeier selbst ohne weitere Zwischenfälle vonstatten gingen. Nicht ein Bokblin sollte diesen für die Zuversicht der Dorfbewohner wichtigsten Tag trüben. Auch wenn es bedeutete, dass Balaen, um die Dreistigkeit der Monster zu infiltrieren, Zelda zuerst abgrundtief enttäuschen musste, indem er ohne jemanden in Kenntnis zu setzen allein nach Eldin aufbrach. Und das auch noch so bald nach dem Dahinscheiden ihres Vaters.
Dabei hätte er gerade jetzt für sie da sein müssen. Er wusste, dass sie sich nach ihm sehnte, und ihm ging es mit ihr auch nicht anders. Die Zweisamkeit mit ihr war noch so eine Angelegenheit, die von seinen Ritterpflichten verhindert wurde.
Oder zumindest pflegte er, sich das einzureden. Denn was sich Balaen selbst nicht bewusst war: Er ging Zelda aus dem Weg. Schon seit jenem verlustreichen Tag, und jetzt floh er sogar vor ihr. Wie sollte er ihr auch unter die Augen treten mit der Gewissheit, Geporas Tod verschuldet zu haben.
Während er zur Siedlung zurückgeblickt hatte, hatte Balaen die ganze Zeit über den Paraschal Zeldas vertrauten Duft aufgenommen. Wahrscheinlich waren seine Gedanken deshalb zu ihr abgedriftet.
Als Entfernung und Morgennebel schließlich auch die Statue der Göttin verschluckten, wandte er sich in Flugrichtung. Karmin hatte gehorsam weiter auf den Vulkan zugehalten, dessen rauchgekrönter Kegel schon vor ihnen am Horizont auftauchte. Der Wald, über den sie hinwegschossen, wurde weniger dicht und zog sich über die immer höher werdenden Hügel des Vorgebirges. Über allem lag der schwindende Nebel wie ein samtener Schleier, der sich allmählich lichtete, und tauchte die Bäume in diesiges Grau.
Umso auffälliger die blau irisierende Stelle, die Balaen nun ins Auge fiel. So schnell, wie Karmin unterwegs war, hatten sie die Quelle rasch erreicht und schon bald überflogen, sodass der Vogelreiter nur einen kurzen Blick darauf erhaschte. Neugierig geworden, gab er Karmin über die Verlagerung seines Gewichts zu verstehen, umzukehren und ein wenig tiefer zu gehen. Nun auf selber Höhe und in sicherem Abstand umkreiste der Wolkenvogel das Objekt des Interesses, sodass Balaen es genauer betrachten konnte: Es war ein riesiger Kristall, mehr als mannshoch und mit dem Durchmesser einer Armspanne. Das immaterielle, blau glühende Gebilde schwebte über den Bäumen wie eine übernatürliche Erscheinung.
Und vielleicht war es auch genau das. Zwar hatte Balaen seine Bestimmung als Held erfüllt, aber es mochte dennoch sein, dass er noch Dinge fand, die die Göttin für ihn zurückgelassen hatte. Oder aber es handelte sich nur um ein sehr ungewöhnliches Wetterleuchten. Immerhin war diese Welt auch ihm noch zum Teil fremd.
Aber damit konnte er sich jetzt nicht befassen. Wenn das wirklich ein Zeichen der Göttin war, noch dazu ein wichtiges, würde er es gewiss wiederfinden. Mit einer erneuten Gewichtsverlagerung lenkte Balaen Karmin wieder in Richtung Eldin – doch der Wolkenvogel reagierte nicht. Verwundert beugte sich der Held noch deutlicher zur Seite, zog sogar an den Haltegriffen, was sonst nur junge Reiter taten, die gerade erst das Fliegen mit ihren neuen Partnern lernten. Aber auch davon ließ sich Karmin nicht beeindrucken. Der Vogel blickte zur Quelle des blauen Lichts, und Balaen stellte befremdet fest, dass in den Adleraugen ein ähnlicher Schimmer lag.
Plötzlich scherte Karmin aus der Kreisbewegung aus, wandte sich der Erscheinung zu. Balaen musste sich am Zaumzeug festklammern, um nicht vom Rücken seines Reittiers geworfen zu werden, als dieses ohne einen Befehl seinerseits blitzschnell in einem Tornadostoß vorwirbelte – mitten hinein in die Lichtquelle.
Der Kristall leuchtete auf.
Im nächsten Augenblick war er verschwunden, und mit ihm Held und Wolkenvogel.Bitte beachten!
Nach meinem Veröffentlichungsplan müsste das nächste Kapitel eigentlich in zwei Wochen, also am 3. 2. online gehen. Dabei handelt es sich um den zweiten Prolog, der den zweiten Hauptcharakter vorstellt, und es wird noch einen dritten geben. Weil ich nicht will, dass Balaen bis dahin vergessen wird, kommt Prolog 2 somit am 27. 1. Und am 3. 2. dann auch gleich Prolog 3. Danach geht es voraussichtlich regulär weiter.Der Vogelruf aus Spirit Tracks
Wie schon im Startpost erwähnt, habe ich den eigentlichen Namen des Liedes aufgespalten, sodass er ein bisschen epischer klingt. Im Spiel wird der Vogelruf benutzt, um Vögel herbeizurufen, die einen an ansonsten nicht zugängliche Orte fliegen. Diese Bedeutung des nicht Zugänglichen steckt auch ein bisschen im Titel für das Kapi, aber hauptsächlich habe ich ihn schlicht deswegen genommen, da Balaen nach seinem Vogel ruft.
- Auch wenn die Hauptperson hier technisch gesehen ein „Link“ ist, habe ich ihm einen anderen Namen verpasst. Nicht nur wegen der Verständlichkeit in dem, was noch folgt, sondern ist es immerhin in jedem Spiel möglich, der Spielfigur Link einen individuellen Namen zu verpassen, also warum nicht.
- Desweiteren hat Balaens Name auch eine Bedeutung: Balaeniceps ist der lateinische Gattungsbegriff der Schuhschnäbel, jener Vogelart, die als Vorbild für das Design der Wolkenvögel in Skyward Sword herhielten. Der Zeitpunkt liegt ein Jahr nach Ende jenes Spiels, in dem (der Spielcharakter) Link laut Nintendo siebzehneinhalb ist. Balaen ist hier demnach achtzehn Jahre und ein paar verquetschte Monate alt.
- In SS hat Links „karminroter Wolkenvogel“ doch tatsächlich keinen Namen o__O Da das in meiner Story nur zu Problemen geführt hätte, habe ich seine Farbe als Namen genommen.
- Wie immer in meinen Zelda-Fanfics versuche ich, so viel wie möglich bereits in den Spielen Existentes miteinander zu verbinden und nicht zu viel eigenes zu erfinden. Das schlägt sich nieder in:
„(…) ein Volk des Windes und der Wolken, (…) eine Möglichkeit bestand, in die Welt im Himmel zurückzukehren, (…).“ Das soll auf das Volk des Windes in Minish Cap und die Kumulaner in Twilight Princess hindeuten.
Die Glitzersporen kommen in SS als Betäubungsmittel für Monster vor. In meiner Story wurden sie zusätzlich zu einem Schmerzmittel gegen Balaens (von meinen eigenen inspirierten… ;__; ) Spannungskopfschmerzen. -
Hyrule Symphonia
Der Frieden in Hyrule steht auf Messers Schneide. Ein geheimnisvoller Unbekannter, dessen wahre Absichten niemand kennt, ermordet die politischen Führer der Zora und der Goronen. Jetzt drohen die beiden Rassen dem hylianischen Volk mit Krieg, sollte der Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden. Doch ihn festzunehmen scheint unmöglich – wer es dennoch versucht, bezahlt mit dem Leben.
In ihrer Verzweiflung wendet sich Prinzessin Zelda an den einzigen, der ihr jetzt noch helfen kann: Den größten Helden in der Geschichte Hyrules.ProProlog: Nocturne des Schattens
Langsam und friedlich brach der Morgen über Hyrule herein. Nur die hellsten Sterne prangten noch am Himmel; eine Ahnung der aufgehenden Sonne floss als silbriger Schimmer von Osten herbei. Bleich legte er sich über die Hauptstadt des Königreiches, in deren Gassen noch immer die Nacht vorherrschte.
Auch auf dem Vorplatz der Zitadelle der Zeit hielt sich hartnäckig die Dunkelheit. Die einzigen Spuren von Licht tanzten auf dem Wasser in den Becken, die längs der Sakralbaute verliefen, und blitzten auf den Rüstungen der beiden Soldaten, die beidseitig des Eingangs postiert waren. In ihren stählernen Harnischen mit dem Zeichen der Königsfamilie, je ein Speer in der Hand und eine Schwertscheide am Gürtel, boten sie ein prachtvolles Bild, mit dem allein sie schon die meisten potentiellen Angreifer in die Flucht schlugen. Auch nach Stunden rastloser Wacht blickten sie mit ungetrübter Aufmerksamkeit in den herandämmernden Tag.
Ihre Befehle waren klar: Niemand durfte die für gewöhnlich öffentlich zugängliche Zitadelle betreten, nicht einmal sie selbst. Nur einer bestimmten Person war es erlaubt, ungehindert zu passieren.
Auch das Innere des Gebäudes war mit den Resten der Nacht erfüllt, war das Morgenlicht doch noch viel zu schwach, um durch die hohen Fenster hereinzufließen und sie zu verdrängen. In der Düsternis im hinteren Bereich, vor dem Altar der Zitadelle, stand eine junge Frau. Wie auch die Rüstungen ihrer beiden Leibwächter war ihr Kleid mit dem Hylianischen Königswappen geziert. Die Reifenkrone und deren Symbolgewalt trug sie mit souverän erhobenem Kopf.
Prinzessin Zelda, die amtierende Regentin des Landes Hyrule, war zurzeit nicht sie selbst. Das Bewusstsein, das sich ihres Körpers bemächtigt hatte, musterte nachdenklich das als Rückwand getarnte Tor hinter dem Altar. Der Raum, in den es führte, beherbergte wiederum ein Portal, einen magischen Eingang in das Heilige Reich. Wie man ihr erzählt hatte, nachdem sie in Prinzessin Zeldas Leib geschlüpft war, war Ganondorf, der finstere Großmeister des Bösen, vor sieben Jahren nach seiner missglückten Hinrichtung dorthin verbannt worden. Was sich die Sieben Weisen bei dieser Aktion gedacht hatten, konnte sie nicht ganz nachvollziehen, war es doch geradezu vorherbestimmt, dass Ganondorf einen Weg zurück nach Hyrule suchen und auch finden würde. Deswegen war auch die nächste Generation Weisen, geführt von der damals noch freien Prinzessin, vor zwei Jahren dazu gezwungen gewesen, ihn innerhalb des Heiligen Reiches mit einem Siegel einzusperren. Sie hatten wohl geglaubt, das würde den Dämonenkönig festhalten, bis sich jemand endgültig seiner annahm – doch da hatten sie sich gewaltig geirrt.
Prinzessin Zelda wandte sich ab. Damit sollte sich das fremde Bewusstsein nicht beschäftigen, denn deswegen war es nicht hierhergekommen. Sobald Impa da wäre, würde es wieder dorthin zurückkehren, wo es herstammte, und ihren Gefangenen der Behandlung zuführen, die er verdiente.
Die Shiekah war schon lange weg. Im Abendrot war sie aufgebrochen und hatte die ganze Nacht nicht von sich hören lassen. Es war von vornherein klar gewesen, dass sich ihre Zielperson nicht ohne Widerstand würde einfangen lassen. Impa allein hatte gewiss ihre liebe Mühe, aber wen hätte Zelda schon mitschicken können? Niemandem sonst standen die Pfade offen, die die Schattenkriegerin gegangen war. Wahrscheinlich wäre ohnehin jede Begleitung eine Last für sie gewesen in einem Kampf gegen einen solchen Gegner.
„Du hast versprochen, Hyrule immer beizustehen“, flüsterte Prinzessin Zelda ins dunkle Nichts. „Was ist nur mit dir passiert? Wo … bist du?“
„Ich bin hier. Aber vermutlich hast du nicht mich gemeint.“
Alarmiert fuhr Zelda in die Richtung herum, aus der die raue Stimme ertönt war, und brauste auf: „Wer ist da?!“ Sie war definitiv allein in der Zitadelle der Zeit gewesen, und die Soldaten vor dem Eingang hätten ihre Anweisungen gewiss nicht in den Wind geschlagen.
Im Seitenschiff der Sakralbaute waren die Schatten nicht gar so dunkel, dass man nichts darin hätte erkennen können; dennoch wurde Impa erst sichtbar, als sie aus ihnen heraustrat, ganz so, als sei sie ein Teil von ihnen gewesen. Die Hand auf die rechte Schulter gepresst, geriet sie schon mit ihrem ersten Schritt ins diffuse Licht ins Wanken. So lange wie möglich versuchte sie, sich aufrecht zu halten, und stieß schließlich gegen eine der Säulen, die das Dach trugen. Daran angelehnt, sank sie zu Boden. Eine dunkle Spur blieb dabei an dem reinweißen Marmor der Zitadelle zurück.
Sogleich lief Zelda zu ihr, ging neben ihr auf die Knie nieder. Die Kriegerin bot einen schrecklichen Anblick: Eine tiefe Fleischwunde zog sich von ihrer Schulter über das Schlüsselbein hinab zum Brustharnisch, dessen oberer Rand durch denselben Angriff stark beschädigt worden war. Der Stahl war übersät mit einem Muster aus Kratzern und Kerben. Auch, wo er seine Trägerin nicht schützte, war kaum eine Stelle verschont geblieben: Überall an ihren Armen und Beinen blutete sie aus mit etwas schrecklich Scharfem beigefügten Schnittverletzungen. An einem Oberschenkel schien es gar so, als sei ihr ein ganzer Streifen Haut abgezogen worden. Es grenzte an ein Wunder, dass die Shiekah die Zitadelle der Zeit erreicht hatte, ja überhaupt noch am Leben war.
Kühl, nicht ganz frei von ungerechtfertigtem Vorwurf stellte Prinzessin Zelda das ihr Wichtigste fest: „Du bist alleine gekommen.“
Die vollen Lippen der Kriegerin waren blass und spröde, als diese, mit angestrengten Atempausen nach fast jedem Wort, erwiderte: „Ich habe mein Bestes versucht.“
Die Prinzessin nickte langsam. Sie wusste, wenn Impa so etwas sagte, war dies nicht einfach nur eine Floskel.
„Aber ich konnte ihm … das hier entreißen.“ Die Shiekah hob die vorher leere Hand und reichte ihrem Gegenüber einen wie aus den Schatten hervorgeholten Gegenstand.
Dieses nahm ihn entgegen. Mit den Augen war er im Halbdunkel nur schwer zu erkennen, aber das vertraute Gewicht und die Form ließen Zelda sofort wissen, um was es sich handelte. „Also ist er es wirklich“, sagte sie, als auch ihre letzten, hoffnungsvollen Zweifel verflogen.
„Ja. Er ist zurückgekehrt“, bestätigte Impa kurzatmig. „Und er ist stark. Viel stärker, als du ihn vermutlich in Erinnerung hast.“ Eindringlich starrte sie die Prinzessin an; in ihren roten, weit aufgerissenen Augen stand blankes Entsetzen, wie Zelda es bei ihr noch nie gesehen hatte. Mit Inbrunst sprach Impa: „Er hat sich in etwas ganz Abscheuliches verwandelt.“
„Ich weiß“, erwiderte die junge Frau flüsternd.
Impa entspannte sich – ein wenig zu sehr, als dass es nur von Erleichterung herrühren konnte. „Gibt es eigentlich irgendetwas, das du nicht über ihn weißt?“
„Ich weiß nicht viel mehr als deine Prinzessin.“
Ein bitteres Lächeln umspielte die Lippen der Shiekah. „Meine Prinzessin …“ Ihre Mundwinkel sanken wieder hinab. „Kannst du mich mit ihr sprechen lassen?“
„Es ist möglich“, erklärte das fremde Bewusstsein, „aber ich weiß nicht, ob ich dann weiterhin in ihrem Körper bleibe.“
„Bitte. Es ist mein letzter Wunsch“, insistierte Impa flehentlich.
Ihr Gegenüber zögerte, aber der fast schon wehleidige Blick der Kriegerin erweichte dann doch sein Herz. Es senkte den Kopf, schloss die Augen, überließ dem Geist, dem der Körper eigentlich gehörte, wieder die Kontrolle.
Prinzessin Zelda, nun wieder die echte, blinzelte verwirrt, wurde dann aber ihrer Vertrauten gewahr und erschrak. „Impa! Was … was ist passiert?“ Ihre Augen huschten über all die Wunden. „War das etwa …?“ Schnell verstummte sie wieder, schluckte schwer. „Wie hast du es überhaupt hergeschafft?“, brachte sie schließlich einen ganzen Satz zustande.
Impa schenkte ihr ein schwaches, verschlagenes Grinsen. „Das ist ein Geheimnis für alle, die nicht darin eingeweiht sind.“
Verärgert verzog die Prinzessin die Augenbrauen und legte sich eine Hand auf die Brust. „Weiß sie es?“
„Vermutlich.“
„Das ist alles ihre Schuld!“, rief Zelda zornig aus. „Dich alleine zu schicken war ihre Idee! Ich hätte sie nie um Hilfe bitten sollen.“ Schlechten Gewissens wandte sie den Blick ab.
Mit sanfter, heiser werdender Stimme sprach Impa: „Bitte, seid nicht wütend auf Euch selbst. Ich glaube, dass sie weiß, was sie tut.“
Das brachte die echte Prinzessin nun ganz in Rage. „Wenn sie das wirklich wüsste, wären wir jetzt nicht in dieser Situation!“
„Da würde sie Euch gewiss zustimmen“, meinte die Kriegerin, stöhnte müde, und ihr Kopf sackte zur Seite.
Erschrocken japste Zelda auf. „Impa!“
Ihr Name ließ die Shiekah aufhorchen, und sie kam wieder zu sich – zumindest vorerst. Ihre Augenlider flatterten unkontrolliert; nicht mehr lange, bis sie wieder zufielen und diesmal für immer geschlossen blieben.
„Du brauchst unbedingt Hilfe!“, bestimmte die Prinzessin. Schon war sie halb aufgesprungen, wurde aber von Impa selbst am Unterarm zurückgehalten.
„Bitte … lasst mich nicht allein.“ Die roten Augen der Shiekah waren wieder klarer geworden, blickten aber glasig geradeaus. Zelda fiel auf, dass Impa die linke Hand nach ihr ausgestreckt hatte, obwohl sie auf der anderen Seite der Kriegerin saß. Die Rechte lag nur unbewegt da, und tatsächlich hatte Impa sie noch gar nicht gerührt, seit sie in der Zitadelle angekommen war. Die Prinzessin wollte die Hand mit der ihren umfassen, doch Impa kam ihr zuvor, indem sie sie hastig mit der Linken ergriff.
Die Blicke der beiden Frauen begegneten sich. Impa atmete flach, und auch wenn ihr Griff warm und fest war, zitterte sie. Ihre Vertraute so schwach zu sehen, trieb Zelda die Tränen in die Augen.
„Nicht doch“, sagte Impa sanft und tätschelte ihr liebevoll den Kopf, wie sie es oft getan hatte, als ihre Herrin noch ein Kind gewesen war. „Weine nicht um mich, kleine Prinzessin. Ich sterbe, wie ich gelebt habe, wie es sich für eine Shiekah geziemt: Im Dienste der Krone. Und du bist bei mir. Was könnte ich mir schon anderes wünschen?“
Und mit diesen Worten und einem leichten, glücklichen Lächeln auf den Lippen, starb die ruhmreichste Angehörige des hylianischen Schattenvolkes.
„Nein.“ Die Stimme der Prinzessin war nicht mehr als ein Hauchen, ihre Tränen begannen zu fließen. „Impa!“ Stürmisch umarmte sie die Shiekah, deren Kopf schlaff auf ihre Schulter sank. „Oh, bitte nein! Nicht!“ Verzweifelt klammerte sich Zelda an ihre Vertraute, wollte sie nicht gehen lassen.
Durch ihre weißen Seidenhandschuhe spürte sie klebrige Nässe am Rücken der Verwundeten. Verschwommen erkannte sie ihre blutverschmierten Finger und die rote Schmierspur an der Säule. Als sie bemerkte, welche Ausmaße die Wunde an Impas Schulter wirklich hatte, ließ sie sie los, zog sich eilig die Handschuhe aus, versuchte, das Blut an den trockenen Stellen des Seidenstoffes abzuwischen. Sodann warf sie sie nieder, kroch auf Abstand zu der Toten, zog die Beine an und schluchzte. Prinzessin Zelda weinte nicht um die Shiekah, nicht um die langjährige Dienerin der Königsfamilie. Sie trauerte um ihre Zofe, ihre Vertraute, ihre beste Freundin.
Plötzlich, als sei alles Leiden von ihr gewichen, hörten ihre Schultern zu beben auf, und das fremde Bewusstsein übernahm wieder die Kontrolle. Es ließ die Beine sinken, sodass es lockerer saß, und wischte sich die Tränen fort. „So leid es mir tut, aber ab hier muss ich wieder übernehmen“, murmelte die Prinzessin zu sich selbst.
Wobei sie nun begann, sich zu fragen, wozu sie überhaupt noch hier war, und Verzweiflung verfinsterte auch die Gedanken des fremden Bewusstseins. Mit Impa hatte sie ihre stärkste Figur in diesem Spiel um den Frieden Hyrules verloren. Die Kriegerin hatte ihren Gegner nicht bezwingen können, und nun gab es niemanden mehr, der diesem Ziel auch nur würde nahe kommen können.
„Prinzessin?“
Benommen sah die Angesprochene auf. Neben ihr hatte sich Hendrik, einer der beiden Soldaten vom Eingang der Zitadelle, in die Hocke gelassen. Obwohl nur knapp zehn Jahre älter als seine Herrin, war er dank seines kämpferischen Geschicks und vor allem seiner einfühlsamen Ader früh zum königlichen Leibwächter geworden. Seiner besorgten Miene war abzulesen, dass er die Prinzessin schon häufiger angerufen und keine Antwort von ihr erhalten hatte.
„Stimmt etwas nicht?“, wollte Hendrik nun genauer wissen. „Verzeiht, dass ich gegen Euren Befehl verstoßen habe, aber wir haben draußen gehört, wie Ihr nach der Ehrenwerten Impa gerufen habt … Sie ist noch nicht erschienen. Kann ich vielleicht …“ Der Soldat verstummte, als er das Blut am Mieder seiner Herrin sah. „Prinzessin! Seid Ihr verletzt?“
Träge schüttelte Zelda den Kopf und deutete zu der Toten hinüber, die nicht viel mehr als eine Silhouette in den Schatten war.
Hendrik riss die Augen auf. „Ehrenwerte Impa!“ Nach einem letzten prüfenden Blick auf die Prinzessin sprang er auf und stürmte zu der Kriegerin, die ihn zum Leibwächter auserkoren hatte. Routiniert tastete er an ihrem Hals nach einem Puls.
„Es hat keinen Zweck. Sie ist tot.“ Das Beben in Zeldas Stimme war nicht einmal ganz gespielt. Als sie aufstand, löste sich eine letzte Träne aus ihrem Augenwinkel, die sie sogleich mit dem Handrücken entfernte. Sie rückte die Krone zurecht, die vorhin etwas verrutscht war.
Indes hatte Hendrik Impa von der Säule weggezogen und legte sie jetzt vorsichtig auf den Rücken. Sprachlos hockte er neben ihr, die Hand ungläubig auf den Mund gepresst. Seine Herrin, von der er nicht wusste, dass sie gerade nicht die Person war, für die er sie hielt, trat neben ihn. „Verzeiht, dass ich meine Fassung verloren habe. Sie … hat mich ausgebildet.“ Die Prinzessin reichte ihm ein mit hylianischen Stickereien verziertes, seidenes Taschentuch, das sie jederzeit bei sich trug und vor geistiger Entrückung nicht für ihre Tränen benutzt hatte. Der Soldat nahm und entfaltete es, legte es der Toten über das reglose Antlitz.
Hendrik sah zu Zelda auf, fragte mit belegter Stimme: „Was ist nur geschehen?“
Aber die Prinzessin blieb ihm eine Antwort schuldig. „Rufe deinen Kollegen herein. Er soll dir helfen, Impa ins Schloss zu bringen, möglichst bevor die Stadt erwacht.“
Unter dem Scheppern seiner Rüstung sprang Hendrik sofort auf und verneigte sich ehrerbietig. „Sehr wohl, Prinzessin.“ Schnell beeilte er sich, dem neuen Befehl nachzukommen.
Die junge Frau sah ihm nach, bis ihre Aufmerksamkeit von etwas anderem in Anspruch genommen wurde: Dem Gegenstand, den Impa ihr überreicht und die echte Prinzessin fallengelassen hatte.
Dem fremden Bewusstsein kam eine gewagte Idee. Unlängst hatte es die Geschichte Hyrules nicht nur über Bücher, sondern auch mithilfe seiner besonderen Fähigkeiten studiert. Was ihm in den Sinn gekommen war, war prinzipiell möglich, aber … durfte es das überhaupt tun? Jemand Unwissenden seiner Zeit entreißen? Daraus erwuchs nie etwas Gutes.
Noch war Hendrik nicht ganz zum Torbogen der Zitadelle hinaus, als Zelda ihn noch einmal zurückrief. „Bevor ihr das macht, beschafft mir in der Stadt irgendwelche Ersatzklamotten“, revidierte sie ihre Anweisung von zuvor und verwies auf ihr blutbeschmiertes Kleid.
Der Soldat verbeugte sich. „Verzeiht, Prinzessin, aber um diese Uhrzeit hat noch kein Geschäft …“
„Das ist mir einerlei!“, unterbrach Zelda ihn barsch und bereute es sogleich. Die Prinzessin, die Hendrik kannte, hätte niemals so aggressiv zu ihm gesprochen. Etwas ruhiger fuhr sie fort: „Klopft irgendjemanden aus dem Schlaf und sagt, dass die Prinzessin euch schickt. Ich übernehme die volle Verantwortung.“
Wieder verneigte sich Hendrik gehorsam. „Sehr wohl, Prinzessin.“ Er wandte sich ab und ging.
Die Zurückgebliebene atmete durch, schritt auf den Gegenstand zu. Sie hob ihn auf, wischte das Blut weg, das die Finger der Shiekah und ihrer Herrin darauf hinterlassen hatten.
Impa war also gescheitert, Rutos und Darunias Mörder zu fassen. Das kam unerwartet und verlangte von dem fremden Bewusstsein, noch drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Aus den Augenwinkeln blickte Zelda zu der Kriegerin und versprach ihr: „Ich werde jemanden finden, der nicht nur deine Aufgabe weiterführt, sondern auch deinen Tod rächt. Du sollst nicht umsonst gestorben sein!“
Sie trat an den Altar der Zitadelle der Zeit, führte das mystische Instrument zum Mund und beschwor einen Helden.Die Nocturne des Schattens aus Ocarina of Time
Da dieses Lied im Spiel dazu genutzt wird, zum Schattentempel zu gelangen, steht es mit der Weisen der Schatten, Impa, in Verbindung. Außerdem ist dieses Kapitel auch ein sehr „schattiges“, bzw ist es in der Zitadelle der Zeit uhrzeitbedingt noch dunkel. Und eine gewisse Person hüllt sich in Schatten …
Tatsächlich habe ich zu diesem Kapitel nicht sonderlich viel mehr zu sagen als die Titelbedeutung =/
Außer vielleicht: Es ist, wie man erkennen mag, zwar die Fortsetzung von Ariette der Zeit, setzt aber nicht unmittelbar zu dessen Ende an. Zwischen Ariette und Symphonia liegen etwa zwei Jahre. -
Einleitung 3: Zeldas Wiegenlied
Den Rückweg zur Portalfliese konnte Link ohne weiteres nicht rekapitulieren. Dafür war sein letzter Aufenthalt auf jener Lichtung zu lange her, und er war im Rudel zu weit im Gebirge herumgestreunt, um sich im Wald zu dessen Füßen noch orientieren zu können. Gewiss hätte er sie durch intensive Suche wiedergefunden, doch hatte er das nicht nötig: Epona brachte ihn zielstrebig und verlässlich an sein Ziel.
Sein Gepäck war noch genau da, wo er es vor Monaten versteckt hatte. Obwohl in der Satteltasche verstaut, hatte alles darin ein wenig Staub angesetzt. Was aus Metall gefertigt war – allem voran die Schmirgelklinge und der Heroenschild –, war schwarz angelaufen, und Link musste es wieder aufpolieren; seine ledernen Gürteltaschen, der Waffengurt, der Köcher und die Geldbörse hingegen hatte das frostige Wetter spröde und unbrauchbar gemacht, also entsorgte er sie kurzerhand.
In einer Bergsiedlung ersteigerte er in einem Geschäft für Lederwaren Ersatz für die verlorene Ausrüstung und genehmigte sich zusätzlich ein Paar fingerloser Stulpenhandschuhe.
Die anfänglich freundliche Ladenbesitzerin trieb er bis zur Weißglut, da er unnachgiebig darauf bestand, dass alles, was er kaufte, aus Hirschleder bestehen musste. Die aus Wolfshaut und -fell gefertigten Exponate lehnte er starrköpfig ab. Und versuchte das Geschwätz der Frauen im Dorf zu überhören: Deren Männer nutzten das milder werdende Wetter, um länger als sonst vom heimatlichen Hof fortzubleiben. Manche der Bewohnerinnen warfen ihnen vor, ein bloßes Hirngespinst zu verfolgen, ähnlich des riesigen Schneemenschen, der angeblich in den verschneitesten Höhen der Berge wohnte. Andere wünschten ihnen viel Erfolg bei der Jagd nach dem in der ganzen Umgebung zum Mythos gewordenen Goldenen Wolf.
Auch in all der Zeit vom Tier verdrängt war Links menschliche Gestalt weitergewachsen. Nicht nur musste er deswegen die hoffnungslos zu klein gewordenen Stiefel austauschen; auch das altgediente Kokiri-Gewand war ihm zu kurz und gerade um die Schultern zu eng, stünde ihm jetzt bestenfalls als Unterhemd. Allein die dazugehörige Zipfelmütze passte noch. Mehrere Siedlungen musste der Hylianer aufsuchen, ehe er einen Stoff mit dem richtigen Grünton fand. All seine Ersparnisse gab er dafür her, einen Schneider zu bezahlen, der ihm eine Tunika mit demselben Schnitt wie sein bisheriges Gewand fertigte. Dabei orderte er sie gleich ein wenig größer als momentan noch nötig, weil zu erwarten war, dass er darin hineinwuchs. Fehlten noch zwei Jahre, dann würde er sich selbst eingeholt haben.
Seit Link das Kokiri-Dorf auf seiner Suche nach Navi verlassen hatte, waren vier Jahre vergangen. Mit der Kleidung, die er sich seitdem zugelegt hatte, trat er nun in derselben Montur auf wie in einer anderen Zukunft. Der Held der Zeit war zurückgekehrt.
Den Edelmut seiner Intentionen prüfte Link am Feenschwert, indem er es fest in beiden Händen hielt und sich auf das Vorhaben konzentrierte, das ihn auf erzwungenen Umwegen zu Navi bringen würde. Der heilige Zauber, mit dem die Waffe erfüllt war, deutete nicht an, ob es seinem guten Geist missfiel, was er im Herzen des Helden las.
Link schnallte sich das magische Schwert auf den Rücken neben die rote, mit goldenen Rauten verzierte Scheide der unverwüstlichen Schmirgelklinge. Ein neuer, gut bestückter Köcher und der Heroenbogen machten die Bewaffnung komplett. Mit den Schwerttechniken, die selbst gegen Ritter unfehlbar waren, und den Lichtpfeilen, die alles Böse vertrieben, war sich Link sicher, dass er kein legendäres Bannschwert gegen Ganondorf brauchen würde. Falls alle Stricke reißen sollten, steckte er sich eine heilende Fee in einer Flasche ein. Zur Verteidigung sollte ihm der Spiegelschild aus Termina dienen, der die magischen Angriffe des Hexers besser abzuwehren imstande war als der Heroenschild.
Den Rest seiner Besitztümer, inklusive der Okarina der Zeit, versteckte Link wieder in demselben immergrünen Strauch wie vor dem Winter. Bevor er auch den Heroenschild dazulegte, betrachtete er diesen, erinnerte sich daran zurück, wie er ihn erhalten hatte. Kaum konnte der Held es glauben, dass dieser Tag schon über fünf Jahre her war, an dem er sich auf den Rückweg ins Kokiri-Dorf gemacht hatte. Nachdem es ihm und der kleinen Prinzessin gelungen war, ihren Vater davon zu überzeugen, Ganondorf und seine Hintergründe genauer zu untersuchen, hatten sich die beiden Kinder schmerzlich voneinander getrennt. Zu Links Erstaunen hatte ihm Zelda zum Abschied die Hände auf die Schultern gelegt; über diese sonderbare Geste noch verwundert, hatte sich Links Verstand ganz ausgeklinkt, als sie ihm einen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte.
Hastig hatte sie sich abgewandt und verlegen etwas gemurmelt, worauf Link, versunken in einer Tagträumerei, gar nicht geachtet hatte. Melancholisch dachte er nun zurück daran, wie er sich damals gewünscht hatte, in derselben Situation, aber sieben Jahre in der Zukunft zu sein.
Mit hochrotem Gesicht hatte ihm Prinzessin Zelda sodann den Schild überreicht. Weiterhin nuschelnd, aber nun mit Links Aufmerksamkeit, hatte sie ihm erklärt, was es damit auf sich hatte: „Der ist für ein Kind viel besser geeignet als der Hylia-Schild, weil er kleiner und leichter ist. Aber ich wollte, dass er ein bisschen danach aussieht.“ Auch Link war die Ähnlichkeit zu dem Schild aufgefallen, den er als Erwachsener auf der anderen Seite der Zeit benutzt hatte. Auf royalem Indigoblau prangte jedoch statt des üblichen stilisierten Vogels, der ein Triforce-Symbol sinnbildlich beschützte, eine rote Eule. Laut Zelda war dies ein Geschenk von ihr und dem Weisen Rauru, weswegen dessen Wappentier darauf abgebildet war.
Auf der anderen Seite der Zeit, ja sogar vor Links sieben Jahre währendem Schlaf hatte Rauru ihm in Gestalt der Eule Methusa auf seiner Reise durch Hyrule geholfen. Auf dieser Seite hatten Held und Weiser noch nichts miteinander zu tun gehabt, waren einander nicht einmal begegnet, daher war Link erstaunt darüber gewesen, von ihm diese Art der Beachtung zu erhalten. Seitdem Link durch Ganondorf erfahren hatte, dass die Urweisen, zu denen Rauru ebenso zählte wie zu ihren Nachfolgern, noch am Leben waren, vermutete er, dass der Schild ein Dankesgeschenk gewesen war. Weil Link die Lebensgefahr, die von dem Gerudo-König ausgegangen war, von den Weisen abgewendet hatte.
Behutsam schob Link ihn unter den Strauch. Gern würde er beweisen, dass er als Held eines hylianischen Heroenschildes wirklich würdig war, indem er ihn auch jetzt mit sich nahm. Doch war Effizienz in einem Kampf, wie er ihm bevorstand, wichtiger, als Stoff für Legenden zu schaffen.Der Abschied von Epona fiel so herzlich aus wie eh und je, und das Pferd wünschte seinem Reiter bestes Gelingen. Bei seinem Wiedereintritt ins Heilige Reich hegte Link natürlich die Hoffnung, dass es ihn nicht automatisch in einen Wolf verwandeln würde, doch wurde diese zu seinem Leidwesen nicht erfüllt. Resigniert ließ er sich neben dem Portal nieder und atmete tief durch. Der Zeitpunkt war gekommen. Nun würde sich zeigen, ob auch die Welt, die ihm überhaupt erst die Tiergestalt gegeben hatte, einen bewussten Formwandel zuließ.
Die Melodie des Lieds der Befreiung, gesungen unter einem sternlosen, mondhellen Nachthimmel, hallte durch Links Geist. Ein unangenehmer Druck legte sich auf seinen ganzen Körper, als ob sich etwas gegen seine mentalen Bemühungen stemmte. Das Heilige Reich weigerte sich, seine vorgesehene Wirkung auf ihn einfach so aufzugeben. Aber die Willenskraft des Helden war stärker, und geschlagen erkannte es ihn als seinen Bezwinger an.
Selbstzufrieden betrachtete Link seine menschlichen Hände auf dem saftig grünen Hintergrund der grasbewachsenen Hügel. Entschlossen ballte er sie zur Faust. Jetzt stand ihm nichts mehr im Wege!
Auch die Verwandlung zum Wolf fühlte sich an wie gewohnt. Auf vier schnellen Raubtierpfoten machte er sich auf in die Weiten des Heiligen Reiches.
Nachdem Impa so unsicher gewirkt hatte, was die Durchgehbarkeit des Schattenspiegels betraf, hatte Link keinen Garant dafür, dass Ganondorf diesen nicht doch gefunden und die unwirkliche Dimension verlassen hatte. Vielleicht hielt sich der finstere König bereits wieder in der echten Wüste auf und bereitete eine erneute Übernahme Hyrules vor. In dem Fall würde Link wieder ganz neu umplanen müssen. Sicherlich keine Schwierigkeit, die der Held der Zeit nicht meistern könnte, aber diese Überlegungen schob er vorerst beiseite. Er würde noch früh genug dazu kommen, darüber nachzusinnen, wenn er Gewissheit über die Lage hatte. Sollte Ganondorf hingegen tatsächlich noch im Heiligen Reich sein, zweifelte Link sehr daran, dass er sich noch am selben Ort aufhielt wie zu dem Zeitpunkt, da die beiden auf Impa gestoßen waren.
Das endlose Grasland bot noch immer keine Anhaltspunkte zur Orientierung, und auch weiterhin hatte Link sie nicht nötig. Hyrules Nebendimension selbst leitete ihn: Die vorherrschende Windstille trug ihm Gerüche zu, die unmöglich vom Großmeister des Bösen stammen konnten; die bunte Spur, die sich aus mehreren zusammenbaute, war jedoch noch zu schwach und in der Luft zu vermengt, um einzelne darin unterscheiden zu können.
Ihr folgte Link, bis er an die Erdspalte gelangte, die er vor Monaten mit Ganondorf überquert hatte. Er glaubte nicht, dass ihn seine Erinnerung trog, vermutete eher, dass er an einer anderen Stelle war, denn die Lücke zwischen den beiden Teilen des Heiligen Reiches schien weiter aufzuklaffen als damals. Hier hätte es der ungeübte Wolf nicht mit einem Satz hinübergeschafft – jetzt sprang Link mit Leichtigkeit über den Abgrund.
Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass der schattige Rauch in der Tiefe dunkler war und näher an der Oberfläche lag als beim letzten Mal.
Entlang der Grenze, an der die Ebene nach und nach in das Gebiet überging, das stellvertretend für die Wüste des echten Hyrule stand, suchte Link nach dem Ort, an dem er Ganondorf zurückgelassen hatte. Wo die beiden unterschiedlich gefärbten Grassorten in gleichem Anteil wuchsen, fand er zuallererst die düsterviolette Note der Dunkelheit geheimer Kellergewölbe, die von würzigem Rauch erfüllt war. Die anderen bunten Gerüche waren von hier aus durch den Luftraum diffundiert und daher an dieser Stelle kräftiger. Link filterte den grünen Duft vor Leben singender Baumwipfel auf, unter denen unbedarftes Kinderlachen hallte.
Die beiden Witterungen verliefen mit vier weiteren nebeneinander her wie ein Regenbogen – und darin, ohne sich mit ihrer Reinheit zu vermischen, ihre Harmonie störend, lag grauschwarzer, erstickender Gestank. Wie tote Asche, die ganze Landschaften bedeckte, nachdem ein alles verzehrender Brand darin gewütet hatte, bis er alles Leben vernichtet hatte und anschließend selbst an der eigenen Gier zugrunde gegangen war.
Diese Spur führte Link tiefer in die Wüste hinein, weiter, als er beim letzten Mal gekommen war. Das saftige Ebenengras war mittlerweile völlig von dem trockenen Bewuchs abgelöst worden, als dem wandernden Wolf etwas am nahen Horizont ins Auge fiel. Das farbenfrohe Band wurde allmählich stärker, während der graue Geruch an Intensität einbüßte. Link lief langsamer, bis er näher heran war an der einzigen Landmarke weit und breit und sie genauer in Augenschein nehmen konnte.
Am auffälligsten waren die sechs Säulen, die im Kreis in gleichmäßigem Abstand zueinander angeordnet waren. Mit ihren je sechs Kanten wirkten sie, als seien sie übermannshoch aus dem Boden heraufgestiegen, der bedeckt war mit einem Wabenmuster hexagonaler Fliesen in denselben Maßen wie der Säulenquerschnitt. Auch die gepflasterte Fläche selbst, groß wie ein Dorfplatz, war sechseckig. Alles war in makellosem, weißem Marmor gehalten. Der Geruchsregenbogen spaltete sich hier in seine Komponenten auf und verteilte sich auf die Pfeiler, sodass sie den Aschegestank umschlossen.
Inmitten der Marmorkonstruktion saß Ganondorf auf dem Boden, als hätte er gerade noch gestanden und sich eben erst resigniert niedergelassen. Das Schwert aus Licht in seiner schwarzen Scheide lag unbeteiligt neben ihm. Als Link auf die Fliesen außerhalb des Säulenkreises trat und seine Wolfskrallen darüber kratzten, sah der Gerudo-König auf. In ehrlicher Überraschung zog er die Augenbrauen hoch. „Du bist es?“, fragte er nicht ohne den üblichen, spöttischen Unterton. „Wie lange ist es her? Verzeih mir die Frage, aber es ist schwierig, die Zeit abzuschätzen, wenn man untätig hier festsitzt.“
Misstrauisch, aber auch neugierig kam Link näher heran, schnupperte an einer der Säulen. Sie roch nach der roten Wärme rauer Höhlenwände aus Vulkangestein, das wankenden Füßen festen Stand bot. Ratlos blickte der Wolf zu Ganondorf hinüber.
Der gab sich erstaunt. „Du weißt nicht, was das ist?“ Anscheinend erwartete er tatsächlich eine Antwort von einem Tier, denn er sprach erst weiter, als dieses den Kopf schüttelte. Sarkastisch lachte der Gerudo-König: „Ich dachte, ein Wesen der Göttinnen sei allwissend.“ Mit herablassender, wegwischender Geste deutete er um sich. „Die Weisen wollten nicht, dass ich weiter frei hier rumlaufe, weil sie Angst hatten, ich könnte in ihr geliebtes Hyrule zurückkehren. Deswegen haben sie mich in diesen Käfig gesperrt wie einen Keiler, der ihnen in die Falle gelaufen ist.“
Während Link zuhörte, trottete er um den Säulenkreis herum. Also hatten es die Weisen mal wieder nicht geschafft, den Großmeister des Bösen hinzurichten. Nicht wirklich überraschend.
Der fuhr fort: „Dieses Gefängnis ist ein mächtiges, magisches Bannsiegel. Es stützt sich auf die Lebenskraft derer, die es gewirkt haben, daher ist es besonders widerstandsfähig. Ich vermute, dass wenn eine der Säulen zerstört würde, der eine Weise, der sie aufgestellt hat, mit ihr stürbe. Du wirst verstehen, dass ich einen persönlichen Groll gegen dieses Pack hege, daher habe ich natürlich mein Bestes versucht, durchzubrechen.“ Mit einem Fingerzeig machte der Gerudo-König Link auf den Pfeiler aufmerksam, vor dem er gerade angekommen war. Die blaue Frische auf einer Seeoberfläche wogender Wellen, die bemooste Ufersteine sanft umspülten, ging davon aus. In dem sonst unversehrten Marmor zeigten sich auf etwa halber Höhe winzigste Risse. Ganondorf seufzte zornig: „Wie du siehst, konnte ich nicht viel ausrichten. Da bringe ich mich nur selbst um, bevor ich auch nur einen Splitter rausschlage, trotz allem.
Und selbst wenn …“, zischte er. „Alles an diesem Käfig ist sechseckig, nur nicht der Siegelzauber selbst. Ich weiß nicht, ob du ihn irgendwie wahrnehmen kannst, aber ich spüre ihn als Kuppel über mir und als Wand um mich herum. Und zwar kreisförmig statt sechseckig.“
Link ging auf den leeren Luftraum zwischen zwei Säulen zu, tastete sich vorsichtig mit der Schnauze voran. Tatsächlich war da etwas ganz Schwaches, unter dem Regenbogen- und Aschegeruch selbst für seine Wolfssinne kaum registrierbar: Der helle, liebliche Duft nach einem kleinen, blühenden Garten inmitten der Geborgenheit schützender Mauern; nach zwei schicksalhaften ersten Begegnungen; nach tiefen Gefühlen, die über den Abgrund der Zeit von beiden Seiten unerwidert blieben. Auch wenn er diesen Geruch als Wolf noch nie aufgenommen hatte, hätte Link ihn unter tausenden wiedererkannt.
In schmerzlichen Erinnerungen versunken bekam er kaum mit, dass Ganondorf weiter erklärte: „Ich verstehe einiges von Magie, daher kann ich sagen, dass dieses Siegel keine direkte Schwachstelle hat. Es ist so konzipiert, dass es, wird ein einzelner Pfeiler zerstört, in seiner Gesamtheit nicht geschwächt wird. Auch wenn nur noch einer übrig bleibt, wird es weiterbestehen. Erst, wenn alle sechs entfernt sind, kann der Zauber gebrochen werden.“
Vielleicht war das nicht nötig, überlegte Link. Möglicherweise konnte das Feenschwert die Magie zwischen den Säulen durchschneiden. Andererseits befand sich auch in Ganondorfs Besitz eine ungewöhnliche Waffe, und der Gerudo-König hatte diese Option gewiss bereits ausprobiert. Link selbst durfte es noch nicht versuchen, da er seinen Vorteil, dass sein Gegenüber nicht wusste, um wen es sich bei dem goldenen Wolf eigentlich handelte, nicht verlieren wollte.
Mit widerwilliger Bewunderung sprach Ganondorf: „Ich muss zugeben, diese neuen Weisen werden ihrem Titel gerechter als die Tattergreise in der Wüstenburg. Sie haben gleich ein Siegel erschaffen, das sich so leicht nicht brechen lässt.“
Hellhörig stellte Link die Wolfsohren auf, prüfte die Pfeiler nun auch mit den Augen, nicht nur mit der Schnauze. Bei jeder Säule individuell, war auf den sechs Flächen jeweils ein Zeichen eingemeißelt, das der Held nur zu gut kannte: Es waren die Symbole auf den Amuletten, die er auf der anderen Seite der Zeit von den Weisen als Sinnbild ihrer Unterstützung erhalten hatte – von den Weisen, die er dort erweckt hatte, aber nicht auf dieser Seite der Zeit. Hier konnten sie nichts von ihrem Schicksal wissen. Zumindest bisher.
„Und sie haben einen grausamen Sinn für Humor“, knurrte Ganondorf, und seine Stimme troff vor Sarkasmus. „Sie finden es wohl sehr witzig, mich ausgerechnet hier festzusetzen, den Schattenspiegel in greifbarer Nähe.“ In der Ferne waren weitere, vermutlich ebenfalls im Kreis aufgestellte Säulen zu sehen. Auch von hier aus war unschwer abzuschätzen, dass der Platz, den sie umschlossen, noch einmal größer war als Ganondorfs Kerker. Noch viel höher reichten sie in den Himmel, als würden sie ihn tragen, und waren von etwas bekrönt, das auf die Entfernung nicht erkennbar war.
Dort befand sich also der Schattenspiegel, Ganondorfs ehemals einziger Ausweg aus dem Heiligen Reich, der ihm jetzt, da er in diesem Gefängnis festsaß, auch noch versperrt war.
Auf seiner Umrundung war Link an einer weiteren Säule angekommen, die ockergelb roch wie ein über Sandhügel streifender Wüstensturm, der die Willenskraft eines einsamen Wanderers prüfte. Abschätzend legte der Wolf den Kopf schief, beäugte die blank geschliffene, weiße Oberfläche. Indem er das Maul aufriss, schnappte er zu, schloss die Kiefer um eine Kante, sodass seine Raubtierzähne unangenehm über den Marmor knirschten. Das musste er gar nicht lange ertragen, denn die mächtige Abwehrmagie durchfuhr ihn als vernichtender Blitz. Wie von einer riesigen, unsichtbaren Faust getroffen, wurde Link von der Säule fortgeschleudert und schlug hart auf dem Boden auf.
Ungerührt blickte Ganondorf ihm nach, betrachtete dann die völlig unversehrte Säule. Als rede er mit sich selbst, murmelte er nachdenklich: „Naboru, diese Verräterin. Hat wirklich geglaubt, ich würde nicht bemerken, wie sie im Geheimen gegen ihren König rebelliert. Ich hätte mich ihrer schon vor Jahren entledigen sollen … Ihre neuen Freunde wissen bestimmt von ihr, wie man einen Gerudo am besten foltert. Verdurstend, mit der rettenden Oase unerreichbar vor Augen.“
Link hatte kein Ohr für Ganondorfs Selbstmitleid – auch wenn er nur zu genau nachfühlen konnte, wie es war, kurz vor dem Ziel weitere, augenscheinlich unüberwindliche Hürden in den Weg gelegt zu bekommen. Er lag auf dem Marmorpflaster, zitterte vor Schmerz und Wut. Hatte er etwa den ganzen Winter im Wald unter Wölfen gelebt, nur um hier und jetzt vor diesen unzerstörbaren Pfeilern umkehren zu müssen?
Ein Knurren donnerte aus Links Herz in seine Kehle hinauf. Mit einem Sprung war er auf den Beinen und wieder an das Gefängnis heran, preschte zwischen zwei der Säulen durch auf seinen Erzfeind zu – und wurde sogleich von etwas Unsichtbarem aufgehalten. Es war nicht massiv wie eine Mauer, sondern es schien vielmehr so, als habe sich die Luft vor ihm urplötzlich verdichtet. Davon ließ sich Link nicht zurückschrecken und drängte weiter vor. Schwerfällig setzte er eine Pfote knapp vor die andere, als liefe er gegen einen Sturm. Seine Krallen fuhren über den glatten Marmorboden, suchten in den Fugen vergeblich nach Halt. Vor Frust knurrte und bellte er, funkelte Ganondorf voll Hass an.
Befremdet beobachtete ihn der Gerudo-König. Wachsam stand er auf, hob dabei das Schwert mit auf und legte die freie Hand um den Griff, falls das scheinbar tollwütige Tier wider Erwarten durchbrechen sollte.
Der Widerstand vor Link wurde schließlich so groß, dass er nicht mehr genug Kraft aufbringen konnte, sich weiter dagegenzustemmen. Obwohl er kaum eine Wolfslänge vorangekommen war, zog er sich geschlagen zurück, schüttelte sich den Pelz. So sehr es ihm auch missfiel, musste er einsehen, dass er Ganondorf auf diese Weise das Triforce der Kraft nicht entreißen konnte. In diesem Kerker war er sicher vor jedem äußeren Zugriff. Und das Heilige Reich erbarmte sich nicht einmal für den auserwählten Helden dazu, daran etwas zu ändern.
„Ich weiß deine Bemühungen zu schätzen.“ Die Skepsis, die Ganondorfs Worte begleiteten, deutete darauf hin, dass ihm Zweifel kamen, ob der goldene Wolf ihm wirklich wohlgesonnen war. Dennoch entspannte er sich wieder, ließ vom Schwertgriff ab. „Aber ich habe es ja gesagt. Es ist zwecklos. Diese Säulen bleiben stehen, solange ihre Erbauer am Leben sind.“
Richtig. Die Erbauer der Säulen, die Schöpfer des Bannsiegels. Die einzigen, die Link jetzt noch helfen konnten, waren die Weisen. Immerhin war es ihr Schicksal, den Helden der Zeit darin zu unterstützen, das seine zu erfüllen.
Die Blicke von Link und Ganondorf kreuzten sich für einen Moment, in dem der Großmeister des Bösen etwas von sich in seinem Gegenüber gespiegelt zu sehen glaubte. Der verwandelte Held umrundete die Säulen vollends und schlug die Richtung ein, aus der er gekommen war.
„Hey, räudiger Köter!“
Die erneute Beleidigung brachte Link dazu, stehenzubleiben und sich halb zu seinem Erzfeind herumzudrehen.
Der bedachte ihn mit unverhohlener Drohung. „Auch wenn es bedeutet, dass ich hier für den Rest meiner Tage vor mich hinschmoren werde: Die Weisen gehören mir, verstanden? Du wirst mir die Rache an ihnen nicht nehmen!“ Damit mochte er meinen, dass er vermutete, der von den Göttinnen entsandte goldene Wolf wolle die Absichten des Gerudo bei den Weisen verraten. Doch der Held verstand es auf Anhieb anders.
Link konnte dem Drang, Ganondorf für die unterschwellige Anschuldigung einen Lichtpfeil durch das eingeäscherte Herz zu jagen, nicht widerstehen. Kurz, bevor er sich dafür in einen Menschen verwandelte, lenkte ihn etwas von seinem Vorhaben ab: Das ohnehin schon trockene Steppengras um den gefliesten Platz ging weiter ein. Es bildete rundherum einen ausblassenden Kranz, der stetig breiter wurde, insbesondere an der Link zugewandten Seite. Ein Streifen sterbender Pflanzen kroch auf den falschen Wolf zu. Alarmiert wirbelte dieser herum und nahm Reißaus.
„Komm sofort zurück, du Mistvieh!“, brüllte Ganondorf ihm wütend nach, die Stimme schauerlich verzerrt.
Aber Link dachte nicht einmal entfernt daran, auf seinen Erzfeind zu hören. Fast, als würde er fliegen, flitzte er über das Steppengras hinweg, das ihm in seiner Tiergestalt eigentlich bis zur Brust gereicht hatte. Nun jedoch spürte er die sanfte Berührung der Halme nicht mehr; das Sterben breitete sich weiter aus, überholte den Flüchtigen und suchte auch den Rasen vor ihm heim. Die zarten Pflänzchen sanken zusammen, zerfielen zu feinem Puderstaub, sodass Links Pfoten bald auf dem kahlen Boden aufkamen und dünne Kringel aufwirbelten.
Unvorhergesehen erbebte die Erde, und ein Riss bildete sich plötzlich vor Link. Der registrierte ihn nicht rechtzeitig, vertrat sich den Vorderlauf darin und fiel sich überschlagend vornüber. Benommen stemmte er sich wieder auf die Pfoten, schüttelte sich und erhaschte einen Blick zurück. In seinem Marmorgefängnis war Ganondorf nicht mehr zu sehen, was nicht allein an der Entfernung lag, die Link in seinem Sprint zurückgelegt hatte. Zwischen den Säulen schien sich Qualm gesammelt zu haben, düsteres Licht flackerte darin, als verbrenne etwas unvollständig und gäbe das tödliche Gas ab. Obwohl Link so weit weg war, konnte er den Gestank bis hierher riechen.
Wieder vibrierte die Erde, als das, was sie in ihren Tiefen erschütterte, aus ihr ausbrach: Aus dem Riss, über den Link gestolpert war, stieg mit höllischem Röhren schwarzer Rauch auf, schoss wie eine Fontäne in den Himmel und verteilte sich dort als unheimliche Wolken. Zu keinem vernünftigen Gedanken fähig, sprang Link auf, fuhr noch in derselben Bewegung herum und hastete weiter.
Der Schreck, der ihm in die Glieder gefahren war, verlieh ihm zusätzliche Schnelligkeit, bewirkte aber auch, dass er die Orientierung verlor. Hatte er bis vor Kurzem noch geglaubt, es sei schon schwer, sich im endlosen Grasland ohne Wolfsschnauze zurechtzufinden, so hatte er nicht damit gerechnet, was dieser Untergang daraus machen würde. Der Bewuchs war schon längst restlos ausgelöscht, die Erschütterungen erfolgten immer stärker in kürzer werdenden Abständen. Überall ließen sie den Boden aufreißen, spien ihren steil aufsteigenden Rauch aus. Oft musste Link jäh die Richtung wechseln, sonst wäre er in vollem Lauf hineingeraten. Er wusste nicht, was passieren würde, wenn er doch mal damit in Berührung kam, und war auch nicht erpicht darauf, es herauszufinden. Das gepeinigte Donnern berstenden Gesteins dröhnte ihm in den Ohren. Der allgegenwärtige Gestank nach Tod und Verderben verstaubte ihm die Sinne, nahm ihm den Atem und raubte seinen Verstand. Wie ein verschrecktes Tier irrte der verwandelte Hylianer umher, suchte nach einem Ausweg aus dieser Hölle.
Und tatsächlich, wortwörtlich wie ein Lichtstrahl am Horizont blitzte durch die Dunkelheit ein Schimmer in seinem Augenwinkel. Sofort änderte Link den Kurs, noch bevor er richtig erkannt hatte, was das war: Ein Streifen klaren Himmels und saftigen Grases. Auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht herrschte, unberührt von der Verheerung in der Wüste, noch immer der stille Frieden des Heiligen Reiches. Panisch hielt Link darauf zu, lief jetzt als Wolf so schnell wie noch nie zuvor in all seinen Gestalten. Der ausgezehrte Boden platzte nun immer häufiger direkt unter seinen Pfoten auf, als versuche er absichtlich, ihn zum Stolpern zu bringen, damit die Rauchschwaden ihn verschlingen konnten.
Da erreichte Link endlich die Erdspalte zwischen Wüste und Ebene, die jetzt noch weiter aufklaffte als wenige Stunden zuvor. Nur mit dem allerletzten Schritt stieß sich Link knapp an der Kante ab und sprang über die Schlucht. Auch wenn er alle Kraft in seine Hinterbeine gelegt hatte, war es doch nicht genug, sicher auf der anderen Seite zu landen. Nur mit den Vorderläufen kam der Wolf auf, während die Hinterpfoten unter ihm über die steil abfallende Marmorwand kratzten. Doch sie fanden keinen Widerstand, an dem er sich hätte hochdrücken können.
Hinter Link waren auch die sich durch den Boden ziehenden Risse an der Klippe angekommen und ließen sie an mehreren Stellen aufbrechen. Rauch ergoss sich aus ihnen wie eine Flüssigkeit in den bereits qualmgefüllten Abgrund. Wie eine Springflut stieg die Dunkelheit rasend schnell zur Oberfläche empor auf ihr hilflos am Schluchtenrand baumelndes Opfer zu. In blinder Panik verwandelte sich Link in einen Menschen; das plötzliche Gewicht des Waffenarsenals auf seinem Rücken drohte, ihn in die Tiefe zu reißen. Das Gras fest mit den Händen gepackt, zog er sich mit einer verzweifelten Kraftanstrengung hoch. Rauch dröhnte hinter ihm in die Höhe in genau dem Moment, da er die Füße einzog, und verfehlte sie um Haaresbreite.
Sofort drehte Link sich herum, kroch rückwärts von der Schwärze fort aus Furcht, sie könnte wie eine Flutwelle über ihn hereinbrechen. Doch bildete sie nur eine undurchsichtige Wand, ohne Substanz, aber nichtsdestotrotz massiv. Links Husten gegen den Qualm, der sich in seinen Lungen festgesetzt hatte, ging allmählich zu schnappendem Keuchen über. Flach auf den Rücken gelegt kam der Hylianer allmählich wieder zu Atem. Sein Herz raste, Hand- und Fußflächen brannten wund, die Muskeln in seinen Gliedmaßen zuckten und schmerzten vor Erschöpfung.
Starr sah Link in den azurblauen Himmel hinauf. Körperliche Erschöpfung? So etwas gab es im Heiligen Reich nicht. Eigentlich.
Ungläubig setzte Link sich auf. Die Rauchwand vor ihm stieg unverändert aus dem Erdboden auf ohne nachzulassen, breitete sich aber auch nicht weiter aus, auch nicht über das Firmament. Wie es schien, hatten die Schatten zwar einen Teil des Heiligen Reiches zerrissen, waren hier aber an eine für sie unüberwindliche Grenze gestoßen.
Vor düsterer Vorahnung lief es Link kalt den Rücken runter. War das die Reaktion des Heiligen Reiches auf Ganondorfs dunkle Gedanken, oder schon Ganons dämonische Kräfte, die es gezielt zerstörten? Zumindest konnte Link davon ausgehen, dass der Großmeister des Bösen noch immer in seinem Kerker gefangen war. Andernfalls hätte er den Wolf nämlich gewiss weiter verfolgt und nicht an der Schlucht Halt gemacht.
So würde Link selbst wahrscheinlich auch nicht an ihn herankommen, aber das brauchte er auch nicht. Sobald Ganondorf frei wäre, würde dieser ganz allein einen Ort aufsuchen, an dem ihn der Held zu einem weiteren finalen Kampf herausfordern konnte.
Als Link sich von der Hetze einigermaßen erholt hatte, wurde er wieder zum Wolf, nahm Witterung auf und entfernte sich von der Schlucht.
Ganz am diesseitigen Rande der Spalte ging langsam der erste Grashalm ein.Die Spur, die Link verfolgte, verlief schnurgerade vor ihm her wie ein Strahl grellgelben Lichts, der, durch die Dunkelheit schneidend, nach einer neuen, leuchtenden Hoffnung suchte. Die Gerüche der Weisen, die Ganondorfs Gefängnis erschaffen hatten, waren nirgends mehr auszumachen – bis auf diesen letzten. Und Link war nur ein einziger Weiser bekannt, der dauerhaft im Heiligen Reich blieb.
Wieder so unermüdlich, wie es an diesem Ort üblich war, preschte er in die Richtung, die ihm seine Nase vorgab. Als die schwarze Rauchwand wie eine böse Erinnerung hinterm Horizont verschwunden war, erreichte Link den Tempel des Lichts. Hier hatte er auf der anderen Seite der Zeit sieben Jahre geschlafen und anschließend die von ihm erweckten Weisen versammelt. Währenddessen hatte er das heilige Gebäude jedoch noch nie von außen gesehen. Das Bollwerk aus weißem Marmor erhob sich aus dem dichten Grasteppich der Ebene als riesige Pyramide. Es schien wie aus einem einzigen, Gesteinsblock geschnitten zu sein statt aus einzelnen kleinen zusammengefügt.
Wie stille Wächter waren sieben weiße Eulenstatuen auf einer Seite aufgestellt und blickten in die Richtung, von der sich Link annäherte. Wachsam schlich er zwischen ihnen her, doch die steinernen Vögel mit den weit ausgebreiteten Schwingen regten sich nicht. Davon erst recht nervös geworden, folgte Link der Fährte noch weiter, bis sie an der Wand des Tempels abrupt abbrach. Da kein Eingang in Sicht war, versuchte der Wolf, dort zu graben, aber unter der Grasnarbe legten seine Vorderpfoten nur unantastbaren Marmorboden frei, der nahtlos in die Pyramide überging. Wieder in einen Menschen verwandelt, stapfte Link an dem Gebäude ungeduldig auf und ab, in der Annahme, der Weise darin würde auf die Anwesenheit eines Hylianers reagieren. Als auch das nicht eintraf, zückte er das Feenschwert, fuhr mit der kreischenden Spitze längs die Wand entlang. Akribisch lief er sie ab, gelangte an eine Kante der Pyramide und setzte seine Suche an der daran anschließenden Seite fort, die ebenfalls ohne Ergebnis blieb. Keinen Türspalt, keine Fuge, keinen Riss, nicht eine einzige Schwachstelle schien der Marmorkoloss zu haben.
„Komm raus, Rauru!“, rief Link mit grollender Stimme – seit er wieder die meiste Zeit in menschlicher Gestalt auftrat, war sie kräftiger als zuvor wiedergekehrt. Doch der Tempel blieb massiv und stumm, und diese Passivität zehrte an Links Nerven. Blindwütig begann er, mit dem Feenschwert auf den blütenweißen Stein einzuschlagen, aber die Opalklinge sprang nur davon ab, ohne auch nur einen Funken abzulösen. Widerwillig ließ ihr Träger von seinem fruchtlosen Unterfangen ab. Wahrscheinlich wussten ohnehin nur die Weisen, vielleicht sogar allein Rauru, wie man ein- und ausging, daher war es eigentlich sehr dumm, von außen gewaltsam einzudringen zu versuchen.
Zum Glück wusste Link um einen anderen Eingang im Inneren des Tempels. Dort lag ein Portal von ähnlicher Art wie der Schattenspiegel in der Wüste und die Fliese im Wald. Offensichtlich musste Link über die Zitadelle der Zeit ins Heilige Reich, in die Halle der Weisen, wo er schließlich und endlich auf Rauru treffen würde. Die Bitte an ihn, Ganondorf aus seinem Siegel zu befreien, war nur allzu absurd, das war Link natürlich jetzt schon klar. Er musste Rauru davon überzeugen, dass es mit dem, was der Gerudo-König der Wüste des Heiligen Reiches angetan hatte, dringlicher denn je war, ihn zu exekutieren. Da schon zwei Generationen von Weisen daran gescheitert waren, sollten sie jetzt wenigstens alles dafür tun, dass es dem dazu auserwählten Helden gelang.
Von Raurus Warte aus betrachtet würde Ganondorf, kaum wieder auf freiem Fuß, bevor er in das echte Hyrule zurückkehrte zuerst die gesamte Parallelwelt zerstören – und die war immerhin Raurus Heimat. Niemals würde der außerdem pflichtbewusste Weise des Lichts einem solchen Ansinnen wie dem Links nachgehen, welche im Grunde stichhaltigen Argumente der Held auch immer vorbrachte. Aber das war egal. Link war ein hochbegnadeter, unbesiegbarer Krieger, und Rauru nur ein gebrechlicher, untersetzter alter Mann. Sollte der Weise sich weigern, würde Link ihn eben dem Schutz des Heiligen Reiches entreißen und …
Der Gedanke war noch nicht ganz zu Ende geführt, als Link am Feenschwert in seinen Händen eine Veränderung feststellte: Das Schwarz der gemalten Rosen wurde matt, löste sich wie alter Lack und rieselte echten Blütenblättern gleich zu Boden. Innerhalb eines Wimpernschlags verlor die Klinge ihren prächtigen Opalglanz und die lebensfrohen Farben einer sommerlichen Blumenwiese. Ausgegraut und stumpf, glühte die magische Waffe auf, verging friedlich und ohne ein Geräusch in nebligen Äther. Dieser war noch in seiner völligen Auflösung inbegriffen, als Link eines weiteren, rosenfarbenen Schimmers gewahr wurde. Die eingepackte Fee hatte sich aus ihrer Flasche befreit, als sei ihr Schützling im Kampf tödlich verwundet worden. Anders als in einem solchen Fall umschwirrte ihn die kleine Lichtkugel nicht, um ihn zu heilen, sondern flog davon, ohne ihre Aufgabe erfüllt zu haben.
Kaum ein anderer Sinneseindruck erreichte noch seine Wahrnehmung, während Link ihr erstarrt nachsah. Alle Kraft wich aus seinen Beinen, und er sank auf die Knie, die verbliebene Ausrüstung schlug hinter ihm scheppernd aufeinander. Von blankem Entsetzen gepackt, keuchte er kurz und stoßweise, der eigene Puls dröhnte ihm in den Ohren. „N-Navi …“, stotterte er bebend und fast tonlos, als eine schreckliche Erkenntnis über ihn kam wie ein Gewittersturm über eine grasbewachsene Ebene.
Das Feenschwert, die Heilfee, ja die Gunst aller Lichtgeister hatte ihn verlassen. Kein einziges der reinsten Wesen aller Welten würde je etwas mit jemandem zu tun haben wollen, der solche Gedanken hegte wie er soeben. Auch wenn er sie sich aus ganzem Herzen vom Triforce herbeiwünschte, würde Link seine Navi niemals wiedersehen.
Noch im Knien verwandelte er sich in einen Wolf. Als Vierbeiner schon wesentlich leichter auf den unsicheren Füßen, wandte er dem Tempel des Lichts den Rücken zu und lief davon. Er achtete nicht darauf, in welche Richtung, wollte nur so schnell wie möglich weg von den Gefühlen, die sein Herz sich verkrampfen ließen. Diese waren nicht nur die Enttäuschung darüber, dass er das Ziel seiner Suche nun nie mehr erreichen würde, oder die Trauer um die Teile seiner Persönlichkeit, die er umsonst dafür aufgeopfert hatte. Vor allem versuchte er, der größten Form der Angst zu entkommen, die er als Held je erfahren hatte: Die Angst vor sich selbst. Und doch wusste er, wie sinnlos die Flucht war vor etwas, das er in sich trug.Das Heilige Reich führte Links Pfoten gutmütig zur Portalfliese zurück, durch deren Lichtsäule er sich in vollem Lauf stürzte. Auf der anderen Seite stolperte er noch einige Schritte weiter, benommen von seinem Durcheinander an Emotionen und der plötzlichen Verwandlung in einen Menschen. Epona auf der Lichtung zu sehen, trieb ihm Tränen bitterer Freude in die Augen. Die Stute schnaubte überrascht, aber nicht empört, als ihr Reiter auf sie zuwankte, sich wie ein Ertrinkender an sie klammerte und zitternd Trost bei ihr suchte. Sie stand still, umhüllte ihn mit der würdevollen Ruhe und Kraft einer uralten Eiche. Die Stirn fest an die ihre gedrückt, atmete Link ihren erdigen, erdenden Duft ein, der ihm half, das Chaos in seinem Inneren zu ordnen und im Ganzen zu betrachten.
Vier Jahre war er – mit ungewollten Unterbrechungen – seinem Ziel, dem einen Wunsch hinterhergejagt, wieder mit Navi zusammen zu sein. Seiner Fee, seiner Freundin. All sein Streben und seine Bemühungen dieser Zeit waren nun völlig bedeutungslos geworden mit diesem einen hasserfüllten Gedanken, der ihm als Held, nein, als Mensch niemals hätte kommen dürfen. Gewiss, als Wolf hatte er schon einmal einen Mann getötet, aber das war aus Angst und Hunger geschehen. Den Großmeister des Bösen ausschalten zu wollen, um ihm in seinem Tun Einhalt zu gebieten, war für einen Helden nur allzu natürlich. Jedoch, sich bewusst und aus eigennützigen Gründen so etwas vorzunehmen, machte unweigerlich zum Mörder, und es auch nur als Druckmittel zu planen ließ die Sache nicht besser aussehen. Ganondorf hatte mit seiner Anschuldigung wohl doch nicht so falsch gelegen.
Das Schicksal hatte Link immer wieder Steine in den Weg gelegt, und er hatte jeden davon überwunden – doch nun hatte er selbst die Pflasterung gewaltsam aus dem Boden gerissen. Jetzt, ohne einen Pfad, den es zu beschreiten galt, hatte Link sich selbst verloren – was in Teilen bereits geschehen war, als Navi ihn damals, als die beiden auf diese Seite der Zeit zurückgekehrt waren, allein gelassen hatte in einer Welt, in der er keine Identität besaß.
Dabei hatte Link in seinem Leben so viele davon gehabt: Seine ersten Lebensjahre hatte er geglaubt, ein Kokiri zu sein. In Termina war er immer wieder in die Gestalten eines Deku, Goronen oder Zora geschlüpft und hatte deren Rolle gespielt, um seine eigene zu erfüllen. Zuletzt hatte es ihn ins Leben eines Wolfes verschlagen, in dem er auf kurz oder lang nicht glücklich gewesen wäre. Nichts von allem war Link je gewesen, und auch mit ausgerechnet der Rasse, in die er geboren worden war, verband ihn so gut wie nichts. Zum Ritter taugte er nicht, weil die heuchlerisch bescheidene Existenz des Ordens für seine Ansprüche nur allzu gering war.
Das, was er wirklich wollte, war, der Held der Zeit zu sein. Darauf lief alles hinaus.
Mochte sein, dass sein ursprüngliches Ziel unerreichbar geworden war, aber deswegen aufzugeben stand einem Helden schon gar nicht zu Gesicht, erst recht nicht dem Träger des Triforce des Mutes. Die Akzeptanz und Anerkennung, die ihm für den Sieg über Ganon und damit die Rettung Hyrules gebührte, würde er auf dieser Seite der Zeit nie erhalten, und auch Navi brauchte er nicht dafür. Denn es gab bereits eine ganze Welt, in der er ein Held war.
Die Weisen würden Ganondorf bestimmt nicht aus ihrem Siegel befreien. Deswegen waren sie rein analytisch betrachtet nicht die Lösung, an den Großmeister des Bösen und sein Triforce-Fragment heranzukommen, sondern das Problem. Auch wenn manche von ihnen Links Freunde, die anderen immerhin Bekannte waren, musste er selbst dafür sorgen, dass er wieder zum Helden der Zeit wurde. Kostete es, was es wollte.
Plötzlich rührte sich Epona, entriss sich der Umklammerung und trat zurück. Verärgert stampfte sie mit dem Vorderhuf auf, stieß einen tiefen Ton aus, der fast wie ein Knurren klang. Mit nach hinten gedrehten Ohren blickte sie ihren Reiter unergründlich an, und Link beschlich das Gefühl, in ihren dunkelbraunen Augen Vorwurf zu lesen.
Das Vorüberstreichen der Jahre hatte er immer wieder am eigenen Leib beobachtet; zum ersten Mal fiel ihm jetzt auf, wie sehr auch Epona sich verändert hatte: Aus dem süßen kleinen Fohlen von der LonLon-Farm, das niemanden an sich herangelassen hatte, war ein stolzes, edles Schlachtross geworden, in dem Schönheit und Stärke in vollkommener Harmonie vereint waren. Sie war zu dem Pferd geworden, das Link auf der anderen Seite der Zeit geritten hatte – dadurch, dass sie zusammen aufgewachsen waren, verband sie jetzt unendlich mehr als in dieser anderen Zukunft. Natürlich spürte sie, was in ihm vorging, wie sie es immer schon getan hatte. Mit dem Vorhaben, das er gerade getroffen hatte, hatte der Junge aus dem Wald endgültig seine moralische Unschuld verloren, und die Fuchsstute wusste und verstand das sehr genau. Würde auch sie ihn nun verlassen?
Zögerlich streckte Link die Hand nach ihr aus, zuckte zusammen, als Epona einen dumpfen Schritt auf ihn zutrat. In der irrationalen Furcht vor dem, was auch immer kommen mochte, zog der Hylianer den Kopf ein, hielt die Arme schützend vors Gesicht und kniff die Augen zu.
Etwas fuhr ihm mit liebgewonnener Herzlichkeit durchs Haar, als Epona ihm zu verstehen gab, dass sie immer auf seiner Seite war. Dass er für sie immer derselbe bleiben würde, wie sehr er sich äußerlich oder innerlich veränderte. Vor Erleichterung merkte Link nicht, wie ihm die Mütze vom Haupt rutschte, als er sich der Stute aus Dankbarkeit für ihre bedingungslose Loyalität an den Hals warf. Vor Rührung erlaubte er es sich endlich, hemmungslos zu weinen, vertraute seiner sanftmütigen Freundin wortlos allen Schmerz eines halben Jahrzehnts an. Und er schwor ihr und sich, dass, was auch immer geschah, er es nie zulassen würde, dass sie voneinander getrennt würden.
Beiden war klar, dass Link Epona brauchte, emotional, wie sich gerade bewiesen hatte, aber auch als treues Reittier. In seinem Vorhaben würde man versuchen, ihn aufzuhalten. Sich allein auf seine kämpferischen Fertigkeiten zu verlassen wäre zu gefährlich, weswegen er alle Kräfte mobilisieren musste, die ihm zur Verfügung standen. Das Feenschwert hatte sich in seinen Händen aufgelöst, war aber bei weitem nicht das mächtigste Schwert gewesen, das er aus Termina mitgebracht hatte.
Am Rand der Lichtung stand der Strauch, dessen lebendig grüne Blätter begonnen hatten, von der Spitze an braun zu werden. Darunter war Links Gepäck versteckt mit der Ausrüstung, die er nicht ständig bei sich trug, wozu auch seine Masken zählten. Es war an der Zeit für ihn, die letzte seiner Formen beherrschen zu lernen.Zeldas Wiegenlied aus Ocarina of Time
Dieses Lied kommt im Kapitel selbst nicht vor, aber das braucht es ja auch nicht unbedingt. Nicht nur haben wir hier wieder einen Titel mit Eigennamen, auch schließt er sich dem Schema an, das ich bei den anderen beiden Kapiteln verfolgt habe: Der darin vorkommende Name ist der einer (weiblichen) Person, die Link sehr am Herzen liegt. Interpretiert man über das Ende des Kapitels (und damit auch dieser Einleitung) hinaus, so muss man „Wiegenlied“ als etwas betrachten, mit dem derjenige, dem es vorgesungen wird, zur Ruhe gebettet wird.
Und ich red jetz nich mehr weiter. Sonst mach ich noch die Hauptstory fad xD- Der hier erwähnte Schneemensch ist aus Twilight Princess bekannt.
- Die Gerüche der Weisen bzw die Bilder, die Link bei ihnen sieht, sollen ihr Element als Weise, ein bisschen ihre Persönlichkeit und vor allem ihre Bedeutung für Link (in OoT) beschreiben.
- Ganondorf hat versucht, Rutos Säule zu zerstören, weil er, wie in TP in der Cutscene zu sehen, in der er den Weisen ausbricht, den Weisen mit dem Symbol des Wassers tötet. Seine Überlegung hier ist also, dass Ruto (die Weise des Wassers) durch den Tod ihres Vorgängers geschwächt ist (was nicht stimmt, weil ich es so verfügt habe =P)
- Wie es in der Hyrule Historia heißt, ist die Schattenwelt in A Link to the Past das verwandelte Heilige Reich. Hier in der Ariette wandelt sich dieses auch um, und zwar in das Schattenreich von TP, ebenfalls durch Ganon(dorf)s finsteren Einfluss. ALttP-Schattenwelt und TP-Schattenreich setze ich hier also gleich, insbesondere durch ihre Wirkung auf Link (die Verwandlung zum Hasen/Wolf). Ob diese Dimensionen tatsächlich ein und dieselbe sind, ist nach meinem Kenntnisstand nicht offiziell. Soll mir aber einer beweisen, dass ich falsch liege, und falls ja, ist das hier immernoch eine Fanstory >:3
- Dass hier also gewissermaßen die Schattenwelt von ALttP nachgebaut wird, ist auch der Grund, warum der Mond bei (meines Fanstory-Charakters) Links aktiven Verwandlungen im vorigen Kapitel eine so große Rolle spielt, denn in ALttP verhindert die Mondperle, dass (der Videospielcharakter) Link in der Schattenwelt in einen Hasen verwandelt wird.
- Fragt mich nicht, wieso, aber in dieser Story wollte ich mich der Herausforderung stellen, eine Zelda-Fanfic zu schreiben, in der das Master-Schwert nicht erwähnt wird. In Das Abenteuer des letzten Helden war das ja nich besonders schwer, da in The Adventure of Link sowieso kein Master-Schwert auftaucht. In meiner Story dazu dann zwar schon, aber wörtlich musste ich es dennoch nicht beim Namen nennen. Umso schwieriger also, in einer Fanstory über OoT es nicht einmal zu erwähnen. Das eine Mal, da ich es als „Bannschwert“ bezeichnet habe, war Absicht, und ich hätte es vom Kontext her auch weglassen können. Letztlich mag ich die Herausforderung geschafft haben, aber ob es mir auch gut gelungen ist, kann nur ein Leser entscheiden ^^Hiermit ist die Ariette der Zeit abgeschlossen. In zwei Wochen folgt dann der ProProlog der Hauptstory ^^
Bis dahin wünsche ich euch erholsame Feiertage und ein nices Neujahr <D
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Einleitung 2: Eponas Lied
Durch die Portalfliese gelangte Link wieder zurück in das echte Hyrule und grübelte zunächst über sein neues Problem nach.
Um das zu erreichen, was er sich vorgenommen hatte, würde er erneut gegen Ganondorf kämpfen müssen. Nun schien es jedoch so, dass die wohlwollende Magie des Heiligen Reiches auch jemanden, der sich mit dämonischen Mächten verbündet hatte, großmütig unverwundbar machte. Das schloss Link daraus, dass der Gerudo auch an den zweifellos tödlichen Verletzungen durch die fehlgeschlagene Hinrichtung nicht zugrunde gegangen war. Ganondorf selbst hatte es auch Impa gegenüber noch einmal erwähnt, die sich nicht hatte anmerken lassen, ob er in seiner Hybris einem Irrtum aufsaß. Noch dazu war sich Link mittlerweile gar nicht mehr so sicher, ob es einfach nur Glück gewesen war, dass Ganondorfs Tritt ihm keine Rippen gebrochen hatte. Das Heilige Reich beschützte alle seine Besucher, egal ob von gutem oder bösem Wesen.
Doch Ausnahmen bestätigten die Regel. Ganondorf hatte eine Bissverletzung davongetragen, als Link ihm das Triforce der Kraft zu entreißen versucht hatte.
Und Link glaubte erkannt zu haben, woran das lag. Dafür sprachen auch noch einige andere Indizien, die er in seiner Zeit im Heiligen Reich beobachtet hatte: Es hatte ihn Ganondorf finden lassen, noch bevor er unnötigerweise sein eigentliches Ziel, den Tempel des Lichts, erreicht hatte, wo er das gesuchte Triforce nicht vorgefunden hätte. Der Gerudo war die vergangenen vier Jahre durch die Parallelwelt gewandert, ohne je etwas anderes zu Gesicht zu bekommen als grenzenloses Grasland – bis Link auf ihn gestoßen war und sie zusammen prompt fast zwei Portale in die Freiheit hatten aufsuchen können. Noch bevor Impa vor ihnen erschienen war, hatte sich ihre Ankunft bei der Wolfsschnauze durch ihren Geruch verraten.
Das Heilige Reich war Link eher gewogen als anderen und hatte ihn in allem unterstützt, was er darin getan hatte. So weit, dass es Ganondorfs Unverwundbarkeit, als ihn der Hylianer in Wolfsgestalt attackiert hatte, aufgehoben hatte. Alles sprach dafür, dass, focht er aus ganzem Herzen für die Erfüllung seines Wunsches, das Heilige Reich es zuließ, dass der Held den Großmeister des Bösen vernichtete. Immerhin war das seine Bestimmung.
In Hyrules unwirklicher Nebendimension hatte Link jedoch den entscheidenden Nachteil, darin nicht als Mensch, als Krieger auftreten zu können. Auch unverwundbar hätte er ohne jeden Zweifel als Wolf keine Chance gegen den Träger des Elements der Kraft und sein unirdisches Schwert. Ohne eine Möglichkeit, die Verwandlung aktiv zu kontrollieren, hatte er nicht die geringste Aussicht auf Erfolg. Um diese für sich zu schaffen, würde er einen kleinen Umweg gehen müssen, bevor er sich wieder auf seinen Hauptpfad konzentrieren konnte. Aber das war der Held von seinen Reisen ja gewohnt.
Es war eine kalte, klare Neumondnacht, die den unaufhaltsamen Winter ankündigte, und der finsterblaue Himmel war übersät von einem Meer aus Sternen. Link hatte sich von seinem Lager beim Portal entfernt und auf eine andere Lichtung zurückgezogen. Ob seine Bemühungen, auf Befehl zum Wolf zu werden, schon heute fruchten würden, glaubte er nicht; doch sollte es ihm wider Erwarten bereits gelingen, so wollte er Epona nicht mit dem urplötzlichen Erscheinen eines Raubtiers beunruhigen.
Halb saß, halb lehnte Link an einem Felsen, weil dessen Oberfläche zu kalt war, sich ganz darauf niederzulassen. Obwohl er viele Gedanken zum Grübeln bei sich trug, hatte er Schild und Wetzstein diesmal nicht mitgenommen. Nur die Okarina der Zeit hielt er in Händen, die vollere und reinere Klänge erzeugte als die tönerne Feen-Okarina, die Salia ihm geschenkt hatte. Mit kalten, steifen Fingern spielte er wahllos Melodien, wie sie ihm gerade in den Sinn kamen. Ab und zu ertappte er sich dabei, wie er die ersten Töne von Salias Lied ansetzte, und änderte sie schnell in eine andere Weise um.
In den vergangenen Jahren hatte er seine Freundin manchmal wie versprochen über das magische Lied kontaktiert und sich mit ihr unterhalten – nicht nur über seine Suche nach Navi. Je länger Links Fortbleiben aus dem Kokiri-Wald jedoch andauerte, umso mehr fiel ihm auf, dass die kindliche Unbeschwertheit, die auch nach seinem Abenteuer in der Zukunft zwischen ihnen noch bestanden hatte, allmählich verblasste. Ganz besonders nach seinen albtraumhaften Erlebnissen in Termina hatte er spüren müssen, wie sehr er doch der Veränderung eines heranwachsenden Hylianers unterworfen war. Salia hingegen führte weiterhin ihr unbedarftes Leben als Kokiri und nicht erweckte Weise, und bis auf Weiteres würde das auch so bleiben. Über alles konnte und wollte Link mit ihr reden, aber nicht über sein Schicksal als Held, das ihr Verhältnis auf der anderen Seite der Zeit irreversibel verändert hatte.
Von einem anderen Standpunkt aus betrachtet mochte es sich vielleicht sogar doch lohnen, mit ihr über das zu reden, was er dank ihres Geschenks gefunden hatte. Wohin ihr Glücksfragment ihn geführt und was dieser Ort aus ihm gemacht hatte …
Gedankenverloren spielte Link nun gezielt bestimmte Lieder, selbstkomponierte Varianten der Stücke, die er in einer anderen Zukunft und in Termina erlernt hatte.
Er hatte sich schon oft bewusst verwandelt mithilfe der Masken, die er in der anderen Welt erhalten hatte, was bereits gelang, wenn er sie nur aufsetzte. Obwohl sie Link dabei immer mit der schmerzlichen Reue eines verlorenen Lebens fluteten, war das an sich ein sehr einfacher Prozess. Vermutlich lag das daran, dass in ihnen je ein Geist eines Verstorbenen versiegelt war, zwar ohne Bewusstsein, aber mit dem ganz natürlichen Bedürfnis zu leben. Sobald sie mit Links atmendem Körper in Berührung kamen, sprangen sie gewissermaßen ins Leben zurück.
Zwar wurde Link ganz ohne Maske zum Wolf, doch musste das Prinzip übertragbar sein. Einen toten Wolf, dessen Seele das Heilige Reich dem Helden bei seinem Eintritt einflößte, gab es vermutlich nicht. Doch warum verwandelte es ihn ausgerechnet in dieses Tier?
Um die Antwort auf diese Frage zu finden, musste Link noch weiter zurückgehen und für sich selbst klären, warum er überhaupt ins Heilige Reich gegangen war. Sicher, die Glücksfragmente hatten ihn zum Portal geführt, doch es immer wieder zu durchschreiten war seine eigene freie Entscheidung. Eine Entscheidung, die er getroffen hatte, weil er das Triforce aus dem Tempel des Lichts haben wollte – dass es sich letzten Endes nicht dort im Ganzen befand, sondern sich in seine drei Teile aufgespalten hatte, war für seine Überlegungen nicht weiter von Belang. Wichtiger war, wozu er es überhaupt brauchte, nämlich, sich seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Und das war …
Ihm ging es nicht einfach nur darum, seine Fee wiederzukriegen. Vor fünf Jahren hatte die Zelda der anderen Seite der Zeit Link nicht nur in seine Kindheit zurückgeschickt, sondern vor allem auch in eine Welt, in der er ein Niemand war. Ein Fremder in der eigenen Zeit, und nach seinem Abenteuer in der Zukunft war auch sie ihm fremd geworden. Niemand wusste von seinen Heldentaten, und wer hätte sie einem Kind auch schon abgekauft.
Salia als seine Kindheitsfreundin erkannte ihn noch wieder, aber alle anderen Freundschaften, die er geschlossen hatte, waren über den Abgrund der Zeit in Vergessenheit geraten: Ruto, die Prinzessin der amphibischen Zora, die sich über die Grenzen ihrer Rassen in ihren hylianischen Retter verliebt hatte, hatte ebenso keine Erinnerungen an ihn wie Darunia, der Häuptling der Goronen, mit dem er sogar eine Blutsbruderschaft eingegangen war. Auf dieser Seite der Zeit hatten die beiden nicht erweckten Weisen Link nie kennengelernt, und ohne ein großes Schicksal, das sie miteinander verband, gab es keinen Grund für sie, mit ihm Bekanntschaft zu schließen. Zumindest mit Epona hatte er durch ihre gemeinsame Reise durch Hyrule und Termina wieder feste Bande geknüpft, die den vorigen in nichts nachstanden. Was Zelda betraf, mochte sie seinen Erzählungen ihrer prophetischen Albträume wegen geglaubt und versucht haben, sich mit ihrem Unterstützer anzufreunden, doch war der geistige Altersunterschied von sieben Jahren zwischen ihnen nicht zu überbrücken. Genauso verhielt es sich mit dem Kokiri, der Link vor seinem Abenteuer gewesen war und zu dem er, so sehr er es auch versucht hatte, nicht mehr hatte werden können.
Er wollte Navi nicht nur wieder, weil sie seine Fee war, auf die er so lange gewartet hatte. Ganz bestimmt vermisste er sie nicht für ihre ununterbrochenen Nörgeleien, wenn er sich mal wieder von Belanglosigkeiten ablenken ließ, oder dafür, dass sie ihm sagte, wohin er gehen musste, obwohl er den Weg bereits kannte. Navi war die Einzige, die auch auf dieser Seite der Zeit genau wusste, was er durchgemacht hatte, mehr noch, die es mit ihm durchgemacht hatte.
Deswegen suchte er nach ihr. Und was eignete sich für eine Suche besser als die unfehlbare Spürnase eines Kaniden?
Die Augen geschlossen, war Link ganz vertieft in diese Gedanken. Ohne, dass er es selbst bemerkte, begannen seine Finger wieder, Salias Lied zu spielen. Das musikalische Werk, das jedem Wald bekannt war, brach sich vielfach zwischen den umstehenden Stämmen. Es klang, als nähmen die Bäume die Melodie auf und fügten ihren eigenen Gesang hinzu, bis ein ganzer Chor entstand, sanft geführt von dem mächtigsten Instrument dieser Welt.
Link unterbrach sein Flötenspiel, als ihn ein Gefühl beschlich, das ihm in den letzten Tagen nur allzu bekannt geworden war. Langsam öffnete er die Augen, registrierte zuerst seinen veränderten Blickwinkel und die verzerrten, entsättigten Blautöne des nächtlichen Himmels. Geräusche drangen an seine Ohren, von denen er bislang nicht einmal angenommen hatte, dass es sie gab. Vorsichtig, ja ungläubig blickte Link zu Boden.
Wolfspfoten! Er hatte es tatsächlich geschafft, sich wirklich verwandelt!
Aufgeregt sprang er auf, sah an seinem Körper hinab – und wurde einer Bewegung in seinem Augenwinkel gewahr. Alarmiert wirbelte er herum, doch da, wo er etwas gesehen zu haben glaubte, war nichts. Dafür schien es hinter ihn gehuscht zu sein, und er fuhr auch diesmal in diese Richtung herum.
Als Link merkte, was er verfolgte, hätte er, wäre er wie ein Mensch dazu in der Lage gewesen, über sein eigenes Verhalten gelacht. Was er gesehen hatte, war nichts anderes als sein eigener Schweif, mit dem er vor Freude über seine Leistung gewedelt hatte. Es musste ganz schön ulkig ausgesehen haben, als er wie ein junger Hund seinem Schwanz nachgejagt hatte. Vor sich selbst peinlich berührt, gebot er ihm, stillzuhalten.
Ungeachtet dessen, hatte er es geschafft: Er war ein Wolf, und das, ohne das Heilige Reich betreten zu haben. Der erste Schritt war somit getan, jetzt musste er sich nur noch wieder in einen Menschen zurückverwandeln. Die Frage war nur, wie er das anstellen sollte. Auf seinen Wunsch konzentriert, der ihm in die Tiergestalt verholfen hatte, musste er leider einsehen, dass diese Methode in die andere Richtung nicht funktionierte. Fieberhaft suchte Link nach einer anderen Lösung. Vielleicht konnte er mittels einer seiner Masken eine weitere Form annehmen, und wenn er sie absetzte, wäre er wieder ein Mensch. Aber so, wie er jetzt aussah, durfte er Epona unmöglich unter die Augen treten. Das war ja auch der Grund, warum er das Lager überhaupt erst verlassen hatte.
Außerdem hatte er ein noch wesentlich akuteres Problem: Die Nacht auch als Wolf zu überleben. Die Okarina war mitsamt allem, das er am Leibe getragen hatte, und seiner Menschengestalt verschwunden. Ihm war kalt, das raue Fell nur ein schwacher Ersatz für ein wärmendes Feuer, das er ohne Magie nicht entzünden konnte. Sollte er Hunger bekommen, konnte er nichts erbeuten, da er dafür als Wolf keinerlei Erfahrungen hatte. Die Gerüche, die seine Schnauze fluteten, hatte er als Mensch größtenteils nie wahrgenommen, und die, die er kannte, waren tausendfach intensiver – nicht einmal die schweinsnasige Maske der Düfte hatte seine Sinne derart verstärkt. Dieser Wald war vollkommen anders als das geruchsneutrale Heilige Reich, wo Link außer denen von Ganondorf und Impa keine Witterungen aufgenommen hatte.
Orientierungslos irrte Link durch den Wald, bis er einen alten, verlassenen Dachsbau fand. Der Geruch des Erbauers war zum Glück schon lange abgeklungen, sodass sich der gequälte Wolf fast gefahrlos darin einquartieren konnte. Die Pfoten auf die Nase gepresst und geplagt von all den ungekannten Sinneseindrücken, fiel Link in einen unruhigen Schlaf.Als er am nächsten Morgen erwachte, war das erste, das er feststellte, dass er noch immer ein Tier war. Und das zweite, dass es ihm auch weiterhin nicht gelang, sich auf Befehl zurückzuverwandeln.
Über die Nacht war der Winter hereingebrochen, und Link trottete missmutig durch einen völlig veränderten Wald, in dem er sich noch weniger zurechtfand als kurz nach seiner Verwandlung. Der knöcheltiefe Schnee ließ zwar seine Pfoten frieren, lieferte aber den äußerst positiven Nebeneffekt, dass seine kalte Weiße andere Gerüche dämpfte.
Umso auffälliger die Spur, die Link plötzlich darin aufnahm. Diesen ganz speziellen Geruch hatte er, die Pfoten die ganze Nacht auf der Schnauze, mittlerweile kennengelernt. Und tatsächlich entdeckte er, als er der Spur nachging, die Abdrücke großer, kräftiger Pranken im frisch gefallenen Schnee. Neugierig setzte Link eine eigene Vordertatze daneben und verglich die beiden Profile. Wenn es bislang einen Zweifel daran gegeben hatte, ob er wirklich zum Wolf oder doch nur, wie zuerst angenommen, zum Hund verwandelt worden war, so war dieser jetzt ausgeräumt. Denn diese Spuren konnten nur von anderen Wölfen stammen, die hier in den bewaldeten Bergen lebten.
Link kam eine ungewöhnliche, ja geradezu abenteuerliche Idee: Konnte es ihm wohlmöglich helfen, sich wieder in einen Menschen zu verwandeln, wenn er mehr über die Natur des Tieres erfuhr, das er gerade war? Die fremden Pfotenspuren schienen nur von vier Tatzen getreten; wer sie hinterlassen hatte, war also ein Einzelgänger wie auch Link. Vielleicht ließ dieser sich von dem falschen Wolf begleiten und zeigte ihm das Leben eines Waldjägers.
Stundenlang folgte er der nicht enden wollenden Kette von Abdrücken, während die Sonne in ihren niedrigen Zenit hinaufkroch, ohne dass ihre Strahlen Wärme herbeibrachten. Müde und hungrig, konnte Link die eigenen Pfoten bald nicht mehr spüren und schleifte sie nur noch durch den tiefer werdenden Schnee. Ihm taten die Vorderläufe weh, weil er es von seinen menschlichen Armen, so begnadet er im Schwertkampf auch war, nicht gewohnt war, sie ununterbrochen zu gebrauchen.
Plötzlich merkte er, dass von der Pfotenspur, die er verfolgte, eine weitere abzweigte. Verwundert schnupperte er ihr hinterher und erkannte, dass sie sich in noch mehr Zweige aufspaltete. Verwirrt drehte sich Link mal in die eine, mal die andere Richtung, die Nase immer dicht am Schnee, und wusste nicht, wohin er sich wenden sollte.
Neben ihm erklang ein Rauschen wie von herabströmendem Sand; in seiner Nähe bewegte sich etwas, das Link bislang für eine harmlose Schneewehe gehalten hatte. Jetzt aber richtete sich der kleine Hügel auf, bildete grotesk verzerrte Gliedmaßen aus und schüttelte sich weißen Puder aus dem ebenso farblosen Pelz. Aus einem schiefen Maul baumelte eine geifernde Zunge heraus, und die eitrigen, irren Augen musterten Link mit gierigen Blicken. Der Schnee-Wolfos holte mit den schrecklichen Klauen aus und schlug ungelenk nach dem verwandelten Hylianer, der sich reflexhaft vor der Attacke duckte. Noch während das Wolfsmonster um sein Gleichgewicht kämpfte, fuhr Link herum und nahm Reißaus. Allerdings kam er nicht weit, denn der Wolfos, der sich von dem tiefen Schnee nicht ausbremsen ließ, holte ihn rasch ein. Die Kreatur heulte triumphierend über ihre einfache Beute.
Es kam Link nur allzu feige vor, dass seine erste Reaktion auf das Monster eine versuchte Flucht gewesen war. Mit dem Schwert wusste er genau, wie diesen Wesen beizukommen war; auch wenn er als Wolf keine Kampferfahrung hatte, musste er sich dennoch verteidigen. Unbeholfen schnappte der verhinderte Held nach seinem Gegner, doch der Wolfos schützte seinen Leib mit den kräftigen Armen, deren dichte Behaarung hart wie Stahlwolle war. Link versuchte, an den verletzlichen Rücken heranzukommen, war auf seinem Überschuss an Beinen jedoch nicht wendig genug für ein solches Manöver.
Ermüdet von der anstrengenden Nacht und der erfolglosen Suche musste Link immer weiter vor dem Monster zurückweichen. Die Siegesgewissheit war den toten Augen deutlich anzusehen, als der Wolfos den Wolf an einen dürren Strauch drängte und zum finalen Schlag ansetzte. Panisch verkroch sich Link zwischen den dornigen Zweigen in der Hoffnung, sie mochten die gröbste Wucht abfangen.
Da raschelte es hinter ihm, und ein Schatten huschte aus dem Strauch über Link hinweg und landete vor ihm. Nun wähnte er sich völlig verloren, denn dies war ein gewöhnlicher Wolfos, ein kleinerer, dunkler Vetter des Ungetüms, dem er sich gegenübersah. Wenn sich die Monster zusammenschlossen, hatte er nicht die geringste Chance, noch lange zu bestehen.
Umso überraschter war Link, als er merkte, dass sich der Neuankömmling nicht auf die Seite des Schnee-Wolfos stellte. Ganz im Gegenteil, er stürzte sich knurrend auf diesen. Erst, als noch mehr der schattigen Gestalten auftauchten und ihr pelziger Raubtiergeruch stärker wurde, erkannte Link, dass es Wölfe waren. Ganz normale, nicht monsterhafte, der Schöpfung gutmütiger Göttinnen entstammende Wölfe so wie er.
Oder zumindest fast wie er. Denn ohne Zweifel hatten sie ihm voraus, genau zu wissen, wie ihr tierischer Körper zu steuern war, wie viel Kraft ihm innewohnte und welche Grenzen er hatte. Außerdem in der Gruppe, setzten sie dem viel größeren, aber einzelnen Wolfos arg zu, verbissen sich in dessen Beinen und im Nackenfell. Eine Weile bot das Monster ihnen erstaunlich erbitterten Widerstand, suchte schließlich, vor Schmerz und Frust jaulend, das Weite.
Die Wölfe, die es in die Flucht geschlagen hatten, schüttelten sich zufrieden Schneeklumpen aus dem Fell; andere setzten sich erschöpft nieder und säuberten die Kratzwunden, die ihnen ihr wolfsähnlicher Gegner bereitet hatte. Weitere gesellten sich zu ihnen, strömten aus allen Richtungen aus dem Unterholz herbei, bis sich Link von ihnen umzingelt wiederfand. Ein ganzes Rudel hatte sich versammelt, und die meisten seiner Mitglieder bedachten Link mit misstrauischen Blicken. Es fiel ihm schwer, einzuschätzen, wie viel Gefahr von ihnen für einen Einzelläufer wie ihn ausging.
Weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, ließ Link seinen Schweif hin- und herwischen. Vielleicht sahen die Wölfe dies ähnlich Hunden als Zeichen der Freundlichkeit.
Aus der Gruppe löste sich ein großer Wolf mit besonders dunklem Fell, strich lauernd auf den Fremdling zu. Link setzte eine Pfote vor die andere, wollte ihm entgegenkommen, hielt jedoch wie geohrfeigt inne, als sein Gegenüber ein tiefes, bedrohliches Knurren hören ließ. Prüfend beschnupperte der Leitwolf den Streuner von allen Seiten, beäugte argwöhnisch das metallisch glänzende Fell, das in schattigem Gestrüpp wohl kaum so gut getarnt war wie das seiner Rudelmitglieder. Er beendete seine Runde und knurrte wieder, machte Link zähnefletschend klar: Auch wenn es ihm sein Instinkt als Rudeltier gebot, einem Einzelgänger zu helfen und ihn aufzunehmen, würde er nicht zögern, sollte er seine Mitwölfe in Gefahr bringen, ihn wieder zu verstoßen. Oder seiner unnützen Existenz ein schnelles Ende zu bereiten, falls nötig mit den eigenen Kiefern.
Unterwürfig senkte Link den Kopf und winselte wie ein geprügelter Hund, schämte sich dafür, sich selbst derart herabwürdigen zu müssen. Schicksalsergeben nahm er jedes Urteil an.
Der Rudelführer wandte sich ab, und die Gruppe setzte ihre Reise fort.
Noch zögerte Link, sich ihrem Zug anzuschließen; sicherlich durfte er ihnen nur so weit hinten wie möglich folgen. Die anderen Wölfe liefen an ihm vorbei, manche mit mehr, andere weniger oder gar keinem Interesse für ihn. Nur wenige beschauten sich den Neuen aus der Nähe, und ein paar einzelne kamen sogar witternd dichter an ihn heran. Nur ein einzelner Wolf mit blassem Fell tippelte schwanzwedelnd zu Link, beschnupperte ihn zaghaft und schnaubte ihm freundlich ins Gesicht. Die beiden waren die letzten Mitglieder im Wanderzug des Rudels.In den nächsten Tagen und Wochen lernte Link das Leben nicht nur als Wolf, sondern auch als Mitglied eines Raubtierrudels kennen, sich auf seine Instinkte zu verlassen und seine neuen Sinne zu gebrauchen.
Die Gemeinschaft bestand aus etwa drei Dutzend Wölfen. Um die einzelnen Tiere auseinanderhalten zu können, gab er ihnen zumindest für sich und seine Gedanken Namen; die Rüden benannte er nach Bäumen, die Weibchen nach Blumen. So hieß der Rudelführer für ihn fortan Pinus, und die hellfarbene Wölfin, die ihn so nett empfangen hatte, Lupine. Auch weiterhin gehörte diese zu den äußerst wenigen in der Gemeinschaft, die den Neuankömmling respektierten. Die anderen lehrten Link unerbittlich die strenge Hierarchie, die sich am deutlichsten in der Fressreihenfolge zeigte: Wurde großangelegt Beute gemacht, durfte zuallererst der Rudelführer mit seinen Lieblingswölfinnen zuschlagen. Danach folgten die niederen Erwachsenen in grob nach Alter festgelegter Reihenfolge und ganz zum Schluss die von der Muttermilch entwöhnten Jungen.
Da er noch neu war, hatte man Link sofort ans Ende der Rangfolge gesetzt, wo er mit den Welpen gleichgestellt war. Nach der Größe seiner Wolfsgestalt zu schließen musste er jedoch fast ausgewachsen sein. Zuerst ärgerte er sich darüber, nicht nur unter Menschen, sondern jetzt auch hier zum Kind degradiert zu werden; doch zeigte sich schnell, dass Pinus diese Entscheidung nicht leichtfertig gefällt hatte: Link war für das Rudel von Anfang an so hilfreich wie ein Jungtier, musste erst wie ein solches kämpfen und jagen lernen.
Neben Lupine fühlte er sich besonders den drei jüngsten Welpen des Rudels verbunden, den Jungen einer Wölfin, die er Bellis getauft hatte. So klein waren sie, dass sie gerade erst das Laufen lernten, ihre ersten Schritte im Wolfsein zu tun – so wie er. Wann immer sich die Gelegenheit bot, spielte er mit ihnen.
Alle Welpen und die jungen Erwachsenen des Rudels hatten den Anführer Pinus zum Vater, wie Link erfuhr. Auch Lupine hatte einst Jungen gehabt, stammte jedoch ursprünglich aus einem anderen Rudel. Menschliche Pelzjäger hatten dieses vollständig ausgelöscht, und so hatte Lupine in diesem neuen Schutz gesucht, gar nicht lange, bevor Link auf den Plan getreten war. Pinus‘ Bedingung, sie bei sich aufzunehmen, war gewesen, die Nachkommen des anderen Rüden zu töten. Ein weiteres Maul, das es zu füttern galt, war bereits genug. Lupine empfand für diesen Entschluss keinen Hass auf ihren neuen Anführer, war sie als Tier doch gar nicht dazu in der Lage, sondern folgte dem natürlichen Lauf der Dinge. Pinus war nunmal der Alphawolf, und sie konnte sich glücklich schätzen, dass er wenigstens sie aufgenommen hatte, und genauso sollte auch Link es halten.
Sorgfältig analysierte Link das Verhalten der Tiere, imitierte es, bis es zu seinem eigenen wurde. Trotzdem kamen ihm viele der wölfischen Gepflogenheiten nach menschlichem Verständnis nur allzu sonderbar vor. Allem voran konnte er den bedingungslosen Gehorsam der Rudelmitglieder für ihren Anführer nicht teilen. Der Widerwillen des verwandelten Hylianers setzte sich aber auch in den neuen Essgewohnheiten fort, war ihm der frisch-eklige Geschmack rohen Fleisches doch zuwider. Glücklicherweise konnte er anfangs darauf zurückgreifen, sich holzige, bittere Winterknollen aus dem gefrorenen Boden zu graben. Diese reichten leider längst nicht aus, um satt zu werden, weswegen sich Link dann doch zum Fleischfresser überwand. Was ihm nicht besonders schwer fiel, denn das ganze Rudel litt jetzt im Winter immer Hunger. Mehr als einmal erwischte er sich dabei, wie er buchstäblich wie ein ausgehungerter Wolf über den Rest an Beute herfiel, der ihm blieb.
Obwohl sie unter Waldtieren an der Spitze der Nahrungskette standen, hatten die Wölfe viele Feinde. Die spielerischen Übungskämpfe gegen die eigenen Gefährten waren kaum ausreichende Vorbereitung auf die Auseinandersetzungen mit anderen Wolfsrudeln, anderen Raubtieren oder sogar Monstern. Insbesondere Wolfos, die ihnen Revier und Beute streitig machten, und deren größere, weiße Verwandte, die nur darauf aus waren, ihre Gegenparts der Tierwelt zu töten, ließen ihnen im bereits harten Winter keine Ruhe. Link lernte die Farben der Gerüche jeder dieser Spezies zuzuordnen, an ihrer Intensität, der Wetterlage und dem Untergrund zu bestimmen, wie alt die Spuren waren und was diese Attribute für das Rudel bedeuteten.
Auch die Fährten von Beutetieren genau zu erkennen, war für eine erfolgreiche Jagd unerlässlich. Kleinere Tiere wie Hasen und Marder erlegten die Wölfe in der Regel allein, während für die großen Rehe und Hirsche ganze Rotten aufgestellt wurden, die als Gruppe vorgingen. Eine der wichtigsten Lektionen, die Link erhielt, war dabei, dass er, egal ob Beutetier oder Rivale, nur töten durfte, wenn er oder einer seiner Mitwölfe Hunger litten oder in Lebensgefahr waren. Dies war ein Grundgesetz der Natur.
An seinem Lernverhalten bei der Jagd zeigte sich Link ein weiterer Grund, warum das Heilige Reich ihn in einen Wolf verwandelt hatte: Am schnellsten beherrschte er das Erlegen von Wildschweinen, den Seelentieren seines Erzfeindes.
Es war bittere Ironie, dass das neueste Mitglied der Gruppe ein verwandelter Mensch war, denn die Zweibeiner mochten die Wölfe ganz und gar nicht. Wenn sie auch nur eine Spur menschlichen Geruches aufnahmen, umging das Rudel sie in großem Bogen. Gerade dann schnupperten sie besonders achtsam nach den blaugrau riechenden Wildfallen, die die menschlichen Jäger im ganzen Wald versteckten. Oft kam es vor, dass sie komplett umkehrten und einen ganz anderen Weg suchten, wenn sie den schleimigen, braungrünen Gestank von Jagdhunden aufnahmen, riesigen, blutrünstigen Biestern, mit denen sich selbst eine ganze Horde Wölfe nicht anlegen wollte.
Dennoch schlichen sie oft gefährlich nahe an die kleinen Siedlungen in den Tälern des nördlichen Hyrule heran, wo auf vereinzelten schneefreien Weiden Schafe grasten – gerade im Winter eine willkommene zusätzliche Fleischquelle. Link versuchte vergeblich, sie davon abzuhalten, weil er während seiner Zeit bei den Rittern erfahren hatte, welch elendes, entbehrungsreiches Dasein die Gebirgsbauern führten. Er begründete seine Bemühungen damit, dass sich die Wölfe mit dem Reißen von Vieh nur selbst in Gefahr brachten, da sich die Menschen ihrer gewiss irgendwann entledigen würden.
Damit stellte sich Link jedoch öffentlich gegen Pinus und sein Regiment. Und ein solches Individuum durfte nicht darauf hoffen, in der Hierarchie aufzusteigen.Doch war treuer Gehorsam nicht der einzige Weg zu einem höheren Rang. Auch und vor allem das Beherrschen wölfischer Fähigkeiten wurde im Rudel hoch geachtet. So kam die Zeit, da die ältesten Jungtiere sich zum ersten Mal einer Jagdmeute anschließen durften, anstatt nur aus sicherer Entfernung zuzusehen, und wenn sie erfolgreich mithalfen, würden sie zu den erwachsenen Wölfen gezählt werden. Auch Link sollte an dieser Prüfung teilnehmen; sie war seine Chance zu beweisen, dass auch er etwas von Wert zu der Gemeinschaft beizutragen hatte.
Die Rotte streifte durch den verschneiten Wald, wo das Unterholz dicht war und die Schatten die dunklen Pelze geradezu verschluckten. Schon seit ein paar Stunden verfolgten sie ein Beutetier, das Link aufgrund der Spuren auf die Größe und Kraft eines Hirsches schätzte. Der ihm unbekannte Geruch jedoch war ganz anders als das des stolzen Waldkönigs, irgendwie bräunlicher und erdiger, aber zugleich so leicht wie der Wind. In Links Gedanken entstand merkwürdigerweise das Bild einer Gazelle mit seidig glänzenden Mottenflügeln.
Als müsse er sich das Fell trocknen, verdrängte Link die Träumerei mit einem raschen Schütteln. Er musste sich auf die Jagd konzentrieren!
Da sie dem Verursacher der Spuren immer näher kamen, hatte sich die Gruppe aufgeteilt, um das Tier von zwei Seiten einzuschließen. Von der anderen Hälfte der Rotte erklang nun eine geheulte Nachricht, die Link und seinen Gefährten als Signal zum Angriff diente. Zusammen mit ihnen stürzte er auf die Lichtung, auf der die Rotte ihr Ziel in die Zange nahm. Dutzende Wölfe stürzten sich in einem komplizierten, perfekt aufeinander abgestimmten Todestanz auf ihre Beute, die in alle Richtungen um sich trat und wütend wieherte.
Gerade selbst zum Sprung ansetzend, um sein Gebiss in das frische Fleisch zu schlagen, hielt Link überrascht inne. Diese Wehrhaftigkeit ging über alles hinaus, was jedem Hirsch gegeben war, den er bislang beobachtet hatte. Und diese Laute, die kein Tier des Waldes von sich zu geben im Stande war …
Das war kein Hirsch, sondern ein Pferd. Noch dazu nicht irgendeines, das aus den Bergsiedlungen ausgebüchst war, sondern niemand geringeres als Epona!
Ohne zu zögern oder nachzudenken, nutzte Link die angesammelte Sprungkraft, um sich zwischen seine Gefährten und die Fuchsstute zu versetzen. Mit dem Rücken zu ihr, schnappte er nach den anderen Wölfen, hielt sich aber damit zurück, sie zu verletzen. Als sie merkten, dass etwas gegen ihre üblichen Jagdgewohnheiten verlief, wichen sie einer nach dem anderen zurück, bis auch Eponas Gegenwehr nicht länger vonnöten war und erstarb. Mit gesträubtem Fell baute sich Link vor ihnen auf, knurrte tief und verzog die Lefzen. Ließ sie wissen, dass jeder, der es noch wagte, sich seinem geliebten Pferd auch nur anzunähern, doch noch seine Zähne zu spüren bekommen würde.
Hinter sich hörte Link, wie Epona auf ihn zu trat, und zuckte zusammen. Dass sie auch ihn für einen Feind halten könnte, hatte er noch gar nicht bedacht. Immerhin war auch er praktisch nichts anderes als ein Wolf. Doch anstatt ihrer harten Hufe fühlte er nur eine sanfte Berührung am Kopf und blickte überrascht auf. Die Fuchsstute hatte sich über ihn gebeugt und knabberte am Fell zwischen seinen Ohren. Sie hatte ihn wiedererkannt! Und sie zeigte ihm wie gewohnt ihre Zuneigung, obwohl er sie, nachdem er sich unumkehrbar in einen Wolf verwandelt hatte, einfach irgendwo im Wald alleine gelassen hatte. Link wäre fast zu Boden gesunken vor Freude.
Ein paar Wölfe kamen näher, und der wunderbare Moment des Wiedersehens war vorbei. Link bellte sie wütend an, forderte noch einmal mit Nachdruck, das Pferd in Ruhe zu lassen. Dass Pinus zu jenen gehörte, denen er drohte, war ihm dabei völlig egal. Auch wenn sie ihn verstießen, selbst wenn sie ihn hier und jetzt in Fetzen rissen, er würde nicht zulassen, dass sie Epona etwas antaten!
Pinus betrachtete den Aufrührer unverwandt, aber nicht feindselig. Wie auch vor Wochen, als er Link großzügig aufgenommen hatte, ging er, ohne ein weiteres Signal zu geben, und das Rudel folgte ihm gehorsam. Zweifelnd überlegte Link, ob er sich ihnen noch anschließen durfte, und versuchte an den Blicken der anderen eine Antwort abzulesen. Zumindest schien es nicht so, als ob er nicht mehr dazugehörte.
Link wandte sich Epona zu, die nun den Kopf zu ihm gesenkt hatte. Liebevoll drückte er die Stirn gegen ihre, wie die beiden es immer taten, wenn sie sich kurzzeitig voneinander trennen mussten. Unwillkürlich wedelte der falsche Wolf mit dem Schweif, und als er das registrierte, noch ein wenig stärker. Jetzt, da er wusste, dass Epona ihm ihren Segen mitgab, brauchte er sich für die nichtmenschlichen Eigenheiten seines neuen Körpers nicht mehr schämen.
Stumm fragte er sich, wie oft er sie noch verlassen musste, bevor er endlich am Ziel war, und holte das Rudel wieder ein.Seine offene Rebellion gegen die Jagdmeute, ganz besonders gegen Pinus blieb für Link nicht ohne Konsequenzen: In der Rudelhierarchie war er noch niedriger gesunken, gehörte nun nicht einmal mehr der Rangstufe der Welpen an. Bellis ließ es nicht mehr länger zu, dass er mit ihren Jungen spielte, auch wenn sie es liebend gerne weiter getan hätten. Die meisten Wölfe behandelten ihn schlecht, schnappten nach ihm, wenn er vorüberging, raubten ihm den Schlaf und ließen ihm bei den Mahlzeiten nichts von der Beute übrig. Besonders die Jungwölfe, die durch eine Prüfung, an der Link schon nicht mehr hatte teilnehmen dürfen, noch vor ihm zu Erwachsenen geworden waren, machten ihre Geringschätzung mehr als deutlich. Unwohl fühlte sich der verwandelte Hylianer an seine Zeit im Kokiri-Dorf erinnert.
Dass seine Situation so miserabel war, war schon schlimm genug. Leider übertrug sie sich auch auf Lupine, die als nicht im Rudel Geborene bereits eine sehr wackelige Position darin hatte. Da sie Link vor der Schikane der anderen Wölfe zu verteidigen versuchte, wurde sie kurzerhand ebenfalls herabgestuft. Den beiden war es nicht mehr erlaubt, sich zum Rudel dazuzugesellen, wenn sich dieses bei besonders kaltem Wetter eng aneinanderdrängte. Zwar hatten sie zumindest einander und litten zusammen, doch fühlte sich Link zusätzlich schrecklich dafür, die liebenswerte Wölfin mit der sanften Natur mit hineingezogen zu haben.
An den Jagden durfte er sich selbstverständlich nicht mehr beteiligen, und das war wohl die grausamste Strafe, die Pinus über Link hatte verhängen können – auch wenn der Anführer ihr wahres Ausmaß nicht zu erfassen im Stande war. Es war die Ungewissheit, welches Tier als Beute erwählt werden würde, die Link so sehr zusetzte. Die Horrorvorstellung, die Jäger könnten mit Eponas Leichnam zurückkehren, damit das Rudel sich daran nährte, raubte ihm fast den Verstand.
Doch gegen all dies konnte Link nicht das Geringste unternehmen. Im untersten aller Ränge hatte er keine Chancen mehr auf den Aufstieg und war allein der Gnade Pinus‘ ausgeliefert. Tat er auch nur einen falschen Schritt, konnte der Alphawolf ihn einfach mit Schimpf und Schande verjagen.Die bleiche Wintersonne wurde nur von wenigen Löchern in der dichten Wolkendecke hindurchgelassen. Falls dieses Ereignis eintraf – höchst selten durch fast absolute Windstille –, so drang der schwächliche Schein nicht bis auf den Boden des verschneiten Hohlwegs. Umschlossen von hohen Steilwänden, auf denen nur weit oben, wo sie in Plateaus ausliefen, vereinzelt Bäume wuchsen, schlängelte sich der Pfad durch das Gebirge. So schmal war er, dass drei Wölfe nicht nebeneinander Platz darin hatten, doch die Individuen des Rudels liefen ohnehin hintereinander her. In einer langen Linie und darauf bedacht, genau in die Pfotenabdrücke des Vorauslaufenden zu treten, schufen sie für eventuelle Verfolger die Illusion, es handle sich um nur ein einzelnes Tier – ein Trick, auf den auch Link hereingefallen war.
Wie immer reiste der Hunger mit ihnen, doch sollte sich das bald ändern: Sie verfolgten die Geruchsspur einer Gruppe Hirsche, die sich beigefarben vor ihnen dicht über dem Boden durch den Hohlweg zog. Zwei andere Gerüche, die Link nicht kannte, schwebten weiter oben durch die Luft. Der eine war schwach, wurde von dem anderen verdeckt, der grellgelb glänzte, in die Nase stach und die Schleimhäute verklebte. Die Wölfe waren ratlos und etwas beunruhigt, aber Pinus führte sie unbeirrbar weiter und flößte ihnen Mut ein.
Endlich wichen die beklemmend engen Wände zurück und öffneten sich zu einem Felsenkessel. Aufgeregt rannten Bellis‘ Welpen voraus, überholten gar ihren Anführer. Der duldete für gewöhnlich nicht einen solchen Verstoß gegen die Hierarchie, doch ließ er den Jungen nun die Freude. Auf dem weiten Platz verteilten sich die Wölfe und sammelten sich zu einem unordentlichen Gedränge, das ihre einspurige Formation auflöste. Link und Lupine waren die letzten, die darin ankamen, und verloren sich in dem Getümmel zunächst aus den Augen.
Nur jetzt, da Link an dem Engpass vorbei war, enthüllten ihm die Felswände den Grund für die plötzliche Unordnung: Ein Haufen Geröll erschwerte dem Rudel das Vorankommen. Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Hohlweg entlanggingen, deswegen wusste Link genau wie die anderen, dass der Boden hier für gewöhnlich frei war. Ihm kam es außerdem merkwürdig vor, dass auf den Felsbrocken kein Schnee lag. Demnach mussten sie erst nach dem letzten Niederschlag von den Klippen in den Hohlweg gestürzt sein, ja sogar nachdem die Hirsche durchgekommen waren. Irgendetwas war faul, das spürte Link, doch der Hunger machte es ihm schwer, genauer darüber nachzudenken.
Unter Pinus‘ starker Führung begannen die ersten Wölfe, den niedrigen Hügel zu erklimmen. Aufgeregt hüpften die Welpen zwischen ihnen umher. Plötzlich aber hielten die Erwachsenen inne und sahen auf. Manche der unten gebliebenen folgten den Blicken, genauso auch Link. Von den Felswänden schwebte eine leuchtende Kugel zu ihnen herab, die einen flirrenden Funkenschweif hinter sich herzog. Vom Aussehen her hätte man sie für eine Fee halten können – wäre nicht der Rauch und der beißende Gestank gewesen, der von ihr ausging.
Als Link begriff, was das war, bellte er Pinus eine Warnung nach vorn. Der ignorierte nicht wie zuerst befürchtet sein rangniedrigstes Rudelmitglied, sondern sprang vor, um ein übereifriges Junges am Nackenfell zu packen. Mit einem Satz war er runter vom Geröllhaufen, als die falsche Fee auch schon herbei war. Am höchsten Punkt des Hindernisses schlug sie ein, und sofort zischten Flammen auf, züngelten entlang der Ölspur, die jemand längs der Felsbrocken quer über den Weg geschüttet hatte. Innerhalb eines Augenblickes bildete sich eine rauschende Feuerwand, durch die es kein Weiterkommen gab.
Panik brach unter den Wölfen aus. Einige, gerade die, die schon auf das Geröll geklettert waren, kehrten um, rannten dorthin zurück, wo sie hergekommen waren. Link versuchte sein Bestes, nicht von ihrem Strom mitgerissen zu werden, und zog sich an eine Steinwand zurück.
Irgendwo im Hohlweg, wo die verängstigten Tiere hinliefen, erklang erschrockenes Jaulen, und der scharfe, drahtige Geruch frischen Blutes wehte herbei. Außerdem waren Laute zu hören, die dem Rudel nur zu verhasst waren: Die Rufe von Menschen. An den kurzen, gebrüllten Befehlen fand Link seine Befürchtung bestätigt, dass dies eine Falle für die Wölfe war. Mithilfe der Flammenbarriere wurden sie zurück in die Enge getrieben, wo ihre menschlichen Schlächter sie bereits mit Netzen und Macheten erwarteten. Das Öl hatte den Geruch der Jäger überdeckt, zudem hatten sie keine Hunde mitgenommen, deren kräftiger Gestank sie verraten hätte. Dies waren keine einfachen Schäfer, die mit viel eindrucksvollem Getöse die tierischen Viehdiebe zu vertreiben gedachten. Hier fand eine große, wohldurchdachte Jagd auf Wolfsfelle statt!
Die fliehenden Wölfe erkannten die Bedrohung, die sie im Hohlweg in Empfang nahm, und strömten in den Felsenkessel zurück. Zusammen mit ihren panischen Rudelmitgliedern, die noch immer dem Feuer zu entkommen versuchten, machten sie das Chaos perfekt.
In diesem Durcheinander fand Lupine Link und bahnte sich ihren Weg zu ihm. Ängstlich drängte sie sich an ihn, und er spürte, wie sehr sie zitterte. Tröstlich fuhr er ihr mit der Zunge über die Wange. Bestimmt wurde sie von schrecklichen Erinnerungen an ihr voriges Rudel heimgesucht, das auf ähnliche Weise seinen Untergang erlitten hatte. Aber dieses Schicksal sollten sie hier und jetzt nicht teilen. Nicht in Anwesenheit eines Helden!
Auch wenn er Lupine nur ungern allein lassen wollte, bedeutete Link ihr, an Ort und Stelle zu bleiben, und kämpfte sich wieder nach vorn. Im Vorbeigehen schnappte er nach ihm entgegenkommenden Wölfen, versuchte, sie dazu zu bewegen, dieselbe Richtung wie er einzuschlagen. Die meisten bissen ihn schmerzhaft zurück, was nicht an dem mangelnden Respekt lag, den sie seinem niedrigen Rang entgegenbrachten; es war die schiere Angst vor dem schwarzroten Gestank nach Rauch, Blut und Tod, die sie dazu brachte, sich gegenseitig zu verletzen.
Link hatte den Geröllhaufen erreicht, suchte sich eine erhöhte Position und bellte in die Menge, aber niemand achtete seiner. Plötzlich erschien ein Schatten neben ihm – es war Pinus, der zu ihm heraufgesprungen war. Verzweifelt versuchte Link dem Anführer klarzumachen, dass die Panik in dieser Situation ihr größter Feind war und das Rudel zur Ruhe bewegt werden musste. Der einzige Ausweg aus dieser Hölle führte paradoxerweise durch die Feuerwand; ein angesengtes Fell war nicht annähernd so schlimm wie der sichere Tod.
Anscheinend hatte Pinus verstanden, denn er zog die Aufmerksamkeit der Wölfe mit lautem Heulen auf sich, hielt sie dazu an, ihm hinaufzufolgen. Einige der Angerufenen gehorchten ihm; das Vertrauen, das sie ihrem Anführer entgegenbrachten, und ihre Angst vor den Menschen überstiegen ihre instinktive Scheu vor dem Feuer.
Da Pinus dies erfolgreich übernommen hatte, setzte Link dazu an, hinabzuspringen, um nach Lupine zu suchen. Doch noch auf dem Geröllhaufen sah er einen Wolf neben sich wie vom Blitz getroffen zusammenzucken. Sein Rudelmitglied stürzte die Erhöhung hinunter, riss dabei nachströmende Gefährten mit sich. Ein weiterer taumelte hinab, und prompt war der geregelte Rückzug, den Pinus angeordnet hatte, im Keim erstickt. Link sprang zu dem abgestürzten Wolf, der zuckend am Boden lag und pfeifend nach Luft schnappte. Ein Pfeilschaft stak ihm zwischen den Rippen, hatte seine Lunge durchbohrt. Das bemitleidenswerte Tier verendete langsam und qualvoll, und Link sah sich dafür in der Verantwortung. Das wäre nicht geschehen, hätte er Pinus nicht dazu überredet, das Rudel auf den Hügel zu führen.
Wieder fiel jemand in der Nähe von dort hinab, und Link sah auf, suchte nach dem Schützen, der die Fluchtversuche der Wölfe, kaum dass sie die Anhöhe erreichten, schon zunichtemachte. Und er fand ihn tatsächlich: Oben an einem Steilhang stand ein Mann mit Bogen, neben sich ein Lagerfeuer, an dem er die mit ölgetränkten Lumpen umwickelte Pfeilspitze entzündet hatte, mit der das Desaster begonnen hatte. Link spürte ein grollendes Knurren tief aus seiner Kehle aufsteigen.
Er lief los, erklomm mühsam den steilen Abhang. Zuerst musste er grob abschätzen, wohin er zu klettern hatte, doch schon bald führte ihn im Gestank des Ölrauches eine feine rotbraune Holzfeuernote an sein Ziel. In dem Moment, als Link auf dem Plateau ankam, riss die Wolkendecke auf, und der fahle Sonnenschein fiel auf ihn. Der Schütze sah aus dem Augenwinkel das hell gleißende Fell, fuhr sofort zu ihm herum. Vor Verblüffung versäumte der Mann beinahe, einen Pfeil auf das herannahende Raubtier zu schießen, das im Zickzack auf ihn zulief und geschickt auswich.
Ohne sich und den Menschen von der Klippe zu werfen, sprang Link diesen an und riss ihn zu Boden. Die beiden rangen miteinander, wobei der Wolf sich in einen Arm verbiss und der Schütze seinen Bogen fallenlassen musste. Der Mann zückte einen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel, stach Link in die Seite und Schulter; aber erst, als er ihm auch über die Schnauze fuhr, ließ der Wolf jaulend von ihm ab.
Wütend schnaubend schüttelte Link den Kopf und war sofort bereit, weiterzukämpfen.
Auch der Mann hatte sich auf die Knie aufgerichtet, warf aber den Dolch nieder und hob ergebend die Handflächen vor. „Bitte nicht!“, flehte der Jäger mit zitternder Stimme. Er hatte keine spitz zulaufenden Ohren, war also kein Hylianer, und den nord-hyruleanischen Dialekt, den er sprach, verstand Link nur schlecht. „Ich will dich nicht verletzen“, konnte sich der falsche Wolf jedoch noch herleiten.
Überrascht sah der Mann auf, als er merkte, dass Link tatsächlich innegehalten hatte. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Bitten und gute Zusprache bei einem wilden Tier funktionieren würden. Staunend betrachtete er die einzigartige Schönheit des in der blassen Wintersonne wie flüssiges Gold glänzenden Fells. War das etwa Ehrfurcht? Hielt der Jäger Link ähnlich Ganondorfs für ein übersinnliches Wesen und dachte gar, er würde bestraft werden, wenn er ihn noch weiter verletzte?
Link machte keine Anstalten, wieder anzugreifen, doch setzte er eine Pfote auf den blutigen Dolch und schnippte ihn den Felshang hinunter. Dort unten ergriffen die ersten Wölfe die Chance, ungehindert den Geröllhaufen hinaufzuklettern und mit einem beherzten Sprung durch das erlöschende Feuer zu entkommen. Bedrohlich knurrend beobachtete Link, wie sein Gegenüber aufstand, einige Schritte rückwärts von ihm und dem Klippenrand wegging, um dann herumzuwirbeln und loszurennen.
Ihm nachblickend, ließ Link ihn laufen. Der Bogenschütze war ein mutiger Mensch mit im Grunde gutem Herzen, der das Risiko eingegangen war, sich selbst zu entwaffnen und ein scheinbar wildes Tier um Gnade anzuflehen.
Doch als Link genauer über dessen Worte nachdachte, wurde ihm ihre eigentliche Bedeutung klar: Der Jäger hatte sein prächtiges Fell gesehen, aber nicht das schützenswert Besondere daran, sondern seinen materiellen Wert. Immerhin lebte er davon, Wölfe ihrer Pelze wegen zu jagen. Ein solcher wie Links würde noch einmal wesentlich mehr Rubine einbringen, wenn er unversehrt war. Der Mann hoffte wohl, später, wenn die Wunden von heute verheilt waren, den goldenen Wolf zu töten, ohne das Fell zu beschädigen, wahrscheinlich mit einem gezielten Schuss ins Auge.
Wieder knurrte Link. Der Blutgeschmack in seinem Mund, der wie der jeder Beute war, flutete seine ausgehungerten Sinne. Er lief los, holte den Flüchtigen mühelos mit wenigen Sätzen ein, warf ihn von den Füßen, indem er ihm mit den Vorderpfoten in den Rücken fiel. Der Mensch brüllte vor Schmerz, als der Wolf ihm die Fänge in den Halsansatz schlug und mit einem gewaltigen Ruck seiner kräftigen Nackenmuskeln daran riss. Die Hauptschlagader platzte auf, und heißes, köstliches Blut sprudelte hervor. Links Opfer wehrte sich erfolglos, während er es unnachgiebig am Boden festhielt.
Als sich die Wolken wieder vor die Sonne schoben, hörte der Mann zu zappeln auf, und Link trat von ihm zurück. Die Lache heißen Blutes dampfte in der Kälte und färbte den Schnee um den Toten dunkel. Link spürte rotes, von silbernen Metallsplittern durchzogenes Aroma auf der Zunge und in der Nase.
Ihn packte das blanke Entsetzen, als er begriff, was er soeben getan hatte.
Der Bogenschütze mochte Link nach dem Leben getrachtet haben, aber gewiss hatte er doch Familie, vielleicht sogar Kinder – ein eigenes kleines Rudel, das er hatte beschützen und ernähren müssen. Aber jetzt war er tot. Innerhalb eines einzigen, unbedachten Augenblickes hatte Link ihn getötet.
Benommen vom eigenen Blutdurst, kehrte Link in den Felsenkessel zurück, wo die übrigen Jäger begannen, die erbeuteten Wölfe an einer Stelle gesammelt nebeneinanderzulegen. So beschäftigt waren sie, dass sie keine Notiz von dem einzelnen Nachläufer nahmen, der sie genauso nicht beachtete. Nach dem, was oben auf dem Plateau geschehen war, wollte Link nicht herausfinden, was passieren mochte, wenn er sich seine toten Rudelmitglieder zu genau ansah.
Die überlebenden Wölfe hatten sich unweit des Felsenkessels in einem kleinen Wald zusammengefunden, wo sie in Ruhe ihre Wunden leckten und ihre Verluste beklagten. Ihre Gemeinschaft war fast um die Hälfte dezimiert worden; erleichtert erkannte Link, dass Bellis und ihre Jungen unversehrt waren, was sich zu unendlicher Freude steigerte, als er auch Lupine entdeckte. Schwanzwedelnd kam die Wölfin zu ihm, presste sanft ihre kühle Schnauze auf seine Schnittwunden. Irritiert beschnupperte sie das Blut an Links Maul, das er sich vor geistiger Entrückung noch nicht abgeputzt hatte. Nun übernahm Lupine das für ihn, brach aber ab, als Pinus zu den beiden trat. Auch er prüfte das Blut und wollte wissen, was es bedeutete.
Voll Scham kauerte sich Link vor ihm zu Boden, legte die Ohren zurück und winselte. Seine instinktive wölfische Angst, genährt von logischer Schlussfolgerung eines menschlichen Verstands, hatte ihn dazu getrieben, ein wehrloses, fliehendes Opfer zu töten, und das ohne echten höheren Zweck. Das war nicht die Tat eines den Gesetzen der Natur untergebenen Wolfs und auch nicht die eines zu Mitgefühl fähigen Menschen. Link war eine Bestie, und es wäre nur legitim, wenn ein besorgter Anführer eine solche verstieß.
Auch wenn die Tötung des Bogenschützen nicht dafür vonnöten gewesen war, wusste Pinus, dass die Überlebenden des Rudels nur entkommen waren, weil Link den Beschuss gestoppt hatte. Feierlich hob der Anführer den Kopf und heulte kraftvoll in den Himmel. Lupine stimmte mit ein, dann auch begeistert Bellis‘ Welpen. Schließlich schloss sich nach und nach das ganze Rudel an, und ihr Gesang stieg als schauerlicher Chor zwischen den Berghängen hinauf. Es war die Zeremonie, mit der Jungwölfe bei den Erwachsenen aufgenommen wurden.
Glücklich schaute Link um sich. Endlich war er ein vollwertiges Mitglied!Da er nun zu den erwachsenen Wölfen zählte, durfte Link endlich mit ihnen fressen; auch Lupine stieg in einen höheren Rang auf, als sie zuvor innegehabt hatte. Aber so wunderbar diese neue Situation für ihn war, wusste Link, dass er sie sich teuer mit Blut erkauft hatte. Als seine Wunden geheilt waren, fasste er daher den Entschluss zu beweisen, dass er des Respekts des Rudels auch würdig war, ohne einen Menschen zu töten. Außerdem hatte er Angst vor dem, was noch kommen mochte: Der Schütze würde nicht der einzige bleiben, der Link wortwörtlich an den Pelz wollte, und somit brachte der ungewöhnlich gefärbte Wolf die ganze Gemeinschaft in Gefahr. Link konnte schon genau erahnen, was Pinus tun würde, wenn er davon Wind bekam.
Nur eines würde Link seinen Platz im Rudel endgültig sichern. Es war ihm durchaus auch schon früher in den Sinn gekommen, als er darüber nachgedacht hatte, wie er Epona am besten beschützen konnte. Aber erst jetzt, da er den Status eines Erwachsenen hatte, durfte er es überhaupt erst tun: Pinus zum Kampf herausfordern.
Im Wald tropfte lebhaft das Schmelzwasser des nahenden Frühlings. Auf einer Lichtung, wo der Schnee schon fast ganz abgetaut war, versammelten sich die Rudelmitglieder um ihren Anführer und den Aufrührer. Pinus hatte sich für das Duell bereiterklärt, obwohl die Zeichen dafür zuerst nicht günstig gestanden hatten. Auch wenn er Link fest im Rudel aufgenommen hatte, hatte sich dieser in relativ kurzer Zeit zu vieles geleistet, sodass er den Groll des Alphas selbst auf sich gezogen hatte. Gewiss würde Pinus nicht zimperlich mit ihm umgehen.
Lange hatte Link überlegt, wie er den älteren Wolf besiegen sollte. Mit den Hylianischen Rittern hatte er sich im Schwertkampf gemessen, den er sich immerhin über Jahre hinweg angeeignet hatte. Bei Pinus war das eine andere Angelegenheit, denn der hatte weitaus mehr Erfahrung im bloßen Wolfsein, geschweige denn im Kämpfen als Wolf. Außerdem war Link, auch wenn er in den letzten Monaten deutlich gewachsen war, weder so schwer noch stark wie der wohlgenährte Anführer. Aber dafür hatte Link bereits in den unterschiedlichsten Gestalten mit den verschiedensten Waffen gegen alle möglichen Arten von Gegnern gekämpft. Und Pinus am meisten voraus hatte er durch seine menschliche Intelligenz.
Den blitzschnell zuschnappenden Kiefern, mit denen Pinus den Kampf begann, wich Link mit Seitwärtssprüngen aus, sodass die Angriffe ins Leere gingen. Sogleich vollführte der verwandelte Hylianer eine Rückwärtsrolle – danach als Wolf wieder auf allen Vieren aufzukommen war ein nur allzu abenteuerliches Manöver. Irritiert davon zögerte Pinus, und Link nutzte dies aus, indem er vorpreschte und einen Biss antäuschte. Der Anführer wich in die von seinem Gegner erwartete Richtung aus; schon wirbelte Link zu der anderen Seite herum und biss dem größeren Wolf schmerzhaft in die Schulter.
Überrascht von der Finte, zu der kein Wolf fähig war, knurrte Pinus. Ehe Link zurückweichen konnte, wurde er am Nackenfell gepackt. Mühelos schleuderte der Anführer ihn herum und warf ihn zu Boden, setzte ihm sofort weiter nach. Schnell rollte sich Link auf den Bauch; als Pinus über ihm war, richtete er sich ruckartig auf, rammte dem Leitwolf den Kopf in die Brust. Indem er ihm gleichzeitig eine Pfote hinter einen Vorderlauf hakte und ihm unter dem Körper wegzog, hebelte Link seinen Gegner aus dem Stand. Begünstigt durch die Schulterwunde, fiel Pinus dadurch schwer auf die Seite. Augenblicklich war der Herausforderer über ihm, packte ihn an der Kehle und presste ihn mit ganzem Gewicht zu Boden. Was reine Körperkraft betraf, wäre es Pinus ein Leichtes gewesen, sich wieder aufzurichten. Doch Link umschloss seinen Hals drohend fester und zwang ihn, liegenzubleiben.
Das Fell an der Kehle des Anführers war hell und weich, die Haut dünn und empfindlich. In den darunterliegenden Adern pulsierte hochfrequent alle Demütigung, die Link monatelang im Rudel erlebt hatte. Es war so verlockend leicht wie bei dem Bogenschützen, bedurfte nur eines Bisses, gefolgt von einem kräftigen Ruck.
Sein Gegner erschlaffte, als ihn dieselbe Gewissheit überkam und er seine Niederlage einsah. Link ließ ihn los und trat zurück, während Pinus aufstand. Der ältere Wolf hielt Kopf und Schultern gesenkt, wodurch er überhaupt nicht mehr größer als Link war, wie er bislang immer gewirkt hatte. Unterwürfig erkannte Pinus den Herausforderer als Sieger an. Der Verlierer wandte sich ab und hinkte fort von der Lichtung.
Gerne hätte Link ihn bleiben lassen, aber Pinus ging freiwillig in Achtung vor den Gesetzen der Natur. Er war ein großartiger Anführer gewesen, stark sowohl im Kampf als auch im Herzen. Gewiss würde er ein neues Rudel finden, dessen Alpha er werden konnte.
Ein paar übereifrige Jungwölfe schnappten nach Pinus, als er an ihnen vorüberging, und der hätte ihren Hohn geschlagen über sich ergehen lassen. Aber als Link sie tadelnd anknurrte, ließen sie ihn unbehelligt ziehen.
Als Pinus gegangen war, brachte Bellis ihre Jungen herbei, die momentan die einzigen im Rudel waren. Brav, aber ängstlich setzten sie sich vor Link nieder, wussten instinktiv und schicksalsergeben, was nun folgen würde. Link sah sich unter den Wölfen um, die ihn als ihren neuen Anführer anerkannt hatten. Als solcher hatte er das Recht, vielleicht sogar die Pflicht, die Welpen seines Vorgängers zu töten. Lupine hatte Pinus nicht dafür gehasst, und Bellis würde auch Link nicht zürnen – aber so, wie sie den Hass nicht kannten, war den Wölfen auch die Barmherzigkeit fremd.
Link senkte die Schnauze über eines der Jungen, das sich noch tiefer zusammenkauerte; doch sein größeres Gegenüber leckte ihm nur freundlich über den Kopf, stieß es sanft um. Den Vorderkörper gesenkt, das wackelnde Hinterteil in die Höhe gereckt, lud Link die Welpen zum ausgelassenen Fangenspiel über die Lichtung ein. Sogleich vergaßen sie ihre Angst vor dem neuen Rudelführer und spielten stattdessen mit ihrem Freund, der mit ihnen gewachsen war.Unter der neuen Führung erlegte die Jagdrotte einen besonders großen Hirsch, von dem Link als Alpha natürlich als erster fressen durfte. Mit ihm ließ er Lupine, Bellis und sogar ihre Jungen sich an der Beute gütlich tun. Die bot genügend Fleisch, dass sich niemand in der Hierarchie zurückhalten musste und am Ende doch alle mehr als satt wurden. Zufrieden kuschelte sich das Rudel zu einem Verdauungsschläfchen zusammen.
In seliger Ruhe überschaute Link seine Wölfe. Zwei von Bellis Welpen hatten sich der allgemeinen Faulheit nicht angeschlossen, sondern balgten sich knurrend um eine abgenagte Rippe. Dass sie noch lebten, könnte eines Tages vielleicht zum Problem werden, wenn andere im Rudel gegen Links Anführerschaft aufbegehrten. Immerhin hatte er sie, indem er Pinus‘ Nachwuchs am Leben gelassen hatte, eigentlich nicht legitim angenommen. Diese erste erfolgreiche Jagd mit Links taktischer Vorgehensweise hatte vorerst gezeigt, dass er ein guter Alphawolf war. Doch mochte es sein, dass der ein oder andere aufstrebende Jungwolf hinterfragte, ob sie ihn überhaupt brauchten, jetzt, da der Winter sein Ende fand, oder sobald das Rudel wieder auf die alte Größe angewachsen war.
Aber im Moment war alles gut. Link würde das Rudel von den Menschen und Epona fernhalten und vor allen Gefahren beschützen, es weiterhin stärken mit üppigen Mahlzeiten und eigenen Jungen.
Die Schnauze tief in das Fell der neben ihm dösenden Lupine vergrabend, nahm Link ihren warmen, honigfarbenen Duft nach beginnendem Frühling, sich öffnenden Knospen und aufgehender Sonne auf. Träge erhob er sich, streckte sich ausgiebig und gähnte jaulend. Gemächlich trottete er davon, bis er weit abseits seines Rudels eine einsame Felsnase erreichte, die über einen Abhang hinausragte und nach Süden einen herrlichen Ausblick über den nächtlichen Wald bot.
Am Himmel prangte ein strahlender Vollmond, und Link erinnerte sich an jene Neumondnacht, in der er zum ersten Mal bewusst zum Wolf geworden war. Damals, am darauffolgenden Tag, hatte er sich dem Rudel angeschlossen, um alles über ihr Leben zu lernen und so eventuell einen Weg zu finden, sich wieder zurückzuverwandeln. Nun hatte er es vom nichtsnutzigen Neuankömmling bis zum Rudelführer geschafft. Wozu wollte er da noch wieder Mensch sein? Zum ersten Mal seit über fünf Jahren war er wirklich zufrieden, im Reinen mit sich und einer Welt, in der er keinen Platz zu haben geglaubt hatte.
Aus ganzem Herzen heulte Link wie ein Wolf zum Vollmond hinauf, stimmte das Lied der Befreiung an, das er in Termina erlernt hatte, um ruhelosen Seelen den Frieden zu schenken. Er sang es für Navi, wo auch immer sie sein mochte, teilte ihr mit, dass er endlich seinen Platz gefunden hatte. Und er sang es für sich selbst.
Seine Wolfsstimme hallte von den Hängen wider, die vom milder werdenden Wetter von Eis und Schnee befreit waren. Vielfach warfen sie die Melodie zurück, die sich zwischen ihnen zu stauen und um Link zu sammeln schien. Das melancholische Heulen wurde verzerrt, wurde klarer und höher, bis es schließlich wie liebliche Flötentöne klang.
Link beendete das Lied, öffnete die Augen … und sah die Okarina der Zeit in seinen Händen.
Erschrocken blickte er an sich hinunter; wo er eben noch als Wolf gesessen hatte, kniete er nun als Mensch.
Das magische Instrument fiel ihm fast aus den Händen, als der Hylianer vor Wut und Trauer zu beben begann. Warum hatte er sich zurückverwandelt? Warum jetzt noch, als er endlich akzeptiert hatte, was aus ihm geworden war?! Hatte es dafür wirklich nur des Lieds der Befreiung bedurft?
Hinter sich vernahm Link das Knacken eines trockenen Zweigs und fuhr herum. Angelockt von seinem Gesang war sie gekommen und hatte miterlebt, wie er zum Menschen geworden war. Vor tierischem, unverständigem Entsetzen hatte die wallnussbraune Wölfin die blassblauen Augen weit aufgerissen.
„Lupine.“ Links menschliche Stimme war von der langen Zeit, in der er sie nicht benutzt hatte, rau und heiser. Die beiden starrten einander an, bis Lupine blitzschnell herumwirbelte und in den Wald davonlief. „Lupine, warte!“, versuchte Link, ihr nachzurufen, bekam aber kaum einen Ton heraus. Er schalt sich selbst einen Narren, wusste die Wölfin doch gar nicht, wie er sie für sich genannt hatte – und für diesen Gedanken kam er sich noch dümmer vor: Seine Menschenlaute wären für sie ohnehin völlig unverständlich gewesen.
Auch Link preschte nun los, wollte aus Gewohnheit auf vier Beinen laufen. Der Länge nach stürzte er hin, als seine Hände über den Felsen rutschten und er sich die Ballen aufschürfte. Scharf sog er die Luft ein vor Schmerz – ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, dass das mit Handschuhen nicht passiert wäre –, während die fallengelassene Okarina neben ihm klackend über den Boden hüpfte. Link hob sie auf, um Salias Lied anzustimmen, aber allein der Gedanke an die Melodie, die er zuletzt unter dem Neumond gespielt hatte, verwandelte ihn in einen Wolf.
Schnell hatte Link Lupine eingeholt, die sich nicht traute, weiterzulaufen. Unter einem Strauch zusammengekauert, winselte sie ängstlich und hatte den Schwanz zwischen die Hinterläufe geklemmt. Dieser Anblick erschütterte Link zutiefst. Das Rudel mochte ihn gefeiert haben dafür, dass er für ihre Sicherheit einen Menschen getötet hatte, doch schien es unerträglich für die Wölfin, wenn er sich selbst in einen verwandelte.
Nein. Lupine war nicht enttäuscht, weil sich Link als Mensch herausgestellt hatte. Es war reine, tierische Angst, die da in fahlgelben Strömen gegen ihn brandete. Für mehr Verständnis war das Tier vor ihm nicht intelligent genug. Die Wölfe, mit denen er zusammengelebt hatte, hatte er zu sehr anthropomorphisiert, ein Trick, den er unbewusst angewandt hatte, um sich leichter wie ein Teil ihrer Gemeinschaft zu fühlen.
Doch das war falsch gewesen, wie der Hylianer nun erkannte, dumm und naiv. Es war nicht nur seine Fähigkeit zu komplexeren Gedanken und höheren Gefühlen, sondern etwas viel Fundamentaleres, das ihn von Lupine, Bellis, ihren Welpen, Pinus und allen anderen im Rudel unterschied: Sie fügten sich in ihr naturgegebenes Schicksal, akzeptierten alles, was es über sie brachte – und er konnte das nicht.
Voll seelischen Schmerzes wandte Link sich von Lupine ab und rannte davon. Noch im Lauf sang er Eponas Lied, merkte erst, nachdem sein Heulen verklungen war, dass er sein Pferd, das er immer in seiner Nähe wusste, als Wolf herbeizurufen versuchte. Weil er befürchtete, dass sie darauf nicht hören würde, verwandelte er sich mit dem Gedanken an das Lied der Befreiung in einen Menschen und setzte dazu an, die Okarina zu spielen.
Da hörte er schon das Trappeln von Hufen auf dem schneefreien Waldboden. Epona wirkte nicht überschwänglich glücklich, ihn wieder in seiner alten Gestalt zu sehen, einfach weil er auch als Wolf für sie nicht anders gewesen war denn als Mensch. Nachdem sie sich auf die altvertraute Art begrüßt hatten, zog sich Link an ihrer Mähne auf sie hinauf, was ihm nach Monaten als Vierbeiner wesentlich leichter fiel als zuvor. Liebevoll streichelte er den warmen Pferdehals und war selbst überrascht davon, wie froh er darüber war, wieder auf ihrem starken Rücken sitzen zu können.
Neugierig stellte Epona die Ohren nach vorn und hob den Kopf. Auch Link sah auf und erblickte einen großen, dunkelgrauen Wolf, der in der Nähe im Unterholz saß. Den Rücken durchgebogen, sah Link dem Tier in die graublauen Augen. Es wandte sich ab, hinkte in die Richtung, aus der der falsche Wolf gekommen war.
Sanft gab Link Epona mit den Hacken ein Zeichen, und sie trabte in die andere Richtung. Zusammen verließen sie den Bergwald. Der Held der Zeit nahm mit, was er sich darin an Wissen und Fertigkeiten angeeignet hatte, und Link ließ seine Gefühle zurück.Eponas Lied aus Ocarina of Time
Wieder so ein Lied mit Eigenname. Dieses habe ich gewählt, da hier Link nicht nur das Tier in sich entdeckt, sondern auch und vor allem seine Beziehung zu Epona stärker ins Licht gerückt wird. Aber auch Salias Lied spielt eine wichtige Rolle, da es das Lied ist, das ihn überhaupt erst in einen Wolf verwandelt – während jene Beziehung zu Epona auch in Kapitel 1 behandelt wird. Die Titel dieser beiden Kapis sind also mehr oder minder austauschbar, und ich habe auch lange nachgegrübelt, an welches ich welchen verteilen soll.
Bei dieser Reihenfolge bin ich verblieben, weil man in OoT zuerst Salia begegnet, später erst Epona.- Die lateinischen Namen von Pinus und Bellis bedeuten „Kiefer“ (also das Nadelgehölz, nicht das Körperteil lol) und „Gänseblümchen“. Dass Link sie nach Bäumen und Blumen benennt, kommt von Lupines Namen, denn Lupus = Wolf, woraus ich Lupine abgeleitet habe, und das ist eine Blume.
- Das Verhalten des Wolfsrudels hat hier Elemente vom Verhalten von Löwen (die Anführerschaft kann erstritten werden, die Jungen des vorigen Alphas werden getötet), insofern ist es nicht realistisch, aber ich habe es so gewählt weil Plot. Außerdem kommt „das Gesetz der Natur“ in Zusammenhang mit Löwen iwoher bekannt vor xP
- Epona erkennt Link hier trotz Wolfsgestalt, genau wie es in Twilight Princess der Fall ist. In TP kann man als Wolf sogar mit ihr und anderen Tieren reden, was ich hier aber nur als mehr oder weniger indirekte Rede umgesetzt habe. Find ich authentischer ^^
- Link entwickelt sich hier allmählich zum Synästhesisten: Zuerst werden die Gerüche, die er wahrnimmt, mit Begriffen beschrieben, die man für Aromen im allgemeinen verwendet. Iwann aber geht es zu Farben über, zu Bildern, und später gar zu Erinnerungen und Gefühlen. Und all das entstammt dem doch sehr simplen „Gespür“ aus TP.
- Die sechsnotige Melodie, die man in Majora’s Mask auf der Okarina spielen muss, damit das Lied der Befreiung daraus wird, ist die Melodie von Salias Lied rückwärts. So wollte ich Links Verwandlung zum Wolf und wieder zurück miteinander verbinden. Es gibt noch mehr: Bei der Verwandlung zum Wolf ist es Winteranfang, bei der zum Menschen das Ende des Winters. Bei dem einen Zeitpunkt herrscht Neu-, beim anderen Vollmond.
- Dieses Kapitel ist das wohl freieste der drei, da es am wenigsten Zelda-spezifisch ist. Da ich also fast nur auf eigene Ideen gestützt war, hab ich eigentlich gedacht, es würde kürzer werden als das erste. Nun ist es genauso lang und ich muss mich vil sogar wundern, warum es nicht noch mehr geworden ist xP -
Ariette der Zeit
Nach seinem Abenteuer in der Zukunft macht sich Link, Held der Zeit, auf die Suche nach seiner Fee Navi. Nur in Begleitung seines Pferdes und teuren Freundin Epona bereist er andere Welten und Gegenden Hyrules, die kaum ein Mensch betreten hat, begegnet Rittern und Wölfen – und erweckt schließlich eine finstere Macht, die das Hyrule auf dieser Seite der Zeit ins Zwielicht zu stürzen droht …
Einleitung 1: Salias Lied
Nachdem Link durch seinen Sieg über den Dämon Ganon zum Helden der Zeit geworden war, sandte Prinzessin Zelda ihn die sieben Jahre in die Vergangenheit zurück, die sie sich schalt, ihm geraubt zu haben. Schlechten Gewissens wollte sie ihm so die Möglichkeit bieten, die verlorene Zeit nachzuholen, so aufzuwachsen, wie es ohne ihre Einmischung in sein friedliches Leben im Kokiri-Dorf vonstatten gegangen wäre.
Natürlich war das nicht der einzige Grund, und das ahnte Link, kaum dass er in der blauen Lichtsäule zeitumspannender Magie in der Zitadelle der Zeit erschien. Nicht nur er war jetzt wieder ein Kind – auch die Prinzessin selbst, die in diesem Augenblick ihr Bestes versuchte, ihren Vater davon zu überzeugen, dass Ganondorf ein Mann bösester Absichten war. Der König aus der Wüste bot dem Herrscher von Hyrule ein freundschaftliches Bündnis mit dem diebischen Volk der Gerudo an, doch hegte Zelda ihm gegenüber tiefstes Misstrauen. Zwar erzählte sie ihrem Vater, dass ein prophetischer Traum sie vor Ganondorfs Hinterlist gewarnt habe, doch war die Hoffnung, er möge ihren Befürchtungen nachkommen, ein nur allzu naiver Gedanke. Und warum auch? Ganondorf wegen der Albträume eines Kindes, sei es auch sein eigenes, abzuurteilen, hätte ihm als König nicht nur äußerst schlecht zu Gesicht gestanden, auch verhinderte seine Selbstachtung eine solche Dummheit.
Nun war Link also in genau dieser Vergangenheit gelandet, in der der doppelzüngige Ganondorf noch versuchte, dem König Hyrules das Geheimnis um das Triforce zu entlocken – eben jenes göttliche Artefakt, das ihm auf der anderen Seite der Zeit ermöglicht hatte, das Reich mit finsterer Faust zu regieren und zum Dämon zu werden. Die Zelda, die dadurch sieben schreckliche Jahre erlebt hatte, hatte ihren Helden nicht zufällig vor Ganondorfs Putsch zurückgeschickt. Als bester Augenzeuge für das, was kommen mochte, wurde dem Gerudo-König in seinem Streben nicht Einhalt geboten, sollte Link ihr jüngeres Ich bei ihren Bemühungen unterstützen.
Freilich war der König von Hyrule auch durch die Zusprache zweier Kinder nicht bereit, seinen politischen Kurs zu ändern. Dennoch war er als Mitglied der Herrscherfamilie mit der Mystik ihres Reiches vertraut – dass Link also durch die Zeit gereist war, erschien ihm nicht gar so absurd, als wie es ein Nichteingeweihter vermutlich abgetan hätte. Gegen den scheinbar kooperativen Wüstenkönig direkt ging er allerdings noch nicht vor, sondern ließ durch Spione dessen Hintergründe und Aktivitäten untersuchen, bevor er den Bündnisvertrag mit den Gerudo unterzeichnete.
So kam ans Licht, dass Ganondorf nicht nur für die Hungersnot verantwortlich war, der die Goronen – immerhin seit jeher Freunde des hylianischen Volkes – seit Neuestem anheim gefallen waren. Auch stand er bereits eng mit dunklen Mächten in Verbindung, die allem, das die Goldenen Göttinnen geschaffen hatten, feindlich gesinnt waren. Der König von Hyrule fasste den Entschluss, den Einflüsterungen eines solchen Mannes nicht länger Gehör zu schenken und weitere Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen.
Welche genau das waren, erfuhr Link dann nur noch aus zweiter Hand. Nachdem er den größeren, wichtigeren Teil dessen erwirkt hatte, wofür er in die Vergangenheit zurückgeschickt worden war, suchte er wieder das Kokiri-Dorf auf, um auch den anderen Teil zu erfüllen – nämlich seine Kindheit nachzuholen. Da ihm auch die Zelda auf dieser Seite der Zeit viel zu verdanken hatte, hielten die beiden zunächst Briefkontakt. So ließ sie ihn wissen, dass Ganondorf der Prozess gemacht worden war und er nun – berechtigt, wie Link fand – wegen Hochverrats hingerichtet werden sollte. „Also darfst du jetzt in Ruhe dein eigenes Leben leben“, schrieb die kleine Prinzessin, was ihm auch ihr Ich in der Zukunft gewünscht hatte. „Auch für dieses Hyrule hast du deine Aufgabe erfüllt. Es braucht nun keinen Helden mehr.“
Dieses Vorhaben stellte sich allerdings schnell als weit schwieriger heraus, als es zunächst klang. Natürlich versuchte Link, den Anschluss zu den anderen Kindern des Waldes wiederzufinden, doch war der auch schon vor seinem Abenteuer in der Zukunft nicht recht gegeben gewesen. Wie er erst später erfahren hatte, war er schließlich kein wirklicher Kokiri, sondern Hylianer, was die Erklärung dafür war, warum er anders als jene keine Fee besaß. Der weise Deku-Baum hatte ihm zwar die nörglerische Navi zur Seite gestellt, jedoch nur, damit Link seine Aufgabe als zum Helden Auserwählter erfüllen möge. Kaum, dass er auf dieser Seite der Zeit gestrandet war, hatte ihn die kleine blaue Nervensäge wieder verlassen.
Nun war er also wieder der Junge ohne Fee, der deswegen von den Kokiri nicht als einer der Ihren anerkannt wurde. Wenn nicht gehänselt, wurde er bestenfalls ignoriert, und mal wieder war es nur seine gute Freundin Salia, die ihm zur Seite stand. Nach allem, was er in der Zukunft erlebt und über die Welt erfahren hatte, war das eine für ihn nur allzu unwürdige Situation. Aber wie sollte er den anderen klarmachen, was sie, ja ganz Hyrule ihm zu verdanken hatten? Sie hätten es ihm ohnehin nicht geglaubt und nur als weiteren Grund für ihre Sticheleien genommen, und das hätte er ihnen nicht einmal verdenken können.
Doch da war noch mehr, das ihn von den übrigen Kindern des Waldes trennte: Täglich beobachtete er die Kokiri, die ihre immerwährende, glückliche Kindheit in Begleitung ihrer geliebten Feen verbrachten, und es erinnerte ihn nur zu schmerzlich daran, dass er beides verloren hatte.Trotz ihrer unfreundlichen Ader und ihrer ständigen Kritik an ihm, war Navi Links rechtmäßige Fee und seine Partnerin durch alle Zeiten. Seine Freundin. Sie nicht mehr bei sich zu haben, war nicht nur auf sozialer, sondern auch emotionaler Ebene eine Last für ihn.
Eines Tages fragte er daher den Deku-Baum, ob eine Möglichkeit für ihn bestand, Navi wieder zurückzubekommen. Leider wusste aber auch das greise Gewächs nichts über ihren Verbleib, doch gab es dem Helden einen wertvollen Rat: „Feen halten sich gerne bei Quellen auf, wie du es auf deinen Reisen selbst herausgefunden hast. Navi als Waldfee hat sich gewiss in einer Waldquelle niedergelassen. Suche sie in den Verlorenen Wäldern – und solltest du nicht fündig werden, frage die Großen Feen, vielleicht wissen sie mehr als ich.“
Dies nahm sich Link zu Herzen, und auf dieser Grundlage interpretierte er Zeldas Auftrag eines eigenen Lebens neu. Er zögerte nicht lange und brach noch am selben Tag auf – nicht Richtung Verlorene Wälder, sondern Hyrule-Ebene, da er dort noch eine Besorgung zu erledigen gedachte, bevor er seine große Suche nach Navi begann. Er überquerte die Hängebrücke beim Kokiri-Wald, auf der sein Heldenabenteuer begonnen hatte, seitdem mittlerweile auch auf dieser Seite der Zeit ein Jahr vergangen war. Genau hier hatte Salia damals auf ihn gewartet, um ihn zu verabschieden, und ihm ihre Feen-Okarina geschenkt.
Auch diesmal nahm sie ihn hier in Empfang und überreichte ihm einen Gegenstand, der allerdings für ein Instrument viel zu klein war. Es schien die Hälfte einer in der Mitte durchbrochenen, goldenen Münze zu sein, deren Prägung durch den Schaden nicht mehr zu erkennen war. „Meine kleinen Freunde im Wald nennen das Glücksfragment“, erklärte die Kokiri ihrem hylianischen Freund, der das Stück neugierig betrachtete. „Du schienst mir in letzter Zeit etwas traurig, und weil du jetzt fort gehst, dachte ich mir, du könntest ein wenig Glück gebrauchen.“
Da kam Link ein Geistesblitz, und er ärgerte sich sogleich, dass ihm dies nicht früher eingefallen war. Salia war die Weise des Waldes – auf dieser Seite der Zeit zwar nicht als solche erweckt, doch hatte sie mit dem Wald und seinen Lebewesen schon immer in engerer Verbindung gestanden als jeder andere Kokiri. Mit ihren kleinen Freunden im Wald konnte sie nur Feen meinen. Aufgeregt wollte Link von ihr wissen, ob auch Navi unter ihnen gewesen sei oder sie sonst etwas über sie wisse. Doch zu seiner Bestürzung schüttelte Salia nur bedauernd und irritiert, warum er gerade sie gerade dies fragte, den Kopf. Sie nahm ihm das Versprechen ab, sich mittels des Liedes, das sie ihm beigebracht hatte, mit ihr in Verbindung zu setzen, falls er jemanden zum Reden brauchen sollte.
Niedergeschlagen bereiste Link die Ebene von Hyrule und suchte dort die LonLon-Farm auf. Während und zwecks seiner Heldenmission war er mehrfach zwischen Vergangenheit und Zukunft hin- und hergereist, hatte auf beiden Seiten Freundschaft mit der Fuchsstute Epona geschlossen. Leider war er durch Zeldas Wirken so weit in die Vergangenheit zurückversetzt worden, dass das Fohlen, mittlerweile ein Jährling, ihn noch gar nicht kennengelernt hatte. Was nicht wirklich ein Problem darstellte: Mithilfe des Liedes, das Epona so liebte und er ihr auf seiner Feen-Okarina vorspielte, gewann er sofort ihr Herz wieder. Malon, die Tochter Talons, des Besitzers der LonLon-Farm, überließ dem unbekannten Virtuosen vertrauensvoll das störrische Tier.
Mit Epona stattete er dem Schloss einen letzten Besuch ab, um Zelda sein Vorhaben darzulegen und sich fürs Erste von ihr zu verabschieden. Während er ständig unterwegs war, würde es schwierig für die beiden werden, noch weiter in Briefkontakt zu bleiben. Auch wenn die kleine Prinzessin sehr traurig über seine Entscheidung war, respektierte sie seinen Wunsch und ließ ihn gewähren. Zum Andenken an ihre Freundschaft übergab sie ihm die Okarina der Zeit, eines der heiligsten Erbstücke ihrer Familie.
Ausgerüstet mit einem Kokiri-Schwert und dem Heroenschild, den ihm die Prinzessin vor seiner Rückkehr in sein Heimatdorf geschenkt hatte, und wieder hoch zu Ross nahm Link also die Suche nach seiner Fee in Angriff.Die Verlorenen Wälder waren ein gigantisches Gebiet, das zu durchforsten allein schon eine ganze Lebensspanne dauern musste. Der Abschnitt, den Link auf der anderen Seite der Zeit durchwandert hatte, um den Waldtempel zu finden, war nur ein winziger Bruchteil dieses riesigen Forstes. Erschwerend kam hinzu, dass die Quellen weitab voneinander lagen und schwer zugänglich waren. An den wenigen, die Epona und ihr Reiter fanden, ließ sich keine Spur eines blauen Lichtballs entdecken. Die Feen, die in ihnen lebten, ob groß oder klein, konnten Link auch keine Auskunft über eine Artgenossin mit dem Namen Navi geben.
Noch weit davon entfernt, die grundsätzliche Hoffnung auf Erfolg aufzugeben, spürte Link bereits, wie er allmählich mit weniger Enthusiasmus seine Suche fortführte, als er sie vor Wochen begonnen hatte. Ausgerechnet an einem neuen Tiefpunkt, als er unachtsam durch die gefährlichen Verlorenen Wälder streifte, wurde er von einem maskierten Horror-Kid und ironischerweise zwei Feen überfallen. Ihm wurden Epona und die wertvolle Okarina der Zeit geraubt und der Held selbst in einen Deku verwandelt. Die Verfolgung aufnehmend, gelangte Link nach Termina, einer Parallelwelt, die Hyrule überraschend ähnlich und doch ganz neu für ihn war.
Gerne wäre der hier Fremde sofort, nachdem er Pferd, Instrument und hylianische Gestalt zurückerlang hatte, wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Doch sollte hier in nur drei Tagen eine fürchterliche Katastrophe geschehen, die das unweigerliche Ende Terminas bedeuten würde. Wie konnte ein Held ganzen Völkern ungerührt den Rücken kehren, wenn sie in solch dringlicher Not waren?
Allein mit Schwert und Schild kam Link dabei nicht weit, doch glücklicherweise sammelte sich auch bei diesem Abenteuer eine stolze Auswahl praktischer Ausrüstung zusammen. Dazu waren ihm verschiedenste Masken, die in dieser Welt einen großen kulturellen Stellenwert einzunehmen schienen, von unschätzbarer Hilfe; gerade jene, die es ihm erlaubten, sich jederzeit in einen Deku, Goronen oder Zora zu verwandeln, wären ihm wohl auch bei seinem ersten Abenteuer von Nutzen gewesen. Begeistert von den Möglichkeiten, die sie ihm boten, nahm sich Link vor, nach vollbrachten Taten in Termina sämtliche Masken mit nach Hyrule zu nehmen. Auch die magischen Kräfte der Okarina der Zeit musste er wieder in Anspruch nehmen, denn es stellte sich heraus, dass drei Tage längst nicht ausreichten, um die Apokalypse durch einen vom Himmel stürzenden Mond zu verhindern. Er hegte den Verdacht, dass Prinzessin Zelda unterbewusst vorausgesehen hatte, dass er das Instrument brauchen würde, und es ihm deswegen überlassen hatte.
Durch einen unglücklichen Zufall war eine der beiden Feen, die das Horror-Kid begleitet hatten, bei Link verblieben. Seine Reise mit Taya durch Raum und Zeit erinnerte ihn sehr an jene mit Navi. An sich war sie erträglicher als die ewige Nörglerin, doch wünschte sich Link oft, der weißgelbe Lichtball sei von dem vertrauten Blau.
So bereisten Link, Taya und stellenweise auch Epona diese Parallelwelt Hyrules, auf dass der Held der Zeit seine neue Aufgabe erfüllen möge: Er erlöste die Vier Giganten, die Schutzpatronen Terminas, von ihrem Fluch, den das von der teuflischen Maske besessene Horror-Kid über sie verhängt hatte. Mit vereinten Kräften fingen die gottähnlichen Wesen den herabstürzenden Mond auf, sodass Link Majoras Maske selbst zum finalen Kampf herausfordern konnte. Dieser gestaltete sich als nicht weniger erbittert als die Schlacht gegen Ganon auf der anderen Seite der Zeit – doch Link wäre kein Held, wenn er nicht auch diese Prüfung meistern konnte.
Dank seiner Hilfe brach für Termina also endlich der Morgen eines neuen Tages an, und Link verabschiedete sich von Taya. Auch die Zeit mit ihr würde er stets in wertvoller Erinnerung behalten, doch gab es da nunmal eine andere Fee, die zu finden er wieder nach Hyrule zurückkehrte.Da die Suche in den Verlorenen Wäldern nicht das erwünschte Ergebnis erbringen zu wollen schien, weitete Link sie schließlich auf die angrenzende Ebene von Hyrule aus. Wie auf der anderen Seite der Zeit wurde das Königreich auch hier allerorten von Monstern heimgesucht. Die Lage war längst nicht so dramatisch wie unter der Knute eines dämonischen Herrschers, doch bedurften die Bürger der Hilfe dem König unterstellter Soldaten, damit sie nicht eskalierte. Wie die Prinzessin es Link geschrieben hatte: Dieses friedliche Hyrule kam auch ohne einen Helden zurecht.
Dennoch gehörte Link zu den wenigen Kämpfern im ganzen Land, die spielend mit den Kreaturen des Bösen fertig wurden. Da er zudem faktisch noch ein Kind war, erregten seine Fertigkeiten in den Dörfern, durch die er und Epona kamen, helles Aufsehen. Als er feststellte, dass ihm ein gewisser Ruf als Monsterschlächter allmählich vorauszueilen begann, kam ihm eine Idee: Während er nach Navi suchte, konnte er die Fee selbst auch auf sich aufmerksam machen. Die Geschichte des grüngewandeten Jungen aus dem Wald, der focht, um seine beste Freundin wiederzufinden, war wie geschaffen, um weitererzählt zu werden. Auf den Flügeln der mündlichen Überlieferung sollte sie sich über Hyrule ausbreiten, und vielleicht würde sie so auch an Navis Ohren gelangen. Wenn ihr dann klar wurde, wer die Gesuchte war, würde sie vielleicht zu Link zurückkehren.
Zwei lange Jahre durchkämmte der Held der Zeit ein Hyrule, in dem er noch zum Helden werden musste; ging jedem noch so kleinen Hinweis nach, die ihn dann doch nur allesamt in Sackgassen führten; streute seine eigenen Spuren, denen jedoch irgendwann außer ein paar Märchenliebhabern niemand mehr folgte. Auch jetzt noch war die Hoffnung Links und Eponas steter Begleiter, da er es sich nicht erlaubte, sie gehen zu lassen; und auch sein Reittier schien dieser Auffassung zu sein. Es war nur leider so, dass er einsehen musste, allmählich zu einer anderen Methode greifen zu müssen.
Gewissermaßen wieder am Anfang seiner Suche, überließ er schließlich Epona die Entscheidung, wohin sie sich als nächstes wenden sollten. Er vertraute sich ganz ihren Hufen an, die die Fuchsstute geradezu zielstrebig nach Norden richtete, wo die Temperaturen stetig kälter wurden. Um nicht von dem von ihr gewählten Pfad wegen ungeeigneter Kleidung abkommen zu müssen, ersteigerte Link in einem der letzten größeren Dörfer hyruleanischer Zivilisation Hemd und Hose aus weißem Leinen. Diese trug er unter dem grünen Kokiri-Gewand, aus dem er, wie er verspätet feststellte, allmählich herauswuchs.
Link war nicht ganz klar, welcher Teufel außer ihm selbst Epona sonst noch ritt, dass sie ihn in eine solche Gegend führte, in der es außer Stein und Schnee nichts zu geben schien. Im kältesten Norden Hyrules setzte sich das Gebirge fort, zu dem auch der ihm bereits bekannte vulkanische Todesberg gehörte, auf dem allerdings weit freundlichere Temperaturen herrschten. Hier in dieser Eiswüste fanden sich nur vereinzelte, winzige Siedlungen, nicht mehr als eine Handvoll Hütten, die hier und da in die verschneiten Täler gestreut waren. Und ausgerechnet in dieser Gegend, wo keine Menschenseele etwas zu holen hatte, stieß Link auf ein einzelnes, richtiges Haus.
Groß wie die Villen der reichsten Bürger Hyrule-Stadts oder Kakarikos, war es aus harten, grauen Ziegeln erbaut und passte sich somit dem Umgebungsgestein an. Es klammerte sich gefährlich nahe an eine Klippe, deren Boden vor lauter Schneegestöber nicht auszumachen war. Der Rauch, der aus dem Schornstein aufstieg, und die Eiszapfen unter dem Dachgiebel deuteten darauf hin, dass dieses Anwesen nicht nur bewohnt, sondern auch gut beheizt war. Von der Unbill des Gebirges erschöpft, hungrig und durchgefroren wagte Link, an die Eingangspforte zu klopfen.
Und tatsächlich öffnete man ihm und nahm ihn auf. Zwar schienen die Hausherren verwundert, einen so jungen Reisenden an einem so abgelegenen Ort begrüßen zu dürfen, ließen es jedoch – oder gerade deswegen – nicht an Gastfreundlichkeit mangeln. Wie er erfuhr, war dies die eigentlich geheime Festung des Hylianischen Ritterordens, von dem Link von Dörflern oft hatte reden hören. Als offizielle Gesandte der Krone waren die Ritter eigentlich immer im Reich unterwegs, daher musste es ein großer Zufall sein, dass gerade jetzt alle hier waren. Bis vor dreizehn Jahren, so erzählte man Link, hatten sie noch fast zwei Dutzend Mitglieder gezählt, jedoch waren die meisten davon damals im Hyruleanischen Bürgerkrieg umgekommen. Jetzt waren nur noch sieben von ihnen und drei Knappen übrig.
Der Orden war im ganzen Land bekannt für die Hilfe in allen Belangen, die er den Bürgern zukommen ließ; ob bei einfachen Nachbarschaftsstreitigkeiten, als Eskorte für Wanderer oder bei ernsthaften Problemen mit Monstern vertraten sie den König und handelten in seinem Namen. Somit hatte Link die letzten zwei Jahre eigentlich Teile der Aufgaben eines Ritters erfüllt, mit dem Unterschied, dass alle von ihnen einen bekannten Titel trugen, während aus ihm nichts weiter als eine kleine, lokale Berühmtheit geworden war. In dieser Gemeinschaft konnte er es wohlmöglich zu den großen, landumspannenden Taten bringen, die ihn auch auf dieser Seite der Zeit zu so etwas wie einem Helden machen würden. Wenn er es also als Ritter nicht schaffte, Navi auf sich aufmerksam zu machen, dann würde auch alles andere fehlschlagen.
Auf seine Fragen, wie er denn am schnellsten zum Ritter werden könne, bot ihm die einzige Frau im Orden an, ihn als ihren Knappen aufzunehmen. Nach ein paar Jahren Ausbildung würde er, wenn er das Zeug dazu hatte, in ihren Kreis aufgenommen werden. Doch Link hatte gesehen, womit der jüngste der Knappen seine Zeit verbrachte: Mit Schwertern aus Holz oder bestenfalls ungeschärftem Eisen übte er im winterlichen Innenhof der Festung unter Aufsicht seines Lehrers grundlegende Techniken. Die Stufe, die Link durch seine heldenhafte Wanderschaft in der Kampfkunst erreicht hatte, ging weit über dieses Laienspiel hinaus. Außerdem hatten die Knappen auch noch viel niedere Aufgaben im Haushalt der Villa zu erfüllen, die von außen betrachtet nichts mit dem Rittertum zu tun hatten.
Noch weniger als den Kokiri konnte Link erwachsenen Menschen sagen, wem sie das friedliche Hyrule eigentlich zu verdanken hatten, das es ihnen erlaubte, zurückgezogen auf ihrem gemütlichen Landsitz ihre Knappen wie Dienstboten herumzuscheuchen. Jedoch bestand er darauf, ihnen zu zeigen, dass er kämpferisch auf derselben Höhe war wie sie, die Kriegerelite des Königreichs. Zunächst lehnten sie seine Herausforderung amüsiert ab, doch nach einer kurzen, von der Ritterin angeordneten Beratung unter vierzehn Augen willigten sie überraschend ein. Allerdings stellten sie eine Bedingung: Link sollte ihnen und ihren Knappen einige Wochen bei ihren Übungskämpfen zusehen, durfte sich daran jedoch nicht beteiligen und auch kein Einzeltraining durchnehmen. Nach Ablauf dieser Frist sollte er dann den Rittern, nur mit einem Schwert und Holzschild aus dem Arsenal der Feste gerüstet, im Duell gegenübertreten. Besiegte er alle sieben nacheinander, würden sie ihn sogleich zum vollwertigen Ordensmitglied machen. Natürlich sagte Link zu.
Wie er ein eigenes Gästezimmer im Anwesen zugeteilt bekam, war Epona bei den Pferden des Ordens untergebracht. Zu ihres Reiters Überraschung sahen diese der Fuchsstute erstaunlich ähnlich. Wie sich herausstellte, gehörte Epona ebenjener Rasse stolzer Schlachtrösser an, die speziell für den Hylianischen Ritterorden gezüchtet worden war. Vermutlich stammte sie von Pferden ab, die ihren rechtmäßigen Besitzern während der Wirren des Bürgerkrieges verloren gegangen waren. Eigentlich war es nur Mitgliedern des Ordens erlaubt, ein solch edles Tier auch nur zu halten, doch die Ritter erkannten an, wie sehr Epona ihrem Reiter zugeneigt war, und ließen es dabei beruhen. Sehr zu Links Freude, denn er hätte sich seine Freundin niemals nehmen lassen. Nicht noch eine.
In der Zeit, die er auf der Festung verbrachte, kam er mit ihren Bewohnern immer mal wieder ins Gespräch. Er erzählte ihnen von seiner Suche nach seiner guten Freundin und welche Wanderungen er dafür bereits auf sich genommen hatte. Man zeigte reges Interesse an seiner bunten Auswahl an Abenteurerausrüstung; insbesondere an seinem Heroenschild, und die Ritter wollten wissen, woher er ihn denn habe. Doch Link befand, dass das niemanden etwas anging, und hüllte sich dahingehend in Schweigen.
Am besten kam Link mit einem der Ordensritter aus, der sich ihm als Leopold Glires vorstellte. Dieser erzählte dem Helden, dass er seine Knappenzeit während des Bürgerkriegs absolviert habe und gleich nach Wiedereinkehr des Friedens zum Ritter ernannt worden war – mit nur sechzehn Jahren der jüngste Ritter in der Geschichte Hyrules, worauf sich Leopold von Anfang an mächtig was einbildete. Außerdem trug er stets einen Siegelring aus purem Gold mit einem eingeprägten Triforce-Zeichen, von dessen Machart der König jedem, der sich bei der Beilegung des Kriegs hervorgetan hatte, einen zum Geschenk gemacht hatte. Ritter und Held wurden schnell Freunde, auch wenn Leopold das Rittertum heilig war und er es unerhört fand, wie Link darin aufgenommen werden sollte. Für diesen ungewöhnlichen Weg hatte er nur gestimmt, weil er das Interesse eines Draufgängers hegte, wie weit Link es darauf schaffen würde.
Bei einem ihrer Gespräche erfuhr Link, dass es gar nicht so zufällig war, dass zurzeit alle Ritter in der Feste weilten. „Eigentlich ist es gerade ziemlich langweilig“, meinte Leopold auf Links Frage, wie er das Ritterleben fand. Mit weiter Geste umfasste er den Korridor, durch den er und der grüngewandete Gast schlenderten und die prachtvollen Gemälde an den Wänden bestaunten. „Wir sind hier gewissermaßen eingesperrt, bis der König sich erbarmt, uns abzubestellen.“
„Ich dachte, ihr seid immer auf Reisen durch Hyrule?“, merkte Link an.
Leopold hob die Schultern. „Früher einmal, aber davon habe ich nur zwei oder drei Jahre mitbekommen. Da durften wir noch nach eigenem Gewissen handeln, was mal richtig, mal falsch war, aber wir taten es immer im Namen der Krone. Das hat damals den Bürgerkrieg verschärft. Deswegen hat der König das Gesetz erlassen, dass wir nur noch auf seinen ausdrücklichen Befehl vorgehen dürfen, egal, worum es geht. Versteh mich nicht falsch“, fügte er hinzu und machte abwehrende Handgesten, „ es ist ganz nett hier oben. Wir bekommen alles zur Verfügung gestellt, was wir brauchen, aber nicht mehr. Eigentlich sind wir nur noch unterbezahlte Soldaten. Das hat manchen nicht gepasst, deswegen sind sie aus dem Orden ausgestiegen.“
„Aber du bleibst?“ Link schien der Ritter nicht wie jemand, den man lange an einem Ort festsetzen konnte.
Leopold sah ihn unter rabenschwarzen Haarsträhnen mit seinen dunkelgrünen Augen an, als habe er ihm gerade vorgeworfen, den König ermordet zu haben. „Es ist eine Familientradition. Alle meine Vorväter waren Ritter“, erklärte er. „Mein Vater ist in Ruhm und Ehre im Bürgerkrieg gefallen, obwohl er … nunja, sagen wir sein Eheversprechen nicht ganz ernstgenommen hat. Sollte es wieder zu einem Krieg kommen, werde auch ich kein namenloser Soldat oder bestenfalls Gardist sein. Außerdem gibt es da noch … gewisse andere Vergünstigungen.“ Der Ritter lachte schelmisch und schmetterte dem kleineren Krieger brüderlich die Hand auf die Schulter. „Aber welche das genau sind, erzähl ich dir, wenn du älter bist, Knirps!“
Über diesen Spitznamen hätte sich Link, der im Kopf immerhin sieben Jahre älter war, als er äußerlich schien, geärgert, wenn er nicht darüber gegrübelt hätte, ob er ein solches Leben, wie Leopold es schilderte, überhaupt führen wollte.Zur reinen Beobachtung der Kämpfenden gezwungen, ertüftelte Link nur im Kopf für jeden Ritter eine eigene Taktik für die späteren Duelle. Als die vorgegebene Zeit vorüber war, wurde ihm wie versprochen die grundsätzliche Ausrüstung zur Verfügung gestellt: Ein schlecht ausbalanciertes Schwert und ein uralter Holzschild, die kennenzulernen ihm eine kurze Eingewöhnungsphase eingeräumt wurde. Dann endlich durfte sich Link dem Turnier gegen die Hylianischen Ordensritter von Hyrule stellen.
Der beklagenswerte Zustand von Schwert und Schild machte ihm die Kämpfe gegen die bestausgebildeten Krieger des Königreiches nicht gerade leichter. Die Herausgeforderten traten ihm mit steigendem Rang gegenüber, sodass jeder Gegner härter war als der vorausgegangene. Keiner von ihnen kam dem Jungen aus dem Wald nachsichtig entgegen; auch Leopold oder die Ritterin schenkten ihm nichts – und das hätte Link auch niemals von ihnen verlangt. So schwierig sie es ihm alle sieben auch machten, seine für jeden eigens entwickelten Techniken, die gegnerische Stärken umgingen und auf die Schwächen zielten, schlugen immer an. So besiegte der Held die Ritter nach allen Regeln der Kunst, einen nach dem anderen.
Als Link dann schließlich das Siegerrecht einforderte, das ihm zustand, musste ihm die Ritterin jedoch die Wahrheit sagen, die sie ihm bislang verschwiegen hatten: Dass sie ihn nämlich gar nicht so ohne Weiteres in ihren Orden aufnehmen durften. Zu einem Ritter ernannt werden, ohne vorher eine Knappenzeit abgelegt zu haben, konnte er nur durch ein Mitglied der Königlichen Familie – zu der nach dem überraschenden Tod ihres Vaters nur noch Prinzessin Zelda zählte.
Und da wurde Link endlich klar, welches Spiel die Ritter wochenlang mit ihm getrieben hatten: Sie hatten dem Kind, das sie nur zurecht in ihm sahen, nie zugetraut, auch nur einen von ihnen besiegen zu können. Immerhin praktizierten sie die Schwertkunst weit länger, als er überhaupt am Leben war. Die Wartezeit, in der er sich kämpferisch nicht hatte betätigen dürfen, hatten sie ihm zum Schutz vor seiner eigenen Vermessenheit zugestanden. Sie hatten angenommen, dass er, wenn er sah, wozu sie fähig waren, seine scheinbar in jugendlichem Leichtsinn ausgesprochene Herausforderung zurücknahm. Er hatte bislang nicht erkannt, wie überrascht sie davon waren, dass er in diesem Wettstreit so weit, ja sogar bis zum Ziel gekommen war. Ihre gesammelte Arroganz wurde nur von der seinen übertroffen.
„Zum Rittertum gehört viel mehr als nur kämpferisches Geschick“, erklärte die Ritterin sanft dem erschütterten Sieger. „Es geht auch darum, die guten Tugenden dieser Welt zu verkörpern. Der Krone treu ergeben zu sein.“ Schließlich schmetterte ihn das, was sie hinzufügte, völlig nieder: „Nur wenn du das verstanden hast, kannst du hoffen, zum Ritter ernannt zu werden.“
Link hatte es verstanden. Sogar sehr gut, und es hatte ihn dazu gebracht, die Sache noch einmal zu überdenken. Denn die ersten beiden Grundvoraussetzungen des Ritterdaseins vertrat er als Held gewiss stärker als die sieben Ordensmitglieder und ihre Knappen zusammen. Und was die dritte betraf, so wollte er sich auf keinen Fall unter den Befehl von wem auch immer stellen. Nicht einmal und ganz gewiss nicht Zeldas.
Als Link und Epona die Bergfestung ohne das Wissen derer Bewohner verließen, holte Leopold die beiden noch einmal ein. „Es tut mir leid, wie das alles hier gelaufen ist“, meinte der Ritter ehrlich und überreichte dem Scheidenden ein Andenken. „Damit du deine Zeit bei uns nicht ganz vergisst. Das habe ich als Kind von … meinen kleinen Freunden erhalten.“
Ohne sich das Geschenk anzusehen, steckte Link es ein und trieb Epona ohne ein Wort des Abschieds oder Dankes an. Er wunderte sich über Leopolds Wortwahl, die ganz ähnlich klang wie Salias vor über drei Jahren. Anscheinend war es doch nichts so Besonderes, die Gunst von Feen zu erhalten, wie er bislang immer geglaubt hatte.
Später, als die Festung schon lange hinter Felsen und Schneegestöber zurückgeblieben war, erbarmte sich Link doch und betrachtete den Gegenstand genauer. Es war das goldene Glücksfragment, das ihm Salia an jenem Tag ihres Abschieds geschenkt hatte. Wahrscheinlich hatte er es irgendwann in der Bergfestung verloren, und Leopold hatte es aufgelesen, ohne zu wissen, woher es stammte, und Link über seine Herkunft nur an der Nase herumgeführt. Das jedenfalls würde sehr zu ihm passen.
Erst ein paar weitere Tage, in denen Pferd und Reiter wieder vom Gebirge herabkamen, zogen vorüber, ehe Link bemerkte, dass dieses Münzenbruchstück nicht dasselbe war, das er von seiner Kindheitsfreundin erhalten hatte. Durch Zufall stieß er während einer Rast in seinen Gürteltaschen auf dieses, hielt zu seiner Überraschung plötzlich zwei in Händen. Nicht nur das, passten die Bruchkanten auch noch genau aufeinander. Neugierig führte er sie zusammen, sodass die Prägung wieder eindeutig zu erkennen war: Ein vierblättriges Kleeblatt. War das der Grund, aus dem Salia sie Glücksfragmente nannte?
Die Bruchstücke glühten kurz auf, und der Riss zwischen ihnen verschwand. Unter Links erstaunten Blicken wurde die wiederhergestellte Münze zu einem goldenen Funken, der aus eigener, magischer Kraft vor dem Hylianer schwebte. Gemächlich setzte er sich in Bewegung und entfernte sich. Irritiert sah Link ihm nach und fühlte sich prompt an seine Navi erinnert, die ihn eifrig und genauso schwerelos durch seine Aufgabe geführt hatte. Anders als eine Fee besaß dieser Funken jedoch keine Seele, sondern bestand offensichtlich nur aus purer Magie.
Aber vielleicht, nur vielleicht, würde er Link zu Navi führen?
Eilig brach der Held sein Lager ab, sprang auf Eponas Rücken und folgte dem Lichtball.Ein paar Tage später saß Link an einem wärmenden Feuer und vertrieb sich die Zeit damit, seine Ausrüstung zu pflegen. Die Masken aus Termina staubte er fleißig ab, auch wenn er sie hier in Hyrule nur äußerst selten benutzte. Aus der Ritterfestung hatte er einen Wetzstein mitgehen lassen, den er eigentlich nicht wirklich brauchte; die Schmirgelklinge, sein in Termina mit Gold verstärktes Kokiri-Schwert, musste dank ihrer Unverwüstlichkeit nicht nachgeschärft werden. Daher hatte Link begonnen, wenn ihm langweilig war, die Unterkante des Heroenschildes zu schleifen. Das helle, gleichmäßige Schabgeräusch, mit dem der Wetzstein über den Stahl fuhr, half ihm beim Denken.
Seit Termina waren drei Jahre vergangen; in Hyrules Parallelwelt hatte der Held der Zeit wieder den Feuerpfeil-Zauber erlernt, der ihm auch in einer anderen Zukunft schon gute Dienste geleistet hatte. Mittlerweile hatte er ihn so modifiziert, dass er keinen Pfeil mehr auflegen musste, um ihn auszulösen, wodurch er Feuer mit bloßen Händen erzeugen konnte – eine unabdingbare Hilfe in der vereisten Gebirgsregion. Wochen hatte dieser Prozess gedauert, dementsprechend stolz war Link auch auf seine Leistung. Er war zuversichtlich, mit genug Übung sogar Dins Feuerinferno nachahmen zu können, jenen machtvollen Zauber, der eine ganze vernichtende Flammenwand heraufbeschwor.
Für Farores Donnersturm und Nayrus Umarmung, die Geschwister des Feuerinfernos, hingegen hatte er keine abgeschwächten Versionen erlernt, die er hätte weiterentwickeln können. So blieben sie für ihn leider unzugänglich auf der anderen Seite der Zeit. Die Großen Feen, die Link auf Anraten des Deku-Baums besucht hatte, waren nicht bereit gewesen, ihn diese Zauber zu lehren. Da dieses Hyrule keinen Helden brauchte, sahen sie keinen Bedarf daran, ihn voll zu befähigen.
Epona hatte ihren Reiter zuverlässig an den Ort gebracht, von dem sie geglaubt hatte, er werde ihm weiterhelfen. Da dies bekanntlich nicht geklappt hatte, war Link also ohne Ergebnis aus den Bergen wieder herabgestiegen. Wenn er seine Reiseroute richtig verfolgt hatte, war er über das Gebirge nach Westen weitergewandert und befand sich nun in einem Gebiet im Nordwesten der Ebene von Hyrule. Dass sich hier, praktisch genau gegenüber den Wäldern, in denen er aufgewachsen war, ein weiterer Forst befand, hatte er nicht erwartet. Der ewigen Eiswüste waren Link und Epona zunächst entkommen, doch kündigte sich in diesem Wald saisonaler Winter an: Die Bäume waren kahl, Nebel hing allmorgendlich zwischen ihren Stämmen, und der Boden gefror regelmäßig. Der Atem von Reiter und Reittier stieg als weiße Wölkchen vor ihren Gesichtern auf. Denkbar schlechte Voraussetzungen, auch diese Region nach Feenquellen abzusuchen – doch das hatte Link auch gar nicht vor.
Seit er Epona wieder bei sich hatte, hatte er ihr keinen Sattel angelegt, doch trug sie eine Tasche bei sich, in der all sein Hab und Gut, verstaut war. Wie bei jeder Rast hatte er sie dem Pferd abgenommen, versteckte sie nun zusätzlich unter einem immergrünen Strauch. Zuerst überlegte er, ob er auch seine Ausrüstung ablegen sollte, denn dort, wo er hinging, würde er keine brauchen. Doch es mochte sein, dass er sie sofort griffbereit haben musste, wenn er zurückkehrte. Außerdem kam ihm der Gedanke, ganz ohne Schwert loszuziehen, sehr merkwürdig vor. Er entschied sich für das Feenschwert; der wie Opal schillernde und mit schwarzen Rosen verzierte Beidhänder aus Termina war zurzeit seine beste Waffe. Da sie ihm diesmal voraussichtlich keine Hilfe sein würde, ließ er auch die Okarina der Zeit in dem Versteck zurück.
Epona bemerkte die Geschäftigkeit ihres Reiters und stellte neugierig die Ohren auf, unterbrach sogar ihr karges Mittagsmahl, das aus erfrorenem Winterkraut bestand. Link trat zu ihr und streichelte ihren warmen Hals. „Ich bin ja bald zurück“, versicherte er ihr, als sie ihn aus ihren klugen Augen musterte. Sie hob das Maul auf seinen Kopf und knabberte liebevoll an seinem Haar, zog ihm dabei wie üblich fast die Kokiri-Mütze runter. „Pass du auch gut auf dich auf“, erwiderte Link und presste die Stirn an ihre. So verblieben die beiden einige Atemzüge, bevor sich der Hylianer von dem Pferd löste. Er legte einen Holzscheit ins Feuer, damit die Stute noch eine Weile länger vor der Kälte geschützt war. Wie immer, wenn er sie alleine ließ, verzichtete er darauf, sie anzubinden, damit sie sich vor jeder möglichen Gefahr in Sicherheit bringen konnte. In jedem Fall würde sie immer zu ihrem Reiter zurückkehren, ob mit oder ohne das Lied, das sie stets lockte. Das wusste er genau.
Der magische Funke der vereinten Glücksfragmente hatte die beiden durch den vorwinterlichen Wald auf eine Lichtung geführt, auf der sich sein goldenes Leuchten schließlich verloren hatte. Stattdessen herrschte hier ein kaltes, blaues Licht, das von einer unirdisch irisierenden Fliese ausging, die wie von einem Handwerker vergessen auf dem Boden lag. Aus ihr stieg eine mannshohe, schwach leuchtende Lichtsäule auf, die fast materiell zu sein schien. Link atmete durch und trat hinein.
Sogleich verschwamm seine Umgebung wie hinter einem Hitzeflimmern, das sich bereits nach einem Augenblick wieder verflüchtigte. Das erste Mal, als er durch das Portal gewechselt war, hatte ihn das noch beunruhigt, doch mittlerweile wusste er, dass er davon nichts zu befürchten hatte. Denn er hatte selbst herausgefunden, wo er sich hier befand.
Wenn Link auf der anderen Seite der Zeit einen der sechs Weisen gerettet hatte, war er immer nur kurz in ihrer Halle im Tempel des Lichts erschienen. Doch erkannte er das Gefühl wieder, das er damals jedes Mal verspürt hatte: Dies hier war das Heilige Reich. An diesem minimalisierten Ort schien das echte Hyrule symbolhaft gespiegelt zu werden, denn was dort das Gebirge im Norden war, stellte sich hier als sanft gewellte, von einem durchgängigen Grasteppich bedeckte Hügel dar. Weiter in die Richtung, die Süden sein musste, gingen sie in eine flache Landschaft über, die das Gegenstück der Hyrule-Ebene war. Der Horizont schien näher, als sei diese ätherische Dimension kleiner als die materielle Welt. Über allem spannte sich ein immerklarer, jahreszeitenloser Himmel ohne eine Sonne, die auf- oder unterging. Die Kälte des Waldes war hier nicht zu spüren, nur neutrale Temperaturen, die zu keiner Jahreszeit gehörten. Wie Link außerdem an sich selbst beobachtet hatte, setzten bei ihm Hunger, Durst und Müdigkeit aus, sobald er durch das Portal trat. Vielleicht hatte er hier deswegen sieben Jahre schlafend überlebt.
Die Umgebung um das magische Tor hatte er bereits ausgekundschaftet, und heute hatte er den Entschluss gefasst, weiter davon entfernt nach jenem Ort seines Zeitenschlummers zu suchen: Den Tempel des Lichts im Zentrum des Heiligen Reiches. Dort musste das Triforce noch immer ruhen, hatte Ganondorf auf dieser Seite der Zeit doch nicht Hand an es legen können. Die größte Macht aller Welten würde Links Herzenswunsch, ihm seine Navi zurückzubringen, gewiss erfüllen. Wahrscheinlich musste er dafür zunächst mit dem Weisen Rauru reden, der das göttliche Artefakt bewachte. Die Kommunikation jedoch würde sich als etwas schwierig herausstellen können …
Resigniert sah Link an sich herab, erblickte statt Händen und Füßen mal wieder nur vier Pfoten an dem schlanken, drahtigen Körper eines Raubtiers. Für den Hylianer war dies nicht die erste unerwartete Verwandlung in eine gänzlich andere Spezies; dennoch hatte es ihm beim ersten Durchtreten des Portals einen gehörigen Schrecken eingejagt, sich in Hundegestalt wiederzufinden. Sein Schock war sogleich abgemildert worden durch den Umstand, dass er, kehrte er in die Realität zurück, auch wieder zum Menschen verwandelt wurde. Den Grund für diesen Zauber kannte er nicht, und wahrscheinlich war das auch nicht weiter wichtig. Auch wenn es ihm nicht behagte, als Tier nicht dazu in der Lage zu sein, eine Waffe zu benutzen, noch dazu in dieser unbekannten Welt, hatte er diese dennoch wieder aufgesucht. Seit er wusste, dass dies nur das Heilige Reich und nicht ein zweites Termina war, konnte er zumindest davon ausgehen, dass die Verwandlung nichts Bedrohliches war.
Und sie war sogar hilfreich: In dieser Gestalt konnte Link wohl kaum auf Epona reiten, war dafür aber auf den eigenen vier Pfoten wesentlich schneller unterwegs denn auf zwei Beinen. Das verkürzte seine Erkundungszüge durch das Heilige Reich ungemein.
Obwohl er als Hund einen viel besseren Geruchssinn denn als Mensch hätte haben müssen, nahm Link mit der Nase absolut nichts wahr – oder zumindest war er bislang davon ausgegangen. Während er so über das geruchsneutrale Gras setzte, das auf der Ebene höher wuchs als auf den Hügeln, fing er nun doch etwas auf: Eine irgendwie staubige, fast stickige Note, die nicht im Mindesten zu dem sichtbaren, friedlichen Anschein des Heiligen Reiches passen wollte. Seine Neugier war geweckt, und er nahm ganz nach Art eines Spürhundes Witterung auf. Unerfahren, wie er war, irrte er eine Weile umher, verlor dabei mehrfach die Fährte, da es ihm schwerfiel zu erkennen, in welcher Richtung sie stärker wurde.
Schließlich fand er die Quelle des Geruchs, und diese Entdeckung traf den Helden der Zeit noch unerwarteter als das Portal im Wald. Die finstere Gestalt des Mannes, dem er sich gegenübersah, wirkte in dem von goldenem Licht erfüllten Heiligen Reich ebenso fremd wie die Duftspur, die er darin hinterlassen hatte. Mehr noch, seine bloße Existenz widersprach allen Tatsachen, die Link bekannt waren.
Ganondorf. Hier, im Heiligen Reich!
Aber das war völlig unmöglich. So weit Zelda Link in ihren Briefen unterrichtet hatte, war der Gerudo-König vor vier Jahren hingerichtet worden. Wie kam es dann, dass die beiden ausgerechnet hier aufeinandertrafen?
Auch Ganondorf musterte das Tier, das vor ihm im sonst so durchgängigen Nichts der Graslandschaft erschienen war, versuchte zu verstehen, was seine Anwesenheit für ihn bedeuten mochte. „Ein Wolf“, stellte er fest und brach somit das Schweigen, das sich über die Begegnung der beiden Erzfeinde gebreitet hatte.
Link hatte bisher mit sprachlos offenem Maul dagestanden – was seinem Gegenüber vermutlich wie gewöhnliches Hecheln vorgekommen war –, klappte es nun aber wieder zu. Wolf? Was meinte Ganondorf damit? Verwirrt versuchte der verwandelte Hylianer, seinen neuen Leib genauer zu betrachten, drehte sich dabei vermutlich nicht gerade würdevoll im Kreis. War er also gar nicht zum Hund geworden, wie er gedacht hatte, sondern zum Wolf?
Er fuhr zusammen, als der Gerudo-König ein kurzes, donnerndes Lachen hören ließ. „Ein goldener Wolf!“, rief er in den ungerührten Himmel hinauf und klang dabei boshaft amüsiert. „Haben dich die Göttinnen geschickt? Bist du hier, um das Werk der Weisen zu vollenden?“ Im Brustpanzer seiner schwarzen Diebesrüstung klaffte ein breiter Riss, von dessen Rändern ein fahles Glühen ausging. Die Wunde, die darunter lag, musste schrecklich sein, doch schien Ganondorf nicht davon beeinträchtigt zu werden. Offensichtlich profitierte auch er von dem wohlwollenden Geist des Heiligen Reiches.
War diese Verletzung Resultat der gescheiterten Hinrichtung? War der Großmeister des Bösen vor vier Jahren dem Todesurteil entkommen, indem er in diese Dimension geflohen war? Warum dann hatten die Weisen, die es anscheinend hatten vollstrecken sollen, nicht die Verfolgung aufgenommen und ihm den Rest gegeben? Ganondorf trug ein gewaltiges, in einer schwarzen Scheide steckendes Schwert bei sich. Ohne Zweifel hatte er sich damit brachial zur Wehr gesetzt.
Die Fragen überschlugen sich in Links Kopf, und was ihm als nächstes ins Auge fiel, half ihm nicht gerade dabei, einen klaren Gedanken zu fassen: Auf Ganondorfs Handrücken glühte das Zeichen des Triforce!
Auf der anderen Seite der Zeit war es Ganondorf durch einen fatalen Fehler, den Link und Zelda in ihrer kindlichen Naivität begangen hatten, gelungen, in das Heilige Reich einzudringen. Dort hatte er sich das im Tempel des Lichts verborgene Triforce aneignen wollen, wobei es wegen der Unausgewogenheit seiner Tugenden im Herzen des Gerudo-Königs in drei Teile zerfallen war. Ganondorf war mit nur einem davon verblieben, doch es hatte ihm die Macht verliehen, Hyrule sieben Jahre lang mit ungekannter Grausamkeit zu regieren und sogar zum Dämon Ganon zu werden.
Auch auf dieser Seite der Zeit hatte er vermutlich den Zugang zum Tempel des Lichts gefunden und das Triforce berührt. Auch jetzt hatte er nur das Fragment der Kraft bei sich, wie es schien. Grüblerisch blickte Link auf seine Vorderpfoten, die immerhin das tierische Äquivalent seiner menschlichen Hände waren. Kein Dreieckszeichen glühte darauf, aber das musste nicht unbedingt ein Beweis gegen seine Schlussfolgerung sein: Nämlich, dass die Triforce-Elemente des Mutes und der Weisheit ebenfalls zu ihren Auserwählten zurückgekehrt waren. Zu ihm und Zelda.
Endlich verflüchtigte sich Links Verwirrung. Blitzschnell erfasste sein Verstand die veränderte Situation mit seinem noch lebenden Erzfeind und dem zerfallenen Triforce und stellte einen neuen Plan zusammen. Er wandte Ganondorf den Rücken zu und blickte auffordernd zu ihm zurück.
Der Gerudo zog verstehend die feuerroten Augenbrauen hoch. „Ich soll dir folgen?“ Er lachte freudlos. „Einem Geschöpf der Göttinnen! Wie weit ist es nur mit mir gekommen …“
Einen ähnlichen Gedanken hegte auch Link, während er seinen geschworenen Erzfeind, der ihm auf dieser Seite der Zeit soeben zum ersten Mal begegnet war, zu den Hügeln im Norden des Heiligen Reiches führte. Der Rückweg zum Portal in die Realität nahm mehr Zeit in Anspruch, als Link allein benötigt hätte, doch das Ziel, das er sich gesetzt hatte, verlieh ihm alle Geduld der Welt. Während Ganondorf noch damit beschäftigt war, die über der Fliese schwebende Lichtsäule interessiert, aber misstrauisch zu beäugen, setzte sich Link neben sie und machte eine einladende Kopfbewegung.
Der Gerudo-König kniff die schwefelgelben Augen zusammen. „Hier bist du … hindurchgekommen?“, fragte er. Anscheinend hatte er verstanden, worum es sich bei dem faulen Zauber handelte.
Überhaupt nicht tierisch anmutend nickte Link, wiederholte seine stumme Aufforderung und trat, dicht gefolgt von seinem Erzfeind, in die Lichtsäule.
Kaum, dass sich Links Sicht klärte und er wieder in einen Menschen verwandelte wurde, zückte er das Feenschwert, wirbelte zum Portal herum und schlug zu – ins Leere. Verwundert stand er da, weiterhin in Kampfposition, ließ die magische Waffe dann aber doch sinken. Eigentlich war Ganondorf genau hinter ihm gewesen, als er durch das Portal gegangen war, und hätte die materielle Welt demnach gleich nach ihm erreichen müssen.
Noch während sich Link darüber wunderte, anders als erwartet niemanden vor sich zu haben, bemerkte er, wie die schwarzen Rosen auf der Klinge des Feenschwerts die Blüten schlossen. Der Opalglanz blasste ein wenig aus. Wie alles, das mit den sanften Lichtwesen zusammenhing, war auch die Waffe, immerhin ein Werkzeug des Todes, von ihrem gütigen Bewusstsein erfüllt. Bisweilen zeigte sie mit den erfolgten Veränderungen, dass sie sich weigerte, benutzt zu werden, und die Schneiden wurden stumpf. Das war ihre Antwort auf Links Versuch eines hinterhältigen Erstschlags gegen Ganondorf, bevor dieser recht wusste, was geschah, und die eigene Waffe ziehen konnte.
Link schloss die Augen und lächelte bitter. Natürlich stand es einem Helden nicht zu Gesicht, jemanden ohne fairen Kampf hinterrücks zu lynchen. Selbst wenn es sich dabei um den Großmeister des Bösen handelte.
Das Feenschwert wieder zurückgesteckt, blieb Link noch für einige Augenblicke vor dem Portal stehen, falls Ganondorf doch noch nachkommen sollte. Ein Schnauben Eponas, die die Erstarrung ihres Reiters stutzig machte, ließ ihn schließlich daraus erwachen. Ratlos kehrte er ins Heilige Reich zurück.
Dort hatte der Gerudo-König in der Nähe der magischen Lichtsäule ausgeharrt, war nur ungeduldig auf- und abgegangen. Jetzt wandte er sich dem wieder eintretenden Wolf zu. „Na endlich“, kommentierte er entnervt. „Du hast auf dich warten lassen.“ Auf Links vorwurfsvollen Blick hob er jedoch sogleich abwehrend die Hand. „Ist gut, ist gut, ich hab schon verstanden. Ich wäre dir ja gerne gefolgt, aber …“ Anstatt mit Worten zu erklären, was er meinte, trat er neben Link an die Portalfliese heran und streckte eine Hand nach der Lichtsäule aus. Seine Finger drangen nicht durch das immaterielle Glühen, sondern stießen dagegen, als sei die Säule hart wie Stein. „Mich wundert das nicht“, meinte Ganondorf ungerührt. „Ich habe mir gleich gedacht, dass man hier nur raus kann, wo man auch reingekommen ist.“
Link konnte kaum glauben, was er da hörte, und spürte Wut in sich aufkochen. Das, was er ins Auge gefasst hatte, war in greifbare Nähe gerückt und ihm plötzlich doch entglitten. Und das nur, weil Ganondorf diese wichtige Information nicht früher preisgegeben hatte! Der verwandelte Held sprang den Gerudo an, führte einen Schwertstreich gegen ihn – doch war es nur eine leere Tatze, die fruchtlos durch die Luft fuhr. Frustriert erinnerte sich Link seines neuen Raubtiergebisses, grub es in die Hand, in der das Triforce der Kraft unzugänglich versiegelt war. Fluchend schüttelte Ganondorf den wildgewordenen Wolf ab, indem er ihn zu Boden schmetterte. Sogleich trat er Link in die Seite und kickte ihn von sich fort.
„Räudiger Köter“, keifte Ganondorf, ballte die Faust und entspannte sie wieder. „Hilfst du mir nun oder nicht?“, fragte der Gebissene gereizt, aber schon wieder ruhiger. Link hatte so fest zugepackt, wie er es als ungeübtes Raubtier konnte. Ungläubig starrte der Gerudo seine dunkel blutende Hand an, auf der zornig das Element der Kraft glühte. „Was bist du?“, zischte er, betrachtete den falschen Wolf mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. Hatte er ihn als den Träger eines weiteren Triforce-Fragments erkannt?
Zitternd rappelte sich Link wieder auf, spuckte an dem rostigen Blutgeschmack in seinem Mund. Ganondorfs Tritt schmerzte in seinem ganzen Leib; wahrscheinlich konnte er sich glücklich schätzen, dass er ihm nicht sämtliche Rippen gebrochen hatte.
Er schämte sich für seine unbedachte Reaktion. Es war einfach unglaublich: Sein Erzfeind, der grausame Großmeister des Bösen, hatte mehr Selbstbeherrschung als ein Held! Und noch etwas fiel Link gerade auf: Er selbst hatte tierische Gestalt, während Ganondorf ein Mensch war. Bei ihrer letzten Begegnung auf der anderen Seite der Zeit war es andersherum gewesen.
„Mach doch, was du willst. Ich suche mein Portal allein.“ Damit ließ ihn Ganondorf bei der Lichtsäule stehen und entfernte sich mit weit ausholenden Schritten.
Das würde dem Gerudo-König wohl so passen. Aber mit dem, was er vorhatte, würde Link auf keinen Fall unverrichteter Dinge umkehren!
Diesmal überließ der falsche Wolf seinem Erzfeind die Führung und folgte ihm in knappem, aber sicherem Abstand. Ganondorf schien sich an seiner Gesellschaft trotz seines Ausbruches nicht zu stören und nahm bis auf Weiteres keine Notiz von ihm. Die immergleiche Helligkeit, die unveränderlich im Heiligen Reich herrschte, stahl Link allmählich jedes Gefühl für Zeit, und die grenzenlose Graslandschaft das für die zurückgelegte Strecke. Irgendwann in dieser unendlichen Raumlosigkeit gelangten Held und König unerwartet an eine Erdspalte, die sich vor ihnen quer durch den Boden zog. Sie war nicht sehr breit, sie zu überspringen ein Leichtes auch für einen frischgebackenen Wolf und erst recht für einen Mann von Ganondorfs Größe und Kraft.
Auf der anderen Seite angekommen, drehte Link sich noch einmal um und blickte in die Spalte hinab. Aus der düsteren Tiefe drang öliger Qualmgestank an die Oberfläche hinauf.
„Schon seltsam, oder?“, merkte Ganondorf an; es waren die ersten Worte, die er seit dem Portal gesprochen hatte. „Man möchte meinen, dass es so etwas an einem Ort, der das Wort Heilig im Namen trägt, nicht geben kann.“ Die kalten, gelben Gerudo-Augen blitzten vor gierigem Interesse, als sich eine schwarze Rauchschwade aus der Dunkelheit löste und die weißen Klippwände heraufkroch, sich aber sogleich wieder verflüchtigte. Link spürte, wie sich ihm das Nackenfell sträubte.
Nach einem weiteren Abschnitt zeitloser Wanderung mischten sich in den bislang gleichmäßig grünen Grasteppich vereinzelt vertrocknete Büschel. Nachdenklich ließ Ganondorf den Blick über die vor ihnen liegende Landschaft schweifen, wo dieses Steppengras immer häufiger zu werden versprach. „Das hier müsste die Wüste sein“, stellte er fest.
Darüber hatte Link noch gar nicht nachgedacht, aber es ergab durchaus Sinn. Wenn alles in Hyrule ein Gegenstück im Heiligen Reich hatte, simulierte die Erdspalte möglicherweise die von einem Fluss gegrabene Schlucht vor dem Gerudo-Tal. Das jetzt allmählich trockener werdende Gras der Ebene war dann als die dahinterliegende Wüste zu interpretieren.
„Dann finden wir wohl auch bald den Schattenspiegel.“ Link wusste nicht, was Ganondorf damit meinte, vermutete aber, dass es sich um das Portal handelte, über das der Gerudo-König ins Heilige Reich gelangt war. Außer dem in der Zitadelle der Zeit, das in den Tempel des Lichts führte, und der Fliese, die der Held gefunden hatte, gab es also noch ein weiteres in der Wüste. Mit einem tiefen Seufzer ließ Ganondorf seinen wölfischen Begleiter wissen: „Ich gebe es nur ungern zu, aber so weit bin ich nur dank dir gekommen. Ich irre schon seit Jahren durch dieses Nichts und habe es nie geschafft, über den Zentralbereich hinauszukommen. Mir scheint, das Heilige Reich wollte mich allein den Weg nicht finden lassen.“
Die beiden wechselten undeutbare Blicke, und Link erkannte in seinem verhassten Erzfeind zum ersten Mal einen gewöhnlichen Gefangenen mit dem ganz natürlichen Bedürfnis, wieder in Freiheit leben zu können.
„Falls dich wirklich die Göttinnen geschickt haben …“, begann Ganondorf langsam, und die Mattigkeit, die seine Worte begleitete, verlieh ihm in Links Augen noch einmal ein wenig mehr Menschlichkeit. „Wenn du wieder bei ihnen bist, bitte sie darum, den Gerudo eine zweite Chance zu gewähren.“ Er blickte über das vertrocknete Gras hinaus bis zum fast schon greifbaren Horizont. „Ich weiß nicht, was meine Vorfahrinnen ihrer Schöpfung in der Vergangenheit angetan haben, dass mein Volk es verdient hat, in der Wüste leben zu müssen. Wo der Tod auf den Winden reitet und mit jedem Atemzug über einen kommen kann.“ Nun wandte sich Ganondorf um und besah sich das frische, lebendige Grün, über das sie hierhergekommen waren. „Seit ich denken kann, neide ich den Hylianern ihre fruchtbare, lebensfreundliche Ebene. Ich weiß, sie dem König zu entreißen zu versuchen, war bestimmt nicht der richtige Weg. Oder das Triforce zu rauben, um die Wüste damit in ein ähnliches Paradies zu verwandeln … Aber ich bin nunmal als Dieb aufgewachsen. So laufen die Dinge bei uns in der Wüste: Stiehl oder stirb. Ich glaube, deswegen habe ich zugelassen, etwas zu werden, das ich anfangs nicht gewollt habe …“
Jetzt richtete Ganondorf seinen eindringlichen, schwefelgelben Gerudo-Blick wieder auf Link, der sich unwillkürlich davor duckte. „Richte deinen Schöpferinnen aus, dass mein Volk für meine Vergehen nicht bestraft werden darf. Und dass ich mich …“ – er grinste gehässig – „… geschmeichelt fühle, dass sie mir dich geschickt haben, damit du mich hier rausführst. Um das zu tun, müssen sie entweder sehr dumm oder gutmütig sein. Oder aber schlicht beides und damit ungeheuerlich naiv.“
Mit dieser Bemerkung wurde aus dem um sein Volk besorgten König wieder der hinterhältige Verschwörer, der den Herrscher von Hyrule manipuliert und zu stürzen versucht hatte, was ihm in einer anderen Zukunft auch gelungen war. Umso besser, denn Link hatte sich dabei erwischt, wie er begonnen hatte, Empathie für ihn zu entwickeln, und als Held sollte ihm eigentlich nichts ferner liegen. Er durfte nicht vergessen, dass er nicht der Gesandte der Göttinnen war, für den der Gerudo-König ihn hielt, sondern die Nemesis des Großmeisters des Bösen.
Ganondorfs staubiger Geruch war seiner Wolfsschnauze mittlerweile vertraut, sodass er ihn schon fast nicht mehr wahrnahm. Jetzt aber drang etwas Neues an seine Sinne, ein würziger, herber Duft wie von verglühenden Räucherstäbchen. Reflexhaft fuhr Link herum, hielt gar nicht lange nach der Quelle Ausschau und sprang in einen Wüstengrasbüschel.
„Was soll denn …?“, begann Ganondorf barsch, verstummte aber sofort, als ihn plötzlich ein Lichtblitz blendete. Auch Link kniff die Augen zusammen und kauerte sich tiefer in sein Versteck, in dem er dank seines struppigen Fells und der passenden Farbe bestens getarnt war. Wolf und Gerudo blinzelten und wurden zeitgleich der Person gewahr, die sich ihnen nicht über die Ebene genähert hatte, sondern unvermittelt vor ihnen erschienen war. Die Kriegerin stand mit verschränkten Armen da, unverrückbar wie ein Monolith. Ein Breitschwert, fast so lang wie seine Trägerin hoch, war auf ihren Rücken geschnallt wie eine wortlose, aber sehr eindrucksvolle Drohung.
Impa, Zeldas Vertraute und treueste Dienerin der Königsfamilie.
Link hielt den Atem an, aber die Kriegerin schien den verborgenen Wolf nicht bemerkt zu haben. Was auch besser so war, denn sollte sie ihn als den erkennen, der er war, würde der Held in Erklärungsnot kommen, warum er mit einem verurteilten Landesverräter durch das Heilige Reich reiste. Stumm bat er Ganondorf darum, ihn nicht an sie zu verraten.
„Sieh an“, kommentierte der Gerudo herablassenden Tonfalls. „Das großartige Sklavenvolk Hylias schickt seine letzte Überlebende auf einen Besuch vorbei. Wie komme ich zu dieser Ehre?“
„Was willst du hier, Ganondorf?“, verlangte Impa ungerührt zu wissen, ohne auf die sarkastische Provokation einzugehen. Ihre tiefe, wohlklingende Altstimme war voller Herablassung.
„Von dir Mannweib ganz gewiss nichts“, gab der Gerudo-König schneidig zurück. „Und es ist ja auch nicht so, dass ich freiwillig hier bin. Auch wenn das Wetter natürlich herrlich ist.“
„Du weißt genau, was ich meine. Es wird dir nichts nützen, den Schattenspiegel aufzusuchen, solange die Sieben Weisen ihn nicht von außen öffnen.“
Zum ersten Mal dachte Link genauer über diese Weisen nach, denen es nicht gelungen war, den Verschwörer hinzurichten. Es konnten unmöglich ebendiese Weisen sein, die der Held auf der anderen Seite der Zeit an ihr gemeinsames Schicksal herangeführt hatte, jene Gruppe also, zu der auch Salia, Impa und Zelda zählten. Deren Erweckung war nur vonnöten gewesen, da ihre Vorgänger von Ganondorf und seinen Schergen ermordet worden waren. Auf dieser Seite der Zeit waren diese noch am Leben und hüteten anscheinend das Portal ins Heilige Reich, durch das ihnen der Verurteilte entkommen war.
Ganondorf lachte spöttisch auf. „Dann hast du doch nichts weiter zu befürchten, wenn ich mich hier ein bisschen umsehe, nicht wahr?“
In seinem Versteck beobachtete Link, wie Impa die hellen Augenbrauen verzog. Offensichtlich hegte sie doch Bedenken, was diesen Schattenspiegel betraf. Die Kriegerin zog ihr mächtiges Schwert und stellte sich dem Gerudo kampfbereit entgegen.
Der nahm dies nur amüsiert zur Kenntnis. „Die weltfremden Tattergreise, die sich so salbungsvoll Weise nennen lassen, haben es nicht geschafft, mich zu töten. Glaubst du wirklich, es könnte dir gelingen, noch dazu hier, der Welt, in der man keiner Fliege was zuleide tun kann?“ Das Triforce-Symbol auf seinem Handrücken glühte wieder auf.
„Ich muss dich nicht töten“, erwiderte Impa, „nur lange genug aufhalten.“
„Wieso? Hast du was Bestimmtes vor?“ Wieder ließ Ganondorf ein lautes Lachen erschallen, diesmal grollend und boshaft. Auch er zog nun das Schwert aus der Scheide, die er bislang immer nur ungebraucht bei sich getragen hatte, und warf sie achtlos beiseite. Die Waffe stellte einen seltsamen Kontrast zu seiner in Gerudo-Schwarz gekleideten Gestalt dar, schien sie doch ganz aus zu Glas erstarrtem Licht geschmiedet. Mit provozierender Geste winkte Ganondorf die Kriegerin zu sich. „Zeig mir, was du kannst, Shiekah!“
Als sich die beiden Kontrahenten aufeinanderstürzten, spannte Link die Hinterläufe an, um zu springen und sich Impa in den Weg zu stellen. So kurz vor seinem Ziel, den Träger des Triforce der Kraft wieder in die sterbliche Welt zurückzubringen, durfte sie sich nicht einmischen!
Doch im letzten Augenblick hielt Link inne. Hatte er gerade wirklich vorgehabt, Ganon, seinem Erzfeind, beizustehen?
Unbemerkt der Kämpfenden, wandte Link sich ab und verschwand durch das tarnfarbene Wüstengras. Auch wenn es ihm missfiel, musste er einsehen, dass er hier vorerst nichts mehr machen konnte.
Er musste einen anderen Weg finden, Ganondorf zu töten.Vorab eine Warnung für das nächste Kapitel! Es wird eine sehr blutige, sehr brutale Szene geben!
Salias Lied aus Ocarina of Time (duh)
Nachdem ich allen Kapiteln in der Hauptstory Liedertitel geben musste, die keinen Eigennamen enthalten, sind für diese hier nur noch ein paar wenige passende geblieben. Zum Glück brauchte ich nur drei, und das sind auch noch welche, die der Held der Zeit, der hier schließlich behandelt wird, in seinen beiden Spielen erlernt. Salias Lied deswegen, da Link in diesem Kapitel nicht nur versucht, wieder zum Kokiri zu werden, sondern auch noch viel von seiner kindischen Naivität durchblitzt. Warum es also nicht nach dem Lied benennen, das ihm seine Kindheitsfreundin beibringt.
Dieses Kapitel enthält leider sehr viel Stoff und ist auch ziemlich lang(weilig?), und in weitere Kapis aufspalten wollte ich es nicht. Außerdem ist es teilweise eine einzige Zusammenfassung (auch von der Majora’s Mask Passage abgesehen), da ich nicht wollte, dass diese Einleitung (ich wiederhole: EINLEITUNG) noch zu einer eigenen Story mutiert. Nya, kommt halt davon, wenn man immer noch eine und noch eine Idee hat <<° Aber letztendlich wird alles einen Sinn ergeben, warum ich die Themen in genau diese drei Kapitel eingeteilt hab. Und mit der Zeit, je weiter wir uns von der Handlung der Spiele entfernen und meinem eigenen Plot zuwenden, umso mehr wird auch der Zusammenfassungs-Charakter weichen, hat man ja auch schon in diesem Kap gesehen ^^
- In Die Ballade des Unbesungenen trägt die Hauptperson, obwohl faktisch ein „Link“, einen anderen Namen als Link, während ich ihn in Das Abenteuer des letzten Helden doch Link genannt habe (was am Titel des Spieles liegt, auf dem diese Story basiert). Jetzt hier in dieser dritten wieder Link zu benutzen, kommt zwar komisch, aber… wie hätte ich ihn denn sonst nennen sollen? xP
- Das Anwesen der Ritter, das Link hier aufsucht, ist später die Bergruine in Twilight Princess. Es sind sieben Ritter, die (mein Fanstory-Charakter) Link hier schlagen muss, und für jeden entwickelt er eine eigene Kampftechnik, die (der Videospiel-Charakter) Link in TP von dem Geistertypi erlernt, der ja wie offiziell bestätigt der Held der Zeit ist. *verschnauf* Ja, so viel dazu x3
- Die Glücksfragmente stammen aus Minish Cap. Ich hab mir überlegt, dass Kokiri, da sie ja ewig Kinder sind, auch ewig die nur Kindern sichtbaren Minish sehen können, diese sich aber, scheu, wie sie sind, nur Salia, der Weisen des Waldes, zeigen. Dass ihre und Leopolds „kleinen Freunde“ Feen sind, ist also ein Trugschluss Links.
- Dass auch dieser Leopold ein Glücksfragment hat, ist aber ein Zufall für den Plot. Sein Name hingegen nicht, und es wäre nicht verkehrt, ihn sich zu merken ;3 Im Absatz, in dem er über das Rittertum als Tradition seiner Familie spricht, ist bitte zwischen den Zeilen zu lesen.
- Goldene Fragmente sind in MC stets storyrelevant, so wie auch das Portal ins Heilige Reich hier storyrelevant ist. Dieses entspricht von der Optik den Portalen zur Schattenwelt in A Link to the Past. Auch der „Flimmereffekt“ beim Hindurchtreten ist daran angelehnt.
- Impa habe ich hier ihr Schwert aus Hyrule Warriors in die Hand gedrückt.
- Aufmerksamen Lesern mag die Wendung „diese / andere Seite der Zeit“ aufgefallen sein. Die ist kein Zufall oder Versehen, sondern tatsächlich Links Begriff für das, was offiziell als „Child“ und „Adult Timeline“ bekannt ist. Ich hab mir mal den Spaß erlaubt, nachzuzählen, wie oft ich welche Wendung benutzt habe: „andere Seite“ 7 mal, „diese Seite“ 8 mal in 15 Seiten Text. Aldaaa xP -
Hyrule Symphonia
The Legend Of Zelda FanFictionDer Fluss der Zeit ist grausam. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – unaufhaltsam fließend verbindet er alles zu einer großen, umfassenden Geschichte. Jede Entscheidung und jede Handlung, mögen sie auch noch so klein anmuten, können Ereignisse in Gang setzen, deren Tragweite sich erst dann zeigt, wenn es längst zu spät ist, sie noch in andere Bahnen zu lenken. Was bleibt, ist zu versuchen, mit den Folgen gebührend umzugehen.
Einführung
Herzlich willkommen, Interessierte! Vielen Dank, dass Ihr Euch in meine Fanfiction gewagt habt ^^
Nach meinen beiden vorausgegangenen Zelda-Fanstories Die Ballade des Unbesungenen und Das Abenteuer des letzten Helden (siehe Links unten) folgt nun also die auch dort in beiden angekündigte dritte – und die vierte, wenn man es genau nehmen will. Denn die dritte stellt die Einleitung zur darauffolgenden dar.Ich bin eine bescheidene Hobbyautorin; ich schreibe, weil es meine Leidenschaft ist. Nichtsdestotrotz freue ich mich riesig, wenn meine Stories gelesen werden, weswegen mir eine einfache PN mit jener Information schon ausreicht. Aber am glücklichsten macht es mich natürlich, wenn mein Geschreibsel auch kommentiert wird. Also wenn Ihr mit dem Lesen fertig seid, lasst Eure Finger über die Tastatur steppen. Bitte, danke schön ;)
Lest bitte unbedingt den Spoiler Disclaimer; für jene von Euch, die sich dafür interessieren, habe ich hier auch noch weitere Infos zu meiner FanFic. Sie sind lediglich ergänzend und nicht relevant zum Lesen derselben.In diesem Sinne, viel Spaß beim Lesen!
~ Pika!Da die ersten Ideen zu dieser Fanstory mehr als ein Jahr zurückliegen, hatte ich mehr als genug Zeit, den Titel immer wieder zu überdenken und abzuändern. Der Arbeitstitel war damals prompt Hyrule Historia Heroes oder kurz TripleH, was sowohl eine Anlehnung an das Zelda-Spiel Tri Force Heroes ist als auch an meine unten verlinkte CreepyPasta mit dem Arbeitstitel PentaG ist. Nachdem ich beim möglichen Titel Symphony of Time mehrmals zwischen der deutschen und englischen Version hin- und hergehüpft bin, hat es mich schließlich nach Hyrule Symphonia verschlagen, was nicht nur die Sinfonie noch enthält, sondern sich auch in Richtung Hyrule Historia bewegt, jenes bibel-ähnliche Buch, das zum 25sten Jubiläum des Zelda-Franchises erschien. Was zum Hintergrund meiner Story auch sehr passt (siehe entsprechender Spoiler).
Auch die erwähnte Einleitung hat ihren eigenen Titel. Hier habe ich das … of Time von oben behalten. Ariette deswegen, da dies laut Wikipedia eine „kleine Arie“ ist, die „einen Teil des Affekts eines größeren Werkes“ vermitteln soll. Riecht nach Einleitung :B
Anders als in meinen vorausgegangenen Stories haben die Kapitel keine Extrabezeichnungen mehr, sondern einfach „Kapitel“ (bzw. Prologe usw). Die Titel sind allesamt die Namen verschiedener Lieder, die Link in den Zelda-Spielen erlernen kann, jedoch bei verbundenen Wörtern getrennt (zB aus Vogelruf wird Ruf der Vögel) da alles andere, wie ich finde, infantil klingt .__.°) Natürlich habe ich die Liedertitel so gewählt, dass sie zum Inhalt des jeweiligen Kapitels passen, doch ist dies nicht immer perfekt. In der Trivia zu den einzelnen Kapiteln erläutere ich dann jeweils, warum ich gerade dieses Lied gewählt habe.Nachdem ich meinen ersten Versuch einer Zelda-Fanstory in den Sand gesetzt und meine CreepyPasta verfasst hatte, keimte in mir alsbald eine Idee zu einer ganz anderen. Grundlage meiner Überlegungen ist ein Video der Game Theorists auf YouTube; welches das ist, wird später in der Trivia eines Kapitels genauer erklärt. Während der Erstplanung haben sich dann auch noch die Ideen für DBdU und DAdlH vorgeschoben, und auch die Einleitung ist jünger als die Hauptstory.
Wie auch DAdlH basiert die Einleitung auf einem bestimmten Spiel (bzw zweien, wie mans nimmt), enthält aber auch Elemente aus diversen anderen. Die Hauptstory dann ist ein so buntes Crossover mehrerer Spiele, dass eigentlich jeder, der einmal ein Zelda-Spiel in die Hand genommen hat, etwas wiedererkennt. Selbst DBdU mit all seinen Anspielungen stinkt dagegen ab. Dennoch werde ich natürlich wieder so schreiben, dass auch eher Zelda-Unerfahrene ihren Spaß haben.
Einleitung und Hauptstory spielen im selben Universum wie meine beiden anderen FFs, jedoch muss man diese hierfür nicht gelesen haben. Die offizielle Timeline als solche spielt während der Handlung eine untergeordnete, aber wichtige Rolle. Dabei ignoriere ich alles, was nach dem Jahr 2016 offiziell von Nintendo publiziert wurde; namentlich sind das Breath of the Wild und die Hyrule Encyclopedia.Natürlich gehört das Copyright aller in den Zelda-Spielen auftretenden Charaktere sowie einiger Zitate Nintendo, ebenso wie die Spiele selbst. Das Copyright des erzählenden Point of View, des Texts und Teile des Szenarios der Story gehört mir.
Es tauchen einige mitunter verstörende Szenen auf, weswegen ich zartbesaiteten Lesern mit zu lebhafter Fantasie rate, sie nur zu überfliegen. Bei den einzelnen Kapiteln weise ich auch nochmal darauf hin (Trivia).
Wer mal ratlos ist, was die Begrifflichkeiten betrifft, dem möchte ich das deutsche Zeldapendium und noch mehr das englische ZeldaWiki ans Herz legen.Hinweis: Die beiden Stories können unabhängig voneinander gelesen werden.
Nach seinem Abenteuer in der Zukunft macht sich Link, Held der Zeit, auf die Suche nach seiner Fee Navi. Nur in Begleitung seines Pferdes und teuren Freundin Epona bereist er andere Welten und Gegenden Hyrules, die kaum ein Mensch betreten hat, begegnet Rittern und Wölfen – und erweckt schließlich eine finstere Macht, die das Hyrule auf dieser Seite der Zeit ins Zwielicht zu stürzen droht …
Einleitung 1: Salias Lied
Einleitung 2: Eponas Lied
Einleitung 3: Zeldas WiegenliedDer Frieden in Hyrule steht auf Messers Schneide. Ein geheimnisvoller Unbekannter, dessen wahre Absichten niemand kennt, ermordet die politischen Führer der Zora und der Goronen. Jetzt drohen die beiden Rassen dem hylianischen Volk mit Krieg, sollte der Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden. Doch ihn festzunehmen scheint unmöglich – wer es dennoch versucht, bezahlt mit dem Leben.
In ihrer Verzweiflung wendet sich Prinzessin Zelda an den einzigen, der ihr jetzt noch helfen kann: Den größten Helden in der Geschichte Hyrules.Mehr Zalda-FanFics:
Gamer, Glitches und das Gesicht der Grimmigen Gottheit (verlinkt zu FanFiktion.de)
Die Ballade des Unbesungenen
Das Abenteuer des letzten Helden -
Zehnter Abschnitt: Am Ende
„ … “
– Die TotenDie Monate zogen ins Land, wurden schließlich zu Jahren, in denen Hyrule langsam, aber stetig den Pfad entlangschritt, der es zu seiner einstigen Größe zurückführen würde. Das Wiedererwachen der jung gestorbenen Tochter des letzten glorreichen Königs und ihre Übernahme des Throns waren wie das Lebendigwerden einer Legende. Hoffnung ging in dem gebeutelten Königreich auf wie eine wärmende Sonne nach langer Nacht, und die Pläne der Prinzessin waren die Saat aus einer fruchtbareren Zeit, die von zuversichtlichen Menschen dazu genutzt wurde, das Ödland zu rekultivieren.
Flüchtlinge wie Veris und seine Kinder kehrten zu ihren Gehöften zurück; viele von ihnen erblickten den einstigen Grund und Boden ihrer Familien zum ersten Mal, weil diese schon vor Generationen fortgegangen waren. Da sich dort in der Zwischenzeit zum Teil bereits ungebetene Pächter niedergelassen hatten, blieben Konflikte nicht aus, sodass schnell regionale Verwalter eingesetzt werden mussten, die eine für alle Seiten gerechte Lösung aushandelten. Neue Gesetze wurden erlassen, die den Handel und das zwischenmenschliche Miteinander regeln und die Anarchie allmählich verdrängen sollten. Jedem Bürger kam das Recht zu, diese Gesetze oder das Walten der Ausübenden zu beanstanden, wenn er sie für unzulänglich erachtete. Mit Vernunft vorgetragen, mochten diese Beschwerden Anpassungen bewirken, die die Allgemeinsituation auch für Nichtbetroffene besserte.
Eine Todesstrafe gab es nicht, und nur die schwersten Verbrechen sollten in Haft abgesessen werden. Für die Wiedergeburt Hyrules mussten so viele Hände wie möglich tatkräftig mit anpacken, sodass vor Gericht Verurteilte zu gemeinnützigem Dienst verfällt wurden. Natürlich ging auch dies nicht reibungslos vonstatten, weswegen die Krone sich von einer loyalen, unbestechlichen Exekutive vertreten ließ. Im ganzen Land wurden Männer und sogar Frauen aller Altersklassen, deren Absichten rein waren, im Gebrauch von Waffen ausgebildet. Die Treue zur Heimat und die Aussicht auf die Position eines Gesetzeshüters machte es gerade für junge Menschen immer weniger attraktiv, sich den vorher so mächtigen Räuberbanden anzuschließen. Auch Freiwillige, die sich nicht zum beruflichen Wehrdienst meldeten, ließen sich den Umgang mit Waffen beibringen, um ihre Mitmenschen in der Not beschützen zu können.
Die schwächer werdende Vorherrschaft der Monster und Wegelagerer regte den Austausch von Waren und Ideen zwischen den Siedlungen an. Alte Techniken verschiedenster Handwerkskünste wurden wiederentdeckt, für die neuen Ansprüche angepasst und verfeinert. Die lange im Vergessenen schwelende Glut der Zivilisation wurde angefacht, um das Feuer der alten hylianischen Kultur zu entzünden, auf dass es schon bald wieder lichterloh brannte.
So wohltuend die verloren geglaubte Prinzessin für das Land auch war, fiel das Fehlen der anderen Zelda doch allmählich auf. Gerade in der Hauptstadt begann man mit der Zeit, sich Fragen zu stellen über ihren Verbleib. Selbst unter Leuten, die keine der beiden je zu Gesicht bekommen hatten, wurden Gerüchte laut: Dass die jüngere sich ihrer Unfähigkeit zur Regentin schäme und im Schloss verkröche, um ihre Großtante ihre Wunderheilung vollbringen zu lassen; dass sie schwer krank war, oder, wie es schließlich der Wahrheit entsprach, bereits verstorben. Besonders scharfe Zungen munkelten gar, die jetzige Herrscherin sei eine Hochstaplerin und habe die wahre Prinzessin durch ein Attentat beseitigt.
Die regierende Zelda gab sich keine Mühe, dieses letzte Ammenmärchen zu unterbinden, da es in der Natur der Sache lag, dass es nie mehr auszumerzen war. Sie verkündete den Tod ihrer Großnichte, ohne dessen Umstände genau zu klären, und forderte zu ehrwürdigem Gedenken an die verstorbene Prinzessin auf. Alsbald wurde es ruhiger um diese Angelegenheit, da die Bürger Hyrules zu sehr damit beschäftigt waren, ihr Schicksal in der sich wandelnden Gesellschaft zu erfüllen.In dieser Welt mit all ihren eigenen kleinen Helden hatte ein einzelner großer keinen Platz mehr. Links Existenz verlor zunehmend an Bedeutung für sie, während er selbst bereits seit seiner Wiederbelebung kein Interesse mehr an ihr hatte.
Ohne den Blick für die Schönheit der Landschaften, mit dem er sie früher stets durchwandert hatte, verfolgte er nur noch das Ziel, den Sinn des Rests seines Lebens zu finden. Was seine ungeduldige Persönlichkeit ausgemacht hatte, spielte dabei keine Rolle mehr. Er aß nur, wenn sein Körper danach verlangte, und rastete öfter und regelmäßiger als zuvor, da ihm die unerschöpfliche Energie seines ruhelosen Geistes abhandengekommen war. Weder spielte er je wieder Flöte, noch schnitzte er, und Süßholzwurzeln oder etwas anderes, das er nebenher kauen konnte, brauchte er nicht mehr. Monster bekämpfte und tötete er nur noch, wenn sie ihn direkt angriffen. Es kam noch vor, dass Menschen den Helden um Hilfe baten, und die lieferte er ihnen weiterhin. Die Dankesgeschenke nahm der verdiente Krieger zwar entgegen, aber da sie ohne Wert für ihn waren, warf er sie sogleich in den nächsten Straßengraben. Einen Ersatz für den verlorenen Schild kaufte er sich nicht, sondern war nur noch mit einem Schwert gerüstet.
War sein Kampfstil schon vorher unfehlbar gewesen, so war er nun, da Link keine Hemmungen gegenüber menschlichen Gegnern mehr hatte, völlig unüberwindlich geworden. Hinzu kam, dass er die seinen Handlungen zugrundeliegende Moral nicht hinterfragte, zwischen Richtig und Falsch nicht mehr unterschied. Auch wenn er weder für irgendeine Seite noch für das Geld kämpfte, wurde in ganz Hyrule nach dem scheinbar von der rechten Spur abgekommenen Hylianer fahndet. Gerade Prinzessin Zelda hegte verzweifeltes Interesse daran, ihm das Handwerk zu legen, da er als von ihr ernannter Königlicher Ritter, der ihren Befehlen, sein Tun zu unterlassen, nicht nachkam, auch sie in Verruf brachte. Wie zu der Zeit, da er angeblich die Unschuld unbedarfter Mädchen geraubt hatte, vermochte auch jetzt niemand, ihn zu fassen. Irgendwann war kein Sold, kein Kopfgeld mehr reizvoll genug, für die Festnahme des Großen Helden von Hyrule das eigene Leben zu riskieren. Personen mit unlauteren Absichten versuchten, den unbesiegbaren Schwertkämpfer dauerhaft für sich zu gewinnen, doch der ließ sich nicht von seinem eigenen Weg abbringen. Letzten Endes taten sie alle besser daran, sich von ihm fernzuhalten.
So hatte sich das ganze Volk, dem er einst als Held bekannt gewesen, von dem er geliebt und gefürchtet worden war, von ihm abgewandt, als Link den Eingang des Todestals erreichte. In den letzten Jahren war das Holzkreuz der Bewohner Alt-Kasutos verfallen, stattdessen einige kleinere Versionen aufgestellt worden, in der Absicht, das Böse, das wohl noch immer im Tal lauerte, darin einzusperren. Auch ein Triforce-Symbol hatte jemand an den Felswänden aufgemalt; das heilige Dreieckszeichen war seit Jahrzehnten nicht mehr öffentlich mit göttlichem Wirken in Verbindung gebracht worden. Nun kehrte es allmählich wieder, da Prinzessin Zelda keinen Hehl daraus machte, dem alten hylianischen Glauben anzuhängen, und das Recht der Religionsfreiheit eingeführt hatte.
Das Mal auf Links Handrücken war restlos verblasst.
Natürlich hatte er bemerkt, dass er sich äußerst drastisch verändert hatte. Seine einstige Wildheit war völlig zum Erliegen gekommen, wie es auch der weisen Impa aufgefallen war, und seine gutherzige Rechtschaffenheit war blanker Neutralität gewichen. Dass er im Sterben zwischen Leben und Tod hängengeblieben und dann zurückgekehrt war, hatte das Gleichgewicht zwischen seinem Körper und Geist durcheinander gebracht. Als Zelda dann mithilfe der goldenen Macht seinen Leib wiederbelebt hatte, hatte sie nicht bemerkt, dass es zu dem Zeitpunkt für seine Seele schon längst zu spät gewesen war. Link gab ihr nicht die Schuld daran, denn wie auch alles andere kümmerte ihn sein Wandel nicht im Mindesten.
Die ganze Welt war zu einer einzigen großen Gleichgültigkeit verschmolzen, in der die eine Sache nicht wichtiger war als jede beliebige andere. Was mit dem Friedhof seiner Familie geschah, das zu beschützen ihm einst alles bedeutet hatte, trieb ihn nicht mehr länger um. Genauso wenig trauerte er um seine verstorbene Prinzessin oder hegte Schuldgefühle, für ihr Dahinscheiden verantwortlich zu sein. Er vermisste sie nicht und sehnte sich nicht danach, sie zu küssen, um seinen Gedanken die Ruhe zu geben, die ihn mittlerweile ohnehin befallen hatte.
Der altbekannte Sturm in seinem Kopf hatte sich endgültig gelegt. Alle Erinnerungen aus den Leben vor seiner Geburt, die Links Geist am Tage seines Todes geflutet hatten, waren verschwunden. Nur ihre Stimmen waren geblieben und immer lauter geworden über die Zeit, seitdem er den einen Entschluss gefasst hatte. Mittlerweile waren sie so laut, dass sie einen Chor bildeten, der ihn mit ganzer Kraft davon abzuhalten versuchte, jenen auch in die Tat umzusetzen. Doch in der emotionslosen Leere seines Herzens, die sie selbst geschaffen hatten, verhallten sie ungehört.
Am Ende dieses Tals lag sein letzter Daseinszweck.
Obwohl der Zauber auf der Statue im tiefsten Verlies des Großen Palasts sich verflüchtigt hatte, verteidigten die Geschöpfe Akiras ihn noch immer – vielleicht, weil sie spürten, dass dort nun etwas begraben war, das unter allen Umständen vor Beeinflussung von außen bewahrt werden musste. Der ehemalige Auserwählte des Königs erkämpfte sich seinen Weg bis in die Schattenkammer, in der er gestorben war. Die Streckbank mit den gesprengten Ketten stand unverrückt an ihrem Platz, und die Rüstungsteile der Moblins und Fokka, die der Vereinigung der Heldenseele zum Opfer gefallen waren, rosteten und moderten vor sich hin. So auch der Unrat, den der explodierte Tisch hinterlassen hatte; unter anderem die verbrannte Holzfigur, die Links zweigeteilten Tod überhaupt erst möglich gemacht hatte. Zufällig entdeckte er seine Mütze wieder, die wohl von der Druckwelle vor dem Bombenfeuer in Sicherheit geschleudert und dadurch nur etwas angesengt worden war.
Er ließ sie liegen.
Die Steinplatte, die die Türöffnung zur Triforce-Kammer verschlossen hatte, war nur noch ein Haufen Trümmer. Unter Links Schritten wirbelten Staubwolken auf, als er hindurchtrat auf die Mitte des Raumes zu, in dem er Ganon das zweite Mal in seinem letzten Leben vernichtet hatte. Schließlich blieb er bei der zerbrochenen Statue stehen, umgeben von der Asche des Dämonenkönigs, den Überresten seines Erzfeinds, des Gottes, den es nie gegeben hatte. Sie bedeckten großflächig den steinernen Boden, und nur an der Stelle, wo sich Link in seelischer Todesqual gewunden hatte wie ein sterbendes Tier, war die dichte Schicht durchbrochen.
Woran sich der Auserwählte erinnerte, nachdem er den bernsteinfarbenen Kristall in die Statue eingesetzt hatte, war, wie sich dieser in eine gleißende Lichtkugel verwandelt hatte. Anders als in den anderen sechs Palästen hatte diese Link jedoch nicht an den Eingang des Gebäudes zurückbefördert, sondern sofort dorthin, wo sein letztes Abenteuer Monate zuvor begonnen hatte: In die Geheimkammer im Schloss Hyrule, wo die Prinzessin geschlafen hatte. Erst dort, bei seinen beiden Pendants, hatte sich das Triforce des Mutes zu erkennen gegeben.
König Akira hatte es nicht in der letzten Statue versteckt, wie Impa es behauptet hatte. Anders als Sugam geschlussfolgert hatte, war es auch nicht als der dreieckige, goldene Kristall getarnt gewesen. Dennoch, in einem Punkt hatte der Magier Recht behalten: Der Held hatte das Fragment des Mutes die ganze Zeit bei sich gehabt. Es hatte sich mit Weisheit und Kraft zur uralten Macht der Götter vereint, nachdem es dem Ort entschwebt war, an dem es sich seit Links Erwählung verborgen hatte: Auf seinem Handrücken.
Letztendlich hatte sich Link dazu entschieden, es zu befreien, weil es ihm gleichgültig gewesen war, welche Prinzessin er damit dem Tode überantwortete, welche von ihnen oder ob überhaupt jemand auf dem Thron saß. Nicht einmal für Hyrule selbst hatte er dies getan. Als damals alles für ihn schlagartig bedeutungslos geworden war, hatte er das Triforce zu seiner Dreieinigkeit zusammengesetzt, weil es simpler geometrischer Logik entsprach. Das mochte ein fast schon naiver Beweggrund sein angesichts dessen, was damit Gutes und Schlechtes in Gang gekommen war, aber das war Link egal.
Die ewigbrennenden Fackeln des Verlieses tauchten sein regloses Gesicht in unstete Schatten. In aller Ruhe zog der Hylianer einen Ärmel zurück und legte das Handgelenk frei. Fuhr mit dem Finger über eine der blassen Narben, zu denen die beiden Schnitte verheilt waren, durch die er verblutet war. Ruhig und gleichmäßig pulsierten die Adern unter der Haut.
Sein Leben hatte nur noch einen einzigen Sinn, und den konnte es nur im Tode erfüllen.
Acht Stimmen hallten laut in seiner Seele; sie schrien, flehten, verhandelten, drohten. Beschworen ihn, nicht zu verraten, wofür sie alle gekämpft hatten.
Es waren keine Widerworte gegen sie, sondern eine schlichte Feststellung der Wirklichkeit, als er leise murmelnd ihren Protest übertönte: „Ich bin der letzte Held.“
Er zog das Schwert.Und hiermit endet das Abenteuer des letzten Helden …
Hab für dieses Kapitel so weit keine Anmerkungen, da es bis auf das Triforce des Mutes auf Links Handrücken eig nichts enthält, was iwie auf ein Zelda-Spiel anspielt. Nicht einmal mit TAoL hat es noch viel zu tun. Es ist einfach nur der Abschluss, den ich für diese FanFic angedacht habe.
Mein persönliches Abenteuer im Zelda-Universum ist noch nicht vorbei. Demnächst, wohl im Verlaufe des nächsten Jahres (eine sehr genaue Zeitangabe, ich weiß xP) werde ich eine weitere Fanstory veröffentlichen, die jedoch nicht so kurz und auch nicht so geradlinig sein wird wie Die Ballade des Unbesungenen oder Das Abenteuer des letzten Helden. Deswegen werde ich da ein wenig mehr Zeit benötigen. Spoilern will ich natürlich nicht, aber so viel sei gesagt, dass es ein Crossover mehrerer Zelda-Spiele sein wird, das stark auf der Timeline aufbaut, mit Elementen aus dem ganzen Universum. Ein Allround-Werk sozusagen.Ich bedanke mich herzlich bei allen sichtbaren und unsichtbaren Lesern <D Es hat mir viel Spaß gemacht, diese Story zu planen und zu schreiben und mich mit den Individuen, die sich dafür interessierten, darüber auszutauschen. Würde mich freuen, wenn ihr auch beim nächsten Mal wieder vorne mit dabei seid =D
Grüße, Pika!
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Neunter Abschnitt: Vor dem Thron
„Setz brav deine Mütze auf und versteck dich hier, mein Kleiner. Dann kann dir nichts passieren. Und wenn die bösen Monster fort sind, komme ich wieder zu dir.“
– Mutter„Ihre königliche Majestät, Prinzessin Zelda von Hyrule, Siebte dieses Namens, die Wiedererwachte, Tochter König Akiras, des Goldenen, Abstammende der Götter und Gebieterin des Triforce!“
Im Thronsaal des Schlosses von Hyrule hielten sich außer dem jungen Rekruten – noch immer der Junge wie Monate zuvor, aber mit deutlich geübterer, aufrechter Haltung – zwei Wachen am Eingangstor, Impa und Link auf. Der Held stand an derselben Stelle wie beim letzten Mal, da er Zelda hier gegenübergetreten war. Ihre Vertraute hatte ihre Position neben dem noch leeren Herrschersitz bezogen, befand sich demnach nicht wie gewohnt im Gefolge der Prinzessin. Stattdessen begleitete diese, als sie den Thronsaal nach Ankündigung betrat, der alte, erfahrene Soldat Pietro. Die Hand stets locker auf den Schwertgriff gelegt, war er bereit, seine Herrin falls nötig auch mit dem eigenen betagten Leben zu beschützen.
Bei der jungen Frau, die nun Platz auf dem Thron nahm, handelte es sich nicht um jene Prinzessin Zelda, die Link vor vier Jahren aus den Fängen Ganons befreit hatte. Sie war diejenige, die bis vor einigen Tagen die letzten sechs Jahrzehnte in Todesschlaf verbracht hatte, eingehüllt von ihrer eigenen Magie und daher äußerlich um keinen Tag gealtert. Nachdem Link das Fragment des Mutes erhalten hatte, war sie im goldenen Lichte des wiedervereinten Triforce erwacht wie aus einem bösen Traum, in dem sie so lange gefangen gewesen war, nur um die Welt, die sie kannte, in Scherben vorzufinden.
Auch nach Monaten der Übung konnte es sich der Speerträger nicht verkneifen, sich nach Bestätigung suchend halb zum Thron herumzudrehen, um stumm zu erfragen, ob er seine Aufgabe richtig ausgeführt hatte. Immerhin war der Spruch, den er nach drei Schlägen mit dem Speerschaft auf den Boden aufzusagen hatte, wesentlich länger geworden – die Prinzessin bestand darauf, in der Öffentlichkeit bei ihrem vollen Titel genannt zu werden.
Gönnerhaft nickte diese ihm zu. Ihr Rücken war aufrecht durchgebogen, das Kinn angehoben, die Arme ruhten hoheitsvoll auf den Lehnen. Obwohl sie von ähnlich zierlicher Statur war wie ihre Großnichte, schien sie anders als diese den Thron und die damit verbundene Rolle als Regentin ganz auszufüllen. Die prächtig rostroten Locken leuchteten wie Herbstlaub, golden akzentuiert von der Reifenkrone, die sie auf dem Haupte trug. Zelda wandte sich an Link, der die erste Person gewesen war, die sie nach ihrem Erwachen zu Gesicht bekommen hatte. Gerade erst ins Leben zurückgekehrt, hatte sie das verlöschende des grüngewandeten Hylianers, der so gut wie tot neben ihrer Bahre zusammengebrochen war, mithilfe der Macht des Triforce gerettet. Damit hatte sie ihre Schulden bei ihm sofort beglichen, dennoch hatte sich Link um noch wesentlich mehr verdient gemacht. „Link, Held von Hyrule“, sprach sie ihn an und lächelte in erhabener Unnahbarkeit. „Es freut mich, dass du meinem Gesuch, hier zu erscheinen, nachgekommen bist. Ich wollte dir persönlich dafür danken, diesem Land seinen wichtigsten Schatz wiedergebracht zu haben.“
Link schwieg nur, stand reglos an Ort und Stelle und blickte unbeteiligt geradeaus. Von seiner grünen Tunika abgesehen war ihm von seiner einstigen Heldenmontur nichts geblieben; er war gezwungen gewesen, all seine Waffen und Ausrüstung im Todestal zurückzulassen, und hatte bislang keine Gelegenheit gehabt, sie sich wiederzubeschaffen. Seine Mütze war verbrannt, und er trug auch keine neue.
„Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht schon zuvor angesprochen, sondern so lange im Schloss festgehalten habe“, fuhr die Prinzessin ungeachtet seiner ausbleibenden Reaktion fort. „Ich musste mich erst in diese neue Zeit einfinden. Seit mich der Magier verfluchte, hat sich vieles verändert.“
Natürlich war das nicht allein der Grund, weswegen sich Held und Herrscherin seit ihrer beider Wiederauferstehen nicht mehr über den Weg gelaufen waren. Ohne Umschweife hatte die zurückgekehrte Prinzessin die Bruchstücke des Königreiches aufgehoben und begonnen, sie wieder zusammenzufügen. Sie hatte die Wach- und Wehrsoldaten in Schloss und Stadt umorganisiert und überraschend friedlich dafür Sorge getragen, dass die immer heißer aufbrodelnden Aufstände unter der Bevölkerung sich legten. Fast ununterbrochen hielt sie Besprechungen mit den Hauptmännern und Gildemeistern, verbündete sich mit den kompetentesten und nutzte die weniger geeigneten als Chance, die zerrüttete Gesellschaft an ihren Fehlern wachsen zu lassen. Noch dazu gewährte sie auch jenen von niederem Stand, die es am nötigsten hatten, täglich Audienz. Daher kam sie kaum zur Nachtruhe, aber nach den Jahren in Todesschlaf schien es, als bräuchte sie die Gesellschaft all dieser Menschen und die Darlegungen ihrer Probleme, um sich selbst wieder lebendig zu fühlen.
„Es ist so viel Zeit vergangen“, resümierte die Prinzessin. „Es ist ein merkwürdiger Gedanke, dass ich mittlerweile sogar Großtante geworden bin. Wenn man bedenkt, dass Zelda im selben Alter war wie ich, als ich einschlief. Wie gerne hätte ich sie doch kennengelernt.“ Sie versuchte, Links Blick einzufangen, aber das gestaltete sich als nahezu unmöglich. Die unbewegte Miene des Helden schien durch alles, was sich vor ihm befand, hindurchzustarren, als sei sein Fokus in weite Ferne gerückt. „Es ist schrecklich, dass du so plötzlich erfahren musstest, was mit ihr geschehen würde, wenn ich erwache. Das hätte so nicht sein dürfen.“
Impa blickte betreten zu Boden. Als ihre jüngere Prinzessin plötzlich tot umgekippt war, hatten sie sich auf einem zweisamen Spaziergang durch die verwilderten Schlossgärten befunden. Die alte Dame war sich sicher, dass Zelda gespürt hatte, wie ihr Ende herangenaht war, und ihre letzten Stunden mit ihrer Vertrauten hatte verbringen wollen. Dieser war sofort klar gewesen, was ihr unerwartetes Dahinscheiden bedeutete, doch war bei der Toten geblieben, bis ein Soldat ihr geholfen hatte, sie ins Schloss zurückzubringen.
Noch wusste niemand außer einem sehr kleinen Kreis, dass die eine Zelda tot war – das Volk musste nicht noch mehr beunruhigt werden, als es ohnehin schon war. Die Rückkehr der Tochter Akiras hingegen wurde als Wunder vorangestellt, das die Zuversicht in Hyrule so schnell entfachte, wie sich die Nachricht durch das Land verbreitete.
„Ich wusste es schon“, informierte Link beiläufig, ohne das Gesicht mehr als für diese Worte nötig zu verziehen.
Die Prinzessin auf dem Thron hob die Augenbrauen und sprach, wenn auch nicht ganz echt überrascht: „Tatsächlich? Dann muss es dir sehr schwer gefallen sein, diesen Schritt zu wagen. Wenn ich fragen darf – und bitte verstehe das nicht als Anzweiflung deiner Entscheidung: Was hat dich letztendlich dazu bewogen?“
„Es war das Richtige“, stellte der Hylianer fest, den es nicht im Mindesten kümmerte, für wie verwerflich oder angemessen die Prinzessin seine Handlungen befand.
Seine starren Augen – die Augen eines Toten in einem lebenden, atmenden Körper – und die ungewohnte Reglosigkeit waren Impa unheimlich. Es schien, als sei der stets rastlose Held durch eine Statue aus Stein ersetzt worden. Außer dem regelmäßigen Heben und Senken seines Brustkorbs und einem gelegentlichen Blinzeln bewegte er sich nicht. „Auch Zelda wusste davon“, versicherte die Alte in der Hoffnung, der Trost würde den Wildkatzenjungen zumindest ein bisschen aus ihm herauslocken. „Sie hätte es dir sagen müssen, das ist wahr, aber sie wollte nicht riskieren, dass du dich dann möglicherweise weigerst, deine Aufgabe zu erfüllen. Sei dir gewiss, dass sie bereit war, dieses Opfer zu bringen.“
Link spürte, wie die Worte an seine Ohren drangen, und verstand ihren didaktischen Sinn. Aber für ihn selbst waren sie ohne jede emotionale Bedeutung.
Brüskiert schüttelte Prinzessin Zelda den Kopf. „Das wäre alles gar nicht erst so weit gekommen, wenn mein Vater das Triforce des Mutes nicht versteckt hätte! Damals war ich nur ein Kind, und trotzdem habe ich den Irrsinn hinter diesem Unterfangen gleich erkannt – weswegen er mich wahrscheinlich auch ins Vertrauen gezogen hat. Dennoch wollte er nicht auf meine Zweifel hören, denn er war der unbedingten Ansicht, dass nur jemand, der des Triforce würdig ist, es auch nutzen darf, und dass es ihm selbst am meisten an Mut mangelte. Nur den Mut zu unbedachten Entscheidungen, den hatte er schon immer.“ Ihr Tonfall wurde wütender, doch noch immer blieb sie königlich gefasst. „Als auch nach zehn Jahren kein Auserwählter erschienen war, habe ich ihn dazu angehalten, den Großen Palast zugänglicher zu machen, aber er weigerte sich noch auf dem Totenbett.“ Die Tochter des lange verstorbenen Königs seufzte, und ihre Worte wurden weicher, ja sogar bedauernd. „Er ist verbittert gestorben. Ich glaube, er war tief enttäuscht von der Menschheit, weil niemand seinen Ansprüchen gerecht wurde. Mehr noch, bestimmt hatte er gehofft, ich oder mein Bruder als seine Nachfolger würden uns des Triforce als würdig erweisen. Wegen Vaters Spinnerei hat Hyrule viel gelitten, aber dank euch ist das nun vorbei. Ich bin mir sicher, ich spreche im Namen meines Vaters, wenn ich sage, dass dir, Impa, der Dank gebührt, die Kristalle und ihr Geheimnis so lange verwahrt und den Auserwählten an seine Aufgabe herangeführt zu haben.“
„Selbstverständlich“, kommentierte die Angesprochene und neigte den Kopf, wandte sich ihrer Herrin dabei jedoch nur geringfügig zu.
„Und noch mehr muss ich dir für den Mut danken, den du so unerschrocken unter Beweis gestellt hast“, sagte die Prinzessin in Richtung des Helden. „Du hast das Triforce der Götter wieder vereint, und nun wird es das Zeitalter des Niedergangs beenden und die Goldene Ära zurückbringen!“, verkündete sie mit Inbrunst.
Bei dieser Ansprache leuchteten die Augen des Speerträgers voller Erwarten, und auch Pietros Gesicht wirkte weniger verhärmt als gewöhnlich. Die Wachen am Eingang zischten sich aufgeregte Bemerkungen zu. Gerade im Schloss war der neue Ton, der mit der alten Prinzessin im ganzen Land erklungen war, deutlich zu hören, und er gefiel denen, die ihn vernahmen. Einzig Link und Impa reagierten nicht auf die Worte; die alte Frau beobachtete den still dastehenden Helden.
Nun etwas gedankenversunken, sagte die Prinzessin: „Mithilfe von Magie war es mir möglich, eine Nachricht in die Vergangenheit zu schicken, in jene Zeit, als Ganon zum ersten Mal an seine dämonische Macht gelangte. Ich kann nicht sagen, in welcher Form oder gar wen genau sie dort erreichen wird. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie verstanden wird und dazu führt, dass eine neue, bessere Zukunft entsteht, eine Zeit ohne den Dämonenkönig Ganon. Auf unsere Geschichte wird das allerdings keinen Einfluss haben, und genau deswegen müssen wir das Schicksal ab sofort selbst in die Hand nehmen.“
Nun wandte Impa ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Herrin zu. Seit die jung gebliebene Frau die Zügel des Reiches in die Hand genommen hatte, war der Vertrauten der Königsfamilie keine Gelegenheit gegönnt gewesen, sie allein zu sprechen. Gerne hätte sie nachgefragt, woher die Prinzessin scheinbar von Dingen wusste, die während ihres Schlafs geschehen waren, mehr noch von Ereignissen, die sogar vor ihrer Geburt lagen. Auch war es ihr nicht gelungen, mehr in Erfahrung zu bringen, als Zelda sie um einen Gegenstand gebeten hatte, der sich seit Jahrhunderten in der Obhut der langlebigen Dame befunden hatte. Eine andere Prinzessin, die schon lange verstorben war, hatte ihr das heilige Instrument anvertraut, da war es nur rechtens, wenn die jetzige Zelda es zurückverlangte, um mit jener Vergangenheit Kontakt aufzunehmen. Dass sie überhaupt davon wusste, das war die Sache, die Impa misstrauisch machte.
„Um dieses hehre Ziel zu erreichen“, sagte Zelda nun, „werden wir alle Kräfte brauchen, die uns zur Verfügung stehen. Link“, rief sie des Helden Namen, ohne dass dieser zu erkennen gab, ob er nun aufmerksamer zuhörte. „Ich habe erfahren, dass dein verlassenes Heimatdorf von Soldaten bewacht wird.“
Neben ihrer Herrin sog Impa scharf die Luft ein und raunte: „Prinzessin, ich habe Euch doch gesagt, dieses Thema …“
„Bitte, Impa“, brachte Zelda ihre Vertraute mit erhobener Hand zum Verstummen. „Natürlich ist es nicht einfach nur ein verlassenes Dorf, bei dem diese Wachen postiert sind. Dennoch ist das völlig unnötig, und das weißt du besser als ich.“
Wie in vielem, das die Prinzessin, in der die Seele der älteren Zelda wiedergeboren worden war, verordnet hatte, erkannte sie den tieferen Gedanken, der dahintersteckte: Als Regentin für Hyrule gänzlich ungeeignet, war es ihrer Großnichte unmöglich gewesen, ihre reinherzigen Absichten unter Beweis zu stellen – bis Link in ihrem Leben erschienen war. Über ihn, seine Tapferkeit und Selbstlosigkeit hatte sie endlich etwas Gutes in der Welt vollbringen können. Doch wäre der Held in seinem Heimatdorf festgesessen, um es zu beschützen, wäre er niemals ihr Bote der Gerechtigkeit geworden, weswegen sie es hatte ummauern und bewachen lassen. Das war kein grundsätzlich schlechter Gedanke, wie die ältere Zelda befand, aber wie auch die Taten Akiras umständlich umgesetzt.
Impa hob zu weiterem Widerspruch an, als Link ohne die geringste Gefühlsregung sagte: „Meinetwegen.“
Geradezu schockiert wandte sich die Alte an ihn. „Es ist … für dich in Ordnung, wenn die Mauern um den Friedhof deiner Familie unbewacht sind?“, wollte sie zögernd und ungläubig wissen.
„Ja“, antwortete der Grüngewandete zu ihrer Bestürzung.
Obwohl Impa die Antwort fürchtete, fragte dennoch: „Willst du selbst hingehen und das wieder übernehmen?“
„Nein.“
Impa, die gedacht hatte, in ihrem weit über menschliche Verhältnisse fortgeschrittenen Alter könne sie nichts mehr erschüttern, verfiel in nachdenkliches Schweigen.
„Wie auch immer.“ Wieder sprach die Prinzessin allein zu Link. „In ganz Hyrule kennt man dich bereits als den Großen Helden. Eine höhere Ehre als die, von einem Volk als das verehrt zu werden, was man ist, gibt es nicht. Dennoch will ich dir die größte Würde verleihen, die ich dir als Mitglied der königlichen Familie geben kann. Eigentlich müsste diese Zeremonie von einer großen Festivität begleitet werden; doch da es zurzeit zu viel anderes zu tun gibt, muss sie eben weniger spektakulär vonstattengehen.“ Zelda erhob sich und schritt die drei Stufen hinab, die auf das leicht erhobene Podest des Throns hinaufführten, bis sie genau vor Link stand. „Knie nieder und leg deine Linke aufs Herz“, ordnete sie an.
Sowie Link der Aufforderung ohne Zögern Folge leistete, legte sein Gegenüber ihrerseits ihre Hände auf seine Schultern. Feierlich sprach sie die Worte, die seit Anbeginn der Geschichtsschreibung überliefert wurde und das enge Band zwischen der Herrscherfamilie und ihren treuesten Dienern immer wieder aufs Neue knüpfte: „Für deine jüngsten Verdienste am Königreich Hyrule und zum Dank für meine Erweckung ernenne ich, Prinzessin Zelda von Hyrule, dich, Link von den Ebenen, zum Königlichen Ritter.“ Sich symbolhaft fast auf seine unterwürfige Höhe begebend, beugte sich die Prinzessin zu ihm herab, küsste ihn auf die Stirn und vollendete somit den Ritterschlag. Sie richtete sich wieder auf und bedeutete Link: „Erhebe dich, Ritter.“
Auch dieser Order kam Link nach; seiner emotionslosen Miene war nicht anzumerken, ob er die Ehre würdigte, die er soeben erhalten hatte, oder überhaupt wusste, was sie für ihn bedeutete.
Bedauernd breitete Zelda die Hände aus. „An dieser Stelle müsste ich dir einen Gegenstand überreichen, der das Emblem der Hylianischen Ritter trägt. Einen Schild oder einen Umhang. Aber der Ritterorden existiert nicht mehr, wie so vieles unserer Kultur in den wenigen Jahrzehnten verlorengegangen ist. Umso wichtiger ist der Wiederaufbau von Grund auf, um sie wieder zurückzubringen.“ Sie musterte den scheinbar vor Kummer abwesenden Hylianer voll Mitleid. „Du hast so vieles durchgemacht, sowohl für dich allein als auch für Hyrule, und das, obwohl du noch so jung bist. Ich würde verstehen, wenn du dich bereits zur Ruhe setzen willst. Aber es könnte sein, dass das Königreich hin und wieder seinen Helden braucht. Wirst du kommen, wenn ich nach dir rufe?“
„Ich werde tun, was Ihr befehlt“, bestätigte Link, als sage er nur auf, von dem er glaubte, dass es von ihm verlangt wurde.
Die Prinzessin nickte dankbar und sicherte ihm zu: „Dir als meinem Ritter werde ich selbstverständlich alle Waffen zur Verfügung stellen lassen, die du benötigst.“ Damit entließ sie ihn.
Auf der Stelle drehte Link sich herum, schritt auf das Tor zu, vor dem die beiden Soldaten Spalier standen. Einer davon machte Anstalten, dem Herannahenden einen Türflügel zu öffnen. Geduldig blieb der Held stehen und wartete, bis er hindurchgehen konnte, und verließ dann den Thronsaal. Der Soldat verschloss die Tür und nahm wieder Habachtstellung ein.
„Ich werde tun, was Ihr befehlt?“, wiederholte Impa skeptisch, was sich aus Links Mund einfach nur falsch angehört hatte. Die Hände in die Ärmel ihrer Robe geschoben, war sie lautlos neben die Prinzessin getreten und blickte zur Tür, als könne sie sehen, was dahinterlag. „Das klingt mir nicht nach dem Jungen, den ich kennengelernt habe.“
Ohne sich ihr zuzuwenden, meinte Zelda: „Jetzt ist er ein Ritter. Als solcher ist das immerhin seine Pflicht.“
„Er hat sich noch nie zum Ritter geeignet“, vergewisserte Impa, „obwohl viele seiner Vorfahren welche waren. Er ist ein kompromissloser Freigeist, der, sollte er jemals Befehle befolgen, das nur nach eigenem Gewissen tut.“
Ob die Prinzessin nun verstand, worauf ihre Vertraute hinauswollte, ließ sie sich nicht anmerken. „Vielleicht wusste er einfach nicht, was er sonst sagen sollte. Zum Ritter ernannt zu werden ist eine große Ehre. Sicher hat es ihm vor Ergriffenheit die Sprache verschlagen.“
„Ich maße mir nicht an, ihn gut zu kennen“, räumte Impa ein, „aber ich kenne ihn doch länger als Ihr. Glaubt mir also, wenn ich sage, dass er stets nur die nötigsten Worte verliert. Wenn ihm keine passenden in den Sinn kommen, spricht er auch keine aus. Dennoch“, murmelte die alte Dame nun grüblerisch, „habe ich ihn noch nie so ruhig erlebt. Sonst war er doch immer ein so lebhafter junger Mann.“
Weiter ausweichend meinte ihre Herrin: „Menschen ändern sich, vor allem nach Schicksalsschlägen. Gewiss trauert er um seine Prinzessin und macht sich Vorwürfe für ihren Tod.“
„Da war keine Trauer, keine Reue“, behauptete die Alte felsenfest. „Und auch kein Triumphgefühl über seinen Sieg wie vor vier Jahren. Seine Augen waren leer. Diese Apathie ist einfach nicht Teil seines Wesens. Erst recht diese Gleichgültigkeit dem gegenüber, was mit seinem Heimatdorf passiert. Er hat sich nicht einfach nur verändert, sondern wirkt wie ein völlig neuer Mensch – nein, eigentlich kommt er mir nicht einmal mehr wie ein Mensch vor.“
Die roten Augen der Vertrauten richteten sich auf Zelda, die den Blick gesenkt hatte; Schuldbewusstsein stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Oh, Prinzessin“, sagte Impa mit enttäuschtem Tadel, „was habt Ihr getan?“Bin grade schwer am Tri Force Heroes zocken und echt froh, dieses Kapitel noch rechtzeitig fertiggebracht zu haben xP Hoffentlich klappt das mit dem letzten auch noch. Ist ja nur noch eine Woche, dann kann ich weiter suchten lol. Aber mal ehrlich, dieses Spiel macht so wahnsinnig Laune!
- Zeldas ellenlanger Titel ist tatsächlich keine Anspielung an Daenerys Targaryen (hab ich den Namen richtig geschrieben? Ich lese weder noch schaue ich GoT); mir ist nur hinterher aufgefallen, dass mir „siebte dieses Namens“ iwoher bekannt vorkommt xD
- Das Instrument, mit dem Zelda hier Kontakt mit der Vergangenheit aufnimmt, ist, wer hätts erwartet, die Okarina der Zeit. Die Nachricht, die sie verschickt, lässt die Zelda aus Ocarina of Time die Visionen sehen, die sie dazu bewegen, Ganondorf zu misstrauen. Diesen Twist habe ich mir nicht selbst ausgedacht, sondern auf einem Theorie-Video auf YouTube aufgebaut. Ich weiß nicht mehr, welches das war, deswegen kann ich hier keinen Link posten; jedenfalls ging es um den Timeline-Split und wie er entstanden ist. Dass zuerst die Downfall-Timeline geschah und die wiedererwachte Zelda aus TAoL sich vom Triforce wünschte, eine Warnung in die Vergangenheit zu senden, wodurch die Childhood-Timeline eingeleitet wurde. Das ist jetzt nicht gerade eine besonders stichhaltige Theorie, wie ich finde (sie schrammt mir dann doch ein bisschen zu sehr an Fanfiction entlang), aber der Hintergedanke ist interessant.
- „Du hast das Triforce der Götter wieder vereint (…)“ – Triforce der Götter ist der Originaltitel von A Link to the Past
- Wie auch am Ende von TAoL küsst Zelda Link hier, allerdings erzählerisch umgeändert zum Ritterschlag. Dass er niederkniet und die Linke aufs Herz legt, ist der Szene aus Skyward Sword entlehnt, in der Zelda das Master-Schwert segnet. Nach dieser meiner Fanstory wird eine weitere folgen, in der dieser Ritterschlag noch eine Rolle spielen wird. Ja, es kommt NOCH eine Zelda-Fanstory von mir. Ich weiß noch nicht wann, aber ich muss die abarbeiten, sonst komm ich mit mir selbst nicht klar o0 -
Achter Abschnitt: Aus der Asche
„Wir pfeifen auf die Abmachung! Für so viele Moblins könnt ihr nicht bezahlen!“
– SöldnerDas tiefste Verlies des Großen Palasts wurde nur von den immerbrennenden Fackeln erhellt, die entlang seiner Wände angebracht waren. Vor der Statue, in der das Triforce des Mutes unantastbar eingeschlossen war, stand eine unscheinbare, tönerne Urne. Ihr Deckel lag daneben, und sie war leer. Sugam selbst hatte sie hierhergebracht, während sein echsenhafter Dienstbote damit beschäftigt gewesen war, den gefangenen Helden auf der Streckbank zu fixieren. Nun hatte der Magier ihren Inhalt vor sich auf den Boden geschüttet.
Angewidert betrachtete er, was von seinem Herrn übrig geblieben war: Nicht viel mehr als ein kümmerliches, elendes Häufchen Asche. Und das war einmal einer der mächtigsten Dämonenkönige gewesen, die es je gegeben hatte! Vier Jahre hielt dieser würdelose, erbärmliche Zustand bereits an, doch jetzt sollte er beendet werden.
Den Ort, das Ritual zu vollziehen, hatte Sugam bewusst gewählt. Er höhnte König Akiras, der geglaubt hatte, nur zu Hyrules Besten zu handeln, wenn er einen Teil des Triforce hier versteckte, unzugänglich gemacht sowohl für Feind als auch für Freund. Wenn Sugam auch noch dieses seinem Herrn hätte überreichen können, wäre sein Sieg über Akira perfekt gewesen. Aber auch nur mit Links Blut würde Ganon wieder zur alten Macht zurückfinden, und das auch noch wortwörtlich unter der Nase des Königs.
Bemessen am Lärm, der aus der Kammer nebenan zu hören war, veranstalteten die Moblins und Fokka mit dem Leichnam ihres gefallenen Feindes ein wahres Freudenfest. Oder aber beide Parteien, vielleicht sogar Artgenossen untereinander stritten sich darum, wer die Rache für ihre jeweiligen Anführer ausüben durfte. So oder so, von Links sterblichen Überresten würden nur Fetzen zurückbleiben, das war gewiss.
Sugam blendete die Störgeräusche aus. In ernsthafter Feierlichkeit hob er die Blutschale und rief ins Dunkel der Triforce-Kammer: „Ganon! Seht das Blut Eures Bezwingers, das ich Euch in größter Ehrerbietung darbringe! Möge es Euch den Weg zurück in die Welt ebnen!“ Langsam, weil er nicht recht wusste, wie die einander feindlichen Substanzen initial miteinander reagieren würden, kippte er die Schale und goss das Blut über den toten Staub. Wie ausgetrockneter Wüstenboden nahm dieser es auf. Sofort bildete das ölig glänzende Gemisch einen kugeligen Klumpen, der nicht zerfloss, sondern zusammengehalten wurde von seiner eigenen inneren Anziehungskraft. Allmählich wuchs er an; nach und nach sammelten sich die noch trockenen Aschepartikel in ihm, mehr, als die begrenzte Menge an Blut eigentlich hätte benetzen können.
Mitten in diesem Vorgang überstrahlte ein grelles Licht die Fackeln, urplötzlich wie ein Blitz, der im Verlies einschlug, doch ohne wie ein solcher zu flackern oder sogleich wieder zu erlöschen. Sugam schreckte zusammen und ließ die Messingschale fallen, verschüttete einen Teil des Restblutes neben der Asche. Ärgerlich fuhr er zur Tür herum, wo die Quelle des Scheins lag: Das Trifroce-Symbol auf der Steinplatte. Das gesamte Mauerwerk der Kammer knirschte, als diese abrupt ein Stück nach oben ruckte. Kurz hielt sie inne, dann wurde sie wieder jäh hochgeschoben, verkantete dabei in ihren uralten, verstaubten Gleitschienen. Die Magie, die die Tür zur Statue eigentlich langsam und schonend öffnen sollte, versuchte nun, sie gewaltsam aufzureißen, und brachte sie dadurch unter lautem Krachen zum Bersten. Die Trümmer sprangen aus der Wand und verteilten sich über den Boden.
Im Durchgang zum Vorraum stand eine Gestalt, grüngewandet und ganz umhüllt von einer schwach in allen nur erdenklichen Farben schimmernden Aura. Mit der Linken hielt sie ein Schwert umfasst; das Triforce-Mal auf dem Rücken jener Hand gleißte hell, genau wie die eigentlich blauen Augen, die von einem weißen, unirdischen Licht erfüllt waren. Taumelnden Schrittes trat Link ein, musste sich aber schon bald gegen den Türrahmen lehnen, um nicht zu stürzen. Unter dem regenbogenfarbigen Magiefilm war er von Monsterstaub bedeckt, der seine Leichenblässe unterstrich. Die Eisenringe, die ihn gefesselt hatten, waren fort, hatten der Urkraft, die ihren einstigen Gefangenen erfüllte, nicht standhalten können. Der Hylianer atmete schwer, doch in seinen Lungen wartete kein Blut darauf, die Luft aufzunehmen und durch seinen Körper zirkulierend zu verteilen.
„Das ist unmöglich!“, tobte Sugam, der dem Auftreten des Helden mit vor ungläubigem Entsetzen geweiteten Augen zugesehen hatte. „Du müsstest tot sein!“
Und genauso fühlte sich Link auch – und zugleich lebendig und nichts von beidem. Die Brandwunde in seinem Gesicht und die Schnitte an den Handgelenken waren geheilt. Das verlorene Blut jedoch musste sein Körper auf natürliche Weise wiederherstellen, hatte dafür nur noch nicht genug Zeit gehabt, so nahe, wie er noch immer am Tode vorbeischrammte. Motorisch konnte Link keine Faser in seinen erschlafften Muskeln rühren, sondern kontrollierte seine Gliedmaßen über die Farbaura, die in direkter Verbindung zu seinem Geist stand. Sie zwang ihn dazu, die gesamte Oberfläche seines Leibes so deutlich wie noch nie zuvor wahrzunehmen, und machte ihn zu seiner eigenen Marionette. Die Miene vermochte Link nicht zu verziehen, hatte also auch kein Kampflächeln aufgesetzt. Jede noch so einfach wirkende Regung war jetzt eine Kombination vieler kleiner Einzelbewegungen, auf die er sich alle gleichzeitig konzentrieren musste. Blinzeln, damit die erstarrten Augen nicht auch noch austrockneten; atmen, um das Sterben seines Körpers hinauszuzögern; einen Fuß vor den anderen setzen; das Schwert in der Hand und sich selbst aufrecht halten – für alles, was er sonst unbewusst tat, musste er nun eine Geisteskraft aufbringen, zu der Link allein eigentlich nicht fähig war. Dennoch bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, in so ungreifbare Ferne war sein mentaler Horizont gerückt, solch maßlose Größe hatte seine Gedankenwelt angenommen. Nur überstieg das die Kapazität seines Kopfes bei Weitem. Er fühlte sich an wie ein Gefäß, das von zu viel Inhalt nicht überlief, sondern zerbrach. Sowohl unendlich langsam in immer kleiner werdende Splitter, als auch mehrmals in einer Sekunde, wurde wieder ganz, ohne dass sich die Bruchstücke zusammensetzten.
Die Aura schillerte wieder stärker. Link stieß sich von der Wand ab und ging weiter, jetzt mit sichererem Schritt als zuvor.
„Kommt sofort her und haltet ihn auf!“, befahl Sugam mit lauter Stimme – doch von nebenan kam keine Reaktion, kein Laut zur Antwort. Von den Monstern, die er zu Hilfe rief, war keines mehr am Leben. Dank der Unterstützung der Geister, die in Link erwacht waren, hatte er unter ihnen gewütet wie ein Schlächter. Ihre Überreste schwebten wie ein pulverartiger Nebel durch die Türöffnung und begleiteten den Schwertkämpfer wie einen Todesschleier.
Zornig schoss Sugam einen Blitz auf ihn. Link ließ fallen, was er in der Rechten hielt, schloss beide Hände, die vom eigenen Blut besudelt waren, fest um den Griff des Schwertes. Sodann traf der Blitz auf die Schneide, und ihr Träger stemmte sich dagegen, als pariere er den Hieb einer gegnerischen Waffe. Anstatt dass das Schwert den Strom an ihn weiterleitete, ließ es den Blitz aufspalten und beugte die Äste in sicherer Entfernung um Link herum.
Als Sugam merkte, dass seine eigentlich unfehlbare Taktik ihren Zweck nicht erfüllte, unterbrach er sie. Argwöhnisch kniff er die Augen zusammen, riss sie wieder auf und polterte perplex: „Das kann nicht sein! Dieses Schwert … Ich habe dieses Schwert zerstört!“
Auch Link betrachtete die Waffe, die nach seiner Rückkehr in die Zeit aus dem Nichts in seiner Hand erschienen war. Sie war nie zerbrochen, wie Sugam immer geglaubt hatte; dafür war weit mehr nötig, als der Magier je aufzubringen im Stande war. Nicht an dem indigoblauen Heft mit dem gelben Zierstein hatte der farbenblinde Sugam das Bannschwert erkannt, sondern an der silbern schimmernden, geradezu kristallin wirkenden Klinge, deren Licht alles Böse durchschnitt. Sie lechzte danach, Ganon ein weiteres Mal zu vernichten – und teilte damit den Wunsch ihres Trägers.
Dieser schritt zu der Statue, unter der sich sein Blut nun ganz mit der Asche seines Erzfeindes vereint hatte. Die schwarzrote, amorphe Masse waberte und pulsierte wie ein riesiges, absonderliches Herz. Link hob das Schwert, um das darin wiederauferstehende Leben gleich wieder zu beenden.
Vor ihm, mitten in der Luft schwebend, sprühten Funken auf, vermehrten sich rasch und wurden zu einer zischenden Lichtkugel. Alarmiert sprang Link zurück, und die winzigen Sterne gaben Sugams hagere Gestalt frei. „Du wirst dieses Ritual nicht stören!“, verkündete der Magier und schwang seinen Eichenstab hoch über den Kopf herum. Wie zuvor die Streckbank, umschloss nun auch die Statue ein unüberwindlicher Bannkreis aus Elektrizität und verbarg, was in ihm geschah. Ungerührt stach Link das Schwert hinein, und sofort sammelten sich alle Blitze um die feindliche Klinge. Obwohl nicht materiell, bot die Barriere einen Widerstand wie eine Mauer aus Stein. Sie bog sich und dellte immer weiter ein, je tiefer der Held das Schwert in sie trieb, bildete ein krachendes Gewitter um ihn. Die Statik ließ Link die Haare zu Berge stehen. Hinter den leuchtenden, zuckenden Gitterstäben elektrischer Energie wand sich die Blutasche und schwoll ungehindert weiter an.
Allmählich zuckten die Blitze immer chaotischer, die Barriere wurde instabiler – und so auch Link: Die telekinetische Kraft, in die er gehüllt war, brauchte sich wahnsinnig schnell auf, und er verlor die Kontrolle über seinen halbtoten Körper. Er ging in die Knie, die Hände um den Schwertgriff lockerten sich. Gerade sollte sich entscheiden, ob der Schutzkreis oder der Held als erstes den Zusammenbruch erlitten – da traf letzteren eine ungeheure Gewalt in die Seite und schleuderte ihn fort.
Sugam war genau neben ihm erschienen und hatte einen Blitz auf ihn abgefeuert, trat auf den nun am Boden Liegenden zu. Der Magier drückte dem Hylianer die Stabspitze auf die Brust, versetzte ihm mehrere Stromstöße, die Links Körper jedes Mal sich krampfhaft verkrümmen ließen. Im selben Takt donnerte Sugam ungehalten: „Ich weiß nicht … wie du dich befreit hast … wie du überhaupt noch am Leben bist … oder wo du dieses Schwert her hast … Aber dies ist dein Ende!“ Ein letztes Mal schlug er zu, dann wandte er sich ab, in der Gewissheit, dem Helden endgültig das Handwerk gelegt zu haben.
Was er jedoch nicht ahnte: Ein Herz, das schon lange stillstand, konnten seine Elektroschocks nicht mehr lahmlegen. Außerdem vermochte er die Farbaura nicht wahrzunehmen, die von aus der Vergangenheit nachströmender Energie wieder entfacht wurde. Während Sugam zur Barriere zurückschritt, richtete Link sich auf. Das Schwert lag seitlich hinter ihm, das wusste er, ohne danach Ausschau halten oder tasten zu müssen. Als er aufstand und es aufhob, glitt die Spitze mit einem sirrenden Geräusch über den Steinboden, was Sugam sogleich wieder auf ihn aufmerksam machte. Überrascht wirbelte dieser herum, als Link ihm auch schon nachsetzte. Sofort hob der Magier den Stab hoch über den Kopf, doch anstelle einen weiteren Blitz abzufeuern, deckte er den Herannähernden mit Pfeilspitzen aus Elektrizität ein. Die kleinen Geschosse mit dem Schwert abzuwehren bremste Link zwar aus, doch konnten sie ihn nicht aufhalten. Mit jedem Hieb, bei dem ein Pfeil von der Klinge mit hellem, gläsernem Klang absprang, kam der Held einen Schritt näher an seinen Gegner heran.
Schließlich konnte Link hinter dem steten statischen Aufblitzen das vor Wut und Anstrengung verzerrte Gesicht des Alten sehen. Sodann holte er aus, um aus nächster Nähe zuzuschlagen, da teleportierte sich Sugam in einem Mantel aus Funken fort, um nach Magus-Art aus einer anderen Richtung überraschend anzugreifen. Link zögerte nicht den Bruchteil einer Sekunde, wusste er doch genau, wo der Magier erscheinen würde. Das Anzeichen dafür hatte er nur kurz und geblendet vom Blitzlicht sehr undeutlich gesehen. In der Regel zog er aus einer solchen Andeutung erst dann einen Vorteil, wenn er durch weitere Beobachtungen Gewissheit erlangt hatte. Doch jetzt, von sich selbst besessen, hatte er es bereits verstanden: Wohin Sugams grau aufleuchtende Augen vor seinem Verschwinden gerichtet waren, dorthin versetzte er sich.
Noch bevor die verräterische Funkenkugel dort entflammen konnte, lief Link bereits auf jenen Punkt zu. Als sie sich zu dem Magier manifestierte, legte der Held die verbleibende Strecke mit einem Satz zurück, führte das Schwert zu einem Schlag von oben. Reflexartig riss Sugam den quergelegten Stab hoch und parierte. Das Eichenholz klackte hohl, als die Silberklinge darauf auftraf und es glatt durchschnitt. Nicht einmal einen Wimpernschlag brauchten die Ladungen des Zauberstabs, zuerst in die Enden der beiden Hälften auseinanderzustieben und dann vernichtend wieder an den Schnittkanten zusammenzutreffen. Ihre Energien setzten eine donnernde Explosion frei, die den Holzstock zerfetzte, Held und Magier mit Gewalt voneinander trennte. Beide flogen sie in entgegengesetzte Richtungen durch den Raum und blieben vorerst reglos liegen.
Weil ihn die bunte Schutzschicht vor Verletzungen hatte bewahren müssen, war sie zunächst so geschwächt, dass Link nur mühsam wieder auf die Beine kam. Auch Sugam, der inmitten der Trümmer der Steintür gelandet war, setzte sich benommen auf. Dabei stieß er mit den Fingern an den Gegenstand, den der Untote in die Kammer der Statue mitgebracht und zu Beginn des Kampfes fallen gelassen hatte. Stutzig hob der Alte den Kristall auf, der das Bombardement auf dem Tisch überstanden hatte. Sugam hatte keinen Zusammenhang zwischen dem Baustein des Großen Palastes und dem bernsteingoldenen Kleinod gezogen und es für einen ungewöhnlich geformten Rubin gehalten. Er blickte durch den klaren Kristall, in dessen Facetten sich das Licht, das von Links Handrücken ausging, in dutzend weiße Dreiecke brach.
Ein erkennendes Grinsen breitete sich auf dem faltigen Gesicht aus. Den Edelstein in die Höhe gereckt, rief Sugam triumphierend: „Ich habe dich durchschaut, Akira! Dies ist das Triforce des Mutes!“ Sein Blick huschte zu der Barriere und was darin eingeschlossen war. Funken sprangen aus seiner Robe, als er begann, sich zu teleportieren.
Mittlerweile war Link endlich aufgestanden. Dennoch, laufend würde er den Magier nicht mehr rechtzeitig erreichen, bevor dieser seine Position wechselte. Den Schwertgriff fest umschlossen, schwang er die heilige Waffe vor sich zu einem leuchtenden Bogen. Die bläuliche Lichtspur, die die Klinge dabei zog, erlosch nicht wie eine einfache Erscheinung, sondern schoss auf Sugam zu wie ein Pfeil aus Energie. Sie erfasste den Magier, unterbrach sogleich seinen Teleport und warf ihn gegen die Wand hinter sich, wo er kraftlos zu Boden sank.
Mit schweren, noch von der Explosion geschwächten Schritten näherte sich Link. Seine glühenden Augen, in denen blanker, kalter Zorn stand, waren ohne jeden persönlichen Groll auf Sugam gerichtet. Die eigene Wut auf den Mann, den er für einen Freund gehalten hatte, und die Trauer um den Verlust seiner Mütze verblassten im Strahlen der Seele, die nur existierte, um das Böse in den Welten zu tilgen. Den Magier erfasste das Grauen, er versuchte zu fliehen, sich zu dematerialisieren, doch es gelang ihm nicht: Der Schwertstrahl hatte seine Schaltkreise zerstört. Die wenigen Funken, die sich durch seine Furcht bildeten, erloschen sofort wieder, ohne zu wirken. „Du weißt, was passiert, wenn ich sterbe“, sprach er undeutlich vor Schwäche, während Link unaufhaltsam auf ihn zukam, „wenn mein Todesfluch bricht. Über das Erwachen ihrer Großtante werde ich deine Prinzessin mit mir nehmen!“
Obwohl nun nah genug an Sugam, um ihm mit der heiligen Klinge den finalen Streich zu versetzen, zögerte Link, dies zu tun. Das Licht in seinen Augen wurde schwächer, sodass ihr natürliches Himmelblau wieder deutlich hervortrat. Für einen Moment waren all seine tausend Gedanken allein auf Zelda gerichtet.
Von der Mitte der Kammer ertönte über das Getöse der Barriere hinweg ein polterndes Dröhnen wie aus den tiefsten, finstersten Gefilden der Hölle – und tatsächlich war es das Knurren einer Kreatur, die von dort stammte. Sowie er dies hörte, wurde Sugams Gesicht zu einer einzigen Grimasse bösartiger Schadenfreude. „Das Spiel ist aus, letzter Held.“ Etwas schepperte tönern, und das Knirschen schweren Steins rumorte durch das Verlies, gefolgt von einem noch lauteren, monströsen Brüllen, das allein über den Schall Boden und Wände zum Erzittern brachte. „Dies ist die Rückkehr des Ganon!“, frohlockte Sugam und lachte vor erhitztem Wahnsinn wie ein Irrer – bis Link ihn enthauptete. Der abgetrennte Kopf und der verbleibende Leib gingen auf in einem elektrisch weißen Feuerwerk wie verbrennendes Magnesium. So verschwand Sugam, der Donnermagier, und diesmal sollte er nicht wieder an anderer Stelle erscheinen.
Link beachtete dieses Sterben schon gar nicht mehr. Die Blitzbarriere um die Statue hatte sich aufgelöst. Der formlose Klumpen Blutasche hatte seine Masse nicht nur vielfach vermehrt, sondern auch die Gestalt eines gewaltigen Moblins angenommen. Die Wildschweinfratze wurde von den Fackeln im Hintergrund in tiefe Schatten getaucht. Der heiße Atem beschlug an der kalten Kellerluft zu stinkendem Qualm, dazu angetan, jedes Leben an dem eigenen, wichtigsten Bedürfnis ersticken zu lassen. Die Augen des Dämonenkönigs glichen glühenden Kohlen, brannten sich regelrecht in die seines ewigen Widersachers. Link, beseelt von allen, die vor ihm gewesen waren, erwiderte diesen Blick mit demselben grenzenlosen, immerwährenden Hass.
Wieder erschütterte Ganon die Kammer mit einem Brüllen, hielt mit bebenden Sätzen auf Link zu. In aller Seelenruhe hob der Held den Schwertarm, den Handrücken mit dem leuchtenden Triforce-Mal nach vorn gedreht. Da war Ganon auch schon heran, holte aus, um ihn zu zerschmettern. Die mächtige Pranke mit den schrecklichen Krallen sauste auf Link herab – und verharrte plötzlich nur eine Fingerbreite von ihrem Opfer entfernt. Ganons Angriff war mitten in der Bewegung eingefroren. Drei Dreiecke reinsten Lichts umgaben den Dämonenkönig, schlossen ihn ein und verdammten ihn zu starrer Reglosigkeit.
Wieder mit beiden Händen am Schwertgriff hackte Link auf ihn ein, je ein Mal für jeden Geist, der in ihm erwacht war. Die silberne Klinge durchschnitt den dämonischen Leib ohne jeden Widerstand. Der letzte, vernichtende Hieb ließ ihn zu Asche zerfallen, aus der er eben erst wiederauferstanden war, und verteilte sie explosionsartig im ganzen Verlies.
Noch während sie lautlos niederrieselte, knickten Link die Beine unter dem Körper weg. Zunächst stützte er sich noch auf das Schwert, bis es in einem fahlen Aufleuchten verschwand und ihn damit ganz zusammenbrechen ließ. Die mystische Waffe würde außerhalb der Zeit weiter darauf warten, dass ihr Meister sie wieder brauchte. Das Mal auf Links Handrücken erlosch, wurde pechschwarz, als seien mehrere der Dreieckssymbole zu einem überlagert.
Nach seinem Erwachen hatte Ganon die Statue gestürzt; zwar lag der steinerne König in Trümmern da, die Vertiefung in der Krone jedoch war noch intakt. Im diffusen Fackellicht glomm vor Link der letzte Kristall seiner Queste.
Er musste ihn aufheben und einsetzen, wie es seine Aufgabe war. Zumindest, wenn das überhaupt noch etwas nutzte, immerhin war die Statue zerstört, und das darin eingeschlossene Triforce des Mutes war nicht herausgekommen. Das mochte daran liegen, dass dieses eigentlich als der Kristall getarnt war, wie Sugam angenommen hatte, oder weil nur der Auserwählte Akiras letztes Siegel wirklich brechen konnte. In diesem Fall wäre das dritte Element hier am sichersten, oder möglicherweise noch sicherer, wenn es wieder im Besitz der Königsfamilie war. Dennoch würden dann immer wieder Feinde Hyrules versuchen, der goldenen Macht habhaft zu werden. Manche würden es auch schaffen, auch wenn das Triforce im Schloss bewacht wurde, so wie es Ganon mit dem Fragment der Kraft gelungen war. Natürlich konnte dasjenige des Mutes auch nicht hierbleiben. Hyrule brauchte das wiedervereinte Triforce; nur durch es konnte das Land wieder zu seinem alten Glanz zurückfinden, und nur durch es war dieser überhaupt erst verfallen. Genauso, wie es diesen Verfall wieder aufhalten konnte. Dazu war es nicht unbedingt nötig, denn die Prinzessin würde das auch ohne es schaffen. Sie war keine fähige Herrscherin, das befanden ihre Untertanen, ihre Vertraute und sogar die Götter, hatten sie sie schließlich nicht mit ihrem heiligen Licht ausgestattet. Doch das war egal, bestimmt konnte sie das Regieren irgendwie erlernen. Es gab bereits eine Prinzessin, die das rechtzeitig gelernt hatte. Diese würde wiedererwachen mit dem ganzen Triforce, und gleichzeitig würde die jüngere als ihre Wiedergeburt sterben. Vielleicht war sie durch Sugams Sterben bereits tot, wie dieser gesagt hatte. Gut möglich, dass er im Angesicht des Todes gelogen hatte, wie zuvor auch in vielem anderem. In dem Fall musste es aber auch nicht die Wahrheit sein, dass der einen Prinzessin mit dem Erwachen der anderen etwas geschah. Und falls doch, müsste die ältere mit dem Gewissen weiterleben, dass ihre Großnichte für sie gestorben war. Gewiss würde sie das nicht wollen, und Akira hätte nie gewollt, dass seiner Tochter etwas zustieß, genausowenig wie seiner späten Nachfahrin. Vielleicht bestand die Möglichkeit, das Triforce zu vereinen und das Erwachen zu umgehen, doch wenn diese schiefginge, würde der jüngeren Prinzessin das Recht zu leben entrissen werden. Im Übrigen genauso, wie es ihrer Großtante passiert war, die mittlerweile ohnehin tot wäre. Sie war jung gewesen, als sie eingeschlafen war, und hatte ihr ganzes Leben durch das Opfer für ihren Bruder versäumt. Sie hatte gewusst, dass es so kam, denn eine loyale Prinzessin opferte sich für ihr Reich. Doch zumindest war das ihr freier Entschluss gewesen. Wenn nun ihre Großnichte starb, dann nicht, weil diese sich dazu entschieden hatte, sondern ihr Held. Wahrscheinlich würde sie das billigen, und selbst wenn, er konnte doch niemanden einfach wissentlich töten. Ungezählte Leben hatte Hyrules Verfall bereits gefordert und würde auch weiterhin kosten, wenn das Triforce des Mutes nicht zu den anderen Teilen zurückkehrte. Sollte das Land doch für sich alleine um seine Wiederauferstehung kämpfen. Nein, das konnte es nicht, dafür brauchte es nunmal das ganze Triforce, und das konnte es nur bekommen, wenn der Kristall in die Statue gesetzt wurde …
So schlossen sich Links fremde eigene Gedanken zu einem sich endlos drehenden Mahlstrom, der ihn dröhnend zermalmte. Den Kopf mit den Armen umschlossen, versuchte Link, ihn daran zu hindern, weiter und weiter, wieder und wieder zu zerbersten. Liebe und Pflichtbewusstsein zu zwei Seiten, die früher dieselbe gewesen waren, stürzten sich von innen auf seinen Geist wie die ausgehungerten Aasgeier des Todestals auf einen Kadaver. Sie zerrten ihn in ihre jeweiligen Richtungen, wollten ihn für sich allein einnehmen. Diesen unvereinbaren Ansprüchen konnte das Herz des Helden schließlich nicht mehr standhalten.
Es riss entzwei, und Link starb.
Wankend stand er auf.Onkidonki. Hat das Arghloch Sugam also endlich bekommen, was es verdient >xD
- „Das Spiel ist aus (…) Dies ist die Rückkehr des Ganon! (…) Die Wildschweinfratze (…) in tiefe Schatten getaucht. (…) Die Augen des Dämonenkönigs glichen glühenden Kohlen, (…)“ – Das alles entspricht dem Game-Over-Screen aus TAoL. Im Spiel selbst kommt Ganon nicht wirklich zurück, es ploppt nur dieser Screen auf. Da er aber ein Bestandteil des Spiels ist, wollte ich ihn richtig einbauen :3
- Genauso auch Links Triforce Slash aus Super Smash Bros.. Wenn ich es recht in Erinnerung habe (und weil ich zu faul bin nachzuschauen), schlägt (die Spielfigur) Link dabei achtmal zu, was genau der Anzahl an „Geistern“ entspricht, die im letzten Kapi in (meinem Fanstorycharakter) Link erwacht sind, plus sein eigener. Auch die Farbaura und die weiß glühenden Augen kommen aus SSB, denn die haben alle Charas, wenn sie einen Smash-Ball zerstören. Außerdem ist die Farbkombi (grün mit regenbogenfarbenem Schimmer und weißen Akzenten) dieselbe wie beim Kristall, den sich Link im zweiten Kapitel genauer anschaut. Das ist kein Zufall.
- Der Absatz, in dem Link mit sich selbst argumentiert, ob er das Triforce des Mutes noch holen soll oder nicht, hat absichtlich keine Zeilenumbrüche. Er soll als ein durchgängiger Block beim Lesen erschlagen, denn das ist es schließlich auch, was Link hier fühlt. Deswegen ergeben die Übergänge von Pro und Contra auch meist keinen Sinn. -
Siebter Abschnitt: Im Traum
„Lasst mich los! Ich darf nicht weitergehen, ich muss zurück! Ich weiß, das geht nicht, dass ich nichts mehr tun kann. Dass alles vorbei ist …“
„Verzage nicht. Dies ist nicht das Ende. Nicht das Deine, und auch nicht das Hyrules. Den Rand der Klippe, die du herabzustürzen meinst, hast du noch nicht überschritten.“
„Was? Ich werde ja gar nicht mehr weitergezogen! Aber … wo bin ich hier?“
„Dies ist kein Ort von der stofflichen Beschaffenheit, die du kennst. Hier bist du losgelöst vom Raum, und auch die Zeit ist für dich nur ein Fluss, über dem du schwebst, anstatt mit seiner Strömung zu schwimmen.“
„Ich verstehe nicht.“
„Das ist nicht verwunderlich. Die, die am meisten am Leben hängen, begreifen das Konzept des Todes am wenigsten.“
„Gerade sagtest du noch, ich sei nicht tot.“
„Ich sagte, du seist nicht am Ende. Du hängst fest auf einer Ebene zwischen Leben und Tod. Ein kleiner, aber mächtiger Zauber hält dich hier, unbewusst erschaffen in Dankbarkeit und Vertrauen, zur Wirkung gebracht durch die Notlage, die dich andernfalls getötet hätte.“
„Die Holzfigur … Sag, bist du … Gott? Nimmst du hiermit meine Seele in Empfang und führst mich von hier aus ins Jenseits?“
„So leid es mir tut, nein.“
„Du kannst mich nicht zu meiner Familie bringen? Ich muss sie um Vergebung bitten, dass ich ihren Kampf verloren habe!“
„Wenn es in meiner Macht läge, würdest du dann doch weitergehen wollen?“
„… Kannst du es?“
„Nein.“
„Das ist bestürzend … Dann bist du wohl auch nicht einer dieser alten Götter. Aber wer bist du dann?“
„Ich bin … diejenige, die alle Geheimnisse kennt und von allen das größte ist.“
„Weißt du, ob … Nein, es kann nicht wahr sein, was Sugam gesagt hat! Ich habe nicht mein Leben lang zu meinem Erzfeind gebetet!“
„Wenn du wirklich das Bedürfnis hast, die Wahrheit herauszufinden, blicke von hier aus durch die Zeit und du wirst es sehen.“
„Ich … habe so gehofft, es sei eine Lüge. Aber es stimmt: Mein Gott war schon immer Ganon!“
„Streng genommen ist es nur der Mythos eines lange ans Dunkel verlorenen Königs, der über die Jahrhunderte zum Gott verklärt wurde.“
„Ich sehe, die Anbetung als Gott hat Ganon als Dämon nicht mächtiger gemacht.“
„Das durchaus nicht. Aber sie hat verhindert, dass sein Geist je schwand, ähnlich uns beiden. Deswegen hatten seine Diener im Laufe der Geschichte immer wieder die Gelegenheit, ihn zurückzubringen. So wie jetzt.“
„Das ist meine Schuld! Ich habe meine Aufgabe nicht erfüllt, das Triforce des Mutes zu holen. Ich hätte Hyrule damit helfen sollen, und nun ist alles zu spät.“
„Reue nicht. Du hast im entscheidenden Moment gezögert, aber nur aus den nobelsten Gründen.“
„Nobel?! An meinem Versagen ist überhaupt nichts nobel! Durch mich wird Ganon wiederkehren! Ich war die einzige Waffe, die ihn aufhalten konnte, doch stattdessen hat man mich zu dem Werkzeug gemacht, das ihm die Macht gibt, Hyrule endgültig zu zerstören. Und genau das wird er auch tun!"
„Du scheinst zurückkehren und das verhindern zu wollen.“
„Gar keine Frage! Wenn die Möglichkeit besteht, jederzeit!“
„Es gibt durchaus einen Weg zurück. Ich selbst habe nie gewagt, ihn zu gehen.“
„Zeig ihn mir!“
„Wie du wünschst … Du hast bereits in den Fluss der Zeit geblickt. Du hast gesehen, aus welch ferner Vergangenheit er herbeiströmt, wie unaufhaltsam er in die Zukunft fließt. Wenn du von hier aus weitergehst, über den Klippenrand trittst und wieder in ihn eintauchst, wird er dich mitreißen in den Tod, der für dich bestimmt war, bevor du hergefunden hast. Lass ihn stattdessen in dich fließen, sodass nicht er dich beherrscht, sondern du ihn.“
„So einfach ist das?“
„Wohl kaum. Denn ich muss dich warnen: Einem solchen Strom kann kein Damm standhalten. Was er in dir auslösen wird, kann nicht einmal ich sagen. Aber was es auch ist, du wirst furchtbar darunter leiden.“
„Das schreckt mich nicht. Ich habe bereits alle Qualen dieser Welt erlitten. Ganon hat mir meine Familie und meine Kindheit genommen, Sugam meinen Glauben und das wertvollste, das ich besaß, zerstört. Was könnte schlimmer sein, als auch noch das letzte zu verlieren, das mir etwas bedeutet, weil ich nichts unternehme.“
„Also bist du willens, diesen Preis zu zahlen?“
„Jeden! Um Hyrule und die Prinzessin zu beschützen, würde ich alles tun!“
„… So sei es.“In ihm erstrahlte ein grelles Licht, zusammengesetzt aus unendlich vielen, sich unendlich überlagernden Bildern. Nur einzelne bewusste Erinnerungen streiften ihn.
Er sah …
… zwei Welten, die ein Schicksal teilten; ein dunkles Reich, aus dem Schatten ins Licht fluteten.
… einen verzweifelten Kampf gegen einen übermächtigen Gegner.
… vier Hände, die synchron einander gleichende Schwerter führten; ein von finsteren Sturmwolken umtostes Dämonenauge; ein von Monstern überranntes Land.
… schwebende Inseln in einem unendlichen Meer aus Wolken.
Ungezählte Jahrhunderte, die in einem einzigen Moment geschahen.
Tausend Erinnerungen, zu einem Geist vereint.
Und er lebte sie alle.Für alle, die diese Woche die neuen Pokemon-Spiele zu zocken haben, hier mal ein etwas kleineres Kapitel xP So kurz, wie es ist, habe ich ihm auch keine Subheadline verpasst.
- Zwecks des besseren Verständnis sei erwähnt, dass die Person, mit der Link hier spricht, und die ihn Ziehenden, die er am Anfang aufzuhören beschwört, nicht dieselben sind. Genau genommen ist da nicht wirklich jemand, der ihn zieht, aber so kommt ihm das Sterben vor.
- Und „sprechen“ ist wohl kaum das richtige Wort. Als ob Link je so viel sprechen würde. Tatsächlich kommt hier mehr Dialog von ihm als in der ganzen restlichen Story kombiniert, und das ist auch Absicht. Immerhin denkt er wesentlich mehr als er redet.
- Die Holzfigur hatte zunächst keine weitere Bedeutung, als dass sie einfach das Geschenk der Kinder war. Während ich die letzten paar Kapitel schrieb, habe ich aber ein bisschen umgeplant und ihr eine größere Bedeutung verliehen (wenn auch nicht ganz die eines Lebens im Spiel)
- Hier wird mal wieder der Fluss der Zeit erwähnt (wie in Die Ballade des Unbesungenen), und er ist nicht nur eine Metapher, sondern die konkrete offizielle Timeline. Daher sind die Erinnerungen aus Links früheren Leben, die er im „Flashback“ sieht, auch aus den Spielen entnommen, die geschichtlich vor den ersten beiden Zelda-Spielen stehen. Die da wären:
„… schwebende Inseln in einem unendlichen Meer aus Wolken.“ – Skyward Sword.
„ein von Monstern überranntes Land.“ – Die Vorgeschichte von Minish Cap (vom „Held der Menschen“. Es wird nie erwähnt, dass das auch ein „Link“ ist, nur das Buntglasfenster am Anfang des Spiels schaut nach einem aus. But hey, that’s just a theory. A Game Theory!)
„ein von finsteren Sturmwolken umtostes Dämonenauge;“ – Minish Cap
„… vier Hände, die synchron einander gleichende Schwerter führten;“ – Four Swords
„… einen verzweifelten Kampf gegen einen übermächtigen Gegner.“ – Ocarina of Time (da wir in der Downfall Timeline sind, kommt diese Erinnerung nicht so gut weg)
„ein dunkles Reich, aus dem Schatten ins Licht fluteten.“ – A Link to the Past
„… zwei Welten, die ein Schicksal teilten;“ – A Link between WorldsArrite. Ich bin dann mal weg. Alola!
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Sechster Abschnitt: In Ketten
„Unsere Schwertkämpfer werden nicht wiederkommen. Diese fremden Männer werden uns jetzt beschützen.“
– DorfältesteEs war, als kämpfe er sich durch zähflüssigen Sumpfschlamm, der ihm träge entgegenfloss, ihn von den Beinen zu reißen drohte. Mehrfach stolperte er, wurde wieder zurückgeschwemmt, ging unter, erstickte fast an der erdrückenden Flut. Er wusste nicht, ob er sterben würde, sollte er stürzen und nicht wieder aufstehen können. Genauso wenig Gewissheit hatte er darüber, ob sich irgendwo vor ihm rettendes Ufer befand. Allein der Gedanke daran, dass der Sumpf ein Ende haben musste, drängte ihn dazu, weiterzuwaten.
Langsam kam Link wieder zu sich. Aus dem Morast der Bewusstlosigkeit stiegen seine Sinne einer nach dem anderen an die Oberfläche auf. Als erstes spürte er den eisernen Griff, der seine Fußgelenke umklammert hielt. Eher reflexhaft versuchte er, die Beine zu bewegen, um dem Gefühl nachzugehen, doch sein Körper gehorchte ihm noch nicht. Als seine rechte Hand angehoben wurde, hörte Link ein metallisches Klicken auf jener Seite. Ein ähnlich fester Griff wie an seinen Füßen hatte nun sein Handgelenk umfangen. Schließlich schwand die Schwärze in seinen Augen, und nun sah er ebenso wie er es fühlte, wie auch um seine Linke von schuppigen Klauenfingern etwas gelegt wurde, das er nicht erkannte.
Noch war Links Verstand nicht erwacht, doch sein Instinkt reagierte automatisch. Ruckartig riss der Hylianer die noch ungefesselte Hand los, packte das Echsenmonster am Kragen seiner Lederrüstung und zog sich daran hoch, rammte ihm den Kopf zielsicher ins Gesicht. Das Reptil zischte überrascht, als Link es losließ und mit einem Fausthieb zu Boden schickte.
Der Held stemmte sich gegen den Schwindel, hervorgerufen durch die Nachwirkungen der Ohnmacht, das plötzliche Aufrichten und die hinterhältige Kopfnuss. Sterne tanzten ihm vor den Augen, ein schreckliches Pochen klopfte von innen gegen seinen Schädel und versuchte, ihn zum Platzen zu bringen. Dennoch klärte sich sein Geist nun auf, begriff allmählich, was das Monster mit seiner Hand und den Füßen gemacht hatte: Breite Metallringe waren darum geschlossen worden, befestigt an schweren Eisenketten. Link packte die Handfessel, die nicht so fest saß, als dass er den Arm nicht darin hätte bewegen können. Die Hand so schmal wie möglich, versuchte er, sie hindurchzuziehen und freizubekommen.
Gerade, als er meinte, dies könne ihm gelingen, durchfuhr ein reißender Schmerz seinen ganzen Leib. Unwillkürlich warf sich sein Oberkörper so heftig zurück, dass Link mit dem Hinterkopf auf den harten Untergrund schlug. Krampfhafte Zuckungen rüttelten an ihm, als wollten sie ihn daran hindern, vor der physischen Qual erneut in Bewusstlosigkeit zu flüchten. Als sie endlich von ihm abließen, war er so entkräftet, dass er sich zu keiner Regung mehr fähig fühlte.
Neben ihm war die Echse wieder aufgestanden, rückte den ausgerenkten Schlangenkiefer wieder zurecht. Die gelben Vipernaugen blitzten, die Kreatur fauchte erzürnt. Wo sie eben noch vorsichtig vorgegangen war, um den Gefangenen nicht zu wecken, kettete sie seine freie Hand nun wesentlich schonungsloser an. Anschließend drehte sie geschäftig an einem Hebel, und die Ketten an Links Gliedmaßen spannten sich an, bis er alle Viere von sich gestreckt dalag, die Arme weit über dem Kopf. Wieder zischte ihn das Monster kalt an und kratzte ihm mit den spitzen Echsenkrallen das Gesicht auf. Link sog gegen das Brennen scharf die Luft ein.
„Lass das!“, wies eine ihm nur zu bekannte Stimme die Eidechse zurecht. „Haben dir deine tierischen Fähigkeiten denn den menschlichen Verstand geraubt? Halte lieber seinen Kopf fest!“
Das Reptil gurgelte einen heiseren Laut, der nicht einmal entfernt an eine Sprache herankam, und gehorchte. Die raugeschuppten Hände fest um Links Gesicht gelegt, richtete es dieses zur Ziegelsteindecke hinauf und fixierte es. Zwei weitere Finger bohrten sich dem Hylianer schmerzhaft in die Kiefermuskeln und zwangen ihn, den Mund zu öffnen. Ihm wurde etwas eingeflößt, der Kiefer sogleich wieder geschlossen und eine Hand auf die Lippen gepresst, bevor er es wieder ausspucken konnte. Seine Nasenlöcher wurden unnachgiebig zugedrückt. Aus seiner Angst vor Vergiftung zog Link die Kraft, sich gegen die Klammergriffe zur Wehr zu setzen – ohne jeden Erfolg. Schnell ging ihm die Luft aus, und seine Lungen fühlten sich allmählich an, als schrumpften sie zusammen.
„Jeder Tropfen seines Blutes ist kostbar“, sagte die menschliche Stimme eisig.
Schließlich siegte Links Selbsterhaltungstrieb über seinen Starrsinn. Anstatt womöglich zu ersticken, schluckte er die unerwartet fruchtig schmeckende Flüssigkeit. Endlich ließ man sein Gesicht los; sofort atmete der gequälte Held auf, versuchte verzweifelt, das Brennen in seiner Brust mit Frischluft zu löschen. Er spürte, wie das Rote Elixier wohltuend durch seine Adern floss und die Erschöpfung aus seinen müden Gliedmaßen vertrieb – was dem Angeketteten jetzt auch nichts mehr nutzte. Das Brennen in seinem Gesicht verflüchtigte sich, als die Kratzer verheilten, genau wie die Blessuren der vergangenen Stunden. Seine magische Energie wurde dadurch unglücklicherweise nicht wiederhergestellt, sonst hätte er sofort den Donnerzauber gewirkt.
Die Kammer, in der Link gegen sein schattenhaftes Selbst gekämpft hatte, war voller Monster, fast mehr, als sie fassen konnte. Die dicht stehenden Leiber verdeckten den Fackelschein an den Wänden und tauchten den Raum in zwielichtige Dunkelheit. Auch wenn es keine klare Abgrenzung zwischen den Gruppen gab, hatten sich auf der einen Seite mehr Moblins in Rüstungen, auf der anderen hauptsächlich Fokka zusammengefunden. Kein Wunder, dass sich der echsengesichtige Geru so aufspielte, war er doch das am wenigsten gefährliche Wesen im Raum – wenn Link nicht angekettet auf einer Streckbank gelegen hätte.
Das Foltergerät stand im einzig wildschwein- und falkenfreien Bereich des Raumes ganz in der Nähe der Steintür. Link konnte nur einen Teil des darin eingemeißelten Triforce sehen; eine Gestalt in grauer Robe versperrte ihm die Sicht. Nicht länger von vorgespielter Gebrechlichkeit gebeugt, stützte sie sich nicht mehr künstlich auf den Wanderstab aus Eichenholz. Dessen Maserung glühte elektrisch blau, nachdem aus ihm ein Blitz auf Link abgefeuert worden war.
„Mir war klar, dass du nicht einfach zu fangen sein würdest“, kam es finster aus den Schatten unter der Kapuze.
Wütend funkelte Link den Mann an, der seine gutgläubige Ritterlichkeit missbraucht und sein Vertrauen so schändlich verraten hatte. Mit dem er gereist war und gebetet hatte, von dem er sich hatte segnen lassen und den er geliebt hatte wie einen Großvater. Zutiefst verletzt zog der Held an den Ketten, die ihn unerschütterlich festhielten.
„Und ich dachte, ein großer Palastwächter würde bereits ausreichen, dich weit genug zu schwächen“, meinte Sugam im gewohnten Plauderton, der in Links Ohren wie blanker Hohn klang. „Deswegen habe ich meinen Donnervogel als solchen postiert, weil ich annahm, König Akira habe das versäumt. Dennoch, sogar jetzt nach gleich zwei so mächtigen Gegnern machst du es mir noch immer erstaunlich schwer. Ich gebe es ungern zu, aber ich habe dich gewaltig unterschätzt, nicht nur, was deine kämpferischen Fertigkeiten betrifft.“ Nun klang die Stimme des vermummten Magiers tatsächlich ein wenig beeindruckt, dazu kam der Groll einer fast schon persönlichen Beleidigung. „Eigentlich habe ich den Donnerzauber entwickelt, dass du dich damit selbst außer Gefecht setzt. Deine Willenskraft hat ihn aber nicht nur derart verstärkt, dass er eine vernichtende Wirkung angenommen hat, sondern diese auch noch ganz von dir weggekehrt. Dass du ihn dann auch noch gegen meinen Donnervogel benutzen würdest, hätte ich nie erwartet. Doch zumindest konntest du ihn danach nicht noch auf meine anderen Monster wirken. Ich habe ungern die Moblins und Fokka auf dich gehetzt. Sie sind unberechenbar, was dich betrifft, da du ihren König und ihren Schwarmvater getötet hast.“
Als Sugam sich umschaute, wagte auch Link einen genaueren Blick durch den Raum. Dutzende Schweins- und Vogelaugenpaare waren voll mordlüsternen Hasses auf ihn gerichtet.
„Du hast viele Feinde, die dir sehr zürnen“, stellte Sugam fest. Ein paar Monster waren näher an die Streckbank herangetreten. Der vorderste Fokka hob die Hand, die wie der Klauenfuß eines Raubvogels anmutete, zu dem Angeketteten. Plötzlich zuckte ein Blitz von der Spitze des Eichenstabs auf den Falkenkrieger über, verfehlte ihn knapp; er wich zurück, und auch seine Begleitung ging wieder auf Abstand. „Verzieht euch, ihr rachgierigen Viecher!“, brauste Sugam gegen sie auf. Artig zogen sich die Moblins in ihre Ecke zurück, und mit Verspätung auch die Fokka. Der Zorn der Vogelmonster war weiterhin auf den Mörder ihres erst unlängst getöteten Anführers gerichtet anstatt auf den Magier, der ihn überhaupt erst geopfert hatte.
Wieder an Link gewandt, fuhr Sugam in aller Ruhe fort: „Ich kann dich ihnen nicht überlassen. Noch nicht. Zuerst muss ich etwas in Erfahrung bringen.“ Er drehte sich zur Seite, und nun konnte der Hylianer nicht nur das Triforce-Symbol auf der Steinplatte sehen, sondern auch einen kleinen Tisch, der neben seiner Streckbank stand. Darauf ausgebreitet war der Inhalt seiner Gürteltaschen: Das Silberkreuz, der magische Schlüssel aus Gold nebst eines unbenutzten Tempelschlüssels aus gewöhnlichem Gusseisen, sein geschnitztes hölzernes Abbild von Tristan und Hannia. Ein paar Bomben waren zu einem Grüppchen sortiert, ebenso wie eine Handvoll Rubine, unter denen sich auch der bernsteinfarbene Kristall befand. Falls seine Waffen, bestehend aus Schwert, Schild, Bogen und Köcher, unter dem Tisch lagen, konnte Link sie von seiner erhöhten Liegeposition aus nicht sehen. Sein Schnitzmesser, der Wurzelbeutel, seine ganze Ausrüstung, die er im Todestal und dem Großen Palast nicht gebraucht hatte, hatte er bei Sugam im Lager gelassen und würde sie wahrscheinlich auch nie wiederbekommen.
Auch seine Flöte war eigentlich dort geblieben; jetzt hatte Sugam sie in Händen und nahm sie im diffusen Licht in Augenschein. „Ein Kampf gegen den eigenen Schatten“, murmelte der Magier gedankenverloren, „lebendig gemacht durch einen Zauber, der nur auf den Auserwählten reagiert.“ Er lachte vor anspruchsvoller Unterhaltung. „König Akira war ein sehr findiger Mann, das muss man ihm wirklich lassen! Sein Sohn war bei Weitem nicht so gerissen – nein, seine Tochter war es, wegen der ich den dummen Prinzen nicht so beeinflussen konnte, wie ich es gern gehabt hätte.
Hast du hiermit den Bannzauber von den Statuen genommen?“, wollte Sugam zusammenhangslos wissen und hielt Link die Flöte hin. „Indem du irgendein bestimmtes Lied spielst? Hylianische Magie funktionierte früher oft so.“
Der Held schwieg eisern.
„Nunja, ich nehme mal an, wenn du sie wirklich bräuchtest, hättest du sie nicht im Lager am Taleingang zurückgelassen“, meinte Sugam mit einem Achselzucken, stockte dann aber, als er einen anderen Einfall hatte. „Oder ist das gar der Grund, warum du das Triforce des Mutes doch noch nicht hast? Es würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn du eine so wichtige Sache vergisst.“ Er legte die Flöte auf den Tisch zurück und begutachtete die anderen Gegenstände.
Währenddessen versuchte Link weiter verbissen, die Hände durch die Schellen zu ziehen, beobachtete dabei die Bewegungen der Moblins und Fokka. Die widerwärtigen Kreaturen nutzten Sugams Unachtsamkeit aus, wieder näher an die Streckbank heranzuschleichen.
„Bestimmt hasst du mich jetzt, weil ich dich angelogen habe, nicht wahr?“, stellte der alte Mann in Robe eine sehr berechtigte Vermutung auf, und Link hatte weder das Bedürfnis, dem zu widersprechen, noch zuzustimmen. „In deiner Gottesfurcht bist du so leicht zu blenden wie Akiras minderbemittelter Sohn. Hast du dich, als wir uns wiedertrafen, denn nie gewundert, wie ein klappriger Greis dich so leicht einholen konnte? Warum ein leidenschaftlicher Missionar allein in einer verlassenen Stadt wohnt? Wie es sein konnte, dass wir auf unserer gemeinsamen Reise nie von Monstern angegriffen wurden?“ Er lachte kurz und höhnisch auf. „Dabei war die Wahrheit immer in greifbarer Nähe: Rückwärts gelesen lautet mein Name Magus, und ich habe dir auch noch die Bezeichnung aller Monster und Dämonen genannt, denen du begegnet bist. Wobei ich kein einfacher Magus bin, versteht sich.“
Zur Demonstration schwang Sugam seinen Eichenstab in einem weiten Kreis über seinen Kopf. Erschrocken sprangen die gefährlich nahe herangekommenen Monster zurück, als sich um die Streckbank auf dem Boden ein dünner Lichtring bildete. Auch genau darüber an der Decke entstand ein ebensolcher. Ganze Stränge aus Blitzen sprangen vom unteren auf den oberen über, schufen einen gleißenden Käfig und sperrten die Monster augenblicklich aus; nur der Geru befand sich jetzt noch innerhalb. Durch das statische Tosen war der Frustschrei eines Fokka zu hören. Link ließ sich von dem Schauspiel nicht davon abhalten, weiter an seinen Ketten zu zerren.
„Dass das jemandem, der seinen eigenen Namen nicht buchstabieren kann, nicht auffällt, ist kein Wunder“, fuhr Sugam fort, als sei nichts gewesen. Die kalte, harte Lichtfarbe seiner Barriere bestrahlte nun auch sein Gesicht; die bleiche Haut wirkte, als sei der Magier unter der Robe nur eine Figur aus Glas. „Könnte es dieser hier sein?“ Endlich hatte er sich für einen Gegenstand entschieden, zeigte Link den magischen Schlüssel, ließ ihn aber sogleich wieder sinken. „Nein … Ich muss viel simpler denken“, rief er sich selbst zur Ordnung. „Der König hat sich einen Spaß daraus gemacht, große Gedanken in kleinen Dingen zu verstecken. Vielleicht hat er das Triforce eingeschlossen mit einem alten, rostigen Schlüssel?“ Wieder reichte er den benannten Gegenstand Link zur Betrachtung.
Als der Held wieder keine Antwort gab, legte Sugam den Schlüssel zurück und seufzte theatralisch entnervt. „Mir scheint, du verstehst noch nicht, in welcher Situation du dich befindest. Entweder sagst du mir, wie die letzte Statue zu öffnen ist, oder ich …“ Er unterbrach sich und grinste hämisch, seine blassgrauen Augen leuchteten elektrisch auf. „Nun, ich kann dir wohl kaum mit dem Tode drohen. Und das brauche ich auch gar nicht.“ Mit einer geradezu lässigen Geste ließ er erneut einen Blitz auf Link herniederfahren. Diesmal verschaffte der Held ihm nicht die Genugtuung, einen Schmerzenslaut von sich zu geben. Als er wieder Herr seines Körpers war, versuchte er sogleich weiter, die Hände durch die Eisenringe zu ziehen.
Sugam beobachtete ihn für einen Moment dabei und wollte schließlich ohne echte Neugier wissen: „Warum wehrst du dich noch? Du kannst nicht entkommen.“
Natürlich wusste Link selbst, wie aussichtslos seine Lage war. Selbst wenn er die Hände freibekam, wäre er noch immer an den Füßen angekettet. Vermutlich würde er die Stiefel aufopfern müssen, um sie durch die Schellen zu ziehen, wenn das überhaupt möglich war. Dabei bliebe dem Geru mehr als genug Zeit, ihn wieder festzusetzen und die Hände erneut zu fesseln. Und auch wenn das nicht geschah, auch wenn Link von der Streckbank loskam und die Blitzbarriere irgendwie überwand, war der ganze dahinterliegende Raum vor Monstern undurchdringlich. Sein Schwert mochte unter dem Tisch liegen oder auch nicht – gegen so viele Gegner würde es sein Überleben ohnehin nur für wenige Augenblicke sichern. Noch dazu konnte Sugam ihn jederzeit ausschalten, was dem Magier nicht mehr Mühe kosten würde, als den Stab ein wenig herumzudrehen.
Aber Link konnte nicht stillhalten. Absolute Reglosigkeit war für ihn gleichbedeutend mit dem Tod.
Die Hand abschätzend über dem Tisch schweben lassend, kam Sugam wieder auf ein ganz anderes Thema zurück: „Damals habe ich das Triforce des Mutes bedauerlicherweise nicht für meinen Herrn bekommen. Er selbst musste sich später das Triforce der Kraft holen. Das hat ihn bereits sehr mächtig gemacht, aber es reichte noch nicht für die Zerstörung Hyrules aus. Deswegen war sie auch ein so elend langwieriger Prozess.“ Seine suchende Hand blieb über den Rubinen und dem Kristall hängen. Angespannt hielt Link die Luft an, keuchte aber alsbald weiter, aus Angst, Sugam könne seine Reaktion bemerkt haben. Doch der schien keine Notiz davon zu nehmen und rief in Rage: „Ein halbes Jahrhundert! So lange hat es gedauert, bis er die Chance erhielt, wieder an die Macht eines wahren Dämonenkönigs zu gelangen. Warum ihm das vor vier Jahren nicht gelungen ist, weißt du am besten.“
Die Blicke von Held und Magier kreuzten sich. Link sah in seinem einstigen Weggefährten nur noch ein Monster, dass zufällig Menschengestalt angenommen hatte. Stumm schwor er, wenn er freikam, es sofort zu töten, wie es eine solche Kreatur von Natur aus verdiente.
Ohne die Augen von dem Hylianer abzuwenden, griff Sugam in den Edelsteinhaufen. Wieder stockte Link vor Schreck kurz der Atem; er ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken, als er merkte, dass die faltigen Greisenfinger nur einen Rubin ausgewählt hatten. Nachdenklich beäugte Sugam den indigoblauen Stein. „Ich habe nie verstanden, wie diese Dinger in Hyrule zur Währung werden konnten. Die sehen alle gleich aus!“ Er schloss die Faust um den Rubin, feinste Blitze zogen sich darüber, und der Stein zerbröselte. Link erzitterte vor Furcht, Sugam könne auch den restlichen Rubinehaufen zerstören, doch zumindest vorerst tat er das nicht.
„Ich war es, der deine Prinzessin entführt und zu Ganon gebracht hat“, eröffnete Sugam, was zum Grund für Links erste große Queste geworden war. „Er wollte von ihr erfahren, wo sie das Triforce der Weisheit versteckt hat, damit er durch es seine Macht vergrößern konnte. Dass die Kleine dumm genug war, es zu zerbrechen, hätten weder er noch ich gedacht. Ich riet meinem Herrn daher, sich stattdessen ihr Heiliges Licht einzuverleiben. Doch er kam nicht rechtzeitig an es heran, bevor du auf der Bildfläche erschienen bist. Ich bin nicht stolz darauf, wie lange ich gebraucht habe herauszufinden, woran das lag.“
Nun nahm Sugam das Silberkreuz vom Tisch, und Links Bestreben, sich von den Ketten zu befreien, wurde aggressiver. Dieser Verräter am Monotheismus hatte nicht das Recht, das heilige Symbol auch nur zu berühren!
„Das hast du in Kasuto und im Todestal benutzt, um die Moas sichtbar zu machen“, resümierte der Alte. „Ob das auch auf den unsichtbaren Großen Palast und das Triforce-Fragment funktioniert? Das sähe Akira ähnlich: Den Schlüssel zur Macht der Götter als Reliquie an ein Hirngespinst abergläubischer Kleingeister zu tarnen.“
Für diese Beleidigung hätte Link ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Erfolglos warf er sich in die klirrenden Ketten und knurrte wütend.
Sugam betrachtete ihn von oben herab und referierte altklug: „Der Glaube an höhere Wesen, egal welcher Art oder Zahl, ist eine der wenigen Eigenschaften der Menschen, die sie von niederen Tieren abgrenzen. Aber wenn ich mir dein animalisches Aufbegehren so ansehe, zweifle ich doch stark an diesem Grundsatz. Du findest, deinen Gott als Hirngespinst zu bezeichnen sei Blasphemie, weil du glaubst, er sei real. Vielleicht freut es dich ja, das zu hören: Er war es tatsächlich, wenn auch nicht als Gott.“ Seine Stimme nahm den belehrenden, predigenden Tonfall an, den Link auf dem Weg zum Tal kennen und schätzen gelernt hatte, dem er jetzt aber nur noch mit Abscheu zuhörte. „Die Folter war unter den alten hylianischen Göttern absolut verboten. Nach Hyrule kam sie erst mit einem aus der Wüste stammenden Volk. Vor langer Zeit wanderte es in das geheiligte Land ein, das ihnen Generationen zuvor von ihrem König versprochen worden war. Der Mythos dieses sagenumwobenen Königs wurde zum Grundstein ihrer Religion. Heute denken alle Monotheisten, ihr Gott hätte keinen Namen, was daran liegt, dass die Wüstenbewohner zu große Angst hatten, ihn auszusprechen, da er in ihrer neuen Heimat verhasst war. Schließlich wurde er ganz vergessen, und das Kreuz wurde zum Symbol des namenlosen Gottes. In Hyrule vermischte es sich mit der ursprünglichen hylianischen Kultur, weswegen Dinge wie dieses hier entstanden.“ Sugam tippte auf den orangefarbenen Schmuckstein mit der silbernen, schlitzförmigen Pupille, der in das Kreuz eingelassen war. Feurig fing die Gemme das flackernde Licht der Blitzbarriere auf.
In seinem Vortrag fortfahrend, drehte der Magier das Kruzifix nun so, dass Link die ungeschmückte Rückseite sehen konnte. Mit einem Finger fuhr Sugam die Querstrebe nach. „Das Kreuz ist das Zeichen der entbehrungsreichen Wanderung durch die Wüste mit ihrem immergleich flachen, fernen Horizont.“ Nun strich er auch über den senkrechten Silberbalken. „Eine Wanderung, die sodann endete, als das Sonnenlicht Hyrules auf das Wandervolk herabschien, so sanft, wie sie es aus der lebensfeindlichen Wüste nicht kannten. Der ursprüngliche Monotheismus, den sie gegründet haben, glaubt daran, dass Schmerzen und Qualen zum menschlichen Dasein dazugehören, mehr noch als deren Linderung.“ Sugam legte das Kreuz zurück und wandte sich Link zu, der es auch weiterhin nicht bleiben ließ, sich loszureißen zu versuchen. „Dass du nun hier auf dieser Streckbank liegst, dass ein solches Gerät überhaupt in Hyrule hergestellt werden darf, verdankst du deinem grausamen Gott.“
In seiner Bewegungsunfähigkeit spuckte Link dem Magier ins Gesicht. Sugam schreckte zusammen, schickte eher unwillkürlich einen Blitz auf ihn, der mit mehr Gewalt durch den Leib des Hylianers fuhr als die vorigen. Heftige Zuckungen verbrauchten alle Energie, die durch das Rote Elixier in seine Gliedmaßen zurückgekehrt war. So weit es die Streckbank zuließ, krümmte sich Link vor Pein. Dennoch brachte er es fertig, auch diesmal kein Geräusch von sich zu geben.
Sugam wischte sich den Speichel aus dem Gesicht. „Wenn ich es recht bedenke … weiß ich gar nicht, warum ich dich überhaupt ausfrage“, meinte er und wandte sich an das Echsenmonster, das bislang unbeteiligt dabeigestanden hatte. „Er ist mehr Tier als ihr es seid, wie es scheint. Und ein Tier kann sowieso nicht reden. Kneble ihn, damit das hier nicht wieder vorkommt.“ Dabei fuchtelte er mit der befeuchteten Hand.
Der reptilienhafte Folterknecht zischte bestätigend und trat sogleich näher. In den Echsenklauen hielt er ein Stück Stoff, dessen echte Farbe durch das Blitzlicht kaum zu bestimmten war. Trotzdem erkannte Link seine Mütze sofort; noch war ihm gar nicht aufgefallen, dass er sie nicht mehr trug. Er wandte den Kopf nicht ab, als das Monster eine leere Hand ausstreckte, um ihm erneut die Kiefer aufzuzwingen. Stattdessen ließ er ihn jäh vorrucken und biss zu. Der Geru fauchte schmerzerfüllt, wollte ihm die Hand entziehen, sich gegen ihn wehren, aber wagte es nicht, sich über Sugams Befehle hinwegzusetzen. Link verstärkte seinen Biss, und die dünnen Echsenknochen brachen einer nach dem anderen.
Plötzlich schlug wieder ein Blitz in dem Helden ein, der ihn sich so stark verkrampfen ließ, dass der Mechanismus der Streckbank ächzend nachgab. Die Spulen, auf denen die Ketten aufgerollt waren, drehten sich um einige Glieder. Links Muskeln fühlten sich an, als müssten sie von der eigenen Anspannung zerreißen, und diesmal konnte er einen langgezogenen Schmerzensschrei nicht unterdrücken. Gedämpft wurde der Laut von der Echsenhand, in die er seine Zähne geschlagen hatte – bis das Monster, dem der Stromschlag ebenfalls arg zusetzte, in einer Staubwolke aufging. Link hustete und spuckte gegen die Trockenheit in seinem Mund, bis er vor Erschöpfung am ganzen Körper zitterte.
Gerade richtete sich Sugam wieder auf, hatte die Mütze aufgehoben, die das Echsenmonster im Sterben fallengelassen hatte. Der Anblick setzte in Link eine heiß glühende Sonne bestialischer Energie frei. Er bäumte sich auf, versuchte, Sugam zu packen, aber dafür reichte seine nur geringfügig erweiterte Bewegungsfreiheit nicht aus, und ohne Elektroschock brachte er die physische Stärke nicht auf, seine Ketten noch mehr zu lockern. Vor Frust knurrte und schrie Link wie eine tollwütige Katze, wollte nichts anderes, als Sugam das Genick zu brechen und die Eingeweide aus dem Leib zu reißen.
„Interessant“, meinte Sugam ungerührt und weidete sich an Links Hilflosigkeit. „Irgendwie erinnerst du mich an dieses Schwert. Wahrscheinlich, weil du meinen Bemühungen, dich zu brechen, ähnlichen Widerstand leistest.“ Mit spöttischem Bedauern hob der Alte die Schultern. „Aber auch dir wird das nichts bringen.“ Achtlos warf er die Mütze zu Links sonstigen Habseligkeiten. Der Grüngewandete richtete all seine Bemühungen, freizukommen, nun allein auf den Tisch. „Du willst mir wohl wirklich nicht verraten, wie du an das Triforce des Mutes herangekommen wärst“, stellte Sugam fest. „Schade eigentlich. Aber es ist auch egal, nun, da ich dich habe.“ Er schwang den Eichenstab, ein Blitz sprang davon auf den Tisch über.
Augenblicklich entzündeten sich die Bomben, und das Möbelstück ging in einer feurigen Explosion auf. Reflexartig riss Link den Kopf herum, als Holz- und Rubinsplitter auf einer Druckwelle über ihn hinwegflogen. Er spürte, wie die Hitze ihm die Wange versengte und seine Tunika an einer Stelle zu schwelen begann. Der durchdringende Gestank verbrannten Haars stieg ihm in die Nase.
Kraftlos erschlaffte Link, der Energiestern in seinem Inneren erlosch augenblicklich. Seine Sicht wurde verwässert von Tränen, die nicht vom Staub hervorgerufen wurden.
Durch die Explosion gestürzt, stand Sugam auf, klopfte sich die Robe sauber und rief zornig: „Ich konnte hylianische Magie noch nie leiden! Sie hat einfach keine Kontinuität!“ Mit einer Handgeste öffnete er eine Lücke in den Blitzen der Barriere und winkte einen der ruhigeren Fokka herbei. „Wir sind hier fertig. Mach ihn bereit“, wies der Magier an und packte den Falkenkrieger am Schnabel wie ein unartiges Kind am Ohr. „Und wehe, du tust ihm etwas an!“, schärfte er dem Monster bedrohlich ein.
An derselben Kurbel wie zuvor drehend, spannte der Fokka Links Ketten wieder an. Über einen weiteren Hebel kippte sich die Auflage der Streckbank nach hinten, brachte den Gefangenen mehr und mehr in die Diagonale.
Währenddessen schritt Sugam ans Kopfende des Foltergeräts. „Mit dem Heiligen Licht, das allen innewohnt, die den Schutz der Götter genießen“, begann er und lachte kurz und spöttisch, „und dem Triforce der Kraft hätte Ganon dieses Land sofort in völliges Chaos stürzen können. Das war ihm nicht möglich, denn die jetzige Prinzessin Zelda trägt dieses Licht überhaupt nicht in sich. Es ist noch gebunden in ihrer Großtante. Allein ihre Seele ist weitergezogen, als sie durch meinen Todesfluch eingeschlafen ist.“
In seiner Schräglage konnte Link nun den Boden vor der Steintür sehen. Verzweifelt suchte er mit den Augen nach dem einen Gegenstand, der ihm alles bedeutete, und sah nichts als flammende Klumpen, die genauso verbrennendes Holz wie Stoff sein konnten.
Der Fokka nahm seinem Meister den Eichenstab ab und überreichte ihm zwei Messingschalen und einen Dolch. Sugam ging hinter Link in die Hocke und sprach weiter: „Die letzten vier Jahre habe ich damit zugebracht, die wahre Prinzessin zu finden. Aber als ich dich vor der Bibliothek mit dem Mal des Auserwählten gesehen habe, erkannte ich eine Möglichkeit, wie du meinen Herrn zu seiner vollen Macht verhelfen könntest. Sogar zwei, um genau zu sein. Beide wären natürlich äußerst verlockend. Ohne das Triforce des Mutes wird es eben nur eine sein.“ Geschäftig stellte Sugam die Schalen genau unter Link ab, was dieser kaum registrierte. Der Magier packte ihn am Arm und drehte die Handfläche nach oben, verkündete triumphierend: „Noch mächtiger als das göttliche Licht der Hylianischen Königslinie kann Ganon nur die Lebenskraft desjenigen machen, der ihn vernichtet hat!“
Der Dolch fuhr knapp neben den Eisenringen über Links innere Handgelenke, erst am einen, dann am anderen Arm. Der scharfe Schmerz war nur eine ferne Empfindung, die der Hylianer in seinem anhaltenden Entsetzen kaum wahrnahm. Seine Sicht verschwamm, und das lag nicht allein an den Tränen, die fest in seinen Augen hingen.
„Vielleicht willst du noch wissen, wie dieser Wüstenkönig hieß, den du und Tausend andere zum Gott gemacht haben.“ Mit bösartiger Zufriedenheit beobachtete Sugam, wie erste Blutstropfen über Links Handflächen und Finger rannen und blechern in den Messingschalen aufschlugen. Er beugte sich vor, bis sein Gesicht genau über dem Hylianer-Ohr hing, und raunte: „Sein Name lautet Ganon.“
Das Blut machte Links Hände allmählich schlüpfrig. Auch wenn es ihm vermutlich gelungen wäre, versuchte er nicht mehr, sie aus den Schellen zu ziehen. Er blinzelte, und Tränen liefen ihm aus den Augen die Schläfen hinab, aber davon konnte er auch nicht mehr deutlicher sehen.
„Sieh an, der Große Held von Hyrule weint!“, spottete Sugam und lachte schadenfreudig. „Hat dir zu sagen, dass du dein ganzes Leben lang zu deinem Erzfeind gebetet hast, etwa schon ausgereicht, dich zu brechen? Wie einfach hätte ich es mir machen können, hätte ich das früher gewusst!“
Link kniff die Augen zu. Er konnte seine Mütze nirgends entdecken!
In seinem Hohn erkannte Sugam auch weiterhin nicht, was den Helden tatsächlich seiner Wehrhaftigkeit beraubt hatte. „Wie tragisch für dich, so kurz vor deinem Tod zu erfahren, dass da kein Gott im Jenseits ist, der deine Seele in Empfang nehmen wird. Aber ein Trost bleibt dir.“ Da der Blutstrom versiegt war, hob er die gefüllten Messingschalen auf. Er goss den Inhalt der einen in die andere, in der noch ausreichend Platz vorhanden war. „Du wirst die schlafende Prinzessin nicht wecken. Daher wirst auch nicht du derjenige sein, der die andere tötet.“
Als Link die Lider träge wieder hob, hatte sein Sichtfeld begonnen, vom Rand her schwarz zu werden. Sugam schritt mit Blutschale und Eichenstab zu der Steintür hinüber. Des Hylianers erblindende Augen folgten ihm und fielen dabei auf die verbrennende Holzfigur.
Auf magischen Stabwink des Alten löste sich die Barriere um die Streckbank auf. „Tut mit ihm, was immer ihr wollt“, erteilte Sugam den Monstern die von ihnen langersehnte Erlaubnis. Er trat an die Steinplatte mit dem Triforce-Symbol heran. Funken hüllten ihn ein, als er sich in das dahinterliegende Verlies der Statue teleportierte.
Das Feuer, das die Holzfigur verzehrte, färbte sich grün. Sodann flutete der dickflüssige Sumpfschlamm wieder Links Geist, verschlang seine ganze Sehkraft. Er hörte noch, wie sich ihm mehrere Dutzend Schritte näherten. Dann glitt er in das ewige Nichts hinüber.Und nochmal:
Dieses Kapitel ist mit ein Grund, warum ich diese FanFic auf FanFiktion.de als P16 eingestuft habe.
Vielleicht übertreibe ich es ja wirklich. Aber man soll mir nicht nachsagen können, ich hätte nicht ausreichend vorgewarnt D:______________________________________________
Dieses Kapitel war für mich als Autorin eine persönliche Herausforderung. Mit den knapp drei Gesprächsthemen, die Sugam parallel führt, seine und Links Handlungen und das Drumherum mit den Monstern ist es so vielschichtig, dass es nicht leicht war, da einen gewissen roten Faden zu finden. Aber als ich einmal drin war im Schreiben, hab ich wortwörtlich die halbe Nacht durchgetippt o0- Sugam ist hier ein so richtig klischeehafter Filmbösewicht: Labert den Helden endlos zu, bevor er ihn endlich killt, gibt alle seine Pläne preis und verhöhnt ihn. Als Autorin muss ich sagen, dass so etwas manchmal nötig ist, um den Leser davon in Kenntnis zu setzen, was während der Hauptstory im Hintergrund geschehen ist, ohne auf Flashbacks zurückzugreifen. Außerdem gefällt mir einfach der Turn vom verschrobenen Priester zum gehässigen Fiesling eig ganz gut :3
- „Indem du irgendein bestimmtes Lied spielst? Hylianische Magie funktionierte früher oft so.“ – Anspielung an so ziemlich alle Okarina-Lieder.
- „Ich habe nie verstanden, wie diese Dinger in Hyrule zur Währung werden konnten. Die sehen alle gleich aus!“ – Das soll andeuten, dass Sugam farbenblind ist. Weswegen ihm die Veränderung in allen Palästen (das Grauwerden des Mauerwerks) auch nie aufgefallen ist.
- Das Wüstenvolk, das hier erwähnt wird, sind die Gerudo. Ihre Wanderung ins gelobte Land ist in Hinblick darauf, dass der Monotheismus in meiner Story dem Christentum entlehnt ist, kein Zufall – die Geschichte des Exodus passt aber auch so wunderbar zu den Gerudo und zu Ganondorfs Beweggründen, Hyrule zu erobern, die in Wind Waker offenbart werden.
- „Sie [hylianische Magie] hat einfach keine Kontinuität!“ – Mein Statement dazu, dass das Magie-System, falls vorhanden, in fast jedem Zelda-Spiel anders funktioniert.
- Im Spielguide zu TAoL heißt es, die Monster versuchten, an Link heranzukommen, um mithilfe seines Blutes Ganon wieder zum Leben zu erwecken. Darin gibt es natürlich keine Verschwörung eines hochrangigen Magus oder gar des Knackers, der Link den Donnerzauber beibringt. Und der Zauberer, der die ältere Prinzessin hat einschlafen lassen, hat außer dieser auch keine andere Bedeutung. Ich erfinde einfach liebend gern Verbindungen x3Zum Abschluss noch ein Witz, den sich meine Schwester ausgedacht hat (behauptet sie zumindest) und den ich ein bisschen populärer machen möchte, weil ich ihn einfach genial finde. Außerdem passt er gut zu Links Verhalten in diesem Kapitel:
Was ist süß und lässt sich nichts gefallen?Ein Wehrschweinchen.
xDDD
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Fünfter Abschnitt: In den Schatten
„Du hast zwar die Moblins entdeckt, aber du kannst nicht mit uns kommen, sie zu vertreiben. Bleib hier im Dorf bei den Frauen und den anderen Kindern.“
– SchwertmeisterLink kämpfte gegen den letzten Wächter des Großen Palasts.
Nachdem er die Fallen des Labyrinthes überwunden, seine Rätsel gelöst und sich allen Monstern und König Akiras Geschöpfen gestellt hatte, bot er nun dem Endgegner die Stirn. Das Wesen war ein Vogel von der dreifachen Größe eines Menschen und einer Flügelspannweite, die ihn in seinen Bewegungen in dem von Säulen getragenen Saal stark einschränkte. Sein Federkleid lumineszierte in schwindelerregend schnell wechselnden Rot- und Blautönen. Das Kopfgefieder stand wie spitze Nadeln ab und verhüllte sein Gesicht, sodass Link es nicht erkennen konnte; der Vogel selbst schien davon nicht beeinträchtigt zu sein.
Stetig knapp unter der hohen Saaldecke, flog der Wächter außerhalb der Reichweite des bodengebundenen, nichtsdestotrotz lächelnden Schwertkämpfers. Link hatte es bereits mit Pfeilen und Bomben versucht, aber die vor statischer Ladung knisternde Luft lenkte erstere ab und ließ letztere frühzeitig explodieren, bevor der Held sie hoch oder weit genug werfen konnte.
Knirschend fuhren die Greifvogelkrallen über den ockergelben Stein, als sie mit mäßigem Erfolg an einer der Säulen nach Halt suchten. Mit den blaurot schillernden Flügeln schlagend, ließ das Gewitterwesen geballte Blitzkugeln auf den Helden herabregnen. Den meisten von ihnen vermochte Link auszuweichen; als eine direkt auf ihn zuschoss und es keine Möglichkeit gab, ihr zu entkommen, hob er den Schild gegen sie – ein fataler Fehler. Die Elektrizität überwand den Schild, ging dem Hylianer durch Mark und Bein und lähmte seine Muskeln starr. Der Donnervogel sah seine Chance gekommen, sauste im Sturzflug auf den bewegungsunfähigen Helden herab. Die scharfen Krallen bohrten sich in seine Schultern, und wie ein Beutetier wurde er in die Luft erhoben, um ihn von weiter oben auf den Boden zu schmettern.
Der Schmerz brachte Link die Kontrolle über seinen Körper wieder. Den Schwertarm so weit wie möglich verrenkend, stach er dem Wächter in einen ungefiederten Vogelfuß. Die schillernde Kreatur pfiff entsetzt und ließ ihn fallen, glücklicherweise aus noch ungefährlicher Höhe. Während sich sein Gegner zur nächsten Säule begab, um ihn erneut aus der Entfernung anzugreifen, belegte Link seinen Schild mit einem verstärkenden Zauber. Die rote Aura, die sich auf ihm bildete, konnte nun auch die Energiegeschosse abwehren. Mit seinem Heilzauber behandelte der Verwundete seine Schultern.
Als der Blitzhagel versiegte, zapfte Link seine inneren Magievorräte noch weiter an. Mithilfe des Zaubers, der ihm die doppelte Sprungkraft verlieh, gelangte er hinauf zu seinem Gegner. Der flog von seiner Position fort, bevor der Held ihn erreichen konnte. Link setzte zur Verfolgung an, indem er sich von der verlassenen Säule abdrückte, hob dabei das Schwert, um es dem sich entfernenden Vogel in den Rücken zu spießen. Die Spitze sprang an den stahlharten Federn ab, ein Stromschlag jagte durch die Waffe und entriss sie dem Krieger. Der Gefiederte warf Link von seinem Rücken, und dieser drehte sich im Fallen gerade noch rechtzeitig so, dass er auf den verzauberten Füßen landete.
Wieder klammerte sich der Vogel an einer Säule fest und bombardierte ihn mit den bereits bekannten Blitzkugeln. Einige wurden wirkungslos von Links Schild reflektiert, und eine davon flog zu ihrem Schöpfer zurück. Dünne Lichtbögen umtanzten den Vogel, als er von seinem eigenen Geschoss getroffen wurde, das Leuchten seines Gefieders flimmerte aufgestört. Ein spitzes, gequältes, wenig adlerartiges Kreischen ausstoßend, fiel er von der Säule. Mit einem mächtigen Flügelschlag fing er seinen Sturz ab und baute ihn in einen weiten Kreis um den Hylianer aus.
Dieser tüftelte auf Basis seiner neuesten Beobachtungen bereits an einer passenden Taktik. Wie Feuer am besten mit Feuer zu bekämpfen war, schien der Held auch hier das Element seines Gegners gegen ihn verwenden zu müssen.
Im Todestal und dem Großen Palast hatte Link den Donnerzauber zwar nur im Notfall, aber häufig genug gewirkt, um Übung in seiner Nutzung zu erlangen. Mittlerweile beherrschte er ihn daher so gut, dass er ihn fast sofort aufladen konnte, und das auch noch einhändig. Die unter Spannung stehende Luft entriss ihm praktisch die Magie, die in Form zischender Blitze durch den ganzen Saal krachte. Vermehrt sammelten sie sich um den Vogel, der daraufhin wie ein gleißender, kreischender Ball aus Elektrizität zu Boden ging. In einer Schockwelle verging das Licht und enthüllte, dass das farbenfrohe Schillern seiner Stahlfedern kaltem Eisengrau gewichen war. Zittrig richtete sich das Wesen auf. Die haarfeinen Federn an seinem Kopf waren ohne statische Ladung erschlafft, und Link sah zum ersten Mal das von ihnen unbedeckte Gesicht.
Auch wenn es grotesk in die Länge gezogen war, erkannte er darin doch noch überraschend menschliche, geschlechtslose Züge. Der Wächtervogel hatte keinen Schnabel, und der breite Mund mutete nur entfernt wie der eines Menschen an. Die Lippen waren aus bleichem Horn mit scharfen, gezackten Kanten, die die Zähne ersetzten. Die blicklosen Augen waren große, runde, durchweg schwarze Murmeln.
So abartig dieses Gesicht auch war, die Qual, die es verzerrte, weckte in Link trotz des erbitterten Kampfes sofortiges Mitgefühl. Es schien, als hätten Mensch und Vogel bei der Verschmelzung das Wichtigste verloren, das ihre Art ausmachte: Der eine seine positiven Emotionen, der andere seine naturgegebene Leichtigkeit. Was blieb, war das Leid eines seiner Freiheit beraubten Tieres, das den Zorn des Menschen unerschöpflich nährte. Link konnte – und wollte – nicht glauben, dass ein Hylianischer König so unehrenhaft, so herzlos sein konnte, eine derart gepeinigte Kreatur überhaupt zu erschaffen und sie dann auch noch in ein Verlies tief unter der Erde zu sperren.
Stumm zu Gott betend, die gequälten Seelen im Tod voneinander zu trennen, sodass sie in Frieden ins Jenseits übergehen konnten, hob Link das verlorene Schwert auf und trat an den Wächter heran. Mit einem Streich senkrecht über das Gesicht des Vogelmenschen schwächte er dessen Schädel, und ein im Rechten Winkel dazu verlaufender Schnitt machte ein Kreuz daraus. Schließlich trieb der Held die Schwertspitze mitten in das Gottessymbol und bereitete dem erbarmungswürdigen Wesen das lang ersehnte Ende.
Im Sterben zuckte es spasmisch, als stünde es unter Strom. Die metallenen Federn verursachten Geräusche, als würden hunderte Messer gleichzeitig gewetzt. Innerhalb eines Augenblicks verrosteten sie alle, und ihr Träger verharrte reglos. Aus dem tödlichen Kreuz sprang ein einzelner Funken und löste somit die statische Spannung, die den Leichnam noch in Form gehalten hatte. Ein Geräusch wie ein Seufzen erklang, als der Vogelmensch rauschend zu rotbraunem Staub zerfiel.
Irritiert beobachtete Link das Schauspiel. Auf diese Art starben sonst doch nur Monster. Die großen Wächter am Ende der anderen Paläste aber waren immer Geschöpfe hylianischer Magie gewesen, die sich in reine Luft auflöste, wenn sie verbraucht war. Um das Triforce des Mutes wirklich effektiv davor zu bewahren, in die falschen Hände zu geraten, war König Akira scheinbar sogar so weit gegangen, dass er ein Wesen des Bösen zu seinem Diener gemacht hatte.
Angewidert trat Link in den Roststaub. Er hatte Mitleid mit einem Monster gehabt!
Im hinteren Bereich des Saales führte eine Tür tiefer in den Palast hinein – allerdings war sie nicht von der Machart, die er nach seinen Erfahrungen erwartet hätte: Nach jedem Endgegner hatte sich wie von Zauberhand eine Steinplatte in den Wänden knirschend nach oben bewegt und den Auserwählten die Kammer mit der Statue betreten lassen. Der Durchgang hier wurde jedoch nur von einer ganz gewöhnlichen, massiven Holztür versperrt, wie sie Link vom übrigen Großen Palast schon kannte. In diesem letzten Labyrinth hatte er keinen einzigen Schlüssel für die Türen gefunden, weswegen er wohl schon kurz nach Betreten hätte aufgeben müssen. Glücklicherweise war er seit Neu-Kasuto im Besitz eines magischen Schlüssels, der in jedes Schloss zu passen schien. Auch in das, das der Held nun vor sich hatte, glitt er, als sei er speziell dafür gefertigt; Link drehte ihn herum und öffnete die Tür.
Der Anblick, der sich ihm bot, war merkwürdig und enttäuschend zugleich. Verwundert trat Link ein und blickte sich wachsam um. Die Fackeln, die entlang der Wände angebracht waren, brannten mit magentafarbenen Flammen. Anstatt unkontrolliert zu flackern, wie es Feuer nunmal tat, bildeten sie beinahe reglose, spitz zulaufende Lichtkegel. Ihr greller, magisch getönter Schein überdeckte sogar das Bernsteingelb des Großen Palasts. Die Kammer war leer, keine Statue befand sich darin.
Als sich Links Augen an die stechende Lichtfarbe gewöhnt hatten, erblickte er am anderen Ende des Raumes eine verräterische Stelle in der Wand: Ein Teil davon, nicht ganz so hoch wie die Decke und so breit wie die Spanne zwischen zwei weit ausgebreiteten Händen, war tiefer ins Mauerwerk eingelassen. Das Triforce-Symbol war darin eingemeißelt.
Bei diesem Anblick regte sich neue Hoffnung in Link. Diese Steinplatten waren es, die bisher stets in die Verliese mit den Statuen geführt hatten. Das Exemplar hier unterschied sich von den anderen in den drei Dreiecken, die es zierten. Das konnte nur bedeuten, dass dahinter das Triforce des Mutes lag!
Der Held lief los, durchmaß aufgeregt den leeren Raum. Darüber nachzugrübeln, wie er die schwere Steinplatte hochschieben sollte, die sich nach dem Tod des Palastwächters eigentlich von allein hätte öffnen müssen, kam er nicht. Als er unmittelbar an sie herantrat, fiel ihm der Schatten auf, den er vor sich gegen die Wand warf. Bei der Zahl an Lichtquellen, die ihn umgab, hätten es eigentlich mehrere, schwache Schatten sein müssen; doch es war nur ein einzelner pechschwarzer, dessen Konturen so scharf waren, als sei er von einem übernatürlichen Bastler aus der Nacht geschnitten worden. Link tat einen Schritt zurück – sein Schatten regte sich nicht.
Irritiert wich der Grüngewandete noch weiter zurück, und auch wenn sich der schwarze Scherenschnitt nun bewegte, imitierte er nicht seinen Herrn. Ein unheimliches Eigenleben bemächtigte sich seiner. Zuerst schien es, als erhielte der Mauerstein ein dreidimensionales Profil; tatsächlich aber war es der Schatten, der räumliche Tiefe erlangend aus der Wand trat und davor stehen blieb. Die Erscheinung schimmerte leicht durchsichtig, doch Statur und Aussehen waren klar zu erkennen: Links Gegenüber war ganz und gar er selbst, mit dem Unterschied, dass alles an diesem – Kleidung, Ausrüstung, sogar Haut und Haar – in rauchiges Schwarzgrau gehüllt war, als blicke er in einen dunklen Spiegel. Allein die Augen waren dieselben.
Misstrauisch beobachtete Link seinen finsteren Doppelgänger, wartete darauf, dass der irgendetwas tat. Doch er stand nur weiter reglos vor ihm. Der ungeduldige Held machte Anstalten, an seinem Schatten vorbei zu der Steinplatte weiterzugehen; dieser stellte sich ihm daraufhin sofort wieder in den Weg. Ohne ein Geräusch zu verursachen, zog der dunkle Krieger Schwert und Schild, beides vom selben durchscheinenden Schwarz. Er führte die Klinge, die er ganz nach Art eines Spiegelbilds gegenüber des Originals in der rechten Hand hielt, kurz vors eigene Gesicht, schwang sie dann in einem raschen Bogen herab.
Der alte Fechtgruß des Hylianischen Ritterordens. Das war unmissverständlich eine Herausforderung zum Kampf!
Auch wenn sich Link wunderte, wappnete er sich seinerseits zum Duell. In den anderen Palästen hatte es immer nur einen Endgegner vor der Statue gegeben, daher hatte er angenommen, dass es auch im Großen Palast so sein würde. Jetzt war er kurz vor dem Ziel und konnte es kaum erwarten, seine Aufgabe zu erfüllen, aber dieser finalen Prüfung musste er sich wohl noch stellen. Wie vor jedem Kampf begann der Krieger zu lächeln – die eiserne Miene seines Gegenübers nahm dies nicht auf.
Einträchtig schritten die Krieger in Grün und Schwarz in die Mitte des Raumes, als seien sie tatsächlich zwei Ritter, die sich zu einem Freundschaftsgefecht bereitmachten. Auf Abstand bezogen die beiden Stellung und wiederholten die Schwertgeste. Als derjenige, der herausgefordert worden war, durfte Link der Tradition nach den Anfang machen. Mit einem Ausfallschritt leitete er seinen Angriff ein, holte zu einem einfachen Rückhandhieb aus, um die Reaktion seines Gegners zu testen. Fast sah Link die Bewegung nicht, so blitzschnell wurde sein Schlag pariert. Die Klingen trafen lautlos aufeinander. Sofort riss Link seine Waffe zurück, stach ruckartig zu – aber der dunkle Krieger hob den Schild, an dem die Schwertspitze wirkungslos abprallte, wieder ohne einen Ton. Der Grüngewandete führte einen Streich von oben, und diesmal wich der andere geschickt aus.
Das Duell war ernüchternd. Links Schatten hatte durch sein gesittet ritterliches Verhalten zunächst eindrucksvoller gewirkt, als er sich nun im Kampf erwies. Wie um wettzumachen, dass es ihn als Endgegner eines Palasts eigentlich gar nicht geben durfte, war er als solcher nicht besonders gefährlich. Selbst griff er gar nicht an, sondern parierte und schützte sich lediglich gegen die Hiebe, die der echte Held gegen ihn austeilte. Nur ihre Reflexe, die dieselben wie die des Originals waren, machten die dunkle Kopie zu einem unbezwingbaren Gegner.
Diese Verteidigung war undurchdringlich – Link selbst wusste das am besten, immerhin hatte er sie innerhalb vieler Jahre ausgebaut und stetig verbessert. Allerdings kannte er daher auch die Schwachstellen genau, die ihm in den meisten Kämpfen nicht zum Nachteil gereichten, da seine Gegner für gewöhnlich nicht darauf stießen, bevor er sie besiegte. Das, was seine Defensive perfekt machte, konnte auch zu ihrem Niedergang werden. Er wusste selbst, dass er sich zu sehr auf seinen Schild verließ, wenn er ihn ausgerüstet hatte. Seit er einen besaß, kämpfte Link nicht leichtfertiger als zuvor, und ohne konnte er sich noch immer ausreichend verteidigen. Wurde ihm der Schild unerwartet genommen, während er ihn noch benutzte, blieb zumindest ein kleines Zeitfenster, innerhalb dessen, nutzte man es richtig aus, er garantiert verwundet werden konnte.
Link drängte näher an seinen Gegner heran, drückte seinen von Magie rot irisierenden Schild gegen den schattenhaft schwarzen. Dessen Besitzer bot den erwünschten Widerstand, sodass sich die Kontrahenten nun fest gegeneinander stemmten. Von oben täuschte Link einen Schlag an; sein Schatten trat instinktiv einen Schritt zurück und riss den Schild hoch, eine Bewegung, die der Grüngewandete mit seinem eigenen unterstützte. Derart gebunden, gelangte der schwarze Schild nicht mehr rechtzeitig hinab, als Link darunter durch in den Oberschenkel seines Gegners stach.
Mit einem Ruck befreite der Held sein Schwert und sprang zurück, beobachtete, was er ausgelöst hatte. Die Wunde, die er seinem Schatten beigebracht hatte, war nicht sofort tödlich. Da der Verletzte damit nicht mehr fest auftreten konnte, war sie für diesen in der Regel eine Behinderung oder bedeutete sogar sofortige Kampfunfähigkeit.
Oder zumindest galt dies für einen Menschen aus Fleisch und Blut.
Wie unter Schmerzen krümmte sich der lebendig gewordene Schatten nach vorn, wich vor seinem vermeintlichen Bezwinger zurück – und eine unheimliche Veränderung ging mit ihm vor: Als ziehe Links dunkler Part das vom magentafarbenen Fackelschein vertriebene Zwielicht an, wurde sein Schwarz tiefer, seine geisterhafte Erscheinung stofflicher. Er sah auf, blickte seinen grüngewandeten Herren aus Augen an, die einmal die des Originals gewesen waren, doch jetzt furchterregend rot glühten – und plötzlich griff der Schatten an.
Überrascht riss Link seinen Schild hoch, stolperte rückwärts unter dem Wüten seines Gegners, dem der Stich ins Bein nichts auszumachen schien. Ohne Vorwarnung war die ritterlich-höfliche Zurückhaltung ihres Kampfes bitterem Ernst gewichen. Links Schatten war jetzt viel aggressiver, schlug ohne Pause mit demselben Geschick und der gleichen Kraft zu, über die auch der Held verfügte – oder es zumindest täte, wenn ihn nicht der Große Palast und der Vogelmensch schon vorher so ausgelaugt hätten. Selbst kam Link kaum dazu, seinerseits zum Angriff auszuholen, und nur dem Zauber auf seinem Schild, der die gröbste Wucht lautlos abfing, hatte er es zu verdanken, dass er unter den gegnerischen Hieben nicht in die Knie ging. So sehr mit der eigenen Verteidigung beschäftigt, fiel es ihm deutlich schwieriger, den Trick, mit dem er den schwarzen Krieger zuvor überlistet hatte, überhaupt auch nur zu beginnen. Noch dazu war sein rotäugiger Schatten wesentlich agiler als vorher und ließ ihn schon gar nicht mehr so nah herankommen, als habe er aus seiner Niederlage gelernt.
Als Link endlich eine Chance zum Zustechen gekommen sah, sprang sein Doppelgänger leichtfüßig auf die vorschnellende Klinge. Für einen Schatten erstaunlich schwer, riss sein Gewicht Link vor und ließ ihn straucheln. Das schwarze Schwert herumgedreht, spießte er es in die Hand des Helden, zwang ihn, die eigene Waffe loszulassen. Der Schatten sprang vor, rammte dem Original den Schwertknauf von schräg unten gegen das Kinn. Link schlug schwer auf dem Rücken auf, und ehe er reagieren konnte, stieß ihm der finstere Krieger die Klinge in den Oberkörper.Der Schatten zog das Schwert aus der Brust seines gefallenen Gegners und ging auf Abstand. Mit der Gewissheit, tödlich getroffen zu sein, schnappte Link erschrocken nach Luft und presste unwillkürlich die leere Linke auf die Wunde. Entgegen seiner Befürchtung ertastete er jedoch keine blutige Nässe, sondern nichts weiter als den Leinenstoff seiner unversehrten Tunika. Obwohl sich sein Brustkorb anfühlte, als laste auf ihm ein tonnenschweres Gewicht, schaffte es Link, sich aufzurichten. Überrascht erkannte er, dass seine grüne Kleidung wirklich nicht von Blut verfärbt wurde, und eine Wunde schien nicht darunter zu liegen. Auch seine Schwerthand, die sich anfühlte, als sei sie mit einem festen Hanfseil gefesselt, hatte keine Stichverletzung. Zitternd löste er die Bandagen, die sich während der vergangenen Kämpfe ohnehin schon gelockert hatten, doch der Druck wollte nicht weichen. Wo die Schattenklinge in seine Hand gefahren war, zerteilte nichts weiter als ein schwarzer, wie mit Kohle gezeichneter Strich das Dreiecksmal.
König Akira hatte Link auserwählt, das Triforce des Mutes zu finden. Diesen letzten Wächter hatte er hier positioniert, um den Helden zu prüfen, nicht kurz vor seinem Ziel zu töten.
Der Schatten ließ ihm gerade so viel Zeit, dass er das feststellen konnte, und attackierte ihn sogleich erneut. Schnell sprang der gestürzte Krieger wieder auf, tanzte um seinen Gegner herum und beschaffte sich sein Schwert wieder. Auch wenn er nun wusste, dass die gegnerische Klinge ihm nicht wirklich schaden konnte, vertraute er die erbarmungslos auf ihn niederprasselnden Schläge weiterhin seinem Schild an. Mochte sein, dass er keine Fleischwunde davontragen würde, doch er musste dennoch vorsichtig sein. Lange würde er der Belastung ohnehin nicht mehr standhalten können, denn ihm schwanden die Kräfte. Er musste das hier so schnell wie möglich zu Ende bringen, bevor das geschah, doch schien das ein Ding der Unmöglichkeit.
Außerdem würde es offensichtlich nicht ausreichen, wenn der unbesiegbare Held seine eigenen Schwächen einsah und sie gegen seinen Schatten ausnutzte. Er musste auch zu Methoden greifen, die er, rechtschaffen, wie er war, sonst nie zum Einsatz brachte: Einen menschlichen Gegner töten. Den Donnervogel, den er für einen grausam verwandelten Menschen gehalten hatte, hatte er nur erlösen wollen. Selbst wenn es sich auch bei seinem Schatten schwerlich um einen richtigen Menschen handelte, kam es Link nur allzu makaber vor, sein dunkles Ich zu erschlagen. Aber dieses hatte gezeigt, dass es selbst nicht so zimperlich war, also durfte er es auch nicht sein, wenn er in diesem Kampf bestehen wollte.
Doch zuerst brauchte er eine geeignete Taktik.
Allmählich drängte der schwarze Krieger den Grüngewandeten vor sich her, bis dieser in einer Ecke des Raumes gefangen war. So dicht am Gemäuer war es nur umso deutlicher, dass Link keinen Schatten mehr warf. Hinter seinem Schild ging er in die Hocke, sodass dessen Kanten beidseitig nur sehr schmale Lücken zur Wand ließen. Sein Schatten versuchte, ihn durch diese zu treffen; Link brauchte nur den Schild ein bisschen zur Seite zu bewegen, um diese Vorstöße abzuwehren. Von oben konnte der Schatten schlecht zuschlagen, da die Mauer es verhinderte. Nach einem Eingang suchend, den er für sich nutzen konnte, lief der dunkle Doppelgänger vor der Ecke auf und nieder.
So tief, wie es der Druck auf seinen Lungen zuließ, atmete Link durch. Er hatte nur einen einzigen Versuch. Zweifelsohne würde sein Schatten ihm keine weitere Gelegenheit bieten.
Unauffällig absichtlich kippte er die obere Schildkante nach vorne unten und beugte sich vor, sodass sein Kopf ungeschützt war. Sogleich hob der Schatten sein Schwert, und Link sprang im Aufstehen nach vorn. Die Nackenmuskulatur angespannt, den Schildarm auf den Kopf gestützt, fing er den Schlag ab; donnernd fuhr ihm die Wucht durch Schädel und Kiefer, ließ seine Zähne vernehmlich knirschen. Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk umging er mit dem Schwert den gegnerischen Schild und rammte es seinem Schatten mitten in das schwarze Herz.
Diesmal glitt die blanke Klinge ohne Widerstand aus dem dunklen Leib. Link stolperte in die Ecke zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand krachte. Auf jede böse Überraschung gefasst, duckte er sich wieder hinter seinen Schild, lugte über die Oberkante hervor. Sein Schatten war an Ort und Stelle stehen geblieben, hatte den Blick fast schon ungläubig auf den Spalt gerichtet, den des Helden Schwert in seiner Brust hinterlassen hatte. In abgehackten Zuckungen hob er das Gesicht zu Link. Die roten Glutaugen waren erloschen und wie sein restlicher Körper pechschwarz geworden. Weitere optische Einzelheiten lösten sich in dieser Schwärze auf, die Verletzung schloss sich. Die Erscheinung sank in sich zusammen, bis sie wieder zweidimensional vor ihrem Herrn und Bezwinger auf dem Boden lag.
Erschöpft ließ Link die angehaltene Luft entweichen und lehnte sich gegen die Mauer, sein Kampflächeln verblasste. Er wischte sich den Schweiß ab und schob Schild und Schwert auf den Rücken zurück – genau wie sein Schatten, der die Bewegungen ohne Verzögerung nachahmte. Nach Ganon war er Links bisher schwierigster Gegner gewesen. Respektvoll entbehrte er ihm den Rittergruß, indem er die linke Faust aufs Herz schlug.
Der Spuk, der den Schatten so unheimlich lebendig gemacht hatte, schwand vollständig, als auch durch das Licht im Raum eine Veränderung ging. Die kegelartigen Scheinwerfer wandelten sich zu gewöhnlichen Flammen, deren Farbe allerdings noch immer nicht natürlich war. Statt eines warmen Orangegelb nahmen sie einen Goldton an, der funkelnd über das gleichfarbige Gestein huschte. In dem magischen Licht löste sich der schwarze Streifen auf Links Hand auf, und auch der Druck auf seiner Brust verflüchtigte sich.
Einzelne Flammen lösten sich aus ihren Halterungen und irrlichterten zur Mitte der Kammer. Dort vereinten sie sich zu einer menschlichen Lichterscheinung, die ganz aus goldenem Äther zu bestehen schien. Es war derselbe Mann, der Modell für die Statuen der Paläste gestanden hatte, nur wirkte er deutlich älter als seine steinernen Abbilder. Gekleidet war er in edelste Gewänder, sein Haupt zierte eine Krone aus massiv wirkendem Gold. Neugierig stieß sich Link von der Wand ab und trat an ihn heran.
„Meinen Glückwunsch, von den Göttern Auserwählter“, sprach der strahlende Geist König Akiras.
Unwillig verzog Link das Gesicht. Zwar hatte er sich schon längst mit dem Grundsatz seiner Mission abgefunden, aber so angesprochen zu werden, behagte ihm als gläubiger Monotheist noch immer nicht.
„Du hast den Mut bewiesen, dich all meinen Prüfungen zu stellen“, fuhr der lang verstorbene Herrscher Hyrules fort, „und es sogar gemeistert, gegen dich selbst zu bestehen.“ Ein Ausdruck der Trauer verdüsterte das Gesicht aus goldenem Schimmer. „Ich wünschte, dass ich dies noch erleben und dir persönlich für deine Tapferkeit danken könnte. Doch diese Projektion habe ich erschaffen, als ich bereits auf dem Sterbebett lag.“ Er drehte sich herum und deutete auf die Wand mit den eingravierten Dreiecken. „Schreite nun voran und nimm das Triforce des Mutes in Empfang. Du hast dich seiner mehr als würdig erwiesen.“ Die Lichtgestalt flimmerte und erlosch wie eine Kerzenflamme, die Fackeln nahmen derweil die Farbe normalen Feuers an.
Während Link auf die verborgene, noch immer verschlossene Tür zuschritt, erstrahlte das Triforce-Symbol auf seinem Handrücken. Jenes auf der Wandplatte nahm das Leuchten auf, und knirschend, von Steinstaub umflort, öffnete sie sich nach oben. Vor Ungeduld vergaß Link völlig seine Erschöpfung und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. Als der unerträglich langwierige Prozess weit genug fortgeschritten war, schlüpfte er unter der Tür hindurch in die dahinterliegende Kammer.
Und da stand es endlich vor ihm: Das siebte steinerne Abbild König Akiras, nicht größer als seine Geschwister in den anderen Palästen, aber wie auch diese von derselben Farbe wie das Mauergestein – und des bernsteingelben Kristalls, der für es allein bestimmt war. Link trat an die Statue heran, die Hand bereits auf der Gürteltasche mit seiner Geldbörse, wo die Rubine dem ihnen im Aussehen ähnelnden Kristall Gesellschaft leisteten. Alle Gefahren und Prüfungen waren ausgestanden. Jetzt brauchte Link nur noch den Edelstein in die Vertiefung in der Königskrone legen wie gewohnt, die Büste würde sich öffnen, das Fragment des Mutes freigeben, und die drei Teile des Triforce wären wieder miteinander vereint. Vorher musste er den Kristall aus seiner Tasche fischen.
Aber er tat es nicht.
Da nun alle Anspannung von ihm abfiel, kam Link wieder in den Sinn, was Sugam über die beiden Prinzessinnen gesagt hatte. Was war, wenn es stimmte, dass die Seele der schlafenden Zelda in ihrer Großnichte wiedergeboren worden war? Konnte die ältere in dem Fall überhaupt im Licht des vollständigen Triforce erwachen? Wenn ja, was geschähe dann mit der jüngeren? Würde stattdessen sie in todesähnlichen Schlummer verfallen? Unmöglich wollte Link so etwas verursachen!
Auf der anderen Seite brauchte Hyrule seine einstige Magie wieder. Das Symbol auf des Helden Hand zeugte davon, dass dort ein Bewusstsein war – ob alte Götter oder irgendeine andere Macht war irrelevant –, das ihm die Verantwortung dieser Entscheidung übertragen hatte. Aber hätte es wirklich zugelassen, dass er, der Unwissende, eine Hylianische Prinzessin zum Opfer dieser Magie machte? Sie hatte das Recht dazu, ihr Leben weiter zu führen, strenggenommen genau wie ihre Ahnin, der dieses Recht gewaltsam entrissen worden war. Wer wusste schon, wie diese Götter dachten, und welche Prinzessin sie der anderen vorzogen.
Das waren Links vordergründige Überlegungen. In Wirklichkeit hielt ihn aber ein ganz anderer Gedanke davon ab, den letzten Kristall einzusetzen: Es war die Erinnerung an Zeldas Kuss. Er hatte es bei Frauen in ganz Hyrule versucht, dasselbe wie bei ihr zu empfinden – vergeblich. Sie war die Einzige, die ihm die Ruhe geben konnte, nach der er sich sehnte. Die Einzige, bei der er die Aussicht hatte, sich so weit zu entspannen, dass er wieder tiefen Schlaf fand.
Die meiste Zeit seines bewussten Lebens war Link alleine gewesen. Währenddessen hatte er immer nur ums eigene Überleben gekämpft – aber nicht um seiner selbst Willen, sondern für diejenigen, die nie gewollt hätten, dass ihm etwas zustieß. Zum ersten Mal in diesem Leben, das er nur für andere führte, verspürte er eine nur allzu menschliche Emotion: Egoismus.
Die Ungewissheit, was geschah, wenn er das Triforce des Mutes befreite, konnte er nicht tragen. Zuerst musste er mit der Prinzessin selbst und ihrer weisen Vertrauten darüber sprechen. Vielleicht irrte er sich ja, und sie bliebe vom Erwachen ihrer Großtante unberührt. Vielleicht aber auch nicht. In dem Falle musste für Hyrules Wiederauferstehung eben eine andere Möglichkeit gefunden werden, denn Zelda würde er dafür ganz gewiss nicht opfern. Die Reise zum Schloss und wieder zurück zum Großen Palast würde wieder mehrere Wochen beanspruchen, aber Link war gewillt, diese Verzögerung in Kauf zu nehmen.
Plötzlich merkte er, wie eng es in der tiefsten Palastkammer doch war, und verließ sie hastig. Kaum, dass er durch den Durchgang trat, leuchtete sein Triforce-Mal wieder auf, und die Tür verschloss sich hinter ihm. Link blieb nur die Hoffnung, dass sie sich auch wieder öffnen würde, wenn er hierher zurückkehrte.
Er hatte die Schattenkammer gerade zur Hälfte durchmessen, als ihm ein eiskalter Schauer den Rücken hinablief. Alarmiert blieb er stehen. Der warme Feuerschein wurde für kurze Zeit überstrahlt, als überall im Raum verteilt weiße, funkensprühende Lichtkugeln aus dem Nichts erschienen. Als sie erloschen, waren sie durch Eisenprinzen – von hylianischer Magie beseelte, mit Schwertern bewaffnete Ritterrüstungen – ersetzt worden. Von den mächtigen Endgegnern abgesehen waren diese untoten Krieger immer die stärksten Wächter in allen Palästen gewesen.
Hatte Link wieder eine Falle ausgelöst? Sollte er jetzt bestraft werden, weil er es gewagt hatte, seine Aufgabe kurz vor ihrer Vollendung abzubrechen?
Langsam ging er auf die Holztür zu, die, obwohl er sie offen stehen gelassen hatte, seltsamerweise geschlossen war. Dabei beobachtete er die ihn umstehenden Rüstungen. Konnte es sein, dass sie doch keine Eisenprinzen waren? Sehr zu begrüßen war es durchaus, denn Link hatte keine Kraft mehr für noch einen Kampf.
Als sich die ersten Harnische regten, wusste er sofort, dass es sich bei ihnen doch um Eisenprinzen handelte. Die ihm am nächsten stehenden bewegten sich auf ihn zu, die Schwerter schlagbereit erhoben. Während Link den Schild anlegte, rannte er auch schon los, bis ihm weitere lebendig gewordene Rüstungen den Weg versperrten. Die meisten ihrer Hiebe konnte er abwehren, doch umstellten ihn so viele, dass ein Schwert ihn traf, bevor er aus ihrem Ring ausbrechen konnte.
Die Hand auf die Stelle legend, stellte Link fest, dass auch diesmal kein Blut floss. Anders als bei der Schattenklinge spürte er keinen belastenden Druck, sondern den ganz gewöhnlichen Schmerz eines sich anbahnenden Blutergusses. Äußerst merkwürdig; noch nie war er Eisenprinzen mit stumpfen Schwertern begegnet.
Ihm blieb keine Zeit, sich weiter darüber zu wundern, denn die Rüstungen setzten ihm bereits hinterher, und weitere befanden sich noch vor ihm. Aus seinen Gürteltaschen holte er drei nicht ganz faustgroße Bomben, entzündete sie, indem er ihre Lunten gleichzeitig zog. Die zischenden Kugeln warf er eine nach der anderen in die heranrückenden Eisenprinzen und sprengte sich den Weg zur Tür frei. Er lief in die entstehende Gasse nach ihm schlagender Schwerter, die er mit dem Schild abwehrte oder denen er erfolglos auszuweichen versuchte. Dabei fuhr eine so knapp über ihm hinweg, dass sie ihm die Mütze vom Kopf riss.
Scharf bremste Link ab, wirbelte zu dem Eisenprinzen herum, der das getan hatte, und rammte die Faust in das vom Visier geschützte Gesicht, schlug sich dabei die eigenen Knöchel blutig. Der Helm segelte davon, die restliche Rüstung wurde aus dem Gleichgewicht gebracht. Brüllend warf sich der Hylianer auf sie, rang sie zu Boden. Auf dem Brustharnisch sitzend, hieb er ungeachtet seiner schmerzenden Hand mehrfach hart in die hässliche Schweinsfratze. Dreckiges Blut spritzte herum und zerstäubte, bevor es etwas benetzen konnte. Schließlich brach das Stirnbein mit feuchtem Schmatzen, bohrte sich in die dahinterliegende Hirnmasse, und die Rüstung wurde von ihrem zu Staub zerbröselnden Träger leer zurückgelassen.
Es brauchte zwei weitere Schläge, bevor Link registrierte, dass sie nunmehr ins Leere gingen. Er schwang sich von den Überresten seines Opfers, hob dabei die Mütze auf. Im Aufstehen zog er sie sich wieder über – und begriff erst dann, was er gerade getötet hatte: Der Helm war gar nicht hohl gewesen, wie er es von Eisenprinzen gewohnt war. Dies waren keine Rüstungen, denen von einem Zauber künstliches Leben eingehaucht worden war. Vor Überraschen vergaß Link fast zu lächeln, als er plötzlich sehr deutlich die mordlüstern glänzenden Augen in den Visierschlitzen sah und den fauligen Geifer roch, der unter den schlecht sitzenden Helmen hervorsabberte.
Moblins. So viele, wie seit Ganons Fall nicht mehr an einer Stelle versammelt gewesen waren. Ja mehr von ihnen, als Link angenommen hatte, dass überhaupt noch existierten.
Er hatte die Tür jetzt erreicht und sandte ein stummes Gebet an Gott, doch es kam zu spät: So sehr der Held auch an der Klinke rüttelte, sie ließ sich nicht öffnen. Irgendwie war sie wieder verschlossen worden. In seiner Hast fand er seinen Universalschlüssel im Sammelsurium an Gegenständen in seinen Gürteltaschen nicht schnell genug. Schwere, eisengepanzerte Wildschweinschritte erklangen immer lauter, immer bedrohlicher hinter ihm. Ein Luftzug im Nacken brachte Link dazu, von der Tür abzulassen und zur Seite auszuweichen. Eine stumpfe Schwertklinge traf ihn an der Schulter und drängte ihn noch weiter vom rettenden Ausgang fort.
Widerwillig zog er die eigene Waffe und stellte sich zum unvermeidlichen Nahkampf – auch wenn seine Lage aussichtslos war: Richtige Eisenprinzen zerfielen zu einem Haufen Harnische, wenn sich ihre Magie durch Bewegung und vor allem das Einstecken gegnerischer Schläge aufbrauchte. Mit Moblins an sich konnte Link dank jahrelanger Erfahrung spielend fertig werden. In Rüstungen hingegen vermochte er sie jedoch nicht zu verletzen. Dazu kam die Ermüdung, die er jetzt deutlicher verspürte als jemals zuvor. Seine Hiebe hatten keine Wucht mehr, seinen Blockaden fehlte es an Kraft, seinen Ausweichbewegungen mangelte es an Geschmeidigkeit. Der Zauber, der ihn höher springen ließ, hatte sich verflüchtigt. Die magische Energie, die ihm geblieben war, reichte nicht mehr aus, die Aura auf dem Schild zu erneuern, die von den steten Treffern immer schneller abgebaut wurde. Seine körperliche Erschöpfung konnte Link damit auch nicht heilen, geschweige denn Sugams Donnerzauber nutzen, um alle Moblins im Raum auf einmal loszuwerden.
Die Wildschweinmonster trieben den Helden immer weiter vor sich her. Als er einen Schlag parierte, wurde ihm das Schwert aus der Hand gerissen. Nach Schutz suchend, verkroch er sich hinter seinem Schild. Immer enger wurde es um ihn herum, und er konnte zunehmend schlechter atmen. Er fand sich in eine Ecke gedrängt wieder, eingekeilt von Feinden, die Ohren erfüllt von ihrem blutdürstigen Schnaufen. Dieses Geräusch war es, das seine Freunde, seine Familie und seine Eltern vor ihrem Tod gehört hatten.
Er verlor. Er verlor ihren Kampf um sein Überleben.
Und er brauchte Platz!
Einer der vorderen Moblins holte aus, und sein gewaltiger Hieb zerschmetterte die auf dem Schild liegende Magie, die in roten Funken verging. Sofort stürzten sich die Monster auf ihn; jedes von ihnen wollte das erste sein, das den Bezwinger ihres Königs ergriff – bis sie merkten, dass er gar nicht mehr da war.
Überrascht und befreit schnappte Link nach Luft. Er befand sich gar nicht mehr mitten unter seinen Feinden, sondern schwebte schwerelos über ihren Schweinsköpfen. In seiner Panik hatte er unbewusst den Zauber gewirkt, den er bislang nur benutzt hatte, um Abgründe zu überwinden. Nie hatte er ihn im Kampf gebraucht, da er sich damit nur der Wehrlosigkeit preisgab: Er hatte sich in eine Fee verwandelt.
Vor Erschöpfung taumelnd, flog er zu der verschlossenen Tür. In dieser winzigen, geflügelten Gestalt war der Hylianer klein genug, sich durch das Schloss zu quetschen, weg von dem Alptraum aus Moblins.
Um sogleich in einem neuen zu erwachen.
Wo er gegen den Donnervogel gekämpft hatte, erwartete ihn ein ganzer Schwarm braungefiederter Wesen. Die Fokka genannten menschengroßen Falkenmonster waren in den ganzen Palast eingedrungen, doch schienen nun auch bis zur Kammer des Endgegners gelangt zu sein. Anders als die kurzsichtigen Moblins vermochten die Fokka mit ihren scharfen Raubvogelaugen, die kleine falsche Fee zu erblicken. Wesentlich geschickter als Link, flogen sie ihm hinterher und schnappten mit ihren Adlerschnäbeln nach ihm. Der Hylianer spürte, wie seine Magie zur Neige ging, als ihn ein gefiederter Flügel streifte und aus der Bahn warf. Es war sein Glück, dass er noch als Fee auf dem Boden aufkam und sich dann erst zurückverwandelte, sonst hätte ihm sein eigenes Gewicht sämtliche Knochen zerschmettert.
Da hörte sein Glück auch schon auf. Vor Schmerzen und Ermüdung nicht in der Lage, aufzustehen, fand er sich den Fokka schutzlos ausgeliefert. Doch die Falkenkrieger kamen nicht auf ihn zu. Stattdessen traten sie beiseite, um zwischen ihnen eine Gestalt in grauer Robe, deren Gesicht in den Schatten einer weiten Kapuze verborgen war, zu dem gefallenen Helden durchzulassen. Link wollte seinen Augen nicht trauen, als sein Gegenüber den Eichenstab hob, ihn in einem kunstvollen Bogen herumwirbelte und dem Grüngewandeten über den Schädel zog.
Alles, was Link noch wahrnahm, war ein grelles Licht und höllischer Schmerz, bevor ihn eine gnädige Ohnmacht befiel.Ich möchte meine Anmerkung zu diesem Kapitel aus der vorigen Trivia wiederholen:
Es gibt eine blutige Szene, in der unnötig brutal zugeschlagen wird!
Und für das kommende auch noch einmal aussprechen. Ich weiß nicht, wie ich sie formulieren soll, dass ich nicht zu sehr spoilere <<“
Das kommende Kapitel ist mit ein Grund, warum ich diese FanFic auf FanFiktion.de als P16 eingestuft habe.
Boah, wie eindrucksvoll xD Vielleicht übertreibe ich es auch mit den Warnungen. Kann das schlecht einschätzen =/____________________________________
Ob mans glaubt oder nicht, in diesem Kapitel ist es nicht Link, der am meisten zu kämpfen hatte – sondern ich. Eigentlich war der ganze Ablauf komplett durchgeplant, aber als ich auf dieser Basis zu schreiben begann, merkte ich, dass der nicht funktionierte. Also noch schnell umplanen, aus dem bestehenden Chaos ein ganz neues machen, das war dann doch ganz schön mühsam. Mal wieder ein langes Kapitel, das durch die alte Planung tatsächlich viel kürzer geworden wäre, weil der Kampf gegen Thunderbird und der Eintritt des Schattens nur Flashbacks gewesen wären. Aber ganze Absätze (natürlich nicht so lang, wie sie jetzt sind) im Plusquamperfekt zu schreiben, war dann doch ganz schön bescheuert .__.“
- Nachdem also diese Umstrukturierung erfolgte, musste ich Thunderbird genauer beschreiben. Ich wusste lange nicht, wie ich das Gesicht verdecken sollte. Schließlich hat das neue Pokemon Silvarro die nötige Inspiration geliefert (noch 11 Tage, dann gehen Sonne und Mond gleichzeitig auf =D)
- Der Kampf gegen den Schatten kommt natürlich auch im Spiel vor, den visuellen Aufbau aber habe ich mir aus Ocarina of Time geliehen. Die Taktik, sich an die Wand drängen zu lassen, ist die, mit der man den Schatten in TAoL auch am einfachsten besiegen kann. Um LooksLikeLink frei zu zitieren: „Der Schatten ist zugleich der schwierigste als auch der leichteste Gegner im Spiel.“ Denn versucht man, ihn wie andere Gegner auch zu besiegen, hat man ganz schöne Schwierigkeiten, da er praktisch dasselbe kann wie Link auch. Mit dieser Taktik kann er einen nicht angreifen, aber ganz leicht selbst angegriffen werden. #Pika!Spieletipps lol
- Die Bomben habe ich hier zwar schon als fast faustgroß beschrieben, aber ich will das hier nochmal betonen. In den Spielen sind sie ja immer mehr als kopfgroß, was mal ehrlich nicht möglich ist. Nicht einmal die Bombentaschen, die es in manchen Spielen gibt, sind dafür groß genug, mehrere aufzunehmen. Deswegen haben Bomben in meinen Fanstories die ungefähre Größe von Handgranaten und werden auch ähnlich gezündet (die Lunte ziehen wie den Zündring)
- Hier ist es der Geist (oder halt die magische Projektion) von König Akira, der zu seinem Auserwählten spricht. Im Spiel ist es einfach ein alter Mann, der seltsamerweise ganz einsam im Großen Palast zu leben scheint wtf xP
- Im Spiel ist ein Zögern vor der Vollendung freilich nicht möglich (vor allem, da es im Großen Palast eigentlich keine Statue mehr gibt, sondern man das Triforce des Mutes sofort erhält) Deswegen ist alles, was anschließend und in den folgenden Kapiteln passiert, von mir völlig aus der Luft gegriffen – oder doch nicht? Wer weiß ;) -
Vierter Abschnitt: Durch das Land
„Es ist gefährlich für ein Kind, alleine aus dem Dorf zu gehen. Aber ich weiß, wie es ist, wenn man Abenteuer erleben will. Nimm dieses Schwert!“
– OnkelAuf Links Reise führte ihn die Karte quer durch ganz Hyrule, selbst in Gegenden, die er in den letzten vier Jahren noch gar nicht aufgesucht hatte. Die Paläste lagen jeweils versteckt an schwer zugänglichen Orten – im Wald, auf abgelegenen Inseln, tief im Gebirge. Wie Impa bereits vorausgesagt hatte, lauerten in den antiken Bauten nicht allein die Fallen und magisch erschaffenen Wächterkreaturen, die Akira seinem Auserwählten hinterlassen hatte. Monster aller Art waren in sie eingedrungen, zumeist harmlose Räuber auf der Suche nach alten Schätzen, für deren beschränkten Verstand die Rätsel des Königs viel zu hoch waren. Auch begegnete Link jenen Echsenkreaturen, die ihm schon seit Monaten bekannt waren, als ob sie nur auf seine Ankunft in den Gewölben gewartet hatten. Wenn sie ihm nicht weiter in die Quere kamen, beachtete er sie nicht – oft jedoch folgten sie ihrem mörderischen Trieb als Wesen der Abgründe und attackierten ihn, liefen damit nur in ihr eigenes Verderben und erschwerten das Vorankommen des grüngewandeten Kriegers.
Manchmal so erschöpft, wie Link es in seinem energiegeladenen Leben nur selten gewesen war, erreichte er jene tiefsten Verliese der Paläste, in denen die Statuen auf ihn warteten. Jede von ihnen war, von Meisterhand bearbeitet, dem Antlitz desselben bärtigen Mannes nachempfunden und wirkte daher, als sei ein steinerner Riese bis zum Hals im Boden versunken. Die Krone, die auf seinem Haupte saß, wies auf Augenhöhe eines normalgroßen Menschen eine Vertiefung auf, die durch ihre Rundheit nicht darauf schließen ließ, dass sie für einen dreieckigen Kristall bestimmt war – und welches gefährliche Geheimnis sie noch barg.
Bei der Statue des ersten Palastes in der kalten Tundra Parapa im Norden Hyrules setzte der Held sorglos den erstbesten Kristall ein, den er seinen Gürteltaschen entnahm. Sogleich fuhr ein Ruck durch den ganzen Raum, Staub rieselte von der Decke. Zunächst dachte der Hylianer, dieses Beben sei die normale Auswirkung des sich auflösenden Zaubers, bis sich plötzlich die Tür, durch die er das Verlies betreten hatte, mit lautem Krachen schloss. Mit mulmigem Gefühl trat Link von der Statue weg, falls sie durch die Erschütterungen kippen sollte. Ein ohrenbetäubendes Knirschen erfüllte den Raum, als stürze er gleich ein, und die Wände setzten sich in Bewegung. Bedrohlich langsam und doch viel zu schnell fuhren die Marmormauern auf Link zu, ließen die Kammer damit stetig schrumpfen.
Er hatte eine Falle ausgelöst!
Hastig sprang Link zurück zum Steinkopf und entfernte den Kristall, in der Hoffnung, die Wände damit aufhalten zu können. Doch diese ließen sich nicht davon beirren, seine Atemluft immer weiter zu verringern. Mit wachsender Panik versuchte es der Gefangene mit den anderen Gemmen, wobei er sie mehrfach fast fallen ließ und für das Auffangen kostbare Zeit verschwendete. Und die zunehmende Enge machte es ihm nicht gerade leichter, mit klaren Gedanken an diese Sache heranzugehen.
Schließlich setzte er den weißen Dreieckskristall ein, und zu seiner grenzenlosen Erleichterung blieben die Wände endlich stehen, Stille kehrte in der Kammer ein. Noch immer nervös aufgrund der Enge atmete Link gepresst durch, froh, dass sie zumindest nicht weiter wuchs. Anders als die falschen Steine zuvor, die nur teilnahmslos in der Vertiefung gelegen hatten, schwebte der jetzige wie auf unsichtbaren Fäden darin aufgehängt. Sich immer schneller um seinen Mittelpunkt drehend, strahlte er ein heller werdendes Licht aus. Link musste die Augen abschirmen, konnte aber dennoch beobachten, wie der weiße Marmor, aus dem die Statue und ihr Verlies, ja der ganze Palast von Parapa errichtet waren, mehrere Nuancen dunkler wurde. Der grelle Lichtfunke, zu dem das Kronjuwel des Steinmannes mittlerweile geworden war, entschwebte der Stele, hüllte Link vollständig in unirdisches Strahlen.
Völlig blind spürte der Held, wie die kühle, stillstehende Luft des verkleinerten Verlieses von einem eisigen Wind aufgeweckt wurde. Blinzelnd öffnete er die Augen und fand sich in der Eiswüste vor dem Palast wieder, als habe er ihn nie betreten. Aber auch hier draußen war das zuvor weiße Gebäude grau geworden. Das und die sechs anstatt wie zuvor sieben Kristalle in seinen Gürteltaschen zeugten davon, dass der Auserwählte soeben den ersten Teil seiner Aufgabe erfüllt hatte.
Was die Falle betraf, die er aktiviert hatte, hegte Link die Vermutung, dass es für jede Statue nur einen bestimmten Kristall gab, der für sie bestimmt war, ganz so wie die Schlüssel, die in Tempeln und Labyrinthen zu finden waren, auch nur für die Türen dort benutzt werden konnten. Wie er herausfinden sollte, welcher Stein der passende war, um zukünftige Fallen zu umgehen, wusste er jedoch nicht. Er konnte doch unmöglich jedes Mal alle durchprobieren; damit riskierte er nur, zwischen Verlieswänden zermalmt zu werden, oder was die Kammern sonst noch an Überraschungen für ihn bereithielten.
Im nächsten Palast, den er nach langer Suche von Schlingkraut überwuchert inmitten eines Sumpfes entdeckte, kam ihm ein Verdacht. Als er die Statue erreichte, experimentierte Link todesmutig mit den Kristallen: Zuerst legte er bewusst einen hinein, den er für den falschen hielt. Auch wenn sich wieder die Tür schloss, bebte der Raum diesmal nicht; dafür drang durch das Mauerwerk schlammiges Sumpfwasser und flutete rasant den Boden. Nach nur einem Augenblick stand es dem Eindringling knöcheltief und stieg noch weiter an, um ihn zu ertränken.
Rasch wechselte Link den Kristall, benutzte jetzt den vermutlich passenden. Und tatsächlich: Der Wasserspiegel verharrte auf Nasenhöhe des Steinmannes, die er bislang erreicht hatte, und das Lichtspiel aus dem ersten Palast wiederholte sich. Der blaugrüne Baustein des Sumpfpalasts verblasste zu gewöhnlichem Granitgrau, und der Held, triefend nass und schlammbesudelt, aber selbstzufrieden, wurde wieder nach draußen versetzt.
Links Verdacht war bestätigt. In Parapa war er nicht auf den Gedanken gekommen, dass das neutrale Marmorweiß des Palasts irgendwie mit den unterschiedlich gefärbten Kristallen in Verbindung stand. Erst der Sumpfpalast mit seiner ungewöhnlichen Färbung hatte ihn auf die richtige Idee gebracht: Der Kristall, der in die Statue zu setzen war, musste dieselbe Farbe haben wie sie und das Mauerwerk des Palastes, in dem sie aufgestellt war. Ein Rätsel des Königs Akira, das sich über alle seine Labyrinthe spannte anstatt sich nur auf das eine zu beschränken.Während Link ein Kristall nach dem anderen die Aufgabe erfüllte, für die er auserwählt worden war, ging er auch seiner ganz eigenen Suche nach. Ihn ließ der Gedanke an Zeldas Kuss einfach nicht mehr los; dabei war es nicht der Kuss als solcher, der ihn umtrieb, sondern seine eigene Reaktion darauf. Die Prinzessin zu küssen, hatte in dem überenergetischen Helden eine für ihn unvorstellbare Ruhe ausgelöst, eine Geborgenheit, die je verspürt zu haben er sich nicht zurückerinnerte. Eine Ignoranz seiner Umgebung gegenüber hatte ihn dabei befallen, die sich sein Geist nicht erlauben konnte, weil er stets auf der Hut vor möglichen Gefahren war – selbst an eigentlich so sicheren Orten wie der Schlossbibliothek. Aber in dem Moment war ihm selbst das Risiko einer solchen Unachtsamkeit gleichgültig gewesen.
Das war schwerlich ein Zustand, den sich Link dauerhaft für sein unstetes Wandersleben wünschte. Nie hätte er so lange auf sich allein gestellt in der menschenfeindlichen Wildnis Hyrules überlebt, hätte er sich einen solchen Leichtsinn öfter geleistet. Aber zumindest dann, wenn sein Verstand wusste, dass er in Sicherheit war – womit sein Instinkt nicht umgehen konnte –, wollte er doch diese Ruhe wieder empfinden. Und weil die Prinzessin freilich im Schloss geblieben war, mussten eben andere Kandidatinnen zum Küssen herhalten.
Da Link aus Zeldas Verhalten schloss, es sei in Ordnung, jemanden aus heiterem Himmel zu küssen, tat er es munter bei jedem Mädchen und jeder Frau, die das Pech – oder je nach deren Auffassung das Glück – hatte, dem unbedarften Jüngling über den Weg zu laufen. Alsbald gesellte sich zu Links Ruf als Bezwinger Ganons der eines Herzensbrechers, der die Damen verführte, abschätzend betrachtete und dann für die Nächstbeste einfach am Straßenrand stehenließ. Einige Frauen erbosten über den scheinbaren Draufgänger, und unter Werbern und Ehegatten war er verhasst. Indes, einen Helden gefangen zu setzen, um ihn für seine Dreistigkeit büßen zu lassen, gelang natürlich niemandem. Andere, zumeist einsame Damen hingegen luden ihn für die Zeitspanne, die er in geschlossenen Räumen ausharren konnte, in ihr Haus ein, und was darin geschehen mochte, wurde Stoff heißer Gerüchte.
Zu Links Enttäuschung jedoch erbrachte keiner dieser Küsse den gewünschten Effekt. Es schien, als hätten sich Körper und Geist nach dem ersten Mal, da sie sich derart entspannt hatten, sofort an die Wirkung wie an einen Krankheitserreger gewöhnt. Das wohltuende Gefühl stillstehender Gedanken sollte sich wohl nie wieder einstellen.Der Weg zu den Palästen erschloss sich Link nicht immer sofort. Manchmal war das Gelände, das ihn die Karte zu durchqueren hieß, so unbegehbar, dass seine Reise gescheitert schien. Selbstverständlich dachte er dann nicht einmal daran, sein Unterfangen aufzugeben, sondern suchte nach anderen Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen. Die bot ihm zumeist die erstaunlich gut erhaltene Abenteurerausrüstung, die vermutlich von gescheiterten Glücksrittern in den Palästen zurückgelassen worden war. Und was ihm damit nicht gelang, machte die Magie möglich, die weit versprengt in Hyrule zu finden war.
Auch in ihrer Behauptung, manche alten Menschen würden noch so manchen alten Zauber kennen, sollte Impa Recht behalten. Auch auf großer Queste ließ sich Link natürlich nicht nehmen, den Menschen seine Hilfe in ihren alltäglichen Belangen anzubieten, und kundige Greise lehrten ihn aus Dankbarkeit ihre Kunst. Als Menschen ohne spitze Ohren hatten sie sich die Zauber durch viel Übung aneignen müssen; Link hingegen verlieh sein Hylianer-Blut eine natürliche Begabung für Magie. Anders als das Lesen, das ihm auch nach vielen mühseligen Lehrstunden schwerfiel, beherrschte er die Zauber bereits nach einmaliger Einweisung – noch bei Weitem nicht perfekt, aber ausreichend, um sie anzuwenden. Die meisten von ihnen verstärkten Angriff und Verteidigung im Kampf, mit anderen meisterte der haltlose Abenteurer jeden noch so beschwerlichen Wanderweg.
Den zweifellos nützlichsten Zauber erlernte er auf dem östlichen Kontinent Hyrules, der vom Hauptland durch eine Meerenge geschieden war. In diesem Teil des Reiches, in dem er noch nie gewesen war, gelangte er in eine Stadt, die auf einem verwitterten Holzschild undeutlich als Kasuto zu identifizieren war. Oft war Link bei seinen Reisen durch das Land auf Dörfer gestoßen, die von ihren Anwohnern geregelt geräumt und verlassen worden waren, so wie es auch Veris und seine Kinder getan hatten. Eine so große Siedlung, wie Kasuto eine gewesen sein musste, in Ruinen vorzufinden, überraschte ihn daher sehr. Wo einst Menschen die ordentlich gepflasterten Straßen bevölkert haben mussten, türmte sich Schutt zu unansehnlichen Haufen, und Ruinen säumten den Weg. Schmerzlich fühlte Link sich an sein Heimatdorf erinnert, das ebenso leer und trostlos gewesen war – doch Kasuto war, wie sich herausstellen sollte, nicht gänzlich verlassen.
Zwischen den verfallenden Mauerresten eines eingestürzten Gebäudes wuselte es aufgeregt, ein Rascheln wie von zerlumpter Kleidung war zu hören. Neugierig, aber misstrauisch schlich Link näher und spähte in die harten Schatten, die die grelle Mittagssonne aufwarf. Kein verräterisches Geräusch verursachte er dabei, dennoch verstummte das stoffliche Schaben plötzlich, und der Beobachter fühlte sich seinerseits beobachtet.
Instinktiv setzte er sein Kampflächeln auf, zog Schwert und Schild, als ihn auch schon etwas von vorne rammte und von den Füßen riss. Schon wieder auf den Beinen, bevor er ganz stürzen konnte, holte der Krieger mit dem Schwert aus, hätte das, was ihn umgeworfen hatte, eigentlich treffen müssen – doch die Klinge glitt nur ohne Widerstand durch die Luft. Da stieß ihn wieder etwas an, diesmal von hinten in den Rücken; mit einigen Vorwärtsschritten fing Link den Schwung ab. Alarmiert fuhr er herum, um sich seinem Angreifer zu stellen, nur um nichts als die Kulisse der verfallenen Stadt vor sich zu sehen. Was auch immer ihm zusetzte, es musste unsichtbar sein.
Schnell kramte Link in seinen Gürteltaschen nach Bomben, mit denen er seinen Angreifer nicht würde anvisieren müssen, um ihm zu schaden. Was seine tastenden Finger zuerst entdeckten, war einer der Schätze aus dem Palast, den er zuletzt aufgesucht hatte. Eigentlich hatte er vorgehabt, das Kleinod, ein fein ziseliertes Monotheismus-Kreuz aus Silber, in der nächsten Stadt zu einem guten Preis zu verkaufen. Schon als er es gefunden hatte, war ihm aufgefallen, dass der orangerote Schmuckstein in der Mitte mit einer schlitzförmigen Pupille verziert war – ganz ähnlich wie das Auge der Wahrheit, das Impa ihm im Schloss kurzfristig gegeben hatte. Bislang hatte er diesem scheinbaren Zufall keine Bedeutung beigemessen, doch in seiner jetzigen Situation fragte er sich, ob die beiden Gegenstände etwas miteinander zu tun hatten.
Mit einem Stoßgebet an Gott reckte Link das Silberkreuz in die Höhe. Das Edelsteinauge leuchtete auf, und eine Sphäre flammenfarbenen Lichts breitete sich von ihm aus. Wie ein Hitzeflimmern verbrannte sie regelrecht die Unsichtbarkeit dessen, das Link angriff. Plötzlich sah sich der Held einem riesigen Monster mit unzählbaren Augen gegenüber – oder zumindest schien es so, bis sie sich gegeneinander bewegten, als sei ihr gemeinsamer Körper ohne Masse. Und tatsächlich führte jeder einzelne kopfgroße Augapfel einen eigenen nebelhaften Schleier mit sich.
Die Einwohner Kasutos waren ihrem Gast vorstellig geworden: Einäugige Geistermonster, die die Straßen füllten wie Insekten ihren Bau. Und sie waren ganz und gar nicht erfreut über ihren Besuch.
Sie schienen nicht zu merken, dass sie jetzt zu sehen waren – oder es kümmerte sie einfach nicht –, denn sie attackierten Link weiter, indem sie ihn mit ihren kugeligen, gar nicht geisterhaft organischen Leibern rammten. Selbst gegen seinen Schild stießen sie wie riesenhafte Fäuste. Der Krieger trieb sein Schwert mitten in die schwebenden Augäpfel, die so zähmassig waren, dass er die Waffe erst dann wieder frei bekam, wenn sie zu feinem Monsterstaub zerfielen. Link wehrte sich nur für kurze Zeit gegen sie und ergriff schnell die Flucht. Er war sich sicher, verließe er Kasuto, würden die Geister ihn schon in Frieden ziehen lassen.
Doch leider stellte sich die Realität als nicht ganz so einfach heraus: In welche Straße er auch immer einbog, erwartete ihn bereits ein Schwarm schwebender Augäpfel und verhinderte sein Entkommen. Aus der Ferne versuchte Link es mit einem Pfeil, doch dessen Spitze prallte nur wirkungslos an den Glubschaugen ab. Noch immer unerschütterlich lächelnd, zog Link das Schwert. Dann würde er sich seinen Weg eben freikämpfen!
Aus den verschütteten Seitengassen strömten weitere Geistergrüppchen hervor, verschmolzen miteinander und brandeten auf den Eindringling zu wie eine glotzende Welle. In Verteidigungsposition nahm Link sie zu allem entschlossen in Empfang – als aus der Nähe eine menschliche Stimme zu ihm sprach.
„Schnell, hierher!“
Überrascht erlaubte es sich der Held, in Richtung des Rufes zu blicken. In der offen stehenden Tür eines weniger verfallenen Hauses stand tatsächlich ein Mensch und winkte ihn mit aufgeregten Handgesten zu sich. Ohne weiteres Zögern schob Link das Schwert wieder ein und klemmte sich den Schild auf den Rücken, rannte los. Kaum, dass er durch die Tür gesprintet war, wollte ihr Wächter sie gleich gegen die anbrandenden Geister verschließen, was erst mit Links Unterstützung gelang. Die Augäpfel knallten noch dagegen, als ob sie sehr nachdrücklich um Einlass baten, der ihnen natürlich nicht gewährt wurde. Alsbald ließen sie ab, und vor dem Haus wurde es ruhig. Link atmete durch und blickte sich um.
Der Raum, in den er hineingestolpert war, war ein kleines, stockfinsteres Zimmer. Nur ein klappriges Bettgestell mit staubiger Strohmatte und ein halb offen stehender Schrank schälten sich allmählich aus der Düsternis. Die beiden sich gegenüberliegenden Fenster waren mit Holzlatten abgedunkelt; vereinzelte Lichtstrahlen quetschten sich mühselig durch die Lücken zwischen den Brettern.
Links unverhoffter Retter, ein alter Mann in lumpiger Robe, stellte sich ihm als Sugam vor. Vermutlich war das Haar des Alten von ähnlichem Grau wie seine Kleidung, wären Schädel und Gesicht nicht kahlrasiert gewesen. Als letzter menschlicher Einwohner der Ruinenstadt wusste er viel über sie zu berichten, insbesondere die Gründe betreffend, warum außer ihm niemand mehr hier lebte.
„Kasuto war einmal die größte Ortschaft von Ost-Hyrule“, ließ der Alte den Hylianer wissen, der wachsam vom einen verrammelten Fenster zum anderen tigerte und hinauszuspähen versuchte, „natürlich bei Weitem nicht von den Ausmaßen Hyrule-Stadts. Aber es hatte doch eine ganz ähnliche Bedeutung für Flüchtlinge. Hier sind viele hingekommen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und für die die Hauptstadt zu weit entfernt war. Natürlich gab es auch hier Probleme mit Monstern, ganz besonders mit Moas.“ Link vermutete, dass Sugam mit Moas die halbunsichtbaren Geisterwesen meinte, die in der Ruinenstadt ihr Unwesen trieben. „Vor gar nicht allzu langer Zeit sind die Moas dann in Scharen eingefallen, haben die Häuser zerstört, die Einwohner vertrieben und sorgen auch jetzt noch dafür, dass keiner mehr zurückkehren kann. Die Überlebenden haben Kasuto an einem anderen Ort wiederaufgebaut als eine neue Chance für die Vertriebenen. Ich bin allein hiergeblieben, um irgendwie herauszufinden, wie man die Moas aus Kasuto verjagen kann, damit alle die wieder zurückkehren können, die hier einmal gewohnt haben.“
Plötzlich wirkte der greise Mann um noch ein ganzes Stück älter, als er, vom Schicksal geschlagen, deprimiert die Schultern sinken ließ. „Es gibt vielleicht tatsächlich eine Möglichkeit, aber ich bin nicht mehr der Jüngste, wie du siehst. Ich schaffe es nur gerade so, mich selbst zu verteidigen, damit ich nicht auch gehen muss.“ Die blassgrauen Augen blickten Link hoffnungsvoll an. „Du bist doch ein kräftiger junger Bursche, und Waffen hast du auch. Damit hast du mir und vielen anderen, die hier durchgekommen sind, Einiges voraus. Kannst du nicht irgendetwas tun?“
Tatsächlich hatte Link bereits darüber nachgedacht, etwas gegen die Geisterplage zu unternehmen, auch wenn er der dringenden Meinung war, dass Alt-Kasuto an sie verloren war – eben doch anders als sein Heimatdorf, das er so lange selbstständig verteidigt hatte und auch jetzt noch dank Zeldas Unterstützung monsterfrei war. Es lohnte sich nicht für die rechtmäßigen Bewohner, den Monstern die Stadt der Ruinen zu entreißen und sie kräftezehrend aus ihren Trümmern wieder aufzubauen, nur um ihren Anspruch geltend zu machen. Wenn sie sich bereits irgendwo anders eine neue Heimat errichtet hatten, war das doch nicht weiter nötig. Der Krieger auf Durchreise wollte dem Greisen raten, diese neue Siedlung aufzusuchen, und ihm dafür auch sein Geleit zusichern, als diesem doch noch eine andere Idee kam.
„Du kannst doch bestimmt einen starken Zauber gebrauchen“, mutmaßte der Alte. „So viel, wie du unterwegs bist und ständig irgendwie mit Monstern zu tun hast. Wie wäre es, wenn ich dir den Zauberspruch, den ich gegen die Moas verwende, beibringe, unter der Bedingung, dass du ihn sofort benutzt, um sie ganz aus der Stadt zu jagen? Das müsste einem Jungspund wie dir doch eigentlich gelingen.“
Link fiel es schwer, dem zu widersprechen – und das nicht nur, weil es dafür mehr Worte gebraucht hätte, als er normalerweise in seine Sätze packte. Er fühlte sich dem einzigen menschlichen Einwohner Alt-Kasutos verbunden, erinnerte er ihn doch so sehr an sich selbst, bevor er Impa begegnet war. Außerdem, wie hätte er, der Große Held von Hyrule, bekannt dafür, sich jeder unliebsamen Kleinigkeit anzunehmen, eine solche Bitte um Hilfe schon abschlagen können?
Nachdem Sugam ihm die Anweisungen gegeben hatte, wie sein Zauber einzusetzen war, positionierte sich Link auf dem einstigen Marktplatz der toten Stadt. Das Kreuz erhoben, machte er die Geister sichtbar, die ihn lauernd umkreisten und mit ihren Glubschaugen argwöhnisch beobachteten. Auch ihr einfacher Verstand hatte begriffen, dass der Schwertkämpfer gerade dann gefährlich war, wenn sie ihm zu nahe kamen, also blieben sie lauernd auf Abstand.
Nach der Lehre des Alten formte Link die Hände so, als hielte er eine unsichtbare Kugel. Zwischen seinen Handflächen blühte Kraft seiner Gedanken ein winziger Stern auf. Auf alle Geisterwesen in der Umgebung konzentriert, auch die, die nicht in Sichtweite waren, fügte der Hylianer für jedes einzelne einen Funken hinzu. Die Lichtkugel wurde immer heller und statischer; eine unsichtbare Kraft versuchte, die Hände des Zaubernden auseinanderzureißen und zwischen ihnen hervorzubrechen. Unter größter körperlicher und geistiger Anstrengung gelang es Link, dagegenzuhalten.
Nachdem er so den Zauber vorbereitet hatte, streckte der Krieger die Hände hoch und ließ die Magie sich entfalten. Die Kugel blieb auch ohne seinen Halt in der Luft stehen, flackerte und zuckte wie eine aufgeschreckte Kerzenflamme. Dann gab der Donnerzauber seine Energie frei, Blitze schlugen auf den Boden über – genau auf ihren Schöpfer zu. Mit einer Hechtrolle wich Link aus, suchte Deckung hinter einem Mauerrest. Verwirrt darüber, von der eigenen magischen Waffe angegriffen worden zu sein, versuchte er, ihre Kraft gedanklich wieder auf ihr eigentliches Ziel zu richten. Nun mit erschreckender Gewalt, entlud sich die Lichtkugel augenblicklich, brachte die Luft vor elektrischer Ladung zum Summen. Unzählige Blitze schossen aus ihr hervor, fuhren in jeden Geist, für den Link einen Funken Magie aufgewendet hatte, bogen sich um Hauswände und erwischten auch jene, die sich versteckt hatten – einzig ihren Befehlshaber verschonten sie. Innerhalb weniger gleißender Augenblicke waren die Moas von Kasuto ausgemerzt, nur metallisch riechender Rauch zeugte noch von ihrer einstigen Existenz.
Nachdem er so viel magische Energie aufgebraucht hatte, glaubte Link nicht, diesen Zauber sogleich noch einmal wirken zu können. Nichtsdestoweniger beeindruckt von der fatalen Wirkung, mit der der Donnerzauber unter die Monster gefahren war, wollte sich der Hylianer bei Sugam für seinen Unterricht bedanken. Doch der war seltsamerweise nicht in seinem Haus, wo er darauf hatte warten wollen, dass Link Kasuto von seinem Spuk befreite. Kurz suchte der Krieger noch nach seinem Gastgeber, getrieben von der Befürchtung, ein Blitz könne ihn getroffen haben. Als er ihn oder gar seine Überreste auch in den Ruinen nicht vorfand, ging der Krieger, besorgt um den Alten, machtlos seiner eigenen Wege.Nachdem Link in die rosenfarbene Statue des Dreiaugenpalasts den sechsten Kristall eingesetzt hatte, war auf seiner Karte wie heimlich mit Tinte nachgetragen die Markierung erschienen, wo der Große Palast lag. Die Zeichnung stellte ihn umgeben von nadelartigen Bergen dar; Link hatte gelernt, dass diese Spitzen unüberwindliches Hochland bedeuteten. Der direkte Weg war ihm also nicht möglich, aber auf der Karte wand sich ein verschlungener Hohlweg durch das Gebirge, der als Todestal ausgeschrieben war. Dieser Name, wohl dazu gedacht, Wanderer abzuschrecken, es zu betreten, beeindruckte Link nicht. Schließlich hatte er auf dem Hauptkontinent ein Gebirge mit ähnlich lebensverneinendem Namen bestiegen und war auch wieder davon herabgekommen.
Wie er sich also zum Todestal begab, begegnete er Sugam Wochen nach ihrem Kennenlernen wieder. So sehr es den Befreier Kasutos auch überraschte, den Alten unerwartet mitten im Nirgendwo zu finden, war er doch erleichtert, dass der Verschollene nach all der Zeit der Ungewissheit wohlauf war. Vielleicht war diese Besorgnis ohnehin unbegründet gewesen, schließlich wirkte der Donnerzauber auch in seiner schwächsten Form sowohl gegen Monster als auch Wegelagerer.
Es stellte sich heraus, dass Sugam und Link ein ähnliches Ziel hatten, also setzten sie ihre Reise gemeinsam fort. In aller Form entschuldigte sich der Greis, der mit nichts weiter als einem abgegriffenen Wanderstab aus Eichenholz gerüstet war, für sein plötzliches Verschwinden in der Ruinenstadt. „Als du die Moas zerstört hattest, bin ich gleich nach Neu-Kasuto aufgebrochen, um die frohe Botschaft zu verkünden“, erklärte er Link. „Aber unterwegs ist mir eingefallen, dass ich mich schon eine Weile nicht mehr um meine Aufgabe beim Todestal gekümmert habe, deswegen bin ich nochmal umgekehrt.“
Der Held hatte auf seiner Suche nach Hinweisen das Tal betreffend den halben Subkontinent durchreist, dabei auch jenes neue Kasuto gefunden. Fern der toten Stadt und ihrer Geister, hatten die Vertriebenen es tief im Urwald versteckt errichtet, auf dass es nie das Schicksal seines Vorgängers teilte. Link war enttäuscht, seinem greisen Freund dort nicht schon eher wiederbegegnet zu sein. Wahrscheinlich lag das daran, dass er durch das ihm unbekannte Land geirrt war, während Sugam über die schnellsten Reiserouten wohl genau Bescheid wusste.
Allein oder in Gemeinschaft, wanderten die beiden Gefährten ausschließlich zu Fuß. Pferde gab es in Hyrule, gerade in seinem Osten fast keine mehr, und die meisten dieser wenigen standen im Einsatz der königlichen Soldaten. Wer ein anderes Reittier besaß – einen Esel, ein Maultier wie Veris oder gar ein exotisches Kamel –, bot es weder zum Verleih noch Verkauf an. Wenn Sugams müde Knochen ihm den Dienst versagten, legte er sonst immer eine Pause ein, was mit dem rastlosen Link unmöglich war. In dem Fall nahm er den alten Mann, der nicht viel mehr als Haut und Knochen wog, kurzerhand auf den Rücken und mimte selbst das Reittier.
Wenn Sugam seinen Atem nicht zum Laufen benötigte, redete er ununterbrochen, erzählte Link seine Lebensgeschichte und beantwortete Fragen, die sein schweigsamer Gesprächspartner nicht stellte. Den Hylianer störte das nicht, im Gegenteil: Er mochte den verschrobenen alten Kerl zunehmend. Immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihnen kamen ans Licht, als reise er mit seinem lebendig gewordenen Spiegelbild – nur, dass dieses ebenso viel älter wie gesprächiger war als er und keine hylianischen Ohrspitzen vorzuweisen hatte. Nicht nur hatten sie beide einige Zeit in einer verlassenen Siedlung gewohnt, Sugam schien auch eine ähnlich kurzweilige Konzentrationsspanne für temporäre Einzelaufgaben zu besitzen. Er stammte aus Hyrules Zentralland, das er in seiner Jugend genau wie Link bereist und die alten Tempel aufgesucht hatte, um die Religion zu erforschen, die vor der Ausbreitung des Monotheismus so viele Gläubige gehabt hatte. Nebenher hatte er als Wanderpriester sein Geld verdient. Als sein Lebensabend angebrochen war, hatte er sich in Ost-Hyrule niedergelassen, um den hier weniger starken monotheistischen Glauben zu kultivieren.
Unter seiner Leitung hatten die Einwohner des nur wenige Tagesmärsche entfernten Kasuto, noch bevor dieses zerstört worden war, am Eingang des Todestals ein Schutzkreuz aufgestellt. So sollte das Böse, das darin lauerte, daran gehindert werden, auf die Zivilisation überzugreifen. Auch während seines Einzelgängerlebens hatte Sugam seine heilige Pflicht wahrgenommen, die Unversehrtheit des Kreuzes regelmäßig zu überprüfen. Dieses übermannsgroße Zeugnis der Kraft Gottes stand auf einer Anhöhe inmitten des Passes, der in das ansonsten unbegehbare Gebirge hineinführte. Die beiden Holzbalken, aus denen es errichtet war, waren durch Sonne und Witterung blass und spröde geworden, aber zur Zufriedenheit des Priesters waren sie zumindest noch da.
In der zunehmenden Dunkelheit des vergehenden Tages suchte Sugam das Holz nach Schäden ab. „Dieses Kreuz habe ich leider allein aufstellen müssen“, erzählte er dabei. „Traurig, dass es bereits verfällt. Das ursprüngliche war viel beständiger, aus Eisen, musst du wissen. Es wurde gestohlen, vermutlich um Waffen daraus zu schmieden. Ich bin mir sicher, dass das der Grund ist, warum die Moas nach Kasuto gekommen sind.“ Er schnaubte verächtlich. „Diese Barbarei kann nur das Werk von Heiden gewesen sein! Ein wirklicher Anhänger des wahren Glaubens hätte einen solchen Frevel aus keinem Grund begangen.“
Link nickte nur kommentarlos und dachte sich seinen Teil. Es gab keine Garantie, ob das Eisenkreuz wirklich zu Waffen verarbeitet worden war, und welchem Zweck diese jetzt dienen mochten. Sollte es zum Schutz Unschuldiger sein, konnte es doch nur im Sinne Gottes sein, auch wenn dafür das heilige Symbol zerstört worden war.
Auch wenn es Link drängte, das Tal sofort zu durchmessen, bestand er darauf, Sugam zumindest noch für diese Nacht zu bewachen. In einer Höhle, die eigentlich nicht viel mehr als eine Nische im Felsen war, suchten die beiden Schutz vor dem Wind, der durch den Pass pfiff. Während sie an einem schwächlichen Lagerfeuer ein sparsames Abendmahl einnahmen, lehre Sugam Link die Bezeichnungen für alle möglichen Monsterspezies. Die verhassten Moblins kannte er schon seit er denken konnte beim Namen, und von den Moas hatte er unlängst bereits erfahren. Geru, Daira, Goriya, Magus, Stalfos … Der Held traute sich nicht zu, sich all diese Begriffe einprägen zu können, und bezweifelte stark, dass sie ihm irgendetwas nutzen würden, wenn er diesen Kreaturen im Kampf auf Leben und Tod gegenüberstand.
Nach dem Essen kaute Link auf einem Stück Wurzel eines bitteren, ungiftigen Krauts, das er noch vor dem Todestal gefunden hatte – das Süßholz war ihm schon vor Wochen ausgegangen. Er stand am Höhleneingang und spähte wachsam in die Nacht hinaus. Sugam wärmte sich am Feuer die müden Glieder, während er das tat, was er als Priester am besten konnte: predigen.
„Ich interessiere mich so sehr für den alten Glauben, weil ich wissen wollte, wie die Heiden durch ihn so lange so fehlgeleitet werden konnten. Ich sage nicht, dass sie in ihrer Weltanschauung völlig falsch lagen. Wahrscheinlich konnten sie etwas, das keinen Namen hat, einfach nicht begreifen; deswegen haben sie Ihm mehrere Namen gegeben und gedacht, Er sei mehrere Götter. Sie konnten ja nicht wissen, dass die Macht dieser Vielen in Ihm allein konzentriert war. Dass Er sie so lange hat gewähren lassen, zeugt doch nur von Seiner unendlichen Güte. Auch als sich Hyrule größten Widrigkeiten gegenübersah, war das nur eine Prüfung an die Glaubenskraft der Menschen, und sie haben bestanden: Als das Land nach König Akiras Herrschaft allmählich verfiel, haben die meisten, die klügsten erkannt, dass ihr wahres Heil nur in einem, dem wahren Gott zu finden ist.“
Die grauen Augen, die schon viele harte Jahre hatten vorbeiziehen sehen, strahlten vor religiöser Freude. „Obwohl, nein, gerade weil wir so viele Generationen von Ihm getrennt gewesen sind, hat der gütige Schäfer all Seine Lämmer wieder auf Seiner grünen Weide aufgenommen. Deswegen sind wir es Ihm schuldig, die alte Religion zu vergessen und ihre weltlichen Zeugnisse zu entfernen – aber leider gehört sie nunmal zur Geschichte dieses Landes. Deswegen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, so viel Wissen über den falschen Glauben zu sammeln wie nur möglich, auf dass die Menschen Hyrules nie wieder fehlgeleitet werden.“
Der alte Mann stand schwer auf seinen Stab gestützt vom Feuer auf und trat neben Link in den Höhleneingang. Den Blick in den Nachthimmel gerichtet, beendete er seine Predigt: „Gerade in unserer unsicheren Welt ist es wichtig, dass wir in unserem Glauben auf dem rechten Pfad bleiben. Nur so ist uns Gottes Gunst gewiss.“ Auch Link sah hinauf zu den Sternen, die am Firmament hingen wie Millionen elektrischer Funken, dort platziert vom unvorstellbar mächtigsten Zauberer der Welt.
Plötzlich ertönte ganz in der Nähe ein Rascheln. In Sekundenschnelle hatte Link den Bogen gezückt, einen Pfeil aufgelegt. Im Kauen innehaltend, suchte er mit durchgezogener Sehne in der Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, nach einem Ziel. Ein verdorrter Busch erzitterte, und ein Schatten kroch daraus hervor. Link schoss, der Pfeil schwirrte in die Nacht. Etwas kreischte gequält auf, allerdings für ein Monster viel zu klangvoll. Angriffsbereit, mit der Hand am Schwertgriff, schlich Link auf das zu, was er getroffen hatte. Er hob es auf und kehrte damit in den Feuerschein zurück.
„Nun, für die nächste Mahlzeit ist schon einmal vorgesorgt“, meinte Sugam mit Blick auf das magere Kaninchen, das Link anschleppte. Damit konnte er dem Hylianer sein schlechtes Gewissen, das harmlose Tier ohne einen Grund getötet zu haben, aber nicht nehmen. Ohne echten Ärger schimpfte der Priester: „Dummer Jungspund! Einen alten Mann so zu erschrecken!“ Er holte mit seinem Wanderstab aus, um Link damit eins überzuziehen, doch der duckte sich, sodass das Holz seinen Kopf nicht einmal streifte. Das war nicht nur seinen schnellen Reflexen zu verdanken: Es war schon öfter vorgekommen, dass Sugam ihn derart zurechtwies.
Der Greis begab sich wieder zum Feuer. „Nun setz dich her und beruhig dich“, forderte er seine aufgekratzte Wache auf. „Bis jetzt ist uns doch auch nichts geschehen. Gott beschützt uns.“
Zögernd gab Link nach und ließ sich nieder, schaffte es aber nicht, runterzukommen. Er nahm sich ein dürres Brennholz und sein Taschenmesser und begann, ohne ein bestimmtes Motiv im Kopf zu schnitzen. Mehr als sonst brauchten seine Hände die Beschäftigung, da er sich ansonsten ständig den kribbelnden Nacken gerieben hätte. Mit der Flöte konnte er sich nicht ablenken; so nah am Todestal hätte das wohl unliebsame Gesellschaft angelockt. Kein Wunder, dass er schon die ganze Zeit so nervös war.
„Entschuldige, dass ich dich in Kasuto nicht gleich als Held von Hyrule erkannt hab“, sagte Sugam zum wiederholten Male. „Aber du hast ja auch nichts gesagt. Jetzt wirst du bald in dieses Tal gehen, da würde ich doch ganz gerne wissen, warum. Was sucht ein frommer Bursche wie du in einer solchen Gegend, in die Gott noch keinen Fuß gesetzt hat?“
Link lächelte bedauernd, brach seine Schnitzarbeit kurz ab, um viel- und nichtssagend die Hände auszubreiten. Er konnte dem Priester doch wohl kaum gestehen, dass er das Triforce des Mutes suchte, das ein Relikt falscher Götter war. Nach wie vor trug der Auserwählte seine Schwerthand in Bandagen. Die Gesellschaft des treuen Gefolgsmann Gottes gab ihm das Gefühl, seine Mission stünde unter Seinem Segen; aber es musste nicht sein, dass Sugam von dem Symbol auf Links Handrücken erfuhr. Geistesabwesend zupfte er die verrutschten Mullbinden zurecht, bevor er weiterschnitzte.
Nachdenklich nickte Sugam. „Das habe ich mir gedacht. Und wie mir in den letzten Tagen aufgefallen ist, stimmt es wohl, was man sich über dich erzählt: Dass du ein Mann weniger Worte bist.“ Entgegen dieser verständnisvollen Aussage seufzte er, in seiner Neugierde enttäuscht.
Auf keinen Fall wollte Link, dass Sugam dachte, er verriete ihm aus mangelndem Vertrauen nichts über sein Vorhaben. Als Tribut an ihre gemeinsame Wanderung räumte er daher gönnerhaft ein: „Es ist geheim.“
Die ergrauten Augenbrauen spitzbübisch hochgezogen, harkte Sugam nach: „Geheim? Bist du etwa in geheimem Auftrag der Prinzessin unterwegs?“
Darauf ging Link nicht weiter ein. Mittlerweile hatte er sich ein einfaches Stöckchen geschnitzt und kreiselte es um seine Finger wie einen Stift. Dabei löste sich der Verband ein wenig. Schnell zurrte der Held ihn wieder fest, in der Hoffnung, dass Sugam nichts bemerkt hatte.
Doch der war ohnehin auf etwas anderes fokussiert. „Ein netter Trick“, meinte er die Stöckchenjonglage betreffend. „Wenn ich so was mit meinem Pilgerstab könnte, wäre ich ein Magier.“ Er schwieg eine Weile und beobachtete die Miniaturkunststücke, die Link zum Besten gab.
„Die Prinzessin ist ein gutes Kind“, sagte Sugam schließlich, als führe er einen bislang stummen Gedanken laut weiter. „Vor einigen Jahren bin ich ihr begegnet, als ihr königlicher Vater – Gott hab ihn selig – noch lebte. Man erzählt sich, sie habe ähnlich verrückte Anwandlungen wie König Akira seinerzeit, aber veredelt von der fraulichen Herzensgüte, die man ihrer Großtante nachsagt. Und das schon als Kleinkind. Da fragt sich sogar ein so gläubiger Tattergreis wie ich, ob es Wiedergeburten tatsächlich gibt, wie es die Legenden der alten hylianischen Religion zu wissen denken.“
Verwundert fragte Link: „Wie meinst du das?“
Leise, als befürchte er, nur allzu blasphemische Überlegungen laut auszusprechen, erklärte Sugam: „Prinzessin Zelda, also die ältere, wurde lange vor der Geburt ihrer Großnichte ermordet. Es besteht zumindest die zeitliche Möglichkeit, dass ihre Seele in ihrer Namensschwester ins Leben zurückgefunden hat.“
Link hielt im Zwirbeln so plötzlich inne, dass der Stock zwischen seinen Fingern verkantete und zerbrach. „Das kann nicht sein.“ Immerhin war die ältere Zelda doch gar nicht tot, wovon Sugam natürlich nichts wusste.
„Ich weiß schon, wandernde Seelen, wie absurd“, winkte der Alte hastig ab. „Aber betrachte es mal aus dieser Sicht: Der Prinzessin wurde ihr Leben gewaltsam entrissen, als sie versucht hat, ihren geliebten Bruder zu beschützen. Vielleicht schenkt Gott in seiner Güte solchen Menschen eine zweite Chance, indem er die Glut ihres verlöschenden Lebens rettet und zur Feuerstelle eines neuen Leibes trägt.“
Verdrossen schwieg Link.
Sugams Gelenke knackten vernehmlich, als er sich streckte. Die Hand vor dem zum Gähnen weit aufgerissenen Mund verkündete er müde: „Ich denke, ich werde nun versuchen, eine gemütliche Position zu finden. Willst du nicht auch schlafen? Bestimmt brauchst du die Energie noch.“ Als Link nur den Kopf schüttelte, zog sich der Alte die Kapuze seines Wandermantels tief ins Gesicht und legte sich auf den harten Höhlenboden. „Wie du meinst. Ganz nach deinem Ermessen.“ Kurze Zeit später war unter der Kapuze leises Schnarchen zu hören.
Überhaupt schlief Link nur äußerst wenig, noch seltener, seit er vor vier Jahren sein Heimatdorf verlassen hatte. Und wenn, dann nur im Sitzen, Mütze und Gürteltaschen gegen Diebstahl geschützt in den Armen haltend, stets bereit, bei einem möglichen Überfall sofort aufzuspringen, das Schwert zu zücken und gleichzeitig schlagartig zu erwachen. Doch im Moment war nicht einmal an diesen Halbschlummer zu denken. Mit dem Todestal, dem letzten Abschnitt seines Abenteuers in greifbarer Nähe, war Link dafür viel zu aufgeregt. Vor allem grübelte er über das, was Sugam gesagt hatte.
Die Hälften des zerbrochenen Stöckchens warf er ins Feuer und beobachtete, wie sie sich entzündeten und allmählich verbrannten.Im goldenen Licht des anbrechenden Tages sprach Sugam vor dem Holzkreuz das Gebet, Gott möge Links Vorhaben mit Erfolg krönen und seine Hand schützend über ihn halten. Der Betreffende selbst hingegen bat stumm lediglich um die Kraft, dieser Schutz selbst sein zu können. Am Schluss der Morgenandacht segnete Sugam den Helden, indem er ihm mit dem Finger ein Kreuz auf die Stirn zeichnete. Er ermutigte ihn mehrfach, großzügig Gebrauch von seinem Donnerzauber zu machen. Anstatt gleich nach Alt-Kasuto zurückzureisen, würde Sugam in der Höhle auf Links Rückkehr warten. Mit vollstem Vertrauen in Gott versicherte der Priester, dass ihm schon nichts geschehen würde.
Das Todestal trug seinen Namen zurecht, denn nichts außer dem Tod selbst schien hier gedeihen zu können. Auf dem kargen, von Geröll verschütteten Talgrund vegetierten nur wenige, struppige Sträucher vor sich hin, Wasser gab es kaum. Die unangenehme Kälte täuschte über die grelle Sonne hinweg, die erbarmungslos von einem bleichen Himmel herabschien. Tagsüber wehte ein schneidender Wind, dazu angetan, jedem Wesen, das ihm ausgesetzt war, die Haut vom Fleisch zu schälen. In der Nacht war es so still, dass jedes noch so ferne Geräusch von den Talwänden verstärkt durch die ganze Schlucht hallte.
So kalt die Luft unter dem bleichen Himmel war, so heiß flimmerte sie in den Tunneln, die Link immer dann betreten musste, wenn er im Tal selbst nicht mehr weiterkam. In diesen Höhlen schien das Blut der Erde selbst an ihre Oberfläche getreten zu sein. Als Lavaseen bedeckte es ganze Areale im hohlen Leib der Berge, die Link oft nur mithilfe von Zaubern überwinden konnte.
Nicht nur das Klima und seine Geografie machten das Todestal zum lebensgefährlichsten aller Gebiete, sondern auch seine Einwohner. Immer wieder geriet der Held an Monster, die viel aggressiver waren als sonst wo in Hyrule. Ohne das Silberkreuz, das die allgegenwärtigen Moas für ihn sicht- und verwundbar machte, wäre er schon nach wenigen Marschstunden gescheitert. Auch Sugams Donnerzauber, den er nur in Notsituationen anwandte, leistete ihm gute Dienste. Tiere sah er keine, bis auf die Aasgeier, die von dem wenigen Wild aus den Bergen und Wanderern lebten, die dumm genug waren, sich hierher zu verirren. Wachsam kreisten sie am Himmel über Link, warteten darauf, dass seine Wegzehrung zur Neige ging. In einem solchen Fall und dank Pfeil und Bogen würden sie aber wohl eher ihn als sich selbst nähren.
Es war die Nacht des dritten Tages, seit er Sugam zurückgelassen hatte, als er das Ende des Todestals erreichte. Das Ziel, das ihm die Karte wies, zeigte sich ihm als ernüchternd kleine Eingangsbaute, wenig geräumiger als ein Bauernhaus. Wie Link aus Erfahrung wusste, lief sie unter der Erde in eine riesige Anlage aus. Wie ein Tempel wirkte sie, gekrönt von einem steinernen Baldachin, der von mächtigen Säulen getragen wurde. Eine herrenlose Eisenrüstung stand im Eingang wie ein regloser Wächter. Link setzte einen Fuß auf die Treppe, die dort hinaufführte. Sogleich entzündeten sich magische Fackeln, die an der Wand angebracht waren, und entrissen sie der Nacht. Gegen die totgraue Umgebung hob sich die kräftige Farbe des Gemäuers deutlich ab: Es war bernsteingelb, wie der letzte Kristall, den Link bei sich hatte.
Er hatte den Großen Palast des Königs Akira gefunden.
Soeben wollte er weitergehen, als er glaubte, einen Luftzug im Nacken zu spüren – mitten in der sonst windstillen Nacht des Tals. Verwundert drehte er sich herum, doch im Dunkeln außerhalb des Fackelscheins konnte er nichts erkennen. Als auch kein Geräusch an seine Hylianer-Ohren drang, wandte er sich ab, erklomm die Treppen, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und betrat den letzten Palast.
Aus der Finsternis trat eine graugekleidete Gestalt an den Rand des Lichtkreises. Einige Augenblicke stand sie da, bis sie mit einem Mal von Funken umhüllt wurde und in einem Kugelblitz verschwand.Vor den Anmerkungen zum aktuellen Kapitel eine wichtige Meldung zum nächsten:
Es wird eine blutige Szene geben, in der unnötig brutal zugeschlagen wird!
Schreib ich auch nächste Woche nochmal in die Trivia. Bitte beachten und nicht erschrecken.
___________________________________________Maaann, was für ein Kapitel. Nicht nur lang, sondern auch und vor allem chaotisch. Da es so viele verschiedene Punkte von Links Abenteuer enthält, war es schwer, sie in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Chronologisch ging nicht, zumindest für das, was hier vor Kasuto erzählt wird. Wie ich im Startpost erwähnt habe, war diese Story nie dafür gedacht, eine Nacherzählung vom Spiel mit vielen langatmigen Kapiteln zu sein, deswegen ist es nur in ein einzelnes langatmiges Kapitel gepackt.
Ursprünglich hieß dies Kapi „Durch das Tal“, bestand nur aus dem Gespräch am Lagerfeuer und der Zusammenfassung des Todestals, war also bedeutend kürzer. Da hätte aber auch sehr viel gefehlt, was im Spiel eine Rolle spielt.- Das Zitat von Links Onkel enthält die Übersetzung von „It’s dangerous to go alone, take this!“, das erste Textfeld, das man im ersten Zelda-Spiel zu lesen bekommt. Wie auch im Spiel erhält Link dabei sein erstes eigenes Schwert.
- Link spinnt hier wieder mal ein bisschen, was das schöne Geschlecht betrifft, aber die ganze Schose hat auch einen konkreten Ursprung im Spiel: Darin gibt es nämlich in jeder Ortschaft eine sogenannte „Heilerin“, eine in sehr auffälliges Rot gekleidete Dame, in deren Haus Links Lebensanzeige wiederaufgeladen werden kann. Siehe dazu auch Zelda II with Lyrics von brentalfloss.
- Das Silberkreuz kommt im Spiel ohne die verräterische Schlitzpupille vor. Diese und das Auge der Wahrheit im dritten Kapitel habe ich praktisch nur eingebaut, damit Link auf die Idee kommt, es gegen die unsichtbaren Moas zu gebrauchen.
- Wie Veris und seine Kiddies aus dem ersten Kapitel trägt auch Sugam einen recycelten Namen aus einer verworfenen FF. Bei Namen von Nebencharakteren tu ich mich immer so schwer, da kann ich es mir nicht leisten, sie ungenutzt zu lassen <<“
- Was Sugam so über die beiden Zeldas redet, ist meine eigene Überlegung darüber, wie es möglich ist, dass zwei von ihnen gleichzeitig leben, wo doch jede Zelda laut offiziellem Kanon die Wiedergeburt derselben Seele ist. Aber logisch, als das Spiel erschien, gab es diesen offiziellen Kanon und die Timeline noch nicht.
- „Es war die Nacht des dritten Tages (…)“ ist eine Anspielung auf Majora’s Mask.