Genießerisch reckte Clea ihr Gesicht gen Sonne. Es war ein wunderbar warmer Tag, die Bienen schwirrten durch die Luft und sie hatte
sich gerade ein Eis geholt. Nun saß sie auf einer Bank vor dem Ferienhaus. Ihre Eltern waren in einem Museum und bestaunten irgendwelche
antiken Sachen. An sich wäre sie gerne mitgekommen, aber an solchen Orten waren ihr eindeutig zu viele Menschen. Das war einfach
nichts für sie. Sunny kam maunzend um die Ecke, sprang auf die Bank und machte es sich auf ihrem Schoß gemütlich. Clea strich ihrer Katze
über den Rücken und diese begann sofort, zu schnurren. Wie könnte ein Tag nur besser sein? Mit einem Pool im Garten, klar.
Aber sonst … nicht.
Eine Stunde später, das Eis war schon lange aufgegessen worden, schoben sich Wolken vor die Sonne. Wind kam auf und es schien
beinahe, als würde es bald regnen. Regen war toll, aber die Kälte eindeutig nicht. Vorsichtig nahm Clea Sunny hoch und ging ins Haus.
In der Küche stand noch das Geschirr ihres Mittagessens auf dem Tisch. Sie setzte Sunny auf den Boden und räumte es in
die Spühlmaschiene. Dann schmiss sie das Eispapier in den Müll und ging in das kleine Wohnzimmer, das direkt an die Küche anschloss.
Sie setzte sich auf das Sofa und nahm sich das Buch, das sie grade las, vom Tisch. Einen kurzen Moment huschte ihr Blick zur Uhr –
ihre Eltern wollten um vier wiederkommen, nun war es halb. Bloß noch eine halbe Stunde Ruhe. Aber immerhin. Sie schlug das Buch auf,
suchte sich die richtige Seite und versank.
Ein seltsames Gefühl unterbrach sie bald – um genau zu sein, einige Stunden später. Als würde sie jemand rufen. Murrend sah sie
von ihrem Buch auf. Da war niemand. Erst da verstand sie, dass es sich um keinen echten Ruf handelte. Es war ein Gefühl der Anziehung,
das an ihrer Seele zu ziehen schien. Warum erinnerte sie das nur an den Physikunterricht? Kraft, Angriffspunkt und so …
War schon etwas her.
„Sunny?“, krächzte sie, „Ich geh' raus“ Für sie war es vollkommen normal, mit ihrer Katze zu sprechen wie mit einem Menschen.
Beinahe wie ferngesteuert bewegte sie sich aus dem Haus und auf die Quelle des Gefühls zu. Sie hatte eine Tunnelblick, nichts anderes
bestimmte ihre Gedanken, als diesen Ort zu erreichen. So bemerkte sie auch nicht, dass sie aus Versehen die Schuhe ihrer Mutter,
die inzwischen wieder da war, angezogen hatte. Ihre schlurfenden Schritte – die Schuhe waren ihr zu groß – führten sie weiter in das Innere
der Stadt. Was auch immer dort auf sie wartete, sie wollte es so schnell wie möglich erfahren. 'Tolle Einstellung, Lily. Am Ende ist es ein
gedankenmanipulierendes Monster und du tappst genau in seine Falle', scherzte sie. Doch auch dies brachte sie nicht dazu, umzukehren.
Monster gab es nicht. Seltsame anziehende Kräfte zwar eigentlich auch nicht, aber bloß, weil sich das eine als doch existieren erwies,
hieß es doch nicht gleich, dass es das andere auch gab, oder?
Sie kam ihrem Ziel immer näher und wurde immer unruhiger. Nun war sie an der Hauptstraße angekommen. Aus einem ihr
unbekanntem Grund blieb sie stehen und wartete. Es dauerte nicht lange, bis eine Frau aus einem parkendem, schwarzem Auto ausstieg.
Ein kleiner, unscheinbarer Junge folgte ihr. Sie hatte lange braune Haare, trug eine Sonnenbrille – wohl wegen der blendenden Sonne – und,
was Clea am Meisten verwunderte, kam direkt auf sie zu, wobei es fast so wirkte, als würde sie dem kleinen Jungen den Vortritt lassen.
Vor Clea blieben beide stehen und blickten sie einige Sekunden nur an. Dann begann erstaunlicher Weise der schüchtern wirkende Junge,
zu reden.
"Hallo Schwester.", meinte er und strahlte sie regelrecht mit einem echten Lächeln an.
"Schwester? Wie - Was meinst du damit?", brachte Clea perplex hervor. Ihr Herzschlag beschleunigte prompt. Wer war dieser Junge?
"Ich denke, wir sollten uns erst einmal vorstellen, bevor wir sie so überfallen.", tadelte die Frau den Jungen sanft und wandte sich an Clea,
"Das war unhöflich, entschuldige. Ich bin Alicia Young und das ist Simon, er ist wie du. Und wie ist dein Name?"
"Clea", kam automatisch die Antwort. Wie sie? Was sollte das heißen? Sie zog eine Augenbraue hoch. Aber sie würde ja sehen.
"Also Clea, lass mich dir ein paar Fragen stellen: Du fühlst dich unter Menschen normalerweise unwohl? Du fühlst dich in
der Gesellschaft seltsam ausgegrenzt? Du hast Erwachsenen noch nie wirklich vertraut, selbst wenn es Angehörige oder deine
Eltern sind? Du kannst Dinge, die andere Leute nicht können? Und du hast ein farbiges Zeichen am Körper, das fast wie ein Tatoo
aussieht, wo aber niemand weiß, woher du es hast, am allerwenigsten du? Und letzte Nacht hat es seltsam geleuchtet?"
Sie war baff. Einfach baff. In Gedanken harkte sie die Punkte der Reihe nach ab. Kurz erinnerte sie sich an die letzte Nacht.
Tatsächlich war sie aufgewacht. Und ihr Zeichen hatte geleuchtet. Sie hatte lange am Fenster gestanden. Beinahe hatte es sich
angefühlt, als wäre sie ein Glühwürmchen, das auf seiner Suche nach der Freiheit immer wieder gegen die Scheibe flog.
Woher wusste diese Frau das alles? Langsam nickte sie.
"Ja!" Die Antwort schien Alicia nicht zu überraschen. Sie nickte Simon nur kurz zu, der daraufhin die hellen Lederhandschuhe, die er
trotz der hochsommerlichen Temperaturen trug, ab und offenbarte die beiden schneeweißen Spiralen auf seinen Handrücken, die noch
immer schwach leuchteten. Clea starrte beinahe auf die Hände des Jungen. Irgendetwas sollte ihr das sagen, aber sie kam nicht drauf, was.
Sie versuchte, sich zu konzentrieren. Das alles verwirrte sie ein wenig. Zeichen ... leuchten ... wahrscheinlich hatte Simon auch die anderen
Merkmale, die Alicia genannt hatte. "Er auch?" Verdammt, drückte sie sich heute unverständlich aus. Um ihre Aufregung aus dem Kopf
zu bekommen, schüttelte sie diesen.
"Wie ich bereits sagte, Simon ist wie du.", bestätigte Alicia und der Junge streifte die Handschuhe schnell wieder über, "Das, was ihr beide
seid, nennt man 'Erleuchtete'. Ihr seid mit einer großen Macht gesegnet und verflucht zugleich. Unter Menschen könnt ihr nicht leben,
denn unter Menschen könnt ihr nicht glücklich werden. Aber es gibt einen Ort, wo ihr in Frieden leben könnt. Ich bin die Leiterin einer
Schule für Erleuchtete und habe es mir zur Aufgabe gemacht, Kinder wie dir ein Leben zu bieten, dass ihr verdient. Wenn du willst,
kannst du mit uns kommen. Nach Hause.",
erklärte Alicia weiter. Beinahe wollte Clea fragen, woher Alicia wüsste, wo ihr zuhause sei, aber dann verstand sie. Alicia meinte, dass diese
komische Schule ihr zuhause sei. Heute konnte sie echt nicht normal denken. Lag wohl an letzter Nacht, in der sie eindeutig zu wenig
geschlafen hatte.
"Wo ist dieses Zuhause? Und wie ist es da?", fragte Clea skeptisch. Auch, wenn diese Frau ihr beinahe sympathisch erschien, würde sie nicht
einfach so mitgehen. 'Steige nie zu Fremden ins Auto', das wurde ihr schon früh beigebracht.
"Es handelt sich um ein sehr großes Gelände, dass wie ein Jugendzentrum eingerichtet ist und unter Staatlicher Förderung, wo außer
mir und einigen angestellten keine Menschen leben. Dafür haben dort schon einige Erleuchtete Zuflucht gefunden. Dort habt ihr
ein Zuhause, wo ihr so sein könnt, wie ihr wirklich seid, ohne euch verstecken zu müssen. Ihr könnt auch dort eine richtige
Schulbildung bekommen und vor allem bekommt ihr dort Hilfe eure Kräfte zu ergründen, kontrollieren und besser zu beherrschen.
Meine Angestellten vergleichen meine Morgan-Fox-Anstalt gerne mit Doktor Xavers Schule für Mutanten aus den X-Men-Comics,
auch wenn ich finde, dass dieser Vergleich etwas hinkt.", erzählte Alicia lachend.
"Hört sich interessant an. Aber bevor ich überhaupt mitkommen könnte, müsste ich die Erlaubnis meiner Eltern haben", stellte Clea fest.
Ein Ort, an dem andere waren, die so waren wie sie? Und wie Simon? Mit dem Vergleich konnte sie nicht wirklich etwas anfangen, sie hatte
die Comics nicht gelesen.
"Du lebst also noch bei deinen Eltern?", erkundigte sich die Frau und schien zum ersten Mal in diesem Gespräch wirklich überrascht.
Kurz überlegte sie, dann lächelte sie das Mädchen aufmunternd an: "In Ordnung, wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne
einmal mit deinen Eltern reden."
'Ja, tue ich', dachte sich Clea, 'ist das in irgendeiner Weise außergewöhnlich?' Sie schätzte ab, wie ihre Eltern wohl reagieren würden.
Dabei glitt ein Lächeln über ihre Lippen. Die Vorstellung war einfach zu absurd. "Ja, ich denke, das wäre machbar"
Wieder lächelte Alicia Clea an. "Gut, dann bring mich doch bitte zu ihnen.", bat sie.
"Hey Clea, was kannst du eigentlich.", wollte der kleine Simon aufgeregt wissen, "Ich mein welche Lichtkraft wurde dir geschenkt?"
Etwas unbeholfen stand sie da. "Gut. Also, es geht hier lang!", verkündete sie. An Simon gewandt erzählte sie: "Ich ... kann unter Wasser
atmen, wie es scheint. Ist voll genial!"
"Cool, ich kann einschüchtern, also ich kann auf Menschen einschüchternder wirken als ein großer Gorilla.", grinste der Junge,
"Meine Ziehschwester Kasumi kann Teile von sich auflösen und Malee kontrolliert zwei Körper." Fröhlich beschlagnahmte er direkt
den Platz neben Clea, während Alicia ihnen folgte.
"Du? Cool. Aber die Vorstellung, dass man Teile von sich auflöst ...", ging Clea in einen Plauderton über.
"Ja echt krass oder? Aber Marlee toppt uns alle die ist total gruselig. Und Zanza, einer der älteren kann aus Tarotkarten
die Abbildungen beschwören.", plauderte Simon weiter, als wäre es das normalste der Welt über Superkräfte zu reden.
"Simon, nicht in der Öffentlichkeit.", warnte Alicia, worauf der Junge Clea verschwörerisch zuzwinkerte. Sie lächelte. Dieser Junge
war anscheinend tatsächlich ein bisschen wie sie. Wenn alle Erleuchteten so waren, dann würde es bestimmt lustig werden.
Mussten bloß noch ihre Eltern überzeugt werden.
Sie stiegen in das Auto ein. Clea setzte sich nach hinten. Neben ihr auf der Rückbank saß ein Junge.
„Hi!“, murmelte sie. Die Fahrt ging wie im Fluge vorbei, Clea kam es beinahe vor, als hätte es bloß ein paar Sekunden gedauert.
"Hier sind wir richtig!", sagte Clea. Sie stiegen aus und gingen ins Haus. "Mama! Papa! Ich hab Besuch mitgebracht!", rief sie in Richtung
Küche. Man hörte Stühle schaben. "Hallo, Schatz", begrüßte sie ihre Tochter und umarmte sie kurz. "Und wer sind sie?" Ihr Vater hielt sich
im Hintergrund und beäugte die Frau kritisch. Alicia trat freundlich lächelnd vor und reichte den beiden die Hand.
"Mein Name ist Alicia Young, meines Zeichens Psychotherapeutin und Lehrerin. Ich würde gerne mit Ihnen über ihre Tochter reden,
kann ich hereinkommen? Die Kinder können in der Zeit gemeinsam warten, sie scheinen sich ja gut zu verstehen.“, meinte die junge
Frau höflich, aber bestimmt.
"Sunny!", stellte Clea überrascht fest. Die Katze war einfach so aufgetaucht und strich jetzt um ihre Beine herum. Sie nahm sie hoch
und kraulte sie hinter den Ohren. "Guck, Süße, das ist Simon. Simon, das ist meine Katze Sunny", machte sie die Beiden miteinander bekannt.
"Wir haben auch Tiere. Sogar einen kleinen Hof. Mama meint, Tiere würden uns helfen, unser Sozialverhalten zu verbessern.",
meinte Simon dazu.
"Echt? Meinst du, Sunny könnte mitkommen?", fragte Clea. Auch, wenn sie vorher nicht daran gedacht hatte, ihre Süße musste mit.
"Wie sieht es denn mit dem Transport aus, hast du eine Transportbox? Ich hätte ungerne Krallen im Gesicht und viele Katzen mögen
ja keine Autofahrten. Aber Mama wird es wahrscheinlich erlauben", gab der Junge zur Antwort und blickte das Kätzchen skeptisch an.
"Türlich! Mama hat so nen Tick, deshalb muss sie immer bei Autofahrten da rein. Das Teil steht wohl in der Abstellkammer", überlegte sie.
"Dann hol sie besser. Wenn du willst, helf ich dir beim Einladen, wir haben nämlich keine Katzen und deshalb auch kein Futter oder
Sonstiges für Katzen. Um deine Eltern musst du dir keine Sorgen machen, Mama bekommt für gewöhnlich alles, was sie will."
Für einen Moment stutzte Clea. Es klang beinahe, als wären ihre Eltern nur Hindernisse - Aber nein, so meinte Simon es sicherlich nicht.
Sie sollte nicht immer so auf Kleinigkeiten achten. "Gut, dann bis gleich!", lenkte sie schließlich ein. Sie eilte zur Abstellkammer und holte
die Transportbox. Dann ging sie zum Bad und nahm das Ersatz-Katzenklo mit - ein Wunder, dass sie so etwas besaßen. Als letztes eilte sie
die Treppe hoch und lief in ihr Zimmer. Dort schnappte sie sich das Gestell mit den Näpfen und leerte den Wassernapf schnell im Bad aus.
Als sie an ihrem Zimmer vorbeikam, kam ihr eine Idee. Wenn sie wirklich zu dieser Schule durfte, musste sie auch Klamotten haben, oder?
Also ging sie noch einmal in ihr Zimmer und stopfte alles, was sauber und brauchbar war, in ihren großen Rucksack. Darauf legte sie alles,
was sie sonst noch brauchte. Schnell polterte sie die Treppe wieder hinunter. "Hier. Ich hab gleich meine Sachen mitgebracht. Das Futter
ist in der Küche. Muss ich noch hin", berichtete sie Simon. Dann besorgte sie es. "Fertig!", verkündete sie beinahe außer Atem.
Kurz darauf kamen Alicia und ihre Eltern wieder.
„Du darfst mit, Schatz!“, verkündete ihre Mutter. Ihr Vater nickte nur kurz. Erleichterung erfasste sie. Auch, wenn es laut Simon ziemlich
sicher gewesen war, dass Alicia ihre Eltern überzeugte, war sie doch froh, die Entscheidung zu hören.
„Wie ich sehe, hast du deine Sachen schon gepackt“, stellte ihr Vater beinahe betrübt fest. Er kam zu ihr, umarmte sie und drückte ihr
etwas in die Hand. „Taschengeld“, flüsterte er. Dann wurde sie von ihrer Mutter gedrückt.
„Hoffentlich gefällt es dir da!“, meinte sie. Sie gingen zum Auto. Clea hatte in der Zwischenzeit mit Simon ihre Sachen ins Auto gepackt.
Bloß ihr Rucksack befand sich noch bei ihr. 'Ach!', stellte sie fest, 'hätte ich beinahe vergessen!'
„Ähm, also …“ fing sie an, „das ist so … Ich habe eine Katze. Darf ich sie mitnehmen?“ Im erstem Moment wirkte Alicia verdutzt.
Dann hellte sich ihr Gesicht auf.
„Ja, gerne sogar!“
„Sie ist schon in ihrer Transportbox im Kofferraum“, erzählte Simon, „Ich wusste, dass du das erlauben würdest!“ Alicia kicherte.
„Lass mir die Katze aber ja nicht an die Vögel ran!“, warnte sie.
OT: Ich dachte, passt wohl, wenn beide Neueinsteigerposts hintereinander kommen. Und tadaaa, hier ist er. Auf ein gutes RPG!