Erst einmal wieder ein riesengroßes Danke an dich, Caroit, dafür dass du immer wieder meine Geschichten kommentierst... Du sagtest, es hätt lange gebraucht, doch von mir brauchte es noch einmal gleich lang bevor ich darauf antwortete! :P
Mir gefiel die alte Version der Geschichte nicht mehr, also habe ich beschlossen das Kapitel komplett zu überarbeiten, und eine neue, viel längere Version (2200 Wörter) zu schreiben, auch wenn ich besonders am Ende einige Passagen übernahm. Ich hoffe diese Version gefällt dir auch, ich habe versucht deine Kritikpunkte miteinzubeziehen. Also, ich hoffe es gefällt dir (und natürlich nicht nur dir :P). Es würde mich freuen wenn du wieder mal einen Kommentar da lassen würdest. :)
5 – Gary
„Sie sind weg, nicht wahr?“
Gary brauchte nur in die betretenen Gesichter der Männer zu sehen, um aus ihnen die Antwort auf seine Frage zu erfahren.
„Und warum sagt ihr das nicht gleich? Was für einen Zweck hat es zwei Stunden mit blöden Ausreden, warum wir nicht in dieses Rebellenlager im Wald können, zu verschwenden?“
Gary ballte die Fäuste. Wenn es eine Sache gab, die er noch weniger ausstehen konnte als Inkompetenz, dann war es die Feigheit, Fehler einzugestehen. Bei diesen Gesellen gegenüber handelte es sich augenscheinlich um beides. Naja, dabei werden wir es nicht belassen. Wahrscheinlich verlangen wir einfach zu viel von ihnen, schau man sie doch mal an. Streifendienst in irgendwelchen Drogen-Vierteln in Marea oder sogar unten in Vapydro wird denen ganz gut tun.
„Sir, was machen wir jetzt?“ Der Mann mit den lockigen braunen Haaren, dem Doppelkinn, dem nicht den hellsten Eindruck machenden Gesicht und mit dem Leibesumfang, bei dem sogar die weiteste Hosengröße zwei Nummern zu klein war, hatte sich am Anfang als der „Herr Sergeant“ dieses Polizeibüros vorgestellt.
Naja, der ist nicht mehr lang der „Herr Sergeant“, dafür werde ich Sorge tragen.
„Was ihr macht weiß ich nicht. Ich werde wieder zurück nach Marea fahren, wir müssen ja den Bericht dieses Unterfangens hier verfassen.“
Alle fünf schluckten tief und erschrocken, mit Genugtuung sah er genau die Reaktion die er hervorrufen wollte. „Ist noch was?“ bemerkte er mit einem Tonfall, den sogar der dümmste der Bande, der Quotenheld ganz links, als scheinheilig erkannte. Natürlich waren sie wieder zu feig um zu antworten, nur aus dem Herr Sergeant bekam er ein erschrockenes, schnelles Kopfschütteln hinaus. „Na dann. Einen schönen Tag den Herren!“ Er drehte sich um, und verließ die Polizeistation über die einzige, gläserne Tür durch die ein kleiner Sonnenstrahl, der die Wolken durchbrochen hatte, hindurchschien.
Auf dem Highway nach Süden war dichter Verkehr, aber für solche Tage waren Gary die Sonderrechte der regulären Polizei gerne von Nutzen. Sein Fahrer, ein schweigsamer Beamter aus Marea, den ihm die lokale Behörde zur Verfügung gestellt hatte, manövrierte den blau-grauen Dienstwagen, noch glänzend von der Wäsche in der Waschstraße gleich neben jener Polizeistation, geschickt durch die Verkehrsmassen, die anderen Autos fuhren aufgrund des blinkenden Blaulichts und des etwas nervigen Folgetonhorns auf die Seite, um den Wagen durchzulassen. Die Autos auf der Seite waren überwiegend ältere Modelle, die meisten hatten die eine oder anderen Matzen und Dellen, und wenige waren so sauber geputzt und glänzenden wie der Polizeiwagen in ihrer Mitte. Die Landschaft hier im Norden von Marea war eintönig, die Wäldern und Hügel weiter nördlich hatten einer flachen Ebene, von etlichen Flüssen und Tümpel durchzogen, und mit vielen Feldern und Äckern bewirtschaftet, Platz gemacht, und auch der leichte Sonnenschein von vorhin war dem typischen Wetter in Marea gewichen, einem leichtem Nieselregen.
Die „Polizei Hauptstation Provinz Marea C-1, Abteilung Sicherheit und Ordnungswahrung“ war im dritten Stock eines Hochhauses direkt im Zentrum von Marea untergebracht. Von außen erschien es unscheinbar, und nur ein kleines Schild an der Klingel im Eingang verriet das hier das wichtigste und größte Büro der Geheimpolizei von Einall in dieser Gegend, das Hauptquartier für alle Westprovinzen, lag.
Als Gary aus dem Lift in den dritten Stock trat, bot sich ihm ein ganz anderes Bild. Gestern Abend war er noch nicht hier gewesen, er hatte sich nur mit einem Beamten über Video-Telefon in seinem Hotelzimmer unterhalten, deswegen sah er die Kommandantur nun das erste Mal. Der Eintritt war mit Sicherheitsschleusen wie an einem Flughafen gesichert, drei grimmig dreinblickende Security-Kräfte standen unmittelbar neben dem Eingang. Gary sah aus den Augenwinkeln wie ein Mann zwischen ihnen hindurch trat, da sprach ihn dieser Mann an.
„Ah, Sie sind der Agent aus der Hauptstadt. Willkommen in Marea! Kommandant Raymond der Name“
Der Mann der Gary die Hand anbot, war groß gewachsen, hatte die Haare militärisch kurz geschoren, trug eine stramm sitzende grau-grüne Uniform, und wirkte generell sehr muskulös und stark; aber er hatte ein nettes Lächeln, und sein Gesicht zeigte eine offene Freundlichkeit und Wärme.
„Agent Willington. Freut mich.“
„Ganz meinerseits. Kommen Sie mit in mein Büro, dort können wir uns ungestört unterhalten.“ Er gab den Sicherheitskräften einen Wink, die daraufhin zur Seite traten, und führte Gary in das Büro hinein.
Von innen unterschied es sich nicht sehr von Gary’s Arbeitsplatz in Stratos City, der augenscheinlichste Unterschied war die dunkelgrüne Tünchung der Fensterfronten, die einen Blick von außen fast unmöglich machten, der Außenwelt aber einen edlen, zurückhaltenden, ja fast kühlen und entfernten, vor allem aber wunderschönen, smaragd-farbenen Ton gaben.
Das Gespräch bot keine nennenswerten Informationen für Gary. Diese eine Gruppe war bis jetzt noch nicht auffällig geworden, also hatte man auch keine Informationen über sie. Einzelne Zeugenaussagen hatten verraten, dass es dort oben im letzten Winkel der Provinz gewisse Widerstandsnester geben könnte, aber das wenige das man hatte, war nicht verwertbar. In Folge dessen war das Gespräch schnell beendet, und Gary war ein kleines Übergangsbüro überlassen worden. Sofern man es Büro nennen konnte.Das Kämmerchen, in das sie ihn gesteckt hatten, hatte keine Fenster. Eine einzelne Lampe spendete nur wenig Licht, und die hohen Schränke, mit Aktenkoffern vollgestopft, engten den Raum ein. Der Computer erschien wie ein Relikt aus alter Zeit, und die Kühlung ertönte so laut wie ein alter Ventilator, der gerade dabei war, seinen Geist aufzugeben. Es war die letzte Kammer, doch Gary wollte nicht protestieren. Es war ja nicht für lange, und er könnte die Datenbank des Computers nach eventuellen Meldungen über die Flüchtigen durchsuchen. Und sie würden ihn ja sofort holen sobald die Fahndungsergebnisse eintrafen. Trotzdem beriet ihm der Raum ein ungutes Gefühl. Er würde nicht von Platzangst sprechen, doch Gary hasste es, eingeengt zu sein. Schon als Kind, wenn er an die kleinen Kellerkammern dachte, der Putz abbröckelnd, und der Schimmel die Wände zersetzend…
Nein, er würde nicht daran denken. Nicht schon wieder. Was geschehen war, war geschehen. Abgeschlossen. In der Vergangenheit. Und da sollte es bleiben.
„Sir, wir haben die Ergebnisse der Fahndung. Kommen Sie mit raus?“ Eine freundliche Sekretärin steckte ihr Gesicht durch die Tür. Gary drehte sich schnell um, und folgte ihr.
„Natürlich. Danke“ Sie führte ihn durch den weiten Gang, an den Seiten konnte er einige Büros sehen, die meist nur durch Glaswände von ihrer Umgebung getrennt waren, in ihnen einige Beamte, manche mehr, manche weniger in ihre Arbeit vertieft. Der Duft von Kaffee vom Automaten in der Mitte des Ganges auf der einen, und der der steril wirkenden, frisch geputzten Möblierung auf der anderen erinnerte ihn an sein eigenes Büro zuhause. Er liebte die Vormittage, wenn der Arbeitsplatz wie auch die Menschen noch frisch waren, und auch so rochen.
Die Sekretärin führte ihn ins erste Büro, in Sichtweite der Sicherheitskontrolle, wo Gary bereits den Kommandanten wahrnahm. Er stand hinter einem Mann in fest sitzender Uniform, seinen Kurzhaarschnitt fest gekämmt und gestriegelt, doch das Gesicht in den Computer vertieft.
„Mr. Willington. Bitte sehr, sehen Sie sich das an!“ Der Kommandant deute mit der Hand auf den Bildschirm, wo Gary eine Karte des Raumes Marea wahrnehmen konnte. Auf einen Mausklick des Beamten am Computer erschienen rote Punkte, bis knapp vor Marea City auf dem großen Highway, danach eher auf Nebenstraßen und im Zick-Zack Kurs gruppiert.
„Dies sind alle Zeugenaussagen, die eindeutig die drei Lastwagen identifizieren konnten. Sehen Sie sich die Punkte hier in der Stadt an. Sie versuchten uns eindeutig in die Irre zu führen, und hielten sich eindeutig vom Stadtzentrum fern. Doch sehen Sie genauer, können Sie eine Richtung erkennen?“
Gary betrachtete die roten Punkte genauer. Wenn man eine Linie dachte, die ungefähr genau in der Mitte zwischen den entferntesten Punkten nach Süden verlief, dann verlief diese Linie genau auf der großen Ausfallstraßen vom Stadtzentrum ans Meer. „Da, alle Punkte folgen ungefähr einen Weg nach unten. Da, zu dieser grauen Fläche am Meer. Das ist der…“
„Genau, der Hafen. Unseren kleinen Vögelchen muss es hier zu heiß geworden sein, die sind jetzt weg. Aber da gibt’s noch jemanden, der weiß wo sie sind.“
Als Gary den Kommandanten ansah, war alle Freundlichkeit aus seinem Gesicht entschwunden, war einem entschlossenen, ernsten Blick gewichen.
Gary war noch nie in Marea City gewesen, doch als er nun am Rücksitz des Polizeiautos durch die Innenstadt fuhr, bot sich ihm Gelegenheit, die Stadt zu bewundern. Sie war bei weitem nicht so groß wie Stratos City, und doch konnte Gary alles entdecken, das eine moderne Großstadt benötigte: Gläserne Hochhäuser gruppierten sich um den alten Stadtkern, der sich hinter einer niedrigen Mauer aus alten Zeiten versteckte, und hinter der Mauer erkannte Gary die roten Dächer einiger Pagoden-Gebäuden. Ihm gefielen diese Gebäude, von denen es in Stratos nur noch wenig gab, strahlten sie doch ein gewisses Alter aus. Und vor allem waren sie schön. Um den alten Stadtkern herum gruppiert fielen Gary viele Hochhäuser ins Auge, und alle trugen sie diesen für Marea so typischen dunkel-smaragdenen, edlen Farbton.
Sie fuhren weiter durch die Stadt, doch je weiter sie sich vom Zentrum entfernten, desto kleiner und älter wirkten die Häuser, und desto älter wurden auch die Autos, die an den Straßen standen. Schließlich fuhren sie auf eine breitere Straße, an deren Flanken rostige Leitplanken und alte, zerfetze Werbeplakate vom Verfall zeugten. Dieses Viertel hatte eindeutig bessere Tage gesehen. Doch kaum waren sie hinter den Mauern des Hafens verschwunden, bot sich ihnen ein anderes Bild: Moderne Häuser und Hangars, Lagerhallen und Betonungetüme warteten auf sie, und dahinter lag das größte Schiff, das Gary je gesehen hatte, größer gar, als jene gewaltigen Kolosse die man früher am Hafen von Stratos erblicken konnte.
Das weitläufige Büro des Hafenmeisters lag direkt im Zentrum des Hafens, im dritten Stock eines komplett glasverkleideten Gebäudes. In der Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch, hinter dem der erste Hafendirektor saß und ungeduldig wartete. An der Wand stand je ein Tisch, und auf der einen Seite ein Schrank mit Ordnern. Gary stand an der Glasfront, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und blickte hinunter auf das Treiben des Hafens. Er sah Krane die Schiffe beluden, Seemänner die dabeistanden und zusahen, aber es waren nur wenige, und ihm fiel auf, dass kein Schiff eine andere Flagge trug als das blaue Kreuz auf schwarz und weiß, die Fahne Einalls. Ihm war gesagt worden, dass am Rand des Hafens einige Schiffe aus Sinnoh oder Hoenn anlegten, doch es wurden immer weniger. Und das im geschäftigsten und größten Hafen Einalls, dem Tor zur Welt, wie Marea früher genannt wurde. Einst hatte dieser Hafen die halbe Stadt mit Arbeitsplätzen versorgt, jetzt waren Arbeitsstellen nur mehr bei den endlosen Baustellen zu ergattern, die „dem Hafen den Glanz zurückgeben sollten“. Gary hatte von diesen Projekten zur Ankurbelung der Wirtschaft in dieser Gegend gehört, verschlangen sie doch Milliarden pro Jahr. Aber der Hafen bot ein für diese Summen trostloses Bild. Baukräne bauten an grässlichen Betonlagerhallen, doch nur wenige Menschen liefen umher, und nur an drei Stegen lagen Schiffe an. Die Wirtschaft Einalls war am Boden. Kein Wunder, dass es immer mehr Arbeitslose und Bettler, Arme und Obdachlose in den Straßen gab, und überall schossen Suppenküchen und wohltätige Kirchenorganisationen wie Pilze aus dem Boden. Und das in den Großstädten, die immer schon der Motor Einalls Wirtschaft waren. Gary mochte gar nicht wissen wie es auf dem Land aussah, hörte er doch, dass immer mehr Farmen verlassen wurden und immer mehr Leute in die Städte zögen. Aber Team Plasmas Sozialreformen würden doch bald greifen. Rezessionen und Wirtschaftskrisen hatte das Land schon mehrere überstanden.
„Willst du noch länger stumm dastehen, Junge? Ich habe nämlich noch Arbeit zu erledigen.“ Marcus Lee war ein fetter Mann, mit einer Glatze gestraft, und er hatte eine Laune als hätte er rostige Nägel gefrühstückt.
Gary drehte sich nicht um, und antwortete: „Sie werden mich mit Mr Willington anreden, Mr Lee. Oder ich werde einige andere, unangenehmere Zeitgenossen als mich hier her schicken. Aber sie sind doch ein gesetzestreuer Bürger, Mr Lee, und haben nichts zu befürchten.“ Er hörte ihn tief schlucken. „Oder Mr Lee? Sie haben doch nichts mit einer kleinen Gruppe Illegalen zu tun, die heute Morgen ein Schiff bestiegen. Nicht wahr?“
Dies war es, was ihm Freude beriet. Wie oft hatte er es sich früher vorgestellt, es diesen einfältigen Pinseln die sich für so was Besseres hielten heimzuzahlen.
„Ich weiß nicht wovon sie reden, Mr Willington.“ Er sprach das letzte Wort aus, als wolle er ihn erwürgen.
„Das haben wir uns doch auch gedacht, aber glücklicherweise haben sie in ihrem Dienst einen sehr gesetzestreuen Bürger, der es als seine Pflicht ansah, uns zu informieren. Sie sollten stolz auf einen solchen Mitarbeiter sein.“
Die Tür ging auf, und es trat ein Polizist mit Lees Adjutanten im Arm ein. Sein Auge war blau, und seine aufgeplatzten Wangen mit Tränen verschmiert.
„ Mr Bontley hat uns über das Schiff nach Fleetburg informiert, und seine Ladung. Nicht wahr Mr Bontley?“
Als Gary sich umdrehte, zuckte dieser zusammen.
„Ja.“, stammelte er. „Es ist meine Pflicht als Staatsbürger.“
Er sah aus, als würde er gleich zusammenbrechen, und um das zu verhindern, gab Gary dem Polizisten einen Wink, und er nahm Bontley mit nach draußen.
Als die Tür zufiel, lehnte sich Gary auf den Schreibtisch, und blickte Lee ins Gesicht. Schweiß rann ihm seine fetten Wangen hinunter, und seinen Atem roch nach Angst.
„Wir sehen uns wieder, Mr Lee. Aber vielleicht nicht mehr hier, wer weiß. Ich wünsche ihnen viel Glück!“
Als Gary sich umdrehte, um den Raum zu verlassen, erlebte er eine Überraschung. Nie hätte er diesem wandelnden Fleischklops solche Mut zugetraut, doch dieser rief ihm nach:
„Team Plasmas Tage sind gezählt, Junge. Nicht mehr lange und wir sehen uns wirklich woanders wieder. Davon bin ich überzeugt!“
Vielleicht war es sein überhebliches Grinsen, vielleicht auch nur ein schneller Impuls, der ihn dazu trieb.
Gary schlug ihn mit voller Wucht ins Gesicht.