Tag 81, Cheese
„Hallo an alle Überlebende da draußen! Das waren TLC mit ihrem Hit Waterfalls. Tag 69 meines persönlichen Radiosenders. Mein Name ist Jazz und falls Sie mich da draußen hören können und kein durchgeknallter Kannibale sind, suchen Sie mich bitte hier in der Radio Station Denver, Colorado, 92 Tonwel Street.
Kommen wir zu den Verkehrsmeldungen: Sieht so aus, als herrsche tote Hose auf den Straßen. Sie haben also freie Fahrt. Ich wünsche ihnen noch einen entspannenden Feierabend und eine schöne Endzeit. Sie hören Radio Headless Jazz und jetzt viel Spaß mit Otis Taylor und dem Song Ten Million Slaves.“
Ganz schön schwarz sein Humor, dachte sich Cheese. Aber er konnte den Radiosprecher auch gut verstehen. Ein Jahr war es jetzt schon her, dass die Zombie Apokalypse ausgebrochen war. Leider hatte es im Gegensatz zu den ganzen Zombiefilmen, die man so kennt, irgendwann keine Überlebenden mehr gegeben. Headless Jazz war wahrscheinlich genauso tot wie er. Ja richtig, Cheese war tot. Wieso er gleichzeitig trotzdem irgendwie noch lebte? Wer wusste das schon... Die Tatsache ließ sich auf jeden Fall nicht ändern. Er hatte es ja oft genug am eigenen Leib erfahren und sich inzwischen damit abgefunden, dass er an diese trostlose Welt gebunden war.
Es war später Nachmittag und Cheese saß in einem gelben Geländewagen, den er unterwegs gefunden hatte. Dass das Auto Sprit hatte und gleichzeitig auch noch einwandfrei funktionierte, grenzte fast schon an ein Wunder. Ganz bis nach Denver würde das Benzin jedoch bei Weitem nicht mehr reichen... Da musste er sich noch etwas einfallen lassen, denn noch einmal würde er wahrscheinlich nicht so viel Glück haben, ein Auto zu finden, das funktionierte. Öffentliche Verkehrsmittel fallen wohl auch flach, dachte sich Cheese schmunzelnd. Jetzt werde ich auch schon zu einem Zyniker.
Dabei war er vor seinem Tod ein sehr geselliger und lockerer Typ gewesen. Er war gerade mal 22 Jahre alt, vom Sternzeichen Löwe und ein begabter Handwerker. Nie besonders sportlich, dafür um so kreativer. Außerdem hatte er ein ziemlich gutes Allgemeinwissen. Aber am meisten hatte ihn wohl seine Leidenschaft für Comics ausgemacht. Bevor die Zombie Apokalypse ausbrach las er gerade The Walking Dead. Makaber.
Damals hatte er auch noch einen richtigen Namen. Nein, natürlich hieß er nicht wirklich „Cheese“. Genauso wenig wie Jazz seinen richtigen Namen benutzte. Die Menschen waren während dem Weltuntergang ein wenig misstrauisch geworden und wollten sich schützen. Nicht zu letzt vor Gefühlen gegenüber anderen Überlebenden. Also behielt man alles Persönliche für sich und benannte sich selbst nach irgendwelchem belanglosem Zeug... dem Lieblingstier, dem Lieblingsessen oder Ähnlichem. Nicht dass das alles am Ende einen Unterschied gemacht hätte.
Jeder kämpfte und überlebte für sich, wenn auch nicht lange. Wie heißt es so schön? Man wird allein geboren und man stirbt allein... stellte Cheese trocken fest. Er hatte sich ganz schön verändert und ja, er war tatsächlich allein gestorben.
Während der Flucht vor einer großen Gruppe wahnsinniger Zombies war er eines Tages gezwungen gewesen die Entfernung zwischen zwei Dächern zu überwinden. Hier fand die Verfolgungsjagd ihr Ende. Wahrscheinlich war es der acht Stockwerke tiefe Fall, der ihn zu dem machte, was er jetzt war. Etwas, das er selbst nicht wirklich definieren konnte. Er bezweifelte immer, dass er sich einen „Überlebenden“ nennen konnte, so gern er das auch getan hätte und so lebendig er sich auch noch fühlte.
Cheese drehte die Musik etwas lauter und schaute auf die Tanknadel.
Höchstens noch zwölf Kilometer. Draußen begann die Abenddämmerung und tauchte diese leere Einöde in ein gemütliches Orange. Hier und da kam er an einem Autowrack vorbei, aber trotzdem vergaß er für einen Moment seine Verbitterung und lauschte dem letzte Radiosender der Welt.
„Hier ist Radio Headless Jazz mit den Hits der Musiker Legenden. Ihr findet mich in Denver, Colorado, 92 Tonwel Street.
Vergesst eines nicht Leute: Wir sitzen alle in einem Boot, von der Geburt bis zum Tod.“