Kurzgeschichte #06
Fandom: Pokémon Mystery Dungeon
FSK: 12 bis 16
Abgabe für den fünften Wettbewerb mit dem Thema "Zeitreise".
Länge: 1799 Wörter
Seine Pfote umklammerte das Abzeichen so fest, als würde es dadurch auf magische Art und Weise die Antworten auf seine Fragen ausspucken. Tatsächlich blieb die metallene Platte auch nach mehreren Minuten in seinem felligen Schwitzkasten stumm.
Cryk seufzte. Dialga hatte ihm gesagt, es würde ihn zu den perfekten Zeitpunkt schicken, um die Ereignisse umzudrehen. Um zu verhindern, was verhindert werden musste. Auch wenn der Gedanke an die Tat, die er vollbringen musste, in seiner Brust schmerzte. Er war nach wie vor nicht sicher, ob er es überhaupt konnte. Weitere Information hatte ihm selbst das legendäre Pokémon nicht geben können; die Zeit würde den Rest entscheiden.
Das Bamelin schritt über den Marktplatz, der nur wenig Ähnlichkeit mit dem hatte, den es kannte. Keine Geschäfte, keine Snobilikat-Bank, ja, nicht mal die Gebrüder Kecleon konnten seine Augen ausmachen, dafür wohl einige reisende Händler. Wie weit war er nur in der Zeit zurück gereist?
Eine Gruppe Pokémon hatte sich am Rand des Platzes versammelt und war angeregt am diskutieren. Unauffällig stellte sich Cryk dazu, um ihrem Gespräch zu lauschen.
„Nicht mehr lange, dann wird unser Prinz geboren“, sagte ein Teddiursa, das mit dem Rücken zu ihm stand, ganz aufgeregt.
Das Bamelin nickte nur für sich selber ganz leicht. Kurz vor der Geburt des Prinzen also. Das war jetzt... achtzehn Jahre her? Müsste hinkommen.
Einerseits bedeutete das für Cryk, dass er wohl keine Angst haben musste, sich selber zu begegnen, da er um einiges jünger als der Prinz war, andererseits musste er sich nach wie vor in einer ihm unbekannten Zeit navigieren. Dass er alleine war, verbesserte seine Situation auch nicht weiter.
„Ja“, stimmte das Kadabra daneben zu, „dann werden wir auch endlich einen Propheten haben.“
Seitdem sich die beiden Familien, die einst jeweils über einen Teil des Landes geherrscht hatten, in Frieden zu einer einzigen vereint hatten, war es seit Jahrhunderten normal, dass die Kinder des Königs oder der Königin als Zukunftsseher fungierten. Der Ältere erhielt dabei die Rolle des Sehers, der Prophezeiungen von den Göttern empfing während sein Bruder oder seine Schwester die des Propheten übernahm und sobald er volljährig wurde, wandelte er seine Form entsprechend der zu erwartenden Ereignisse. Da die Propheten von der Familie der Eeveeliten abstammte, handelte es sich bei ihnen fast ausschließlich um Evoli. Auf der anderen Seite waren die Seher meistens Absol, da sie vom Stamm der Nocti abstammten.
Gemeinsam sorgten sie für eine gute Zukunft des Volkes.
Cryk biss sich auf die Lippe, als ihm wieder einmal klar wurde, dass er hier war, um dieses Gleichgewicht zu zerstören. Dass die Prinzessin ihn geschickt hatte, damit er ihren Bruder eliminierte. Ihren geliebten Bruder.
Das Bamelin war so in seinen eigenen Gedanken versunken gewesen, dass es das andere Pokémon nicht bemerkt hatte. Erst als es das Abzeichen aus der Pfote des Bamelin zog, drohte sich dieses alarmiert um.
„Hübsches Metallplättchen hast du da“, kicherte der Fremde und drehte es zwischen seinen Krallen, „du bist Teil eines Rettungsteams? Beeindruckend, ist nicht leicht, da reinzukommen.“
Cryk beruhigte sich wieder etwas, scheinbar ging von dem Fremden keine Gefahr aus.
„Aber ein Bamelin hier? Das ist selten.“ Der Fremde löste seinen Blick von dem Abzeichen und sah stattdessen Cryk an.
„Sniebel sieht man hier auch nicht oft“, erwiderte Cryk in der Hoffnung, dass es der Wahrheit entsprach.
Das Sniebel zuckte mit den Schultern und reichte ihm sein Abzeichen. „Ich gehe dahin, wo mein Weg mich hinführt. Hier hast du dein Abzeichen wieder, Pumpkin.“
Cryk nahm die Platte und verstaute sie in seiner Tasche, wo sie hingehörte. „Ich heiße übrigens nicht Pumpkin, sondern David.“ Natürlich stellte er sich nicht mit seinem echten Namen vor. Auch wenn er zu dieser Zeit noch nicht mal geboren war, musste man sein Glück nicht auf die Probe stellen.
„Ich mag Pumpkin lieber“, entschied das Sniebel, „mich kannst du Jack nennen.“
Cryk nickte, auch wenn er bezweifelte das fremde Pokémon jemals wieder zu sehen. Immerhin sollte er sich in dieser Zeit nicht allzu lange aufhalten. Wo er gerade dabei war...
„Ich muss weiter“, kündigte das Bamelin an, „freut mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Jack.“
„Ciao.“ Das Sniebel winkte ihm zum Abschied während sich das Wiesel langsam entfernte.
Der Abend kam schnell und bisher hatte Cryk eher weniger Fortschritte machen können. Nach wie vor war ihm nicht klar, was genau diesen Zeitpunkt so optimal machte. Vielleicht sollte er warten, bis der Prinz geboren wurde und dann seinen Zug machen, doch das erschien ihm unnötig grausam und zudem wäre es immer noch ein Monat bis dahin. Zumal ein Neugeborenes wohl die besten Wachen des Schlosses erhalten würde und das Bamelin war nun mal kein Assassine, sondern ein Retter. Als optimale Möglichkeit sah er das also nicht an.
Seufzend erhob sich auf die Pfoten und entschied sich dazu, noch eine Runde durch die Hauptstadt zu drehen, um hoffentlich noch Informationen sammeln zu können.
Die Abendluft war frisch, aber nicht zu kalt um unangenehm zu sein und - gerade nach der Wärme des Tages - war die Kühle willkommen.
Auf dem Marktplatz waren einige Pokémon versammelt, höchstwahrscheinlich auf dem Weg zu einer der vielen Stadtschänken in der Nähe, doch Cryk schlug einern komplett anderen Weg ein, der ihn zum Schloss führte. Der öffentliche Teil des Gartens war um diese Uhrzeit noch für Besucher offen. Die Ceasurio, die den Eingang bewachten beäugten ihn kurz, schenkten ihm aber keine weitere Beachtung.
‚Wenn die wüssten...‘, ging es ihm durch den Kopf, beendete seinen Gedanken aber nicht, als er im Augenwinkel etwas wahrnahm. Doch als er den Kopf drehte, war dort nichts anderes zu sehen als Bäume, die den Weg zierten und an heißen Tagen Schatten spendeten. Er entschied sich, seine Hirngespinste zu ignorieren und folgte dem gepflasterten Weg durch den beeindruckenden Garten, wenngleich die Wirkung nach all Besuchen, die er ihm schon in seiner eigenen Zeit gespendet hatte, doch etwas abflachte. Als er daran zurück (oder doch vor-?) dachte, wie er sich gefühlt hatte, als er das erste Mal die Hauptstadt gesehen hatte, musste er lächeln. Als Bamelin aus einem Dorf am anderen Ende der Welt war es wirklich ein unglaublicher Anblick gewesen, doch inzwischen hatte er sich daran gewöhnt und fand sich gut zurecht.
Plötzlicher Trubel rissen ihn abrupt aus seinen Gedanken. Einige Ceasurio rannten nur ein paar Meter entfernt aufgeregt durcheinander und riefen sich Sachen zu. Cryk konnte nicht wirklich etwas verstehen, doch ein paar Sätze konnte er ausmachen.
„Haltet ihn auf!“
„Schaut, ob die Königin in Ordnung ist!“
„Schnell!“
Cryk schluckte schwer, doch traf seine nächsten Entscheidungen innerhalb von Sekunden. Das war höchstwahrscheinlich seine beste Chance. Er duckte sich in einen Busch, um nicht von den Wachen entdeckt zu werden und folgte dann unauffällig zweien von ihnen, die nach der Königin schauen wollten.
Sie bemerkten ihn erst, als sie sich bereits in der Eingangshalle des Schlosses befanden. Das Erste besiegte er mit einem schnellen Power-Punch, doch das andere traf mit seiner Metallklaue seinen Rücken, sodass das Wiesel einige Schritte zurück taumelte, bereit zurückschlagen, doch da wurde der Wächter plötzlich von seinen Füßen gerissen und traf den harten Boden.
„Pumpkin, hi!“, begrüßte ein bekanntes Gesicht ihn und das Bamelin staunte nicht schlecht.
„Was machst du hier?“, stieß das Hermelin nur aus und konnte seinen Blick nicht von Jack lösen.
„Könnte dich dasselbe fragen“, erwiderte das Sniebel und es wurde still zwischen den beiden, bis Jack wohl einsah, dass das Bamelin nicht auf die Gegenfrage antworten würde.
„Ich schätze, ich sollte mich wohl outen“, seufzte er dann, „ich bin ein Mitglied der Black Feathers.“ Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht während Cryk seine Fassung verlor.
Black Feathers. Eine Gruppe von Pokémon, die die Familie der Nocti - von der der Seher der Königsfamilier abstammte, huldigten und die Eeveeliten verachteten. Und da wurde Cryk bewusst, warum er heute hier war. Black Feathers wollte nichts mehr als den Propheten tot sehen.
„Du bist hier, um den Prinzen zu töten“, sprach Cryk seine Gedanken aus und seine Mimik wurde wieder ernst.
Jack nickte. „Das war zumindest der Plan, aber meinen Partner haben sie erwischt. Alleine wird das unmöglich, deswegen wollte ich mich aus dem Staub machen.“
„Ich werde dir helfen.“ Ein Stich in seiner Brust. „Ich begleite dich bis zum Schlafgemach und halte dir den Rücken frei.“ Er hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. „Ab dann überlasse ich es dir.“ Der Schmerz in seiner Brust war unerträglich.
Er war ein Verräter, so ein gottverdammter Verräter. Die Königin war immer gut zu ihm gewesen und der Prinz hatte ihn gemocht, mit ihm gelacht, ja, vielleicht hatte man sie sogar als Freunde bezeichnen können.
Doch das war gewesen, bevor er zu einem Monster geworden war, das gerade in der Zukunft seine Heimat zerstörte und unendlich viele Leben nahm.
Jack nickte ihm zu, der Blick entschlossen und fest.
Vor der präcchtig verzierten Türe des Schlafgemachs blieben sie stehen. Cryk hatte aufgehört zu zählen, wie viele sie auf dem Weg hierher besiegt hatten. Mit einem Partner konnte das Bamelin wesentlich besser kämpfen, immerhin waren sie auf Missionen auch immer mindestens zu zweit.
Jack verschwand wortlos in dem Raum, Cryk war ihm dankbar. Er wollte keine Worte mehr verlieren.
Es hielt sich trotz der immer noch herrschenden Gefahr die Ohren zu, um es nicht zu hören.
Als Jack hinaus trat, fiel dem Bamelin zuerst der zerbrochene Edelstein auf seiner Stirn auf. Jack folgte seinem Blick. „Die Königin hat sich doch etwas gewehrt und ihn zerbrochen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Tut nicht weh, also nicht weiter tragisch. Lass uns verschwinden.“
Cryk hatte die letzten Worte kaum noch wahrgenommen und auch seine Sicht begann zu verschwimmen. Nur einen Moment später verlor er das Bewusstsein.
Das Erste was ihm beim Erwachen auffiel waren die furchtbaren Kopfschmerzen, die ihn plagten, dann, dass er offensichtlich wieder in seiner Zeit zurück war.
‚Stimmt, Dialga hatte gesagt, ich würde automatisch zurückkehren.‘
Er war Tag und die Sonne strahlte durch das Fenster ins Schlafgemach der Basis des Retterteams, doch außer Cryk war keiner hier. Beim Aufstehen beschwerte sein Körper sich lauthals, doch das Bamelin ignorierte seine schmerzenden Muskeln. Es musste jetzt mit den anderen sprechen.
Tatsächlich fand es zwar keines seiner Teammitglieder, dafür aber seinen Mentor, der mit dem Rücken zu ihm gewendet im Versammlungszimmer saß und etwas las.
„Du bist wieder bei uns“, stellte sein Mentor fest, ohne den Blick zu heben. Natürlich hatte er ihn bemerkt. Var war nicht nur ein Mentor für das Bamelin, sondern auch ein Freund. Das ältere Pokémon wusste immer einen Rat und hatte Cryk schon oft geholfen.
Plötzlich fiel dem Hermelin eine lange Narbe auf dem schwarzen, felligen Rücken des anderen auf, die es noch nie bemerkt hatte. Dabei war sie ziemlich auffällig.
„Was ist mit dieser Narbe?“, fragte Cryk erschrocken.
Da drehte sein Mentor sich zu ihm um. Der Edelstein auf der Stirn des Snibunna war zerbrochen.
„Wir haben alle Dinge getan, die wir bereuen, nicht, Pumpkin?“