Berlin 30 April 1945: Herz des Reiches
Zwei Tage waren vergangen... zwei Tage und ich hatte fast alle meine Leute verloren. Vorgestern hatten wir noch 10 Panzer von 12...jetzt nur noch einen einzigen und der ist stark beschädigt und die Besatzung...bis auf den Fahrer alle verstorben, als wir von Deutschen angegriffen wurden, als wir uns gerade ausruhten. Natürlich wusste ich, das es nicht leicht werden würde... aber das wir so viele Männer verlieren würden hätte ich nicht gedacht.
Und ich hatte niemanden mehr...Mikhail fiel in Stalingrad, Nicholai starb hier in Berlin und auch mein einziger Freund, Vladimir, starb gestern durch den Mörserhagel der Deutschen. Wir hatten Hunger, einige waren schwer verletzt und unser letzter Sanitäter wurde von einem deutschem Panzer überfahren, als er Olga helfen wollte. Doch dennoch kämpften wir weiter, wir alle hatten unsere Motive. Viktor wollte seine Frau rächen, der die Kehle von Deutschen aufgeschlitzt wurde, als sie mit der Vergewaltigung fertig waren, bei der Viktor auch noch zusehen musste. Das war wohl, aus menschlicher Sicht, das schlimmste von allem, aber für mich waren die Gründe der anderen an sich egal, ich wollte nur den letzten Wunsch meines Bruders erfüllen.
Wir hatten uns schon weit vorgekämpft und sahen schon unser Ziel...den Reichstag, das Herz des Reiches. Aus den anderen Richtungen kamen unsere Panzer, unsere Soldaten und jeder Trupp hatte einen Flaggenträger, unsere hatte ein Problem... wir mussten ihm das linke Beim amputieren, da sich große Splitter in dieses gebort hatten. Wir mussten ihn stützen und kämpfen konnte er sowieso nicht mehr, doch wir gaben ihn nicht auf. Ebenso gaben aber die Deutschen den Reichstag nicht auf. Die Raketen schossen aus der Eingangshalle, unsere Panzer wurden in Stücke gerissen, Scharfschützenfeuer hallte aus den Fenstern und ich wusste, das würde die härteste Schlacht meines Lebens werden.
„Bringt den Flaggenträger ins Gebäude, ich gebe euch Rückendeckung!“ rief ich Viktor und Andrej zu. Die beiden rannten vor, erschossen beim Ansturm einige Deutsche, während ich hinterher lief und mich um die Scharfschützen kümmerte. „SCHARFSCHÜTZE!“ rief einer der Deutschen...das war eines der wenigen Worte die ich mir gemerkt hatte aus dieser Sprache. Eine Kugel flog knapp an meinem Kopf vorbei und ich warf mich zu Boden. „Wo sind die Schweine?“ fragte ich Nikolaj. Doch ehe er mir antworten konnte, sah ich nur noch wie eine Kugel durch seinen Schädel flog. Sein Blut spritzte mir ins Gesicht und ich schluckte. Ich hatte den eisernen Geschmack von Blut im Mund und musste mich zusammenreißen, da ich kurz davor war mich zu übergeben. Ich hatte vieles gesehen, vieles gehört aber noch nie musste ich fremdes Blut schmecken...es schmeckte so grausam... so widerlich...
„Was machst du da Alexej? Kümmere dich um die Scharfschützen! Sie sitzen im Fenster ganz links und einer ganz rechts. Im obersten Fenster ist ein MG.“ sagte Dimitri und warf eine Granate in Richtung Tür des Reichtags. Einige der Deutschen riefen irgendwas unverständliches, wahrscheinlich ein deutsches Wort für Granate, ehe sie von der Explosion weggeschleudert wurden. Einer der verbrannten Deutschen landete knapp vor mir auf den Boden. Er schien noch am Leben zu sein. Er röchelte, hob seine Hand und packte mich am Knöchel. Man sah ihm an, das er große Schmerzen hatte aber man sah auch die Reue in seinen Augen. Mit seiner linken Hand, an der Mittelfinger und Ringfinger fehlten, deutete er auf meine Maschinenpistole. Ich wusste, was er von mir wollte und ich erfüllte ihm seinen letzten Wunsch. Ich griff zur Maschinenpistole und hielt sie ihm vor die Stirn, ehe ich abdrückte. Er zuckte kurz auf, ehe er sich dann nicht mehr rührte. Langsam hatten wir uns den Weg bis zum Eingang frei gekämpft und ruhten uns erstmal am Eingang aus, zumindest ein paar von uns. Da saß ich nun, hörte meinen Leuten ein wenig zu. Dimitri trank sich Mut mit Alkohol an und redete irgendwelchen Blödsinn. „Wenn du so weiter machst, kehrst du nie zu deiner Familie zurück, Dimitri.“ sagte Viktor mit einem ernstem Ton in seiner Stimme.
Ihm lag ziemlich viel an dieser Aktion hier. Ich lehnte mich an eine Wand und dachte nach. Meine Mutter hatte damals meine beiden Brüder und mich in den Krieg verfrachtet. Wollte das wir „Helden“ werden auf die sie stolz sein konnte. Und nun? Nicholai und Mikhail...starben für nichts. Sie starben keinen Heldentot, sie starben wie Tiere. Vater verschwand in Stalingrad, meine Cousins fielen entweder in Stalingrad, oder wurden mit ihren Häusern niedergebrannt. Das einzige, was ich noch wirklich an Familie hatte...war meine Mutter. Und sie war Schuld daran, das ich meine beiden geliebten Brüder verloren habe. Während sie schön in Moskau sitzt, kämpfen wir hier um unser Leben. Sollte eine Mutter einen nicht beschützen?
Doch meine Gedanken wurden schnell verdrängt, als ein Kommissar rief, das wir nun endlich weiter kämpfen sollten. Also stand ich auf und ging langsam vor. Mit der PPSh in der Hand und dem Willen zu überleben, trat ich eine Tür auf, woraufhin ein Deutscher zu Boden ging, der dahinter stand. Ich erschoss ihn gnadenlos, ehe ich über seine Leiche hinweg stieg. „Das ist Kampfgeist, Genossen!“ rief der Kommissar und lachte freudig dabei, doch ich versuchte es zu ignorieren und ging einfach weiter. Mir waren diese Komplimente egal. Die Deutschen waren Monster, doch meine Genossen waren nicht besser.
Doch nur wenige wussten, das ich so von ihnen dachte. „Hey, dort hinter der Tür ist etwas!“ rief unser Kommissar und schickte Viktor zur Tür. Man sah schon an seiner Gangart, das er sehr aggressiv war und ich wusste, das, was auch immer hinter dieser Tür war, gleich sterben würde. Ich beobachtete Viktor dabei, wie er mit seiner PPSh durch die Tür schoss und nachdem ein Schrei ertönte, trat er die Tür auf und schoss einfach sein ganzes Magazin in den Raum. Ein dumpfer Laut war zu hören und Blut lief unter Viktors Füße.
„3 Schweine...Raum ist sicher.“ sagte er kalt und als er an mir vorbei wollte, sah ich ihn an. „Ich dachte...du wolltest nicht so werden wie sie...“ flüsterte ich und er sah mich kurz an. „Mudak...“ bekam ich als Antwort und er ging einfach weiter. Meine Genossen gingen an mir vorbei und ich versuchte gerade, zu verarbeiten, was man mir gerade an den Kopf geschmissen hatte. „Alexej, beweg dich! Die Deutschen müssen bezahlen!“ rief der Kommissar und langsam drehte ich mich zu ihm um, nickte und folgte ihm. Es dauerte nicht lange, bis wir in einer großen Halle ankamen, überall waren Sitze, am Ende des Raumes eine Art Tribüne. Hier hatten wohl früher die Besprechungen der großen Männer Deutschlands stattgefunden. Ich sah, wie einige einfach weiter gingen doch ich wartete ab. Es war viel zu ruhig geworden. Ein Schuss fiel, unser Kommissar ging mit einem Loch im Kopf zu Boden. Die Kugel hatte ihm hinter seinem linken Ohr erwirscht. Wir suchten und Deckung hinter den Sitzen und ich hörte immer wieder die Schüsse der Scharfschützen, wenn sie jemanden sahen der nicht schnell genug unten war. Ich hörte die Schreie meiner Genossen...und ich spürte Wut in mir...große Wut.
Ich wollte gerade losstürmen doch da sah ich, das Viktor das selbe versuchte. Er wollte die Treppen hoch und sich wohl um die Scharfschützen kümmern, doch bevor er überhaupt in die Nähe der Treppe kam, bekam er eine Kugel in den Rücken. Blutend ging er zu Boden. Auch wenn er mich beleidigt hatte, auch wenn er ein Monster war...er war ein Genosse...ich musste ihm helfen. Also kroch ich über den Boden zu ihn und musterte ihn kurz. „Alexej...“ keuchte er und ich wusste jetzt schon, er würde sterben. So wie auch meine Brüder. „Ja Viktor?“ fragte ich ihn, während hinter mir mehrere meiner Genossen fielen. „Kümmere dich um die Scharfschützen... ich habe versagt...ich konnte meine Frau nicht rächen. Ich konnte diese...Mudaks...nicht bezahlen lassen.“ sagte er und hustete. „Doch Viktor, du hast viele von ihnen getötet, mehr als Nicholai. Deine Frau, deine Familie...sie wären stolz auf dich.“ antwortete ich ihm und er lächelte. „Danke...Alexej... ich habe dich wohl...falsch eingeschätzt...“ brachte er noch heraus, ehe sich seine Augen schlossen und er aufhörte, zu atmen. Ich wusste, was meine Aufgabe war. Ich würde es zu Ende bringen. Das war ich meinem Land schuldig.
„Alexej ist sich selbst nicht sicher was er tut. Einerseits will er sich rächen, andererseits aber will er kein Monster werden, obwohl er schon seit Stalingrad eines ist. Seine Gedankengänge mögen verwirrend sein, doch das liegt an dem Trauma, was ihn plagt."