Kapitel 1 Zwei Seelen
Brief
Akina, du weißt, du bist die beste Freundin, die ich je hatte. Ich verspreche dir zu schreiben, sobald ich angekommen bin. Es tut mir echt super leid, dass wir uns nicht mehr sehen konnten. Ich wünsche dir eine superschöne Zeit für die Zukunft, wir sehen uns wieder.
In Liebe deine Freundin Naori.
Mit diesem Brief veränderte sich mein ganzes Leben. Es war im Jahr 2001, da verabschiedete ich mich von meiner beste Freundin für eine sehr lange Zeit. Naori verreiste nach der Mittelschule nach Deutschland um eine Ausbildung zu machen und ich blieb hier in Japan ganz allein. Schon wieder allein, so wie damals bevor ich Naori kennengelernt habe.
Es war im Jahr 1989. Ich ging in den International Kspace Kindergarten. Es lag nicht weit weg von Naoris Detektei damals war es noch ein Reisebüro. Ich weiß es noch als ich das erste Mal hinein kam, als wäre es erst Gestern gewesen. Direkt nach dem eintreten, kam ich und meine Mutter damals in einen kleinen aber gemütlich eingerichteten Flur. Die Wände waren zur Hälfte Blau bemalt und der Rest läutete in einem strahlenden Gelb. An der blauen Wand zu meinen Rechten hingen kleine Regale und darunter Hacken wo die Kinder ihre Jacken hinhängen konnten, unter den Jacken etwa zwanzig Zentimeter vom Boden war eine blaue Holzplatte montiert und die Schuhe der Kinder standen darunter. Ich lief an diesen ganzen Hacken und Regalen verwirrt vorbei, bis ich endlich den Hacken fand, welcher für mich reserviert wurde. Ich freute mich darüber und zog mir sofort meine orangene Jacke und meine roten Schuhe aus. Ich hing die Jacke an den Hacken und zog meine weißen Häschen Hausschuhe an.
Jetzt finde ich es lustig aber früher mochte ich Hasen und alles was damit bedruckt wurde. Mein Rucksack sah aus wie ein Hase. An meiner Jacke waren Hasen und sogar meine langen Haare hatten Hasenklammern gehabt. Oh ja die alte zeit im Kindergarten, die werde ich wohl nie vergessen. Als ich mit meiner Mutter in den Aufenthaltsraum kam, war ich total begeistert und erstaunt. Da ich sehr schüchtern war, konnte ich meine Freude schlecht zeigen, aber ich hüpfte innerlich vor Freude hin und her. Der riesige Raum welcher etwa 80m² hatte, war sehr geräumig und total Bund. Dieser Raum war in zwei Teile aufgeteilt. In einem Teil war der Boden mit den bunten Sicherheitsmatten verlegt und es befand sich ein bunter Kreis. Aus verschiedenen fröhlichen Farben lagen kleine Sitzkissen und Turngeräten aus hartem Gummi. Die Kinder konnten auf denen sitzen oder klettern und turnen. Ich mochte am liebsten das orangene Kissen welchen Richtung Fenster lag.
„Es war immer mein Lieblingsplatz. Ich spielte immer darauf, leider allein. Auch jetzt bekomm ich einen Kloss im Hals wenn ich nur daran denke, wie lange ich allein war. Es tat immer weh, alles allein zu machen. Keiner im Kindergarten mochte mich. Warum? Fragte ich mich immer wieder, leider fand ich nie eine Antwort.“
Ich hatte es bis jetzt nie verstanden, wieso keiner mit mir etwas zu tun haben wollte. Ich habe mich trotzdem tapfer geschlagen und alles mitgemacht. Immer nachdem der Kindergarten begann, mussten sich alle in die Mitte des Raumes setzen. Alle Kinder schnappten sich ein Kissen und setzen sich im Kreis um den ganz großen, gelben Gummikreis in der Mitte herum, auf dem stand ein kleiner runder, weißer Holztisch mit sehr kleinen Holzfüssen. Auf dem lagen viele Bilderbücher, welche ich mir am liebten angesehen habe.
„An das eine Buch kann ich mich jetzt noch sehr gut erinnern, es ging um eine kleine wandernde Maus Namens Kira, das Buch hieß „Die Waldreise“, das mochte ich am aller liebsten.“
Im zweiten Teil des Raumes waren in zwei Reihen viele braune Holztische auf weichen Tatamimatten aufgestellt. Da konnten die Kinder essen und später auch lernen. Direkt dahinter befand sich eine kleine, in derselben Farbe Holzküchenzeile, wo das Essen vorbereitet wurde. Es befand sich ein kleiner Kühlschrank, ein Herd aber nur für die Erwachsenen, ein Waschbecken, eine Spülmaschine und Schränke wo das Geschirr aufbewahrt wurde. Direkt neben der Küchenzeile war eine Tür die in einen kleinen Flur rausging und dahinter befanden sich die Toiletten. Von dem kleinem Flur konnte man auch in den Hof gelangen und da fand ich es immer wieder schön. Es war zwar nichts Besonderes. Der Erde war nicht mit Rasen bepflanzt, es standen auch nicht wirklich viele Spielgeräte, aber ich fand es trotzdem schön. Wir konnten hier Fahrrad fahren, Ball spielen, auf einer sehr großen roten Rutsche rutschen, oder die Plastikflaschen welche am Zaun standen mit Wasser befühlen.
„Ich erfuhr erst viel später wozu diese Flaschen da überhaupt standen. Die mit Wasser befüllten Flaschen sollte den Kindergarten vor Cäsium-Strahlung schützen. Ich hatte keine Ahnung davon aber wenn Frau Matsui, sagte wir sollte die mit Wasser füllen, freuten wir uns darüber.“
Viel Ahnung hatte ich damals von dem ganzen nicht, ich war gerade mal 3 Jahre alt, sehr klein und total schüchtern. Deswegen wurde ich immer von zwei Jungs in der Gruppe gehänselt und ausgelacht. Ich spielte immer allein, keiner wollte etwas mit mir zu tun haben. Die Kinder sagten immer:
„Wir spielen nicht mit Heulsusen.“
Das tat weh, denn ich hab ja nur geheult, weil die beiden Jungs mich ärgerten. Ich mochte die Zeit im Kindergarten nicht, auch wenn ich jetzt noch daran denke bekomme ich Gänsehaut davon. Ich flehte meine Mutter immer an, mich zu Hause zu lassen, doch es ging auch nicht, sie musste arbeiten, sonst hätten wir nichts zu essen gehabt und das wäre noch schlimmer als gehänselt zu werden. Also hielt ich es Tag für Tag aufs Neue aus. Auch wenn die Kindergärtnerin Frau Matsui immer wieder mit den Jungs schimpfte und sie bestrafte, machten sie trotzdem weiter und hörten nicht auf. Ich hoffte, dass es bald zu Ende ging und ich auch, wie alle Kinder in der Gruppe, glücklich spielen konnte.
Dieses Glück bekam ich zu spüren, als ein neues Mädchen zu uns in die Gruppe kam. Sie war etwas größer als ich und hatte ein wunderschönes gelbes Kleid, mit großen roten Blumen an. Ihre braunen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden und mit ihren großen, wunderschönen, glänzenden Augen betrachtete sie den Raum, in welchem sie sich befand. Sie schaute in die Gruppe und ihre Mutter, eine hübsche, junge, kleine, zierliche Frau in einem blauen Kleid, unterhielt sich mit der Frau Matsui. Was die beiden Erwachsenen besprochen haben, hatte mich nicht interessiert, aber die neue wollte ich sehr gerne kennenlernen. Also ging ich zu ihr hin und sprach sie an:
„Hallo, ich bin Akina.“
Sie sah mich mit ihren großen Augen an, lächelte sanft und antwortete:
„Mein Name ist Naori, wollen wir zusammenspielen?“
Ich hüpfte vor Freude in die Luft. Es war das erste Mal, dass jemand freiwillig mit mir spielen wollte. Ich konnte es nicht glauben. Jemand wollte gerade mit mir mit dieser kleinen, hässlichen Heulsuse spielen.
„Klein und hässlich, deswegen weil als ich mich im Kindergarten keiner beachtete, fing ich an mir zu zweifeln. Ich fand auf einmal meine Haare doof! Meine Hände wurden zu kleinen knochigen Griffeln. Meine Nase wurde mir auf einmal zu groß und ich fand mich einfach viel zu klein. Ich konnte es nicht erklären, aber ich fand immer wieder etwas an mir auszusetzen. Meine Mutter schleppte mich deswegen sogar zum Arzt aber er konnte mir auch nicht helfen.“
Ich freute mich sehr über dieses Angebot von Naori und antwortete freudestrahlend:
„Klar, möchte ich mit dir spielen.“
Ich war überglücklich. Ich mochte es mit Naori zu spielen und Naori spielte sehr gerne mit meinen langen Haaren. Sie hatte sie mir gekämmt und Zöpfe geflochten. Die anderen in der Gruppe mochten es nicht, dass Naori immer nur mit mir spielte und nicht mit den anderen, deswegen wollten die beiden Jungs auch sie immer ärgern. Ich warnte sie davor, doch sie ließ es nicht auf sich sitzen und verpasste ihnen eine Abreibung. Sie sperrte die Jung auf der Toilette ein und warnte sie:
„Wenn ihr nicht aufhört Akina zu ärgern würdet ihr es bereuen.“
„Wir haben keine Angst vor dir!“, riefen sie lauthals zurück.
Ich hatte Angst denn die beiden waren ja sehr gemein zu mir, also sprach ich zu Naori:
„Lass sie bitte raus, ich will nicht, dass sie uns etwas antun. Ich habe Angst davor.“
Ängstlich zitterte ich am ganzen Körper, doch Naori machte sich nichts daraus und beschwerte sich bei der Frau Matsui. Sie meckerte zwar mit Naori, weil sie die Jungs eingesperrt hatte aber die haben dann auch ärger bekommen und ließen uns vorerst in Ruhe. Ich war sehr froh darüber, dass Naori da war, denn sie hatte mich immer beschützt. Sie war für mich wie eine große Schwester, welche sich immer für schwächeren einsetzte.
Die Jungs versprachen uns an den Tag, sie würden uns in Ruhe lassen, weil sie Angst bekamen, doch sie rächten sich an uns und das werde ich Ihnen nie verzeihen. Sie sperrten Naori und mich in der Küche in ein der leeren Schränke ein und verriegelten die Tür. Wir kamen nicht mehr raus. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut und Panikattacken wenn ich nur daran denke. Auch jetzt wo ich das gerade nur aufschreibe, hab ich schon stechende Schmerzen im Magen und meine Finger fangen an zu zittern.
Ich bekam Panik, weil es ganz dunkel war und fing an zu zittern und zu weinen. Mein Atem stockte zwischendurch und ich konnte kaum sprechen. Die stickige Luft im Schrank erschwerte es noch umso mehr. Ich ertastete langsam Naoris Hand und sprach mit zitternder Stimme:
„Naori, bist hier?“
Zuerst bekam ich keine Antwort und wurde hysterisch.
„Naori, antworte bitte!“
Ich konnte nichts sehen, alles war dunkel und still. Zu still. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Also schrie ich so laut ich konnte:
Naori, ich habe Angst!“
Doch dann verspürte ich eine kleine, weiche Hand auf meiner Schulter und eine sanfte Stimme erklang wie eine beruhigende Melodie in meinen Ohren:
„Hab keine Angst, ich bin ja bei dir. Wir kommen hier wieder raus, versprochen!“
„Bist du sicher?“, fragte ich erleichtert und atmete tief durch. Ich beruhigte mich langsam und konnte wieder besser atmen.
„Klar, ich hab dir ja versprochen, dass dir nie wieder etwas passieren wird, deswegen weiß ich auch, dass wir hier rauskommen werden.“ Naori überraschte mich immer wieder. Ihre einfache Art zu denken und zu überlegen war für mich ein Rätzel. Sie war immer so ruhig und entspannt, ganz im gegen teil zu mir. Ich verfiel immer sofort in Panik und wurde hektisch oder ungeduldig. Das brachte Naori immer auf die Palme, aber sie war trotzdem immer ruhig egal was sie mit mir alles erlebt hatte.
„Ich bewundere diese Frau noch immer, genau so wie damals in diesem zu kleinen, viel zu engen und sehr dunklen Schrank.“
Es war so dunkel, dass ich nichts sehen konnte und auch nicht wusste, wo vorne oder hinten ist. Das Einzige, was ich wahrnahm, war Naoris warmer Körper, welcher mich an sich drückte und ihr warmer Atem, welcher mir das Gefühl gab, nicht allein zu sein. Ich beruhigte mich langsam und auf einmal wurde die kleine quietschende Tür geöffnet. Das grelle Licht des Raumes blendete mich, ich verschloss auf die schnelle meine Augen und drehte mich weg. Im nächsten Moment freute ich mich, dass wir endlich, diesen blöden Schrank verlassen konnten. Ich lief verzweifelt und weinend in die Hände meiner Mutter und Naori rannte aufgelöst zu ihrer Mutter in die Arme. Das hatte ich nicht gedacht. Solange wir zwei im Schrank waren war sie ganz ruhig und entspannt, ich hatte es gar nicht gemerkt, dass sie auch weinte oder Angst hatte. Sie sagte zwar zu mir immer wieder, wir würden da raus kommen, doch ich denke, geglaubt hatte Naori selber nicht daran. Erst als wir den Kindergarten verlassen haben, begriff ich, dass wir aus diesem Schrank raus waren. Am nächsten Tag kam ich nicht in den Kindergarten, weil ich vor der Aktion im Schrank solche Angst hatte, dass ich krank wurde. Ich bekam Fieber und Bauchschmerzen. Meine Mutter ließ mich zu Hause. Naori und ihre Mutter besuchten mich am Nachmittag. Sie erzählte mir, dass die beiden Jungs Hiroki Matsumoto und sein bester Kumpel Daisuke Fujima von der Frau Matsui ganz schön Ärger bekommen hatten. Sie würden sicher nicht noch mal versuchen uns zu ärgern. Naori versprach mir noch einmal, immer auf mich aufzupassen. Das merkte ich mir und wir wurden unzertrennliche Freundinnen. Wir gingen zusammen durch dick und dünn und überstanden alle Hindernisse zusammen. Mit Naori als Freundin verging die Kindergartenzeit für mich sehr leicht, so lernten wir fleißig und bestanden die Prüfungen für die Grundschule. Ab da musste ich wieder bangen und hoffen, dass Naori und ich in eine Klasse kommen könnten.
Kapitel 2 Alles ist möglich
Endlich war es soweit, es war der erste April im Jahr 1992. Wir versammelten uns alle um Acht Uhr vor einem U-Förmigen Gebäude mit vielen Fenstern, welches mit Luftballons und Luftschlangen geschmückt war, es waren zwei Eingänge und in der Mitte davon, vor dem Bäumen, stand eine große Bühne mit Stühlen und einem Pult mit Mikrofon. Der leichte Aprilwind heulte sanft und die schönen Ginkgoblätter tanzten im Wind wie kleine Schmetterlinge. Die frische Luft roch nach Frühling und ich hab in den Gesichtern der Schüler gesehen, dass sie nicht wirklich Lust hatten, bei diesem schönen Wetter zur Schule zu gehen. Die Einschulung war ein sehr großes Fest. Alle Einschulkinder hatten so gut wie das gleiche an. Die Mädchen hatten eine weiße Bluse an mit schönen rosa oder weißen Knöpfen und einen schwarzen Rock, welcher farbig zu den schwarzen Schuhen passte. Die weißen Strümpfe zeigten ihre eleganten schönen Beine. Die Jungs hatten ein weißes Hemd oder T-Shirt an und dazu eine schwarze kurze Hose, welche auch mit schwarzen Schuhen sehr schön kombiniert wurde. Ich erinnere mich noch, es gab viele feierliche Ansprachen und sehr viel Musik. Der Direktor der Schule Herr Yoshida, ein sehr kleiner Mann mit breiten Schultern, kam mit schweren erschöpften Schritten zum Pult. Der zu enge schwarze Anzug platze fast an seinem großen Bauch. Durch seine dicke, runde Brille auf der geraden Nase und mit viel zu roten Lippen schaute er in die Menge. Da ich weiter hinten stand, bekam ich nicht alles mit was vorne vorgefallen war, aber in der Menge hörte ich eine Dame vor sich brummeln welche an mir vorbei ging:
„Mann, wie der Direktor nach Parfüm stinkt, das ist ja nicht auszuhalten, als hätte er die ganze Fabrik auf sich geschüttelt. Das riecht man ja bis hier.“
Diese Dame hatte nicht übertrieben es roch wirklich etwas nach Parfüm, aber ich dachte es wäre einer der Erwachsene hinter mir. Ich drehte mich nach Hinten und sah, dass diese Frau sich ganz hinten hinstellte und von da weiter hin zu hörte. Aber das was ich hinter meinem Rücken hörte war ja auch nicht besser:
„Man, er muss ja aufpassen, dass er die Knöpfe nicht verliert!“
„Ich hoffe hinter dem Pult steht ein Stuhl oder etwas anderes sonst könnten wir Sie ja gar nicht sehen!“, das wurde von ganz hinten gerufen.
Alle drehten sich dahin und fingen an zu lachen. Ich traute mich nicht und kicherte leise vor mich hin. Der Direktor stellte sich aufs Podest welcher anscheint dahinter stand, weil seine Halbglatze hinter dem Pult zum Vorscheinen kam und sprach mit einer tiefen, rauen, verrauchten Männerstimme:
„Liebe Erstklässler und ihre Eltern mein Name ist Yasuo Yoshida und ich bin der Direktor von der Teitan Grundschule, ich danke Ihnen dafür, dass Sie alles so zahlreich erschienen sind. Es ist mir eine große Ehre auch dieses Jahr wieder so viel neue Schüler und Schülerinnen in unsere Schule willkommen heißen zu können und wünsche daher allen ein schönes und erfolgreiches Jahr. Jetzt lasst die Feierlichkeiten beginnen.“
„War das jetzt alles? Man, er wird sich ja nie ändern!“
„Ja, ich kenn ihn auch noch von der Schule. Er war noch nie der große Redner!“, hörte ich neben mir zwei Damen leise vor sich murmeln.
Den Direktor mit seinem dicken Bauch und genau so dicker Brille fand ich lustig. Er watschelte wie eine dicke Ente von einem Ende des Podests, zum anderen.
„Er wird sich wohl auch nach 20 Jahren nicht ändern“, hörte ich eine männliche Stimme hinter mir reden, als der Direktor vom Podest hinunterstieg und zu seinem Stuhl zurück stolperte.
Nachdem der Direktor die Bühne freigegeben hatte, konnten Kinder der höheren Klassen ihre Kunststücke vorführen. Es gab eine ganze Menge und alles weiß ich auch nicht mehr aber es war auf jeden Fall super toll, viele Eltern und auch Kinder waren so begeistert, dass sie aus der Menge nach Vorne geschrien haben.
„Es war wunderschön!“
„Ihr war fantastisch!“
„Macht weiter so!“, von allen Seiten hörte man etwas nach vorne rufen. Alle klatschten so laut in die Hände als würde die Erde beben, es war so laut, dass ich ein wenig Angst bekam. Ich dachte schon die Erde würde sich spalten so laut war es.
„Ihr seid Unglaublich!“, gab es weiterhin Rufe und Schreie aus dem Publikum.
Ich war genau so begeistert von der Einschulung wie alle anderen Kinder auch, aber ich freute mich noch mehr als es vorbei war. Danach konnte ich endlich nach Hause gehen und da gab es dann ein Einschulungsessen, mit allem was das Herz begehrt. Ich öffnete die Eingangstür und betrat unseren gemütlichen und mit voller Liebe eingerichteten Flur. Die Wände hatte ich damals mit meiner Mutter zusammen in unserer Lieblingsfarbe weiß. Wir hatten eine sehr kleine Wohnung. Von dem kleinen, weißen Flur mit einem Metallregal an der Wand rechst neben der Tür, kam ich sofort nach dem Schuhe ausziehen in den Essraum. Da bemerkte ich, dass wir Gäste hatten. Unsere ganzen Verwandten von meinen verstorbenen Vater aus China waren da und ich freute mich sehr über sie. Mit einer Person hatte ich nicht gerechnet, weil sie sich die Reise nicht antun wollte. So betrat ich ahnungslos den Essraum und sah sie. Die sehr kleine Frau, mit schneeweißen, schulterlangen Haaren und einem runden, faltigen Gesicht. Ihre schönen schwarzen Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verdeckt weil sie fast Blind war. Ich traute meinen Augen nicht. Meine Obaa-San saß mir gegenüber in einer dunkelbrauner Jacke und einer etwas helleren braunen Weste. Ich war vor Freude stehengeblieben und fing an zu weinen und zu Zittern. Ich habe meine Obaa-San immer hin seit dem Tod meines Vaters vor zwei Jahren nicht wieder gesehen. Über ihren Besuch freute ich mich am meisten. Ich lief überglücklich zu ihr hin und umarmte sie vor Glück.
„Oh wie schön! Ich freue mich, dass du da bist Obaa-San!“
Sie steckte ihre Hände nach Vorne, ertastete mich und sprach leise.
„Akina, mein Kind, ich freue mich, dass du schon so groß geworden bist und hoffe, dass du die Schule gut meisterst. Mach deine Obaa-San glücklich.“ Ihre Stimme hörte sich wie Musik in meinen Ohren. Nach so langer Zeit hatte ich schon fast vergessen wie ihre Stimme sich anhört. Ich genoss diese zeit mit meiner Obaa-San.
„Das verspreche ich dir Obaa-San. Ich werde sehr viel lernen und die Schule mit einer sehr guten Note beenden und irgendwann werde ich eine super tolle Arbeit haben.“ Nach diesem Satz, strahlte meine Obaa-San und drückte mich ganz ferst an sich.
Ich hatte mich so über die Obaa-San gefreut, dass ich alles andere vergas obwohl ich schon draußen vor der Tür gerochen habe, dass meine Mutter meinem Kuchen gebacken hatte. Nachdem meine Obaa-San mich losließ flitze ich ganz schnell ins Japanische Zimmer weil meine Mutter dort unseren kleinen schwarzen Tisch gedeckt hatte. Es waren sehr viele leckere Sachen auf dem Tisch, solche wie die Miso-Suppe. Diese Suppe ist sehr lecker mit ein paar Meeresalgen und Tofu schmeckt sie richtig gut aber meine Mama macht da noch Shiitake Pilze rein dann schmeckt die noch besser, finde ich. Dann waren noch auf dem Tisch gebratene Nudeln. Die mochte ich nie so richtig, aber Sushi liebe ich egal welche Sorte und das weiß meine Mutter, deswegen hatte sie davon sehr viel gemacht. Dann hatte sie noch die Saki-Ika die getrockneten Tintenfisch auf den Tisch gestellt die mochte ich auch immer gerne. Dazu gab es dann noch Reiswein. Ich durfte denn nicht, das fand ich doof, aber da war ich ja noch klein. Aber als Mama mein allerliebstes Essen auf den Tisch stellte hatte ich alles vergessen und freute mich riesig:
„Mama hat meinen Lieblingskuchen gebacken! Matscha Kuchen mit Azucki Creme.“
Ich war so begeistert von dem Kuchen, dass ich die komplette grüne Rolle allein gegessen habe.
„Mama, das ist der beste Kuchen auf der ganzen Welt.“, lobte ich meine Mutter mit vollgestopften Mund.
„Dieser unwiderstehliche grasgrüne Kuchenteig und die total leckere Sahnecreme mit Nüssen, davon werde ich nie genug haben.“
Die Verwandten starrten mich mit großen Augen an und konnten es nicht fassen zum Glück hatte meine Mutter von dem Kuchen zwei gemacht, denn von der ersten Rolle hatte keiner was abbekommen.
Direkt nach dem Kuchen, ohne länger zu warten, bestaunte ich meine superschönen neuen Geschenke. Ich bekam von meiner Mutter einen neuen roten Schulranzen mit einer Prinzessin in einem weißen Kleid. Von meiner Tante und meinem Onkel, Papas Bruder bekam ich ein silbernes GPS-Handy und ein Wecker,
„Der Wecker ist dafür da, damit du auch nicht zu spät kommst.“, machte sich mein Onkel lustig über mich.
„Diese rosa Armbanduhr ist von deiner Tante Sharpay die nicht kommen konnte, weil sie ja ein Baby erwartet, weißt du sicher schon und der Flug wäre für sie nicht möglich.“, sagte meine Tante Mai-Lin, das war die zweite Schwester meines Papas.
Ich bekam noch ganz viele schöne, bunte, sehr schicke, dekorative Briefumschläge mit Geld drin. Ich freute mich richtig darüber. Nachdem ich meinem Schulranzen eingeräumt und das Geld weggelegt hatte, rief ich Naori an und wir telefonierten stundenlang über die Schulfeier und die ganzen Geschenke. Sie erzählte mir am Telefon, dass sie auch einen roten Schulranzen mit einer Prinzessin drauf bekommen hatte, nur dass ihre Prinzessin ein gelbes Kleid anhatte. Sie bekam auch einen Wecker und ein GPS-Handy. Das fanden wir beide lustig.
Am nächsten Tag begann dann auch schon die Schule und ich betrat das erste Mal das riesige Gebäude. Ich fühlte mich hier total verloren, so ein kleines Mädchen in so einem großen Gebäude ganz allein. Das war unheimlich. Ich bekam wieder Angst, meine Hände schwitzten aufgeregt und ich hatte keine Ahnung wo ich hinsollte.
Es stank nach frisch gestrichener Farbe und nach Heizungslack, das fand ich widerlich. Ich hielt mir die Nase zu und lief den endlosen langen, weißen Flur entlang und sah mir die vielen Schilder über den braunen Türen an. Die rechte Seite des unendlichen Flurs war mit großen hellen Fenstern verbaut und auf der anderen Seite befanden sich Unzählige von Klassenräumen. Endlich kam ich zu der Klasse, welcher meine sein sollte. Es war die fünfte Tür an der linken Seite des Flurs. Ich öffnete die Tür und betrat den Raum, ich wurde sofort von einer stickigen Luft erdrückt und ich bekam sofort Kopfweh davon. Es war ein heller, großer Raum mit braunen Metalltischen mit einer Holzplatte und Holzstühlen im Raum auf dem dunklen Laminat verteilt. Sehr große Fenster, eine grüne Tafel mit einem Lehrertisch davor ergaben das komplette Bild. Einige meiner Klassenkameraden saßen schon auf ihren Plätzen und warteten auf den Lehrer. Ich ging leise an den Tischen vorbei und setzte mich ans Fenster, nach dem ich es öffnete, um etwas zu lüften. Es tat supergut die frische Luft welche von draußen reinkam, einzuatmen. In dem Moment kam Naori in die Klasse und sah sich um. Es sah so aus als zählte sie die Kinder in der Klasse. Ich hatte das auch gemacht, als ich die Klasse betrat und bemerkte, dass es 15 Jungs und nur 10 Mädchen in der Klasse waren. Nachdem Naori mich erblickte winkte ich ihr zu und lockte sie mit meinem dünnen Zeigefinger zu mir. So kam sie leicht wie eine Maus ans Fenster und setzte sich direkt neben mir.
Naori konnte sich gerade erst hinsetzen als die Lehrerin mit ihren schnellen, lauten Schritten, welche auf den Gang zu hören waren, die Klasse betrat. Sie war eine sehr große Frau mit einer braunen, elegant nach hinten gekämmten Kurzhaarfrisur. Die große Brille an ihrer Stupsnase Nase verdeckte ihre schmalen, aber schönen blauen Augen. In ihrem eleganten, blauen Hosenanzug bewegte sie sich schnell und gezielt zu ihrem Tisch. Ihr Parfüm, welcher leicht nach Rose duftete, übertönte die stickige und eklige Luft im Raum. Sie stellte sich daneben, verbeugte sich leicht und mit einer sehr groben, doch liebevollen Stimme begrüßte sie die Schüler.
„Konnichiwa, mein Name ist Sumiko Nakamura und ich bin eure Lehrerin. Ihr dürft mich Frau Nakamura nennen.“
„Gute Morgen Frau Nakamura!“, sagte die Kinder wie aus einem Mund und durften nacheinander aufstehen und sich vorstellen.
Nachdem alle durch waren, begann die Lehrerin mit dem Unterricht.
So verging die Zeit und Naori und ich mussten so einiges über sich ergehen lassen, um in der Schule gute Noten zu haben. Wir hatten
immerhin sehr viel zu lernen.
Endlich hatten wir Pause. Naori und ich gingen nach draußen auf dem großen Schulhof. Der ganze Schulhof war mit grauen Gehwegsteinen bepflastert. Hinter uns war eine hohe, rundförmige Mauer aus roten Steinen etwa ein Meter hoch. Auf der Mauer wuchsen grüne Pflanzen und kleine Bäume. Wir setzen uns genau gegenüber der Schwimmhalle an die braune Grundstücksmauer und bequatschten die Stunden welche uns zugemutet wurden. Das schöne, blaue Wasser hinter dem Sicherheitsglas lockte mich regelrecht zu sich. Ich liebte schwimmen und die Schwimmhalle war für mich ein Paradies in der Schule. Dieses Plätzchen an der Mauer wurde von dem Tag an unser Stammplatz.
„Immer wenn ich an der Schule mal zufällig vorbei gehe, dann bleib ich stehen und denke an diese Zeit zurück. „
Die frische Luft und der leichte Wind kühlten meine Gedanken und ich konnte endlich tief einatmen ohne Kopfweh zu haben. So saßen wir beide die ganze Pause durch und ich strahlte vor Freude. Ich tanzte in der gegen rum und setzte mich wieder hin, oder ich fing leise an vor mich hinzusingen und das nur weil ich die erste Stunde endlich überstanden habe. Naori dagegen starrte auf die Steine und wackelte verzweifelt mit ihren, hübschen Beinen hin und her.
„Oh Akina, dass ist doch eine Zumutung oder, dass wir schon um 8:30 Uhr in der Schule sein müssen. Da hab ich doch gar keine Zeit mehr zum ausschlafen.“
Naori schnaufte traurig neben mir und senkte ihren Kopf in die Hände.
„Nimm es nicht so schwer, dann wirst du halt lernen früher aufzustehen. Das muss ich doch auch. Wir schaffen es schon zusammen.“, versuchte ich meine Freundin aufzumuntern.
Sie aber starrte nur auf den grünen Rasen und schnaufte:
„Ich mag die Schule jetzt schon nicht und wenn ich bedenke, dass die erste Stunde gleich Japanisch ist, da wird mir schlecht von. Ich mochte es schon zu Hause nicht und auch im Kindergarten mussten wir was davon lernen, ich will wieder nach Hause.“
Naori war einfach nicht zu bremsen. Ich dachte sie steht jetzt auf und geht einfach, aber mir ging es nicht besser:
„Ich hasse auch japanisch wie die Pest. Wenn ich schon daran denke, wird mir schlecht und ich kriege einen Klos im Hals, aber wir müssen da durch, zusammen schaffen wir alles.“
Ich hasste japanisch, ich hätte lieber fünf Stunden hinter einander Sport gemacht als nur einmal in Japanisch Unterricht zu sitzen.
„Ja du vielleicht, ich aber nicht, ich hasse Sport noch mehr als Japanisch. Ich kann Sport nicht ausstehen. Sport ist Mord und es wird immer so bleiben.“
Naori lief vor Wut über den Sportunterricht rot an und beschwerte sich lauthals. Dabei stampfte sie mit lauten, dumpfen Schlägen mit den Fuß auf dem Rasen. Ich konnte sie nicht verstehen und fing an mich etwas zu amüsieren:
„Ach was, du Schlafmütze etwas Sport würde dir nicht schaden, dann bist du wenigstens wieder wach für die nächsten Stunden.“
„Haha sehr witzig Akina. Du weißt ganz genau, dass ich in Sport nicht so gut bin und dann machst du dich auch noch lustig.“
Nachdem Naori sich wieder abregte gingen wir in den Klassenraum zurück, weil die Schulglocke mit einem sehr lauten und ohrenbetäubenden Klang läutete. In der Klasse gab es Gedränge alle wollten ersten sein, leider hatte jeder vergessen, dass wir als zweites Sport hatten und vor der Sporthalle erscheinen mussten. Nachdem es uns wieder einfiel, liefen alle mit lauten, sehr schnellen Schritten und gepolter zur Sporthalle. Dort angekommen wartete der Sportlehrer schon auf uns.
Oh, war der süß! Wie gerne würde ich jetzt wissen wie er jetzt aussieht? Früher war er ein supersüßer, gutgebauter, muskulöser Mann. Er war etwa 1,70 groß und sehr elegant. In seinem blauen Sportanzug sah man bei ihm jeden Muskel und wusste sofort, dieser Mann trieb viel Sport. Sein wunderschönes, ovales Gesicht mit dem kantigen Kinn sah sehr verführerisch aus.
„Ja ich weiß, da war ich erst in der ersten Klasse, aber den Sportlehrer fand ich schon in der ersten Klasse super süß.“
Diese schwarzen, wunderschönen Augen, welche uns böse anschauten machten mich verlegen. Seinen langen, sportlichen Beinen und den muskulösen Armen konnte ich einfach nicht wiederstehen. Egal wie hart er zu uns war ich liebte ihn trotzdem. Naori dagegen hasste den Lehrer und sein Sportunterricht mit jeder Faser ihres Herzens. Aus diesem Grund fand ich Naori so interessant, weil sie so war wie sie war. Naori hasste Herrn Saito und nur weil wir am ersten Tag Strafflaufen machen mussten, weil alle zu spät zum Unterricht kamen. Ich nahm es Herrn Saito nicht übel er machte ja nur seine Arbeit und so freute ich mich jedes Mal auf Sport. Nachdem es zur Pause klingelte durften wir wieder gehen. Ich verabschiedete mich von meinem Lieblingslehrer und ging mit Naori nach draußen. Direkt nach dem Sport gab es Mathematik (Analyse) da fing Naori wieder mal zu meckern:
„Ich hasse diese Schule! Ich will keine Mathe machen! Ich musste schon zu Hause vor der Schule mit meiner Mama und meinem Papa, Mathe lernen, weil es ja für die Schule wichtig, wie Papa und Mama immer wieder sagten. Ich hab es zu Hause schon nicht verstanden, dann werde ich es hier schon gar nicht verstehen. Wieso müssen wir immer nur solche Fächer haben, die ich nicht mag. Das ist doch gemein! Ich will nach Hause!“
„Ach Naori sag mal gefällt dir hier wenigstens etwas an dieser Schule. Ich im gegen Satz zu dir freue mich, dass wir Mathe haben, denn Mathe mag ich richtig gerne. Ich rechne ja schon seit ich 4 Jahre alt bin und deswegen find ich dieses Fach richtig super. Kannst dich ja auch mal für etwas begeistern. Würde dir nicht schaden.“, machte ich mich über meine verärgerte Freundin lustig.
„Ach wenn du schon so schlau bist, dann lerne doch allein. Du magst wohl jede Stunde welche wir so bekommen haben, oder?“
Naori regte sich auf und stampfte wütend mit einem lauten Knall auf die Steine. Ich dagegen warf einen Blick auf unseren Stundenplan und meine Freude war dahin.
„ Na siehst du als nächstes haben wir eine Stunde welche ich nicht leiden kann. Hauswirtschaft das mag ich noch weniger als du Sport und das soll schon was heißen. Ich hasse es schon meiner Mutter zu hause helfen zu müssen und jetzt auch noch in der Schule, das ist zu viel.“
Ich hasste es zu nähen und zu kochen. Dafür bin ich halt noch zu klein, dachte ich mir immer dabei. Aber ich hatte keine Wahl ich musste dadurch.
„Schau mal Naori nach der Hauswirtschaft haben wir Englisch und das liebst du ja. Das mochtest du doch schon im Kindergarten und bist immer super gut gewesen. Sehr viel besser wie ich.“
Naoris Augen funkelten wie zwei Diamanten als sie hörte, dass wir Englisch haben. Sie hüpfte vergnügt vor sich hin und ihr schöner, blauer Rock hob sich etwas. In der Grundschule hatten wir alle eine Schuluniform doch Naori stand die am besten fand ich. Diese weiße Bluse, mit einem blauen Matrosenkragen und roter Krawatte stand ihr ausgezeichnet und der schöne, dunkelblaue Rock betonte ihre super schöne Figur. Ihre kleinen, weißen Beine wirkten sehr elegant in den kurzen weißen Söckchen und den schwarzen Schuhen. Alle Mädchen hatten dasselbe an und die Jungs hatten halt eine dunkelblaue Hose an und ein weißes Hemd. Es sah schön aus, alle waren gleich. Das fand ich super. So konnte wenigsten keiner wissen, dass ich zu Hause so gut wie nichts habe, da meine Mutter sehr wenig verdient als Korbflechterin. Aber es war mir auch nicht wichtig, Hauptsache ich konnte zusammen mit Naori lernen. So überstanden wir damals den ersten Schultag.
Nachdem ich zu Hause war. Ich konnte noch kurz Mittagessen und begab mich sofort in mein Zimmer, naja was heißt eigentlich mein Zimmer. Ich hatte ja kein eigenes Zimmer. Ich und meine Mutter schliefen zusammen auf unseren Futons in Japanischen Zimmer, doch Tagsüber war es mein Zimmer um die ganzen Hausaugaben für den nächsten Tag machen zu können. Naori musste nicht lernen, sie konnte es einfach. Ihr fiel es nie schwer, etwas für die Aufsätze zu lernen oder in Englisch mitzumachen. Außer in Sport, da war sie total schlecht, das war ihr einziger Schwachpunkt in der Grundschule. Ich beneidete sie immer und immer wieder. Erst Spät am Abend war ich mit den Hausaufgaben fertig und konnte mich erschöpft schlafen gehen.
In dieser Nacht konnte ich nicht einschlafen ich lag in meinem weichen Futon eingekuschelt und träumte von unseren Sportlehrer, wie er nur mir seine Aufmerksamkeit schenkt. Mann warum kann es nicht in der Wirklichkeit so sein. Ich hätte alles dafür gegeben nur um einmal mit dem Herrn Saito allein Sport zu machen, plötzlich wendeten sich meine Gedanken und ich dachte daran, was Naori zu dem Zeitpunkt gerade tat. Ob sie noch am lernen war oder schon am schlafen. Naori lernte immer für eine ganze Woche im Voraus also müsste sie noch an ihren Schulbüchern sitzen. Naori wollte nicht so wie viele Schüler in Japan mit fünfzehn von der Mittelschule abgehen und dann heiraten und Familie gründen. So wie ich es machen werde. Ich werde wohl in die Fußstapfen meiner Mutter treten und auch Korbflechterin werden. Naori wollte eine gute Ausbildung und eine gute Arbeit bekommen, deswegen lernte sie immer wieder. Sie tat vielen in der Klasse leid, denn sie hatte alle Hände voll zu tun in den ganzen sechs Jahren der Grundschule. Ich versuchte alles so gut ich konnte, doch so gut wie Naori, war ich nie. Ich beneidete sie dafür. Ich schaffte es dennoch und bestand mit Bravour die Aufnahmeprüfungen für die Mittelschule. Mann, war ich hinterher erleichtert.
Kapitel 3 Lernen für die Zukunft
Die Zeit in der Grundschule war richtig schwierig und wir freuten uns umso mehr auf die Sommerferien. Ich erholte mich richtig bei meiner Oma in China und Naori verbrachte ihre Ferien mit dem Lernen. Als wir uns in einem Café in der Nähe von Naoris Haus trafen, hab ich sie kaum wiedererkannt. Vor mir stand eine superschlanke und sportliche junge Frau und nicht mehr das kleine Mädchen, welche jegliche Art von Sport ignorierte. Sie trainierte anscheinend die ganzen Ferien. Naori hatte sehr muskulöse Armmuskeln und sehr durchtrainierte Beine, welche in ihrem kurzen blauen Rock zu sehen waren. Sie hat so viel abgenommen so, dass ihre Rippen zu sehen waren und ihre Haare sind gewachsen. Sie war dezent geschminkt und trug eine kleine schwarze Handtasche bei sich. Sie sah aus wie eine junge Frau und nicht wie ein zwölfjähriges Mädchen welche gerade in die Mittelschule kam.
Die Schulzeit fing wie immer am ersten April an, nur das Jahr änderte sich immer wieder. Als ich in die Mittelschule kam, war es das Jahr 1998, es ist schon so lange her.
Damals war es nach dem unendlich kalten Winter eine Erholung für die Erde und alle Japaner, als die ersten Sonnenstrahlen die großen rosa Kirschbäume durchdrangen und die eiskalte Erde erwärmten. Die Blätter tanzten im Wind und glitten sanft wie eine Feder auf die Erde. Alles roch nach Kirsche und nach der frischen Luft. Ich atmete tief ein und genoss noch einen Moment die gute Luft. Danach suchte ich Naori in der Menge von den Schülern, welche sich um das rot-weiße Gebäude versammelten. Dieses Gebäude war richtig groß, mit einer großen Eingangstür, riesigen Fenstern und einem Kreuz an der Spitze des Eingangsbereichs, erinnerte es mich mehr an eine Kirche als an die Schule. Alle Schüler freuten sich, endlich wieder lernen zu können und belagerten in Scharen den ganzen großen Schulhof mit Betonbänken und vielen Bäumen. Neben dem Eingang der Schule stand ein Pult mit einem Mikrofon und ein großer, sportlicher und eleganter Mann stand dahinter. Er war in einem schwarzen Anzug mit einer goldenen Krawattennadel angezogen. Seine pechschwarzen Haare, welche mit sehr viel Haarspray nach hinten geglättet worden waren, glänzten in der warmen Sonne. Der Mann stellte sich näher an das Pult und sofort ertönte eine grobe, männliche Stimme. In der Menge hinter mir erklang leise eine grobe Stimme eines Jungen:
„Darf ich um euer Gehör bitten, wir möchten gerne beginnen.“
Alles drum herum wurde plötzlich still und nur die fröhlichen Vögel konnten man singen hören. Die erstarrten Schüler kamen näher an den Eingang und hörten aufmerksam zu.
„Liebe Schüler, endlich habt ihr es bis hierher geschafft. Sechs lange Jahre habt ihr hart an euch gearbeitet und viel lernen müssen, um diese harten Prüfungen zu bestehen. Aber ihr habt nicht aufgegeben und jetzt darf ich, Mamoru Fujima, euch hier in meiner Schule herzlich willkommen heißen. Diese drei Jahre werden nicht leicht für Euch sein, aber ich bin mir sicher, ihr werdet es schaffen. Also lasst uns alle gemeinsam feiern und diese Schule besichtigen. Ich wünsche euch noch viel Spaß.“
„Naja dieser Direktor ist ja nicht besser als der in der Grundschule war. Er redet wohl auch nicht so gerne!“
„Nein vermutlich ist das heutzutage gang und gebe, dass die Direktoren der Schule nicht viel reden.“ Zwei schon wahrscheinlich ältere Damen, tuschelten hinter meinem Rücken über den Direktor der Schule.
„Hast du gehört, er soll angeblich schon mal im Gefängnis gesessen haben. Er hätte mal eine Schülerin an seiner Schule vergewaltigt.“
„Ja, das habe ich auch schon gehört, aber ob das wahr ist, weiß keiner.“
Ich war geschockt, als ich das hörte. Ich suchte sofort Naori auf und erzählte ihr alles was ich gerade mitbekam. Sie aber ignorierte es und starrte weiterhin den attraktiven Direktor an. Ich konnte es nicht fassen. Ich höre gerade, dass er anscheint ein Straftäter ist und sie himmelt ihn an.
„Oh Akina, hast du schon mal so einen Mann gesehen. Er ist einfach toll. Seine Stimme klingt wie Musik in meinen Ohren, wie gerne würde ich mich wenigstens einmal von ihm berühren lassen. Ich glaube ich bin verliebt“
Naori war weggetreten, sie hatte nur noch Augen für diesen Herrn Fujima, ihr war es egal ob er vorgestrafft war oder nicht.
„Sag mal was findest du denn an den so toll, er ist doch nur ein aufgemotzter Strafftäter.“
Ich versuchte Naori wach zu rütteln doch es war vergebens, sie hörte einfach nicht zu:
„Wieso glaubst du das? Nur weil es irgendwelchen Jungs erzählten.“
„Ja, ich weiß nicht ob es war ist, aber da muss man doch als Frau vorsichtig sein oder nicht?“
„Ach Akina, ich finde ihn super süß, aber ich gehe sicher nicht zu ihn hin und sage, dass ich ihn lieb habe. Das mach ich nicht, dafür musst du mich doch gut genug kennen oder?“
Naori versuchte mit allen mitteln mich davon zu überzeugen, dass an den Behauptungen nichts waren dran ist. Ich aber machte mir Sorgen um sie:
„Naori ich möchte nur nicht, dass dir etwas zustößt verstehst du. Das könnte ich nicht verkrafte.“
Nachdem ich diesen Satz aussprach verstand ich mich selber nicht mehr. Ich konnte auf mal meine Gedanken nicht mehr kontrollieren. Ich hatte Angst um sie. Ich war sichtlich erleichtert, dass sie es nicht mitbekam. Sie protestierte gegen meine Theorie und starrte ihren Lieblingsdirektor weiterhin verliebt an. Ich hörte auf mit Naori zu reden denn sie höre mir so wie so nicht zu. Deswegen zog ich mich etwas zurück, setzte mich an die Mauer der Schule und hörte dem Gesang der Vögel und dem leichten Rauschen des Windes zu. Von der roten Mauer an welcher ich saß erblickte ich Naori in der Ferne, welche immer noch den Herrn Fujima hinterher blickte und ihre verliebten Augen nicht von ihm abwenden konnte. Das machte mich wütend. Ich kochte vor Wut, meine Hände fingen an zu Zittern und zu schwitzen und ich schlug immer, wieder mit der Faust gegen die Mauer.
Naori du darfst niemanden außer mir anschauen und deine Hände dürfen niemanden außer mich berühren. Ich will nicht, dass jemand anderer sich zwischen uns stellt.
Ich war geschockt von meinem Gedanken. Ich konnte es nicht glauben, war ich wirklich eifersüchtig. Hatte ich mich so sehr an Naori gewöhnt, dass es mich störte, wenn sie jemanden andern angesehen hatte? Auf die Frage konnte ich keine Antwort finden. Ich überspielte meine Wut auf diesen Direktor und ging zurück zu Naori. Ich wollte mit ihr darüber reden, doch ich traute mich nicht. So hatte ich es für mich behalten und wir genossen weiterhin die Feier.
Die Schüler waren von der Feier am ersten April begeistert und kamen mit sehr viel Freude am nächsten Tag in die Schule. Alle Schüler und Schülerinnen, die mit mir in eine Klasse kamen, gingen in diesen kleinen, düsteren, ungemütlichen, rechteckigen Raum. Ich erstickte fast von der erdrückenden Luft in dem Raum und freute mich als ich das Fenster erreicht hatte. Ich zog diese dunklen Vorhänge zur Seite und wir konnte endlich die Klasse betrachten welche uns zugewiesen wurde.
„Das ist doch nicht ihr ernst oder, schon wieder so ein schrecklicher Klassenraum! Ich hatte davon in der Grundschule genug!“, beschwerte sich ein Junge aus der Klasse.
Ich erkannte ihn nicht wieder, aber als ich noch einmal genauer hingesehen habe, wusste ich dann, dass es Hiroki Matsumoto war. Es war dieser kleine freche Bengel mit schwarzen Haaren und seinem frechen Grinsen welche mich und Naori damals im Kindergarten im Schrank eingesperrt hatte. Ich wollte schon ausrasten, doch ich hielt Inne. Ich kochte innerlich vor Wut und wünschte mir Naori wäre jetzt hier. Sie hätte ihm sofort ihre Meinung gesagt. Leider war Naori nicht hier, also setze ich mich zittern auf einen Platz neben dem Fenster und schwieg.
Holztische mit Stühlen standen einzeln gegenüber von der Tür Richtung Tafel. Rechts daneben waren sehr große von Licht durchströmte Fenster mit blauen Vorhängen und Blumen auf der Fensterbank neben welchen ich mich befand und die Fenster öffnete. Über der Tafel hingen viele Plakate von der Schule und dem Unterrichtsstoff, daneben hing eine weiße Uhr.
„Sag mal kann das sein, dass dieser Unterrichtstoff welcher hier über der Tafel hängt für uns gedacht ist?“, hörte ich eine weibliche Stimme hinter mir.
„Ich weiß es nicht, wäre doch möglich.“, hörte ich die andere Frauenstimme. Überall in der Klasse wurden die Stühle zu Recht gerückt und von jeder Ecke hörte ich etwas anderes.
„Darf ich mich zu dir setzen?“, erklang auf einmal eine weibliche Stimme neben mich und ich erwachte aus meinen Tagträumen.
Ich drehte mein Kopf und sah diese wunderschöne Figur welche direkt neben mir stand und mich in Verlegenheit brachte. Ich zuckte leicht zusammen und antwortete kaum hörbar:
„Klar kannst du dich setzen, diesen Platz habe ich für dich frei gehalten. Ich hab mir gedacht, du möchtest auch am liebsten am Fenster sitzen.“
Naori strahlte mich mit ihrem unschuldigen Lächeln an und setze sich neben mich.
„Oh hast du die gesehen, welche da am Fenster sitzt? Man ist die süß!“
„Welche meinst du jetzt genau? Da sitze ein paar mehr Mädchen?“
„Ich meine diese mit dem langen braunen Zopf.“
„Ja stimmst, sie ist echt zuckersüß. Weißt du, wer das ist?“
„Nein, leider nicht aber wir werden es rausfinden.“
Ich saß am Fenster direkt neben Naori und kochte wieder mal vor Wut, denn ich wusste, dass diese Jungs sich über Naori unterhielten. Sie hatten zwar Recht, es saßen viele Mädchen am Fenster aber Naori war die einzige mit einem langen Zopf.
Ich will nicht, dass Naori mir weggenommen wird. Sie ist meine Freundin und sie darf niemanden haben außer mir. Ach Naori ich verstehe mich einfach nicht. Du sitzt hier neben mir und ich denke die ganze Zeit an dich, dass ist doch nicht möglich, was ist los mit mir. Bin ich krank, oder ist das der Heizungslack welcher sich im Raum verteilt und meine Gedanken verdreht.
„Oh, ich bekomme Kopfweh, dieser Geruch ist ja unmöglich zu ertragen.“ Beschwerte sich eine Schülerin aus der ersten Reihe neben der Tür.
„Ja ich habe auch schon Kopfweh und mir ist total schlecht. Das kann doch nicht ihr Erst sein, dass wir hier lernen sollen.“, beschwerten sich noch mehr Mädchen und machen alle Fenster in der Klasse auf, welche nur gingen.
Der ganze Raum roch nach Farbe und Heizungslack. Ich mochte diesen Geruch auch nicht. Es bereitete mir Kopfschmerzen und Übelkeit, genauso wie damals in der Grundschule. Wir hatten leider keine Möglichkeit mehr rauszugehen. In dem Moment als alle Schüler ihre Plätze eingenommen hatten, kam die Klassenlehrerin Frau Sonoko Fujima. Mit kleinen, schnellen, Schritten klackerte sie lautstark mit ihrer Schuhen über dem hellen Laminat des Raumes.
Sie war die Ehefrau von unserem Direktor. Ihn mochte ich nicht, aber seine Frau kannte ich nicht, da war ich gespannt, wie die war. Sie war eine sehr große, schlanke, sportliche Frau. Ihre braunen Haare waren elegant Hinten zu einem Haarknoten zusammengesammelt und wurden von zwei Haarstäbchen gehalten. Ihr schönes, rundes Gesicht hatte sie mit etwas Schminke in Geltung gebracht. Ihre großen, grauen Augen versteckte sie hinter einer Lesebrille, welche ideal auf ihre gerade Nase passte. Ihre leichte, frauliche Figur und die schönen langen Beine hatte sie mit einem schwarzen Hosenanzug betont. Im Ganzen war sie eine wunderschöne Frau welche sehr schnell zu ihrem Tisch lief, verbeugte sich leicht und stellte sich bei der Klasse vor. Danach verteilte sie als Allererstes den Stundenplan für die ganze Woche, schon war die Freude bei allen verflogen.
Wir hatten jeden Tag Japanisch, dann Mathematik und Geografie. Ich konnte diese Stundepläne schon von der Grundschule nicht mehr sehen und hier in der Mittelschule sind es noch mehr Stunden.
„Oh, so viele Stunden nur für eine Woche, da muss ich ja bis spät in die Nacht Hausaufgaben machen.“
„Ja du hast Recht. Sie behandeln uns wie Maschinen!“
„Das ist doch nicht möglich, so viel auf einmal zu lernen! Sind wir Roboter oder was?“
Überall in der Klasse hörte man Beschwerden, darüber, dass es zu viel an Stunden gab. Mir war das dieses Mal egal. Ich freute mich auf Mathematik und auf Sport. Mehr brauchte ich nicht, denn ich musste mich nicht anstrengen gut zu sein. Als Korbflechterin muss ich nicht schlau sein. Da muss ich nur wissen wie mein einen Korb flechtet und das lerne ich zu Hause.
Später Japanische Literatur und Geschichte, welche in zwei Einzelfächern geteilt wurde. Erstens die Welt und die japanische Geschichte, dann gab es noch die Naturwissenschaft.
„Oh nee, wir haben auch in der Mittelschule keine Halt vor Chemie und Physik! Ich kann das nicht!“
„Beschwere dich doch beim Direktor! Er hat uns das ja angetan!“
Die Schüler beschwerten sich über jedes einzelnes Fach welchen sie nicht mochten. Ich ignorierte die meisten Geräusche und widmete mich meinem Gedanken. Ich musste erst mal mit meinem Gedanken klar kommen.
„Hey Akina, sag mal wie findest du unseren Stundenplan? Ich finde ihn ätzend, schon wieder so viele Stunden die ich gar nicht mag. Das ist doch richtig gemein oder? Am schlimmsten ist Sport. Sag mal hörst du mir überhaupt zu?“
Ich sah Naori an und senkte mein Kopf wieder auf den Tisch an welchem ich die ganze Zeit gesessen habe. Ich drehte mein Kopf Richtung Fenster und die lauten Geräusche der Mitschüler verstummen langsam. Das einzige was ich noch war nahm, war der Wind welcher mit den Kirschblüten spielte und die Vögel welche von einem Baum zum nächsten flogen um ihrer Nester zu bauen. Ich kam erst wieder zu mir als die Pausenglocke läutete. Ich stand auf und ging raus auf den Flur. Zwei Jungs hinter mir rannten Naori hinterher und pfiffen ihr zu. Naori genoss es und ich litt ohne zu wissen warum.
Als wir uns in dem langen blauen Flur auf eine Bank neben dem großen hellen Fenster setzten. Fing Naori an sich zu beschweren. Sie setzte sich seufzend auf die Bank und sprach verärgert:
„Weißt du Akina, ich würde mich lieber jeden Montag krankschreiben lassen, anstatt Sport zu machen.“
Sie verzog ihr blasses Gesicht und sank in sich zusammen. Ich fing an zu lachen, klopfte ihr mit einem lauten Knall auf die zarte Schulter und antwortete:
„Übertreib mal nicht. Außerdem schadet es dir nicht, etwas Sport zu treiben. Es wird Zeit, dass du deinen ganzen Kuchen und alles andere, was du in den Ferien in dich reingeschlungen hast, abtrainierst. Also jammere nicht rum und freu dich.“
Naoris Augen funkelten böse auf und sie antwortete trotzig:
„Was glaubst du, was ich die ganzen Ferien lang gemacht habe. Ich bin zum Karate und Kung Fu gegangen, nur um meinen Körper in Form zu bringen. Auch wenn ich immer noch gerne esse, aber man sieht es nicht mehr. Ich hab die ganzen Ferien lag Sport gemacht, da muss ich es nicht in der Schule haben.“
„Das ist doch super und da du ja so sportlich bist, kannst du es ja jedem in der Klasse zeigen.“
„Das hab ich nicht nötig.“
Naori war verärgert und drehte sich beleidigt um. Ich dagegen überlegte kurz und antwortete:
„Überlegt doch mal, in der Grundschule wurdest du doch immer ausgelacht, wenn du etwas falsch gemacht hattest, jetzt hast du die Chance es alles zu zeigen, dass du auch Sportlich bist.“
Naori sah mich wieder an:
„Und was soll mir das bringen? Das ist mir doch egal ob sie mich auslachen oder nicht.“
Ich konnte sie einfach nicht umstimmen aber dann fiel mir etwas ein:
„Hört mal!“, sprach ich sie mit einem leichten grinsen an: „Wenn du sportlich bist, bist dann noch schöner als jetzt und wer weiß, vielleicht wird der Herr Fujima dich bemerken. Er ist immerhin unser Sportlehrer hörte ich zufällig in der Klasse, zwei Jungs darüber reden.“
„Was Herr Fujima ist unser Sportlehrer?“ Naori war sofort wie ausgewechselt. Ich bekam Gänsehaut als sie so reagierte.
„Oh da freue ich mich darüber, dann werde ich mich auf jeden Fall bemühen, denn so ein gut aussehender Mann muss mich einfach bemerken, auch wenn ich dafür Sport machen muss.“
Naori was tust du denn da, wieso tust du mir so weh. Ich will nicht, dass du so über andere denkst, denn das ist schmerzhaft.
Nach diesem Satz von Naori ist mein Herz fast stehen geblieben. Ich hatte ein Kloss im Hals und Bauchschmerzen bekommen. Ich wusste nicht was ich noch sagen konnte. Ich musste versuchen ihre Liebe an diesen Direktor auszutreiben:
„Naori vergiss den Typen, er ist doch der Mann von Frau Fujima und außerdem ein Sexualstraftäter.“
„Mir ist das bewusst, dass er verheiratet ist na und ich kann ihn trotzdem super finden, aber dass er angeblich ein Vergewaltiger ist, das glaub ich nicht. Das wurde nie bewiesen und in den Zeitungen war auch nichts davon. Ich hab mich informiert. Ich habe meinen Vater gefragt und er sagt, dieser Mann ist ihm als Straftäter nicht bekannt. Also lass es einfach. Du sollst nicht immer auf andere hören. Ich mag ihn und Sport werde ich nur machen, weil er unserer Lehrer ist, sonst nicht.
Ich wusste nicht was ich noch sagen sollte. Ich stand verdutzt neben ihr und konnte es nicht glauben. Sie ließ unseren Direktor überprüfen nicht zu glauben.
Ach Naori, du bist einfach unmöglich. Immer wenn ich einen Schritt mache, machst du gleich vier und hast trotzdem immer Recht. Ich kann mit dir einfach nicht mithalten.
Sie war einfach unglaublich und unverbesserlich. Sport? Nein danke, oder nur wenn der Direktor als Lehrer da ist. In den andren Fächern war sie nicht anders. Sie lernte nur da wo der Herr Fujima uns unterrichtete. Ich stellte mal so eine Liste zusammen.
Naoris Stärken und Schwächen in der Schule
Stärken:
Japanische Geschichte
und die Naturwissenschaft
Geografie
Japanische Literatur
Englisch
Fremdsprachen
Schwächen
Sport
Mathematik
Japanisch
Chemie
Physik
Über meine Stärken und Schwächen in der Schule muss keiner bescheid wissen, ich sage nur, dass ich Sport, Mathematik, Japanisch und Geografie am liebsten mag. Den Rest der Fächer in der Schule muss ich nicht können. Wenn ich Korbflechterin werden will, muss ich nur wissen, aus was ich es machen muss und wie das geht. Mehr brauch ich nicht. Naori war, was das angeht, anders. Für sie war Schule wichtig, denn sie wollte nach der Mittelschule nach Deutschland reisen, und da eine supergute Ausbildung machen. Es war ihr großer Traum, ich frag mich nur, wie sie es überstehen will, bei ihrer Höhenangst.
Naori ist schon ein sonderbares Mädchen, das stellte ich im Laufe der drei Jahre in der Mittelschule fest. Am meisten teilten wir die Hobbys, da waren wir wie Zwillinge. Wir mochten zusammen gerne Schuhe kaufen oder stundenlang Telefonieren. Am liebsten aber mochte ich, ihr beim Training zusehen, wen sie bei einem Karateturnier ihre Gegner zu Boden beförderte. Ihrem starken linken Fußkick konnte keiner entkommen.
Oh Naori, wie schön du in deinem weißen Karateanzug aussiehst. Ich beneide dich. Du kannst einfach alles und das ist, was ich mich an dir fasziniert.
„Oh was ist denn mit mir los? Warum habe ich diese Gedanken? Naori ist doch meine Freundin, aber wieso muss ich ständig an sie denken, auch wenn sie neben mir ist?“
Naori war schon etwas Besonderes. Sie mochte solche Sachen wie die Ninjas oder Karate und Sumo-Ring aber andererseits mochte sie auch gerne solche Sachen wie Schminke und Schuhe wie jedes andere Mädchen. Auch wenn sie die Kimonos zuerst nicht leiden mochte, zog sie sich gerne mal eins an und wir gingen zusammen ins Kabuki Theater. Sie liebte es diese bunt angemalten Schauspieler, welche gerne gesungen und getanzt haben. Auf dem Weg nach Hause nach dem Ende der Vorstellung redeten wir die ganze Zeit darüber. Naori war immer so begeistert darüber, dass sie nichts anderes mehr im Kopf hatte:
„Akina, diese Vorstellung war noch besser als die letzte bei der wir beide waren!“
„Ja da hast du Recht, ich bin total begeistert davon. Was hat dir denn am besten daran gefallen?“
Ich bin immer wieder glücklich wenn du dich freust. Du bist so unbeschwerlich und glücklich. Du freust dich sogar über die kleinsten Dinge dieser Welt. Im Gegensatz zu mir. Ich bin immer ängstlich und traue niemand. Wie gerne wäre ich auch so wie du.
„Ich fand am besten, wie die Schauspieler die ganze Show hindurch, kein einzigen Wort gesagt hatten, aber es war trotzdem total interessant. Wie immer halt.“
„Ja das finde ich auch immer wieder toll. Willst du zu der nächsten Vorstellung auch wieder mit?“, fragte ich Naori hoffnungsvoll. Sie freute sich zuerst riesig darüber, doch dann hielt sie inne und sagte voller Trauer in ihrer zitternden Stimme:
„Ich kann nicht, da die Schule ja fast zu Ende ist, werde ich ja noch mehr lernen müssen, da ich ja noch den Deutschkurs mache, weil ich ja im Juli abreise.“
Ich blieb wie gelähmt stehen und dachte erst mal nach. Die Zeit blieb stehen und die Welt hörte auf sich zu drehen. Alles schien plötzlich anders zu sein. Irgendwie langsamer. Alle Autos fuhren in Zeitluppe an mir vorbei. Die Menschen auf dem Gehweg blieben reglos stehen und nur der Wind heulte mir ins Ohr. Mein Herz raste immer schneller und der Kloss im Hals erstickte mich. Ich konnte gar nicht mehr richtig denken, alles drehte sich. Ich hielt mein Kopf mit beiden Händen fest und verschloss ganz fest die Augen.
Wenn du schon diesen Sommer weg bist, was soll dann aus mir werden. Ich kann nicht ohne dich! Ich brauche dich doch, du bist doch alles was ich habe. Du kannst mich nicht allein lassen!
Ich wollte schon anfangen zu weinen, doch ich beruhigte mich und wir gingen zusammen nach Hause.
So überstanden wir auch die Mittelschule und die harten Prüfungen standen vor der Tür. Ich lernte wie verrückt, nur, um wenigstens nicht ganz zu versagen. Naori dagegen musste gar nicht lernen. Sie konnte es einfach, das dachte ich es mir zumindest immer, deswegen lernte Naori bei der Nachhilfe Deutsch, denn sie ging nach der Schule nach Deutschland. Das zerbrach mir das Herz. Ich wollte nicht, dass sie weggeht, aber ich wollte auch nicht ihrer beruflichen Karriere im Weg stehen.
So war es dann auch, direkt nach den harten Prüfungen, welche sie mir einer Bestnote bestanden hatte, packte sie ihre Koffer. Mir fehlten nur ein paar Punkte bis zu Bestnote. Naori half mir aber, eine gute Ausbildung zu bekommen, damit ich nicht wie meine Mutter als Korbflechterin ende. Sie schlug mir vor, bei ihrem Vater im Polizeihauptquartier nachzufragen ob sie eine Ausbildungsstelle freihätten. So tat ich es auch. Ich bekam die Chance auf eine Ausbildung als Politesse und nahm es mit Freuden an. Nach dem Termin in dem Polizeihauptquartier beeilte ich mich so schnell ich konnte. Ich lief stundenlang in diesem riesigen Glasgebäude und suchte nach dem richtigen Schalter. Als ich in diesem endlos langen Korridor des Haneda Flughafen entlang lief und nach Naori suchte, kamen mir hunderte von verschiedenen Menschen entgegen, doch meine Naori fand ich zwischen Ihnen nicht.
„Hey beeilt euch, sonst verpassen wir unseren Flieger!“
Von jeder Seite hörte ich fremde Stimmen.
„Hey warte auf mich, ich komm nicht hinter her. Lauf doch nicht so schnell!“
Immer wieder liefen viele Frauen und Männer um mich herum und versuchten ihren Flieger zu bekommen.
„Naori komm schon sonst musst du hier bleiben.“
Ich erstarr vor Hoffnung und drehte mich erwartungsvoll um, doch an mir lief ein kleines Mädchen und sprach zu ihrer Mutter:
„Ich komm schon Mama.“
Ich habe gedacht es wäre meine Naori, leider hatten sich meine Ohren getäuscht und ich erblickte die süßen, kleinen Kulleraugen eines etwa 5 Jähriges Mädchen, welche mich hinterher mit ihren großen braunen Augen anschaute. So blieb mir nichts anderes übrig, als weiter über den riesigen Korridor zu laufen, meine ermüdeten Beine in den schwarzen Schuhen klapperten leicht über den weisen Fliesen. Ich schaute sogar oben im Teeraum, doch auch da war sie nicht zu sehen. Ich lief an allen Geschäften, welche sich auf dem Flughaben befanden, in der Hoffnung Naori irgendwo in einem Geschäft zu finden und wieder nichts. Ich konnte nicht mehr, ich wollte schon aufgeben doch ich lief weiter.
Mensch Naori bitte sag mir doch mal wo soll ich dich suchen, dieser Flughafen ist sowas von groß, ich fühle mich hier wie in einer überfühlten Glashölle, wieso hast du mir nicht gesagt, von wo genau dein Flieger geht.
Ich blieb etwas stehen und wurde von sehr lauten Geräuschen an das riesige Glasfester gezogen. Ich ging daran und sah draußen auf der großen, grauen Startbahn ein ganz weißes Flugzeug steigen. Ich beobachtete den Start dieses Fliegers und lief naher weiter in der Hoffnung noch rechtzeitig zu kommen. Ich lief nach oben in den zweiten Terminal und da ganz am Ende des genau so langen Korridors mit braunen Fliesen am neunzehnten Schalter fand ich endlich Naoris Oma Hikary. Eine ältere Dame, mit einer schönen Kurzhaarfrisur und einer Brille auf ihrer kleinen geraden Nase. Sie hatte einen schönen, dunkelblauen Anzug an und hielt ein schwarzes Gehstock in ihrer rechten Hand. Danach erblickte ich auch Kyoko Naoris Mutter. Eine kleine, vornehme, hübsche Frau im besten Alter. Ihre schwarzen Haare waren wie immer perfekt gesteilt. Sie hatte an diesem, schweren Tag ihren schönsten, beigefarbenen Anzug an. In den Händen hielt sie ein Foto von Naori, welches sie mit voller Liebe an sich schmiegte. Das Foto habe ich von weiten erkannt, weil ich dasselbe Foto bei mir zu Hause im Regal stehen habe. Es zeigt Naori wie sie leibt und lebt. Ihr schönes, kleines rundes Gesicht strahlt in die Kamera. Ihre langen, schwarzen Haare lagen offen über ihre schmalen Schultern. Die großen, schwarzen Rehaugen spiegelten ihre liebevolle Art wieder. Die beiden Damen standen am Fenster, schauten hinaus und weinten.
Ich lief zu den beiden hin und fragte:
„Ist sie schon weg?“ Ihre Mutter sah mich verzweifelt an und mit tränen in den Augen antwortete sie:
„Ja, ihre Maschine ist gerade aufgestiegen.“
„Nein, ich bin zu spät! Ich wollte mich doch noch von ihr verabschieden und ihr sagen, dass ich diese Lehre bekommen habe.“
„Ach Akina, sie hat lange auf dich gewartet und wollte gar nicht weg bevor du gekommen bist.“
„Sie hat auf mich gewartet und ich habe sie enttäuscht. Das ist doch nicht wahr. Ich irrte hier in den Gängen und suchte sie stundenlang und jetzt ist es zu spät, das fasse ich nicht!“
Ich lief verzweifelt zum Fenster und fing an zu schreien:
„Naori! Wieso bist du ohne mich weggeflogen!“
Danach drehte ich mich wieder zu den beiden Damen und fragte:
„Hatte Naori denn noch etwas gesagt?“
Ich konnte meine Trauer und die Tränen nicht länger verbergen und fing an innerlich zu weinen. Ich schwitze an den Händen und meine Finger zuckten immer wieder vor Aufregung und Hoffnung, wenigstens etwas von Naori zu hören. Ihre Mutter sah mich mit rot unterlaufenden Augen an, schniefte einmal und übergab mir einen kleinen Zettel auf welchem die paar Zeilen standen, welche ich am Anfang schrieb. Ich ging zum Fenster und schaute lange nach draußen, es flogen viele Flugzeuge hoch und es landeten auch viele wieder. Ich beobachtete wie die Vögel flogen und wie die rote Schwebebahn welche nicht weit vom Flughafen weg war, am Fenster leise vorbei glitt. Ich schaute auf die graue Startlinie und auf die grünen Wiesen zwischen den Linien. Ich sah wie die Schiffe auf dem blauen Wasser fuhren weil der Hafen nicht weit weg von den Landebahnen war. Ich stand noch lange am Fenster und wollte hier gar nicht weg. Ich hoffte Naori würde gut ankommen und so schnell es geht schreiben.
Ich vermisse dich jetzt schon! Ich hoffe ich überstehe diese schwere Zeit ohne dich hier in Tokyo. In dieser riesigen Stadt mit den ganzen Hochhäusern und den ganzen Menschen!