Kapitel 1: Vom Regen in die Traufe
Zusammengepresst unter der Last eines Gartentisches versuchte Luzia langsam ihre neue Lage auszukundschaften. Sie lag mit dem Gesicht zum Boden im Gras, ihr einer Arm war von Blut getränkt, der andere lag merkwürdig verrenkt unter ihrem Körper begraben. Sie versuchte den Kopf zu heben, doch die Bewegung schmerzte und so liess sie es wieder sein. Erstmal wollte sie sich an die Geschehnisse des letzten Abends erinnern. Als erstes war sie beim Haus angekommen. Da hatte sie schon einiges zu trinken gehabt. Ein Junge kam auf sie zu und begann mit ihr zu reden. Er hatte schwarzes Haar, wie sie. Doch seine Augen waren grün, ein seltsames Leuchten lag in ihnen, wenn es doch getrübt war durch den Suff in dem er war. Sie wechselten einige Worte miteinander, bis er weiter torkelte, nicht wirklich wissend was er tat. Von da an verblassten die Erinnerungen durch die Kopfschmerzen, die plötzlich aufflammten.
Es war noch Nacht, geschätzt sechs Uhr. Weshalb war noch niemand gekommen um zu helfen? Sie wusste dass es eine gewaltige Explosion gab, das mussten die Nachbarn doch bemerkt haben.
"Staralili!", erinnerte sie sich plötzlich. Das Pokemon war ihr vom Schoss geflogen als alles in die Luft ging. Ob aus eigenem Antrieb oder mit fremder Hilfe konnte Luzia nicht sagen. Doch an letzteres wollte sie gar nicht denken.
Ich muss aufstehen, versuchte sie sich zu motivieren. Und tatsächlich, der Gedanke an ihr vermeintlich totes Pokemon schien ihr neue Kraft verliehen zu haben. Mit einem gewaltig schmerzvollen Ruck rempelte sie den Gartentisch von sich weg. Dieser rollte lahm von ihr runter und blieb im Gras neben ihr liegen. Nun konnte sie sich frei Bewegen und mit der neu gewonnen Motivation hisste sie sich vom Boden bis sie mühselig und eingeknickt dastand. Und was sie sah war schrecklicher und angsteinflössender als alles, was sie aus Horrorfilmen kannte. Leute liefen planlos umher. Unversehrte, aufrecht gehende Leute die zweifellos aus der Nachbarschaft stammten, denn sie waren über 40 und sicherlich nicht in die Party von gestern verwickelt. Einer kam auf Luzia zu, doch sie schien nicht sein eigentliches Ziel zu sein. Dieses war nicht wirklich auszumachen, denn er lief einfach nur, seine Augen waren komplett weiss und seine Haut hatte einen leichten Grauton angenommen. Luzia ging ihm aus der Laufbahn und er trottete dümmlich an ihr vorbei. Was ist hier los? Dann viel ihr Blick auf das Haus und ihr Magen drehte sich um. Eine Hälfte links von der Veranda war komplett weggesprengt worden, die andere lag zerfallend da und aus einem Fenster, welches auf das zweifache seiner Grösse zersprengt worden war, hing ein lebloser Körper. Ohne sich rühren zu können lief Luzia ein Schauer durch Mark und Bein und ihre Augen weiteten sich, als sie erstmals die zerfetzte Leiche zu ihren Füssen wahrnahm. Der Oberteil gehörte zweifellos zu Tex, das Gesicht war beinahe vollständig verbrannt. Dem verängstigten und panischen Mädchen fuhr ein Schrei aus der Kehle, so laut und schrill, dass man ihn ohne Probleme bis ins Nachbarsdorf hätte vernehmen können, ihr Schrei war so laut, dass selbst ihr die Ohren zu platzen drohten, doch sie konnte es nicht wahrnehmen, es war nicht real, nichts von dem hier war real!
Doch dann spielte sich etwas weiteres in den Vordergrund. Spärlich beleuchtet durch die vielen kleinen Feuer die das Haus und seine Leichen immer mehr verschlangen, stand ein Glumanda vor ihr. Luzia erkannte es auf den ersten Blick. Sein Fell war beinahe Schwarz und seine Augen leuchteten in einem beissenden Rot. Es starrte auf die Leiche seinen Besitzers, doch zeigte sich keine Regung in seinem kleinen Körper. Es blickte nur auf Tex hinab, dann schaute es wieder Luzia an.
"Bis du nicht traurig?"
Doch das Glumanda schaute sie nur an. Dann stupste es ihre Beine mit seiner Schnauze an und lief weg. Vielleicht will es das ich ihm folge. Doch sie konnte noch nicht gehen. Zuerst musste sie schauen ob es irgendwelche Überlebenden gab. Aber es schien hoffnungslos, sie konnte nicht in das Haus gehen. Feuer und Flamme hatten es nun bereits komplett verschlungen. Wie, fragte sie sich. Wie konnte ich das Überleben? Und was ist mit diesen merkwürdigen Leuten los? Luzias Blick fiel nun wieder auf die herumstreifenden Menschen, die eher Hüllen ihres früheren Selbst waren. Doch sie trotten einfach weiter, ihr unbekanntes Ziel vor Augen und trotz der Hitze und der Flammen gingen einige sogar in das Haus hinein. Luzia hätte sich am liebsten übergeben, doch trotz der Schrecklichkeit des Szenarios war es doch ertragbar. Das lag jedoch nicht an dem einstürzenden Haus oder der zerfleischten Leiche zu ihren Füssen. Der Moment war einfach zu schrecklich und sie stand unter Schock. Und das verschaffte ihr ein klares Denken. Sie verlor keine Gedanken mehr an Tex oder die anderen Toten. Wenn ihr Staralili tot wäre, hätte sie es gemerkt, es ist wahrscheinlich einfach nur weg geflogen.
Wo ist denn nun das Glumanda hin? Sie durchquerte den Garten, vorbei an den herumstreifenden Leuten, vorbei an einem Busch, von dem eine Blutspur in Richtung eines Parkplatzes führte. Wahrscheinlich war jemand früher aufgewacht als sie und wollte sich aus dem Staub machen. Sie konnte es ihm nicht verdenken, war es jedoch sehr asozial ihr und den anderen Leuten gegenüber. Doch Luzia konnte nichts mehr für die Leute im Haus tun, die Chance war zu klein dass jemand ernsthaft überlebt hätte und sie hätte es auch nicht überlebt wenn sie jetzt noch versucht hätte jemanden zu retten.
Ihr Bein schmerzte als sie der Blutspur zum Parkplatz folgte, denn da war das Glumanda zuletzt verschwunden. Und es wartete auch schon auf sie, als sie endlich bei den drei neu lackierten Autos ankam. Es blickte wieder in die Augen des ramponierten Teenagermädchens und ging weiter die Strasse hinunter. Auch hier waren die merkwürdigen Gestalten mit ihren grauen Gesichtern und ihren weissen Augen. Das brechen und knarzen des brennenden Hauses in ihren Ohren gingen die beiden stillschweigend nebeneinander her. Eine unsichtbare Macht schien Luzia vor sich her zu schieben. Sie wollte nicht weiterlaufen, die Strasse war lang und in der Ferne eine Kurve zu vermachen, die Strasse verlor sich im Horizont.
Hoffentlich kann ich dem Glumanda vertrauen. Es war ihre einzige Chance. Wenn es zum Ernstfall kommen würde, hätte Luzia nichts bei sich um sich zu verteidigen. Ihre Beine machten kaum mehr mit, ihr Kopf fühlte sich schwer an und schmerzte. Eine dunkle Macht war im Spiel dem sie nicht gewachsen war und selbst mit ihrem Staralili, welches spurlos verschwunden war, hätte sie nichts ausrichten können. Doch sie wusste, dass das Glumanda anders war und wenn sie sich mit ihm verbünden konnte wäre das sicherlich ein Vorteil. Und doch... Es hatte keine Trauer gezeigt als es den toten Körper seines Vorbesitzers gesehen hatte, geschweige denn eine einzelne Regung gezeigt. War das Glumanda nur Mittel zum Zweck? Sollte es Luzia nur von dem brennenden Haus vor führen, in ihr Verderben hinein? Irgendwie wollte Luzia wieder zurückgehen, so unnormal es auch klingen mochte, das Haus schien der einzige sichere Fleck in diesem Dorf zu sein. Doch die Dinge waren nicht mehr normal. Leute liefen umher, nicht wissend was sie taten und Luzia bezweifelte langsam dass es Glück war, dass sie noch am Leben hielt. Zwei Stunden lang war sie neben einem brennenden Haus gelegen, begraben unter einem Gartentisch und höchst wahrscheinlich bewusstlos durch den ganzen Alkohol. Irgend etwas musste sie am Leben gehalten haben. Und das erste mal seit sie aufgestanden war, überkam sie masslose Angst.
Und immer weiter drückte sie die unbekannte Macht, Luzia hatte keine Kontrolle mehr über ihre Beine, kalter Schweiss floss ich über Gesicht und Rücken und versickerte in ihrem unangenehm engen Top. Ich brauche eine Jacke, sagte sie sich. Doch woher sollte sie eine bekommen? Es wurde immer Kälter als sie sich von dem Haus entfernten und ihre Beine folgten ihr nicht mehr. Auch Glumanda schien langsam die Fassung zu verlieren, scheinbar machte es bei diesem Spiel auch nicht ganz unfreiwillig mit. Es bleckte die Zähne und jaulte in den Morgen hinaus, doch die Ohren der vor sich herziehenden Gesichtern blieben taub. Nun hatten sich auch Kinder unter sie gemischt, auch Jugendliche in ihrem Alter konnte Luzia wahrnehmen. Dann ein geller Kreisch. Luzia wäre vor Schreck beinahe zusammengekippt, als ein Vogel auf sie zufliegen kam. Er war nicht gross, doch er hatte ein unglaubliches Tempo drauf. Er kreischte nochmal, doch diesmal erkannte Luzia den Schrei. Es war Staralili, ihr Vogel-Pokemon!
"Staralili!", kreischte sie, doch der Vogel machte keine Anstalten seinen Flug zu verlangsamen. Mit ausgestrecktem Schnabel raste er auf Glumanda zu. Dieses erkannte die Gefahr nur rechtzeitig. Es öffnete seinen Kiefer, die spitzen Fangzähne glänzten in der aufgehenden Sonne, dann, mit einem lauten Krachen knallten die beiden zusammen. Glumanda schlug es mehrere Meter zurück, doch es hatte seine Zähne tief in das Fleisch des Vogelpokemons begraben. Luzia kreischte, sie musste ihrem Staralili helfen, was auch immer es vorhatte, es wollte Luzia helfen. Doch sie war nicht Herr über ihre Beine, sie lief einfach weiter, vom Kampf fort, die zwei kämpfenden Pokemon immer weiter hinter sich lassend. Sie verrenkte sich so gut es ging um weiterhin das Kampfgeschehen verfolgen zu können. Staralili hatte sich mittlerweile aus den Fängen des Glumanda befreien können und stieg wieder empor, doch die Verletzung schien es flugunfähig gemacht zu haben. Es verlor immer mehr an Höhe.
"Staralili! Gib nicht auf!", versuchte Luzia ihr Pokemon zu ermuntern, doch der Kampf war nun heftiger als zuvor. Obwohl Staralili nun einige Meter abstand von Glumanda hatte, bombardierte dieses nun Staralili mit feurigen Kugeln aus seinem Mund. Beinahe alle prallten gegen Staralili, eines traf die zuvor entstandene Wunde und das Pokemon schrie in Qualen auf.
"Nein! Bitte, Glumanda, tu das nicht! NEI...", doch mitten im Satz traf sie eine der Kugeln direkt an der Seite. Es hatte eine unglaubliche Wucht drauf und brannte ihr ein Loch in ihr Kleid und in ihre Haut. Nun schrie auch Luzia vor Qualen, so real war ein Kampf noch nie. Mit letzter Kraft löste sie einen Pokeball von ihrem Gürtel und versuchte damit Staralili zurückzurufen. Doch sie war nun weiter vom Kampf entfernt als zuvor und ihr Ball reichte nicht um es von dort zurückzuziehen. Luzias einzige Chance ihr Pokemon vor der drohenden Kampfunfähigkeit zu retten, war der Ball zu werfen. Mit letzter Kraft sammelte sie ihre Arme und warf den Ball so weit sie konnte und tatsächlich, mit einem violetten Nebel sog er das schwer angeschlagene Staralili in sich auf. Dieses war bereits so schwach gewesen, dass es sich kaum mehr rührte. Doch nun lag der Ball auf der Strasse, die wandernden Leute kamen und gingen, doch der Ball blieb einfach auf der Stelle und Luzia lief immer weiter die Strasse entlang, bis der Kampfplatz nicht mehr auszumachen war. Wütend wurde sie gezwungen nach vorne zu blicken, die unsichtbare Macht war nun stärker als je zuvor und als sie den Dorfrand erreichten, machte sich ein Tal auf und was Luzia da sah, liess ihr Herz gefrieren.
So, dass wäre mein erstes Kapitel :D