Als Sina erwachte, schien die Sonne bereits in den Bau. Geblendet öffnete sie die Augen und spürte einen stechenden Schmerz am Hinterkopf, wo sie auf den Stein geprallt war. Stöhnend richtete sie sich auf und bemerkte einen ungewöhnlichen Geruch.
Doch es roch nicht wie sonst nach gerösteten Beeren, die ihre Eltern oft zum Frühstück machten, sondern nach verbrannter Erde.
Als Sina aus ihrem Bau herausblickte, war dort nicht wie sonst das saftig grüne Gras, in dem Sina sich gerne ausgetobt hatte, sondern nur noch schwarze Asche.
Sie trat ins vorsichtig ins Freie, um zu sehen, ob ihre Eltern dort waren, doch es war niemand zu sehen.
Sowohl ihre Eltern, als auch die Jäger waren verschwunden. Als sie das realisierte, fülltenTränen ihre Augen und sie begann zu weinen. Eine Weile lag Sina in der Asche, bis ihr Magen zu knurren begann.
Sie wischte sich mit ihrer Pfote die Tränen aus dem Gesicht und erhob sich aus der Asche. Der Eingang zum Bau welcher eigentlich von hohem Gras umgeben war, lag nun frei, wie ein dunkles Loch, inmitten der schwarzen Asche. Vor wenigen Tagen erst, als sie noch glücklich durch das saftig grüne Gras huschen konnte, hatte sie noch Probleme gehabt, den Bau zwischen all dem Gras zu sehen und manchmal stolperte sie hinein, wenn sie nicht aufpasste.
Das hohe Gras ging ihr bis zu den Schultern, doch nun war es verbrannt.
"Ich muss jetzt stark sein", dachte sie und ging langsam in das Loch, welches so groß war, das ein Vulnona gerade so hineinpasste, um nach Essen zu suchen. Der Gang führte nur wenige Meter schräg nach unten, bis er in einem größeren Raum endete. Die Wände waren voller Kratzspuren von ihr, ihren Eltern und ihren Geschwistern.
Sina war die jüngste im Rudel. Ihre drei Geschwister waren bereits ausgezogen um selbst eine eigene Familie zu gründen. An der Decke hingen einzelne kleine Wurzeln, an denen Sina ab und zu Zielübungen angestellt hatte.
Jedoch hatte sie bisher noch nicht mehr als eine paar Funken herausgebracht, die leider nur selten überhaupt die Decke erreichten.
Die meisten waren bereits vorher verglüht.
Der Boden des Raumes war mit trockenem Gras gepolstert. Manchmal waren ein paar ihrer Funken im Gras gelandet, jedoch hatte es nie gerreicht, um es in Brand zu setzen. In einer Ecke war eine kleine Grube in die Wand eingelassen, wo noch Beeren lagen, die gestern übrig geblieben sind. Gerne hätte sie diese geröstet, jedoch brachte sie im Moment nicht genug Energie für ein paar Funken auf. Also breitete sie die Beeren auf dem trockenen Gras aus und aß sie roh.
"Und jetzt?" Normalerweise wäre sie jetzt mit ihren Eltern auf Futtersuche gegangen. Dann hätten sie im Wald Feuer spucken trainiert. Dort wurde dann der Boden von laub befreit, damit nicht versehentlich etwas in Brand gesetzt wurde. Die Flammen der beiden Vulnona waren groß und heiß.
Sina hoffte, das sie irgedwann auch solch gewaltige Flammen würde erzeugen können.
Doch heute war die Lichtung leer. Sie stapfte durch die Asche und ging auf den Rand der Lichtung zu, wo das Sonnenlicht durch die Blätter der Bäume schien. Sie blickte zurück auf den schwarzen Fleck, der ihr zuhause gewesen war. Shanara war ein starkes Vulnona. In ihrem Zorn hatte sie die ganze vom Wald umgebende Lichtung verbrannt.
Selbst an den umliegenden Bäumen war Asche. Als sie sich wieder dem Wald zuwandte, entdeckte sie zwei gleichmäßige Rillen, die tiefer in den Wald hineinführten. Dazwischen waren einzelne Fußabdrücke der Jäger zu erkennen. Da Sina nicht wusste, wohin sie gehen sollte, beschloss sie, den Spuren zu folgen.
Sie waren teilweise nur schwach in der trockenen Erde auszumachen, dennoch gelang es Sina, ihnen zu folgen. Sie ging an riesigen Bäumen mit gewaltigen Stämmen vorbei, die aussahen, als würden sie bis in den Himmel ragen. Neben ihr waren lauter kleine Büscheund wenn Sina genau hinhörte, hörte sie es hier und da leise rascheln. Irgendwo hoch über ihr pfiffen Vögel. Ein kühler Wind strich über den Boden. Und brachte deutlich angenehmere Gerüche, als die von verbrannter Erde und verbranntem Gras. Sina war schon oft mit ihren Eltern im Wald, doch alleine durfte sie noch nie.
"Zu gefährlich", sagten ihre Eltern immer. Sie hatten schaurige Geschichten über die Jäger erzählt. Es hieß, sie hätten einen großen Hass auf alle Wesen des Waldes. Und ihre Jagd würde erst enden, wenn sie auch das letzte vernichtet hätten. Sie sollen Waffen aus Metall und sie sollen in riesigen Häusern wohnen, wogegen ihr Bau nichtmal die Größe eines Rattfratzbaus hätte. Doch Sina hatte die geschichten für Märchen gehalten, bis gestern Nacht.
Sina hielt kurz inne, als sie daran dachte, doch sie zwang sich dazu, den Gedanken zu verscheuchen. Langsam setzte Sina ihren weg durch den Wald fort. Nach einiger Zeit endete der Pfad vor mehrereneingetretenen Büschen. Dahinter lag ein breiterer Weg, der nach links und rechts führte.
Der breite Weg war voller Fußabdrücke, doch die Rillen, die Sina entdeckt hatte, führten nach rechts. Während Sina weiter den Spuren folgte, schien sich der Abstand zwischen den Bäumen zu vergrößern.
Sie musste bald den Rand des Waldes erreicht haben. Ihre Eltern hatten sie stets gewarnt, nie über den Waldrand hinauszugehen, und sie waren auch nie weiter als bis zum Waldrand gegangen, dennoch war Sina neugierig auf das, was dahinter lag.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein lautes Klappern.
Sie versteckte sich hinter einem Busch am Wegesrand und schaute in die Richtung, aus der sie gekommen war. Dort sah sie zuerst nur aufgewirbelten Staub, bis plötzlich eine große hölzerne Kutsche auftauchte, welche von zwei Pampross gezogen wurde.
Auf der Kutsche saß ein Mensch, welcher einen Speer auf dem Rücken und grüne Kleidung trug. Vielleicht war es einer der Jäger von gestern. Sina duckte sich ängstlich tiefer hinter den Busch und wartete, bis die Kutsche vorbeigefahren war.
Auf der Ladefläche der Kutsche lag ein großer Haufen Holz, der offenbar irgendwohin transportiert wurde. Sina hatte so eine Kutsche bisher nur ein paar mal aus der Ferne gesehen, doch nie hatte sie eine von nahem gesehen. Selbst die Räder der Kutsche waren größer als sie selbst. Erstaunt blickte sie an den beiden Pampross hoch, welche mit ihren orangenen Hufen breite Spuren in der Erde hinterließen. Um ihren Hals waren dicke Seile gespannt, die zur Kutsche führten.
Der Mensch auf der Bank der Kutsche ließ kurz eine lange Peitsche knallen und trieb die Pampross zur Eile an. Sina erschreckte sich, als sie den Knall hörte und duckte auf den Boden. Sie hörte, wie die Pampross einen kurzen Schrei ausstießen.
Als sie wieder aufblickte, sah sie nur noch eine Staubwolke vor sich. Die Kutsche war bereits vorbeigefahren. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, trat Sina wieder auf den Weg.
"Sollte ich wirklich weitergehen?" Sina war sich unsicher, ob sie nicht lieber zurückgehen sollte, doch dort war niemand mehr, der auf sie wartete. Andererseits waren die Menschen riesig und ihre Kutschen ebenso.
Selbst ihre Eltern reichten nur zur Hälfte an sie heran. Aber der Gedanke daran, das ihre Eltern bielleicht noch leben könnten, ließ ihr keine Ruhe. Sie beschloss daher, der Spur weiter zu folgen.
Als Sina die Grenze des Waldes erreicht hastte, atmete sie tief durch. Ab hier wurde es gefährlicher. In beide Richtungen endete der Wald abrupt an einer hohen Grasfläche. Zwischen dem Gras und den letzten Bäumen wuchsen dichte Büsche. Der Weg aber führte unbeirrt aus dem Wald heraus ins Grasland, als gäbe es gar keine Grenze. Sina folgte dem Weg weiter und näherte sich irgendwann einer kleinen Siedlung mit mehreren Holzhäusern.
Um die Häuser herum waren mehrere kleine Felder angelegt, auf denen verschiedene Pflanzen wuchsen. Sina erkannte mehrere Beerenarten, doch manche Pflanzen hatte sie noch nie gesehen.
Plötzlich knurrte ihr Magen. Sie war schon seit Stunden unterwegs und musste dringend etwas essen. Sie sprang in das hohe Gras und schlich sich vorsichtig an eines der Felder heran, auf dem mehrere Büsche mit blauen Beeren wuchsen. Nachdem sie sich sattgefressen hatte und wieder ins hohe Gras zurückwollte, bemerkte sie plötzlich aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Ehe sie sich umdrehen konnte, huschte ein riesiger Schatten über sie.