Kapitel 6 - Willst du mich denn überhaupt?
Die Steine auf der Straße drückten sich in die Schuhe und der Wind wehte ihr ziemlich kräftig ins Gesicht. ,,Mir ist so kalt... Warum hab ich mich nicht noch dicker eingepackt?"
Emily hasste dieses Wetter. Da sie in der Nähe der Schule wohnte, musste sich das Mädchen im Winter täglich durch eiskalte Bedingungen zur Schule kämpfen. Umso größer war damit auch die Freude auf die in der nächsten Woche beginnenden Semesterferien, in denen man einfach nur zuhause sitzen konnte und nichts für die Schule tun musste.
Sieben Minuten plagte sich die Schülerin durch die furchtbaren Wetterbedinungnen, ehe sie in der warmen Schule drinnen war. Mit gefrorenen Fingern räumte die Drittklässlerin ihre dicke Winterjacke und Schuhe in den Spind und zog sich die Hausschuhe an.
,,Jetzt werde ich ihn gleich wiedersehen. Was wird jetzt bloß passieren?''
Mit klopfendem Herzen marschierte das Mädchen die Stiegen in die Klasse hinauf. Im Stockwerk der 3c angekommenen, begannen ihre Hände auch noch zu schwitzen, was Emily noch nervöser machte als sie schon war. ,,Ganz ruhig, bleib cool, es wird schon alles gut...''
Die Türe der Klasse war zu, aber nicht zugesperrt. Vorsichtig machte Emily sie auf und bekam fast eine Frisbee-Scheibe in das Gesicht geschossen. ,,Pass doch auf! Komm schnell rein, sonst merken die Lehrer was. Schnell!‘‘
Die Jungs erlaubten sich auch heute wiede einen ,,kleinen'' Spaß indem sie in der Klasse Sport machten. Wild rannten die fünf anwesenden Burschen durch das Zimmer und lachten.
,,Werdet doch mal geistig etwas älter Jungs, und benehmt euch wie 13-Jährige...", dachte sich Emily insgeheim.
Da Marcel noch nicht da war, konnte die bald 13-Jährige die für die nächste Stunde benötigten Sachen rausräumen. Nach und nach trudelten weitere Mitschüler ein, um fünf vor acht betrat auch Marcel die Klasse. Emilys Herz begann schnell zu klopfen. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sessel hin und her, natürlich in der Hoffnung, niemand würde es bemerken.
In der ersten Stunde hatte die 3c Deutsch. Pünktlich um acht Uhr betrat die Lehrkraft die Klasse und begann mit der Kontrolle der Hausübung. Emily war jedoch die kommenden 50 Minuten geistig nicht dabei. Sie war damit beschäftigt, ja nicht zu Marcel rüberzuschauen, was sehr schwer war. Nach den 50 Minuten stand die Schülerin schnell auf, um sich eine kurze Auszeit auf der Toilette zu nehmen. Hastig sperrte sie sich in eine der Kabinen ein und atmete tief durch. ,,Cool bleiben..! Alles wird wieder gut!''
,,Emily? Bist du da?'', fragte jemand, der gerade hereingekommen war, was der Teenager garnicht gemerkt hatte. ,,Ja, hier bin ich!'' - ,,Komm raus Emily! Oder ist dir etwa schlecht?'', fragte Franziska, die mit Johanna ihre Freundin suchte.
,,Ist was passiert?'', wollte Johanna wissen. ,,Du warst so schnell weg... Dabei haben wir heute noch garnicht geredet!''
Emily versicherte, dass alles gut war und sich niemand Sorgen machen musste. Gemeinsam gingen die drei in die 3c, um die Unterlagen für die Physik-Stunde, die im Physikraum im Keller zwei Stockwerke tiefer lag, zu holen.
Erneut stieg im Inneren der 12-Jährigen die Nervosität auf, sie hatte jetzt ein Referat mit Franziska. Obwohl beide sich gut vorbereitet hatten,bezweifelte Emily eine gute Note. ,,Augen zu und durch!''
Die Physiklehrerin war schon da und hatte schon alles vorbereitet, damit die Mädchen gleich anfangen konnten. ,,Bitte, ich habe den Computer und den beamer schon eingeschaltet.''
Während des Referats legte sich die Nervosität bei Emily. Jetzt konnte sie zeigen, dass sie die Beste für Marcel war.
Als die Schülerinnen fertig waren, bekamen sie nur positives Feedback von der Klasse und der Lehrerin. Alle applaudierten.
Da sie die Sachen in die letzte Reihe gelegt hatte, wanderte das Mädchen dorthin. Ihre Physiksachen lagen aber nicht am Boden, sondern am Boden. Wie kamen die denn dorthin? Marcel, der eine Reihe vorne saß, wurde sofort verdächtigt. Ohne Regung hob Emily die Unterlagen auf. Still nahm sie auf dem Sessel Platz. Nach 15 Minuten drehte sich Marcel zu ihr um und grinste blöd.
,,Stirb!!''
,,Stirb zuerst!!'', meldete Emily zurück. Marcel und seine Freunde lachten höhnisch.
Was hatte das zu bedeuten? Sollte sie... sterben??
Die nächsten Stunden konnte die Verliebte an nichts anders mehr denken. Was wollte er mit dieser Aussage andeuten? ,,Ich habe mich doch nicht in einen Mörder verliebt? Er ist doch erst 14!''
Bis nach Hause begleitete das Mädchen ein ungutes Gefühl. Musste es jetzt aus sein? Warum war er ihre ,,große Liebe''? Wieso?
Emily fasste einen Entschluss. Marcel musste aus ihren Gedanken. Jetzt.
Am Abend nach dem Essen legte sich Emily ins Bett. Mit Gewalt versuchte das Mädchen , gegen die Tränen anzukämpfen. Es war sinnlos, sich zu wehren. Es funktionierte nicht. Es passiert einfach. Weinend vergrub Emily ihr Gesicht im Polster und deckte sich zu, in der Hoffnung, niemand würde sie hören oder - noch schlimmer! - sie sehen.
10 Minuten schluchzte der Teenager vor sich hin und wollte die Welt nicht verstehen. Wieso sie? Wieso?
Als Emily sich halbwegs beruhigt hatte, stand die Schülerin auf und schlich leise ins Bad. Niemand durfte sie so sehen!
Vorsichtshalber schloss sich die emotional Aufgewühlte ein. Ein wenig Wasser im Gesicht tat ihr gut und ließ die geschwollenen Augen etwas besser aussehen. Danach wusch sie sich kurz die Hände. Ein ungutes Gefühl stieg in ihr hoch. Sie musste noch einmal ihre Hände waschen, diesmal mit Seife. Und dann nocheinmal, diesmal mit noch viel mehr Seife. Nun fühlte sich Emily wieder gut. Das Mädchen trocknete sich die Hände ab. Was hatte das zu bedeuten? Dieser eine Tag, im Jänner 2011, sollte Emilys Leben auf den Kopf stellen. Und sie verzweifeln lassen.
Drei Jahre später - es ist nun das Jahr 2014.
,,Bitte - helfen Sie mir! Ich weiß nicht mehr weiter! Ich halte diese Schmerzen nicht mehr aus! Schauen Sie sich doch meine aufgerissenen Hände an!! ''
Emily weinte. Sie war kurz davor, ihren Verstand zu verlieren.
,,Was soll ich tun?''