Während die drei Trainer ihren Gedanken nachgingen, betrachtete Jans Flugpokémon das Trasla und seinen Trainer. Irgendwie schien sich das Psychopokémon nicht für seine direkten Reisekameraden zu interessieren. Aber der Trainer schien sich gut mit Jan und Mia zu verstehen. Das Taubsi zögerte etwas, und als immer noch keiner der drei Trainer das Schweigen brach, ergriff es selbst das Wort. „Taubsi, taubsi taub? Taubsi taub?“, fragte es.
„Hmm, das ist eine gute Frage“, antwortete der Mentalist mit der Brandnarbe im Gesicht. Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Vielleicht sollten wir erst einmal abwarten. Wenn er sich in Faustauhaven entscheidet, weiter mit uns zu reisen, können wir das immer noch machen.“
Melisa schien noch mit dem anderen Pokemon beschäftigt zu sein, sodass sie nicht jedes Wort von ihrem geflügelten Reisepartner mitbekam. Sie griff allerdings die Worte ‚Einbruch‘, ‘wir‘ und ‚Flucht‘ auf. Sie hatte es verpasst. Sie hatte es verpasst die aktuelle Situation der Gruppe mitzubekommen. Und sie konnte nur sich selbst die Schuld geben.
Angesichts der Tatsache, dass die Gruppe nach Faustaufhafen wollte, bekam das Psychopokemon ein ungutes Gefühl. Was wenn das Verbrecher waren und die beiden bei deren Flucht verhelfen? Sie wären automatisch Straftäter. Sie musste ihrem Trainer Bescheid sagen. Sie stupste Siegfried leicht an, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ihr Blick war auf den Brillenträger und das Mädchen fixiert. ‚Siegfried,ich glaub wir haben es mit Verbrechern zu tun.‘ Er sah sie verwirrt an. ‚Verbrechern? Wie kommst du denn darauf? Ich finde, das sind nette Leute.‘ ‚Das Taubsi hat gerade davon gesprochen.‘ Siegfried sah das Pokemon unglaubwürdig an. ‚Okay, wo sind sie eingebrochen?‘ Melisa sah beschämt zu Boden als sie zögerte zu antworten. ‚Das … das hat er nicht gesagt.‘Der Junge sah sie mit strengem Blick an. ‚Du verbirgst doch was, oder? Raus mit der Sprache. Was ist es?‘ ‚Ich … habe meine Aufmerksamkeit einem anderen Trasla gewidmet.‘ Ihre Stimme wurde leiser. Die telepathische Verbindung konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Siegfried stöhnte: „Melisa, du solltest dich besser auf deine Partner konzentrieren. Es ist wichtig eine Art Vertrauen aufzubauen.“ Unbewusst sprach er die Worte vor seinen Reisekameraden aus. „Auch wenn mir neu ist, dass du dich für ein anderes Trasla interessierst“, fügte er kurzerhand hinzu.
Mia sah leicht verwirrt zwischen den beiden Trainern hin und her. Taubsi sagte etwas, dass sie aber nicht verstand und Jan antwortete prompt darauf. Auch Siegfried sprach ganz normal mit seinem Trasla, jedoch ohne, dass dieses einen Laut von sich gab.
Sollte sie nachfragen? Die junge Trainerin wollte zwar weder unwissend noch aufdringlich herüberkommen, jedoch interessierte es sie brennend, ob die beiden anderen wirklich ihre Pokémon verstanden oder sie nur so gut kannten, dass sie wussten, was ihre Partner ihnen mitteilen wollten. Andererseits hatten die Sätze der beiden wirklich wie eine Antwort auf etwas geklungen, dass Mia nicht zuordnen konnte.
„Ähm ... könnt ihr ... also versteht ihr eure Pokémon? So, als ob sie direkt mit euch reden würden? Wie bei einem anderen Menschen? Und wenn ja, wisst ihr auch wieso das so ist? Ich meine, das können doch nicht alle, oder?“
Erst zögerte sie, doch dann sprudelten die Fragen nur so aus Mia heraus. Fragen, die sie noch niemandem gestellt hatte, aber sie wollte jetzt wissen, ob sie wirklich so verrückt war oder ob es tatsächlich mehrere gab, die die Pokémon verstehen konnten. Und sie war irgendwie froh darüber, dass sie diese Fragen gestellt hatte.
Das Taubsi schien sich mit Jans Antwort erst einmal zufrieden zu geben, aber der Brillenträger war sich dennoch nicht sicher, ob seine Entscheidung die richtige war. Aber er kam nicht dazu, sich in dieser Richtung viele Gedanken zu machen, denn Siegfied begann ziemlich unvermittelt, sein Trasla zu ermahnen, weil es seiner Meinung nach wichtig war, Vertrauen aufzubauen. Jan konnte nicht nachvollziehen, wie der Braunhaarige dazu gekommen war, aber bevor er sich groß Gedanken machen konnte, ergriff Mia das Wort und fragte: „Ähm ... könnt ihr ... also versteht ihr eure Pokémon? So, als ob sie direkt mit euch reden würden? Wie bei einem anderen Menschen? Und wenn ja, wisst ihr auch wieso das so ist? Ich meine, das können doch nicht alle, oder?“
„Soweit ich weiß, können das nur wenige“, ging er als erstes auf ihre letzte Frage ein. „Meine Kollegin hat mir damals auf dem Frachtschiff erzählt, dass ich schon etwas Besonderes wäre, weil ich mein Plinfa ganz problemlos verstehen kann. Ich glaube, sie hat mich in dem Zusammenhang irgendwann einmal als einen ‚Mentalisten‘ bezeichnet.“ Er zögerte einen Moment und fügte dann noch hinzu: „Aber so mit einem Gespräch zwischen Menschen? Na ja, ich würde mal sagen, es kommt auf das Pokémon drauf an. Plinfa verstehe ich eigentlich immer, Feurigel meistens, und beim Taubsi hängt es davon ab, ob ich gerade abgelenkt bin und wie schnell es redet.“ Auf die Frage, wieso er seine Pokémon verstehen konnte und andere nicht dazu in der Lage waren, ging er erst einmal nicht ein, weil er sich darüber bisher noch keine Gedanken gemacht hatte.
Siegfried war zunächst verwirrt und verwundert. Wieso stellte die Brünette diese Fragen? Wenn sie an Jan gerichtet waren, könnte er es verstehen, aber sie waren eindeutig an beide gerichtet. Der Junge war sich sicher, dass er mit Melisa über Telepathie gesprochen hatte. Oder doch nicht? War es möglich, dass er teilweise seine Gedanken ausgesprochen hatte? Anhand der aktuellen Situation musste es passiert sein, sonst würde die Fragestellung keinen Sinn ergeben.
Jan ergriff als erster das Wort. „... sie hat mich in dem Zusammenhang irgendwann einmal als einen ‚Mentalisten‘ bezeichnet.“ Mentalist? In Verbindung zu Jans Fähigkeit, seine Pokémon verstehen zu können, bezeichnet dieses Wort wohl einen Trainer, der mit seinen Pokémon kommunizieren kann. Das abgeleitete Wort ‚mental‘ deutet darauf hin, dass solche Trainer eine hohe geistige Verbindung mit ihrem Pokemon haben.
Siegfried zögerte zunächst eine Antwort zu geben. Seine Art der Kommunikation mit Pokémon war anders. Es zu verheimlichen oder zu verschleiern brachte nichts. Am Ende müsste er dann doch die Wahrheit sagen. Aber warum war dieses Mädchen so wild darauf zu wissen, ob ihre Kameraden ihre Pokémon verstehen können? War sie ... war sie etwa auch eine? Eine dieser sogenannten Mentalisten? „Nun, ich alleine kann meine Pokémon nicht verstehen. Ich habe nicht diese Begabung, die Jan hat. Es ist meine Partnerin Melisa, die für mich übersetzt.“ Er deutete auf sie. „Sie ist so gesehen meine Dolmetscherin. Wir kommunizieren mittels Telepathie. Ihr habt wahrscheinlich davon gehört. Eigentlich wird diese Methode nur von erfahrenen Trainern benutzt, aber Melisa bestand darauf sie schon in ihrem jetzigen Status zu verwenden. Hin und wieder reden wir miteinander über Telepathie, allerdings nicht für lange. Es verbraucht viel von ihrer Energie.“ Gespannt wartete Siegfried auf Mias Reaktion.
Abwartend sahen die beiden Trainer sie an und sie nickte zögernd, als Zeichen, dass sie alles verstanden hatte. Nun ja, zumindest mehr oder weniger. Wenn die Trainerin genauer darüber nachdachte, war es bei ihr fast genauso wie Jan. Leafy konnte sie ziemlich gut verstehen und Toxic, ihr Zubat eigentlich nur, wenn sie sich sehr auf es konzentrierte. Fremde Pokémon verstand sie in der Regel nicht, sie hörte nur die jeweiligen Geräusche, die jeder zu hören schien. Auch damals in Sinnoh hatte sie erst angefangen, die wilden Pokémon zu verstehen, nachdem sie sehr oft mit ihnen gespielt hatte.
„Ihr wollt bestimmt wissen, wieso ich das gefragt habe, stimmts?“ Mia lächelte verlegen. „Ich kann Pokémon nämlich auch verstehen ... na ja, hauptsächlich meine eigenen, fremde Pokémon normalerweise nicht. Ich denke, es ist so ähnlich wie bei dir, Jan. Es könnte ja sein, dass ich auch eine ... Mentalistin bin.“ Sie sah kurz zu dem jungen Mann mit der Brandnarbe im Gesicht und blickte dann zu ihrem anderen Gesprächspartner.
„Aber ich finde es auch sehr interessant, wie du dich mit deinem Pokémon verständigst, Siegfried. Ich dachte bisher eigentlich, dass so etwas höchstens bei ein paar legendären Pokémon möglich wäre.“ Mia wurde klar, wie wenig sie überhaupt über Pokémon wusste und sie sah zu ihrem Geckarbor, welches auf ihrem Schoß eingedöst war.
„Ich habe bis jetzt noch nicht einmal gewusst, dass ein Gedankengespräch zwischen einen Trainer und einem Pokémon überhaupt möglich ist“, gestand Jan. Seine Kollegin hatte zwar auf dem Frachtschiff irgendwann einmal erwähnt, dass manche Psyhopokémon telepathische Fähigkeiten hätten, aber von Trainern hatten sie in diesem Zusammenhang nicht gesprochen. Oder hatte er da etwas falsch verstanden? Er wusste es nicht mehr so genau.
Aber auch bei Mias Aussage gab es etwas, was ihn erstaunte. „Sag mal, Mia, was meinst du eigentlich mit ‚hauptsächlich deine eigenen Pokémon‘? Du hast doch gesagt, dass du erst vor Kurzem dein erstes Pokémon bekommen hast. Wie kommt es dann dass du deine kleinen Freunde jetzt schon verstehen kannst und - wenn ich das richtig verstehe - teilweise sogar fremde Pokémon? Bei mir hat es ein paar Jahre gedauert, bis ich mich mit Plinfa unterhalten konnte, und von fremden Pokémon bin ich selbst bis jetzt nicht weiter gekommen als dass ich manchmal deren Gefühle erahnen kann.“
Siegfried schwieg fürs erste. Er wollte über seine und Melisas Methode nicht zu viel verraten, vor allem da dies persönliche Dinge einbinden würde. Viel weniger wollte er die Interaktion zwischen den beiden Trainern unterbrechen. Zumindest hatte sich eine Sache für ihn bestätigt: Mia war wohl eine Mentalistin. Zusammen mit Jan und ihm selbst waren es drei Trainer, die ihre Pokemon verstehen konnten. Sie waren so gesehen die Gruppe der Pokemon-Interaktöre. ‚He, Pokemon-Interaktöre.‘ Der Name klang einfallslos, dämlich, aber treffend. Siegfried war nie besonders kreativ, was Namensgebung anging. Er konnte sich bei dem Namen ein Grinsen nicht verkneifen.
Mia dachte kurz nach. "Hm, ehrlich gesagt weiß ich das nicht genau. Als ich Leafy getroffen habe, war da irgendwie eine besondere Verbindung zwischen uns. Es hat sich irgendwie richtig angefühlt und dieses Gefühl war auch der Grund, weshalb ich ihn als Pokémonpartner gewählt habe. Toxic kann ich ja auch noch nicht so richtig verstehen, aber wenn ich mich auf ihn konzentriere, dann weiß ich meistens so ungefähr, was er mir mitteilen will. In Sinnoh gab es ein paar wilde Pokémon, mit denen ich ab und zu gespielt habe ... die konnte ich auch erst nach mehreren Jahren ein wenig verstehen. Aber ich habe so das Gefühl, als ob es immer ein kleines bisschen leichter wird, je länger ich mich mit Pokémon beschäftige und desto älter ich werde." Sie hoffte, dass damit Jans Frage beantwortet war und lächelte kurz. Die junge Trainerin war froh darüber, dass es noch andere gab, die dieselbe Gabe besaßen wie sie, denn sie wusste jetzt, dass sie keineswegs verrückt war. Sie hatte einfach nur großes Glück gehabt und diese Fähigkeit geschenkt bekommen.
„Ach so, ich verstehe“, sagte Jan. Auch er hatte schon bemerkt, dass es beim Feurigel und beim Taubsi deutlich kürzer gedauert hatte, bis er sich mit ihnen unterhalten konnte als beim Plinfa. Vielleicht war es so. dass sich diese Fähigkeit irgendwie von einem Pokémon auf ein anderes übertragen ließ. Und vielleicht war es für Mia leichter, wilde Pokémon zu verstehen, weil sie ihre Grundlagen mit mehreren wilden Pokémon und nicht wie Jan mit einem einzigen Pokémonpartner gesammelt hatte. Eine Weile kreisten seine Gedanken noch um die Entwicklung der Fähigkeit, sich mit Pokémon zu unterhalten.
OT: Der dritte Teil unseres (Feuerdrache, Siegfried Wilder und Glaziola13) Gemeinschaftsposts :)