obwohl jedermanns gesunder Menschenverstand darauf schließen ließe, dass der Angeklagte dennoch der Täter ist
Der "gesunde Menschenverstand" ist so eine Sache, mit der sich schlecht diskutieren lässt, weil er subjektiv ist. Ich hab schon Leute für den Innenweltkosmos mit "gesundem Menschenverstand" argumentieren hören. Für die Schöpfungstheorie der Bibel. "Gesunder Menschenverstand" ist also ein bescheidenes Argument, weil er sich nach Gefühl richtet. Ein schlechter Richter.
Was die Judikative beschließt, ist Recht, aber nicht Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit ist nunmal etwas enorm subjektives. Nehmen wir beispielsweise dein Säurebeispiel: Für den Typen in Indien, der die Abfuhr erhalten hat, kann es durchaus gerecht erscheinen, dass die ihm eine Abfuhr Erteilende Säure ins Gesicht bekommt. Das sehen wir beide als ziemlich ungerecht an. In Gesellschaften, in denen Frauen als relativ wertlos gelten, wird man tendenziell dem Inder zustimmen, in Gesellschaften, die den Wert von Frauen als den von Menschen anerkennen, dürfte man geneigt sein, der unseren Einschätzung zuzustimmen.
aber ein Dokument wird nie so menschlich, vernünftig und moralisch richten können wie Herz, Kopf und Seele.
Moral ist nichts, was festgeschrieben korrekt ist. Vielmehr wandelt sie sich mit der Zeit. Es war lange Zeit moralisch korrekt Sklaven zu halten, es war korrekt, dass Frauen keine Rechte hatten, dass Homosexualität eine Krankheit sei, die es zu behandeln gelte und so weiter und so fort. Mit "Herz, Kopf und Seele" lassen sich Ehrenmorde relativ leicht rechtfertigen, genauso wie die Säureattacke. Natürlich siehst du deine Moral als korrekt an, alles andere wäre ja auch Quatsch. Trotzdem existieren eben neben deiner Vorstellung weitere. Und die Vorstellungen, an die wir uns zu halten haben, sind in Gesetzen formuliert. Diese Gesetze können auch angepasst werden, aber solang sie gültig sind, haben wir uns halt dran zu halten. Und zwar allgemein und nicht, wenns grad passt.