Für immer
Vorsichtig beobachtete Shaymin den Menschen, der gerade über die Blumenwiese ging. Wie immer hielt es sich versteckt, bereit jederzeit einzugreifen, sollte er ein Chaos veranstalten. Aber das geschah nur selten. Die meisten Menschen waren allein dafür dankbar, diese Wiese gefunden zu haben. Und sie nutzten die Gracidea, die sie hier begrüßten, um ihre Dankbarkeit nach außen zu tragen. Shaymin liebte es, die Menschen zu beobachten. Es liebte, wie die Augen der Person aufleuchteten, die diese besonderen Blumen geschenkt bekam. Blumen, die Dankbarkeit auf eine solch fundamentale Weise ausdrückten, wie Worte es nicht konnten. Das war die Gracidea. Und Shaymin war ihr Hüter.
Dieser Mensch aber wirkte anders. In den Augen anderer strahlte Wunder, Freude, Glück. In seinen Augen erkannte das Pokémon nichts dergleichen. Er wirkte fast ein wenig, als wäre er nicht hier, ein Geist, den etwas plagte, das seinen Blick trüb werden ließ. Dennoch bewegte er sich zielsicher auf eine der rosafarbenen Blumen zu.
Shaymin stutzte. Dieser Mensch pflückte keine der Blumen, wie es das Pokémon sonst beobachtete. Vorsorglich machte es sich bereit, sofort sein Versteck zu verlassen, doch der Mensch hatte nicht vor, die Wiese zu zerstören. Stattdessen grub er ein kleines Loch und nahm eine der zierlichen Pflanzen mitsamt der Wurzeln heraus, trug sie sanft wie ein neugeborenes Baby, ehe er das Loch wieder mit Erde füllte.
Neugierig folgte Shaymin dem Menschen weiter durch die verschlungenen Wege, die sie von seiner Wiese entfernten. Immer darauf bedacht, nicht von ihm gesehen zu werden. Aber der Mensch achtete nur auf die Blume in seiner Hand.
Nach einiger Zeit erreichte er einen offenen Bereich, auf dem viele Steine standen. Vor einem ließ er sich nieder. Der Stein wirkte schlicht und Shaymin erkannte, dass etwas darauf geschrieben stand, ohne die Wörter zu kennen. In die noch aufgewühlte Erde vor dem Stein pflanzte der Mensch die Gracidea-Pflanze. Er ließ sich Zeit, als wollte er alles richtig machen. Oder als zögerte er etwas hinaus.
Als der Mensch schließlich den Blick zum Stein hob, erkannte Shaymin, dass er weinte. „Danke“, flüsterte er. „Danke für alles. Für ...“ Seine Stimme brach. Einige Augenblicke saß er nur da und der Wind trug sein Schniefen davon. „Danke.“
Shaymin verstand nicht genau, was hier vor sich ging. Es verstand nicht die Bedeutung des Ortes, aber es verstand die Bedeutung der Geste. Dieser Mensch verspürte eine so tiefe Dankbarkeit, dass ihm eine einzelne Blüte nicht ausreichte. Seine Gefühle flossen durch die Blüte und schließlich zu Shaymin, das den Formwandel lächelnd entgegennahm.
Mit kräftigen Sprüngen flog Shaymin über den Menschen und den Stein. Es wusste nicht genau warum, aber es hatte das dringende Bedürfnis, sich diesem Menschen zu zeigen. Und als es zurückblickte und sein Lächeln sah, wusste es, dass es die richtige Entscheidung getroffen hatte, ehe es wieder in Richtung seiner Blumenwiese verschwand.