Noch dazu kommt, dass es eigentlich die "Klimaleugnerei" ist zu sagen: "Fett ist zwangsweise Ungesund", weil es mehrere Studien gibt, die belegt haben, dass die reine Körpermasse ein verflucht mieser Indikator für Gesundheit ist. So ziemlich alle anderen Indikatoren sind besser dafür geeignet, als Körpergewicht.
Je nach Land sind 1/3, bis 3/4 (!!!) der übergewichtigen Menschen ansonsten körperlich gesund (ausgeschlossen diejenigen, die aufgrund einer Krankheit übergewichtig sind - dazu gleich mehr), haben also keine anderen erhöhten Risikowerte (wie hoher Blutdruck oder hoher Cholesterinspiegel), während mindestens 1/4 der dünnen Menschen diese anderen Risikofaktoren in sich trägt.
Uff. Diese Argumentation ist zum einen ziemlich relativierend und vermischt außerdem den Ist-Zustand der Gesundheit mit dem von Fettleibigkeit ausgehenden Risiko. Nur weil ein übergewichtiger Mensch zum aktuellen Zeitpunkt gesund ist, bedeutet das nicht, dass er gesund bleibt. Und ein Grund, warum man weniger fettleibige und gleichzeitig kranke Menschen sieht, ist eben auch, dass diese früher sterben. So makaber das auch klingt.
Wäre übrigens cool, wenn du diese "mehreren Studien", die das beweisen sollen, mal verlinken könntest. In dem von dir verlinkten Artikel wird diesbezüglich nur auf eine Meta-Studie verwiesen, die eine sehr große Varianz bei der Schätzung des Anteils gesunder fettleibiger Menschen feststellt und dies auf eine nicht einheitliche Definition dieses Begriffs zurückführt. Wobei anzumerken ist, dass strengere Definitionen auch zu einem geringeren Anteil führen - der kleinste gemessene Wert war 6%.
Was in dem Artikel nur über eine Randbemerkung abgetan wird ist die Aussage, dass so gut wie jede Studie bei Übergewichtigen eine schlechtere Gesundheit des Herzkreislaufsystems feststellt. Also, ich weiß ja nicht.. würdest du nicht sagen, dass das ein verdammt guter Indikator für gesundheitliche Unterschiede ist? Aber ich kann dir gerne auch noch mehr Material liefern, wenn es sein muss:
- Kramer et al., 2013: Vergleich zwischen Normalgewichtigen und adipösen Menschen über 10 Jahre hinweg. Mortalität und Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen für Adipöse signifikant höher.
- Bell et al., 2015: Untersuchung gesunder übergewichtiger Menschen über 20 Jahre. Mehr als die Hälfte entwickelte sich in dieser Zeit zu ungesunden übergewichtigen Menschen, 8fach höheres Krankheitsrisiko als Normalgewichtige.
- Chang et al., 2014: Untersuchung von 15k Probanden. Häufiger verkalkte Arterien bei Adipösen, auch den gesunden.
- Berrington de Gonzalez et al., 2010: Untersuchung des Sterberisikos von 1,5 Millionen Probanden. Geringstes Sterberisiko in einem BMI-Bereich von 20 bis 24,9. 151% höheres Sterberisiko bei schwerer Adipositas (ab BMI 35).
- Grover et al., 2014: Untersuchung der Langzeitfolgen von Adipositas im Bezug auf Lebensdauer und Lebensqualität. Die Folgen schwerer Adipositas sind ein bis zu 8,4 Jahre früher eintretender Tod und der Verlust von 19,1 "gesunden" Jahren.
- Arnold et al., 2014: Assoziation verschiedener Krebsarten mit Adipositas. Erhöhung um 62% pro 5 BMI-Punkte (Uterus), 31% (Gallenblase), 25% (Nieren), 10% (Gebärmutterhals), 9% (Schilddrüse und Leukämie) für Adipöse.
- Niedermaier et al., 2015: Risiko für Gehirntumore. 54% höheres Risiko für Menschen mit Adipositas.
- Grodstein et al., 1994: Starke Erhöhung des Unfruchtbarkeitsrisikos für adipöse Frauen.
- Aune et al., 2014: Erhöhtes Risiko für Fehl- und Totgeburten sowie frühe Kindstode. Fehlgeburt: 76:10000 (Normalgewicht) vs. 102:10000 (Adipositas). Totgeburt: 40:10000 (Normalgewicht) vs 59:10000 (Adipositas). Kindstod: 33:10000 (Normalgewicht) vs. 43:10000 (Adipositas).
- Subac et al., 2002: Gewichtsverlust adipöser Frauen um 10% halbiert Fälle von Inkontinenz.
- Fabricatore et al., 2011: Gezieltes Abnehmen reduziert depressive Symptome deutlich. (Pers. Anmerkung: Der Zusammenhang zwischen Übergewicht und Depressionen ist komplex, da sich beides in gewissen Grenzen gegenseitig bedingt. Im Allgemeinen lässt sich aber ausschließen, dass das Gewicht bei der Bildung und dem Schweregrad von Depressionen keine Rolle spielt.)
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Guh et al., 2009:
- Diabetes nach Gewicht. 6-fach höheres Risiko einer Erkrankung für adipöse Männer und ein 12-fach höheres Risiko für adipöse Frauen im Vergleich zu Normalgewichtigen.
- Wahrscheinlichkeit eines Gelenkersatzes für adipöse Männer um 320% erhöht.
- 43% höheres Asthma-Risiko bei adipösen Männern und 78% bei Frauen.
- Risiko für chronische Rückenschmerzen bei Menschen mit Adipositas um 181% erhöht.
- Risiko für Gallenprobleme für adipöse Männer um 151, für adipöse Frauen um 132% erhöht.
- Schlaganfallrisiko für adipöse Männer um 51% und für adipöse Frauen um 49% erhöht.
- Gunstad et al., 2010: Vergleich der Hirnleistung (zuvor) adipöser Männer vor und nach rapidem Gewichtsverlust. Ein höherer BMI korreliert mit schlechteren Resultaten bei IQ-Tests.
- Janovitz et al., 2015: Erhöhter Taillenumfang geht mit deutlicher Reduktion der grauen Gehirnmasse einher, dementsprechend stark erhöhtes Risiko für Demenz bei Adipösen.
Ich könnte noch eine Weile so weitermachen. Diese ganzen Zahlen bedeuten nun selbstverständlich nicht, dass ein adipöser Mensch irgendwann krank werden "muss" - aber eben, dass das Risiko dafür in quasi allen Bereichen stark erhöht ist. Hierfür kann man nun natürlich nicht nur das Übergewicht, sondern auch andere Einflussfaktoren wie etwa den allgemeinen Lebensstil oder Wohlstand und Bildung verantwortlich machen - und hätte in Teilen auch recht damit. Diese Betrachtungsweise bröckelt aber spätestens dann ein wenig, wenn man sich langfristig angelegte Studien ansieht, die den gesundheitlichen Zustand der Probanden in Relation zu der Gewichtsentwicklung setzen. Ebenso lassen sich derartige Verzerrungen über eine entsprechende Dimensionierung der Kontrollgruppe reduzieren. Für beides finden sich in den oben verlinkten Studien Beispiele.
Fun Fact am Rande: Raucher verschieben den Bias solcher Studien zugunsten von Menschen mit Adipositas, da Raucher im Schnitt weniger wiegen. Dies wurde in vielen Studien lange Zeit ignoriert, wodurch dann teilweise auch so paradoxe Studienresultate entstanden wie etwa, dass leicht übergewichtige Menschen ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hätten als Normalgewichtige. Selbstverständlich völlig an den Haaren herbeigezogen.
Dazu kommt, dass Fettleibigkeit nur eingeschränkt mit der Menge zu tun hat, die wir essen, oder auch nur damit, wie viel Sport wir machen. Viel mehr hat es mit der Qualität der Ernährung zu tun und diese wird halt nun einmal maximal durch Einkommen und andere Lebensumstände zusammen. Viele Menschen können es sich finanziell und/oder zeitlich nicht erlauben, sich gesund zu ernähren. Da hilft es auch nicht, Kalorien zu zählen, weil das einfach nur ein unzureichender Wert ist.
Müssen wir darüber wirklich nochmal diskutieren? Ja, die Qualität der Ernährung hat einen erheblichen Einfluss auf die Gewichtsentwicklung. In billigen Lebensmitteln steckt mehr Zucker und die Verarbeitung der Lebensmittel kann unter anderem für eine Störung des Sättigungsgefühls sorgen. Dies alles hat einen Einfluss darauf, wie viel wir essen und letztlich auch, wie viele Kalorien wir zu uns nehmen. Und da liegt auch schon der Knackpunkt: Bei der Kalorienzahl handelt es sich um einen physikalischen Wert, der die im Lebensmittel enthaltene Energiemenge abbildet. Und unser Körper ist letzten Endes nur ein System, das Energie über die Nahrung aufnimmt, einlagert und bei Bedarf beispielsweise in Form von Wärme wieder abgibt. Ein Mensch verliert genau dann Gewicht, wenn die Menge der zugeführten Energie unter der Menge der abgegebenen Energie liegt. Die Kalorienzahl ist also kein "unzureichender Wert"; es handelt sich dabei viel mehr sogar um die zentrale Größe zur exakten Berechnung des Gewichtsverlusts, vorausgesetzt, man kennt den eigenen Kalorienverbrauch.
Der Körper ist bei der Umwandlung von Kalorien im Übrigen sehr effizient. Meine "Lieblingsstelle" des verlinkten Artikels ist ja die in der es heißt, dass bei einer Reduktion des Körpergewichts um drei Prozent bereits ein 17%iger Rückgang des eigenen Stoffwechsels zu bemerken wäre. Dieser vermeintliche "Hungermodus" ist allein schon deswegen kompletter Unsinn, weil bereits ein 15%iger Rückgang mit erheblichen Begleitsymptomen bis hin zu schweren Organschäden verbunden ist (Al-Adsani et al., 2013). Die mit Abstand größten Einflussfaktoren auf den Stoffwechsel haben nach wie vor Muskelmasse und Aktivität (Toubro et al., 2013), während unsere Organe schlicht eine bestimmte Menge an Energie brauchen, um zu funktionieren. Man stelle sich vor wie ineffizient es von unserem Körper wäre, im normalen Betrieb einfach so Energie zu verschwenden, die er anstelle dessen auch einfach einlagern könnte. Ähnlich optimiert läuft die Aufnahme von Kalorien ab; so viel Energie wie möglich einzulagern war in frühen Zeiten der Menschheitsgeschichte schließlich überlebenswichtig. Dass der Stoffwechsel nicht einfach so beliebig änderbar ist bestätigen unter anderem Jebb et al. (1991), Weinsier et al. (2000) sowie Amatruda et al. (1993), die gleichzeitig auch eine starke Korrelation zwischen Kalorienaufnahme und der Gewichtsentwicklung zeigen.
Übrigens, nicht falsch verstehen: Selbstverständlich bin ich für einen Abbau der Diskriminierung übergewichtiger Menschen, besser zugänglichen Bildungs- und Beratungsangeboten sowie strengeren Regularien für die Lebensmittelindustrie (ein erster Schritt wäre zu verbieten, dass uns diese umbringen darf). Die von Übergewicht ausgehenden Gefahren allerdings herunterzuspielen oder etwa komplett zu leugnen ist mit Verlaub nicht nur unwissenschaftlich, sondern sogar grob fahrlässig.