Hi,
ich wollte mich nicht bei deinem letzten Post bedanken. Ich konnte es aber auch nicht nicht tun. Und jetzt habe ich endlich die Zeit, dir zu erzählen, warum.
Es reimt sich nicht.
So, das wars, damit ist alles gesagt. Bis zum nächsten Mal.
Nee, Quatsch, das ist zwar der Grund, warum ich mich nicht bedanken wollte, aber so einfach ist es halt auch wieder nicht. Ich hätte zwar super gerne einen Reim gehabt in diesem Verspaar (ich liebe halt klassische Gedichtformen, weshalb ich gerade ernsthaft überlege, noch einen Kommentar zu Fokus anzuhängen), aber inhaltlich, bildlich ist es halt trotzdem so schön, dass ich mich nicht nicht bedanken konnte bzw. positiv ausgedrückt, mich bedanken musste.
Du beginnst damit, dass sich der Stern nach dem Dunkel der Nacht sehnt. Ich hab da beim ersten Lesen gar nicht so sehr drüber nachgedacht, aber es ergibt ja durchaus Sinn, immerhin kann man ihn nicht sehen, wenn es tagsüber hell ist. Für ihn ist die Nacht dann womöglich nicht das eisige Grauen, sondern das ist die Interpretation, der Kommentar des Lyrischen Ichs (auch wenn es sonst nicht vorkommt). Oder aber Sterne sind in dieser Welt eher grausam eingestellt ...
Im zweiten Vers bluten dann erstmal Herbst und Herz. Das Bluten des Herbsts stelle ich mir als Fallen roter Blätter vor. Wenn man das mit allgemeinem Bluten vergleicht, hat das auch gewisse Ähnlichkeit, immerhin werden die Blätter wie das verkrustete Blut irgendwann braun. Mir gefällt der Vergleich bzw. das Bild sehr gut. Blutende Herzen sind dagegen weniger ungewöhnlich und stehen normalerweise für eine verlorene Liebschaft. Sowas (Trennungsschmerz) wird ja auch häufiger mit dem Herbst in Verbindung gebracht. (Weitere Überlegungen zum Winter folgen unten.)
Zu guter Letzt erstarrt die hektische Stadt. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir nicht ganz sicher bin, wie ich das Wenn und Dann in diesen Versen setzen soll. Wenn der Stern sich sehnt, dann bluten sie und die Stadt erstarrt? Wenn der Stern sich sehnt und sie bluten, dann erstarrt die Stadt? Ich muss sagen, dass ich es immer nach der zweiten Lesart gesehen habe, wodurch ich das Erstarren der Stadt abhängig vom Bluten gemacht habe. Wenn es kühler wird, erstarrt die Stadt, gefriert so gesehen. Das passt natürlich auch gut zur eisigen Nacht. Wobei der erste Vers ja gar nicht sagt, dass sie schon da ist. Wenn allerdings das Sehnen des Sterns alles andere bedingt, weiß ich nicht recht, wie ich es interpretieren soll. Ich mag zwar die Idee aus dem ersten Vers, aber mir fehlt die Idee, wie ich ihn gut mit dem anderen verbinden kann. Vielleicht nehme ich auch einfach das Semikolon, welches mich erst auf den Gedanken gebracht hat, das Dann an eine andere Stelle zu setzen, als Ausrede, dass sie gar nicht so sehr zusammen gehören.
Eben gerade beim ersten Lesen hab ich den Titel überlesen und ihn nicht mehr im Kopf gehabt und das ganze Gedicht (? Ich nenn es jetzt der Einfachheit halber Gedicht) auf den Herbst bezogen. Es heißt nun aber Wintervers. Also wie versprochen noch ein paar Gedanken zum Winter. Dieser passt erstmal super zum eisigen Grauen aus dem ersten Vers. Winternächte sind ja kalt. Vielleicht will der Stern sie ja dann auch einfach nur erleuchten und weniger grausam machen. Außerdem könnte man da jetzt vielleicht eine Interpretation in Richtung Weihnachtsstern ansetzen, aber dafür ist es mir noch zu früh im Jahr. Den blutenden Herbst könnte man unter dem Titel schon uminterpretieren zu einem sterbenden Herbst, weil ja nun der Winter kommt. Ähnliches für das blutende Herz. Und wenn man da jetzt weiter denkt, könnte man das ganze Gedicht auf Liebeskummer beziehen. Das Lyrische Ich wäre in dem Zusammenhang der Stern bzw. seine Liebe, die durch das Selbstmitleid nicht mehr den schönen Tag erträgt, sondern sich nach der Grausamkeit der Nacht sehnt. Das Bluten bleibt so weit beim Sterben und das Erstarren ist dann vermutlich eine Art Abgestumpftsein. (Es ist schon interessant, wie sich meine Interpretationen immer während des Schreivens entwickeln.)
Ich liebe den Klang von Fokus (oder wie es später heißen soll). Ich bin mir nicht ganz hundertprozentig sicher, was es aussagen soll, aber mir ist dann heute auch mal aufgefallen, dass die "Große[n] Worte" ja alle groß geschrieben wurden und nur das "du" klein ist. Ich nehme also an, dass das eigene Selbst (hier: "du") hinter den anderen Dingen ("Lieben, Leiden, Lebenssinn") zurückstecken muss.
Ich versuche noch herauszufinden, warum, der Lebenssinn getrennt ist. Es gefällt mir sehr gut, aber ich weiß es noch nicht zu interpretieren. Vielleicht weiß ich auch nur das Gefühl, das es auslöst, nicht in Worte zu fassen.
Ich denke, du weißt selbst, dass das Gedicht rhythmisch einwandfrei ist, was bei mir dazu führt, dass ich die Fragen im letzten Vers viel eindrücklicher finde. Außerdem fällt mir gerade auf, dass sie jeweils zu den vorherigen Versen passen. Das Wer passt zu Lieben und Leiden und das Wohin zu Träumen und Sehnsucht. Das ist mir zunächst gar nicht aufgefallen, verstärkt aber so wunderbar den Zusammenhang/-halt der Verse.
Viel mehr fällt mir jetzt nicht zu interpretieren ein, weshalb der Teil etwas kürzer wird. Aber ich wollte ja eh nur den Wintervers kommentieren, also passt das schon.
Nachdem ich nun also mehr geschrieben habe, als ich wollte, beende ich an dieser Stelle den Kommentar und freue mich auf weitere Werke aus deiner Krearivwerkstatt. (Und für Rechtschreibfehler haftet mein Handy.)
~Shira