Kapitel 6: Nachtmusik
Giulia und Samu schafften es, der seltsamen Holzpuppe zu entkommen und entdeckten, dass sie in einer Villa mitten im Sumpf gefangen gehalten worden waren. Bevor das merkwürdige Gebäude in Flammen aufging, hatten sie jedoch keine Möglichkeit, mehr herauszufinden.
Samu nutzte seine Chance und nahm das Mädchen gefangen, um seinen Kopfgeldjägerauftrag zu erfüllen und nach Thengen zurückzubringen ...
Unter dem
dichten Dach aus Laub und Zweigen war es schon früh dunkel geworden und zu den
Melodien der zartesten Ärmchen der Bäume gesellten sich die Geräusche allerlei
nachtaktiver Waldbewohner. Wenn der Mond heute Nacht am Himmel erschienen war,
so ließ er in der flachen Senke, in der Samu und Giulia ihr Lager aufgeschlagen
hatten, wenig von sich sehen. So würde der kleine Tümpel in der Mitte auch glänzen
wie geschwärztes Eisen, wenn er nicht von einer Schicht aus Blättern und Algen
fast vollständig bedeckt worden wäre. Zwei Bäume flankierten ihn wie stumme,
einsame Wächter: Eine schmale Blutbirke, deren weinfarbene Flecken in der
Dunkelheit schwarz wirkten, und eine alte Eiche, die aussah, als hätte ihr ein
Blitz vor langer Zeit das Leben aus dem Stamm geschmettert. Zwischen ihren
knorrigen und ächzenden Ästen hockte eine kleine Sumpfohreule, die von Zeit zu
Zeit ein abgehacktes, stotterndes huhuhuhuhu hören lies. Die beiden
Menschen, die sich zu Füßen ihres Rastplatzes niedergelassen hatten, schienen
sie nicht übermäßig zu stören.
Samu
stocherte in den schwach brennenden Ästen herum, die er zu einem Häufchen
aufgeschichtet hatte. Er bemühte sich, die glühenden Gerippe gleichmäßig in der
steinernen Abgrenzung des Lagerfeuers zu verteilen. Eigentlich hatte er
gehofft, diese stumpfe Tätigkeit würde ihn auf andere Gedanken bringen – was in
etwa so wirkungsvoll war, als würde man versuchen, einer Kuh die Flecken vom
Leib zu bürsten.
Sie waren
den ganzen Rest des Tages gelaufen, hatten nur inne gehalten, um sich der
Laufrichtung zu vergewissern. Wenn sie gut vorankämen, würden sie spätestens
zur Mittagsstunde am übernächsten Tag die Stadtgrenzen Thengens erreichen – und
diesen Wald und seine merkwürdigen Geschehnisse hinter sich lassen, die ihn an
seinem Verstand zweifeln ließen.
Eine kuriose
Villa aus Stein inmitten eines Sumpfes, das eine sprechende Holzpuppe mit einem
ominöser „Meister“ beherbergte, von dem sie keine Spur gesehen hatten … all
diese Dinge wirkten wie Bruchstücke eines Märchens oder einer der
surrealistischen Geschichten, die gerade in Mode waren. Und doch war das Ganze
erschreckend real gewesen …
Er nahm das
Schwert mit der schmalen Klinge auf, dass er aus der Villa hatte mitgehen
lassen, und betrachtete die glühenden Reflexionen, die auf seiner Schneide
tanzten. ‚Noch ein Rätsel‘, dachte er und drehte die Waffe mit
zusammengekniffenen Brauen von einer Seite zur anderen. Sie war den Degen aus
Meradée an der Westküste des Kontinents nicht unähnlich, aber soweit er wusste,
waren diese zu reinen Sportzwecken konzipierten Schwerter biegsame Stichwaffen,
mit denen man vielleicht weiches Fleisch durchstoßen, aber sicher nichts
festeres durchschneiden konnte.
Geschweige
denn einen hölzernen Schädel von seinem Körper trennen.
Trotz des
Schwermuts, der ihn überkam, konnte er nicht verhindern, dass sich ein
wehmütiges Lächeln auf seine Lippen stahl.
‚Julika
hätte gewaltigen Spaß an der ganzen Situation gehabt‘, dachte er.
Seine
Gedanken wanderten zurück zu der Zeit, in der sie sich kennengelernt hatten. Er
war, müde, hungrig und verletzt, an den Grenzen der Farm von Julikas Eltern
zusammengebrochen. Das damals gerade erblühende Mädchen hatte ihn gefunden und zunächst
in einer alten Scheune versteckt. Dort, am Rande der Großen Steppen, war man
Fremden gegenüber äußerst misstrauisch und sie hatte befürchtet, dass ihre
Eltern ihm nicht gerade freundlich gesonnen sein würden, wie sie ihm später
gestanden hatte. Doch die Pereschkas hatten sich entgegen aller Sorge als
äußerst zuvorkommend erwiesen und ihn letztlich bei sich aufgenommen.
Er half, die
schuppigen, massigen Dreispitzechsen zu versorgen, die den Steppenländern
Fleisch und Leder für Kleidung lieferten oder die Eier der kljiuveeinzusammeln,
die wie anderorts Hühner in kleinen Verschlägen gehalten wurden. Die kleinen Reptilien
mit den ledrigen Flügeln, deren Name übersetzt so viel wie „Schnäbel“
bedeutete, hatten Samu immer an große, nackte Fledermäuse erinnert und ihm
nicht nur einmal gewaltiges Gelächter seiner Gastgeber eingebracht, wenn er vor
diesen fremdartigen Tieren zurückgeschreckt war.
Ein anderer
kurioser Ort, zu einer anderen, verrückten Zeit – wenn man es harmlos
ausdrücken wollte. Doch im Gegensatz zu den Ereignissen hier, in Navalis, in
einem großen Wald im Süden des Mittelgebirges, war er sich am Rand der Großen
Steppe stets bewusst gewesen, dass er sich bloß in einem anderen Land, in einer
anderen Kultur befand. Was für ihn entgeisternd und fremd war, war für die
Bewohner am Rand der Steppen etwas ganz Alltägliches, keine Auswüchse eines
wilden Fiebertraums, die man sich mit Logik und Vernunft allein nicht erklären
konnte.
Und es gab
noch einen weiteren, gravierenden Unterschied zu Samus jetziger Situation:
Damals war Julika noch am Leben gewesen.
Das
stotternde Heulen der Eule im Geäst über ihm riss ihn aus seinen schmerzhaften Erinnerungen.
Die Verbitterung, die sich zu einem schweren Klumpen in seinem Magen verdichtet
hatte, blieb.
‚Hätte
ich sie doch niemals mitgenommen‘, dachte er zum wiederholten Mal. Auch,
wenn er im Inneren wusste, dass er nichts von alldem hätte verhindern können.
Als er von
der Farm fortgezogen war, hatte Julika ihn unbedingt begleiten wollen, war ihm
im Laufe der Zeit zu einer mehr als treuen Gefährtin geworden, sie hatten
gekämpft, gelacht, geweint, gezittert, sich in einsamen und kalten Nächten gegenseitig
gewärmt und gemeinsam die Einsamkeit aus
ihren Herzen getrieben.
Und nun lag
ihr zerfallender Körper irgendwo in diesem Wald, fern der Sterne ihrer Heimat,
wurde von fremdem Getier zerrissen. Er hatte ihren Schrei als einen von wenigen
nicht gehört, als die mörderische Holzpuppe seine Truppe niedergemetzelt hatte.
Doch er war sich sicher, dass dieses verdammte Wesen niemanden lebend
zurückgelassen hatte.
Er schluckte
den Kloß hinunter, der ihm schwer im Hals steckte, und atmete tief durch. Das
Trauern musste warten – er würde noch genug Zeit haben, in Kummer und Schmerz
zu ertrinken, wenn seine Aufgabe erledigt war.
Er hob den
Blick und betrachtete seine ‚Beute‘, die er mit ein paar stabilen Schlingfarnen
an die Birke gebunden hatte. Sein Herzschlag beruhigte sich langsam, als er die
entspannten Züge der Schlafenden betrachtete. Er schnaubte leise und lies den
Blick über die leicht eingefallenen Wangen und völlig entspannten Gesichtszüge
gleiten, um schließlich an ihren schmalen, leicht geöffneten Lippen hängen zu
bleiben. Er ließ ihren Namen wie einen flüchtigen Geist durch seinen Kopf
schweben.
‚Giulia‘.
Ein Name, der dem seiner vertrauten Julika so ähnlich war, doch trotz dieser
‚Verwandtschaft‘ hätten die beiden Frauen unterschiedlicher nicht sein können.
Julika hätte
niemals im Angesicht eines Feindes auch nur ein Auge zugetan, geschweige denn
so friedlich und arglos geschlafen wie dieses naive Ding neben ihm. Wo sie sich
zitternd in eine Ecke verdrückte, schob Julika trotzig das Kinn vor und lachte
ihrem Gegenüber im Angesicht der Gefahr ins Gesicht. Die eine war naiv und
zurückhaltend, die andere heißblütig und wagemutig. Während das Mädchen hier
von einer Feindschaft in die nächste schlidderte und wie eine dreibeinige Gans
durch die Gegend stolperte, ging Julika klug und methodisch vor und würde es
den Schrecken der Stadt Thengen niemals gestatten, ihrer habhaft zu werden.
Oder hätte
es.
Samu sog
scharf die Luft ein und schüttelte den Kopf. Er versuchte, den erneut
aufkeimenden Schmerz in Entschlossenheit umzulenken. Immerhin war dieses
Mädchen, so unschuldig sie erscheinen mochte, der Grund für seinen Auftrag
gewesen. Der Grund dafür, dass er und die seinen sich an ihre Fersen geheftet
hatten, in diesen verfluchten Wald gelaufen waren – und nun Futter für Würmer
und Käfer sein würden.
Doch
irgendwie gelang es ihm nicht.
Er schloss
die Augen und lehnte sich an den Stamm der toten Eiche. So groß die Unterschiede
zu Julika waren – in manchen, blendenden Momenten waren sie sich auch sehr
ähnlich. Ein schwaches Lächeln kroch auf seine Lippen und er stellte sich vor,
dass sie zu dritt aus dem Haus im Sumpf geflohen wären. Während Giulia in einem
Anfall spontanen Tatendrangs das Gemäuer in Brand gesteckt hatte, hätte Julika sie
angefeuert und wäre nur unter Protest dazu bewegen gewesen, nicht ebenfalls zur
nächstbesten Fackel zu greifen. Dann wären sie über den Steg zum Wald gerannt
und während sie sich keuchend ins Laub fallen ließen, hätte Julika gelacht und
Giulia dafür getadelt, dass sie das Feuer viel großflächiger hätte anlegen
müssen.
Ein leises
Rascheln ließ ihn erneut aufschauen.
Giulia bewegte
sich unruhig in ihren provisorischen Fesseln. Mit zusammengekniffenen Augen
streckte sie sich gegen den Baum in ihrem Rücken und glitt langsam wieder in
die Länder der Wachen und Lebenden zurück.
Samu beeilte
sich, eine lässigere Haltung einzunehmen und seine Lippen zu einem spöttischen
Lächeln zu zwingen.
„So etwas
Argloses trifft man wirklich nicht alle Tage. Ich in deiner Situation hätte
jedenfalls nicht so seelenruhig schlafen können“, kommentierte er, als sein Gegenüber
erfolglos versuchte, den Schlaf aus den Augen zu blinzeln.
Giulia
grummelte etwas Unverständliches und warf ihm einen kurzen, aber unverhohlen
feindseligen Blick zu. Ein paar Fetzen trockenen Laubes hatten sich in ihren
kurzen Haaren verfangen und ließen sie ein bisschen wie einen verschlafenen
Waldschrat aussehen. Einen kleinen, harmlosen Waldschrat, der mit seinem
bohrenden Blick eher etwas ungewollt Komisches an sich hatte, als wirklich
bedrohlich auszusehen.
Samus
Mundwinkel zuckten leicht und für einen Moment traten die trüben Nebel seiner
Gedanken zurück. „Ich habe dich nicht verstanden“, bemerkte er und legte mit
übertriebener Geste die Hand ans Ohr.
„Ich sagte“,
erwiderte Giulia hörbar gereizt, „dass du ein widerlicher Verräter bist, du …
Mistkerl!“
Ob seine
Nerven einfach überreizt waren, die Situation eine eigene, unfreiwillige Komik
besaß oder eine Mischung aus allem, konnte er später nicht mit Sicherheit
sagen. Aber plötzlich fing der Kopfgeldjäger laut zu lachen an und schaffte es erst,
sich wieder zu beruhigen, als er sich verschluckte und in einem wilden
Hustenanfall schüttelte.
„Da du
leider doch nicht erstickt bist“, presste Giulia mühsam hervor, als Samu
zwischen Keuchen und Lachen wieder zu Atem kam, „kannst du mir vielleicht
verraten, was so irrsinnig komisch ist!“
Samu nahm
einen tiefen Schluck aus seiner Feldflasche und dankte den nicht existenten
Göttern dafür, dass der hölzerne Mörder ihm seine Tasche nicht abgenommen
hatte. Nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, wischte er sich mit
dem Handrücken über den Mund und blickte Giulia direkt in die Augen.
„Weißt du,
meine Liebe … mit so einer harmlosen, naiven Ausstrahlung, solltest du nicht-“,
er hustete noch einmal kurz, „ich meine, wenn du jemanden wirklich beleidigen
und bedrohlich wirken willst, solltest du dringend an deinem Wortschatz
arbeiten. Mistkerl steht nicht gerade weit oben auf der
Provokationsskala.“
Wenn Blicke
töten könnten, wäre Samu vermutlich auf jede erdenkliche Art gestorben, die ein
Sterblicher ersinnen kann. Doch trotz der brodelnden Spannung in der Luft
fühlte er sich … beinahe befreit. Zumindest gelang es ihm, seine Gedanken in
andere Bahnen zu lenken.
Giulia
schnaubte und wandte demonstrativ den Kopf ab. Das Feuer war inzwischen weiter
heruntergebrannt und knackte ungerührt vor sich hin, während es beinahe
gespenstische, scharfe Schatten auf die Gesichtszüge der jungen Frau malte. Ihre
schwach olivfarbene Haut wirkte an manchen Stellen wie Asche, die man auf ein
karges Feld gestreut hatte. Doch Samu erinnerte sich gut an daran, wie sie bei
Tageslicht aussah, und wunderte sich nicht zum ersten Mal darüber.
Wenn man als
Kopfgeldjäger erfolgreich sein wollte, waren Details und Informationen der
Anfang und das Ende des Liedes. Auch über Giulia hatten il procione und
seine Leute ausführlich recherchiert, doch trotz der Tatsache, dass die gesamte
Thengener Unterwelt sie auf die eine oder andere Weise kannte und sehr
kreativer Vorstellungen entwickelt hatte, um sie umzubringen, hatten sie sehr
wenig über die Vergangenheit und Herkunft der jungen Frau herausfinden können.
Es war anscheinend nur bekannt, dass sie vor einigen Jahren wie aus dem Nichts
in der Stadt aufgetaucht war und sich schnell einen Namen gemacht hatte, doch
darüber hinaus hatte ihnen niemand Auskunft erteilen können. Sie sprach nicht
mit dem für die Region typischen Dialekt und auch ihre Haut hatte einen
anderen, helleren Farbton als der der Einheimischen. Doch was genau das
bedeutete, war für Samu nach wie vor ein Rätsel.
„Sag mal“,
fragte er schließlich nach einigen Momenten des Schweigens, „woher kommst du
eigentlich?“
Etwas zu
finden, auf das er sich konzentrieren konnte, kam ihm im Moment sehr gelegen.
„Hah“, stieß
Giulia aus und verengte die Augen zu Schlitzen, blickte aber immer noch zur
Seite. „Was kümmert es dich? Für dich mieses … Dreckstück mit dem
Ehrgefühl einer Mistgabel zählt doch eh nichts als dein Profit!“
Samu hob die
Augenbrauen. Einen Moment wusste er nicht, was er sagen sollte. ‚Ganz schön …
lernwillig‘, dachte er. Ihre Beleidigungskünste waren zwar noch immer
ausbaufähig, aber der Wille war durchaus vorhanden.
Ohne direkt
darauf einzugehen, erwiderte er: „Aber, aber, Schätzchen. Dir hätte klar sein
sollen, dass ich einen Job zu tun habe. Was wird denn aus meinem guten Ruf,
wenn ich mich mit meiner Beute anfreunden würde?“
‚Oder aus
den Angehörigen meiner Leute, wenn ich ihnen nichts von der Belohnung als
schwachen Trost anbieten kann‘ fügte er in Gedanken hinzu. Doch das musste
sie nicht unbedingt wissen.
Schnell
sprach er weiter. „Nun, dass du nicht von hier kommst, ist jedenfalls
offensichtlich. Den Waschbären kannst du da nicht zu täuschen hoffen, Teuerste.
Ich denke, dass du irgendwo aus dem Norden kommst. Aus irgendeinem Dorf oder
einer Provinzstadt vielleicht? Oder kommst du doch eher von der Küste? Von den
Klippenländern? Den Schratinseln? Oder bist du-“
„… hör auf
damit“, brachte sie mit zittriger Stimme hervor. Sie schluckte schwer und
versuchte, ihren Kopf noch weiter aus seinem Blickfeld zu drehen.
„Weinst du
etwa?“, entgegnete Samu verwundert und lauschte ihrem schweren Atmen. Ein Hauch
Bedauern flackerte in seinem Innern auf – er war sich zwar nicht bewusst, was
genau er getan hatte, aber es war nicht seine Absicht gewesen, ihr Schmerz zuzufügen.
„Ich habe
keine Ahnung, wo ich herkomme“, stieß Giulia mühsam hervor. „Ich erinnere mich
nicht. Ich habe keine Ahnung, warum, was geschehen ist und was das zu bedeuten
hat. Der Großteil meines Lebens besteht nur noch aus Fetzen, ich erinnere mich
an Bilder, an meinen Namen, aber wer ich bin, was ich bin, wen ich mal gekannt,
gehasst, geliebt habe-“
Sie brach ab
und schluckte erneut, kämpfte hörbar mit den aufkommenden Emotionen.
Samu schwieg
einen Moment. Für die Verhältnisse Giulias war das ein regelrechter Ausbruch an
Gefühlen, mit denen er so nicht gerechnet oder dass er hier den Finger in eine
sehr schmerzhafte Wunde gelegt hatte. Er widerstand dem Drang, zu ihr zu gehen,
und wollte sich stattdessen aus sicherer Entfernung erkundigen, vielleicht sogar
entschuldigen – doch er kam nicht mehr dazu.
Ein
kräftiges Rascheln drang vom gegenüberliegenden Rand der Senke, wo der
Lichtschein ihres Feuers nicht hinreichte, und knisternde Schritte näherten
sich gemächlich aus der Dunkelheit.
Giulia
drückte sich instinktiv enger an die Blutbirke, während Samu langsam nach dem
Degen griff und angestrengt auf den Rand des Lichtkreises starrte.
Ein kurzes
Lachen ertönte aus der Dunkelheit, dann schritt eine vermummte Gestalt in den Schein des Feuers. „Immer mit
der Ruhe, Junge“, sprach der Mann ruhig und mit beinahe belustigter Stimme,
während er mit erhobenen Händen stehen blieb. „Ich habe bestimmt nicht vor,
euch Ärger zu machen.“
Die
Sumpfohreule schrie drei Mal, als hieße sie den Eindringling in ihrem kleinen Kreis
willkommen.
Samu griff
indes den Schwertgriff fester und stand auf.
„Und mit wem
haben wir das Vergnügen?“, entgegnete er trocken und versuchte, den Mann
einzuschätzen.
Dieser hob
eine Hand an die sturmgraue Kapuze, bevor er sie mit einer leichten Bewegung
vom Kopf streifte. „Ich bin nur … ein Forscher, gewissermaßen“, entgegnete er geheimnisvoll.
Samu hörte,
wie Giulia scharf die Luft einsog und ging kaum merklich einen Schritt auf sie
zu, ohne den Fremden aus den Augen zu lassen. Wenn er ihre Reaktion für ein
Zeichen der Angst gehalten hatte, hatte er sich allerdings getäuscht.
„Du?“,
fragte sie ungläubig und starrte den Mann an. „Wo kommst du denn plötzlich
her?“
Der Fremde
strich sich lächelnd über das stopplige Kinn. „Von hier und dort und nirgendwo,
kleines Reh“, erwiderte er kryptisch und zwinkerte ihr zu. Sein Blick glitt zu
Samus Degen und er winkte belustigt ab. „Nun nimm das Ding schon runter“, sagte
er. „Das wirst du nicht brauchen.“
Samu
schüttelte seine Verwunderung darüber ab, dass seine Beute und der Mann vor ihm
sich offenbar nicht unbekannt waren, und spannte sich wieder an. „Erst, wenn du
mir verrätst, was du von uns willst“, sprach er mit leiser, aber fester Stimme.
„Immer diese
schrecklich irrelevanten Fragen. Ihr seid euch verdammt ähnlich“, kommentierte
sein Gegenüber seufzend. „Aber zu eurem Glück bin ich in gehobener Stimmung und
vergebe euch.“
Er ließ
Samus darauf folgendes Schnauben unkommentiert stehen und verneigte sich mit
ausladender Handbewegung. „Der Einfachheit halber“, meinte er mit einem
erneuten Augenzwinkern in Giulias Richtung, „kannst du mich ebenfalls Runkel nennen.“