----❣ [Season 1] Kapitel 4
Panisch riss ich meine Augen weit auf. Mir stockte der Atem. Schmerzhaft zwang ich mich, Luft zu holen. Einatmen. Ausatmen. Ein mächtiges Zittern schoss durch meinen Körper. Erschöpft atmete ich aus und ließ mich tiefer in die Matratze sinken. Ich starrte die ausgeschaltete Deckenleuchte im diffusen Licht des frühen Morgens an, welches sich schwach durch die Fenster durchkämpfte. Ich konnte meine Augen nicht mehr schließen, nicht mehr einschlafen. Zu groß war die Angst einen weiteren Alptraum zu haben. Aufmerksam horchte ich nach meinen langsamen Atemzügen und dem unterschwelligen, leisen Dröhnen einer Lüftungsanlage.
Ich konnte mich nicht erinnern, von was ich geträumt hatte. Zu verschwommen waren die Bilder vor meinem geistigen Auge. Aber ich wusste, dass es hochgekocht war aus einer dieser Erinnerungen.
Kraftlos seufzte ich. Allmählich spürte ich, wie mein restlicher Körper aufwachte und meinen vorauseilenden Kopf begann einzuholen. Schmerzhaft kniff ich meine Augen zusammen. Ein Brennen begann meinen Rücken zu durchkriechen. Wie Flammen fühlte es sich an, als der Schmerz kontinuierlich ausstrahlte. Meine Arme, meine Beine. Das Atmen wurde schwerer. Verdammt.
Eine Weile lag ich mit halbgeöffneten Augen da und versuchte mit dem Schmerz irgendwie zurechtzukommen. Währenddessen gewann die frühe Morgensonne an Intensität.
Das leise Schleifen der Schiebetür ließ mich aufhorchen. Müde wandte ich meinen Blick von der Fensterseite ab. Im Morgenlicht konnte ich die kleinere Statur und die dichten, schwarzen Haare, in denen vereinzelte weiße Strähnen flimmerten, von Professor Montiel ausmachen. Müde folgten ihm meine Augen, als er langsam den Raum in meine Richtung durchquerte. Heute trug er keinen weißen, langen Kittel. Stattdessen war er in einer weiten, hellblauen Baumwollhose sowie das dazu passende kurzärmelige Oberteil gekleidet. An seinen Füßen machte ich ein Paar geschlossener, grüner Crocs aus.
„Guten Morgen, Blue. Schon wach?“, seine Augen trafen meinen müden Blick, als er an mein Bett herantrat.
Stumm öffnete ich den Mund. Der Schmerz pulsierte noch immer durch meinen Körper. Über sein Gesicht legte sich ein finsterer Ausdruck. Scheinbar hatte er die Anstrengung in meinen Gesichtszügen bemerkt.
„Du hast Schmerzen?“, sein Tonfall wurde forsch.
Ich bejahte, löste dabei meinen kraftlosen Blick von ihm und starrte erneut die Decke an. Leise drang das Rollern eines Stuhls an meine Ohren. Professor Montiel beugte sich in mein Blickfeld.
„Auf einer Skala von Null bis Zehn mit Null als keine Schmerzen: Sind die Schmerzen schlimmer als eine Fünf?“
Für einen Moment ließ ich seine Frage wirken. Zusammen mit dem durchkriechenden Schmerz.
Ich bejahte.
In Montiels Augen legte sich ein Schatten: „Die Schmerzmittel, welche bei Menschen sonst effektiv und gut wirken, zeigen bei dir nicht die gleiche Wirkung. Es tut mir leid, aber ich kann im Moment nur die Dosis erhöhen.“
Schwach nickte ich. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er an den Infusionen zugegen war.
„Wenn die Schmerzen in ein paar Minuten nicht nachgelassen haben, dann melde dich nochmal.“, sein Tonfall klang dumpf, während er weiterhin irgendwo zugange war, „Ich hatte gar nicht gedacht, dass du schon wach bist.“
Er bewegte sich wieder in mein Blickfeld. In seinen Händen hielt er einen prall gefüllten Plastikbeutel mit durchsichtiger Flüssigkeit. Mir fiel es schwerer, den Blick fokussiert zu halten.
„Konntest du wegen den Schmerzen nicht schlafen?“, leichte Sorge schwang in seinem Tonfall mit.
Träge schüttelte ich kurz den Kopf. Meine Augenlider wurden schwer. Ein wenig ließ der Schmerz in meinem Körper nach, während ich für eine gute Weile nach Montiels Treiben horchte.
„Fertig.“, stellte dieser kurz fest, „Wie sind die Schmerzen?“
Ich machte ein Stocken in seiner Stimme aus. Mir war es jedoch ein viel zu großer Kraftakt, ihm meinen Blick zuzuwenden. Apathisch starrte ich die weißen Deckenplatten an.
Mir drang ein kurzes Knarzen, gefolgt von einem Seufzer ans Ohr: „Die hohe Dosis wirkt sedierend auf dich. Das war ein Stück weit leider absehbar.“
Seine Worte drohten nicht in meinem Hirn hängen zu bleiben. Es kostete mich Kraft, dem Gesprochenen meines Gegenübers zu folgen.
„Sind die Schmerzen wenigstens schwächer geworden?“
Nach zähen Gedenksekunden bejahte ich träge seine Frage.
Ein weiteres Schleifen drang an mein Ohr. Es folgten Schritte und das leise Rattern eines Stuhls.
„Morgen.“, hörte ich Montiel sprechen.
Im stillen Raum hörte ich das Klacken von Schuhen. Sich mir langsam nähernd.
„Was treibt dich schon so früh her, Tolstoy?“, Montiels Tonfall hatte eine neugierige Note angenommen.
„Ich wollte vor den Untersuchungen bei dir den aktuellen Stand des Patienten einholen.“
Das Klacken der Schuhe erstarb. In die Ansicht der monotonen, hellen Deckenplatten beugte sich ein grauer Schopf an Haaren. Einzelne Strähnen lagen wirr entgegen der Richtung anderer Haare.
„Er wirkt sediert?“
Während Professor Montiel zur Erklärung ansetzte, beugte sich die Person weiter in mein Sichtfeld rein. Mein Blick traf das faltenfreie, junge Gesicht von Professor Park. Musternd wanderten seine stahlgrauen Augen über meinen Körper, während er den Worten seines Kollegen zuhörte.
Dumpf lag ich da, unbeeindruckt von seinem durchdringenden Studieren meines Körpers. Erstmals blickte ich sein Gesicht länger als nur für kurze Sekunden an. Nicht nur seine Haare waren in einem hellen Grauton gehalten, sondern auch die dünnen Augenbrauen. Ich begann mich zu fragen, ob sein Bart ebenfalls grau sein würde, aber sein Gesicht war glattrasiert. Auf der rechten Stirnseite bemerkte ich einen weißen münzgroßen Fleck auf seiner Haut. Erst dadurch starrte ich seinen Hals an, auf dem sich mehrere große, helle Hautflecken abzeichneten. Verwundert musterte ich die schwammigen Ränder der Flecken.
Seine durchdringenden Augen trafen mich. Unbeeindruckt hielt ich den Blickkontakt, bevor er sich wieder von meinem Bett löste.
„Deswegen, Viktor, können wir nicht bei einer Standardmedikation bleiben.“, Parks Stimme hatte einen ernsten Nachdruck angenommen, „Wir sehen doch, dass es so nicht funktioniert. Wir müssen mit anderen Medikamenten rumprobieren.“
Ich meinte, einen kurzen Seufzer gehört zu haben.
„Erstens ist Blue kein Experiment. Zweitens sollten wir das nicht vor dem Patient diskutieren, Tolstoy.“
Stille setzte ein. So unglaublich leise, dass ich wieder das unterschwellige Dröhnen der Lüftungsanlage für kurze Zeit vernehmen konnte.
„Für die Untersuchungen möchte ich den Patienten trotzdem ansprechbar haben.“, Parks Stimme hatte einen kalt schneidenden Klang angenommen.
„Ich war im Begriff dabei, die Dosis wieder zu senken.“
„Gut, das Schmerzmanagement müssen wir später nochmal diskutieren.“
„Unbedingt.“, die Atmosphäre im Raum begann sich wieder zu lockern als Montiel sprach, „Ich erwarte leider nicht, dass wir dich schmerzfrei bekommen, Blue.“, er beugte sich kurz ins Blickfeld und warf mir einen Blick zu, „Aber ein erträgliches Level müssen wir schon anpeilen.“
Ich erwiderte ein kurzes Nicken und schloss meine Augen für einen Moment. Es war so anstrengend, zuzuhören und wach zu bleiben. Außerdem war es noch viel zu früh.
„Aufwachen!“
Das laute Klatschen zweier Hände riss mich aus dem Schlaf. Überrascht schlug ich meine Augen auf und blickte in das junge Gesicht von Professor Park, der mich hart und ungeduldig anblickte. Ungewollt starrte ich in seine grauen Augen, die mich innerlich zusammenschrumpfen ließen. Der Blickkontakt bestand jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn er verließ sofort mein Blickfeld. Müde wollte ich wieder meine Augen schließen und einschlafen, aber das laute Wirrwarr an Stimmen, was beinahe schmerzhaft in meinem Kopf donnerte, sorgte dafür, dass ich stattdessen immer wacher wurde. Hektisch wandte ich meinen Kopf von der einen Seite zur anderen und stieß sofort ein schmerzvolles Krächzen aus. Mein Nacken war so steif, dass jede Bewegung schmerzte. Trotzdem sah ich die vielen Leute, die im Zimmer standen. Kaum eines der Gesichter, die ich erhaschte, kam mir bekannt vor.
Überfordert kniff ich meine Augen zusammen. Aber selbst die Dunkelheit konnte die Stimmen nicht verschwinden lassen. Was war hier los?
Durch das pochende Durcheinander aus Geräuschen drang ein beinahe vertrauter Klang an meine Ohren. Vorsichtig öffnete ich meine Augenlider ein wenig und schielte in den großen Raum. Noch immer so viele Personen. Hektisch glitt mein Blick durch den Raum, bevor er sich an einem Gesicht mit tiefen Stirnfalten fing. Es befand sich nur einige Handlang von mir entfernt und blickte mich mit einem Paar ruhiger, smaragdgrüner Augen an.
„Blue?“, eine laute, wenngleich sanfte Stimme kämpfte sich zu meinen Ohren vor.
Langsam schlug ich meine Augen auf und atmete nervös aus. Die vielen Stimmen im Hintergrund wurden langsam leiser, als ich weiterhin das vertraute Gesicht vor mir anstarrte.
„Blue, bitte entschuldige, dass wir dich aufwecken müssen.“, mein Hirn schaffte es, dem Gesicht vor mir endlich einen Namen zuzuordnen, „Aber für heute sind einige Untersuchungen vorgesehen, damit wir einen Überblick von deinem gesundheitlichen Zustand bekommen.“
Erneut schloss ich meine Augen und versuchte seine Worte zu verstehen. Aber irgendetwas in mir war noch zu träge. Zu gerne wäre ich allein gewesen, sodass ich in Ruhe hätte schlafen können.
„Wir müssen dich zum Computertomographen transportieren.“, Professor Montiel setzte seine Erklärung fort, während ich weiterhin meine Augen geschlossen hielt, „Das heißt, dass du erstmal ruhig in deinem Bett bleiben kannst, solange wir alles vorbereiten.“
Ich gab ein schwaches Nicken von mir, um ihm zu signalisieren, dass ich zumindest einen Teil seiner Worte verstanden hatte.
Vergeblich versuchte ich etwas zu schlafen, als die Lautstärke der Stimmen wieder anschwoll und lautes Geklapper ertönte. Trotzdem wollte ich nicht meine Augen öffnen, bis ich überrascht wurde von einem leichten Ruckeln.
Ich blickte verwirrt die weiße Decke an, während sich langsam die Deckenbeleuchtung über mir zu bewegen begann. Vorsichtig wandte ich meinen Kopf zur Seite und sah zwei Personen neben meiner Seite, die das Bett langsam schoben. Neugierig musterte ich die mir unbekannten Gesichter, bevor ich noch einen kurzen Blick zur anderen Seite wandte.
Vorsichtig hob ich meinen Kopf für gefühlte Millimeter, sodass ich gerade noch so sehen konnte, wie wir die große geöffnete Schiebetür passierten. Dahinter erwartete uns ein schier unendlich langer Flur, welcher dieselben weißen, langweiligen Wände und grelle Deckenbeleuchtung aufwies. Vereinzelt passierten wir ein breites Lüftungsgitter an der Decke. Ich ließ meinen Kopf wieder ins Kissen sinken und blickte müde die vielen Türen an den Wänden an, die wir passierten.
Schließlich kam die ganze Truppe wieder zum Halten. Dumpf konnte ich ein metallisches Schleifen hören. Neugierig hob ich meinen Kopf erneut. Direkt vor dem Fußende des Betts glitt eine breite Aufzugstür zur Seite auf und offenbarte einen großen Fahrstuhl mit blanken, glatten Metallwänden und grauem PVC-Boden. Kurz zuckte ein stechender Schmerz durch meinen Rücken. Angestrengt hielt ich die Luft an, als der Schmerz kriechend nachließ. Ich blickte nochmal kurz zur Seite und sah den kleinen Spalt zwischen Stockwerk und Aufzug, welcher das Bett unangenehm, wenn auch nur leicht, durchgerüttelt hatte. Ich hörte das leise Schleifen der Türen, als diese wieder zu glitten.
Eine beinahe drückende Stille legte sich in der Aufzugskabine über uns, nur ausgefüllt vom tiefen, leisen Brummen und Klappern der Aufzugskabine. Die Handvoll Menschen, die rings um mein Bett verteilt waren, standen stumm im Fahrstuhl. Ich lauschte den leisen Atemgeräuschen der Leute, während ich einige davon langsam musterte. Ganz vage kamen mir ein, zwei Gesichter dieser Männer und Frauen bekannt vor. Ungewollt traf ich den Blick einer mittelalten Frau und wandte ertappt meinen Blick von ihr ab. Stattdessen lenkte ich mein Interesse auf die lange Tafel an Stockwerken, die im Aufzug angebracht war. Großvater hatte Recht gehabt, es gab nur ein oberirdisches Stockwerk. Alle weiteren Stockwerke begannen mit einem großen „U“ vor der Stockwerksziffer. Über sechs weitere Stockwerke erstreckte sich dieser Anbau in die Tiefe. Jedes davon mit einem bestimmten Zweck laut Tafel. Die meisten Stockwerke schienen diverse Untersuchungs- und Lagerräume zu beinhalten. Nur das tiefste Stockwerk war schlicht mit den Buchstaben „OP“ beschriftet.
Das Schleifen der Aufzugtüren erklang und ich wurde in einen genauso kargen, weißen Gang wie im oberen Stockwerk geschoben. Nach einer Weile schienen wir schließlich unser Ziel erreicht zu haben, als zum zweiten Mal gestoppt wurde, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo wir uns befanden.
Ich sah, wie eine weitere breite Tür aufgeschoben wurde. Dahinter lag ein großer Raum, dessen Beleuchtung weniger stechend grell war als jene der Gänge. Das weiße Licht leuchtete gleichmäßig den großen Raum aus, der ebenfalls aus demselben monotonen grauen Boden und weißen Wänden bestand. In der Mitte befand sich ein weißer großer Koloss aus Kunststoff und Metall, welcher sich noch am ehesten als überdimensionierter Donut beschreiben ließ. Vor dem kleinen Loch, durch welches gerade so ein Körper gepasst hätte, war eine lange Liege auf einer Schiene angebracht. Langsam versuchte ich mehr Details an dem eindrucksvollen Gerät zu erhaschen.
„Blue?“
Überrascht zuckte mein Kopf zur Seite. Schmerzhaft stöhnte ich. Ein scharfes Stechen schoss durch meinen Nacken. Es war unangenehm, aber irgendwie wollte ich mich nicht daran gewöhnen müssen, meinen Kopf langsam zu bewegen.
Professor Montiels Gesichts blickte mich gewohnt ruhig an, als er zur nächsten Erklärung ansetzte: „Das, was du hier siehst, ist ein Computertomograph. Dadurch ist es möglich detaillierte Röntgenaufnahmen deines Körpers zu erstellen.“
Wieder blickte ich das große Gerät an. Menschen konnten schon unglaubliche Dinge erschaffen.
„Du wirst schon gemerkt haben, dass dein Körper sehr empfindlich auf Bewegung reagiert.“, vorsichtig nickte ich, als er weiter erklärte, „Wir müssen dich jedoch auf die Liege umlagern, weswegen es etwas unangenehm für dich werden könnte. Die Untersuchung an sich ist aber komplett schmerzfrei. Du musst nur ruhig liegen bleiben.“
Nervös atmete ich aus als das Bett direkt neben die Liege gerollt wurde. Der Gedanke bewegt zu werden klang nicht gut für mich. Ich beobachtete, wie einige Mediziner das Bettlaken unter mir langsam anhoben. Sofort spannte ich mich etwas an, als ich merkte, dass ich leicht bewegt wurde. Plötzlich lag ich auf der Liege. Bevor ich es realisiert hatte, hatte man mich von Bett angehoben und auf die Liege geschleift.
Schmerzhaft kniff ich meine Augen zusammen. Ein tiefes Stechen fuhr durch meinen ganzen Rücken. Mein Körper begann sich vor Schmerz zu verkrampfen, als ich die Luft gepresst ausatmete. Langsam schwoll der Schmerz wieder ab. Durch meine angestrengte Atmung hörte ich ein leises Summen.
“Sind die Schmerzen wieder erträglich?”, in Montiels Stimme schwang eine feine Spur an Sorge mit.
Ein Prickeln breitete sich durch meinen Körper aus. Ohne dicke, wärmende Decke war der Raum verdammt kühl. Ich konnte spüren, wie sich die Gänsehaut über mich legte. Durch das Chaos an Stimmen hörte ich irgendetwas mit “Decke”, schon legte sich der kuschelige Fleecestoff besagter Decke über meine Haut.
Plötzlich spürte ich den leichten Druck einer Hand an meiner rechten Schulter. Unwillkürlich schoss ein Zucken durch mich hindurch.
„Bitte bleib ruhig liegen, Blue. Die Untersuchung wird etwas dauern.“, ich hörte Montiels ruhige, erklärende Stimme.
Sanft begann mich die Liege in die enge Röhre zu schieben. Mit den Füßen voran. Gerade mal ein Paar Handbreit Luft befand sich zwischen meinem Gesicht und dem weißen Plastik. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe, als ich die enge Röhre vor mir anstarrte. Ich wollte hier nicht noch länger liegen bleiben. Es war beklemmend, hier drin zu sein.
Mit kontinuierlichem, leisem Rauschen und Summen fing das Gerät um mich herum zu arbeiten an. Langsam atmete ich zittrig aus, während ich die Augen schloss.
Es half nichts. Ich musste das hier irgendwie durchstehen. Am besten hielt ich meine Augen einfach geschlossen.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich etwas an die Geräusche des Geräts. Trotzdem öffnete ich erst meine Augen wieder, als ich aus der schmalen Röhre geholt wurde. Wieder schmerzte es, als ich erneut ins Bett getragen wurde. Auf dem Weg zurück zum Zimmer hoffte ich einfach, dass ich kein weiteres Mal dorthin musste. Die Minuten in der Röhre hatten sich für mich wie Stunden angefühlt.
Zurück im Zimmer hatte ich keine Minute Ruhe für mich. Zwar verließen ein paar der Ärzte den Raum, aber drei, mir sehr bekannte, Personen verweilten. Zu gerne wäre ich allein gewesen.
„Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir fertig mit den Untersuchungen, Blue.“, Professor Montiel setzte sich neben mein Bett hin und schenkte mir ein aufmunternd gemeintes Lächeln.
Argwöhnisch beäugte ich die anderen beiden Ärzte. Professor Park musterte ich nur kurz aus dem Augenwinkel, als sich dieser direkt neben Professor Montiel hinsetzte. Doktor Peterson hingegen hielt eine große Kamera mit breitem Objektiv in den Händen, während er sich nahe dem Fußende locker auf einen Stuhl fallen ließ.
„Ich muss dir kurz Blut abnehmen, Blue.“, erklärte Montiel mit ruhiger Stimme, „Darf ich deinen Arm anfassen?“
Seine Stimme war überraschend ruhig und sanft, als er wartend neben mir saß. Zögerlich glitt mein Blick über meinen nackten Arm, welcher noch immer großteilig mit weißen Pflastern und Verbänden versehen war. An meinem Arm machte ich erstmals das Plastik eines gelben Zugangs aus, der in meiner Ellenbeuge festgeklebt war.
Nervös wandte ich meinen Kopf von den Dreien ab. Ich kannte sie nicht. Ich wollte nicht von ihnen angefasst werden.
„Wenn es dir hilft, kann ich dir erklären, was genau bei einer Blutabnahme passiert.“, seine Stimme erlangte einen leichten Nachdruck.
Vorsichtig drehte ich meinen Kopf und schielte ihn aus dem Augenwinkel an.
„Ich verwende einen Stauschlauch, welchen ich auf mittlerer Höhe deines Oberarms anlege und festziehe. Dadurch spürst du einen leichten Druck.“, ich konnte ein fingerbreites, rotes Textilband mit weißer Kunststoffschnalle in seiner Hand ausmachen, „Dadurch staut sich das Blut in den Venen deines Unterarms. Dann werde ich die zu punktierende Hautstelle desinfizieren. Das fühlt sich eventuell etwas kühl an. Zum Punktieren spanne ich deine Haut um die Vene. Die Nadel selbst wird kurz stechen, aber das war es dann auch schon.“
Montiels ruhige Erklärung war beendet. Unzufrieden blickte ich sein geduldiges Gesicht an. Eine wirkliche Wahl hatte ich eh nicht.
Ich nickte kurz mit dem Kopf und schloss sofort meine Augen. Mein Körper spannte sich erneut an, als ich den warmen Gummi von Handschuhen auf meinem Unterarm spürte.
Geduldig ließ ich die Blutabnahme über mich ergehen. Hoffend, dass ich danach endlich meine Ruhe hatte.
Jedoch wurde stattdessen erklärt, dass nochmal eine weitere Ultraschallaufnahme meines Bauches gemacht wurde. Ich presste weiterhin meine Augenlider aufeinander, als die Bettdecke zurückgeschlagen wurde und der Schallkopf langsam im kalten Gel über meinen Bauch fuhr.
Erleichtert atmete ich auf, nachdem mir mitgeteilt wurde, dass endlich Schluss war mit den Untersuchungen.
Es war nach der ganzen Aufregung für mich unmöglich, wieder einzuschlafen. Ich lag hellwach in diesem einsamen, fremden Zimmer. Langsam ließ ich meinen Blick ein weiteres Mal durch das Zimmer gleiten und lauschte nach Geräuschen. Obwohl Großvater meinte, dass er heute nicht kommen konnte, hatte ich trotzdem die Hoffnung, dass die Tür früher oder später aufging und nicht einer der Ärzte im Türrahmen stand.
Vor mir, an der gegenüberliegenden Wand, tickte die große Uhr langsam vor sich hin. Noch immer wusste ich nicht das heutige Datum. Ich blickte kurz zu den kahlen Bäumen hinter der Fensterscheibe. Drei Monate.
Langsam atmete ich aus. Was für eine lange Zeit. Was ich alles verpasst haben musste?
Meine Augen wanderten weiter durch den Raum und fingen sich an den heruntergelassenen Jalousien unterhalb der Uhr. Ich meinte mich schwammig daran erinnern zu können, dass dort eine Glasscheibe gewesen war. Was wohl dahinter lag?
Mühselig wandte ich meinen Kopf behutsam zur rechten Seite und starrte die geschlossene Schiebetür an. Aus dem Augenwinkel nahm ich die vielen dünnen Plastikschläuche wahr, die alle an dem Zugang an meiner Ellenbeuge endeten. Noch immer wirkte es grotesk und zugleich faszinierend auf mich, während ich meinen rechten Arm anstarrte.
Sicher, ich hatte mir einiges erwartet, als ich hierherkam. Aber doch nicht so etwas. Überwältigt schloss ich kurz meine Augen und atmete tief durch. Ich hatte aber auch nicht erwartet, dass Omega überhaupt auftauchen würde. Das Bild seiner bedrohlichen schwarzen Gestalt schoss mir wieder durch den Kopf.
Ein weiterer tiefer Atemzug.
Aber ich hatte Omega zugegebenermaßen schon eine Weile nicht mehr gesehen. Dieser Idiot.
Ich seufzte leise.
Warum musste es sich so eigenartig irrational verhalten? Das machte unsere Aufgabe nicht gerade leichter.
Erneut ging ich die letzten Bilder durch, bevor ich mein Bewusstsein verloren hatte. Es hatte keinen Körper, der den Schaden hätte abfangen können.
Ich starrte zu den Fenstern hinaus, als sich die Sonne kurz zwischen den Wolken zeigte. Früher oder später würde das Ärger geben. Unzufrieden schloss ich meine Augen. Irgendein anderer Hüter würde meinen, mir wieder vorhalten zu müssen, wie schlecht ich meine Aufgabe machen würde. Wütend schnaubte ich und funkelte die Uhr an. Warum sollte es immer meine Schuld gewesen sein? Nur weil ich der Einzige mit einem Körper war?
Dass ich Omega zersplittern musste, hatte es schließlich selbst verschuldet.
Nochmals musterte ich kurz meinen verletzten Körper. Das war nicht das Anders, was ich gesucht hatte. Hektisch glitt mein Blick zur Tür, bevor ich wieder die Bandagen anstarrte. Mir hatte niemand gesagt, wie es für mich erstmal weitergehen würde. Auch wenn er nicht sonderlich freundlich geklungen hatte, wollte dieser Professor Park mir scheinbar erklären, dass es wohl nicht gut um mich stand. Unzufrieden grummelte ich kurz. Ich wollte diesen Körper nicht jetzt schon verlieren. Das hieße, irgendwann wieder einen Neuen annehmen zu müssen. Etwas, vor dem ich mich immer krauste.
Gefrustet drückte ich meinen Kopf in das Kopfkissen und starrte die weiße monotone Decke an. Da hatte ich mich in ein ziemliches Chaos manövriert. Und zudem hatte ich viele Menschen damit reingezogen.
Ich horchte auf. Vorsichtig hob ich meinen Kopf und starrte die breite Tür an. Leise konnte ich Fußschritte aus dieser Richtung wahrnehmen. Mit einer Mischung aus Nervosität und Aufregung ließ ich meinen Kopf wieder sinken, als die Tür aufgeschoben wurde. Ein mir bereits vertrautes Trio betrat den Raum und begann sich vor mich hinzusetzen.
„Wir haben deine Untersuchungsergebnisse gesichtet und darauf basierend entschieden, wie du weiterhin behandelt werden sollst.“, Professor Montiel setzte ruhig zur Erklärung an.
Seine dunkelgrünen Augen schienen mich zu beobachten, als er ein großes Tablet entsperrte, was er mit sich gebracht hatte. Er hielt mir den Bildschirm hin, welcher mir ein schwarz-weißes Bild zeigte. Interessiert musterte ich die abgebildeten hellen Splitter. Professor Montiel deutete mit einem Stift kurz auf einige Areale.
„Das sind CT-Aufnahmen deiner Ober- und Unterschenkelknochen.“, er wischte ein Bild weiter, „Diese Aufnahme wurde eine Woche nach deiner Einlieferung hier gemacht. Wie du hier sehen kannst, verlaufen hier die Metallstäbe-“, er deutete mit dem Stift auf einige feine weiße Linien, „Und hier die Knochenbrüche.“, er zoomte in einen Bereich weiter rein und fuhr mit dem Stift entlang einiger schwarzen Lücken zwischen den gräulich-weißen Knochen, „Man sieht hier, dass der Knochen kaum verheilt ist.“, er wischte ein Bild weiter, „Das ist eine Aufnahme neun Wochen nach deiner Einlieferung. Die Knochenstücke sind bisher kaum verwachsen. Inzwischen ist aber ein feines Netz aus Kollagen vorhanden.“
Ich starrte das zweite Bild an und konnte kaum einen Unterschied zum ersten Bild finden. Die schwarzen Lücken waren vielleicht etwas kleiner geworden. Jenes Netz, von dem er sprach, konnte ich nicht erkennen, selbst als er mit dem Stift auf einige Bereiche zeigte.
„Das Bild ist von heute.“, setzte Montiel fort, als er ein drittes Bild zeigte, „Obwohl nur zwei Wochen zwischen den beiden Aufnahmen liegen, sieht man einen deutlich vorangeschrittenen Heilungsprozess.“
Er deutete auf die schmalen Lücken, die inzwischen gräulich gefärbt waren. Ich blinzelte kurz und starrte die Aufnahmen interessiert an. Es waren so unglaublich viele kleine Fragmente auf den ersten Bildern zu sehen gewesen.
„Während du im Koma lagst, sind deine Verletzungen kaum verheilt. Der Übergang von der Entzündungs- in die Granulationsphase bei Knochenbrüchen dauert typischerweise zwei bis drei Wochen. Bei dir hat es aber fast neun Wochen benötigt, bis sich ein Kollagennetz entwickelt hatte.“, er legte das Tablet auf seinen Beinen ab, „Dasselbe Phänomen trat auch am Rest deines Körpers auf. "Nun wo du aufgewacht bist, verheilen die Wunden aber schneller als gewöhnlich.“
Konzentriert lauschte ich seinen Erklärungen, als ich meinen Blick kurz zu Doktor Peterson rüber gleiten ließ. Dieser hielt eine Kamera mit breitem Objektiv in den Händen und verstellte aufgeregt an der großen Linse.
„Mir ist noch nie eine so schnelle Wundheilung untergekommen.“, erwähnte Professor Montiel mit einem Hauch von Überraschung in seiner Stimme.
Ich blinzelte langsam. Dass sich mein Körper so schnell von selbst heilen konnte, war nichts Neues für mich. Aber, dass es wiederum so lange dauert, wenn ich bewusstlos war, hatte ich nicht erwartet.
„Es wäre möglich, dass du dich innerhalb von wenigen Wochen erholst.“, er setzte seine Erklärung mit einem vorsichtig gewählten Tonfall fort, „Bisher ist es für uns aber schwer abzuschätzen, wie sich dein Körper in nächster Zeit erholen wird. Wir halten es aber für eine sinnvolle Idee, dass du bereits jetzt Unterstützung mittels Physiotherapie erhältst. Deswegen wirst du ab morgen zusätzlich von einem Physiotherapeuten betreut werden.“
Ich starrte ihn kurz an und versuchte mir vorzustellen, was das für mich bedeuten würde.
„Das heißt aber nicht, dass dein gesundheitlicher Zustand wieder stabil ist.“, Professor Park beugte sich nach vorne und musterte mich scharf, „Der CRP-Wert und die Leukozytenzahl sind noch immer stark erhöht.“
Verwirrt huschte mein Blick an ihm vorbei. Sollten mir diese Worte etwas sagen?
„Das heißt, dass die implantierte Leber und vielleicht auch der Knorpel noch von deinem Körper abgestoßen werden könnten.“, Doktor Peterson hatte seine Augen inzwischen vom Objektiv gelöst. Die Entzückung war ihm aus dem Gesicht gewichen, „Du kriegst zwar schon Immunsuppressiva, die eine akute Abstoßungsreaktion verhindern sollen, aber wir haben noch immer das Problem, dass Medikamente bei dir nicht wirken, wie sie eigentlich wirken sollten.“, er senkte wieder seinen Kopf und drehte langsam am Objektiv, „Sag mal, kann ich nachher ein Bild von dir machen?“
„Nicht jetzt.“, erwiderte Montiel nüchtern, „Ja, das ist derzeit ein großes Problem, was er angesprochen hat.“, er atmete tief durch und faltete seine Hände zusammen, „Ich würde in den nächsten Tagen gerne einige Medikamente bei dir testen, um feststellen zu können welche bei dir besser wirken. Vor allem Schmerzmittel sind jetzt besonders wichtig.“, Montiel beugte sich ebenfalls weiter vor, „Aber nur, wenn du möchtest.“
Resigniert gab ich ihm ein Blinzeln und atmete langsam durch. Irgendwie war ich jetzt doch zum Versuchsobjekt geworden. Aber ich konnte es ihnen nicht verübeln. Nicht einmal ich selbst wusste, wie mein Metabolismus funktionierte. Woher sollten sie also wissen, welche Medikamente bei mir wirkten?
Ich musste kurz traurig schmunzeln. Eigentlich wäre das jetzt etwas für Großvater gewesen, aber er meinte bereits, dass er sich aus Befangenheit nicht groß an der eigentlichen Forschung beteiligen wollte.
„Dein Körper ist anders.“, stellte Park nüchtern fest. Trotz seiner strengen Gesichtszüge meinte ich ein schwaches Funkeln in seinen grauen Augen zu sehen, „Dein Herz ist leistungsfähiger, dein Metabolismus arbeitet schneller und effizienter. Es gibt etliche Feinheiten an deinem Körperbau, die von dem eines Menschen abweichen. Jenes sind auch alles Veränderungen, mit denen wir nicht vertraut sind und deswegen nur unzureichend behandeln können.“
„Gerade deswegen können wir auch schlecht abschätzen, wie sich dein gesundheitlicher Zustand bei dir in den nächsten Wochen entwickeln wird. Aus diesem Grund möchten wir dich noch eine Weile hier im Institut behalten. Hier können wir dich engmaschiger beobachten und behandeln.“, Montiels Stimme hatte ihren bisher so ruhigen Erklär-Klang verloren und wirkte beinahe besorgt, „Niemand kann dir leider mit Sicherheit sagen, wie gut und ob sich dein Körper von diesen schweren Verletzungen erholen wird.“
„Erwarte nicht zu viel.“, meinte Park barsch.
„Tolstoy, bitte!“, er erntete für diesen Kommentar einen strengen Blick von Montiel.
Kurz schloss ich meine Augen. So wie Montiel es formuliert hatte, klang es, als wären sie nicht einmal sicher, ob sie mein Überleben garantieren können. Aber ich machte ihnen auch keine Vorwürfe. Ohne diese Menschen wäre dieser Körper schon längst gestorben. So hatte ich zumindest noch etwas Zeit gewonnen.
„Wir geben unser Bestes.“, ich konnte Petersons aufmunternde Stimme hören, „Bitte hab etwas Geduld mit uns.“
Peterson stand freundlich lächelnd am Fußende des Betts und schien die bisher drückende Stimmung auflockern zu wollen.
Die nächste knappe Viertelstunde hörte ich ihren ausführlichen Erklärungen zu. Vor allem Professor Montiel war bemüht darum, dass ich seinen Ausführungen folgen konnte. Langsam wurde mir bewusst, dass dieser Körper schnell sterben könnte, obwohl ich inzwischen bei Bewusstsein war. Genauso aber könnte alles komplikationslos verheilen. Keiner der Drei wollte und konnte sich auf eine genauere Vorhersage festlegen.
Danach war ich wieder allein. Obwohl ich den ganzen Tag auf Großvaters Besuch gehofft hatte, schauten gelegentlich nur andere Mediziner bei mir rein. Hauptsächlich um Infusionsbeutel zu wechseln. Wortlos sah ich ihnen dabei zu, bevor sie nach wenigen Minuten den Raum wieder verließen. Den Großteil der Zeit lag ich nur gelangweilt im Bett, döste immer wieder vor mich hin, aber ansonsten versuchte ich mich damit beschäftigt zu halten, indem ich irgendetwas zählte. Die Grashalme draußen hinter dem Fenster, die einzelnen Blätter der Jalousie. Mir wurde unglaublich langweilig. Mir fiel aber auch nicht ein, wie ich jemanden hätte darum bitten können, mich zu beschäftigen. Und eigentlich wollte ich den Mitarbeitern hier nicht auf die Nerven gehen.
Am frühen Abend fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Schemenhafte Gestalten und undeutliche Laute waberten durch meine Träume, sodass ich immer wieder aufwachte. Ich bekam das Gefühl, länger wach zu sein als eigentlich zu schlafen. Zweimal meinte ich etwas Graues in der Nähe der Schiebetür gesehen zu haben. Aber vielleicht hatte ich das auch nur geträumt. Erst mit dem Einsetzen der Dunkelheit glitt ich langsam in tieferen Schlaf ab.
----❣ [Season 1] Kapitel 4.2
Das diffuse Licht der Monitore, gepaart mit dem wenigen Licht, welches durch den schmalen Türspalt vom Gang einfiel, ließen den Raum nicht in der Dunkelheit der Nacht versinken. Schwach wurde mein Bett sowie ein Teil der Decke im körperlosen bläulich-weißen Licht illuminiert. So schwach, dass ein unaufmerksamer Beobachter es gar nicht wahrgenommen hätte. Dennoch stark genug, um das Muster der Deckenplatten erkennen und anstarren zu können.
Gelangweilt stieß ich einen Seufzer aus, löste meinen Blick und ließ diesen durch den Raum wandern, bevor die Fensterseite meine Aufmerksamkeit fing. Das kraftlose Streulicht ließ gerade noch so die Fensterrahmen abzeichnen. Hinter den Glasscheiben selbst lag ein See aus schwarzem, homogenem Nichts.
Mir war das Gefühl für die Zeit komplett abhandengekommen. Es war Nacht, es war dunkel und nichts passierte. Gerade deswegen hätte ich liebend gerne wieder geschlafen. Aber vor einer Weile, eine vielleicht zwei Stunden, hatte mein Körper beschlossen aufzuwachen. Vergebens hatte ich versucht wieder einzuschlafen, aber mein Kopf war hellwach und konnte nicht aufhören zu denken. Nicht aufhören sich zu sorgen.
Noch so sehr konnte ich den Raum anstarren und mich dem Fluss meiner Gedanken hingeben. Aber es nagten schon zu lange diese wichtigen Fragen in meinem Hinterkopf. Es hat mich etwas Zeit gebraucht, nachdem ich aus dem Koma aufgewacht war. Zu sehr hatte mich dieser schmerzende, geschädigte Körper davon abgelenkt, um es zu bemerken. Aber immer mehr spürte ich, dass meine Aura sich selbst anders anfühlte. Genau konnte ich nicht feststellen, ob es eine Verletzung war oder ob es lediglich dieser schwache Körper war, welcher mir die Kontrolle erschwerte.
Grummelnd stieß ich ein paar schwere Atemzüge aus.
Dann war da noch die Sorge: War es überhaupt möglich, mit diesem Körper meine Aura zeigen zu können? Ich zweifelte daran, aber ein Teil in mir war auch neugierig, wie sich sowohl der Körper als auch meine Aura unter diesen Bedingungen überhaupt verhalten würden. Noch nie vorher hatte ich solch schwere Verletzungen überlebt.
Entspannt nahm ich ein paar tiefe Atemzüge und lockerte zugleich meinen Körper. Ich wollte meine Aura hervorholen. Vorsichtig, ohne den Körper zu schädigen, aber ich wollte endlich herausfinden, wie es sich anfühlte.
Vertrautes, hochfrequentes Zischen der Flammen begann die akustische Leere des Raums zu erfüllen. Einzelne, helle Fetzen stiegen von meinem Körper auf und beleuchteten ein Stück weit meinen Körper.
“Argh!”
Es drückte, es stach und pulsierte heiß durch meine Adern. Die Kraft meiner Aura zerdrückte förmlich meinen Körper, schoss ungebändigt durch mich hindurch und ergoss sich in Flammen über meinen Körper hinaus. Die Wellen an weißen großen Fetzen stiegen bis zur Decke hinauf und tauchten den Raum in flackerndes, helles Licht. Es war blendend, genauso wie der Schmerz. Unkontrolliert schwoll meine Aura weiter auf, fühlte sich wie Lava in meinen Blutgefäßen an.
Konzentriert schloss ich meine Augen und konnte dennoch das helle Licht wahrnehmen. Einzelne schwarze und graue Fetzen flackerten vor meinem geschlossenen Auge vorbei. Ich sammelte mich, konzentrierte meine Kraft auf den Fluss der Aura und führte diesen wieder von meinem Körper weg. Verschloss mich.
Angestrengt atmete ich langsam aus. Mein Körper zitterte vor Erschöpfung. Schweiß rannte mir von der Stirn und der Brust. Ich brauchte eine Weile, um meine angestrengte Atmung zu beruhigen, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ebenso schwer fühlten sich auch meine Gliedmaßen an.
Frustriert presste ich inkohärente Laute zwischen meinen Lippen hervor, im Versuch zu fluchen.
Ungern gestand ich es mir ein, aber dieser Körper war zu schwach. Weder war jener in der Lage, die Anstrengungen zu tolerieren, wenn ich meine Aura hervorholte. Noch war es dadurch möglich die Kontrolle zu behalten.
Nachdenklich ließ ich meinen Blick auf ein weiteres über die dunkle Decke gleiten und horchte nach dem Dröhnen der Lüftungsanlage, welches dumpf vom Gang kam.
Dieses körperliche Limit war frustrierend. Aber wieder so früh einen Körper verlieren wollte ich nicht.
Hektisch blinzelte ich, um die aufschießenden Tränen zu vertreiben.
Wenigstens in diesem Punkt war ich mir sicher: Nicht jetzt, es war noch viel zu früh, wollte ich einen neuen Körper annehmen müssen. Das Leid, die Schuld, ich konnte es nicht schon wieder ertragen. Schon dieser Körper hat mich Unmengen an Überwindung gekostet.
Ich konnte die Einschränkungen akzeptieren. Der Körper war am Leben. Das war das einzig Essentielle.
Dennoch musste ich nervös schlucken, um dem Gedanken, der Akzeptanz, statt zu geben.
Und.
Dann war da noch etwas.
Ich stieß einen langen Seufzer aus.
Es war absehbar, dass sie mich mit diesem Vorfall nicht allein lassen würden.
Schwach.
Nur äußerst schwach war es zu spüren.
Irgendwo, draußen, in der äußeren Umgebung konnte ich die Präsenz ausmachen.
Ein anderer Hüter befand sich in der Nähe.
Ich konnte noch nicht feststellen, wer es war. Ob dieser Hüter mit mir sprechen wollte oder bloß beobachtete, wusste ich ebenfalls nicht.
Es war auch nicht zu ignorieren, dass mein Gleichgewicht nicht wieder komplett eingependelt war. Mit der Aktion, Omega und mich zu vereinen, musste ich einen spürbaren Schock im Fluss verursacht haben. Zu gerne hätte ich diese Imbalance sofort behoben, aber dieser Körper machte mir dies aktuell unmöglich. Es eilte nicht, ich hatte Zeit. Aber solange diese Störung bestand, würden es auch die anderen spüren.
Ich hoffte, dass sie mich in Ruhe lassen würden.