Kapitel 2
Da stand er regungslos, als würde er vor Langweile gleich einschlafen: Mister Tombola! Oder wie ihn Noah nun lieber nennen wollte: der zwielichtige Langfinger. Abgesehen davon, dass er hier keine Fairness erwarten konnte, jetzt musste er auch noch darauf aufpassen, dass ihm seine Habseligkeiten nicht gemopst werden!
Noah wusste nicht, was das geringere Übel ist, der gruselig, gelangweilte Kerl oder die perverse Arenaleiterin. Wahrscheinlich fand er es am schlimmsten, dass der Liebestempel wirklich eine Arena war.
„Kennt ihr euch? Sehe ich es hier etwa knistern?“ Sie rieb sich entzückt ihre Wängchen und tretelte wie ein aufgeregtes Teenager-Anime-Mädchen auf der Stelle.
Noah wollte grade das Geschehen auf seinen kommenden Kampf lenken, da kam ihm der Schwarzhaarige zuvor: „Zu jung.“
Da musste der Rothaarige kurz verdutzt blinzeln.
„Das fällt dir hierzu ein? Nicht eventuell etwas zu den gekaschten Tränken?!“ Noahs Zündschnürchen war nicht wirklich lang, also war es nicht verwunderlich, dass er seinem Unmut trotzdem seinen Lauf liess. Ausserdem war der Typ von weiter weg weniger groß und gruselig, da wurde man automatisch mutiger.
„Hach, du bist so toll mit den Finanzen, Yoshi! Seit ich dich angestellt habe, verzeichnet unsere Arena nur noch Gewinne“, schwärmte die Arenaleiterin, seine Machenschaften deutlich unterstützend. Er schien das auch tatsächlich als Kompliment aufgefasst zu haben, zumindest blickte er verlegen zur Seite.
Noah fühlte sich nur noch mehr ignoriert und im falschen Film. Aber so langsam brachten sie ihn wohl zum Schweigen. Immer, wenn er dachte, dass es nicht verrückter werden konnte, wurde es noch schlimmer. Da war die langweilige Braunhaarige davor tatsächlich was Angenehmes.
Es räusperte sich nun der Schwarzhaarige und mit einer Kopfbewegung verwies er die Arenaleiterin auf den Herausforderer.
„Oh, richtig! Der Kampf! Wie viele Orden hast du denn bereits, mein Lieber?“
Noah könnte zwar auf diese Ansprache verzichten, aber es war ihm deutlich lieber, dass es nun endlich voran ging, daher zeigte er sich kooperativ.
„Keinen. Das wird mein erster!“ Mumm hatte er zumindest, wenn es sich um sein Trainer-Selbstbewusstsein handelt.
Sie lächelte amüsiert, zumindest schien ihr dieser Stolz nicht zu missfallen. „Okaychen~ Dann darfst du zwei Pokémon benutzen -“
„Ich habe aber nur eines.“, fiel ihr ein immer ungeduldigerer Noah ins Wort.
„Dann benutze ich zwei und du eines.“
Uff. Wenn es nicht um seltsame Machenschaften ging, war sie wohl ziemlich flink und simpel. Noah schluckte, aber irgendwie war das bestimmt machbar!
Der Schiedsrichter gähnte unterdessen und schien sich auch nicht darum zu bemühen, das irgendwie zu verheimlichen.
Noah lernte von den besten und fixierte ihn kurz in Bademantelfurie-Manier genervt, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder der bislang namenlosen Arenaleiterin widmete, die auch mit dem Erklären ihrer Regeln fortfuhr.
„Rest ist egal. Ich darf einfach ein paar Sachen nicht, die du darfst. Klassische Liga-Regeln. Hmpf.“ Schmollte sie da etwa ein wenig? Sie begab sich nun jedenfalls an ihre Markierung, das Plaudagei auf ihrer Schulter flatterte zum Schiedsrichter, auf dessen Kopf es sich nun gemütlich machte. Er schien es kaum zu registrieren.
„Los geht's!“ Sie wirkte wie ausgewechselt und angespannt. Ein Superball flog über das Feld, woraus sich ein violettes Pokémon mit einem Skorpionsschwanz manifestierte. Bevor Noah sein Serpifeu losschickte, erfuhr er von seinem Pokédex, dass dieses Pokémon Skorgla heisst. Es klapperte angriffslustig mit den Scheren.
„Mach es fertig!“, war wohl Noahs Schlachtruf, mit dem er sein Serpifeu herausholte. Die kleine Grasschlange blickte sich zunächst irritiert um, irgendwie war die Umgebung wohl nicht das, was sie erwartet hatte.
„Sasha hat gewonnen. Ende.“ Der Schiedsrichter machte da kurzen Prozess. Ohne auf eine Reaktion seitens der Teilnehmer zu warten, war er bereits auf und an, sich vom Acker zu machen. Die Arenaleiterin lächelte abschätzig und zückte den Superball, um ihr Pokémon zurückzurufen.
„Halt! Wir haben noch gar nicht angefangen! Was soll das?!“ Noahs Emotionen waren nun komplett durcheinander. Er wusste nicht, ob er verwirrt, entsetzt, wütend oder eventuell alles zur selben Zeit sein sollte. So hatte er sich seinen ersten Arenakampf jedenfalls nicht vorgestellt! Wie auch die kinderlieben Professoren wurden Arenaleiter ganz anders beschrieben! Sie sollten eine Stütze sein, Pokémon-Kampf-Profis, eventuell sogar Mentoren für angehende Champions. Hier schienen aber sowohl Schiedsrichter als auch Arenaleiter andere Prioritäten zu haben.
„Ich vertraue seinem Urteil.“, erwiderte Sasha, so lautete wohl der Name der Arenaleiterin, nun versöhnlich und erstaunlich besonnen. Ihre Stimme hatte einen sanften Klang angenommen, was Noah noch mehr verärgerte. Es zeigte, dass die Arenaleiterin auch anders konnte. ...wenn man die richtige Person war.
„Ich aber nicht! Der ist weder unparteiisch, noch fair!“, zeigte er auf Mister Tombola. Kampflos würde sich Noah nicht geschlagen geben. Dafür musste er heute schon genug einstecken. Nicht zu vergessen, dass sein Pokémon in Serpifeu-Manier anmutig und topfit da rumstand.
„Selbst, wenn sich Skorgla zurückhält und mit einer Boden-Attacke angreift... Eine einzige Attacke wird dein Serpifeu Pokémon-Center-reif prügeln. Das sieht man doch.“, bekam Noah doch noch eine "Erklärung" von dem Schwarzhaarigen, dem es augenscheinlich nicht wirklich gepasst hat, dass seine Fairness und Unparteilichkeit infrage gestellt wurden.
„Das weiss man erst, wenn man es ausprobiert hat! Serpifeu, setz' Tackle ein!“, weigerte sich Noah, auf die Stimme der Vernunft(?) zu hören und erteilte den ersten Befehl.
Das Pflanzenpokémon machte sich nun auf, in Richtung Skorgla zu rasen, um es mit seinem Körperchen zu rammen.
Die Arenaleiterin brabbelte etwas von Zeitverschwendung und blickte weg, als würde sie sich das nicht ansehen wollen.
Ihr Skorgla erhob sich in die Luft, sodass Serpifeu es gar nicht erreichen konnte. Dabei zeigte das Skorgla seine Zunge und machte sich über das kleine, nun wütend hüpfende Pokémon lustig, das mit aller Kraft seiner Beinchen versuchte, den über ihm kreisenden Flugskorpi zu erreichen.
Nach ein paar Dutzend Sekunden zeigte sich Serpifeu geschlagen, ballte die kleinen Händchen zu Fäusten und kam ins Schnaufen. Es blickte ratlos zu seinem Trainer, der auch nicht wirklich weiterwusste, da das kleine Pokémon laut Pokédex wirklich nur Tackle beherrschte. Sein Pokédex hatte leider auch quasi gar keine Informationen zu dem blöden Ding.
Skorgla hingegen hatte sich nun genug lustig gemacht und setzte ohne Anweisung seines Trainers zum Gegenangriff an. Als wäre es Absicht, warf es gefährliche Giftstacheln neben Serpifeu, welches keuchend aufgescheucht wurde und mit aufgerissenen Augen Richtung Noah hechtete. Die nächste Giftstachelattacke landete vor Serpifeu, welches durch das abrupte Stoppen zu taumeln begann und erstarrt die Giftstacheln vor ihm betrachtete. Es dauerte einige Sekunden, ehe es den Kopf wandte und das verdächtig nicht angreifende Skorgla beäugte, welches als Antwort hämisch zu Grinsen begann und in sadistischer Manier fast schon bewusst langsam den nächsten Giftstachel vorbereitete.
Noahs Kopf ratterte, er hatte keine Antwort zu diesem Schauspiel und noch nie von einer solchen Situation gelesen, daher wartete Serpifeu abermals kein Signal von ihm ab, wandte sich wieder von dem Skorgla ab und begann, einen Bogen um den Giftstachel zu rennen, damit es zu seinem Trainer in Sicherheit fliehen konnte.
Jedoch genau in diesem Moment, als sich Serpifeu umwandte, ging der Flugskorpi zur Jagd über, flog tiefer an es heran und Noah versuchte es endlich mit einem zugegebenermaßen redundanten Warnruf, um sein Serpifeu auf die weiterhin drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Sein Pokémon hielt inne, ignorierte seinen Trainer und blickte zurück zu seinem Widersacher, ehe das Skorgla sich auch schon in seinem Gesicht festklammerte und zu einem Giftstachel ausholte. Aus dieser Distanz musste das Skorgla kaum zielen und landete einen Volltreffer.
Serpifeu stürzte getroffen zu Boden, verzerrte das Gesicht vor Schmerzen, krümmte sich zuckend zusammen, ehe es das Bewusstsein verlor.
„Serpifeu kann nicht weiterkämpfen. Der Herausforderer hat keine weiteren Pokémon mehr, somit gewinnt Sasha das Match.“ Noah vernahm die gleichgültige Stimme des Trankmopsers nur noch gedämpft, seiner Wut waren Schuldgefühle gewichen. Er war wie paralysiert.
Das Skorgla holte nochmals mit seinem Giftstachel aus, wurde aber im letzten Moment von einer seufzenden Sasha zurückgerufen.
„Ich sollte mir Vortrainer zulegen...“, murmelte die Arenaleiterin, ehe sie wieder in den Hinterraum verschwand, das Plaudagei flog ihr hinterher. Sie würdigte den namenlosen Herausforderer keines Blickes, keiner Lektion oder auch nur Worte des Abschieds.
Noah war immer noch gelähmt, er wusste nicht, wie er fortfahren sollte. Seine Brust fühlte sich schwer an, seine Sicht wurde gläsern. Ohne, dass irgendeiner der anderen Beteiligten es aussprachen, so fühlte er sich trotzdem, als hätte das Skorgla hämisch „Wir haben es dir doch gesagt!“ geschrien. Diese Bilder würde er wahrscheinlich ohnehin nicht so schnell aus dem Kopf bekommen.
Während Noah wie in einer Trance gefangen war, schritt der Schiedsrichter zu seinem Serpifeu, beugte sich zu ihm herunter und begutachtete es. Dabei kramte er einen Trank aus seiner Umhängetasche hervor, den er auf die sichtbaren Wunden des Pflanzenpokémon sprühte. Anschliessend holte er noch Verbandmaterial hervor und nahm sich den grösseren Wunden an, die er damit verband. Der Schwarzhaarige hob das kampfunfähige Pokémon behutsam hoch, ehe er es mit sachten Schritten zu seinem Trainer brachte, dem er es hinhielt.
„Die Wunden werden eventuell nie ganz verheilen.“
Es waren jene Worte, die dieser Schiedsrichter ziemlich trocken an Noah richtete, die ihm den Rest gaben. Der Rothaarige konnte sich nicht mehr zusammenreissen, Tränen rollten von seinen Wangen runter, er packte das eigentlich ungewollte Pokémon und drückte es fest an sich. Verdammt, nie hätte er gedacht, dass es so ausgehen kann, wenn man sich viel zu früh an einen Arena-Kampf wagte! Er begann deutlich hörbar zu schluchzen, sein Körper zitterte.
Diese Reaktion schien den Anderen deutlich zu irritieren, er hob eine Augenbraue an und legte seine Hand nachdenklich ans Kinn.
Es war eine skurrile Szene, der eine starrte Löcher durch den aufgewühlten, Trost bedürftigen Neutrainer, keiner der beiden ging wirklich auf den anderen mehr ein.
Schließlich war es der Schwarzhaarige, der die Initiative ergriff und seine Hand auf Noahs rechte Schulter legte, auf der er ihm einen sanften Schubs Richtung Ausgang gab.
„Lass uns zum Pokémon-Center gehen.“
Noah löste sich aus seiner Paralyse und blickte zu ihm auf. Seine Augen wirkten beschwichtigend, nicht vorwurfsvoll wie Noah es eigentlich erwartet hatte. Es fehlte ihm aber die Kraft, auch nur irgendeine seiner brennenden Fragen zu stellen. Eventuell hatte er sich in seiner Evaluation von dem Klauer geirrt und er war doch nicht so übel.
Gemeinsam verließen sie die Arena.