Ein neues Kapitel. Es wird spannend, denn jetzt taucht einer der Gegenspieler auf. Mal schaun, was passiert...
Zwei Welten
Ich stand also auf dem Bürgersteig, unschlüssig, ob ich jetzt klingeln sollte oder doch lieber im Wagen auf Skulduggery warten sollte.
„So trifft man also aufeinander“, sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr schnell und erschrocken herum, ballte die Schatten um mich herum, jederzeit bereit, mich zu verteidigen. Doch ich rechnete nicht mit dem schwarzhaarigen Mädchen.
Sie stand hinter mir, die Arme vor der Brust verschränkt und blickte mich an. Ihre Augen waren von einem warmen Braunton, doch die Kälte, die ihr Blick aussandte, war beängstigend. Unwillkürlich zuckte ich zurück, als sie einen Schritt vorwärts tat. Als sie es bemerkte, lächelte sie kurz.
„Die Schatten kannst du beruhigt zurückrufen“, mit einer Kopfbewegung deutete sie auf die geballte Finsternis in meinen Händen. Statt auf sie zuhören, zog ich die Magie enger an mich. Wieder trat ich einen Schritt zurück. Das Mädchen ließ mich nicht aus den Augen. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Vielleicht war sie neunzehn, doch irgendetwas sagte mir, dass sie genauso alt war wie ich. Jedenfalls im menschlichen Sinne.
Sie lachte. „Warum hast du Angst vor mir? Ich bin nicht hier, um dir wehzutun.“ Ihre offene Miene ließ mich für einen Moment aufatmen. Wäre da nicht diese Kälte gewesen. Ich spürte, dass sie log.
„Was willst du von mir? Und wer bist du überhaupt?“, verlangte ich zu wissen, doch sie lächelte nur. Langsam ging mir das auf die Nerven.
„Wer du bist, will ich wissen!“ Als sie mir immer noch nicht antwortete, klickte in mir eine Sicherung durch. Normalerweise greife ich nicht fremde, scheinbar ungefährliche Leute an, wirklich nicht. Und eigentlich besitze ich eine relativ lange Zündschnur. Aber dieses Mädchen war – bedrohlich.
Ich ballte die Schatten, dann warf ich sie mit einem gezielten Wurf auf die Fremde. Doch statt zurückgeworfen zu werden von der Kraft, hob sie nur die Hand und die Schatten wurden zurückgeworfen. Wie bei einem Spiegel, der das Licht reflektiert. Es schien sie keinerlei Kraft zu kosten. Ich konnte nicht rechtzeitig ausweichen; meine eigene Magie traf mich und ich brach zusammen.
„Vielleicht begreifst du jetzt, dass es besser ist, mir zu zuhören.“ Sie betrachtete mich gelangweilt, wie ich da keuchend auf dem Asphalt lag. Blut lief mir übers Gesicht. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte ihr nichts anhaben können. Erst jetzt spürte ich, wie die Luft um sie herum flirrte. Auch die Präsenz von Schattenmagie war mir entgangen. Hatte sie ein Tarnschild darum gelegt?
Sie kniete sich neben mich. „Warum hat er dich hierher geschickt?“ Ich wusste sofort, von wem sie da sprach. Doch woher kannte sie Skulduggery? Ich stellte mich dumm.
„Ich weiß nicht, von wem du sprichst“, meinte ich kaum hörbar. Sie schlug mir auf den Rücken, so dass mir für kurze Zeit die Luft wegblieb.
„Warum?“ Ihre Stimme klang gefährlich ruhig, doch ich antwortete ihr nicht. Sie war gewiss keine Freundin von dem Detektiv. Und dass sie ihm nicht persönlich gegenüber trat hatte vermutlich seine Gründe.
Plötzlich, ich konnte ihren schnellen Bewegungen kaum folgen, hatte sie eine Flamme in der Hand und drückte mir diese auf meine Schulter. Das Feuer fraß sich gierig seinen Weg durch meine Kleidung, traf auf meine nackte Haut. Ich schrie auf, als es ich verbrannte.
Sie behielt die Hand auf meiner Haut. „Wenn du dich weiterhin so dämlich anstellst, werde ich nicht mehr so zögerlich mit dir umgehen.“ Sie drohte mir. Und ich konnte nichts dagegen tun.
„…frag ihn doch selbst“, flüsterte ich wütend. Das Mädchen lächelte.
„Oh, dass würde ich nur zu gern. Nur leider würde er keine fünf Minuten überleben“, entgegnete sie grimmig. Ich musste lachen; alles schmerzte, jede Bewegung.
„Glaubst du denn, ich würde dir etwas Neues berichten können… Walküre Unruh?“ Ihr Name kam mir einfach über die Lippen. Und als sie mich fassungslos und hasserfüllt anstarrte, wurde mir klar, dass ich genau ins Schwarze getroffen hatte. Erneut loderte die Flamme auf, verbrannte mir nun auch den Rest meiner Haut. Ich schrie wie von Sinnen. Es fühlte sich nicht wie eine normale Verbrennung an.
Als Walküre mich schließlich losließ, sackte ich zusammen. Ich konnte nur mit Mühe den Kopf heben. Sie starrte mich hasserfüllt an.
„Glaub bloß nicht, dass ihr mir entkommen könnt. Ihr alle seid dem Untergang geweiht, Kitty. Was Skulduggery und die anderen mir angetan haben, ist unverzeihlich.“ Sie wollte weitersprechen, doch da ertönte ein Aufschrei. Walküre ruckte herum und auch ich drehte mühevoll meinen Kopf.
Auf der Auffahrt stand ein Mann mit Glatze und Anzug. Er starrte mit aufgerissenen Augen zu uns herüber. Nein, ich korrigiere mich: Er starrte Walküre an. Die blickte ihn nur an; in ihren Augen spiegelten sich die unterschiedlichsten Emotionen. Der Mann trat ein paar Schritte auf sie zu.
„Stephanie…“ Dann wiederholte er den Namen, lauter diesmal. „Stephanie! Steph!“ Das Mädchen reagierte nicht. Stattdessen wandte sie sich ein letztes Mal zu mir um.
„Wir sehen uns wieder – verlass dich drauf“, zischte sie, dann begannen schwarze Schatten um sie herum zu wirbeln und als diese schließlich verschwanden, war Walküre Unruh verschwunden.
Der Mann rannte auf mich zu. Er kniete sich neben mich und fasste mich behutsam unter den Schultern. Ich wimmerte, als er an die Wunde stieß. „Was ist mit Ihnen, Mädchen?“ Da entdeckte er die Verbrennung; scharf zog er die Luft ein. Dann hob er den Kopf und rief: „Melissa!“
Eine Minute später kam hinten aus dem Garten eine schwarzhaarige Frau. Sie sah Walküre sehr ähnlich, nur waren ihre Augen einen Ton heller als die des Mädchens. Als sie mich sah, schlug sie die Hände vor den Mund. „Mein Gott! Desmond, was ist mit dem Mädchen?“
„Sie ist verletzt worden… von…“, der Mann, den Melissa Desmond genannt hatte, schloss die Augen. Dann erst sprach er weiter.
„Stephanie hat sie verletzt. Sie war gerade eben hier.“
Eine Weile herrschte fassungsloses Schweigen. Doch bevor Melissa noch Fragen stellen konnte, unterbrach sie Desmond. „Komm, wir müssen sie ins Haus schaffen.“
Er hob mich ächzend hoch, doch obwohl er sehr vorsichtig vorging, tat es weh. Ich unterdrückte einen Schrei. Mit wackligen Schritten brachte er mich ins Haus.
Es war gemütlich eingerichtet. Das Wohnzimmer, in das man mich brachte, war hell, groß und überall auf dem Fußboden lagen Spielsachen verstreut. Behutsam legte der Mann mich auf der dunkelbraunen Couch ab.
Ich zitterte, mein gesamtes Gesicht war mit Blut beschmiert und ich spürte, dass auch meine Schulter blutete. Ich musste ein wahrhaft jämmerliches Bild abgeben. Desmond und Melissa betrachteten mich, unschlüssig, was sie jetzt tun sollten.
„Wir müssen die Verbrennung behandeln“, meinte Melissa schließlich und huschte in die angrenzende Küche. Ich hörte sie herum kramen. Desmond strich sich müde übers Gesicht; auch er sah nicht sonderlich fit aus.
„Fragen Sie, was Sie fragen wollen“, flüsterte ich kraftlos. Ich bemerkte sehr wohl, dass er diese Fragen unterdrückte. Aber auch ich wollte wissen, woher er meine Peinigerin kannte. Er sah mich an.
„Woher kennen Sie meine Tochter?“
„Ihre Tochter?“ Verblüfft wollte ich meinen Kopf heben, doch mit einem unterdrückten Fluch ließ ich es. Desmond nickte. „Stephanie Edgley - oder Walküre Unruh, wie ihr sie nennt -, ist meine und Melissas Tochter.“ Ich lächelte.
„Ich kenne sie nicht, jedenfalls nicht persönlich. Ich stamme aus L.A. und bin wegen eines Auftrags hier.“
Er nickte. „Also gehören auch Sie zum Sanktuarium.“ Es war eine Feststellung. Jetzt war ich erst recht verblüfft. Der Mann wusste Bescheid über meine Welt? Über Magie?
„Ja, ich weiß seit zwei Jahren Bescheid. Mr. Pleasant hatte uns aufgeklärt. Er stand eines Tages vor unserer Tür, damals, als Stephanie nicht mehr auftauchte und wir begriffen, dass irgendetwas passiert sein musste. Wir waren völlig verzweifelt, befürchteten das Schlimmste. Als Mr. Pleasant uns dann berichtete, dass unsere Tochter seit Jahren als seine Partnerin arbeitete, in einer magischen und gefährlichen Welt, da waren wir geschockt. Nie hatten wir etwas bemerkt, nicht mal kurz vor ihrem Verschwinden. Und dann die Erkenntnis: Sie hatte uns jahrelang belogen.“ Er vergrub das Gesicht in seinen Händen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war auch für mich eine vollkommen neue Situation.
„Ich verstehe“, antwortete ich also nur. Und das stimmte: Ich verstand die Eltern. Lügen waren nichts Neues für mich.
Melissa tauchte wieder auf. In den Händen hatte sie eine Salbe, Verbandszeug und ein Glas Wasser. Das hielt sie mir nun hin. „Sie brauchen Flüssigkeit“, meinte sie lächelnd. Dankbar nahm ich es und trank. Die Kühle tat gut.
Nachdem ich das Glas abgesetzt hatte, nahm Desmond es mir aus der Hand und Melissa kniete sich vor die Couch. „Ich werde Ihnen jetzt die Bluse zerstören müssen. Anders komme ich nicht an die Wunde ran.“
Desmond machte Anstalten aufzustehen, doch ich schüttelte den Kopf. Ich war erschöpft und kraftlos; meine gesamten Magiereserven waren aufgebraucht worden mit dem Schlag gegen Walküre. Ich nickte Melissa wortlos zu.
Sie riss mit geübten Gesten den Stoff kaputt, darunter kam mein schwarzer BH zum Vorschein. Es war mir etwas unangenehm, aber der Schmerz lenkte mich sofort wieder ab. Melissa schraubte den Deckel von der Salbe, doch bevor sie sie auftrug, gab sie mir zu verstehen, dass das jetzt wehtun würde. Obwohl ich darauf vorbereitet war, stöhnte ich auf, als der Schmerz kurz aufflammte und dann wieder abebbte.
Ich behielt die Augen geschlossen, als Melissa mir den Verband anlegte. Es ziepte, doch es war ein erträglicher Schmerz. Als sie fertig war, öffnete ich die Augen und sie erhob sich. Etwas unschlüssig wartete sie ab.
„Sie sollten ins Krankenhaus, Miss…“
„Raven“, meinte ich leise. „Ich heiße Kitty Raven und nein, im Krankenhaus wird man mir nicht helfen können. Das ist eine magische Wunde; es ist völlig normal, dass sie seltsam aussieht und so weh tut.“
Desmond stand auf und griff nach dem Telefon. Dann wandte er sich zu seiner Frau. „Liebes, in der Küche liegt die Nummer von Mr. Pleasant. Ich denke, wir sollten ihn informieren.“ Der Meinung war ich zwar überhaupt nicht, aber es erschien mir sinnlos zu protestieren. Skulduggery würde eh hier aufkreuzen.
Melissa gehorchte und Desmond wählte die Nummer. Ich bedeutete ihm, auf Laut zustellen. Nach wenigen Minuten nahm Skulduggery ab.
„Ja?“ Im Hintergrund waren leise Stimmen zuhören. Desmond räusperte sich etwas nervös.
„Mr. Pleasant? Hier spricht Desmond Edgley. Es geht um… Stephanie“, sagte er dann. Ich hörte, wie Skulduggery den Rednern im Hintergrund befahl, kurz still zu sein. Dann war er wieder da.
„Was ist mit ihr?“
„Sie ist hier aufgetaucht, vor wenigen Minuten.“ Skulduggery schwieg; als er wieder sprach, hörte ich deutlich seine Anspannung. „Was wollte sie?“
Melissa hielt mir erneut ein Glas Wasser hin und eine kleine weiße Tablette. Als ich sie fragend ansah, lächelte sie. Auch sie sah unendlich erschöpft aus. „Eine Schmerztablette“, meinte sie leise, um ihren Mann nicht zu stören. „Damit Sie ruhig schlafen können.“
Während ich die Tablette schluckte, sprach Desmond weiter.
„Wir wissen es nicht. Ich hörte einen Schrei vorm Haus und als ich hinrannte, sah ich, wie Stephanie ein Mädchen attackierte, das vor ihr auf dem Boden lag. Als sie mich bemerkte, verschwand sie.“
„Wer war das andere Mädchen?“ Jetzt klang er wirklich angespannt.
„Eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren; sie meint, sie heißt Kitty Raven. Ist sie eine Freundin von Ihnen?“
„Sie ist meine Partnerin und… ja, auch meine Freundin.“ Erstaunt registrierte ich, dass seine Stimme bei dem letzten Wort irgendwie sehnsüchtig geklungen hatte. „Wie geht es ihr? Ist sie schwer verletzt?“
„Meine Frau hat sie gerade versorgt. Wir können nicht einschätzen, wie schlimm die Verletzung ist. Miss Raven meint, es sei in Ordnung, aber… wir denken, dass es besser wäre, wenn sich jemand das nochmal anguckt, der sich auskennt.“
„Geben Sie mir eine Stunde; ich beeile mich.“ Mit diesen Worten legte er auf. Desmond lächelte seiner Frau zu, doch was er sagte, bekam ich nicht mehr mit. Völlig erschöpft sank ich in einen traumlosen Schlaf.