Einhundert Tage später...
Miranda schaute sich um. Zwei zu ihrer Linken, drei zu ihrer Rechten. Zwei junge Frauen gegen fünf unfreundliche Gegner. Mitglieder Team Plasmas, das sich so langsam wieder in den Städten der Einall-Region breitmachte. Wieso waren sie nur so schnell zu altem Ruhm gelangt? Wussten die Menschen denn nicht, dass G-Cis und seine Schergen Wesen der Finsternis oder sogar Monster waren? Dass sie alles dafür taten, um ihre Macht zu vergrößern, die Kontrolle über das gesamte Einall zu erlangen und dann als Nächstes die Welt einzunehmen? Wie schnell vergaßen sie nur alle. Aber nicht Miranda und auch nicht ihre Schwester, Amanda.
Und nun standen sie hier in Marea City in der Nähe des Hauses, das anderthalb Jahre lang ihre Heimat gewesen war, das auf den Schutz des Arenaleiters Turner angewiesen war. Jenes Haus, das Miranda und ihre Schwester aus dem Nachlass ihrer wahren Eltern geerbt hatten, nachdem G-Cis das Monster endlich seine wahre Persönlichkeit zur Schau gestellt hatte und sie von ihm befreit worden waren.
»Wie könnt ihr euch nur jetzt schon wieder in eurer abartig dunklen Kluft auf die Straße trauen? Haben euch eure Eltern niemals gelehrt, dass man ein wenig Respekt der Gesellschaft gegenüberbringen muss, um selbst akzeptiert zu werden? Und Akzeptanz bedeutet noch lange nicht Respekt! Wie könnt ihr euch nur hierher wagen, nachdem ihr so vielen Menschen in so vielen Städten Leid angetan habt? Und dann auch noch Marea City, wo euch der Held aus der Legende, der Champ bereits einmal in die Knie gezwungen hat? Damals war es nur das größte Monster, das euch befreien konnte, als wir noch so verblendet waren und in seinem Dienste standen. Aber wir sind ausgestiegen und auch ihr hattet die Chance dazu. Ich und ganz bestimmt meine Schwester noch weniger wollen euch nicht bekämpfen. Einst waren wir Freunde und hatten ein gemeinsames Ziel. Wir hatten ein Ziel der Freude und des Glücks für alle Wesen auf dieser Welt. Erkennt dieses Ziel wieder an, lasst von eurem Machthunger ab und uns endlich wieder die Freunde sein, die wir schon einmal waren. Was sagt ihr?«, appellierte Miranda an die Gewissen der fünf Rüpel, die nur mit einem boshaften Lachen antworteten und ihre Pokémon riefen.
Es waren ein Rabigator, das rote Krokodil mit den schwarzen Augen, zwei Rokkaiman, die Vorentwicklung von Rabigator, und zwei Kleoparda, in dessen Augen die beiden Schwestern in diesem Moment blickten.
Das Haus, vor dem sie standen, mochte nicht mehr ihre Heimat sein, wie es noch vor dreieinhalb Monaten gewesen war. Aber dieses Gebäude war auch nicht mehr von Turner geschützt. Nun waren sie die Hüter der ehemaligen Rüpel, die die richtige Seite gewählt hatten. Es schmerzte Miranda, dass ihre fünf ehemaligen Freunde, die ihr mit diesen kalten Antlitzen gegenüberstanden, doch jetzt war ihre einzige Reaktion ein Seufzen. »Nun gut, ich habe es euch angeboten, aber ihr habt leider abgelehnt. Dann werdet ihr jetzt auch sehen, was ihr davon habt. Und wenn ihr erwartet, dass wir die ungeschützten Musen von früher sind, dann habt ihr euch getäuscht. Wir sind nicht mehr so wie früher. Glaubt mir.«
Miranda warf einen Pokéball in die Luft, dessen obere Kapselhälfte gelb und dessen untere Hälfte rot war. Ein M war auf das Gelb eingraviert, wie es bei jedem ihrer Bälle der Fall war. Hier stand das M aber nicht nur für ihren Namen, sondern auch für das Pokémon darin. »Maracuja, ich brauche deine Hilfe!«
Aus dem Ball zog sich nicht das blaue Licht, das man sonst sah, wenn ein Pokémon gerufen wurde. Stattdessen schien die Kapsel zu reißen und ein flammendes Inferno schoss aus der Öffnung heraus, bündelte sich auf einen Punkt vor Miranda und ließ ihren neusten Partner erscheinen.
Neunzig Tage zuvor…
»Und ihr müsst wirklich schon gehen? Wir haben doch noch gar nichts gelernt!«, meinte Miranda zu Zoé, als sie mit ihrem Koffer in der Eingangspforte zur Einall-Zentrale der P.G.A. stand.
Die Brünette lächelte sie an und antwortete: »Ach was! Ich bin mir sicher, dass ihr mit Felix einen außergewöhnlich guten Lehrer gefunden habt. Er ist nicht umsonst Vize-Chief in Einall geworden, nachdem wir wieder hier waren. Das heißt, dass er jetzt sogar noch besser ist als Lukas und ich. Und das ist wirklich eine große Leistung. Also sei nicht enttäuscht, dass wir wieder losziehen müssen. Wir haben einen Auftrag in Orre erhalten, der uns wahrscheinlich eine Menge Zeit kosten wird. Aber ich habe sowieso noch ein Geschenk für dich. Das wollte ich eigentlich schon viel früher gemacht haben, dran gedacht hab ich nur nie.«
Die Agentin aus Kalos zog ihre Taschen zurecht und öffnete einen Reißverschluss an der größten Tasche, in der eine Frau sicherlich genügend Platz hatte, um bequem zu fliegen. Wie hatte sie das Gepäckstück dorthin tragen können? So stark sah sie nämlich nicht aus.
Es dauerte einige Zeit, sie schien zu suchen und nichts zu finden. Einige Momente vergingen sogar und Miranda konnte den Umschwung in Zoés Blick sehr gut erkennen. Erst überrascht, dann von der Suche angenervt. Doch ihr Gesichtsausdruck veränderte sich wieder schlagartig und sie zog ein kleines Objekt aus der Tasche heraus.
Ein Ball. Rot und gelb. Ein M auf dem Gelb.
Diesen überreichte sie Miranda und grinste breit. »Ich habe gehört, dass dein sechstes Pokémon aus Kalos stammt und dass du es noch nicht so lange hast. Und ich habe gehört, dass es noch keinen Ball hat, weil es gerade erst geschlüpft ist. Da ich aber einige ziemlich gute Verbindungen zu Kurt aus Johto habe, weil seine Enkelin mal von Lukas und mir gerettet wurde, konnte ich über eine Eilzulieferung diesen Ball geschickt bekommen. Es ist eine besondere Version des Traumballs, der nur im Zentrum von Einall hergestellt wurde. Das Pokémon, das du damit fängst, wird seine besondere Fähigkeit ausprägen, während es wächst. Oftmals kann so etwas, gerade für uns Agenten, von großem Nutzen sein und ich glaube, dass es Sinn macht, wenn du diesen Ball zu Beginn deiner Ausbildung erhältst, wenn du sowieso schon nicht genug Zeit hast, durch die Akademie zu wahrer Größe zu gelangen. Aber wie gesagt: Felix wird seine Aufgabe mit Sicherheit unglaublich gut machen und euch wirklich zu den besten Agentinnen machen, die die Einall-Region jemals beehrt haben. Und wenn wir uns das nächste Mal sehen, werden wir eine Mission zusammen erledigen! Ich freu mich jetzt schon darauf! Also wenn ihr Agenten werdet, nachdem ihr G-Cis niedergezwungen habt.«
»I-ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Vielen Dank! Das ist wirklich ein großartiges Geschenk und bestimmt perfekt für Maracuja. Du musst wissen, dass ich das Ei von Rubius erhalten habe, nachdem er von Professor Platan aus Illumina City besucht worden ist. Bisher schläft das kleine Fynx aber nur und ich weiß noch nicht, wann wir das Training beginnen können. Aber mit dem Ball wird es bestimmt schon bald losgehen können!«, bedankte sich die ehemalige Muse und fuhr fort: »Aber Zoé?«
»Ja?«, fragte diese überrascht.
»Bist du dir sicher, dass du in dem Outfit in den Flieger steigen solltest?«
Zoé trug ein aquamarinblaues Kleid, das wie ein Badeanzug an den Oberschenkeln endete. Eine hellere, aber ebenso blaue Schleppe zog sich noch etwas weiter runter, war aber so zusammengenäht, dass es eher aussah wie die Schwanzfedern eines Swaroness. Doch wenn man sich das Kleid genau anschaute, erkannte man darin Elemente des Aussehens des legendären Pokémon Kyogre. Die Musterungen an der Taille waren rote Kreise, die mit roten Strichen verbunden waren und der Ausschnitt war mit einem roten Rand umzogen. Am unkomfortabelsten sahen jedoch ihre Schuhe aus, die an die Flossen eines Kyogre erinnerten, wobei die dortigen roten Elemente die Schnüre waren, jene Stellen, die sonst blau waren, ihre Füße zeigten und ihre Zehen unter den weißen Klauen versteckten. Und der Absatz erschien MIranda auch nicht schmerzlos. Waren es zwölf Zentimeter oder mehr? Irgendwie in dieser Richtung.
Doch die Agentin lachte nur auf und antwortete mit einem Zwinkern: »Natürlich! Wir fliegen mal wieder mit dem Jet. Das dauert ja nur etwa fünf Stunden, bis wir in Orre sind. Außer wenn Lukas fliegt. Dann dauert es etwa das Dreifache. Könntest du Calisto Farewell noch von mir grüßen? Er wollte sich zwar eigentlich verabschieden, aber er ist immer so verpeilt und hat es wohl vergessen. Und wir wollen dem guten Mann ja nicht einfach ohne Tschüss das Haus verlassen.«
»Ich werde es ihm ausrichten. Aber in den letzten Tagen habe ich ihn sowieso nicht gesehen. Er war die ersten drei Tage zwar immer bei Amanda und mir, aber jetzt ist er auf einmal verschwunden. Was er wohl wieder macht?«, fragte sich Miranda laut und umarmte Zoé noch einmal. Obwohl die Brünette High Heels trug, war sie immer noch kleiner als sie.
»Lukas ist schon draußen, ich muss mich also beeilen. Bis dann! Grüß auch deine Schwester noch mal von mir!«, rief die Agentin ihr noch zu, während sie sich umdrehte und aus der Zentrale der P.G.A. austrat.
Nun würde das Training mit Maracuja beginnen!
Das Pokémon, das wie ein Schamane aussah. Fuchsartig und dennoch menschlich. Ein Meister der Flammen und dennoch irgendwie magisch. Das rote Fell sah so aus wie der Umhang eines Zauberers, der Holzstab tat sein Übriges dazu. Fennexis, das Fuchs-Pokémon. Oder Maracuja, wie Miranda es liebevoll nannte.
Amanda setzte in Kombination dazu Ada, ihr Vulnona, ein, das sie seit ihrer frühsten Kindheit besaß.
Nun konnte der erzwungene Kampf beginnen.
»Ihr könnt noch aufgeben, Jungs. Ich bin wirklich nicht an einem Kampf gegen euch interessiert. Aber ich werde wegen unserer Vergangenheit nicht weniger geben, als ich kann. Wir werden es nicht. Also bitte ich euch, dass ihr euch zurückzieht«, wollte ehemalige Muse des Friedens die Rüpel überzeugen.
»Rabigator, Erdbeben!«
Das war eine Antwort.
Wenn sie nicht anders wollten, konnte sie auch nichts mehr tun. Sie hatte alles versucht, um ihre fünf Gegner zu überzeugen, sich zu ergeben, bevor es zu spät war. Wieso hatten sie es nicht einfach angenommen?
Sie seufzte und schaute dann zu Maracuja, der sie grinsend anblickte und auf ein Kommando wartete. »Maracuja, Magieflamme!«
»Ada, Solarstrahl!«
Adas Fähigkeit, Dürre, drängte die Wolken vom Himmel und ließ die Sonne auf Marea City strahlen wie jenes Licht auf eine Wüste, die immer weiter zerfällt, deren höchsten Berge und Landschaften langsam zerfallen, um als ein Meer aus Sand auf ewig zu existieren. In diesem Moment jedoch verstärkte die Fähigkeit nur beide Attacken und ließ den Solarstrahl umso schneller aufgeladen sein.
Die Magieflammen erreichten die beiden Kleoparda, noch bevor das Rabigator das Erdbeben initiiert hatte, hüllten die Katzen-Pokémon ein und ließen sie aufjaulen vor Schmerz. Es tat Miranda in der Seele weh, dass sie das tun musste, denn diese Pokémon waren nicht böse, sie waren nur von Team Plasma gestohlen und umkonditioniert worden. Sie waren unschuldig, nein, sie waren sogar Opfer der Boshaftigkeit dieser Organisation und trotz des Wissens darum ließen sich diese fünf Menschen nicht aufhalten, weiter im Schatten eines noch größeren Monsters zu arbeiten. Es fügte ihr physischen Schaden zu, das zu wissen. Und es kränkte sie umso mehr, dass sie diese Menschen mal Freunde genannt hatte. Sie waren zwar immer nur ihnen gegenüber unterwürfig gewesen, weil sie die Hüterinnen Ns waren, aber der Respekt beider Seiten gegenüber war stets groß gewesen. Davon war jetzt nichts mehr zu spüren.
Adas Solarstrahl war vollkommen aufgeladen, als das Rabigator zum Erdbeben ansetzte. Jetzt ging es um Sekunden.
Das Vulnona fokussierte das gebündelte Licht noch weiter und ließ es dann in einem Atemzug frei, in alle Richtungen nahm es seinen Lauf und hüllte die drei Boden-Pokémon in einen Angriff aus Licht und Leben ein. Und auch dieser Angriff war gepaart mit den Schmerzensschreien der Pokémon, mit dem Leid in Mirandas Herzen und dem Zorn, den sie gegenüber Team Plasma verspürte. Das Leid dieser fünf Pokémon sollte nicht vergebens sein. Sobald dieser Kampf vorbei war, konnten sie die Pokémon ihren rechtmäßigen Besitzern übergeben. Es war nicht viel, aber es war der einzige Weg, ihre Schuld ansatzweise zu vergelten. Auch wenn ihre Schuld auf ewig hoch sein würde.
»Wollt ihr weiterkämpfen oder gebt ihr euch geschlagen? Wir werden euch nicht mit diesen Pokémon laufen lassen, denn sie gehören nicht euch. Aber wir werden euch mit Respekt behandeln und ihr werdet einen fairen Prozess erhalten. Das höchste Gericht von Einall wird anerkennen, dass ihr die Pokémon zurückgegeben habt. Tut ihr das jetzt jedoch nicht, werden wir euch besiegen und ihr werdet für sehr viel längere Zeit eure Schuld begleichen müssen. Das will niemand von uns. Also bitte, lasst uns einen besseren Weg gehen. Es geht anders«, plädierte Amanda nochmal für das Aufgeben der Rüpel, doch der Rabigator-Trainer spuckte nur aus. Das mochte nur symbolisch und viel zu weit von Amanda weggewesen sein, um sie zu treffen, aber das war endgültig genug. Miranda nahm es hin, wenn Menschen nicht einsahen, dass sie falsch lagen, dass ihre Position einfach nicht mehr gerechtfertigt werden konnte und es der blinden Gier zukam, was diese Menschen noch taten. Aber wenn es um ihre Freunde und vor allem ihre Schwester ging, kannte sie kein solches Mitgefühl mehr.
»Maracuja, beende diesen Kampf.«
Zwar sagte sie das zu Fennexis, doch ihre Augen leuchteten auf.
Fünfzig Tage zuvor…
»Und du bist dir sicher, dass es niemanden außer dir, deiner Schwester und N gibt, der ebenfalls solche Fähigkeiten in sich trägt? Es wäre super, wenn euch jemand beibringen könnte, wie ihr diese Kraft in euch fokussieren könnt, damit ihr das im Kampf gegen Team Plasma einsetzen könnt. Anders fällt mir nicht ein, wie wir euch darin stärken können«, meinte Felix ein wenig enttäuscht zu Miranda, die den Kopf schüttelte.
»G-Cis hat selbst immer nach dem perfekten Träger gesucht, um seine Pläne zu verwirklichen. Gäbe es einen Menschen, der solch eine Gabe in sich trägt, dann hätte er ihn für sich genutzt und N oder uns bestimmt unterrichten lassen, damit er noch mehr dieser … Wundersoldaten… für sich nutzen kann. Aber das ist nicht geschehen«, erklärte Miranda, die beim Begriff “Wundersoldaten” stark schlucken musste. Sie hatte vor einigen Tagen erst in Akten der P.G.A. gelesen, was Felix während seiner Mission über Team Plasma herausgefunden hatte. Zwar hatte sie schon länger gewusst, dass G-Cis Amanda, N und sie wegen ihrer Gaben für sich nutzen wollte, aber sie hatte herausgefunden, dass er bereits einige Kinder zuvor dafür genutzt hatte, die bei den Versuchen, die er an ihnen durchgeführt hatte, gestorben waren, wenn sie nicht schon in der Wildnis verhungert waren.
Felix schaute nach oben und säuselte leise, um sich dann wieder an Miranda zu richten: »Was ist, wenn dieser Mensch genau das vermieden hat? Weil er erkannt hat, dass G-Cis ein Monster ist?«
»Wenn das so ist, müssen wir diesen Menschen finden. Denn wir werden sein Wissen nutzen müssen, wenn wir eine Chance gegen G-Cis und seine neuen Vorstände haben wollen.«
Der Körper des Fennexis, gestärkt von Mirandas Gabe, färbte sich rötlich, jedes Gelb und jedes Weiß an seinem Körper wurde orange, die Hitze zeigte sich durch den Wasserdampf, der das Pokémon umgab. Das Gras unter den Pfoten des Feuer-Pokémon fing an zu brennen, die Luft bewegte sich in sichtbaren Wellen. Feuerbälle entstanden vor den Pfoten, der Ast begann ganz zu brennen, in der Luft entstand eine riesige Kugel aus konzentriertem Feuer. Dann platzte die Kugel und ließ die Kleoparda brennen, die Rokkaiman vor weiterem Schmerz aufschreien und das Rabigator nur noch stöhnen. Ein Tumult ohnegleichen. Ein Leid, das Miranda nie wieder spüren wollte und dennoch bald sicherlich wieder werden musste.
Dann war es still.
Ada, die die Flammen auf ihrem Fell genossen hatte, wurde zurück in den Ball gerufen und auch Maracuja sprang voller Freude wieder in die zerstörte Kapsel, die sich gleich wieder wie von Zauberhand reparierte und in Mirandas Hand landete.
»Wir nehmen eure Bälle jetzt. Die Polizisten hinter euch werden euch Handschellen anlegen«, kommentierte Miranda das nachfolgende Geschehen und schritt zu den fünf Pokémon. Aus ihrer Tasche nahm sie fünf gelbe, oktaederförmige Objekte, die sie an die fünf Pokémon verfütterte. Beleber, die zumindest einen Teil der Schmerzen dieser Pokémon lindern konnten, wenn auch nicht alles Leid ihrer Zeit als Sklaven nehmen konnten. Welche Erfahrungen hatten sie machen müssen, als sie gegen ihren Willen trainiert worden waren, bis sie schließlich nachgegeben und das Glück ihrer Vergangenheit hinter sich gelassen hatten?
Daraufhin ging die Blondine zur den Einsatz leitenden Offizierin, Officer Francine Rocky, die sie bereits von einigen Treffen in der Vergangenheit kannte. Noch ehe sie etwas sagen konnte, sprach die Polizisten voller Zufriedenheit in der Stimme: »Es tut mir leid, dass wir nicht schnell genug dasein konnten, um zu helfen, aber ihr habt das ja anscheinend auch ganz großartig ohne uns geschafft. Ich hatte zwar gehört, dass ihr wirklich gut seid, aber ich wusste auch, dass ihr erst seit hundert Tagen im Training seid, deswegen hatte ich nicht erwartet, dass ihr so schnell fünf Gegner besiegen würdet. Also gute Arbeit!«
»Eigentlich wollte ich mich bedanken, dass sie so schnell gekommen sind. Aber was wird mit den fünf Leuten passieren? Sie haben zwar eine Strafe verdient, aber trotzdem waren sie einst unsere Freunde und teilten mit uns einen Traum. Ich weiß, dass das nichts an den Taten ändert, aber… was heißt das für sie?«
»Nun, das ist schwer zu sagen, weil es viele Rüpel gab, die verschieden viel verbrochen haben. Nach dem, was ich bisher von den Verhafteten erfahren habe, als wir hierhergefahren sind, schätze ich, dass man sie vor das Gericht in Stratos City führen wird. Je nach Tatbestand kann die Strafe variieren. Bestenfalls eine Sozialarbeitsstrafe von tausend oder zweitausend Stunden, es könnten aber auch zehn bis zwanzig Jahre Gefängnis sein, wenn sie weiter oben mitgemischt haben.«
Zehn bis zwanzig Jahre. Wie konnten diese Menschen nur so bescheuert sein? Wieso hatten sie nicht einfach aufgegeben, als sie die Chance hatten? Was wäre dann die Strafe gewesen? Ein Bruchteil auf jeden Fall. Vielleicht die Hälfte. Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Aber jetzt würden es so viele Jahre sein, die sie mit ihrer Strafe verbringen mussten. Zurecht, wenn Miranda wirklich objektiv beurteilte. Denn im Gegensatz zu den ehemaligen Mitgliedern dieser Organisation waren sie öffentlich mit Diebstahl und Pokémonraub in Verbindung zu bringen. Es war furchtbar, was G-Cis angerichtet hatte und noch immer anrichtete.
Eindreiviertel Jahre zuvor...
»Mein Name lautet … mein Name tut nichts zur Sache, sie können mich aber LeBelle nennen. Ich bin Mitglied der Internationalen Geheimpolizei und auf der Suche nach ihrem Vater. Sie wissen nicht zufällig, wo ich ihn finden kann?«, fragte der Mann im braunen Mantel und dem beigefarbenen Anzug, der so aussah, als könnte man ihn in einer großen Masse besitzen, denn an einem Knopf hing ein Stückchen Papier mit der Aufschrift “22. Anzug”.
Wenn Miranda diesen Mann so anschaute, wusste sie nicht so recht, was sie von ihm halten sollte. Zwar wusste sie in diesem Moment ohnehin nicht, was sie wie finden sollte, denn eigentlich ihr ganzes Leben abgesehen von der Liebe zu ihrer Schwester und ihrem Bruder war eine Lüge gewesen, aber das war eine jener Situationen, in der man auch unter anderen Umständen nicht wissen würde, wie man reagieren sollte.
Der Mann wirkte freundlich, etwa Anfang der Vierziger, vielleicht Ende der Dreißiger, aber unglaublich neben der Spur. Sein Aussehen war dabei nur das kleinste Indiz. Viel wichtiger war, dass er in das Haus hineingestolpert war, nachdem er Rubius als erstes hineingelassen hatte.
Sie hatten vor wenigen Tagen ein Haus in Eventura City gemietet, um für die erste Zeit in einer von Team Plasma unberührten Umgebung zu leben. So südlich war Team Plasma nie vorgedrungen und genau deswegen war dies der perfekte Ort, um sich erst einmal wieder zu fangen. Doch der Agent der Internationalen Geheimpolizei hatte laut über die Weisheit dieser Entscheidung gesprochen, sodass wahrscheinlich die Hälfte der Nachbarschaft nun genau wusste, wer sie waren und was sie getan hatten. Und dann hatte er auch noch ein Hutsassa - unwissend, nicht absichtlich - in der Nähe geärgert, dass ihm bis hierher gefolgt war und mit einem Schlafpuder vier Bewohner des Hauses eingeschläfert hatte.
»Nein, es tut mir leid, aber ich weiß nicht, wo er sich befindet. Wenn ich es wüsste, würde ich mit meiner Schwester und meinen Freunden soweit weg, wie es mir möglich ist, um diesem Horror ein für alle Mal entkommen zu können. Es ist einfach nicht mehr sicher für uns und ich weiß nicht, wie lange wir hier bleiben können«, antwortete Miranda mit Augenringen, die bis zu den Lippen reichten. Ihre Lippen waren aufgeplatzt, weil sie nicht genug trank, ihre Arme schmerzten, ihre Augen wegen des wenigen Schlafs auch. Sie hatte abgenommen, obwohl sie noch nie viel gewogen hatte. Und jetzt wusste nicht einmal dieser Geheimdienst, wo man ihren Adoptivvater finden konnte.
LeBelle schaute sich um und seufze: »Sie müssen wissen, dass wir alles versucht haben, um ihren Vater zu finden und dass sie die letzte Hoffnung waren. Eigentlich wollte man sie schonen, bis es ihnen wieder besser geht, weil man gehofft hatte, dass ihr Bruder in Kürze wiederkommt, aber das ist nicht geschehen und so langsam ist es wirklich Zeit, ihn zu finden.«
Die junge Frau schaute ihn aus erschöpften Augen an und erwiderte: »Sie sind der Agent. Wir legen unsere Hoffnung in ihre Hände. Wir brauchen sie. Bitte helfen sie uns.«
»Okay, gut. Ich gebe mein Bestes. Ich würde an ihrer Stelle nicht hier bleiben, denn dieser Teil mag zwar nie von Team Plasma besucht worden sein, aber gerade das ist ein Grund dafür, dass sich ehemalige ranghohe Mitglieder in diesem Teil der Region verstecken. Sie sollten in ein Gebiet gehen, wo die Arenaleiter für ihre Stärke bekannt sind. Ich habe mich schlau gemacht und weiß, dass sie Erbinnen einer relativ vermögenden Familie sind und dass sie ein Haus in der Nähe von Marea City geerbt haben. Dort lebt Turner, der Arenaleiter der Stadt, ganz in der Nähe und sollte für sie den besten Schutz darstellen, der möglich ist. Ich würde ihnen das echt empfehlen«, erklärte LeBelle und schaute sie mit freundlichen, aber besorgten Augen an.
Der Agent hatte Recht. Die Familienvilla in Marea City würde sicher sein. Und vielleicht schöne Erinnerungen in Miranda wecken.
Und es wird weitergehen…