If I die young

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  • If I die young


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    All rights to (c) LadyObscurity




    It’s too late to deceive you
    To whisper to you is just too foolish
    Crossing over the night, those feelings are reflected by the moon




    Vorwort~
    Herzlich Willkommen bei meiner Fanfiction „If I die young“ im allgemeinen Bereich. Dies ist, mittlerweile, mein fünfter Versuch, eine FF zu schreiben und diese auch fortzuführen. Bisher ist mir dies nur ein einziges Mal geglückt.
    Dennoch bin ich frohen Muts, diese hier zu einem Ende zuführen.
    Ganz gleich, ob dieses Ende nun tragisch oder glücklich enden wird.


    Bevor ihr euch in die Geschichte hineinlest, möchte ich euch bitten, nicht zu vorschnell zu urteilen. Denn in dieser FF steckt ein sehr großer Teil von mir selbst, mein Herz und auch ein Teil meiner ganz persönlichen Erinnerungen.
    Bitte, lasst euch Zeit, diese Geschichte zu verstehen und zu interpretieren.


    All people are but small birds
    who live locked in cages of despair
    If someone doesn’t break the lock they are unable to fly


    As soon your lips touch mine they seem to peel away
    This is a dream, always a dream
    Drawn close like a wave,
    I listen to the sound of destiny crumbling
    It’s a dream I’ve had over and over
    But tonight is…



    Genre~
    Romance (Yaoi), Real Life, Fantasy, Drama


    Even if it's sadder
    than deciding whether it’s black or white,
    than losing each other through mutual desire
    Isn’t the way things are now even more unfortunate?


    If you believe in the deception
    that is the cycle of life and death then at least next time
    let us be reborn somewhere where a season of pain does not exist


    Inhalt~
    „Mein ganzes Leben ist ein Spiel! Und obwohl ich doch die Regeln kennen müsste, bin ich lediglich eine Figur in alldem!
    Und du fragst mich, warum ich dieses Leben so sehr hasse?“


    Lucy River hasst ihr Leben, die neue Frau ihres Vaters, ihren Alltag – und allem voran sich selbst. Schüchtern und zurückhaltend, wie sie nun einmal ist, traut sie sich nicht, etwas an alldem zu ändern. Neue Freundschaften schließt sie nie und verlässt auch so gut wie nie das Haus. Niemand versteht das in sich gekehrte Mädchen, dass sich nach dem Tod der Mutter doch nur nach Einem sehnt: Nach Geborgenheit und Zuversicht.
    Doch dann ändert sich alles. Beim Besuch am Grab ihrer Mutter trifft sie auf zwei Männer, von denen der Eine sich als Undertaker vorstellt und einen schwerverletzten Mann mit sich trägt. Als er Lucy fragt, ob sie diesem Mann helfen würde, ist sie dazu bereit.
    Und hat im selben Augenblick die Seele von Eric in sich, dem Verletzten.
    Fortan teilen sich die beiden Lucys Körper und haben zu Beginn mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten. Nach einiger Zeit jedoch freunden sich beide miteinander an und Lucy erfährt, dass Eric ein Shinigami, ein Todesgott, ist und nach einem Heilmittel für seinen ehemaligen Schüler Alan sucht. Er erzählt ihr von diesem Mann, den er mehr liebt als alles andere.
    Doch dann verliebt auch Lucy sich in Alan, was zu unerwarteten Komplikationen führt. Und dann beginnen auch noch die anderen Shinigamis, Lucy und Eric zu jagen. Denn Eric hat unschuldige Seelen eingesammelt, um Alan vor der Krankheit zu retten.


    Und als Alan langsam stirbt, müssen sie schnell ein anderes Gegenmittel finden. Frage ist nur: Gibt es überhaupt eines?


    As they intertwine our fingertips lose their way
    Is this a sin? Or maybe a trap?
    The heart that was once ice begins to melt and burn,
    becoming flame as I close my eyes
    It’s a dream I’ve had over and over
    But tonight is…



    Entstehung und Inspiration~
    Schon seit geraumer Zeit hatte ich den Anflug einer Idee, die ich jedoch nie wirklich umsetzen konnte. Es steckten zu viele persönliche Dinge darin, wie der Tod meiner Mutter und der Verlust einiger Freundschaften. Jedoch konnte ich mir keinen besseren Weg vorstellen, als mir den Schmerz von der Seele zuschreiben. Und nach meiner Therapie schrieb ich an anderen Geschichten weiter, jedoch immer lauschend, ob sich nicht doch noch eine Idee einschleichen würde.
    Die Idee kam, als ich das Musical „The most beautiful Death in the World“ sah. Der Charakter von Eric erinnerte mich in vielerlei Hinsicht an mich selbst, die Situation von ihm an meine eigene. Es war, als würde ich in ein Spiegelbild meiner selbst blicken.
    Und in diesem Moment war die Idee zu „If I die young“ geboren.
    Ich schrieb und plante an dieser Geschichte einige Monate, ohne jemandem etwas davon zu sagen. Der Titel änderte sich häufig, doch der grobe Inhalt blieb stets derselbe.
    Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass ich diese Geschichte online stellen wollte, um zu sehen, was andere von ihr halten würden. Und auch, um ein paar geliebten Menschen mein Verhalten in dem vorletzten Jahr zu erklären. Soweit es mir möglich ist.


    Die Inspiration kam hauptsächlich durch das Musical von Black Butler, „The most beautiful Death in the world“ und durch meine eigene Lebensgeschichte. Ich höre beim Schreiben stets Musik, hauptsächlich Japanische und Englische. Und durch viele schlaflose Nächte, in denen meine Gedanken um diese Geschichte kreisten.
    Durch einzigartige Momente, seien sie auch noch so schmerzvoll gewesen.
    Und durch wundervolle Menschen, die mir die Kraft gaben, dies hier niederzuschreiben.


    We knew that
    this wasn’t a dream
    and that there was no turning back
    What we feared
    was surely
    the shadow created by the light we had longed for



    Widmung~
    Jana. Wie oft kann ich dir noch danken, dass du immer da bist, bis es mir irgendwann zum Hals raushängt? Niemals. Du warst da, als ich am Verzweifeln war und bist es immer noch. Danke für deine offenen Ohren, wenn ich mal wieder weinend bei dir Hilfe suchte und deine Aufmunterung, wenn mich nichts mehr zum Lachen bringen konnte.
    Jannika. Wir kennen uns noch nicht lange, aber trotzdem bist du sehr wichtig für mich. Du bist eben Alan, was du mich häufig spüren lässt. Im positiven Sinne.
    Alexandra. Trotz des Stillstandes bei unserer Kommunikation hatten wir uns nach zwei Jahren trotzdem immer noch was zu sagen. Und werden es wohl auch immer.
    Lenkija. Deine Hilfe und Inspiration durch wenige Sätze weiß ich sehr zu schätzen. Ebenso deine Freundschaft, obwohl ich weiß, wie schwer es oftmals mit mir ist. Ich freue mich darauf, dich endlich zu sehen <3
    Rini. Drei Jahre nicht gesprochen und doch sofort wiedererkannt. Wir sind eben Seelenverwandte und werden es immer sein. Ich hab dich lieb.



    As soon your lips touch mine they seem to peel away
    As they touch softly once more
    we embrace each other like waves
    and listen to the sound of destiny crumbling


    Erklärung zu Black Butler~
    Sebastian Michaelis ist ein teuflisch guter Butler. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Denn obwohl dem Äußeren nach ein Mensch, ist er ein Dämon der Hölle. Er hat einen Pakt mit dem jungen Earl Ciel Phantomhive, der bei einem Brand seine Eltern sowie Anwesen und Ruf verlor. Verschleppt in eine grausige Sekte, rief er den Teufel um Hilfe und somit ging er einen Pakt mit SEbastian ein.
    Um seine Ehre, seinen Ruf und vorallem die Rache für seine Eltern zu erlangen, geht er schmutzige und kaltblütige Wege. Immer an seiner Seite: Der pechschwarze Butler.
    Und nicht nur Sebastian ist das einzige übernatürliche Wesen: Shinigamis, Todesgötter, weitere Dämonen und wandelnde Leichen kreuzen ebenso seinen Weg wie Angst und Zweifel.


    Doch der Preis ist hoch: Sobald die Rache vollzogen ist, bekommt Sebastian als Dank für seine Dienste Ciel`s Seele...


    As they intertwine our fingertips lose their way
    Is this a sin? Or maybe a trap?
    The heart that was once ice begins to melt and burn,
    becoming flame as I close my eyes
    It’s a dream I’ve had over and over
    But tonight is…


    Begriffserklärungen~
    Mit jedem Kapitel kommen eventuell neue Begriffe hinzu.
    Shinigami: Todesgötter; sie sammeln die Seelen von sterbenden Menschen ein und archivieren sie. Sie sind unsterblich.
    Death Scythe: Todessense; die Waffe eines Todesgottes; häufig Sense (Undertaker), manchmal auch andere Formen (Ronald – Rasenmäher)
    Shinigami Dispatch Society: Die Vereinigung der Todesgötter; Hauptsitz in London, GB; Hauptleiter ist Undertaker; Kurzform: die Society


    As they intertwine our fingertips lose their way
    Is this a sin? Or maybe a trap?
    The heart that was once ice begins to melt and burn,
    becoming flame as I close my eyes
    It’s a dream I’ve had over and over
    But tonight is…


    Copyright
    Alle Bilder sind mit Quellennachweis bezeichnet. Die Liedzeilen sind ebenfalls am Ende jedes Kapitels benannt, sowie mit dem Copyright versehen.
    Das Lied aus dem Startpost ist "Hallucination", Yuya Masushita. Es ist eine englische Übersetzung.



    Kapitelübersicht~
    Prolog (Lucy) - Fall in blink
    Prolog (Eric) - You call it all
    So that`s in your plan (Lucy)
    An orange-colored light (Eric)



    Benachrichtigungsliste~
    Violet

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

    6 Mal editiert, zuletzt von Cassia ()

  • Fall in blink...



    … but nobody cares.


    (Lucy)




    Ich erinnere mich daran.
    Ich erinnere mich an den Moment, wo der Mensch von mir ging, den ich am Meisten geliebt habe.
    Mama... warum musstest du gehen?


    ~


    „Du kannst da nicht rein, Lucy!“
    Immer wieder sagen sie es mir, packen mich bei den Schultern und schütteln mich. Ich nehme es schon gar nicht mehr wahr. Hinter dieser Krankenhaustür liegt meine Mutter. Meine Mutter! Denn genau das will ich schreien. Es ist meine Mutter, die da stirbt!
    Sterben.
    Ich habe nie gedacht, dass das passiert. Sie war schwach, dünn wie ein Blatt Papier und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, wenn sie denn einmal aufstand. An ihr haftete der Geruch von Krankheit.
    Und dennoch. Sie war meine Mutter, die stärkste Person für mich in diesem Universum. Ich habe nie geglaubt, dass sie jemals sterben könnte. Schließlich starben Mütter nicht einfach so. Sie waren für ihre Kinder da, wenn sie auf die weiterführende Schule gingen und nachher waren sie beim Schulabschluss dabei, stolz in der ersten Reihe.
    Womit habe ich das verdient? Ich hatte nicht einmal mehr eine heile Familie, keinen Vater, der immer für mich da war. Da war nur noch meine Mutter. Die mich in den Arm nahm und mir sagte, wie sehr sie mich liebte.
    Tagelang kam sie nicht aus dem Bett raus, erbrach sich immer wieder und geisterte nachts durch das Haus. Aber trotzdem war da nie Angst, sie zu verlieren. Wenn man elf Jahre alt ist, verschwendet man keinen Gedanken an so etwas. Da ist man in der letzten Klasse der Grundschule und ist aufgeregt und nervös angesichts der neuen Schule, in die man bald kommt.
    Aber meine Mutter würde nicht dabei sein.
    Dass wurde mir in diesem Moment klar.
    Ich sank zu Boden, rutschte an der Wand entlang und weinte. Wie eine Marionette, der man sämtliche Fäden durchtrennt hatte, verlor ich den Halt. Ob da noch jemand bei mir war, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, wie ich minutenlang geweint habe. Es kam mir wie Stunden vor, aber heute erscheint es mir praktisch gesehen eher unwahrscheinlich.
    Ich bettelte darum, noch einmal zu ihr zu dürfen, sie ein letztes Mal zu sehen, mit ihr zu sprechen. Doch man ließ mich nicht zu ihr. Mein Vater und meine große Schwester verboten es mir.
    „Behalt sie so in Erinnerung, wie sie war.“
    Wie ist es nur möglich, diesen so simplen Satz so höhnisch und erniedrigend klingen zu lassen? Wie sollte ich sie in Erinnerung behalten, wenn man mir die auch noch nahm? Warum nur ließ man sie da alleine? Ohne ihre Tochter?
    Ich habe es trotzdem über mich ergehen lassen. Einfach, weil ich nichts mehr merkte. Bis heute weiß ich nicht, wie ich aus dem Krankenhaus gekommen bin. Oder wie mein Vater mich ins Auto packen konnte und mit mir zu sich und seiner neuen Frau fuhr.
    Ich erinnere mich an nichts von diesem Tag. Nur an diese verdammten Worte.
    Sie wird sterben.


    ~


    Zwei Tage später kam der Anruf. Ich wusste es, als mein Vater abnahm und erbleichte. Noch bevor irgendeiner etwas sagen konnte, war ich schon geflüchtet. In mein Zimmer, in diesem fremden Haus, in dieser fremden Stadt.
    Ich lag auf dem Bett und starrte auf die Decke. Weinen konnte ich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Ich hatte alle Traurigkeit ausgeweint. Das sagte ich auch zu meinem Vater.
    Als er mich fragte, ob ich zu der Beerdigung wolle, verneinte ich sofort. Ich wollte nicht das gespielte Mitleid entgegen nehmen, nicht in fremde Gesichter blicken, die meine Mutter nicht gekannt hatten.
    Aber vor allem wollte ich nicht die Lüge mitspielen, die ihr neuer Mann, mein Stiefvater, seit Jahren inszenierte. Ich hasste diese Lüge über ihren Tod. Dass er jede Schuld von sich lud.
    Das taten sie alle.
    Niemand war Schuld am Tod meiner Mutter. Nur die Krankheit.
    Aber keiner fragte sich, woher die Krankheit gekommen war.


    ~


    Auch Jahre später mache ich mir noch immer Vorwürfe. Dass ich sie allein gelassen hatte, in dem engen Krankenhauszimmer. Das ich nicht da gewesen war, um ihre Hand zuhalten und ihr zu sagen, dass alles gut werden würde.
    Ich weiß, dass sie nach mir gefragt hat. Aber hat ihr jemand eine Antwort gegeben? Was haben sie ihr gesagt, diese Lügner?
    Ich wünschte, ich wüsste es. Nichts ist schlimmer, als die Vorstellung, dass sie geglaubt hat, dass ich nicht bei ihr sein will.
    Sie fehlt mir. Es tut weh, ihr Foto anzusehen und mich an sie zu erinnern, an all diese Momente. Mittlerweile bin ich fast erwachsen und sie erlebt es nicht mit.


    ~


    Es tut mir Leid.
    Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen.
    Es tut mir Leid.



    (c) Song: On my way, Yayu Masushita
    Bild: Gefunden auf tumblr.com

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • You call it all...



    … but the world won’t give it to.


    (Eric)



    Ich erinnere mich daran.
    Ich erinnere mich an den Moment, wo der Mensch, den ich am meisten liebte, dem Tod ins Gesicht blickte.
    Alan... warum musste dies geschehen?


    ~


    „Ich bin krank. Ich werde sterben, Eric.“
    Dieser Satz hat keine Bedeutung im ersten Moment, wo man ihn hört. Erst nach und nach begreift man, was es heißt. So ging es mir. Ich brach nicht zusammen oder schrie. Ich war wie gelähmt, vollkommen bewegungslos.
    Bereits im ersten Moment wollte ich es nicht, nein, konnte es nicht akzeptieren. Er war immer da gewesen, ich war sein Lehrer, sein bester Freund. Jeder liebte ihn, diesen schüchternen Alan mit dem zögerlichen Lächeln. Niemand konnte ihm böse sein.
    Beim ersten Treffen war ich ihm verfallen. Ein Blick in seine Augen, sein Gesicht – und ich war dahin. Obwohl ich mich nie hatte verlieben wollen, tat ich dies bei ihm. Ich geleitete ihn durch seine Ausbildung, brachte ihm alles bei und bereitete ihn auf sein neues Leben vor. Wie unglaublich stolz ich war, als er die Abschlussprüfung mit Bravur bestand.
    Wir waren ein Team.
    Wie konnte all dies jetzt vorbei sein? Mit einem Finger-schnippen riss man ihn mir aus den Armen und verspottete mich. Jeden Tag musste ich zusehen, wie er immer weiter dahinraffte und war machtlos. Die Wut in mir war endlos.
    Wut über die Krankheit.
    Wut über die Ungerechtigkeit.
    Wut über mich selbst.


    ~


    Ich musste es tun. Mir blieb keine andere Wahl mehr.
    Verzeih mir, Alan.
    Aber ich lasse dich nicht sterben.



    (c) Song: On my way, Yayu Masushita
    Bild: Gefunden auf tumblr.com

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • So that’s in your plan...





    … to force me back in a cage!
    (Lucy)



    Es ist windstill und ich höre nur ein paar Vögel in den Bäumen. Um mich herum ist niemand. Was mich nicht verwundert. Es ist ein Montagnachmittag, da verirrt sich kein Mensch auf den Friedhof. Nun gut, außer mir.
    Mit den Fingern streiche ich über die glatte Oberfläche des Grabsteines. Es fühlt sich angenehm tröstlich an unter meinen Fingerspitzen. Sofort überkommt mich Ruhe, nur, weil ich hier richtig bin. Hier fühle ich mich am richtigen Platz. Denn hier, an diesem Ort, gibt es kein Richtig oder Falsch, keine gebrochenen Regeln.
    Oder gebrochene Herzen.
    „Hey, Mum“, flüstere ich. Natürlich erhalte ich keine Antwort, aber damit habe ich auch nicht gerechnet. Ich bin auch nicht hier, um Antworten zu erhalten, sondern nur, um mich auszureden. Wenn es das Wort denn gibt.
    „Heute haben Dad und Jessica wieder gestritten. Dreimal darfst du raten, was der Grund war.“ Ich stoße einen Seufzer aus, der einfach nur frustriert klingt. Es fällt mir schwer, gleichgültig zu sein. „Die tollpatschige Waise, die nie irgendetwas richtig macht. Scheinbar bin ich jetzt endgültig ganz unten in der Nahrungskette angekommen... Eigentlich sollte es mir egal sein. Aber wie soll das gehen? Jedes Mal, wenn ich den Raum betrete, in dem sie sich aufhält, macht sie mir Vorwürfe.“
    Für einen Moment setze ich aus. Es fällt mir erstaunlich leicht, den nächsten Satz über meine Lippen zu bringen.
    „Sie hasst mich.“
    Das Gras raschelt, als ich mich von meiner knienden Position in eine Sitzende bringe. Die Sonne scheint mir aufs Gesicht und taucht den Friedhof in ein warmes Licht. Aber irgendwie ist mir kalt. Ich ziehe das Sweatshirt enger um mich.
    „Es ist schwer, mit ihr klarzukommen oder überhaupt nur mit ihr zuleben. Nie kann ich ihr etwas Recht machen, da ist immer ein Fehler. In allem, was ich tue, sage oder denke. Manchmal habe ich das Gefühl, sie macht mich für alles verantwortlich.“
    Seufzend blicke ich auf das Grab. Auf der Erde stehen weiße Rosen. Ich weiß nicht, warum, aber meine Mutter hatte diese Blumen stets am liebsten. Vielleicht, weil sie so rein und unschuldig wirken.
    Ich weiß noch, was sie früher immer zu mir gesagt hat, wenn ich weinend zu ihr kam und mich beschwerte, dass andere Kinder mich nicht mögen würden. Dass es egal sei, ob sie mich mögen oder nicht. Denn es sei nur wichtig, von den Leuten gemocht zu werden, die man auch mochte.
    Ich mag die neue Frau meines Vaters nicht. Jessica ist ein Kontrollfreak und eine verbitterte Hexe, die perfekte Abbildung der bösen Stiefmutter aus den Märchen. Ich habe wirklich keinerlei Grund, sie irgendwie auf meine Seite zuziehen. Aber das Problem ist einfach, dass mein Vater sie liebt. Und ich liebe meinen Vater.
    Der Konflikt meines Lebens.
    Aber sie versucht, mich in eine Form zu pressen und mich nach ihren Vorstellungen zu formen, zu perfektionieren. Sie sperrt mich in einen Käfig wie einen seltenen Vogel, vor dem man Angst hat und ihn einfach vergessen will. Der Käfig wird in die Ecke gestellt, ab und an darf der Vogel raus und einen kurzen Blick auf die Freiheit draußen erhaschen. Und ist er dann wieder im Käfig, tut er alles, um einen erneuten Blick zu erhalten.
    Ich habe keine Ahnung, wie ich den Käfig verlassen kann.
    Oder wie ich meine Flügel nutzen soll.
    „Ich weiß nicht, was ich tun soll...“, ich ziehe einen Grashalm aus dem Rasen und drehe ihn zwischen den Fingern. „Ich möchte ja von ihr weg. Mehr als alles andere! Aber... ich kann Dad nicht alleine lassen. Er hat ja nur noch mich... und Jessica. Und ich wüsste nicht einmal, was ich tun sollte, wohin ich soll. Ich weiß ja nicht einmal, was ich in der Zukunft machen will. Eigentlich...“
    Ich schweige. Für einen kurzen Moment muss ich mich sammeln.
    „Eigentlich will ich nur noch gleichgültig leben.“
    Das ist die Wahrheit. Ich bin all den Streit und den Rechtfertigungen leid. Wenn man mir wieder etwas vorwirft, stehe ich stumm da und betrachte den Boden unter meinen Füßen. Warum soll ich mich verteidigen, wenn doch eh nie jemand auf meiner Seite ist? Mein Dad ist stets auf der Seite von Jessica. Jessica hat immer Recht, Regel Nummer Eins bei uns Zuhause. Da komme ich nicht gegen an.
    Ich will das alles nicht mehr. Ich ertrage es nicht mehr.
    Aber ich halte durch.


    Wie lange ich hier schon sitze, weiß ich nicht.
    Irgendwann erwische ich mich dabei, wie ich nur noch starr geradeaus blicke. Aber es erscheint mir nicht wichtig, so zu tun, als würde mich etwas interessieren. Selbst das Schauspielern strengt mich an.
    „Eric!“
    Der Schrei kommt links von mir und ich zucke zusammen. Ich will aufspringen, weglaufen, aber dieser Laut aus einem menschlichen Mund erschreckt mich zutiefst. Ich bin für einen Moment gelähmt deswegen.
    Und noch bevor ich den Schock verdaut habe, rennt jemand direkt in mein Sichtfeld. Ein junger Mann steht gänzlich unerwartet vor mir. Seine hohe Gestalt steht direkt vor dem Grab meiner Mutter, verdeckt die Inschrift darauf.
    Wieder will ich schreien, aber noch bevor ich den Mund öffnen kann, hat er schon die Hand gehoben. Er blickt mich an. Seine Augen besitzen eine merkwürdige, intensive Farbe, giftgrün mit einem Hauch von Gold. Selbst die Brille mit den getönten Gläsern, die er trägt, kann das nicht verstecken.Solche Augen habe ich noch nie gesehen.
    Genau dieser Gedanke erscheint in meinem Kopf.
    „Hey...“, dass ist der erste Satz, den er an mich richtet.- Beinah muss ich lachen angesichts dieses völlig normalen Wort. Die Situation ist abstrakt, erscheint mir wie aus einem Traum.
    Aber ich lache nicht. Stattdessen hebe ich an, dass ich weglaufen will. Doch wieder scheint er vorauszusehen, was ich vorhabe. Und wieder hält er mich davon ab.
    „Warte!“ Er tritt ein paar Schritte auf mich zu, doch ich robbe zurück. Als er plötzlich taumelt und mit schmerzverzerrtem Gesicht die bis eben noch erhobene Hand auf seine linke Schulter drückt, sehe ich es. Das Blut färbt sein weißes Hemd rot. Meine Augen weiten sich, jetzt jedoch aufgrund von Panik. „Was... ist.. mit dir?“, bringe ich heraus. Die unwichtigste Frage überhaupt, wenn man sich die Situation vor Augen führt. Ein wildfremder Mann, der scheinbar aus dem Nichts auftaucht und an der Schulter blutet.
    Aber ich bin verplant.
    Er bringt ein kleines Lächeln zustande, dass jedoch schnell wieder verrutscht. Stöhnend sinkt er auf die Knie, doch dabei sieht er mir weiterhin in die Augen. Erst jetzt sehe ich ihn aufmerksamer an.
    Der Mann ist etwas größer als ich, vielleicht einen Kopf. Seine Haare sind auf einer Seite dunkelblond und gehen ihm bis zur Schulter, auf der anderen Seite sind sie braun und zu kleinen Zöpfen geflochten. Er trägt einen kleinen Ohrring an dieser Seite. Seine Kleidung besteht aus einer schwarzen Anzughose, einem weißen Hemd und einem schwarzen Jackett mit einer Krawatte, die im Sonnenlicht glitzert wie ein Stern am Nachthimmel. Seine schwarzen Herrenschuhe sind leicht verdreckt, sehen aber dennoch edel und teuer aus.
    Erst jetzt fällt mir die Säge auf. Sie liegt neben ihm im Gras und sieht aus wie eine gewöhnliche Gartensäge. Und dass macht mir Angst.
    Ich will wieder aufstehen, aber er hält mich zurück. „Nein, bitte! Bleib...“, er kann den Satz nicht beenden. Er muss husten.
    Jetzt könnte ich abhauen. Ich könnte rennen, ich bin schneller als er. Ich könnte rennen und nicht zurückblicken.
    Aber ein Blick in seine Augen und ich zögere. Warum, dass weiß ich nicht.
    Aber für einen Augenblick sagt etwas in mir, dass ich ihn kenne.
    Und dieses Zögern lässt mich innehalten, abwarten.
    Er lächelt, dann hustet er erneut. Ich zögere, doch dann gehe ich langsam auf ihn zu. Als mich nur noch eine Handbreit von ihm trennt, gehe ich in die Knie. Und sehe ihm ins Gesicht.
    Eine Weile blicken wir uns schweigend an, Grün trifft auf Grau.
    Dann erklingen Schritte, die sich einen Weg durchs Gras bahnen.
    Der Mann ist augenblicklich angespannt, er hebt den Kopf. Er stößt ein Knurren aus und versucht, wieder aufzustehen, doch er wankt und fällt zurück in seine kniende Position. Ich bin hilflos und sehe nur stumm zu.
    Die Schritte verklingen. Als ich aufblicke, kann ich einen Ausruf der Angst nicht zurückhalten: Hinter mir stehen vier seltsame Gestalten, einer merkwürdiger als der andere. Alle trage sie Anzüge, jedoch mit einigen Unterschieden; so besitzt der eine statt schwarzer Schuhe weiße und einer einen roten Mantel, den er halb auf den Schultern trägt. Alle tragen sie Brillen und alle haben sie unter ihren Armen...
    Gartengeräte.
    Ich unterdrücke ein Schaudern. Einer hat einen Rasenmäher, einer eine Heckenschere, einer eine Kettensäge und ein anderer eine Art Paddel, welches mich entfernt an eine Sense erinnert.
    Und alle besitzen sie, nach einem kurzen Blick auf ihre Augen, diese merkwürdige Augenfarbe.
    Der Mann vor mir lacht leise. Es ist kein glückliches Lachen, eher eines am Rand der Verzweiflung. „Ihr werdet mich nicht töten“, flüstert er, kaum hörbar für mich. „Nicht vor einem Menschen.“
    Die anderen Männer schweigen. Als ich kurz zu ihnen blicke, sehe ich, wie der Mann mit dem Paddel kurz die Augen zusammenkneift. Seine Fingerknöchel treten deutlich hervor, so stark umklammert er sein Paddel. Doch dann fängt er sich wieder und hat die emotionslose Miene von zuvor.
    „Ihr werdet mich nicht töten“, wiederholt der Verletzte. Und diesmal erhält er eine Antwort. Und zwar von dem schwarzhaarigen Mann, der die Heckenschere in der Hand hält. Seine Stimme ist kalt.
    „Seien Sie sich nicht so sicher, Slingby.“


    © Song „Life`s too short“, Frozen
    Bild: Gefunden auf deviantart.net

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • Cassia
    Ich dachte mir, ich schlage drei Fliegen mit einer Klappe und kommentiere mal dein echt gelungenes Werk! Zum einen, weil die Feedback-Kette seit Ende September nicht mehr weitergekommen ist und, weil deine Geschichte allen Ernstes keinen einzigen Kommentar bekommen hat....
    außerdem profitiere ich auch von, hihi.


    Ich bin mir sicher, dass ich eigentlich bloß meine Meinung zu deinem Werk äußern werde - ohne groß etwas zu kritisieren, denn ich sehe einfach nichts zum Kritisieren (und eigentlich fällt es mir leichter eine FF zu kommentieren, die von einem Anfänger o.Ä. geschrieben wurde, weil ich da mehr zum Anmerken habe ... außerdem zähle ich gern Negatives auf *hust* natürlich nicht ernst gemeint o/).
    Eine kleine Anmerkung kommt noch, bevor ich anfange - trotz Yaoi und Black Butler (beides nicht mein Fall) hast du mich ziemlich von deiner Geschichte überzeugt und falls du weiterschreibst, hast du mich auf jeden Fall an der Backe :P


    An deinem Startpost habe ich nichts zu meckern - er ist gegliedert, beginnt mit einem schönen Bild und ist ausführlich verfasst worden.
    Die Idee die verschiedenen Punkte noch mal durch eine Textpassage eines Liedes zu trennen gefällt mir! Was auch sehr gut ist, dass du Black Butler und einzelne Begriffe erklärst. Leute, wie ich, die sich damit nicht auskennen, könnte vielleicht etwas falsch interpretieren, weswegen solche Erklärungen immer eine gute Idee sind - klar kann man so etwas auch in der Geschichte erklären, aber vielleicht hat ja nicht jeder die Lust immer nach der Textzeile zu suchen, in der ein bestimmter Begriff erklärt wurde. Ansonsten habe ich nichts mehr anzumerken.
    Wonderful! o/
    Zu deinem Titel werde ich mich btw gar nicht äußern - verschiebe ich auf einen späteren Zeitpunkt.


    So zu den Kapiteln-
    Ich lese ja am liebsten Geschichten, die aus der Ich-Perspektive geschrieben worden sind. MMn kann man sich da am besten in die Person hineinversetzen und deine ersten Kapitel bestätigen das auch sehr gut. Was ich wirklich toll finde, ist, dass du die Gefühle echt super rüberbringst - die Trauer und die Wut auf sich selbst, die in deinen Charakteren steckt.
    Was du außerdem echt toll hinbekommen hast, ist die zukünftige Verbindung von Lucy und Eric schon von Anfang darzustellen. Die beiden teilen ja irgendwo ein ähnliches Schicksal, was das Ganze ja so interessant macht mMn, und durch den Aufbau der ersten beiden Texte hast du das gekonnt unterstrichen. Auf jeden Fall ein gelungener Einstieg in die Geschichte.
    Dein letztes Kapitel zeigt, wie gut du Situationen beschreiben kannst - man kann sich das Geschehen auf dem Friedhof echt gut bildlich vorstellen. Jede Bewegung Lucys und ihre Gedanken kann man nachvollziehen. Wer würde nicht wegrennen wollen, wenn da plötzlich so ein Typ mit 'ner Gartensäge antanzt und sogar verletzt ist? Obviously jeder!
    Merkst du eigentlich, dass ich bloß Positives von mir gebe? Ärgerlich, haha :'D
    Eigentlich könnte ich noch anmerken, dass die Kapitel an sich noch etwas kurz sind, aber ganz ehrlich - wenn der Inhalt stimmt und alles nachvollziehbar und genug beschrieben worden ist, sehe ich die Länge nicht als Kritikpunkt.
    Violets Kommentar neigt sich nun dem Ende.
    Sou, ich wäre echt froh würdest du so nett sein und mich auf die Benachrichtigungsliste packen. :*


    Violet

  • Schönen guten Tag, ihr Lieben
    Langsam wird es echt kalt, findet ihr nicht? Brrr, sag ich nur. Da mach ich es mir schön in meinem Bett gemütlich, mit einem heißen Tee und schaue mir eine Folge meiner Lieblingsserie an oder lese ein gutes Buch. Ich freue mich zwar wie verrückt auf den Winter (Schnee! Yeah! ♥), aber trotzdem... muss es denn so kalt sein?
    Gut, bevor ich hier jetzt weiter rumnörgel, beantworte ich lieber das wundervolle Kommi über mir^^



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    Und nun nur noch ein klitzekleines Vorwort zum neusten Kapitel. (Jaja, ich geh ja gleich!)
    Ich hab es diesmal höchst ausführlich geschrieben, hoffe, nichts ist zu kurz gekommen. Ich persönlich mag die Rückblende sehr, sehr gerne (Eric x Alan ♥) und daran hatte ich auch am meisten Spaß beim Schreiben. Insgesamt hat mir dieses Kapitel sehr viel Freude beim Schreiben bereitet und ich bin zufrieden damit. Hoffe, nicht nur ich ^_^"
    Zu der Orange: Die Orange kam tatsächlich erst um 1500 nach Europa. Zum Nachlesen einmal der Wikipediaartikel: *Klick* Ja, die Beschreibung ist gehäuft, aber wayne.
    Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!
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    An orange-colored light...


    [Blockierte Grafik: http://fc00.deviantart.net/fs71/f/2010/044/2/c/Orange_by_Little_Shad0w.jpg]



    ... shining bright
    (Eric)



    Eisige Stille herrscht. Selbst die Vögel sind verstummt, oder ihre Rufe nur weit ab von meinen Ohren, die nichts mehr hören. Nicht einmal das beständige Schlagen meines Herzens. Obwohl mir dieses Mut gemacht hätte, hätte ich es in diesem Moment vernommen. Oder zumindest gefühlt, in meiner Brust, die sich bei dem Anblick meiner Kollegen unangenehm verengt.
    Meine Freunde. Zumindest waren sie dies – bis zu dem Moment, wo William meine schlimmste, gefürchtetste Angst wahr macht.
    Sie sind bereit, mich zu töten.
    Sie, die mich immer unterstützt hatten, ließen mich im Stich. Gerade in dem Augenblick, wo ich sie am Dringendsten benötigt hätte. Es tut weh, nimmt mir für einen kurzen Moment den Boden unter den Füßen. Es ist wie freier Fall aus tausend Metern Höhe.
    Aber ich fange mich, drehe mich, um den schmerzlichen Aufprall mit offenen Augen und all der Wut, die in mir ist und tobt, entgegenzublicken.
    Ich sehe Alan bewusst nicht ins Gesicht, denn dass ich meine Fassade dann nicht mehr aufrecht erhalten kann, ist mir völlig klar. Dafür bedeutet er mir zu viel, er, der junge Mann mit den braunen Haaren und den sanften Augen. Früher war er mein Schüler, dann mein bester Freund und mehr – nun ist er mein Feind.
    Warum nur tut mein Herz so weh, als würde man es mir aus der Brust reißen, langsam, qualvoll?
    Warum nur sehe ich bereits blutiges Rot zwischen meinen Fingern hervorquellen, als ich verstohlen meine Hand auf meine Brust presse?
    „Dann tötete mich, William.“
    Mit diesen Worten richte ich mich auf. Meine Death Scythe liegt schwer in meinen Händen, als wöge sie das Doppelte ihres Normalgewichts. Vielleicht liegt es aber auch an meinen schweißnassen
    Handinnenflächen, mit denen ich die Waffe halte. Doch ich bleibe emotionslos. Der Satz, den ich meinem Chef sage, ist ohne jegliches Gefühl.
    Das Mädchen hinter mir ist still. Ich habe gehofft, dass sie sie aus alldem heraushalten – es ist nicht die Art von uns Shinigamis, unschuldige Menschen in unsere Angelegenheiten hereinzuziehen. Zumindest nicht bis zu dem heutigen Tag. Regeln scheinen sich zu ändern. Tatsächlich kommt der Shinigami mit der Baumschere ein paar Schritte auf mich zu, jedoch nicht weit. Denn plötzlich, ich bin schon in Angriffsposition, ist da jemand, der ihm breitbeinig den Weg zu mir versperrt.
    „Alan!“, rufe ich, erschrocken über sein Eingreifen. „Tu das nicht!“
    Aber entweder hört er mich nicht, oder, was weitaus wahrscheinlicher ist, ignoriert es. Stattdessen steht er da. Und sieht William an. Ich kann nur seinen Rücken sehen, jedoch nicht sein Gesicht. Doch was ich sehr wohl bemerke, sind die Reaktionen der anderen Shinigamis.
    Ronald stößt ein Keuchen aus und geht, scheinbar automatisch, ein paar Schritte auf Alan zu. Grell reißt ihn ruckartig zurück und faucht ihm etwas zu, was ich jedoch aus dieser Entfernung nicht verstehen kann. Seine rot geschminkten Lippen pressen sich fest aufeinander, als er zu Alan blickt. Besorgnis steht in seinem Gesicht. Ronald sieht von Grell zu William, die Augen aufgerissen und seine Unterlippe zittert. Ich habe das unangenehme Gefühl, dass es nur Sekunden braucht, bis er in ein bitterliches Weinen ausbricht. Und Ronald Knox, der Partylöwe, der Frauenaufreißer – Ronald weint nicht.
    Mein Herz schlägt mit einem Mal, nur viel zu schnell. Als ob es vorhat, aus meiner Brust herauszuspringen und sich vor meine Füße zu werfen, getaucht in blutiges Rot. Es wird mich hier zurücklassen, müde und erschöpft vom Fliehen. Und ich werde nichts dagegen tun, denn wenn ich ehrlich zu mir selbst bin: Ich bin bereits diesem Leben auf der Flucht leid.
    „Treten Sie zurück, Mister Humphries.“ William klingt so gelassen wie immer. Aber ich höre einen Ton, der mir neu ist in seiner sonstigen Emotionslosigkeit.
    Angst.
    „Zwingen Sie mich nicht, Sie ebenfalls vom Dienst zu suspendieren. Das wäre ein Verlust, den ich bereuen würde.“ Unbeirrt redet mein ehemaliger Chef weiter, während er mit seiner Death Scythe seine Brille auf der Nase zurechtrückt. Doch Alan denkt nicht daran, dem Befehl Folge zuleisten – stattdessen verharrt er. Keinen Schritt weicht er zur Seite.
    Mittlerweile tanzt mein Herz Tango und Angstschweiß läuft mir über den Rücken. Ich will nach vorne treten, doch als ich den Fuß hebe, zieht ein stechender Schmerz durch meinen Körper. Ich kann nicht anders und gehe in die Knie, stöhnend und zugleich besorgt. Grell`s Kettensäge muss mich doch getroffen haben, dort, auf dem Dach der Society.
    Ich bin machtlos angesichts der Drohung gegenüber meinem ehemaligen Schüler.
    Einen Augenblick starrt William Alan nur stumm an. Er hebt keine Hand gegen ihn, doch ich weiß, dass er den anfänglichen Schock angesichts seines Ungehorsams bald überwunden haben wird. Neben mir fällt lautlos ein Blatt zu Boden. Ich folge ihm unbewusst mit den Augen, die augenblicklich wieder bei Alan sind, als er mit einem Mal die japanische Sense, seine Death Scythe, hebt. Ruhig steht er da, die rot-braunen Haare so
    glatt wie seit ewigen Zeiten. Er bewegt sich nicht, doch seine Muskeln sind zum Zerreißen gespannt, an den Händen sehe ich selbst aus dieser Entfernung die Fingerknöchel weiß hervortreten.
    Jetzt ist es Ronald, dem die Panik deutlich anzusehen ist. Sie spiegelt sich auch in seiner Stimme wieder, als er regelrecht schreit: „Mach keinen Scheiß, Alan!“ Wieder will er nach vorne, doch Grell hält ihn zurück; scheinbar hat er Angst, unser jüngster Shinigami könnte in die Schusslinie geraten. Ich an seiner Stelle hätte diese Angst ebenfalls. Aber jetzt habe ich mehr Angst um Alan, denn Ronald weiß
    sich sehr wohl zu behaupten – bei Alan kann ich dies nicht sagen.
    Grell bleibt stumm, doch der Griff um seine Kettensäge, zu Beginn locker und entspannt, wird fester. Er ist auf einen Kampf oder zumindest eine Auseinandersetzung vorbereitet. Ohne ein Wort geht
    Alan in Angriffsposition. Die Sense in seinen Händen ist ruhig, alles an ihm wirkt entschlossen. Entschlossen, mich zu beschützen, aus irgendeinem mir nicht ersichtlichen Grund, und sich gegen seine
    Freunde zu stellen.
    Aber dass ist es nicht wert, will ich schreien, doch die Angst, dann eine unbewusste Kettenreaktion auszulösen, ist viel zu groß. Deshalb verharre ich, auf einem Knie und die Hand gegen die Wunde gedrückt. Das Blut tropft auf den Boden und die darauf liegenden, bunt gefärbten Blätter. Wie kleine, rote Rubine schimmern sie im letzten Rest der Herbstsonne, die doch kaum noch Kraft aufbringt zum Scheinen. Der Wind weht raschelnd durch die Bäume, welche nach und nach alle Blätter verlieren und kahl werden.
    In der Luft liegt urplötzlich der Geruch von Orangen. Der süße, leicht bittere Duft der Sonnenfrucht erinnert mich an andere Tage, andere Zeiten mit eben diesem Duft. Diese Tage waren glücklicher, da war ich noch
    unbesorgt und gleichzeitig naiv angesichts all dessen, was noch kommen würde. Aber dass war egal.
    Warum erinnere ich mich jetzt daran? Liegt es daran, dass mein Leben gerade mehr und mehr zerbricht wie eine Orange, zuvor noch gehüllt in ihre schützende Schale und dann grob aufgebrochen von Händen, die sie zuvor noch so liebevoll in die Schale zu den anderen Früchten gelegt haben? Und dass die Frucht, von Außen so süß und reif ausschauend, sich von Innen als bitter und noch nicht reif entpuppt?
    Liegt es daran, weil ich Orangen immer mit Alan verbinde?
    Mit den glücklichsten Tagenmeines Lebens?


    „Eric! Eric, sieh doch nur!“
    Alan rennt freudestrahlend auf mich zu, unter dem Arm einen kleinen Korb. Er stolpert fast vor lauter Hast, fängt sich jedoch schnell wieder und läuft weiter. Als er schwer atmend vor mir stehenbleibt, kann ich nicht anders: Ich muss lächeln, auch, wenn ich doch eigentlich böse ausschauen will.
    „Alan, du bist schon wieder zu spät“, tadle ich meinen besten Freund. Aber eigentlich meine ich es nicht als Tadel und dass weiß er nur zu gut. Ich habe schon lange jede Chance darauf verspielt, dass er mich irgendwann einmal ernst nimmt. „Warum denn diesmal?“
    „Ich habe Früchte auf einem Markt gekauft; Früchte, die ich noch nie irgendwo gesehen hab!“ Er hält mir den Korb unter die Nase. „Da!“
    In dem Korb aus Weidengeflecht liegen verschiedene Früchte. Einige davon kenne ich, Äpfel, Kirschen und Birnen, denn die habe ich selbst schon oft gegessen. Sie leuchten in wunderschönen, leuchtenden Farben. Ihr
    Geruch jedoch ist nicht sonderlich intensiv.
    Was mich mehr interessiert, sind die Früchte, die ich nicht kenne. Und dass sind einige, wie ich nach einem kurzen Überblick schnell feststelle. Da sind diese krummen, gelben Früchte mit einem seltsam dicken Stiel.
    Dann, in der Ecke neben den Äpfeln, sind da grüne Früchte, gerade einmal so groß wie ein Tennisball. Sie fühlen sich pelzig unter meinen tastenden Fingern an, als ich sie berühre.
    Aber welche mich am Meisten faszinieren, sind die orangen Bälle. Als ich einen von ihnen hochhebe vor mein Gesicht, strömt ein intensiver Geruch in meine Nase. Er ist nur schwer zu beschreiben, am Ehesten eine
    Mischung aus leicht sauer und süß. Sie sind schwer, ich muss sie mit beiden Händen festhalten. Die Schale fühlt sich rau an, nicht so seiden glatt wie bei einem Apfel. Wie bei einer Birne, nur viel, viel angenehmer. Es fühlt sich an, als ob man feinen Sand vom Strand durch seine Finger rieseln lässt.
    Am Schönsten ist die Farbe.
    Das Orange leuchtet wie eine kleine Sonne im Sommer. Sofort werde ich fröhlicher, aller Trübsal ist wie weggeblasen.
    Alan hat meine Neugier angesichts der fremdartigen Sonnenfrucht bereits registriert. Er stellt den Korb mit den restlichen Früchten auf die Arbeitsplatte der Küche, bevor er sich mir zuwendet.
    „Man nennt diese Frucht Orange“, erklärt er mir, unverhohlen stolz. „Der Händler, der sie mir verkauft hat, meinte, sie stamme aus Südostasien und sei erst 1500 nach Europa gekommen. Diese Orange hat er aus einer
    frischen Lieferung, die heute Morgen angekommen ist.“
    Ich lächle und ziehe den Duft der Frucht tief in mich auf. „Orange...“, wiederhole ich leise. Der Name passt, auch, wenn er ein wenig einfallslos klingt in meinen Ohren. „Frucht der Sonne“ würde viel besser passen. Aber nun gut, ich bin vermutlich auch weitaus pingeliger als die heutigen Menschen.
    Kurz entschlossen öffne ich die Schublade, nehme ein Schälmesser heraus und ein Brettchen. Dann lege ich die Orange darauf und schneide sie einmal in der Mitte durch. Zum Vorschein kommt glänzendes Fruchtfleisch, das durchscheinend wie Glas und, als ich mit einem Finger dagegen tippe, auch glatt wie Glas ist. Der Geruch verstärkt sich.
    Unschlüssig blicke ich Alan an. „Was sollen wir mit der Schale machen?“, frage ich. „Kann man die mitessen?“
    Er zuckt nur mit den Schultern, scheinbar weiß er auf diese Frage auch keine Antwort. Also schäle ich die dicke, orange Schale einfach ab und tue sie in den Müll. Danach reiche ich Alan ein Stück der Frucht, die sich
    kühl unter meinen Fingern anfühlt. Er nimmt sie dankend.
    Dann stehen wir beide ein wenig verloren da. Keiner traut sich, zuerst rein zubeißen und wartet lieber auf das Urteil des anderen. Irgendwann müssen wir lachen. Und so beiße ich zuerst in das Fruchtfleisch. Ich kaue eine Weile, während mein Freund mich aufmerksam und abwartend beobachtet.
    Der Saft fließt in meinen Mund, doch er ist nicht, wie erwartet, süß wie Zucker.
    Er ist sauer, so sauer, dass ich mich schüttle, kurz ausspucke in die Spüle und Alan lacht laut.
    Er lacht und lacht, irgendwann schießen ihm schon Tränen aus den Augen. Scheinbar gebe ich ein so lustiges Bild ab, wie ich da mit einer Frucht stehe und diesem erwartungsvollen Gesichtsausdruck. Er hält sich den Bauch, während ich dastehe wie bedeppert und ihm zusehe, wie er sich vor Lachen krümmt. Ich bin regelrecht beleidigt.
    Als er endlich seinen Lachanfall beendet hat, bin ich immer noch beleidigt. Aber ihn interessiert dass nicht. Stattdessen nimmt er sein Stück, beißt davon ab, kaut prüfend – und schüttelt sich dann ebenfalls. Jetzt
    bin ich derjenige, der lachen muss. Zuerst sieht er mich etwas pikiert an, aber er kann mir nicht lange böse sein. Ich werfe ihm ein typisch-läsiges Grinsen zu, da muss auch Alan lachen. Wir lachen zusammen, die Fröhlichkeit steigt mir zu Kopf, ich fühle mich regelrecht betrunken. Selten war ich so ausgelassen.
    Aber plötzlich ist das Lachen vorbei und Alan sieht betreten zu den Überresten der Orange auf der Arbeitsplatte. „Tut.. tut mir Leid, dass sie nicht essbar ist...“, murmelt er.
    Ich blicke ihn überrascht an, dann lächele ich sanft und lege einen Finger unter sein Kinn, um seinen Kopf wieder auf meine Höhe zu bringen. Was eh schon schwer ist, da ich einen ganzen Kopf größer bin als er. Seine
    grünen Augen sehen traurig aus.
    Ich will diese Traurigkeit nicht sehen.
    Also greife ich kurzerhand nach den restlichen Stücken der Orange, und esse sie langsam und genüsslich. Sie sind sauer, am liebsten würde ich sie wieder ausspucken; aber ich sehe Alans trauriges Gesicht vor mir. Er wollte mir mit diesen Früchten ein Geschenk machen. Und da ist es nur recht und billig, wenn ich sein Geschenk nicht verschmähe.
    Alan verfolgt meine Tat mit großen Augen. Als ich schon fast fertig bin, greift er nach meiner Hand, die über dem Brettchen mit der Orange schwebt.
    „Eric!“, ruft er erschrocken aus. „Die sind doch viel zu sauer!“
    „Quatsch; die sind genau richtig. Außerdem schmecken sie lecker.“ Und damit stopfe ich mir mit der freien Hand das letzte Stück in den Mund. Dabei sehe ich Alan lächelnd an. Er erwidert den Blick, dann senkt
    er leicht den Kopf und errötet.
    „Aber...“, druckst er leise herum. „Aber... du musst sie doch nicht wegen mir essen... Eric...“
    Ich wuschle ihm durchs Haar und drücke leicht seine Hand. Er weiß, warum ich die Frucht gesessen habe, obwohl sie mir nicht geschmeckt hat. Weil ich ihm eine Freude machen wollte.
    Aber ich verliere kein Wort darüber, sondern stehe seufzend auf und fange an, die Küche aufzuräumen. Nach ein paar Minuten gesellt Alan sich zu mir und räumt die Einkaufe ein. Dabei reden und lachen wir wie sonst auch. Aber es liegt etwas in der Luft.
    Ich rede mir erfolgreich ein, dass es der leicht süßliche Duft der Orangen ist.


    „Alan!“
    Der Schrei kommt von Grell, er ist schrill und laut und schafft es, mich kurzerhand aus meiner Erinnerung zu reißen. Panisch blicke ich auf und sehe William, der mit der Heckenschere auf Alan zielt, bereit, ihn jeden Moment anzugreifen. Grell kann nicht eingreifen, dafür respektiert er unseren Chef viel zu sehr. Ebenso steht es mit Ronald.
    Aber warum rennt Alan nicht weg? Warum nur will er mich beschützen?
    „Nein!“, brülle ich. „Nein! Ich muss dich beschützen, hörst du? Das ist meine Aufgabe, Alan!“ Durch meinen Aufschrei fliegen erschreckt ein paar Krähen aus den Zweigen eines nahe stehenden Baumes auf.
    Auch William schreckt zusammen. Das nutzt Alan schamlos aus; in dem Moment, wo William sich kurz zu mir wendet und seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf dem Gegner liegt, greift Alan mit seiner Death Scythe an. Er erwischt William an der Hand, mit welcher er seine Waffe hält und hinterlässt einen roten Schnitt, der augenblicklich zu bluten beginnt. Eher vor Überraschung als vor Schmerz schreit William auf. Er lässt die Heckenschere fallen, während Grell jetzt Ronald außer Acht lässt und besorgt zu William eilt. Ronald hingegen steht da wie bestellt und nicht abgeholt, bloß stummer Beobachter der Szene.
    Während sich alle um William scharen, läuft Alan zu mir. Am liebsten würde ich fortrennen, aber meine Schulter pocht aggressiv und mir wird jedes Mal schwindelig, wenn ich versuche mich aufzurichten. Deswegen kann
    ich nichts dagegen tun, als der Shinigami sich direkt vor mir ins Gras kniet. Vorsichtig greift er nach meiner Hand und drückt sie.
    Ich traue mich nicht, den Blick zu heben und ihm ins Gesicht zu sehen. Doch als er erneut meine Hand drückt und eindringlich meinen Namen sagt, ist es um meine Gegenwehr geschehen. Ich blicke ihn an.
    Seine Augen sind besorgt, aber was mir viel mehr Angst macht, ist das hektische Klopfen meines Herzens und mein steigender Puls, der mich jeden Augenblick verraten könnte. Aber die Kraft, ihm meine Hand zu entreißen, besitze ich auch nicht in diesem Moment. Also lasse ich diese doch so gefährliche Nähe zu meinem Freund zu.
    „Du bist verletzt“, sagt er leise. Ich unterbreche ihn sofort.
    „Es ist nichts lebensgefährliches.“ Hoffe ich zumindest.„Mach dir bitte keine Sorgen um mich, Kleiner.“
    Als ich meinen Spitznamen für ihn verwende, versteift er sich kurz und sieht auf den Boden. Aber er fängt sich bald wieder. Diesmal klingt seine Stimme deutlich eindringlicher.
    „Du musst weglaufen, Eric! Ich kann die anderen vielleicht noch einen Augenblick länger beschäftigen, aber du musst von hier verschwinden!“ Alan rüttelt leicht an meiner Schulter, was mich vor Schmerz aufstöhnen lässt. Obwohl ich doch verzweifelt versuche, es zu unterdrücken. „Und zwar jetzt! Eric!“
    Ich weiß, ich muss auf ihn hören. Ich muss von hier weg, denn in diesem Zustand bin ich eine zu leichte Beute für die Shinigamis. Das, was Alan da sagt, ist das einzig Vernünftige.
    Aber ich kann nicht.
    Ich kann Alan nicht alleine lassen – zumal ich nicht weiß, wann ich ihn wiedersehen werde.
    Ob ich ihn überhaupt jemals wiedersehen werde oder die Krankheit ihn mir vorher nimmt.
    „Alan, nein... ich kann dich nicht allein lassen!“
    „Doch, du kannst! Und du wirst!“ Wieder drückt er meine Hand, so wie in meiner kürzlich aufgetauchten Erinnerung. „Ich kann auf mich selbst aufpassen, weißt du dass denn nicht? Außerdem will ich nicht, dass du
    stirbst! Vor allem nicht so!“
    Er schluckt, was ich ausnutzen will, um ihn erneut ins Wort zu fallen. Aber da ist noch jemand, den ich völlig vergessen hatte in all dem Trubel. Denn plötzlich ist das Mädchen hinter mir. Sie geht in die Knie, bis sie auf einer Höhe mit mir ist und legt sich behutsam meinen Arm um die Schultern. Mit der anderen, freien Hand greift sie mir unter die Achseln, wie, um mich zu stützen. Sie blickt zuerst mich, dann Alan an. Ihre Stimme
    klingt wild entschlossen, als sie das Wort an ihn richtet.
    „Ich helfe ihm, hier wegzukommen, okay? Ich weiß zwar nicht, was hier gespielt wird, aber... ich helfe euch.“
    Alan blickt sie dankbar an. Und mir schwinden zunehmend die Kräfte, ich kann nicht länger protestieren. Ich nicke zögernd, um mein Einverständnis zu zeigen.
    „Danke! Vielen Dank“, sagt Alan leise. Dann wendet er sich ein letztes Mal mir zu. Er öffnet den Mund, um mir etwas zu sagen, aber ich will keine nichtssagenden Worte für unsere vielleicht letzte Begegnung verschwenden. Stattdessen ziehe ich an seiner Hand, um ihm zu bedeuten, sich zu mir vorzubeugen. Zögernd leistet er meiner Aufforderung Folge.
    Ich küsse ihn zärtlich auf die Stirn, verweile dort einen kostbaren Augenblick mit den Lippen an seiner kühlen Haut. Dann lasse ich ihn frei, sehe ihm ein letztes Mal tief in die Augen.
    „Ich werde dich retten, Alan“, wispere ich. „Dass verspreche ich bei meinem Leben.“
    Alan schluckt heftig, doch er erwidert nichts, noch zeigt er irgendeine Art von Reaktion. Stattdessen bedeutet er dem Mädchen, mich vorsichtig aufzurichten. Das tut sie, überaus vorsichtig; dennoch zieht der Schmerz hart und unnachgiebig durch meine Muskeln und lässt mich einen leisen Schmerzensschrei ausstoßen. Als sie Anstalten macht, mich sofort wieder abzusetzen, schüttle ich ärgerlich den Kopf.
    „Alan hat Recht; wir müssen hier weg.“
    Mir schwinden bereits die Sinne. Doch ich zwinge meinen Körper, noch einen kleinen Moment länger wach zu bleiben. Nur noch ein paar Minuten, bevor ich abdrifte.
    Nur ein paar Minuten.
    Alan wirft mir einen letzten Blick zu. Seine grünen Augen sehen in meine, erkennen, so bete ich, all dass, was ich ihm nicht ins Gesicht sagen kann. Der Grund, warum ich all dass hier tue.
    Dann läuft er zurück zu William, Grell und Ronald. William steht bereits wieder, ein weißes Taschentuch um den Schnitt gewickelt. Es färbt sich blutig rot, doch er hat keinen Blick dafür. Stattdessen spüre ich seinen Blick, voller Zorn und Mitleid, auf mir ruhen. Ich erwidere ihn nicht. Stattdessen drehe ich mich mithilfe des Mädchens um und humple, so schnell es geht, davon.
    Das Letzte, was ich hinter mir höre, sind erschrockene Schreie, ein lautes Poltern, wie als ob etwas Schweres zu Boden fällt und ein Name, der aus drei Kehlen wiederholt wird.
    „Alan!“
    Dann bin ich fortgespült von der Unendlichkeit der Ohnmacht.



    (c) Song: Toradora! (Anime), Orange (ED 2; Englisch Lyrics von TyerRecords)
    (c) Bild: deviantart.com, Little-Shad0w

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr