Dramalama - Traumatische Hintergründe, PTSD und Heilung

  • Lasst mich doch einmal über das Thema sprechen, dass so viele Autor*innen zumindest im geschriebenen und gerade Genrefiktion massiv verfolgt. Die Sache mit dem Trauma. Denn gerade wenn wir in Fantasy, Science Fiction oder Horror unterwegs sind, spielt Trauma meistens früher oder später eine Rolle. Sei es, weil die Charaktere bereits traumatisiert in die Geschichte starten, oder weil sie im Rahmen der Handlung der Geschichte neues Trauma erfahren. Auch in Fanfictions jedweder Art ist Trauma doch häufig ein Thema, das gerne einmal aufgegriffen wird. Seien es Trauma für eigene Charaktere, neue Trauma, oder die Aufarbeitung von einem Trauma, das im Canon aus verschiedenen Gründen nicht anerkannt wird.


    Immerhin. Wir sind ein Pokémon Forum. Und während Pokémon als Anime eine Kinderserie ist und daher mit voller Absicht nicht zu viele Gedanken an einige Dinge verschwendet, so kann man als Fanfiction-Autor doch sich Gedanken darüber machen: Satoshi/Ash stirbt im Rahmen des Anime mehrfach und wird nur durch etwaige Wunder wiederbelebt. Hat das den Jungen traumatisiert hinterlassen?


    Gleichzeitig können wir auch immer gerne darüber sprechen, ob ab und an vielleicht zu tief in die Drama-Kiste gegriffen wird. Gerade wenn es um die Vorgeschichten von Charakteren geht. Denn nein, diese können nicht einfach nur ein beschissenes Elternhaus gehabt haben, nein. Sie wurden gleich mit Gewalt, Vergewaltigung und Tod konfrontiert. Eventuell auch alles gleichzeitig. Und nun fliehen sie. Vor ihren Eltern, Stiefeltern oder... Nun, was auch immer man an der Stelle einsetzen will.


    Aber selbst in diesen Fällen ist es selten so, dass Charaktere mit realistischem PTSD dargestellt werden. Vielleicht gibt es hier und da eine Situation, wo die Charaktere einmal getriggert werden, weil wir brauchen ja das Dramalama. Aber selbst dann werden sie selten zu dem Häuflein Elend, den ein realistischer Trigger eben auslösen kann.


    Und genau so ist da natürlich das ultimative Heilmittel, dass Fiktion gegen Trauma kennt. Je nach Genre ist es "Die Kraft der Liebe" oder "Die Macht der Freundschaft". Wer braucht schon Therapie?


    Und das bringt einem direkt zu den zentralen Fragen:

    • Wie viel ist zu viel, wenn es um Charaktertrauma geht?
    • Macht eine traumatische Hintergrundgeschichte einen Charakter interessanter?
    • Wie findet ihr es, wenn in Handlungen technisch gesehen traumatische Ereignisse passieren, die Charaktere aber nicht mit Trauma darauf reagieren?
    • Hättet ihr gerne mehr Darstellungen von realistischem PTSD? Oder zumindest realistischer als wir es meistens sehen?
    • Finder ihr Geschichten über die Heilung von Charakteren interessant?
  • Wie viel ist zu viel, wenn es um Charaktertrauma geht?


    Macht eine traumatische Hintergrundgeschichte einen Charakter interessanter?


    Meistens ist weniger tatsächlich mehr... und: nicht unbedingt. Ich schreibe eher Protagonisten auf denen nicht übertrieben viel Trauma draufgeslapped wird. Tiefe mit viel Leid und Trauma gleichzusetzen, ist ein imo recht billiger Shortcut, der nicht selten in Medien oder von Rollenspielern etwa gemacht wird.


    Charaktere haben für mich dann Tiefe, wenn ihr Verhalten realistischer und dreidimensionaler wirkt, wenn ein Charakter nicht zu overwritten ist und man merkt, dass sich Schreibende im realen Leben umgesehen haben und nicht ausschließlich auf Darstellungen aus anderen Medien verlassen.

    Das alles hat mit Trauma erstmal nichts zu tun, bloß gibt es halt im realen Leben sehr viele Menschen, die in irgendeiner Form ein Trauma erlebt haben und daher kann man es so schreiben.

    Ich denke, es ist dann sogar eher overwritten, sobald sich der gesamte Charakter um das Trauma dreht, in einer Art, die ich persönlich sehr aufgedrückt finde. Das find ich teils schon unrealistisch, bishin zu nervig und tacky.


    Zugegeben, ich glaube jedoch, Yakov erfüllt das "Klischee" mit dem Tieflingtrauma, das er für vierzig Jahre angesammelt hat, on the point. ^^'



    Findet ihr Geschichten über die Heilung von Charakteren interessant?


    Eigentlich sehr, bloß seh ich manchmal das Problem darin, dass Leid über längere Strecken repetitiv, sehr selbstmitleidig und viel zu self-indulged dargestellt sein kann.

    Vor allem wenn man eine Atmosphäre und Handlung schafft, die die Charaktere darauf reduziert und keine Ablenkung davon zulässt.


    An sich ist Healing jedoch mein Hauptthema, wenn ich denn Fanfiction schreibe.

    Auch Reverie geht es vorrangig um Heilung, von allen meiner drei Protas und eine der schönsten Szenen, die ich je geschrieben habe, finde ich persönlich, ist jene, in der Yakovs verstorbene Frau und Kind endlich ein Grab erhielten, um ihm einen Abschluss zu geben.

    Und die kleinen Szenen, in denen Natasza beginnt ihren (sozusagen) neuen Eltern zu vertrauen beginnt.



    Hättet ihr gerne mehr Darstellungen von realistischem PTSD? Oder zumindest realistischer als wir es meistens sehen?


    Wie findet ihr es, wenn in Handlungen technisch gesehen traumatische Ereignisse passieren, die Charaktere aber nicht mit Trauma darauf reagieren?


    Bei einem episodischen Kinderanime wie Pokemon ist es mir egal, bei einem Medium für Erwachsene wird es unglaubwürdig. Wobei in vielen schon gut dargestelltes PTSD vorhanden ist, das von den Zuschauern nicht unbedingt als ein solches erkannt wird. Dazu kommt: Trauma ist natürlich sehr individuell.

    Reales Trauma ist oftmals eher leise und zu übersehen, aber ich denke allgemein, dass es vielen Charakteren momentan, nicht nur in den typischeren Comics und Anime, oder Young Adult Büchern, oft an versteckten Nuancen und bodenständigeren und subtileren Charaktereigenschaften, inklusive bodenständiger und subtiler dargestelltem Trauma, fehlt.

    Bzw. vielleicht war es immer schon so, und es fällt mir in den letzten fünf plus Jahren eher auf. Da geht es nichtmal nur um Trauma, aber viele Charaktere kommen allein in ihrem alltäglichen Verhalten und Dialogen recht unecht rüber, ausgenommen natürlich Comedic Effects in Anime, die einen Freipass dafür erhalten.


    Ich denke allerdings, dass Medien, die an ein Massenpublikum gelangen, oft overwritten sind, und wenn sie es nicht sind, dann unter Umständen von vielen nicht verstanden werden.

    Hab sonst auch oft gesehen, dass Charaktere, die nicht so overly expressive sind wie Levi (nenn ich mal wieder, weil der Mann :heart:), deren imo realistisch dargestelltes Trauma von Leuten komplett ignoriert wird, weil es nicht so "in your face" dargestellt ist.


    Ansonsten: Menschen reagieren sehr unterschiedlich. Viele Leute vertreten ja auch die Einstellung "jeder Charakter soll auf Trauma und Missbrauch reagieren wie ich es getan habe, sonst ist es nicht real, oder wie ich denke, dass jemand reagieren sollte (die meisten denken an Vietnam Flashbacks, wenn sie PTSD hören, aber in der Realität sind bei vielen Personen subtilere Anzeichen)."


    Hab ja straight up als Kind einige Male gehört, dass es nicht normal sei sich zu wehren, und ehrlich, ich denke, die Mainstreamgesellschaft und viele Medien mögen vor allem "arme Opfer". Ganz viel leiden, so im täglichen Leben, müssen sie schon, also am besten schon ganz arm und mitleiderregend sein xD, und das Trauma muss stets an der Oberfläche ersichtlich sein. Das mag auf manche zutreffen, aber man sollte nicht jeden Einzelnen oder die Mehrheit so darstellen.


    Das gilt insbesondere für weiblich (und manchmal auch männlich) gelesene Personen, die sexuelle Gewalt erlitten. Einigen Personen gefällt es, wenn Überlebende besonders mitleiderregend wirken, zu dem Punkt, an dem sie eben nicht für sich selbst einstehen und sorgen können und inkompetent bzw. sehr hilfsbedürftig sind etc, also eben das Häufchen Elend, finde ich einfach yikes...

  • Okay, seien wir mal ehrlich: Der Grund, warum ich vor zweieinhalb Jahren wieder ins Fanfiction-Schreiben reingerutscht bin, ist Trauma gewesen. lol Speziell war ich nach dem Ende von Castlevania sehr interessiert daran, eine Geschichte darüber zu schreiben, wie Adrian/Alucard heilt, und allgemein, wie das Trio einander beim Heilen helfen kann. Daraus wurde dann effektiv The little Things - und die Geschichte hat dann letzten Endes zu allem anderen geführt.


    Ich habe es in der Vergangenheit schon mehrfach gesagt. Die persönlich bedeutendste Geschichte, die ich für mich so in den letzten Jahren geschrieben habe, war Drowning in the Flames. Eine Geschichte, die sich zentral darum dreht, wie Hector sein Lenore-förmiges Trauma konfrontiert. Oder auch: "Ich habe kein Trauma von Lenore!" Für mich ist diese Geschichte sehr bedeutend, weil sie mir geholfen hat, mein eigenes Trauma zu verstehen. Mir geht es seither so viel besser psychisch gesehen. :) Aber ja, zentraler Plotpunkt bei der Geschichte ist eben, dass in einer Geschichte davor Hector getriggert wird - und nun nicht wirklich weiß wohin mit den Gefühlen. Er versucht mit Isaac zusammen im Ramadan zu fasten, aber da er psychisch so instabil ist, geht das nach hinten los. Und am Ende flickt Striga ihn zusammen.


    Dann bin ich natürlich letztes Jahr ins BG3 Fandom gerutscht. Und da war bei der Charaktererschaffung sehr klar das Motto: "Wisst ihr was diese Charaktere brauchen? NOCH MEHR TRAUMA!" Was zugegebenermaßen eine sehr realistische Übersetzung der üblichen DnD Runde ist, das muss ich ja auch schon zugeben! :P Und hat mir natürlich erlaubt mit diesem Thema in meinen Geschichten weiter zu machen. Was besonders schön ist, weil das Spiel halt diese Thematische Linie hat, dass es halt alles Trauma in Form von Abuse durch eine Autoritätsperson ist.


    Und ja, als ich dann angefangen habe meinen Tav tatsächlich als einen Charakter zu behandeln, war ich am Ende so frei einfach mal wild in dieselbe Kerbe zu schlagen, und wahrscheinlich die traumatischste Charakterhintergrundgeschichte in ihn zu schreiben, die ich in einer ganzen Weile so erfunden hatte.


    Aber mein liebstes Genre zu schreiben ist letzten Endes Geschichten über die Heilung von Charakteren. Mit allem was dabei schön und scheiße sein kann. Speziell auch im Fokus darauf, wie unterschiedlich Charaktere mit den Dingen umgehen können.


    Dieses Thema ist eben auch der Grund, warum ich bei Castlevania so am Steiermark-Kram hängen geblieben bin. Weil es da eben noch mal deutlicher ist und das Thema schön aufgearbeitet werden kann.

    Hier habe ich eben den Punkt daraus gemacht, was die Serie selbst aufbringt, aber nie ganz aufbaut: Carmilla und Isaac sind parallelen zueinander. Und Hector und Lenore sind es auch. Carmilla und Isaac sind aufgrund eines Umstandes, für den sie nicht konnten, diskriminiert und mehr oder minder versklavt worden. Carmilla, weil sie eine Frau ist. Isaac, weil er Schwarz ist. Hector und Lenore sind die beiden eigentlich sehr sanftmütigen Personen, die aber aufgrund ihrer Eigenheiten (neurodivergenzen) nicht verstanden wurden, und dann von einer traumatischer Situation in die andere gekommen sind. Aber während Carmilla und Lenore letzten Endes keine Hilfe annehmen und deswegen sterben, tun Isaac und Hector es eben. Ich finde es persönlich ganz spannend Isaac zu schreiben, weil ich bei ihm den Punkt gemacht habe... Zufälligerweise (nein, es tut mir leid, Sam, und auch Warren Ellis, ich glaube euch nicht, dass es beabsichtigt war und sich jemand die Mühe gemacht hat die Serie darum zu planen) endet die Serie ein paar Tage vor Ramadan für das Jahr. Und ich mache eben den Punkt daraus, dass Isaac den Ramadan das erste Mal seit Jahren wieder fastet und meditiert und am Ende dadurch fähig ist, seine Wut loszulassen und sich eben konstruktiven Dingen zuzuwenden.

    Hector hat es da schwerer. Weil er erst mal im Denial darüber ist, wie viel Trauma er hat. Bis eben fünf Jahre später, wo es dann eben ganz schlimm wird und es ihm für einige Wochen richtig hundeelend geht. Aber am Ende ist es vor allem Striga, die ihn daraus bringt und sich danach die Mühe macht, ihn wieder auf die Beine zu bringen.

    Und Striga ist eben diejenige, die sehr reflektiert mit ihrem Trauma umgeht. Bei ihr war allerdings auch der springende Punkt, dass vor vierhundert Jahren eben ihre Rache bekommen hat an ihrem Sire. Und sie hat festgestellt: "Hmm, das hat sich nicht befriedigend angefühlt." Und daraus hat sie gelernt, dass Rache am Ende nicht ist, was einen weiterbringt. Und dass man am Ende mit all dem Scheiß nichts anderes machen kann, als es zu akzeptieren und daran zu arbeiten, dass es nicht noch mal passiert. Sie weiß aber auch, dass sie unter ihren Schwestern die einzige war, die bis zu dem Punkt gekommen war - und fühlt sich genau deswegen verantwortlich dafür, dass sie es die anderen hat nicht sehen lassen.

    Und dann ist da noch Morana. Morana ist alt. Sie ist so alt. Sie hat nicht nur Freunde und Geliebte sterben sehen, sie hat die Zivilisationen, in denen sie gelebt hat, zerfallen sehen. Und sie hat so viel Wut über so viele Dinge, die sie teilweise nicht ausdrücken kann. Aber im Rahmen der Handlung vor allem auch Hector und Isaac, weil sie ihr das letzte, was ihr wichtig war - die Schwesternschaft - genommen haben. Und von den Charakteren hier ist sie die letzte, die anfängt zu heilen. Und das am Ende eben auch nur, weil es am Ende Hector ist, der ihr am Ende dann den Ölzweig anbietet. (Oder auch: Das schöne Kapitel, unter dass einem Leute kommentieren, dass sie beim Lesen geschluchzt haben. Dann weißt du als Autor: Alles richtig gemacht! :D)


    Und natürlich gibt es dann auch noch die aktuelle Trauma-Heil-Geschichte für Castlevania, die ich schreibe: Closure. Oder auch: "Scheiße, Dracula lebt wieder. Aber er lebt einfach mit Lisa zusammen auf einem Cottage in England?" Oder viel mehr noch auch: "Die Geschichte, in der Trevor Belmont lernt, dass das, was er brauchte, um sein Survivors Trauma zu überwinden, war, ein Vampir zu werden."


    Auf der Baldur's Gate Seite der Dinge, da sind natürlich Astarion und Tav meine beiden liebsten Blorbos für wunderschönes Hurt/Comfort. Ich schreibe zwar auch sonst einiges in dem Fandom, aber 2/3 der Geschichten haben doch Tav, Astarion oder beide als Hauptfiguren. Da muss ich eben ehrlich sein. Und ja, ich gebe offen zu, dass da eben auch zugehört, dass es so schön ist, wie messy Astarions Trauma ist. Denn da kommt eben viel zusammen. Es ist nicht nur der sexuelle Missbrauch und die Folter. Da ist eben auch die Sache, dass er selbst einige unglaublich böse DInge für Cazador getan hat. Der Grund, warum es eben so viel einfacher für ihn gewesen wäre, eine böse Schiene einzuschlagen, weil zumindest hätte er dann diese Dinge nicht konfrontieren müssen. Und ja, einfach weil das ein Trauma ist, dass sich über 200 Jahre entwickeln konnte, ist er eben doch der Charakter, den ich da am meisten leiden lasse. Also soweit, dass er traumabedingt an Halluzinationen leidet, teilweise selbstverletztend ist, und manchmal auch andere angreift. Wie gesagt, es ist messy. Sehr messy. Bis Tav ihn dann nach sieben Monaten dazu bringt, seinen schneeweißen Hintern mal vor die Tür zu packen und auch mal wieder was von der Welt zu sehen und mit anderen Personen als Tav zu interagieren. Danach wird es besser. Es ist keine Wunderwaffe - und so etwas wie Albträume und ab und zu Panikattacken gehen auch nie wirklich weg. Aber es wird besser.

    Mit ihm habe ich auch sehr viel bezüglich "Erwartungen" in Sachen Heilung. Weil er halt immer glaubt: "Wenn X, dann wird alles besser". Aber es wird zwar besser, aber es geht nie weg.


    Es sei allerdings auch gesagt, dass ich gerade durch die ganze Sache, dass ich auch über Aurelia schreibe, die Situation der anderen Vampire Spawn in Bezug auf Trauma super spannend finde. Weil die sitzen da nun mit 7000 Leuten auf einem Haufen, die alle mehr oder minder traumatisiert sind. Hat sicher einige Vorteile, weil sie einander verstehen, aber zum anderen... Ich meine, wir wissen, dass eben unter den 7000 Seelen halt auch diverse waren, die die sieben "Geschwister" sexuell missbraucht haben, bevor sie selbst verwandelt wurden. Also ja, dass ist auch eine... gesunde Mischung. *hust* Nicht zu vergessen, dass wir auch impliziert bekommen, dass die Geschwister von Cazador gezwungen worden sind, einander zu foltern. Also... Ja, Much Drama. xD


    Und dann habe ich natürlich auch noch meinen Tav. Oder auch: "Trauma? Ach, ich habe mein Trauma vor Jahren schon überwunden! :D Oh, schau an, eine Random Person, die ich nicht kenne, ist in Gefahr. Ich nehme an, ich muss mich nun in diese Lebensgefahr werfen, um sie zu retten. Dass ist alles cool und normal übrigens und kein Coping Mechanismus!" Oder anders gesagt: Eigentlich ist Tav nur eine Ansammlung von Coping Mechanismen, die übereinander gestapelt sind. Leider ist er ein sehr guter Schauspieler, weil der erste Eindruck, den alle von ihm haben ist: "Ach, das ist eine wunderbar untraumatisierte Person!"

    Letzten Endes kam sein Charakter mit seinem Hintergrund am Ende aus der Frage: "Welcher Idiot würde auf der einen Seite durch die Gegend ziehen und jede Person retten, die nur andeutet, dass sie Hilfe brauchen könnte, und gleichzeitig ein romantisches Interesse an dem Arschloch-Vampir entwickeln, dessen erste Reaktion auf solche Hilfsbitten 'Stechen wir ab' ist?" Und letzten Endes bin ich dabei rumgekommen, dass es eben auch jemand mit einer Menge sexuellen Traumas ist, der aber eben aus der Situation gekommen ist mit der Überzeugung von: "Ich musste mich selbst retten. Das heißt für andere kommt wahrscheinlich auch niemand, um sie zu retten. Das heißt ich muss die Person sein die ALLE ANDEREN (am besten inklusive der Bösewichte) rettet."

    Es wird halt noch lustig, wenn ich zu den späteren Geschichten komme, wo die Maskerade, aka die Coping Strategien, nicht länger funktionieren und das alles in sich zusammenbricht. Er wird zwar nie so schlimm werden, wie Astarion es ist - weil er eben doch ein paar Strategien kennt mit Flashbacks und Panikanfällen umzugehen - aber er wird schon in einige seiner toxischeren Coping Strategien verfallen.


    Die Geschichte, die ich gerade schreibe - und heute auch beenden werde, denke ich - ist dahingehend auch noch ganz schön. Kindness Begets Kindness heißt sie, und sie geht darum, wie Astarion aus purer Neugierde und Lust am Chaos den (bei mir ja nun mal überlebenden) Gortash versucht zum guten zu bekehren. Oder auch: Zwei traumatisierte, toxische Twinks sitzen zusammen in einem Raum und bitchen einander an, bis einer dass Messer zieht. Aber... Am Ende wird es besser. Selbst für Gortash.


    Hab ja straight up als Kind einige Male gehört, dass es nicht normal sei sich zu wehren, und ehrlich, ich denke, die Mainstreamgesellschaft und viele Medien mögen vor allem "arme Opfer"

    Technisch gesehen geht es ja nicht nur um das "arme Opfer", sondern das "perfekte Opfer". Also ein Opfer, dass absolut nichts getan hat, um zu verdienen, was ihm passiert, dass sich auch nicht wehrt und nichts macht, um diese Sachen zu provozieren. Bspw. in Bezug auf sexuelle Gewalt dann das Mädchen, dass noch jung und unschuldig ist, keine aufreizende Kleidung trägt, versucht dem Täter zu entfliehen, aber auch keine Gewalt gegen ihn einsetzt. Und natürlich kennt es den Täter nicht. Und zeigt auch während des Tatherrgangs keine Fawn-Reaktion. Alles das. Und da es keine perfekten Opfer gibt, werden so viele Täter eben freigesprochen.


    Das gilt insbesondere für weiblich (und manchmal auch männlich) gelesene Personen, die sexuelle Gewalt erlitten. Einigen Personen gefällt es, wenn Überlebende besonders mitleiderregend wirken, zu dem Punkt, an dem sie eben nicht für sich selbst einstehen und sorgen können und inkompetent bzw. sehr hilfsbedürftig sind etc, also eben das Häufchen Elend, finde ich einfach yikes...

    Ich denke, es kommt immer so ein wenig darauf an. Ich finde es tbh auch immer sehr bedenklich, wenn man Charaktere hat, die ein, zwei Vergewaltigungen erlebt haben und dann sofort in dem Zustand sind. Weil es eben diesen Mythos verbreitet, dass Vergewaltigung dass schlimmste ist, dass ever passieren könnte. (Als jemand, der nachweislich kein Trauma von der Vergewaltigung davongetragen hat, bedanke ich mich immer ganz herzlich für den Mythos.) Allerdings kommt es eben drauf an, wie der Kontext ist. Also jemand, bei dem es dann über Jahre immer wieder passiert ist (sei es durch einen Partner oder durch Eltern oder whatever), sehe ich es schon als ein wenig angebrachter. Nicht als Universalreaktion, aber eine mögliche Reaktion.