Die Grenzweltler
"Wir bringen das Chaos durcheinander, geh'n dem Himmel auf den Grund
Und verschlucken alle Dunkelheit bis hinter'm Horizont
Zeigen Universen Grenzen auf, bring'n Stumpfes auf die Spitze"
©Prezident mit Mythos und Antagonist ~ Einerseits Gleich
Hallo und herzlich Willkommen zu meiner neuen FF!
Ich wollte schon länger mal eine Geschichte schreiben, die auf keinem Fandom basiert und hier ist mein erster Versuch. Ich sitze schon eine ganze Weile an der Idee für diese Geschichte und habe nun endlich genug Zeit vor mir hergeschoben, um sie auch mal anzufangen. Das Genre ist am ehesten Sci-Fi, allerdings lege ich keinen Fokus auf Technologien oder ähnliche Aspekte des Genres, dennoch ist die Geschichte am ehesten dort einzuordnen.
Dies ist das erste Mal, dass ich eine Geschichte schreibe, in der ich nicht weiß, was nach einem bestimmten Punkt geschehen wird. Ist vielleicht etwas unheimlich, aber gleichzeitig auch recht spannend für mich. Deshalb kann ich nicht garantieren, dass die Geschichte immer harmlos bleiben wird. Ich empfehle die Geschichte daher ab zwölf Jahren, was die Gewalt angeht.
Ich bin kein großer Freund von Inhaltsangaben, Welt- und Charakterbeschreibungen, weshalb es diese auch nicht geben wird. (Zumal jede Inhaltsangabe das erste Kapitel spoilern würde)
Dafür bin ich aber ein großer Freund von bedeutungsvollen Namen / Bezeichnungen. Ich versuche eigentlich immer, jedem Namen eine Bedeutung beizumessen und man kann zu einem gewissen Grad immer vom Namen auf "das Benannte" schließen. Dazu muss man es aber erstmal schaffen, die Namen so zu interpretieren, wie ich sie mir gedacht habe, was sehr schwer werden könnte, da ich häufig um zwei Ecken referenziere. Wer mag, kann aber gerne versuchen zu erraten, wieso ich welchen Namen gewählt habe.
Bevor es losgeht noch ein Dank an meine Betaleserin, @_Luna_ . Sie ist toll und ihre Geschichte Schicksalspfade kann ich nur empfehlen.
Also dann, viel Spaß beim Lesen! Ich freue mich über jegliches Feedback ^^
Lg, Jefi
"Schön gedeckt für die Festlichkeiten, guter Job
Einfach mal so tun als ob, Terminkalender zugestopft
Wohnung voll mit Krempel, ironische Distanz
Zum eigenen Leben, so als hätt' man noch Gott weiß was in der Hand
Irgendwann mal war Substanz, irgendwann war Image alles
Heut' ist alles scheißegal - wir sitzen in der Falle
Vergiss was du weißt, weil es nix heißt"
©Prezident mit Mythos ~ Hörensagen
Mittwoch, 06.10.2010, 00.17 Uhr
Es summte leise, als Finn das Fenster der Wagentür herunterfahren ließ. Er streckte seinen Kopf ein wenig heraus, um den Mann zu betrachten, der unruhig auf dem Bürgersteig stand und unter einem kaputten Schirm versuchte, sich vor dem kalten Regen zu verstecken. Aus dem eingefallenen Gesicht stachen dunkelbraune Augen hervor, die Finn aufmerksam musterten. Der Mann war groß gewachsen und trug einen langen Mantel, der seinen hageren Körper wohl vor der Kälte und der Nässe schützen sollte.
"Wo solls denn hingehen?", fragte Finn.
"Ich muss nach Bally...", versuchte der Mann zu antworten und verhaspelte sich.
Finn zog eine Augenbraue hoch.
"Ich muss nach Ballycotton, mein junger Freund", brachte er schließlich zu Stande und versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nicht so ganz.
"Na dann mal rein mit Ihnen", grunzte Finn und ließ das Fenster wieder hochfahren.
Der Mann ging um das Auto herum, verstaute seinen Regenschirm und seine Reisetasche im Kofferraum und setzte sich auf den Beifahrersitz.
"Ich muss zum Pier, wo die ganzen Boote anlegen", meinte der alte Mann, als er sich angeschnallt hatte. "Eine genauere Adresse habe ich leider nicht."
"Ist in Ordnung, ich kenne den Weg", murmelte Finn und startete den Motor.
Leise fuhr das Taxi durch die engen Straßen Corks. Finn versuchte überhaupt nicht erst, eine Unterhaltung mit dem Mann zu führen. Die meisten Taxifahrer sind gesprächige Gesellen, oder geben sich zumindest so. Finn war das aber egal. Er war nunmal nicht besonders gesprächig und wollte auch nicht vorgeben, es zu sein. Seine Ruhe war ihm das bisschen Trinkgeld einfach nicht wert.
"Sagen Sie, wann glauben Sie, kommen wir an?", fragte der Mann nervös.
Finn betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Sein Kunde saß vornübergebeugt auf dem Beifahrersitz und strich mit seinem Daumen ungeduldig über seine Uhr. Finn schätzte ihn auf ungefähr 70 Jahre. Er hatte kurze, grauschwarze Haare, überraschend dichte Augenbrauen und einen beeindruckenden Schnauzer, dessen linke Hälfte merklich größer war als die rechte.
"Wir werden wohl noch etwas über 30 Minuten brauchen, schätze ich", antwortete Finn, wieder nach vorne blickend. "So in etwa 30 bis 40 Minuten."
"Sollte reichen", meinte der Mann kurz angebunden und wandte seinen Blick erneut dem Fenster zu.
Schweigend saßen die zwei Männer also nebeneinander, zwischen ihnen der Schalthebel, der sich selbstbewusst empor streckte. Das Licht der Laternen spülte wellenartig über sie hinweg und der Regen übertönte zum größten Teil die Geräusche des Wagens. Finn fragte sich, wieso der Mann es so eilig hatte, kurz nach Mitternacht eines Mittwochmorgens, zum Pier von Ballycotton, einem kleinen, verschlafenen Dorf an der Küste Südirlands, zu kommen. Trotz seiner Neugier fragte er aber nicht. Es gab einfach Angelegenheiten, in die er sich nicht einmischen sollte, geschweige denn wollte.
Und so fuhren sie weiterhin schweigend nach Ballycotton, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken.
Mittwoch, 06.10.2010, 01.08 Uhr
Ruckartig kam der Wagen zum Halten. Finn stieg aus, ging zum Kofferraum und holte daraus den Regenschirm und die Reisetasche seines Kunden hervor.
"Danke fürs schnelle Herbringen", sagte der Mann, als Finn ihm den Regenschirm reichte. "Was solls denn kosten?"
"Das macht 73,20 Euro", antwortete Finn und klappte den Kofferraum wieder zu. Wasser sprühte ihm ins Gesicht und er kniff die Augen zusammen.
Der Mann verharrte noch einige Sekunden und musterte Finn nachdenklich, bevor er sich wieder an ihn wandte.
"Hören Sie, mein junger Freund, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen", sagte er zögerlich, nachdem er Finn eine 100-Euro-Note gereicht hat. "Ich würde mich freuen... das heißt... nun ja... wie wärs, wenn Sie für mich arbeiten würden?"
Finn sah verblüfft von seinem Geldbeutel auf, aus dem er gerade das passende Rückgeld herauszufischen versuchte.
"Ähm... danke für das Angebot, aber ich bin mit meiner momentanen Arbeit recht zufrieden", antwortete Finn schnell. "Der Lohn könnte zwar besser sein, aber im Großen und Ganzen..."
"Bitte schlagen Sie es nicht sofort aus", unterbrach ihn der Mann hastig, aber bestimmt. "Passen Sie auf: Sie können das Rückgeld behalten, wenn Sie mir versprechen, mich in möglichst naher Zukunft wieder zu treffen, damit ich Ihnen zumindest zeigen kann, um was für eine Arbeit es sich handelt. Im Grunde unterscheidet sie sich nicht besonders von Ihrem jetzigen Beruf, sie ist nur sehr... ungewöhnlich. Die Bezahlung wäre natürlich deutlich besser und das Fahrzeug, das Sie ... nun ... fahren würden ist deutlich interessanter. Also, was sagen Sie? Geben Sie mir eine Chance?"
Finn blickte auf die Geldscheine herab, die er aus seinem Portemonnaie geholt hatte. Wie es aussah, konnte er sie behalten.
"Wieso sagen Sie mir nicht, für was Sie mich brauchen?", fragte Finn. "Oder gibt es einen Haken? Ist der Job vielleicht nicht ganz legal?"
"Einen Haken gibt es immer", sagte der Mann belustigt, "Aber keine Sorge, es wird sich niemand bei Ihnen beschweren. Ich denke, man kann den... Job als den eines Taxifahrers beschreiben, die Unterschiede sind eigentlich nicht besonders groß. Wenn wir uns nochmal treffen, zeige ich Ihnen ja alles und Sie können dann immer noch entscheiden, ob Sie den Job wollen."
"Nun, neugierig bin ich tatsächlich", meinte Finn langsam.
Finn fragte sich, worauf er eigentlich neugierig war. War es das versprochene Geld? Oder war es dieser Mann, über den er mehr erfahren wollte?
"Am Freitag habe ich die erste Hälfte des Tages frei, da könnten wir uns treffen", fügte er zögernd hinzu.
"Hervorragend", sagte der Mann mit einem Blick auf seine Uhr. "Kommen Sie dann um 10 Uhr wieder hier her und ich werde Ihre Fragen beantworten. Hier haben Sie nochmal 50 Euro als Vorschuss. Bitte kommen Sie wirklich und seien Sie pünktlich. Ich weiß ja, dass ihr Iren das mit der Pünktlichkeit oft nicht so ernst nehmt."
"Meinetwegen", antwortete Finn verblüfft, den Geldschein entgegennehmend. "Ich werde pünktlich sein."
"Na dann", sagte der Mann nachdenklich. "Bis Freitag. Freitag, der... hmm... achte Oktober 2010, richtig?"
"Öhm ja, exakt", murmelte Finn, verwundert darüber, dass sein Gegenüber auch das Jahr genannt hatte.
"Gut, bis dann", kam es von dem Mann, als er sich umdrehte und in Richtung der Anlegestelle lief.
"Ja, bis Freitag!", rief Finn ihm hinterher und sah ihm einige Sekunden lang ratlos nach.
Freitag, 08.10.2010, 08.47 Uhr
Irgendetwas fehlte. Finn öffnete die Augen und starrte den Wecker neben seinem Bett an. Geduldig wartete er darauf, dass sein Gehirn auch begriff, was seine Augen sahen. Als er erkannte, dass es fast zehn vor neun war, dämmerte Finn, was ihm gefehlt hatte: Das Klingeln des Weckers.
Fast schon panisch fuhr er hoch.
"Scheiße!", fluchte Finn, als er aus dem Bett sprang und ins Bad taumelte. "War ja klar, verdammt nochmal!"
Finn rutschte fast auf einem Pizzakarton aus, der auf dem Boden lag und schlug sich den rechten Zeh an einem Schrank an.
"Aargh!", schrie er mit unterdrückter Stimme und klammerte sich am Türrahmen der Badezimmertür fest. Vornübergebeugt stand er auf seinem linken Bein und boxte voller Wut gegen den Türrahmen, worauf etwas Staub auf seine hellblonden Haare, Schultern und Nacken rieselte.
Kochend vor Wut stellte Finn sich erst einmal unter die Dusche und ließ etwas kaltes Wasser laufen, um sich abzukühlen. Währenddessen putzte er sich die Zähne und versuchte abzuschätzen, ob er es noch rechtzeitig nach Ballycotton schaffen würde. Für den Bus hatte er nicht mehr genug Zeit, also würde er wohl oder übel mit seinem Mofa rüber fahren müssen. Er wollte das so spät im Jahr eigentlich vermeiden, aber ihm blieb anscheinend keine Wahl. Nachdem Finn sich frisch gemacht, angezogen, und zwei kalte Scheiben Toast heruntergeschlungen hatte, schlug er die Tür zu seiner Dachgeschosswohnung zu und lief hastig die Treppe hinab. Unten angekommen, verließ er das fast schon baufällige Gebäude und trat in den kühlen Morgen. Laut donnernd fuhr ein Lastwagen an ihm vorbei, als er die Straße herunterging und sich einen Helm aufsetzte. Leise fluchend erreichte Finn sein ehemals dunkelgrünes Mofa, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Er setzte sich auf den Sitz und fuhr eilig los, so schnell, wie sein Mofa eben konnte.
Freitag, 08.10.2010, 09.53 Uhr
Als Finn den Ballycottoner Pier erreichte, war er komplett durchgefroren. Fröstelnd stellte er das Mofa ab und begann, sich nach dem alten Mann umzusehen. Da er ihn nicht auf Anhieb finden konnte, hastete er zur Anlegestelle, um sicherzugehen, dass der Herr nicht bei den Booten war. Und tatsächlich: An der Anlagestelle befand sich ein kleines, abgenutztes Motorboot. Der grauweiße Lack war stellenweise abgeblättert und die ganzen Rostflecken ließen das Boot auch nicht gerade vertrauenserweckend erscheinen.
"Beeilen Sie sich", rief der Mann aus dem Boot. "Die Zeit drängt!"
"Wo wollen Sie denn mit dem Boot hin?", fragte Finn verwirrt. "Ich bin Taxifahrer, kein Bootsmann!"
"Stellen Sie nicht so viele Fragen und steigen Sie ein", lautete die Antwort. "Ich werde Ihnen alles untwerwegs erklären."
Finn stand noch einige Sekunden unschlüssig da und fragte sich, wieso er einem Fremden in ein Motorboot folgen sollte. Aber Finn war schon nach Ballycotton rausgefahren, da konnte er auch noch bei dem armen Herren mitfahren, der ebenfalls extra wegen ihm hergekommen ist. Langsam setzte sich Finn in Bewegung und stieg vorsichtig ins Boot.
"Mir ist aufgefallen, dass ich mich überhaupt noch nicht vorgestellt habe", meinte der Mann, als sie leise tuckernd den Hafen verließen. "Ich heiße Charon Grim."
Finn ergriff die Hand, die ihm entgegengestreckt wurde.
"Finn Turner", murmelte er unschlüssig.
Sie verließen den Hafen und fuhren die Küste entlang. Finn sah zu den Klippen herüber, die ihm den Blick auf Ballycotton versperrten. Außer ihnen war kein Boot unterwegs, bis auf das Plätschern des Wassers war es komplett still. Gelangweilt wandte sich Finn dem Armaturenbrett des Bootes zu, dessen verkratzte Anzeigen und Knöpfe kaum lesbar waren. Gerade wollte Finn seinen Blick wieder abwenden, als ihm ein Knopf auffiel, der sich am unteren Rand der Konsole befand. Er war klein, schwarz und unscheinbar, sah aber im Vergleich zu den anderen deutlich neuer aus. Außerdem war auf ihm ein Symbol abgebildet, das Finn noch nie gesehen hatte: ein Kreis, in dem sich eine Welle befand. Finn überlegte sich, ob er Grim fragen sollte, welche Funktion dieser Knopf hatte, beziehungsweise was das Zeichen bedeutete, entschied sich aber dagegen. Sollte er für Grim arbeiten, würde er noch genug Zeit haben, ihn zu fragen.
Nach einigen Minuten ruhigen Tuckerns wurde Finn aus seinen Gedanken gerissen, als ein rhytmisches Piepen die Luft erfüllte. Grim sah vom Wasser auf und blickte auf seine Uhr. Die Uhr, die der Ursprung des Piepens war, vibrierte stark und leuchtete dunkelrot im Takt des Piepens auf.
"Gleich geht es los!", rief Grim in freudiger Aufregung. "Festhalten!"
"Wie bitte?", schreckte Finn auf. "Was geht los?"
"Achtung!", rief Grim, während Finn nach etwas suchte, woran er sich festhalten konnte.
Grim schlug auf den Knopf mit dem seltsamen Symbol. Zunächst passierte nichts, aber dann fing es an, um das Boot herum zu knistern. Die Luft schien sich zu verdichten und im Wasser bildeten sich kleine Strudel. Finn dachte zunächst, dass die Erde beben würde, aber dann wurde ihm klar, dass es nicht die Erde war, die bebte. Es war das Boot, das sich bebend in die Luft erhoben hatte und nun einen Meter über dem Wasser schwebte. Finn versuchte, über die Bootswand hinweg hinunter zu schauen und wurde direkt von Grim zurückgerissen.
"Festhalten, habe ich gesagt!", schrie er, um das Knistern in der Luft zu übertönen.
"Was z -", versuchte Finn zurückzuschreien, brachte den Satz aber nicht fertig.
Eine mattschwarze Blase war aus dem Nichts aufgetaucht und umschloss das Boot mit seinen Insassen. Sie verschluckte alle Geräusche und schien der näheren Umgebung Farbe und Licht zu entziehen. Die Blase hing noch einige Sekunden wabernd in der Luft, bis sie ohne jegliche Vorwarnung verschwand. Und das Boot ebenfalls.