in der dunkelheit
warten die schatten auf dich:
es werde nun licht.
Ich weiß, dass du generell sehr gerne und häufig mit Kleinschreibung arbeitest; bei diesem Gedicht unterstützt der dadurch entstehende Effekt die eher bedrückte Stimmung aus meiner Sicht aber besonders gekonnt. Die Kleinschreibung vermittelt beim Lesen ein Gefühl von Unsicherheit und fehlender Beständigkeit, was sich inhaltlich in den ersten beiden Versen sehr explizit wiederfinden lässt. Die dargestellte Bedrohung durch die wartenden Schatten wird mithilfe des Doppelpunkts sodann auf einen Höhepunkt zugespitzt; stellt sich beim Lesen zunächst doch die Frage, ob sie nun in den Angriff übergehen. Stattdessen erfolgt im dritten Vers eine explizite Forderung, welche die Schatten vertreiben soll, sodass ein positiver Ausklang erfolgt. Das gefällt mir insgesamt sehr gut! ^-^
warte nicht auf mich,
ich verschaffe uns mehr zeit
— und kämpfe für uns.
Dieses Haiku finde ich vor allem deshalb interessant, weil es für mich auf der sprachlichen Ebene zwei verschiedene Themenfelder miteinander verknüpft. Auf der einen Seite erinnern mich die gewählten Worte stark an Serien und Filme, in denen ein Charakter zurückbleibt, um einen Gegner abzulenken und anderen Charakteren bei ihrer Aufgabe buchstäblich mehr Zeit zu verschaffen. Auf der anderen Seite bringt das Gedicht scheinbar aber auch eine zwischenmenschliche Thematik ins Spiel, da insbesondere der dritte Vers auch so gelesen werden kann, dass hier für eine Beziehung gekämpft wird. Dabei steht der dritte Vers zumindest auf den ersten Blick in offenem Konflikt zum ersten Vers, denn wenn das Du explizit nicht auf das Ich warten soll, erscheint ein Kampf fast ein wenig zwecklos. Vielleicht wurde hier ein Moment kurz nach einer Trennung eingefangen, bei dem das Ich die Beziehung noch nicht aufgeben möchte, gleichzeitig aber auch die Entscheidung des Du respektiert. Es hat mir auf jeden Fall Freude bereitet, länger über das Haiku nachzudenken! ^-^
ich schlafe nicht, nein,
die träume halten mich wach:
was ist echt, was nicht?
Dieses Haiku habe ich zunächst recht malerisch-verspielt gelesen – etwa aus der Perspektive eines Kindes, das im Traum verschiedene Welten erkundet und völlig überwältigt ist von all der Magie. Nach den zuvor eher düsteren Motiven könnte ich mir nun aber auch vorstellen, dass hier Sorgen thematisiert werden. Das Wachhalten würde entsprechend für zunehmende Sorgen stehen und die Unsicherheit im dritten Vers könnte für eine allgemeine Unsicherheit in der Lebenssituation des Ichs stehen. Generell gefällt mir auch bei diesem Haiku wieder der formale Aufbau mit dem Doppelpunkt am Ende des zweiten Verses, der einen Twist im dritten Vers ankündigt. Ein gelungenes Haiku! ^-^
Die Kerzenflamme
flackert im kühlen Nachtwind
— und erstrahlt die Nacht.
Ich mag bei diesem Haiku die ruhige Stimmung und die Unaufdringlichkeit des eher unauffälligen und zurückhaltenden Motivs. Sprachlich gefällt mir besonders der Übergang vom ersten zum zweiten Vers, da mit dem Flammenflackern nicht bloß eine Alliteration, sondern auch eine Assonanz vorliegt, was beim Lesen wirklich schön klingt. Dazu erfüllt der Übergang den Zweck, das Flackern über dies Versgrenzen hinweg auch formal abzubilden, was mir sehr gut gefällt. Einzig die Dopplung der Nacht hätte eventuell noch irgendwie vermieden werden können, aber insgesamt ist das ein wirklich schönes Haiku geworden! ^-^
Die Mauern bröckeln:
das Haus wurde verlassen,
und bricht demnächst ein.
Tatsächlich war ich hier zunächst überrascht, warum du dich explizit für Großschreibung entschieden hast. Die Thematik des Zerfalls hatte sich in meinen Augen angeboten, um erneut mit Kleinschreibung herumzuspielen. Auf den zweiten Blick finde ich den Aufbau aber sehr genial, denn wenngleich hier konsequent die Standardschreibung verwendet wird, taucht im abschließenden Vers kein einziges Wort auf, das groß geschrieben werden müsste. Mit zwei großgeschriebenen Wörtern im ersten Vers, einem im zweiten Vers und keinem einzigen im dritten Vers wird der Verfallprozess formal sehr gekonnt abgebildet, was mir ausgesprochen gut gefällt. Der Punkt am Ende des dritten Verses bietet sodann einen buchstäblichen Abschluss ebendieses Prozesses. Formal überzeugt mich dieses Haiku deshalb sehr! ^-^