"Ich sehe mich auf der Tokyo Game Show um und jeder macht schreckliche Spiele. Japan hängt dem Westen mindestens fünf Jahre hinterher." "Japan war es gewohnt die Führungsrolle in der Gaming-Industrie inne zu haben, die inzwischen ganz klar an Amerika überging. […] 80% der Spiele, die ich selbst eben spiele, stammen nicht aus Japan. Skyrim, Batman … das sind Spiele die mich augenblicklich einfach mehr interessieren. Japan muss mehr solche Spiele wie diese machen, wenn man will, dass wieder anders über sie gedacht wird." "Ich denke, es entspricht der Wahrheit, dass die japanische Industrie gerade etwas strauchelt. Vielleicht müssen wir einfach akzeptieren, dass wir möglicherweise das Maximum erreicht haben." "Das Problem mit japanischen Spielen ist nicht, dass es japanische Spiele sind oder dass sie west-orientiert sind. Das Problem mit japanischen Spielen ist simpel: Die meisten davon sind einfach keine guten Spiele." "Sie [japanische Entwickler] wissen nicht mehr, was Videospieler weltweit wollen, sondern sind zu sehr auf Japan und die japanische Kultur fixiert"
~ Keiji Inafune; MegaMan-Schöpfer
~ Shinji Mikami; Resident Evil-Schöpfer
~ Akira Yamaoka; Silent Hill Komponist
~ Jean Kellams; Platinum Games
~ Hideo Kojima; Konami, Metal Gear-Schöpfer
So denken einige der führenden japanischen Spieleentwickler über die japanische Spieleindustrie. Teils harte Worte aus den eigenen Reihen. Doch was genau sind die Ursachen dieser Entwicklung? Bevor es zur Ursachenforschung geht, gilt es zunächst diese Aussagen zu hinterfragen. Wie hat sich der Videospielmarkt in den letzten Jahren tatsächlich entwickelt? Ein Klischee besagt, Japaner seien ein sehr stolzes Volk. Die Selbstmordrate ist eine der höchsten weltweit. Auslöser ist meist die Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung und der daraus resultierende wirtschaftliche Niedergang. Daher wiegt Selbstkritik eines Japaners umso mehr. Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Doch wie sieht diese Besserung aus? Sind die Japaner einfach zu hart zu sich selbst, erwarten sie schlicht zu viel, oder ist die Kritik doch berechtigt?
Betrachten wir diese Entwicklung doch erst einmal anhand von Fakten – den Verkaufszahlen. Sind westliche Produktionen tatsächlich erfolgreicher als japanische? Um das herauszufinden habe ich die Verkaufszahlen der Top 50 über einen Zeitraum von sechs Jahren (2006 – 2011) ausgewertet. Ich wollte wissen ob und in welchem Ausmaß sich der Marktanteil zu Gunsten des Westens geändert hat. Die nachfolgenden Grafiken stellen den Marktanteil japanischer und westlicher Spiele gegenüber, wobei jeweils nur die 50 bestverkauften Spiele berücksichtigt werden.
[Blockierte Grafik: http://oi47.tinypic.com/2iuf3a1.jpg] [Blockierte Grafik: http://oi50.tinypic.com/2dt7xua.jpg]
Die Verkaufszahlen wurden von vgchartz.com ermittelt. Es handelt sich hier um Hochrechnungen und nicht um die konkreten Zahlen. Die Genauigkeit gibt vgchartz.com mit 10% an, für unsere Zwecke absolut ausreichend.
Was sofort ins Auge fällt ist vor allem eines: wider Erwarten eine gewaltige japanische Dominanz. Und tatsächlich sieht man auch sofort den steigenden Einfluss westlicher Produktionen. Doch erst im Jahre 2011 unterliegt Japan, dann aber weit abgeschlagen mit nur 30% Marktanteil. Wie konnte das passieren, wieso dieser sprunghafte Wandel? Um das zu verstehen sind einige Informationen erforderlich, die aus der Grafik nicht zu entnehmen sind. Schauen wir uns doch einmal anhand einer weiteren Grafik die Verteilung der Anzahl der in den Top 50 vertretenen Spiele an. Wie viele kommen aus dem Westen, wie viele aus Japan?
[Blockierte Grafik: http://oi50.tinypic.com/vo4xo1.jpg] [Blockierte Grafik: http://oi46.tinypic.com/dm6741.jpg]
Wir sehen hier eine gleichmäßigere Verteilung als bei den Verkaufszahlen. Die japanische Dominanz ist nämlich auf einen wesentlichen Faktor zurückzuführen: Nintendo. Deren Produkte astronomische Verkaufszahlen erreichen und so den Japanern Marktanteile sichern. Betrachten wir jedes Jahr einzelnen und sehen uns zu den verkauften Spielen die entsprechenden Absatzzahlen an wird klar, die japanische Dominanz ist eine Illusion, geschaffen von Nintendo.
Eine Auflistung erspare ich mir an dieser Stelle, da alle Zahlen vgchartz.com zu entnehmen sind. Jedoch möchte ich die bis dato erfolgreichsten Spiele der noch aktuellen Generation auflisten, um zu zeigen woher und wieso die japanischen Marktanteile kommen.
[Blockierte Grafik: http://oi46.tinypic.com/2qdz6u9.jpg]
Diese Tabelle zeigt die meistverkauften Spiele der aktuellen Generation (Einheiten in Millionen). In den Top 15 sind nur drei westliche Spiele (rot) vertreten, allesamt Call of Duty. Eigentlich ein weiterer Beleg für die Japanische Dominanz. Treffender wäre es aber wohl von „Nintendo Dominanz“ zu sprechen. Ausnahmslos alle japanischen Spiele (blau) hier sind von Nintendo. Einige dieser Spiele, allen voran Wii Sports, konnten nur durch Bundles dermaßen hohe Absatzzahlen erreichen.
Nichtsdestotrotz belegt diese Tabelle zumindest eines: japanische Produktionen erreichen ein breiteres Publikum. Ist die japanische Spieleindustrie also doch noch Kerngesund? Diese Antwort lässt sich schwer beantworten. Das Schlagwort hier lautet „Casual“, ein leidiges Thema, auf das ich hier nicht näher eingehen will. Dazu gibt es auch im BisaBoard unzählige Threads.
Fakt ist, im „Casual-Markt“ ist Japan führend. Das beweisen die Verkaufszahlen. Die Kritik der Entwickler und der Spieler richtet sich folgerichtig wohl an den „Core-Markt“. Wenn man sich vor Augen hält welche enorme Marktanteile japanische „Casual-Spiele“ für sich verbuchen, wird klar, für den „Core-Markt“ bleibt nur ein kleines Stück vom Kuchen, entsprechend klein ist dieser Markt. Multipliziert man das Ganze nun mit -1 erhält man folglich die derzeitige Lage des Westens: es dominieren die „Core-Spiele“.
Doch genug von Verkaufszahlen. Die Kritiker behaupten ja auch, westliche Spiele seien im Schnitt besser. Ein Vergleich der Metacritics bietet sich hier an. Schneidet hier der Westen tatsächlich besser ab? Kurz und knapp, die Antwort lautet ja. Da ich persönlich von der sog. „Fachpresse“ und deren Wertungen absolut nichts halte, will ich auch darauf nicht näher eingehen. Ich nehme es einfach zur Kenntnis, dass im Westen westliche Spiele besser bewertet werden.
So viel zu den Zahlen und Fakten. Das wirklich interessante an dem Thema ist meiner Ansicht nach jedoch ohnehin nicht wer erfolgreicher oder besser ist. Vielmehr ist es die Frage inwiefern sich japanische und westliche Spiele unterscheiden, die mich dazu veranlasst hat diese Kolumne zu schreiben. Was viele übrigens wahrscheinlich nicht wissen: Japanische Studios haben für große Triple-A Spiele im Schnitt wesentlich weniger Budget und Personal zur Verfügung als westliche. Das wirkt sich vermutlich auch auf die Qualität der Spiele aus. Ob im Negativen oder im Positiven, eine offene Frage. Zu viele Köche verderben den Brei und so. Auf die Entwicklungszeit der Spiele scheinen sich die vergleichsweise schwachen Kapazitäten der Japaner allerdings schon auszuwirken. Ich kann jetzt zwar keine Statistik vorlegen, wer die Entwicklung seit Jahren mitverfolgt wird mir da aber zustimmen. Ein gutes Beispiel ist da beispielsweise Gran Turismo 5. Rund fünf Jahre haben die Japaner für die Entwicklung des Spiels benötigt, ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Die amerikanischen Kollegen von Turn 10 Studios hingegen werfen fast schon im Jahrestakt ein Forza auf den Markt. Forza gilt als das bessere Spiel. Große westliche Spieleserien wie Call of Duty, Uncharted, Gears of War, Forza, Halo etc. haben einen westlich kürzeren Entwicklungszeitraum als japanische wie Resident Evil, The Legend of Zelda, Gran Turismo, Final Fantasy etc.
Worauf ich hinaus will ist, wie gesagt, inwiefern sich die Spiele unterscheiden. Wie wirken sich die geringeren Kapazitäten der Japaner auf den Inhalt der Spiele aus? Vergleichen wir einmal die wesentlichen Spielelemente. Lassen sich denn überhaupt Unterschiede feststellen?
Im Vergleich: Das Artdesign
Beginnen wir doch gleich mit dem, was sofort ins Auge fällt. Hier geht es nicht direkt um die Grafik, sondern um den Grafikstil. Schauen wir uns mal folgende zwei Trailer an, da Bilder mehr sagen als tausend Worte, bewegte Bilder sowieso:
Ich habe mich ganz bewusst für diese beiden Spiele entschieden. Final Fantasy hat einen deutlichen Anime-Stil und setzt auf eine Fantasie-Welt. Meiner Meinung nach repräsentativ für japanische Spiele. Call of Duty versucht hingegen möglichst realistisch zu sein, wiederum repräsentativ für westliche Spiele. Hier kann man ganz klar sagen: Realismus vs. Fantasy. Natürlich trifft das nicht auf alle Spiele zu, Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. Die erfolgreichen Westproduktion wie Uncharted, Gears of War, Battlefield, Call of Duty, Halo, The Elder Scrolls, Gran Theft Auto etc. setzen ganz deutlich auf einen realistischen Grafikstil. In Japan überwiegt mit The Legend of Zelda, Final Fantasy, Devil May Cry, Super Mario, Pokémon, Street Fighter etc. ganz klar der Fantasy- bzw. Anime-Stil.
Der Grafikstil trägt enorm zur Atmosphäre eines Spiels bei. Daher liegt hier, meiner Ansicht nach, der wesentlichste Unterschied zwischen West- und Japanproduktionen. Ein Besser oder Schlechter gibt es hier jedoch nicht. Es ist Geschmackssache welchen Stil man favorisiert.
Im Vergleich: Die Story
Auch hier möchte ich einen Final Fantasy – Call of Duty-Vergleich bringen. Ich bin der Meinung, diese beiden Spiele sind in fast jedem Aspekt repräsentativ, doch dazu später mehr. Schauen wir uns doch einmal an, worum es in Final Fantasy XIII und Call Of Duty: Modern Warfare 2 geht. Keine Sorge, solltet ihr die Spiele nicht gespielt haben, die Kolumne bleibt frei von Spoiler. Ich nehme hierzu Auszüge aus Wikipedia.
Zitat von Wikipedia/Final Fantasy XIII
„[…] Die eigentliche Handlung des Spiels beginnt jedoch 13 Tage zuvor mit dem Erwachen von Fang und Vanille aus dem Kristallschlaf. Am Tag danach lernt Snow erstmals Lightning kennen, die die Schwester seiner Verlobten Serah ist. Lightning ist jedoch nicht begeistert über die Wahl ihrer Schwester, da sie Snow für einen aufgeblasenen Angeber hält und empfiehlt Serah, ihn zu verlassen. Durch das Erwachen von Fang und Vanille öffnet sich ein Pulse-Residuum in der Hafenstadt Bodhum. Serah entdeckt und erkundet dieses, wird bei der Erkundung jedoch durch den Fal'Cie Anima zu einer L'Cie. […]“
Zitat von Wikipedia/Call of Duty: Modern Warefare 2
„[…]Imran Zhakaev gilt in Russland als Märtyrer und wird von den Ultranationalisten als Held gefeiert. Das Spiel beginnt in Afghanistan mit dem US Army Ranger Joseph Allen. Beeindruckt von seinen Leistungen rekrutiert der Kommandeur der Task-Force 141 General Shepherd ihn für einen CIA-Undercover-Einsatz. Mit dem Alias Alexei Borodin wird er in die Organisation von Vladimir Makarov eingeschleust. Während eines Anschlags auf den Flughafen in Moskau wird er von Makarov getötet und als Sündenbock zurückgelassen, um die Beziehungen zwischen Russland und den USA zu erschüttern. […]“
Klare Sache: Realismus vs. Fantasie. Das lässt sich jedoch nicht so einfach verallgemeinern wie beim Artdesign. Denn Spiele wie Gears of War oder Halo erzählen mitnichten eine realistische Story. Was soll dann der Vergleich, fragt ihr euch? Nun ja, auch wenn die Story bei einem Gears of War nicht realistisch ist, sie versucht realistisch zu wirken. Sie versucht dem Spieler zu vermitteln: was da geschieht, könnte eines Tages in der realen Welt passieren. Der Autor bindet sich an Naturgesetze der realen Welt, er versucht es zumindest. Magie ist dabei ein Fremdwort (Ausnahme sind natürlich westliche Fantasy-Spiele, aber auch die versuchen bis zu einem gewissen Grad zumindest realistisch zu wirken).
Die Stories in westlichen Spielen sind nicht zwangsläufig realistisch, keinesfalls. Aber dennoch merkt man den meisten Spielen an, der Autor hat versucht eine realistische Geschichte zu erzählen. Die Spiele nehmen sich sozusagen selbst ernst. Ganz anders japanische Spiele, hier schert sich kaum ein Autor um Realismus. Ganz im Gegenteil, ich habe den Eindruck man versucht sich da möglichst weit von der Realität zu entfernen und eine ganz eigene Welt zu erschaffen.
Ein Paradebeispiel wäre da z.B. Bayonetta oder auch Devil May Cry. Hier bietet sich ein Vergleich mit God of War an. Keines der genannten Spiele erzählt eine realistische Geschichte, doch lehnt sich God of War an die griechische Mythologie an. Damit geht natürlich eine gewisse Erwartung einher. Durch die Anlehnung an die griechische Mythologie werden gewisse Grenzen gesetzt, die nicht überschritten werden dürfen. Anders bei Bayonetta und Devil May Cry, da kann der Autor schreiben was auch immer er will.
Um es auf den Punkt zu bringen: Im Allgemeinen nehmen die Japaner die Story nicht ernst. Bei vielen Spielen, Mario lässt grüßen, fällt sie gar quasi gänzlich weg. Ob die Stories dadurch besser oder schlechter sind, auch das ist eine offene Frage, um die es hier aber ohnehin nicht.
Im Vergleich: Das Gameplay
Der vielleicht wichtigste Aspekt bei einem Videospiel: das Gameplay. Eine Gameplay-Schublade für japanische und westliche Spiele zu finden ist verdammt schwer. Ich versuche es aber dennoch und bringe wieder den Final Fantasy – Call of Duty-Vergleich.
Ergebnis: Realismus vs. Fantasie. Es ist immer dasselbe. Die Japaner wollen eine eigene Realität erschaffen, der Westen versucht die Realität abzubilden. Auch so beim Gameplay. Die Japaner setzen das um, was sie wollen, das von dem sie denken es macht Spaß. Im Westen werden, ob bewusst oder unbewusst, durch den Anspruch auf Realismus Grenzen gesetzt. Ist ja auch logisch. Wenn ein Spiel versucht realistisch rüberzukommen, darf das Gameplay nicht aus der Reihe tanzen. Kleines Beispiel, um meinen Gedankengang genauer zu erläutern: Call of Duty versucht dem Spieler zu vermitteln, er befinde sich in einem realen Krieg. Würde die Spielfigur nun wie Superman durch die Gegend fliegen können, wäre die Illusion eines realen Krieges im nu weg. Bei einem Spiel, das auf Realismus pfeift, an dieser Stelle seien Bayonetta und Mario genannt, kann man sich gameplaytechnisch so ziemlich alles erlauben. Es gibt keine Grenzen. Das Resultat kann sich vermutlich jeder denken.
Einen Technik-Vergleich spare ich mir an dieser Stelle, weil meiner Meinung nach alle Triple-A Spiele, ob nun aus Japan oder dem Westen, technisch sehr solide sind. Unterschiede müsste man mit der Lupe suchen, weshalb mir ein Vergleich hier unnötig erscheint. Interessant ist hingegen das Thema Innovation. Woher kommen die innovativen Spiele und woher kommen die sog. „Genre defining games“? Spiele, die ein ganzes Genre definieren, wie es seiner Zeit Ocarina of Time tat? Auch wenn es sich anbietet in dieser Kolumne näher darauf einzugehen, werde ich zu diesem Thema zu einem späteren Zeitpunkt ein eigenes Topic erstellen.
Zusammenfassend lässt sich als Fazit sagen: japanische Spiele vs. westliche Spiel = Realismus vs. Anime/Fantasy. Natürlich lässt sich das nicht auf alle Spiele übertragen, ist mir absolut klar. Auch dass es „Hybrid-Spiele“ wie Resident Evil oder Little Big Planet gibt, ist mir klar. Reines Schubladendenken ist hier nicht möglich bzw. wäre ein Unding. Wenn man jedoch verallgemeinern will, stimmt die obige Aussage aber definitiv. Das erklärt auch die sinkende Beliebtheit japanischer Produktionen, denn der Anime-Hype ist hier schon lange vorbei.
Ich selbst bevorzuge übrigens japanische Spiele, damals wie heute. Ich muss allerdings zugeben, es gibt immer mehr Spiele aus dem Westen die mich in ihrem Bann ziehen. Mit den meisten, darunter auch das hochgelobte GTA, kann ich allerdings nach wie vor nicht viel anfangen.