Hisui - Natsuki und Hono
„Flüche von Geister-Pokémon würden dir die Lebensenergie oder unter Umständen sogar die Seele rauben. Zumindest erzählen es so die Geschichten. Wenn du sie nicht ärgerst, wollen sie aber meistens nur mit dir spielen.“ Kanas Antwort auf Natsukis Sorge, von Tornupto verflucht worden zu sein, beruhigte ihn nicht wirklich. „D… d… d… Die Lebensenergie oder d… d… d… die Seele rauben?“, flüsterte er vor sich hin und drückte sein Fukano fest an sich, als ob es das Letzte wäre, was er in seinem jungen Leben noch tun würde. „Hono, ich hab dich lieb! Ich gestehe, ich tue manchmal so, als ob ich morgens noch schlafen würde, um länger im Bett liegen zu können … Aber das hatte nichts mit dir zu tun, das solltest du noch wissen, falls ich gleich nicht mehr sein sollte“, brabbelte Natsuki wehleidig ins Fell seines Partners. Hono hatte derweil nur Augen für die Beeren. Das Fukano schnupperte dabei immer wieder am Duft in der Luft herum.
„Hey, du könntest meinen letzten Worten ruhig mal zuhören, Partner“, meckerte der Junge. Vorsichtig neigte Natsuki seinen Kopf in Richtung Tornupto. Doch seine Sicht wurde ihm versperrt, denn plötzlich blickte er direkt in die Augen von Kanas Traunfugil und erstarrte mit einem kalten Schauer über der Haut. Hoshi hatte sich wohl ihm zugewandt, während es auf seine Partnerin wartete, die auf ein Blatt Pergament zulief. Dass es sich bei Hoshi um ein Pokémon vom Typ Geist handelte, kam dem Jungen in dem Moment dezent ungelegen. „H… H… H… Hallo Hoshi, schlechtes Timing …“, stotterte Natsuki, bis er sich wieder nach einer Weile gefangen hatte und mit einem Lächeln fortsetzen konnte, „…, aber schön, dass du da bist und beim Kampf bist du echt eine große Hilfe gewesen!“
„An alle Banditenschwestern! Vorerst arbeiten wir mit diesen Bändigern zusammen. Es gibt noch einige Tests durchzuführen, bevor wir uns wieder den Clans und der Expedition offen entgegenstellen. Diese Kräuter hat der Verrückte Bändiger uns gegeben, seid daher vorsichtig damit. Distia.“ Kana hatte das Pergament laut verlesen. Natsuki konnte die Ablenkung gerade sehr gut gebrauchen, die ihm die Gedanken über diesen Text einbrachten. „Hm, mehrere Bändiger und ein Verrückter Bändiger … Stehen die vielleicht in einer hierarchischen Beziehung zueinander, so wie die Oberhäupter der Clans zu den Clanmitgliedern?“, grübelte er leise. Das Magenknurren von Hono und ihm unterbrach ihn dabei erstmal nicht. „Diese Kräuter könnten eine Art Waffe sein, wenn selbst Distia ihre Komplizinnen davor warnt, oder?“, fragte Natsuki vorsichtig und mit etwas lauterer Stimme, doch sein Fukano machte nun strampelnd sehr deutlich auf seinen Hunger aufmerksam.
„Natsuki, fang!“ Lumia warf eine Sinel- und eine Tsitrubeere in seine Richtung. „Es ist zwar nur ein kleiner Snack, aber wir wollen ja nicht, das ihr uns verhungert“, fügte sie noch hinzu. Hono sprang sofort aus den Armen seines Partners und schnappte sich eine der Beeren noch im Flug, während Natsuki gerade so die andere Beere mit beiden Händen fangen konnte. „Danke dir, du bist unsere Rettung, Lumia!“, rief der Junge der Veteranin zu, die wirklich bestens vorbereitet zu sein schien. Er biss genau die Hälfte der Tsitrubeere ab, Hono biss genau die Hälfte der Sinelbeere ab. Dann liefen die beiden in einem blinden Verständnis aufeinander zu: Das Fukano streckte seinen Kopf hoch, sein Partner streckte seine Hand herunter. „Guten Appetit und danke dir“, sagte Natsuki und nahm sich die halbe Sinelbeere, während Hono die Hälfte der Tsitrubeere verschlang.
Während die Gruppe mit Tornupto als natürliche Lichtquelle voran in den Gang aufbrach, hielt Natsuki noch einen gewissen Sicherheitsabstand zu dem Pokémon ein und versteckte sich ein bisschen hinter Kana und Yoma. Erst beim Anblick von Cranio und Hoshi fiel ihm auf, dass er ohnehin umgeben von Geistern war. „Oh je, hoffentlich überleben wir das alles, Hono …“, seufzte der Junge, während sein Fukano satt und glücklich mit dem Schweif wedelnd zu den beiden schwebenden Pokémon heraufschaute. Hono wollte wohl Freundschaften schließen. Sein Partner hatte hingegen ein Auge auf Yomas Tasche geworfen, indem sich irgendwas befand, was Yoma vorhin überprüft hatte. Natsuki traute sich jedoch nicht nachzufragen.
Am Ende des Ganges wartete ein Raum auf die Gruppe, der wie ein Kampffeld wirkte: rechteckige Form, mit Fackeln beleuchtet. Und am anderen Ende warteten die Feinde, von denen Nessia mit einem auffallend rotblättrigen Kraut vor einem Käfig kniete und ihr Toxiquak nur beim Namen nannte. Plötzlich folgte auch schon ein toxischer Angriff. Lumias Partner beschützte die Gruppe mit Gesichter tragenden Geisterflammen. In diesem Moment war Natsuki doch kurze Zeit froh, auf der Seite mit solchen gespenstischen Gefährten zu stehen. „Oder verwendet Tornupto etwa die geraubten Seelen, um Flammen zu erzeugen?“, fragte der Junge skeptisch und zu laut nachdenkend. Seine Gedankengänge wurden allerdings schnell durch den Ruf eines Wesens unterbrochen, das wie ein zu groß und zu schlecht gezeichneter Vogel wirkte und seine Größe sogar noch in wenigen Sekunden weiter steigerte. Laut Lumia handelte es sich um ein Alpha-Porygon-Z, das nun Priorität gegenüber den fliehenden Banditinnen hatte.
„Lass uns helfen, dieses Ding zu besiegen, bevor es noch jemanden verletzt, Partner!“, rief Natsuki überraschend selbstbewusst. Der Junge deutete daraufhin in Richtung des Pokémon. „Feuerzahn!“ Er verharrte ein paar Sekunden in dieser Pose, doch von Hono war keine Spur zu sehen. „Äh … Hono?“, äußerte Natsuki verwundert und schaute sich zu allen Seiten um. Erst das Winseln und die Berührung seines Fukanos an der Innenseite seiner Beine machte ihn darauf aufmerksam, dass Hono sich scheinbar hinter ihm versteckt hatte. Natsuki drehte sich um, ging in die Hocke und streichelte vorsichtig über dessen Köpfchen. „Was ist denn los mit dir? So kenne ich dich gar nicht …“, gab er erschreckenderweise zu. Hono rührte sich erstmal nicht von der Stelle.