Menschen, die einem wichtig sind, verlieren...

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  • Der Tod prägt einen Menschen, keine Frage. Ich selbst hab zwar keinen Menschen aus meiner Familie verloren, aber unser Hund gehörte quasi zur Familie. Irgendso ein (hier beliebige Beleidigung einfügen) hat sie überfahren und ist einfach weitergefahren... Was mich aber am meisten schmerzt, ist, dass wir keinen Anhaltspunkt haben, wer es getan haben könnte, keiner hat etwas davon gesehen... Wir haben schließlich von vorbeifahrenden Radfahrern gehört, dass unser Hund scheinbar regungslos im Gras lag. Er lebte noch und ich hab mir die ganze Zeit gesagt: "Die Hoffnung stirbt zuletzt." Niemand hatte mehr daran geglaubt, dass sie überleben würde, bis auf mich, aber beim Tierarzt kam dann das Ergebnis des Röntgengeräts: Die zertrümmerte Wirbelsäule war wohl der Grund, weshalb sie ihre Hinterläufe nicht bewegen konnte... Verdammt, meine Hände zittern gerade, als wäre tiefster Winter. Was danach gefolgt ist, wollte ich nicht mehr sehen und hab mich nach draußen gesetzt. Am nächsten Tag haben wir sie im Garten bei einem Apfelbaum begraben. Sie hatte gerne Apfelstücke genascht, wenn meine Mutter gerade einen Apfel aufgeschnitten hat. Auf ihrem Grabkreuz haben wir ihr schließlich ihr Halsband hingehängt. Heute noch, wenn ich ab und zu daran vorbeigehe, singe ich manchmal noch Lieder, die das Thema "Abschied" haben. Ehrlich gesagt, will ich gar nicht erst im Traum daran denken, einen neuen Hund zu bekommen. Sie war für mich und ist für mich unser Hund, auch wenn sie jetzt gerade als Nahrung für die umstehenden Pflanzen dient... Ich freue mich schon, wenn der Baum Früchte trägt. Der Gedanke, der mich an diesem Fall am meisten beschäftigt, ist, dass ich eigentlich nichts tun konnte... Schlimmer noch: Ich saß gemütlich vor dem PC und bin nicht mal zum Essen gekommen, weil ich gerade in einer "wichtigen" Situation im Internet war. Mit den Worten "Hund wurde überfahren" hab ich schließlich das Spiel geschlossen und bin rausgerannt. Ich glaub, schneller bin ich noch nicht wirklich gesprintet.
    Bei einem Hund mag es vielleicht nicht so schlimm sein wie bei einem Menschen, aber das hängt immer von den eigenen Prioritäten ab. Einen Menschen habe ich ebenfalls verloren, aber halt nicht aus der Familie. Der Vater eines guten Freundes, der zusätzlich noch unser Stammesleiter bei den Pfadfindern war, hat sich erhangen und zwar im Kutscherhaus, wie wir unseren Treffpunkt nennen. Einige wollten gar nicht erst zurück in das Haus, weil sie Angst hatten, zusammenzubrechen (vor Trauer versteht sich). Jeder verkraftet Dinge anders und ich verkrafte Dinge besser, wenn ich mich ihnen stelle, wieder und wieder. Nennt mich eigen, aber ich konnte bei seiner Beerdigung nicht weinen. Als schließlich unser Hund ein Jahr später gegangen ist, habe ich Rotz und Wasser geheult. Irgendwann, wir haben ein Wochenende in unserem Haus verbracht, sind wir nachts auf den Friedhof gegangen (seine Frau hat seinen letzten Wunsch, in einem anderen Dorf begraben zu werden, ignoriert) und haben für ihn sein Lieblingslied gesungen. Als es still war, hab ich schließlich gesagt: "Hoffentlich geht es dir dort oben besser." Ich bin zwar kein überzeugter Christ, allerdings war er einer. Ich blieb als einziger stehen und dann liefen endlich die Tränen. Ja, ich will Tränen spüren. Es tut mir gut, zu wissen, dass ich noch immer ein Mensch bin, der fühlt. Wieder im Haus hat mich einer der Anwesenden auf meinen Satz angesprochen und mich gefragt, wieso ich das gesagt hätte, er hätte ja beinahe geheult. Mir war das dort gerade egal und ich dachte mir nur meinen Teil, der in etwa lautete: "Dann heul doch."
    Weinen tut gut, auch wenn andere lieber verdrängen. Ich lasse meine Trauer lieber auf einen Schlag raus, als noch Jahre hinterherzutrauern. Natürlich ist es immer ungewohnt, plötzlich ein Loch im Alltag zu haben. Die ersten Wochen nach dem Tod unseres Hundes hab ich mir bei allen schwarzen Sachen eingebildet, ich würde sie sehen und jedesmal, wenn ich nachhause gekommen bin, habe ich Sekundenbruchteile in der Tür verharrt, bevor mir wieder bewusst wurde, dass unser Hund mich gar nicht mehr begrüßen konnte. Was ich eigentlich nur raten kann: Man sollte Trauer nie verstecken. Etwas herauszupressen, obwohl man es eigentlich lieber behalten will, sollte man zwar auch nicht, allerdings ist es wichtig, dass man Menschen hat, die dieser Tod nicht ganz so trifft und die einen dann aus dem Selbstmitleid herausreißen können. "Das Leben ist eines der Schönsten.", wie schon einmal jemand gesagt hat, dessen Namen ich vergessen habe.

  • Erstmal ein Beileid an euch alle.
    Zum Glück ist mir sowas noch nie passiert. Darüber bin ich glücklich. Aber ich kenne zwei Leute, deren Opas gestorben sind. Beide sind im letzten Jahr gestorben. Der eine Opa ist Opa von meinen Halbbruder. Sein Opa väterlicherseits starb im Alter von vielleicht 75 Jahren an Krebs. Seine Oma väterlicherseits starb bereits im Jahre um 1995. Sie müsste damals 65 bewesen sein. Die andere Person ist der Opa meines Freundes. Dieser starb im letzten Jahr im Koma, nachdem dieser mehrere Schlaganfälle erlitt. Danach war mein Freund zwar kaum bei der Sache, kam aber trotzdem täglich zur Schule. Ich würde die erste Woche danac nicht zur Schule gehen. Erstmal würde ich versuchen, dass ganze zu verkraften.
    Mir ist es, wie schon erwähnt, noch nie passiert, dass ein Verwandter von mir gestorben ist, aber ich denke, dass es vielleicht in 5 oder vielleicht auch erst in 10 Jahren so sein wird. Denn meine eine Oma ist jetzt 70 und hatte auch schon mehrere Schlaganfälle. Gerade vor einem Monat war glaube ich der letzte. Sie musste danach zwei Wochen ins Krankenhaus und ist jetzt immer noch in einer Reha-Klinik. Meine andere Oma ist jetzt auch fast 70. Sie hatte zwar noch keine Schlaganfälle, raucht aber. Ich denke mal, dass das Rauchen den Tod immer näher bringt. Aber ich hoffe halt, dass beide es noch lange aushalten werden.
    Eine letzte Sache noch: meine beiden Opas sind zwar schon Tod, aber ich kannte beide gar nicht, da der eine knapp vor meine Geburt gestorben ist und der andere knapp danach. Ich habe also keine Erinnerung an beide.

  • Uff ein wirklich heikles Thema.

    Es ist immer hart jemanden zu verlieren, der einem wichtig ist. Das können nicht Menschen sein, das können auch Haustiere sein.

    Wenn ich so daran denke, was für eine Verbindung ich zu meinem alten Hund hatte und zu meinem jetzigen Humd habe, dann würde mir ein Verlust auch sehr wehtun. Klar kann man jz sagen, dass man sich ja ein neues Tier holt und dadurch diese Leere füllt. Es ist aber nicht das ein und selbe. Jedes Haustier hat auch einen anderen Charakter und ist individuell in mancher Hinsicht.

    Deshalb finde ich auch, dass man den Platz eines Haustiers nicht einfach wieder füllen kann.

    Das gilt natürlich umso mehr noch für einen Menschen.

    Aber nunnzu den Fragen:


    Habt ihr eine wichtige Person verloren?


    Ja vor fast 2 Jahren habe ich jemanden verloren. Habe mal etwas in einem Blog-Artikel dazu geschrieben.

    War kein schöner Zeitpunkt gewesen, auch wenn der Zeitpunkt für so etwas nie schön sein kann.

    Ich war zu dem Zeitpunkt 1 Woche im Studium in Berlin gewesen und bin dann zu meiner Tante. Nschdem wir alles geklärt haben und ich mein Reisemittel hatte, bin ich nachmittags direkt nach Hause geflogen. Mein erstes Mal Flugzeug war das.

    Letztendlich war da schon alles vorbei. Bin im Nachhinein immer noch froh, dass ich nicht mit angesehen habe, was da im Krankenhaus passiert ist. Ich finds sowieso schon schwierig genug.


    Wie geht ihr damit um? Seid ihr bereits darüber hinweg oder trauert ihr immer noch?


    Ich hatte damals 1 Woche Zeit damit umzugehen. Im Studium in Berlin dürfen wir keinen Urlaub nehmen und dss war dann doof, dass ich eine Woche daheim blieb, bis alles erledigt ist. Im Nachhinein hatte ich noch paar Probleme auf der Arbeit, aber das Recht ist da ja klar definiert und so musste ich Urlaub abgeben und länger arbeiten kommen.

    Ich bin die erste Zeit sehr schwer damit klar gekommen und komme auch jetzt noch sehr schwer damit zurecht.

    Jedes Mal auf dem Friedhof kommt es einem etwas unwirklich vor, dass vor einem ein Familienmitglied liegt. Eine Bekannte hat mir einmal ziemlich treffend gesagt: Wenn man jemanden verliert, dann kommt man mie ganz über die Trauer hinweg. Sie wird irgendwann weniger, aber sie bleibt immer da.

    So empfinde ich das auch. Denn vor allem mit Menschen, mit denen man sein ganzes Leben verbrachte, fehlen dann und vor allem wenn man mit ihnen unter einem Dach lebte, ist da auf einmal etwas, das einfach fehlt.

    Ich würde also sagen, dass man nie so ganz über die Trauer hinweg kommt.

  • Vor ein paar Jahren ist mein bester Freund gestorben... unerwartet und quasi von einem Tag zum anderen. War ein ziemlicher Schock, da er noch keine 30 Jahre alt war. Erst danach haben wir (als seine Freunde) erfahren, dass er wohl ein Problem mit Alkohol hatte. Das er viel trinken konnte - ja das wussten wir. Aber da wir alle mehrere hundert Kilometer auseinander wohnten und uns nur selten sehen konnten, wussten wir nicht, wie viel er wirklich trank. Und wenn man im TS mit einander spricht, bemerkt man das ja auch nicht. Tja... und dann ist er eines Tages einfach umgekippt und war tot. Wahrscheinlich Herzinfarkt.

    Überwunden? Naja... ich denke nicht mehr jeden Tag "oh das muss ich ihm erzählen" aber ab und an sieht man etwas und bekommt dann Flashbacks.


    Nicht ganz zu überraschend ist ein paar Jahre später dann auch mein Opa gestorben. Erst einen Herzinfarkt, dann noch einen, dann noch einen, dann einen schweren Schlaganfall, Lungenentzündung und drei Tage nach dem Todestag meines besten Freundes ist dann auch Opa gestorben. Ist kein schöner Monat, auch wenn bei ihm der Tod eher eine Erlösung war. Er konnte nicht mehr sprechen und schlucken, konnte kaum noch alleine stehen, von laufen will man gar nicht mehr reden und meine Oma war nicht gerade... vernünftig (bei Schluckstörung muss man bei Nahrung immer aufpassen... man muss quasi alles andicken, damit es nicht in so leicht in die Luftröhre kommt. Dazu konnte er auch nur noch schwer kauen, weswegen auch feste Nahrung nicht mehr ging. Er konnte also nur Brei essen. Und meine Oma machte ständig Suppen und nutze das Andickungsmittel nicht, weil "das schmeckt dann doch nicht". Wenn meine Mutter zu Hause war, hat sie sich darum gekümmert... aber sie war und ist eben in der Pflege tätig und ist daher regelmäßig mittags nicht zu Hause gewesen. Tja und dann ist dann wahrscheinlich mal was in die Lunge gekommen, was dann die Lungenentzündung ausgelöst hat).

  • Vor einiger Zeit - und uff, das war im Mai, dachte, das war irgendwann erst vor Kurzem - gab es im Bezug auf Feiertage einen Beitrag von Namine (falls du in dem Kontext nicht so hervorgehoben werden möchtest, bitte kurz Bescheid geben, ich schreib das dann um), deren Inhalt in mir bis heute resoniert. Es wäre in dem Kontext wahrscheinlich nicht richtig zu sagen, dass es "positiv" ist, aber auf seine Weise hat es auch wiederum gut getan von Namines Erfahrungen zu lesen, ein wenig daran erinnert, dass man mit manchen Gefühlen nicht alleine ist und noch wichtiger, dass sie in Ordnung und natürlich sind. Ähnlich ging es mir mit manch einem Blog-Eintrag von Mipha (auch hier: Wenn du nicht erwähnt werden möchtest, bitte kurz Bescheid geben). Es hat mich nun also Monate begleitet, der Gedanke, dass es vielleicht auch anderen gut tun könnte, von meinen Gedanken und Erfahrungen im Umgang mit dem Verlust eines Menschen zu lesen. Manche Gedanken sind für mich beschämend, einige kindlicher Natur. Genau aber aus diesem Grund möchte ich nun diesen Text schreiben und manch einer Person, die das liest, eine Bestätigung geben, dass man sowas nun mal fühlt als Mensch. Ein weiterer Grund ist wohl, dass es sich dieses Jahr im August zum 25. Mal gejährt hat und ich bis heute mit keiner Menschenseele darüber gesprochen habe. Die Erwachsenen in meiner Umgebung haben das irgendwie situationsbedingt verpasst, danach kam es zwar hin und wieder zur Sprache, aber immer nur als Erinnerungen Seitens meiner Mutter. Wie ich mit dem Thema umgegangen bin und wie es mir damit ergeht, das wurde nie besprochen. Und mit den Jahren und je älter ich wurde, ist das wohl auch in den Hintergrund gerückt. Das Thema ist zwar immer irgendwie präsent, wenn der Jahrestag oder Geburtstag kommt oder es Todesfälle in der Familie oder in einem Film, den man schaut, gibt, aber immer wird es so aufgegriffen, als ob es nichts mit mir zu tun hat. Und so habe ich mich auch daran gewöhnt, nie Eigeninitiative zu ergreifen und es anzusprechen. Tatsächlich wüsste ich auch gar nicht, wie ich das verbal ausdrücken soll, wenn ich schon beim Tippen Probleme habe.


    Es geht um meinen Patenonkel, der jüngeren Bruder meiner Mutter. Mein Patenonkel war DIE Bezugsperson für mich, der Mensch, der wohl neben meiner Mutter die meiste Zeit mit mir verbracht hat, bevor wir nach Deutschland zogen. Meine Familie/Verwandtschaft hatte keinen zu positiven Start mit mir und - wie drücke ich das aus? - die Begeisterung über meine Existenz hielt sich in Grenzen. Dadurch bedingt kam es auch zu Konflikten zwischen meinen Eltern und zu einer jungen und überforderten Mutter. Zumal ich auch am Anfang mehr Pflege bedurfte, weil ich aufgrund von Komplikationen bei der Geburt motorische und noch nicht abzuschätzende kognitive Schwierigkeiten hatte. Meine Mutter hat mich niemals vernachlässigt, mich wohl nach "Bilderbuch" gepflegt und als Kind gefördert, aber sie kam nicht umhin auch mal ihre Ruhe von mir zu brauchen, wenn alles zu viel wurde und das merkte ich. Und da war mein Patenonkel, der irgendwie immer da war, obwohl er bei meiner Geburt Jugendlicher und später junger Erwachsener war und sicherlich andere Freizeitpläne hatte. Aber es kam nie ein abweisendes Wort und ich durfte sogar mit im Freundeskreis dabei sein, wo ich ebenfalls mit Freude empfangen wurde. Ich erinnere mich noch an einige Treffen mit seinen Kumpels und wie ich einfach mit "abhängen" durfte. Ich mein, ich war ein Kindergartenkind und sie alle kurz vor dem Wehrdienst. Aber von Seiten meines Patenonkels kam halt nie eine negative Reaktion und ich fühlte mich immer 100% willkommen und konnte "laut" sein, konnte mit ihm reden, irgendwas fragen, Wünsche äußern. In Anwesenheit der restlichen Familie war ich eher immer bemüht, mich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Wie gesagt, mein Patenonkel war mein Mensch, mein Vertrauter und der Ort, an dem ich mich wohl fühlte. Ein halbes Jahr nachdem wir nach Deutschland gezogen sind, ist er ermordet worden. Er hat etwas erfahren, das er nicht wissen sollte und ist ins Visier der falschen Leute gekommen. Ist nach all den Jahren noch immer so absurd es auszusprechen, weil es etwas ist, das man in den Nachrichten hört oder in Filmen sieht, aber doch nicht selber im Leben erfährt.


    Ich hatte im Leben, teilweise mit dem Alter zusammenhängend, mehrere Phasen, wie ich damit umgegangen bin. Das ganze passierte in meiner Grundschulzeit und zu dem Zeitpunkt war ich noch, wie es in vielen religiösen Familien üblich ist, gläubig. An Gott zu glauben war normal, da es immer irgendwie Thema war. Somit hatte ich auch eine Vorstellung davon, dass man in den Himmel kommt, wenn man stirbt. Und das war auch eine Selbstverständlichkeit für mich, dass mein Patenonkel nun im Himmel war und mich von dort auch sehen konnte. Ich habe fortan nie zu Gott gebetet, sondern eben zu meinem Patenonkel. Gespräche mit ihm führen war auch normal für mich, wenn ich wen zum Reden brauchte und niemanden hatte. Tatsächlich habe ich mir das so sehr über die Jahre angewöhnt, dass ich Denkprozesse noch immer laut ausspreche, als ob ich mit wem anderen rede. Jetzt glaube ich zwar nicht mehr an Gott oder daran, dass mein Patenonkel mich so hören kann, aber es war immer so angenehm diese Gespräche zu führen, dass meine eigenen Reflektionen nach wie vor so ablaufen. Statt Gebet ist es jetzt eben ein Selbstgespräch geworden. Mit dieser Phase zeitlich überschnitten kam dann so das Alter zwischen 9-12, also noch vor der Pubertät. Ich habe manch einem hier schon mal erzählt, dass ich als Kind glaubte, wenn ich das (gekochte natürlich) Herz eines zubereiteten Tieres esse, dass es dann durch mich weiterleben kann (hinterfragt nicht die Logik. Ich war dumm und fand es schrecklich, dass unsere Kaninchen auf dem Bauernhof zubereitet wurden). Einen ähnlichen Gedanken hatte ich noch später, hier verbunden mit dem Gottesglauben. Irgendwann bildete ich mir ein, dass mein Patenonkel nicht einfach nur mich sieht, sondern mit mir und durch mich das Leben erleben kann. Er also direkt an meinem Alltag teilnimmt und so eben die Chance hat, auch etwas vom Leben zu haben. Also bildete ich mir auch ein, dass ich viel erleben sollte und mich mehr trauen muss, weil es ja nicht nur um mich geht und ich ihm nicht die Erfahrungen verwehren kann. Mit dem Ansatz bin ich dann auch in die Pubertät, was in schwierigen Zeiten einen positiven Effekt auf mich hatte. Ich bin, wie viele Jugendliche, nicht um die depressive Phase gekommen. Was genau alles vorgefallen ist, tut nichts zur Sache, aber mitten in der Pubertät, ungefähr während der Mittelstufe, kam es auch durchaus zu konkreten suizidalen Gedanken. Damit kam auch das große Aber in meinem Kopf. So wirklich gläubig war ich zwar nicht mehr, aber der Gedanke, dass mein Patenonkel durch mich lebt, hat seine Wirkung hinterlassen und wurde dann eben in der Zeit mehr zum Gedanken "Er konnte nicht leben, obwohl er wollte, also stell du dich nicht so an. Das bist du ihm schuldig; er würde wollen, dass du mehr erlebst.". Das hat sich auch mittlerweile in anderer Form festgesetzt, sodass ich es darauf anlege, auch viel zu erleben und nicht zurückzuschrecken, wenn neue Erfahrungen einem erstmal Angst machen. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich spirituell davon ausgehe, dass tatsächlich mein Patenonkel etwas davon miterlebt, dennoch motiviert es mich auf irrationale Weise mit mehr Optimus jeden Tag anzupacken. Letztendlich weiß ich von ihm, dass er ein lebensfreudiger Mensch war und es fühlt sich so verschwendet an, wenn ich die Tatsache, dass ich noch lebe, nicht nutze.


    Ich weiß nicht, ob es mit der Pubertät zusammenhängt und der erhöhten Aggressivität, die man als Jugendlicher durchaus verspürt. Ich weiß auch nicht, wann der Gedanke das erste Mal kam. Aber ich habe Tagebucheinträge, da war ich schon 16, die im ernst und konkret den Wunsch äußern, dass ich die Mörder meines Patenonkels finden und töten möchte. Natürlich war das nie ein realistischer Gedanke, aber es war einer, der mir zum damaligen Zeitpunkt das Gefühl gab, dass es eine gute Lösung wäre, wenn jemals die Chance kommt. Einen vernünftigen Prozess gab es nie. Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion war Kasachstan in keiner guten politischen Lage und Korruption war ein anerkanntes Werkzeug in Ämtern und staatlichen Institutionen. Die Leute haben kaum Geld verdient und so waren "extra Geld", Mangelware oder Lebensmittel nichts negatives. Aber damit wurden eben auch ungern Fälle nachverfolgt, in denen ärmere Familien involviert waren und erst recht dann, wenn von Seiten der Verdächtigen etwas Geld kam. Es war ein offenes Geheimnis in der Kleinstadt, wer und warum, aber es gehörte auch so zum Alltag, dass man sich kaum drum kümmerte. Selbstjustiz schien mir in dem Alter als die einzige Option, die mir die Welt übrig ließ und rückblickend ist es schon mit Schamgefühl verbunden, wie fest ich an dieser Idee hing. Obwohl ich den Gedanken nachvollziehen kann, auch vor allem bei anderen Menschen, ist es aus meiner heutigen Perspektive eher ein Überbleibsel von "Jugendsünden". Und doch war es fester Bestandteil von den Dingen, über die ich im Alltag nachgedacht hatte. Das hat sich später durch meine Großmutter - die Mutter meines Patenonkels - stark verändert. Obwohl sie ein undankbares Leben hatte, einiges vorgefallen ist, was niemals hätte sein sollen, ist sie mit zunehmenden Alter großmütiger und großherziger geworden. Der Tod meines Patenonkels hatte natürlich allgemein Einfluss auf meine Familie, mütterlicherseits, aber auf meine Großmutter psychisch wohl den größten. Mein Patenonkel war ihr jüngstes Kind und der einzige Sohn. Nach der Beerdigung musste sie für mehrere Monate eingewiesen werden und es dauerte, bis sie zum Alltag wieder zurückfand. Ich kann gar nicht in Worte fassen, welchen Respekt ich für diese Frau empfinde und wie beeindruckend ihre Einstellung in den letzten 20 Jahren ihres Lebens für mich war. Nicht nur, dass sie den Gedanken von Rache gar nicht hatte, sie vertrat die äußerst überzeugte Ansicht, dass mehr Leid niemandem hilft und man Frieden mit sich schließen muss. Ich beobachtete sie mal im Umgang mit der Mutter eines der Täter, als wir zufällig mal aufeinander trafen und nicht nur, dass es keinerlei Feindseligkeit seitens meiner Großmutter gab, sie schien bemüht, dass sich die Frau nicht völlig unwohl in ihrer Anwesenheit fühlen musste. Allgemein war Großmutter jemand, der keiner Menschenseele etwas Böses wünschte auf Basis der eigenen Erfahrungen, weil sie eben wusste, wie es ist, Schlechtes zu erleben. Und während ich genau wusste, wie einfach es ist irgendwen zu hassen und wütend auf die Welt zu sein, erfordert es in meinen Augen eine enorme Stärke, um mit diesen Gefühlen abzuschließen und darüber zu stehen. Ich denke nicht, dass ich jemals das Level meiner Großmutter erreichen werde, die damit so über wirklich allem stand und eine innere Ruhe ausstrahlte, aber es hat ausreichend Eindruck hinterlassen, dass ich genau danach streben möchte. Zumal ich dann mit den Jahren auch erfahren durfte, dass der Tod der Täter - der dann tatsächlich eingetreten ist - keinerlei positive Veränderung für mich brachte. Im Gegenteil, während ich vorher noch irgendwie die Hoffnung haben konnte, dass irgendwer da draußen, der mir meinen Patenonkel genommen hat, vielleicht eventuell hin und wieder die Tat bereut oder daran zurückdenkt, stehe ich jetzt an einem Punkt, wo keiner, der dabei war, übrig ist und es fühlt sich falsch an. Schwierig zu beschreiben, als hätte wer einfach mit der Geschichte meines Patenonkels abgeschlossen und ich bin noch absolut nicht bereit, dass sie endet. Jedenfalls hat das wohl den meisten Einfluss auf mich genommen und in vielerlei Hinsicht meine Welteinstellung und meinen moralischen Kompass geprägt.


    Heutzutage, selbst 25 Jahre später, erwische ich mich im Alltag manchmal dabei, wie ich einfach wütend bin, dass er nicht da ist. Nicht auf jemanden, sondern einfach wütend ins Leere. Vor allem dann, wenn wichtige Dinge in meinem Leben passieren oder mir eine Person fehlt, bei der ich das Gefühl habe, ich könnte ihr alles erzählen und alles aus meinem Leben würde diesem Menschen Freude bereitet. Und dann werde ich wütend, weil ich es ihm nicht erzählen kann und absolut keine Möglichkeiten habe, daran irgendwas zu ändern. Und das fühlt sich wiederum nach Hilflosigkeit an, was mich nur wütender macht. Auch Situationen, wenn in meiner Familie väterlicherseits wichtige einschneidende Dinge passieren und ich etwas abseits stehe, weil die Distanz da nie so richtig reduziert wurde, tut es weh daran zu denken, dass mein Patenonkel jetzt vielleicht eine Familie hätte und ich ein relevanter Teil davon wäre. Dass es Dinge gibt, die anders hätten verlaufen können, die ich anders erleben würde, weil er da wäre, um mit ihm zu teilen. Das ist oft ein seltsam ermüdendes Gefühl, weil es sich einfach gegen niemanden richtet, sondern da ist und ich nicht einmal weiß, ob es ein Ventil dafür gibt. Läuft letztendlich darauf hinaus, dass ich alle paar Monate einfach mal einen Tag weinend zusammenbreche und all diese Gedanken auf einmal einstürzen lassen und danach geht es wieder.


    Falls es also wen gibt, der ähnliches oder doch ganz anderes aufgrund eines Verlustes empfindet und nicht weiß, bei wem sier das ansprechen könnte, obwohl das Bedürfnis da ist, kann man mich gerne anschreiben. Ich kann es gar nicht einschätzen, ob meine Textwand irgendwem irgendwie hilft, aber da es mir gut getan hat, von den Erfahrungen anderer zu lesen, lasse ich das jetzt mal so in der Welt stehen. Zumal es ja dann doch mal Zeit wurde, das in irgendeiner Form nach 25 Jahren endlich anzusprechen.


    .: Cassandra :.

  • Mipha

    Hat das Label Ihr über euch hinzugefügt.