Die rote Kugel
Hideaki hielt sich im Schutze der Finsternis. Eine angenehme Brise durchzog die Nacht. Der Magier war froh darüber die Außenwelt wieder einmal zu sehen. Selbst Alltägliches, ja manchen gar Lästiges, kamen ihm wie ein Wunder vor. Für einige Sekunden genoss er die Natur, welche sich ihn selbst von kleinsten Seiten zeigte, bevor seine Gedanken erneut zu dem Geschehen abschweiften. Verunsichert sah Hideaki sich zu allen Seiten um. Auch wenn die Nacht auf den ersten Blick ruhig erschien, so waren in der Umgebung mehr als fünfzehn Team Magma Mitglieder positioniert worden.
Die weinroten Augen blieben nicht weit entfernt von ihm haften. Hinter dieser Hausmauer versteckte sie Itoe, das von ihm geliebte Mädchen. Er merkte wie seine Hände sich unwillkürlich zu Fäusten ballten. Rin, befohlene Einsatzleiterin, wusste um die Gefühle beider füreinander bescheid. Aus diesem Grund entschied sich die kaltherzige Commandantin das zierliche, für eine Trainerin wehrlose Mädchen mitzunehmen. Schon fast schmerzhaft gruben sich seine Finger in die Handflächen. Hideaki spürte eine dunkle Magie in sich aufwallen. Sobald Itoe etwas geschah, würde Rin dafür sterben müssen! Dies versprach er sich!
„Hideaki“, flüsterte eine ihm allzu vertraue Mädchenstimme fürsorglich.
Itoe war von ihrem Versteck aus zu ihrem Geliebten gehuscht. Sie wollte ihn unbedingt sehen! Bei ihrem Anblick verebbte sein Zorn. Liebevoll nahm er ihre Hände in die Seine. Sie zitterten!
„Aber Itoe“, flüsterte er. „Du zitterst ja. Hast du denn eine solch große Angst?“
Sie antwortete nicht, doch ihr nervös in der Gegend umherwandernde Blick erzählte ihm mehr als tausend Worte.
„Ja“, hauchte sie schließlich ängstlich und drückte Hideakis Hände fester. „Ich habe solche Angst!“
Sie wollte sich von dem Magier beschützen lassen. Hideaki konnte dies ganz bestimmt. So fiel sie ihm in die Arme. „Warum hat mich Rin hierher geschickt?“
„Das kann ich dir nicht beantworten“, seufzte jener.
Itoe merkte wie sich eine der liebevollen um sie geschlungenen Arme kurz löste. Neugierig sah sie
zu ihn an. „Nimm das hier!“, forderte er sie auf.
Ein goldenes Amulett, kaum größer als seine Handfläche, schimmerte im einfallenden Mondlicht.
„Das ist ein Schutzamulett“, wurde ihr erklärt.
Er deutete ihr an, sie solle sich von ihm lösen. Hideaki band ihr den schützenden Anhänger um den Hals. Seine Liebste sah fabelhaft aus! Das goldene Schmuckstück unterstrich ihre liebliche Schönheit.
„Dieses Schutzamulett ist nicht nur ein hübsch anzusehendes Schmückstück. Es bewacht das Glück verliebter Pärchen. Und so wird meine Magie, die darin schlummert, über dich wachen“, hauchte der Magier.
„Wenn du es sagst, dann werde ich ganz fest daran glauben.“ Zur Bestätigung nickte Itoe entschlossen.
Mit einem zärtlichen Kuss auf die Wange wurde sie wieder verabschiedet. „Und jetzt geh zurück auf deinen Platz, bevor Rin bemerkt, dass du nicht dort bist.“
Er sah ihr solange nach bis sich ihre Konturen endgültig mit der Dunkelheit der Nacht vereint hatten.
„Wenn wir die blaue Kugel nicht bekommen, dann doch wenigstens die Rote!“ Rin setzte sich neben Hideaki. „Damit bestechen wir Team Aqua.“
Der Magier blickte starr auf das vor ihnen liegende Gebäude. Es schien aus Eisen gebaut worden zu sein. Jedenfalls verlieh es der inneren Stadt Metarosts eine gewisse Kälte. Das Gebäude wirkte wie ein stählerner Käfig. Hideaki hatte sich erkundigt. In diesem Haus befanden sich wertvolle, unbezahlbare Schätze. Der größte von ihnen stellte die rote Kugel dar.
„Ich erkläre dir wie alles vor sich gehen wird.“ Der Tonlage ihrer Stimme verhieß nichts Gutes. Kalt, unberechenbar und gefühllos.
„Itoe wird durch den unterirdischen Wasserkanal kriechen.“ Die Commandantin belustigte sich an den erzürnten Blicken des Magiers. Sie faltete den Plan des Gebäudes auseinander und deutete auf die von ihr angegeben Stellen. „Hier an dieser Stelle..“ Ihr Finger tippte den Keller an. „…ist ein Zugang zum Gebäude. Die Regierung hat bei dem Bau an alles gedacht, doch mit dem haben sie nicht gerechnet.“ Rin grinste selbstgefällig. „Ich habe das entdeckt. Dark, willst du denn nicht wissen wie?“ Hideaki hasste den süffisanten Unterton in ihrer Stimme!
„Wie?“, zischte er schließlich.
„Ich habe Arbok durch die Abwässerkanäle von Metarost geschickt. So habe ich schließlich einen Plan von dem Netz anfertigen können. Natürlich habe ich mit einem solchen Eingang gerechnet.“
Ihre Hände machten eine abweisende Bewegung. „So und jetzt weiter. Itoe…“ Rin merkte wie sich bei ihrem Namen Hideakis Hände zu Fäusten ballten. „...wird mir dann bescheid geben. Und den Rest des Planes kennst du ja bereits.“
„Warum soll das ausgerechnet Itoe machen?“ Hideaki war sichtlich bemüht die Fassung zu bewahren. Einige magische Flüche lagen ihm erneut auf der Zunge. Ein Wort von ihm und… Er lächelte ironisch. Es war die Wahrheit. Worte waren Macht, überhaupt wenn man große magische Fähigkeiten besaß.
„Weil ich es so entschieden habe“, gab Rin schulterzuckend zurück.
Es wäre so einfach gewesen die Flüche zu sagen, für den mächtigsten Magier Hoenns eine Leichtigkeit! Und doch bewegten sich seine Lippen nicht.
„Könnte ich dich denn umstimmen?“
Rin wusste nur zu gut über seine Macht bescheid. Dennoch schien sie ihn nicht zu fürchten. „Wie willst du das erreichen?“
Worte waren für den kleinen Zauber nicht nötig. Schwarze Energie umgab seine Vorgesetzte. Mit jedem Augenblick schlang sie sich ein wenig enger um Rins Körper. Simsalas störende Stimme der Vernunft hallte in seinen Gedanken wider. Warum nahm er das Pokemon auch immer mit sich? „Hideaki, das lässt du bleiben!“
Bevormundend war das Pokemon auch noch!
„Ich weiß was ich da gerade tue!“, gab er ärgerlich zurück.
„Anscheinend nicht!“, donnerte sein Partner. „Lass das sein, ich bitte dich!“
So rasch die schwarze Aura sich gebildet hatte, so rasch verging sie auch wieder. Doch Rin schien umgestimmt. „Ich werde sehen was sich machen lässt“, murmelte sie wütend und begab sich wieder zurück.
Nun war es Hideaki, der selbstgefällig lächelte. Simsala fand keinen Gefallen daran seinen Willen durch Magie durchzusetzen, doch es war besser, wenn Rin Respekt vor ihm hatte und so Itoe nichts geschah. Das Pokemon hatte seltsame Moralvorstellungen. Es kam mit seiner Macht der Hideakis fast gleich und dennoch machte Simsala kaum davon Gebrauch. Sein Trainer verstand ihn nicht!
Wolken schoben sich vor den Mond und waren in der kurzen Zeit von silbrigen Konturen umgeben. Ein Schwalbini flog ihm entgegen. Für manche Menschen ein Vogel, der es versäumt hatte rechtzeitig zu seinem Nistplatz zurückzukehren für Hideaki und all den anderen Team Magma Mitgliedern ein ausgemachtes Zeichen. Nun sollte sich zeigen, ob Team Magma Oberhand über ihre Gegenspieler ergreifen sollten. Mit der roten Kugel sollte sich alles ändern!
Zehn Minuten noch. Dann würde das Gelingen der Mission von dem Magier abhängen.
Gespannt sah Hideaki auf die positionierten Nachtwächtern. Wie undurchdringliche Barrieren standen sie vor der Tür. Eine Ewigkeit lang musste er sich damit abgelenkt haben, doch es waren bloß neun Minuten. Und nun hing alles von Hideaki und Simsala ab.
„Bereit?“, flüsterte der Trainer und fuhr mit seinen Fingern kurz über den Knopf des Pokeballes. Ein roter Lichtstrahl materialisierte sich allmählich zu Simsala, seinem Partner. Teile seines gold-ockerfarbenen Körpers überzog braunes Fell. Wie bei einem Drachen neigten sich Fellbüscheln zu beiden Seiten der Wangen herab. So standen ihm auch vom Kopf zwei ockerfarbene Hörner ab. Auch wenn Simsalas Körper an einen Menschen erinnerte, sein Gesicht wies in keinster Weise solche Züge auf.
„Natürlich“, gab er in Gedanken zurück und legte einen Arm um Hideaki.
Rasch hatte sich das in Magie geübte Pokemon in das Gebäude teleportiert. Schon hatte er gehört, dass Menschen davon schwindelig wurde, doch sein Trainer schien gar desinteressiert daran.
In einem dunklen, leeren Raum fanden sich die beiden wieder. Bloß die verschwommenen Konturen einiger Computer waren zu erkennen.
Direkt zu der roten Kugel konnten sie sich nicht teleportieren, denn sein Team nahm an, dass überall in dem Raum Laserstrahlen eingerichtet worden waren. Zuerst mussten sie an den Hauptcomputer gelangen. War dieser ausgestellt, konnten sie seelenruhig die rote Kugel an sie bringen. Ihr Fehlen sollte erst am nächsten Tag auffallen. Theoretisch…
Hideaki sah sich um. Offenbar befanden sie sich in dem richtigen Raum. Überall standen Schreibtische auf denen Computer platziert worden waren. Doch welcher stellte den Schlüssel zu Team Magmas Triumph dar? Waren sie vielleicht doch nur in einem normalen Arbeitszimmer?
„Hideaki, wir sind hier nicht richtig“, übertrug Simsala seine zweifelnden Gedanken und teilte jene mit seinem Trainer.
„Wo wären wir denn richtig?“, gab er leise fauchend zurück.
Die ganze Zeit waren seine Gedanken bei Itoe. Hielt Rin ihr Versprechen? So wie Hideaki sie kannte, tat sie dies nicht.
Vorsichtig legte der Magier seine Hand auf die Klinge der Tür. Er wusste nicht mit was er rechnen konnte. Selbstverständlich war es ein Leichtes für ihn sich unsichtbar zu machen, doch in einen solch modern ausgerüsteten Sicherheitstrakt war er noch nie eingebrochen. Zögernd drückte er die Schnalle nach unten. Hatte ihn jetzt schon jemand bemerkt? Wo stand der Zentralcomputer? Hideaki schluckte schwer, langsam breitete sich ein Gefühl der Nervosität in seiner Magengegend aus. Ein unangenehmes, drückendes Gefühl.
Das Bild von Rins Lageplan schoß ihn wieder in den Gedanken. Er befand sich direkt neben seinem ziel, der roten Kugel. Ein Panzer aus Stahl und hoch moderner Technik umgab sie, da die blaue Kugel schon abhanden gekommen war. Der Magier wollte es nicht riskieren zuvor durch das gesamte Gebäude zu huschen.
„Tu das nicht!“, warnte Simsala. „Rin mag gefühlskalt und skrupellos sein, aber sie weiß was sie tut. Nicht umsonst nennt man sie ‚die Meisterin der Pläne’.“
„Halt die raus!“, flüsterte Hideaki bloß eindringlich und verschickte sodann eine Nachricht an all seine Kollegen. ‚Planänderung von mir, begebt euch so schnell wie möglich wieder hinaus aus dem Gebäude. Dark.’ Wer sich an seine Anweisungen nicht hielt war selbst schuld…
Itoe würde sich ihm bestimmt nicht widersetzen, doch Rin hätte es getan. Hideaki schmunzelte. Wenn sie von der Polizei verhaftet wurde, war sie nicht mehr bei Team Magma. So dringend wurde sie nicht gebraucht. Es gab bei all den Team Magma Mitgliedern noch genügend andere kluge Köpfe, welche zudem noch Moral und Emotionen besaßen.
Der Magier wartete bis mehrere Minuten verstrichen waren…vor allem um Itoes Willen. Er musste sich sicher sein, dass seine Geliebte schon längst geflüchtet war. „Es sind fünfzehn Minuten vergangen“, erinnerte Simsala. Das Pokemon stellte für seinen Trainer eine Plage da!
Hideaki seufzte auf. Sein Partner behielt Recht, mehr Zeit durfte er wirklich nicht mehr vergehen lassen. Verwundert hielt der Zauberer Team Magmas inne. Die Tür selbst war aus standhaftem Stahl angefertigt worden. Nein, dies war bestimmt kein gewöhnliches Arbeitszimmer!
Ein einfacher Zauber sollte für das Aufspringen der Sicherheitstür sorgen, doch seit diesem Erkenntnis war er noch unsicherer geworden. Schritt für Schritt betrat er den dunklen Gang. Am Tag beleuchtete Lampen hingen von der Decke, zu beiden Seiten fanden sich Verzweigungen.
Doch die Tür, in dessen Raum sich die rote Kugel befand, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Neugierig legte der Magier eine Hand auf das kühle Metall. Sie war aus Titan erbaut worden. Für einen Einbrecher sollte die Tür aus Titan eine unüberwindbare Barriere darstellen, doch für Hideaki und seinen Pokemonpartner war es ein Kinderspiel in den Raum zu gelangen.
Simsala ließ die Tür aufschwingen einer normalen Haustür gleich. Eine schwache Psychokinese hatte gereichet um das Schloss zu entriegeln.
Schließlich sah er den wundervollen Gegenstand. Wie ein leuchtender Rubin, nein wie die Sonne selbst, erhellte die rote Kugel den dunklen Raum. Sie war in eine Glaskuppel gesperrt worden. Überall um sie befanden sich Alarmanlagen. Sicherlich waren sie so programmiert worden, dass sie sofort die Tür verschlossen. Hideaki lächelte. Er war ein Magier so wie Simsala auch. Türen waren nicht unbedingt nötig für sie.
„Nimmst du sie etwa gleich an dich?“, wollte Simsala wissen.
Das Pokemon spürte seine Unsicherheit. Er glaubte sogar die Hände seines Trainers leicht zittern zu sehen. Und doch stellte sich der Magier mehr oder weniger professionell seiner Aufgabe.
Hideaki schüttelte den Kopf und murmelte leise Worte der Macht. Ein goldener Schimmer leuchtete in der Glaskuppel auf. In dem nächsten Augenblick fand sich die rote Kugel in seinen Händen wider, doch mit diesem Ereignis ertönte eine warnende Sirene durch das Gebäude. Simsala sah wie die weinroten Augen seines Trainers unsicher durch den Raum, hinaus auf den Gang schweiften.
„Bring mich hier weg“, sagte er schließlich panisch.
Die Rufe aufgebrachter Nachtwächter hatte ihn zur Eile animiert. Rasch umfasste Simsala die Handgelenke seines Partners und noch während sie sich in Sicherheit teleportierten erfreute sich der kleine Bruder des Team Magma Anführer einer gelungenen Mission!