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Information | Vote | Gewinner
Ähnlich wie im letzten Jahr gibt es auch dieses Jahr wieder eine bestimmte Anzahl an Punkten, die ihr den Texten zum Thema "Freie Kurzgeschichte" (Merkmale einer Kurzgeschichte sind im Informationstopicbeschrieben) geben könnt. Dabei ist zu beachten, dass ihr frei wählen könnt, wie genau ihr die Punkte verteilt und welche Texte mehr Punkte als andere bekommen. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten. Schreibt ihr einen besonders guten (hilfreich und gut durchdachten. Der Inhalt ist hier ausschlaggebend und nicht die Länge!) Vote, so habt ihr die Chance durch das FF-Komitee mit einem von drei Plätzen ausgezeichnet zu werden, die euch ebenfalls Punkte auf der Saisontabelle einbringen können. Hierzu ist es hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen zur Wettbewerbssaison 2013
Ihr könnt 7 Punkte verteilen
Der Vote läuft bis Samstag, den 19.10.2013, um 23:59 Uhr.
So stand er nun da, das Messer in der Hand und auf’s äusserste gespannt. Es hat viel Zeit gekostet bis hierher zu kommen, doch nun endlich, nach mehreren Stunden des Arbeitens, war er am Ziel. Langsam erhob er das Messer und machte sich bereit. „Nach diesem Abend werden sie sich nicht mehr über mich lustig machen.“, dachte er. Das Messer fuhr nieder und er schnitt das erste Stück vom Schweinebraten.
Er hatte seine grosse Liebe zum essen eingeladen, weswegen er ein wahres Festmahl auf den Tisch gezaubert hatte. Um acht Uhr würde sie kommen. „Heute Abend wird nichts schief laufen.“, dachte er sich. Wenn er zu diesem Zeitpunkt doch nur gewusst hätte wie falsch er damit lag. Schon klingelte es an der Tür und er ging aufgeregt zur Tür und öffnete diese. Vor der Tür stand eine grossgewachsene Frau mit langen blonden Haaren welche mit leichten Locken über ihre Schultern wallten. Einige Strähnen zogen sich über ihr Gesicht aus welchem leuchtende, hellblaue Augen strahlten. Sie war eine durch und durch hübsche Frau wie man sie nur selten zu Gesicht bekam. Es war die Postbotin welche ihm einen Brief in die Hand drückte und sich darauf verabschiedete. Etwas enttäuscht dass es nicht seine Flamme gewesen war schloss er die Tür und setzte sich an den Esstisch auf welchem der dänische Schweinebraten vor sich hindampfte und den ganzen Raum mit einem wohligen Geruch füllte.
Die Uhr schlug Acht. Es war eine schöne Kuckucksuhr in welcher anstelle des Kuckucks ein kleiner Elefant verarbeitet war. Das lustige daran war, dass die Uhr trotz des Elefanten immer noch ein Kuckucksgeräusch von sich gab. Doch er hatte keine Zeit um dem kleinen Elefanten zuzuschauen, denn es klingelte erneut. Voller Erwartung ging er an die Tür und öffnete diese mit einem breiten Lächeln. Vor der Tür jedoch stand niemand und er sah gerade noch wie zwei Kinder welche am Ende der Strasse um die Ecke rennen. Niedergeschlagen schloss er die Tür und blickte zum Esstisch als ihm die Kinnlade herunterfiel. Sein Werk, komplett Zerstört, die stundenlange Arbeit umsonst. Auf dem Tisch! Auf dem Braten! Wie konnte er nur! Er würde ihn würgen, ihn zerdrücken, ihn zerreissen und ganz und gar auslöschen! Doch nein. Er mochte seinen Hund. Auch wenn er nun den ganzen Braten voll gesabbert hatte. Doch obwohl er seinen Hund über alles liebte fuhr er ihn forsch an so dass er sich in ein anderes Zimmer verzog.
Zerstört, zerstört, zerstört. Was sollte er nur tun. Der braten schien nun ungeniessbar und er konnte doch nicht ein Dinner ohne Essen veranstalten. Schon nach kurzem kam ihm eine zündende Idee. Er würde Pablo, seinen Freund, welcher Chefkoch in einem Restaurant war, anrufen und ihn Bitten ihm ein leckeres Essen vorbeizubringen. Pablo half seinem alten Freund gerne aus und sagte, er würde bald mit dem Essen vorbeikommen.
Es war nun schon neun Uhr und langsam begann er sich sorgen zu machen. Würde sie überhaupt noch kommen? Hatte sie ihn vergessen? Hatte sie ihn nur verarscht? Er wusste es nicht, doch seine Stimmung verschlechterte sich immer mehr. Es hätte der perfekte Abend werden sollen, doch nun lag alles in Trümmern. Doch plötzlich klingelte es an der Tür. Seine Mine hellte sich schlagartig auf und er hüpfte fast schon zu der Tür. Mit einer fliessenden Bewegung riss er die Tür auf und davor stand Pablo welcher ihm das Essen brachte. Doch leider war ihm etwas entfallen. Pablo war zwar Chefkoch, doch arbeitete er in einer Dönerbude. So sass er nun am Tisch mit 2 Dönern auf dem Tisch und wartete immer noch darauf, dass seine Flamme erschien.
Er wachte auf als es an der Tür klingelte. Als er die Augen öffnete lag er mit dem Gesicht in einem Döner. Es klingelte erneut und er richtete sich auf. Noch leicht verschlafen wischte er sich das Fleisch aus dem Gesicht und ging zur Tür. Er öffnete die Tür und da war sie, so schön wie immer. Er stürzte auf sie zu und umarmte sie während die Elefanten-Kuckucksuhr im Hintergrund acht Uhr schlug. Danach ging er mit ihr zusammen ins Haus und schloss die Tür. Ihm würde wegen dem fehlenden Essen schon etwas einfallen.
Vorwort: Wenn Pokemon in Wirklichkeit eine Postapokalyptische Zukunft ist.
Das Pokemon-Projekt der alten Welt
Ein Treffen von Kollegen
*RingRing* *RingRing* *Klick*
"LE BELLE AM APPARAT, WER WURDE NOCH NICHT GEFUNDEN? WEN .."
"Le Belle"
".. MUSS ICH NOCH SUCHEN? FÜR DIE INTERNATIONALE P .."
"LE BELLE!"
".. OLIZEI WERD ICH NICHT RUHEN BIS G-CIS GEFUN .."
"LE BELLE!!! G-Cis ruft sie gerade an! Sie können ihre Rolle mal vergessen."
"Ah, entschuldigen sie, auch wenns manchmal nervt man ist so drinnen, hättet ihr euch nicht eine ernstere Rolle für mich ausdenken können?"
"Sie haben die ernsteste Rolle seit Jahren, ich mein in Polizist der mal nicht Stereotypisch dick ist? Denken sie an die Arenaleiter oder an mich. Ich musste einen Haufen Irrer leiten und den Bösen spielen."
"Ja, sie haben ja recht."
"Und sie haben gute Arbeit geleistet, alle 7 Spinner gefangen nachdem sie mir so glorreich durch die Lappen gegangen sind. Wo sind sie gerade?"
"Rainor City in meinem Büro."
"Gehen sie mal zum Teleporter."
"Willkommen in der Neuen Zentrale Le Belle, ach hier kann ich noch Herr Bauermeier sagen, sind nur Wissende hier im Moment noch. Kommen sie mit."
Die 2 Männer verlassen den Teleporter Raum und gehen den Unterirdischen Gang auf eine Treppe zu.
"Zurück zu unserer Unterhaltung Herr Carlot. Wissen wir jetzt schon wer dahintersteckt?"
"Nein, immer noch nichts die Befragung hat nichts ergeben, und aus meiner Zeit als G-Cis wissen sie ja schon das es keine Ergebnisse gab."
"Viellicht gibt es wirklich keiner Hintermänner, und die Organisation ist rein aus dem Leben im Projekt entstanden."
Ich will trotzdem nicht glauben das diese Organisationen rein zufällig in so einer Regelmäßigkeit alle 1-2 Jahre entstehen, irgendjemand versucht das System zu untergraben und zweifel zu sähen, aber er machts unterschwellig, warum nicht direkter? Etwas das wir nicht hinbiegen können? 3 mal auf Holz klopfen, aber ein Bombenanschlag könnten wir nicht ins Projekt einbinden."
"Ich hab Giovanni eh nie verstanden."
"Schon wieder, ich weis das sie Giovanni dahinter vermuten aber sie wissen auch das ich das für sehr unwahrscheinlich halte, Giovanni ist ein Ehrenmann der das Duell schätzt und akzeptiert wenn er verloren hat."
"Was macht sie da so sicher?"
"Das er trotz seines wissens über die alte Welt immer dicht gehalten hat und nie die Grundlegenden Spielregeln des Projekts verletzt hat"
"Dennoch ist er untergetaucht, vielleicht denkt er Runde 2 ist gestartet"
"Wir werden sehn, im fortschreitenden Terraforming müssen wir Ihm irgendwann begegnen"
Le Belle und G-Cis kommen ans ende der Treppe, das Erdgeschoss ist deutlich geschäftiger, alles scheint sich auf etwas vorzubereiten.
"Wo befinden wir uns jetzt eigentlich?"
"Das ehemalige Frankreich, genauer Paris, den Aufzeichnungen folgend, beziehungsweise wird der neue Name Kalos sein und die Stadt wird Illumina City heißen. Wenn sie wollen können sie ja mal ins Genlabor schauen, die ersten Pokemon für diese Klimazone sind schon gezüchtet und auch das Terraforming ist fast abgeschlossen, bald können wir mit der Besiedelung beginnen, ich denke wir werden rechtzeitig zum Oktober auch hier starten."
"Na dann viel Erfolg damit, dass das Pokemon Projekt auch hier eine friedliche Welt erschafft."
"Unglaublich wo der Sozialismus über 2 Jahrhunderte lang gescheitert ist, haben wir in nichtmal 5 Jahrzehnten geschafft."
"Die hatten auch nicht die Technik Herr Carlot."
Zeit heilt alle Wunden, befreit einen Menschen langsam von den immer wiederkehrenden Alpträumen vergangener Schicksalsschläge und öffnet so allmählich wieder die Sicht auf eine nur vermeintlich bessere Zukunft.
Gern hätte ich diese Worte bestätigt, sie der gesamten Menschheit verkündet und in vollsten Zügen diese innere Überwindung genossen.
Doch es ging einfach nicht.
Weil es falsch war.
Unmöglich.
Für mich eine dreiste Lüge.
Ewigkeiten lag es zurück, drei Jahre war es nun schon her.
Ganze sechsunddreißig Monate konnte ich nicht begreifen, überhaupt nicht verstehen und beim besten Willen nicht ertragen. Nein, wahrscheinlich würde es nie wirklich enden. Denn noch immer wollte ich es nicht akzeptieren, nie einfach annehmen und auf keinen Fall weiterleben. Mit dieser Leere. Mit diesem Schmerz.
Nein.
Auf keinen Fall.
Jede Minute nagte die Trauer an mir, vor langer Zeit erweckte Verzweiflung, die unaufhaltsam meinen Körper zerfraß. Schleichend nur, aber kontinuierlich. Wie ein lästiger Parasit, der den Wirt nicht mehr brauchte.
Ja, es klang schlimm, übertrieben vielleicht sogar, doch vergiftet war mein Körper ohnehin schon vor langer Zeit…
Vergessen als Möglichkeit der Rettung, die Gedanken einfach so begraben und nach vorn blicken?
Das kannte ich nicht. Das gab es nicht. Nicht für mich.
Bei mir: Nur Erinnerungen. Tiefe Bindungen, die mich abhielten davon, etwas anderes - neues, schönes, prächtiges - zu tun.
Der Kampf dagegen war umsonst. Dennoch, schon wieder der Versuch: Mit aller Kraft versuchte ich die Gefühle zu unterdrücken, mich abzulenken und die schönen Seiten kennen¬zulernen. Irgendwo Freude zu finden. Facetten des Lebens zu spüren, die ich vor langer Zeit aus dem Blick verlor, nun suchte. Genau wie den Grund, im Leben noch immer ein Geschenk zu sehen.
Denn auch das war falsch - Leben war ein Fluch.
Zumindest ohne dich.
Ohne das Kostbarste auf der Welt.
Fremde Hilfe? Nein, niemand verstand das Leid, keiner konnte mich retten. Aus dem tristen Grau der Einsamkeit, dem Meer aus tristem Grau, das schlimmer wurde. Immerzu. Jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr. Schlechter, nie besser.
Ja, ich hatte gewusst: Abschottung bedeutet Tod. Wer allein ist, zerbricht schon an dem kleinsten aller Problem. Diesen Weg hatte ich trotzdem gewählt, war einfach nicht mehr in der Lage gewesen sie zu sehen. Die Freude der Anderen.
Liebespärchen, zärtlich umschlungen. Familien, glücklich vereint.
Auf den Straßen hatte ich sie gesehen, vor langer Zeit das letzte Mal.
War ich wirklich krank? Besessen von der Vergangenheit, die hinter mir lag. Oder war es das Leben, das mich verfolgte, quälte, strafte?
Antworten gab es nicht, nur Totenstille. Stille, die mich in den Wahnsinn trieb, mir vorkam wie die Folter der Welt, die mich so sehr verachtete.
Alles mir genommen hatte und nun herablächelte auf das Opfer ihrer Willkür.
Ja, mit einem Mal sah ich es klar. Die Welt war gegen mich. Mein Leben hier war verflucht.
Eigentlich war ich es allein.
Flucht, vor mir, vor dieser Welt. Am besten sofort, am besten für immer.
Ich schloss die Augen und Konturen schwammen, verloren an Intensität und verschmolzen zu Dunkelheit. Ein weißer Engel, glühend, voller Macht, erfüllte schon jetzt meinen gesamten Körper. Spannte seine gewaltigen Flügel über meinen zerbrechlichen Körper und erschuf Wärme.
Ein flüchtiger Blick war es, genügte bereits um das Unbeschreibliche zu kennen, die klaren Worte der Erlösung zu spüren und falsche Hoffnung aufzunehmen.
»Lass einfach los. Und fliege, in die Unendlichkeit und zurück. «
Komisch, diese Illusion von Freiheit. Sonderbar, dieses Gefühl danach. Und doch so richtig. Unbändig, ohne Möglichkeit zu widerstehen.
Ein Ziel.
Eine Bestimmung.
Und in unbeschreiblicher Ekstase fand ich das Fenster bereits geöffnet, hörte den Lärm des Straßenverkehrs, wie er dumpf durch die Häuserschluchten drang.
Und ich strahlte, fühlte mich das erste Mal wieder angenommen. Dazu eingeladen, endlich loszulassen, mich zu begeben auf eine Reise;
ins Nichts.
Ins Endlose.
In einfach alles, was es schließlich nie war.
Die fremden Gedanken hatten mir Flügel verliehen, die Furcht genommen und den Blick vor der tödlichen Höhe verschlossen.
Nur noch ein kleiner Moment. Dann war es geschafft. Dann war ich bei dir. Dann ging es weiter.
Ich sprang.
„Yeah!“, rufe und strecke die Hand in die Höhe. Die Menge macht es: „Yeah!“ Ich spüre ein Kribbeln in meinen Fingerspitzen, als ich sie zu meinem Mund führe. Behutsam lege ich meinen rechten Zeigefinger auf meinen Mund und forme ein „Shhh“. Das Stadion wird totenstill. Langsam drehe ich mich eine Runde auf meinen Versen und schaue dabei erwartungsvoll in die Gesichter der Leute. In ihnen sehe ich unterschiedliche Emotionen. Freude, Erwartung, Berührung, Euphorie, Glück, Gelassenheit. Alle schauen mich an. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich spüre, wie mein Zeigefinger kribbelt. Ich höre meine Adern pochen. In meinem Kopf pulsiert es und ich bemerke, dass es nur um eins geht: Um mich! Ich wirbele herum und drehe einen Runde mit dem Mikrophonständer über die Bühne. Kalter Schweiß rinnt mir die Stirn herunter und meine Beine sind taub. Es schweigen immer noch alle Menschen, die sich in dem Stadion befinden. Geschickt drehe ich den Mikrophonständer in meinen starken. Wie im Rausch tänzele ich zu meinen Bandkollegen Martin, dessen blonde Locken schon ganz schweißnass an seinem Kopf kleben. Er wirft mir kurz einen Blick zu und ein Grinsen ziert sein Gesicht. Ich weiß, was er denkt, denn ich kenne ich schon lange. Zu lange und zu gut, um eine kleinste Emotion von ihm nicht deuten zu können. Er weiß, was jetzt kommt. Wir stellen uns Rücken an Rücken. Alle wissen, was jetzt kommt. Schon die Vorahnung lässt unsere Fans jubeln. Und ich fühle mich unglaublich glücklich. Während ich Martins Atmen an meinem Rücken spüre, hebe ich das Mikrophon auf Mundhöhe und gebe Martin mit einem leichten Knuff ein Zeichen. Jetzt geht’s erst richtig los! Ich setze an: „I’m in chains!“ Mein Kollege macht es mir nach und singt es mit seiner hohen Tenor-Stimme nach. „I’m in chains!“ Ich merke, dass wir perfekt die Töne getroffen haben, denn unsere Fans kreischen und brüllen. Mir entweicht ein Glucksen und ich konzentriere mich voll und ganz auf meinen Gesang als ich weitermache. Jeder Ton ist für mich, und Martin wahrscheinlich auch, pure Euphorie, die durch alle Reihen des Stadions fließt und ihre Energie auf alle Menschen gleichzeitig wirft. Ich singe mit Leichtigkeit, schon fast automatisch, aber immer noch mit vollem Gefühl und mit voller Stimme. Die Musik klingt ab und auch allmählich werde ich leiser. Martin steht immer noch an meinem Rücken. An seiner Berührung spüre ich, wie glücklich er ist. Die Musik endet. Das Stadion jubelt. Martin und ich verbeugen uns und ich lasse ein dankbares „Thank you“ durch die Runde gehen. Das war das vorletzte Lied. Ich muss noch einen Song, den finalen Song, durchstehen. Ich schaffe das, denke ich mir. Verschwitzt hopse ich hinüber zu meiner Wasserflasche und nehme einen großen Schluck. Die kühle Erfrischung tut richtig gut. Aber es geht gleich weiter. Ich muss mich beeilen. Flink husche ich auf die Bühne zurück und gebe meinem zweiten Kollegen Andy, der derweil hinter dem Synthesizer steht und eine Banane isst, ein Zeichen. Er blickt mich unüberrascht an und bringt alles in Position. Auch Martin verschwindet hinter einem der elektronischen Geräte und scheint bereit. Ich drehe mich zur Seite und gebe nun auch unserem Helfer Christian Eigner, der hinter dem Schlagzeug sitzt, ein Zeichen. Nicht umsonst nennt man ihn „das Tier“, wenn er hinter den Drums sitzt. Etwas aufgeregt wende ich mich wieder dem Publikum zu, das schon ganz ungeduldig auf den letzten Song wartete. Auch ich kann es auch kaum erwarten. Mit einem breitem Grinsen lege ich das Mikrophon zurück in die Halterung und trete auf den Steg vor. Mittlerweile ist mir kalt und ich kann meine Gänsehaut an allen Stellen meines Körpers spüren. Aber das macht nichts, denke ich mir. Ein letztes Mal drehe ich mich zu meinen Kollegen um... und dann geht es los. Es wird dunkler in der Arena und ein weiteres letztes Mal sind alle Blicke auf mich gerichtet. Ich schließe die Augen und erwarte geduldig Christians Einsatz. Er legt los. Gleichzeitig stimmen die Männer hinter den Synthesizern ein und geben dem Abschlusslied seinen unverwechselbaren Sound. Ich lasse mich von der Musik treiben und zeige dem Publikum ein paar Moves, die ich schon seit meiner Jugend kenne. Jede Bewegung wird bejubelt und ich fühle mich einfach unglaublich stolz. Mein Einsatz!, schießt es mir durch den Kopf. Ich setze an: „I’m taking a ride with my best friend.“ Die Worte kommen etwas dunkler als geplant aus mir heraus. Ich habe mich eben nicht immer voll im Griff. Vor lauter Gedankengängen verpasse ich beinahe die zweite Textzeile. Ich fahre rechtzeitig fort: „I hope he never let me down again.“ Erst jetzt merke ich die Freude, die ich gerade verspüre voll und ganz. Christian scheint es genau so zu gehen, denn ich höre seine rhythmischen Schläge auf den Drums. Wieder voll im Song singe ich weiter: „Promises me there he’s taking me. Taking me there I want to be. I hope he never let me down again.“ Das Stadion ist jetzt schon am ausrasten. Die verbliebenen Sekunden zwischen Strophe und Refrain tänzele ich weiter auf den Steg und stelle das Mikro vor mir ab. Rechtzeitig zum Refrain hebe ich die Hand und singe kräftig mit Martin und Andy im Chor: „We’re flying high. We’re watching the world pass us by. Never want to come down. Never want to put my feet back down on the ground!“ Perfekt. Ich wusste es. Mit Leichtigkeit groove ich über die Stage und gebe zwischendurch noch ein „Whoho“ hinzu, was die Massen wieder kreischen lässt. Die zweite Strophe beginnt. Und auch sie meistert unser eingespieltes Team ohne Patzer. Wieder diese letzte Zeile. „I hope he never let me down again.“ Nun nehme ich das Mikrophon aus dem Halter und singe wieder laut den Refrain. Ich spüre zwar noch meine Gänsehaut, aber die Aufregung ist komplett verschwunden. Mein Schweiß rinnt in Bächen von mir herab, aber es fühlt sich echt gut an. Das ist mein Leben. Die Stage ist mein Leben! Und keiner kann mir etwas anhaben! Wenn man selbst den Tod überwindet und danach auf die Bühne zurückkehrt, muss man echt von Gott gesegnet sein. Aber was denke ich denn da. Leicht tänzelnd, wie immer, trete ich an den Bühnenrand und klatsche mit den Leuten ab. So viele Hände, die mich berühren wollen. Das gibt mir immer wieder einen Kick. Ich spüre sie, die Hände. Manche berühren mich nur sacht, andere hauen kräftig auf die meinen. Wie unterschiedlich Leute doch nur sind. Rechtzeitig bin ich wieder auf der Stage und jetzt wissen alle was kommt. Kurz vor der Bridge hebe ich langsam die Arme und erwarte den Augenblick. Diesen Augenblick. Ich winke mit beidem Händen von links nach rechts, von rechts nach links und das im Sekundentakt. Das gesamte Stadion macht es mir nach. Ich rufe: „Keep your hands up!“ Jetzt kommt die Bridge. Ich lasse die Menschen weiter winken und drehe mich zu Martin um, der schon das Mikrophon an seinem Synthesizer eingerichtet hat. Mit pulsierenden Fingern führe ich wieder das Mikrophon zum Mund und singe: „Never let me down!“ Das wiederhole ich wieder und wieder. Martin singt derweil im Hintergrund mit seiner hohen Stimme: „Seeing the stars they’re shining bright. Never let me down tonight.“ Das Publikum winkt immer noch mit den Händen. Das werden sie bis zum Ende durchhalten müssen. Ein weiteres Mal singe ich mit voller Kraft, mit letzter Kraft, diese eine Zeile. Und das bis die Musik ausklingt. Bis Christian, Andy, der jetzt eine Bananenschale in der Hand hält und Martin nicht mehr spielen. Bis nur noch ich im Scheinwerferlicht da vorn stehe und bejubelt werde. Völlig erschöpft ziehe ich meine Weste aus und schmeiße sie irgendwo ins Publikum. Nach dem Motto: Der, der’s findet, darf’s behalten! Jetzt ist mir erst richtig kalt. Mein schweißüberströmter Brustkorb hebt und senkt sich. Ich bin völlig aus der Puste. Mit einem Lächeln auf den Lippen drehe ich mich zu Martin und den anderen um, die sich nun neben mich stellen. Andy ist in eine schwarze Baumwolljacke gehüllt. Er friert entsetzlich. Martin hat auch nur noch die Jeans und die Weste an, schließlich hatte er den ersten Teil der Zugabe gegeben. Christian atmet schwer. Er hat anscheinend sehr hart gedrumt. Das sieht man ihm an. Und seinen schweißverklebten braunen Haaren auch. Arm in Arm posieren wir vor unseren Fans, die immer noch applaudieren. Schließlich hatten wir alles gegeben! Martin sieht mich an und spricht mir ins Ohr: „You should see you now.“ Ich gluckse und knuffe ihn in die Hüfte. Naja, ich weiß, wie ich aus aussehe. Ein dünner Mann mit Tattoos auf dem gesamten Körper und oben ohne. Na, wie sieht das schon aus? Aber eins ist klar: Wir alle fühlen uns großartig. Wenn man eben einmal ein Konzert gegeben hat, will man nie mehr aufhören. Und wir machen das schon seit dreißig Jahren! Und wir sind verdammt gut! Mit dem Lobgesang der Fans in den Ohren verlassen wir alle erschöpft, aber mit guten Gefühlen die Stage.
„Gibst du mir etwas ab?“
„Nein, hättest halt selbst ein Stück mitlaufen lassen sollen.“
„Komm schon, ich habe Hunger, und der alte Basim ist so wachsam.“
Der kleine Elijah trottet durch die staubige Strasse, seine Kleider sind zerrissen und braun vom Dreck. Seit Wochen hat er sich nicht mehr gewaschen, die dunklen Haare sind verfilzt und verklebt, und unter seinen Fingernägeln haben sich längstens dicke Schmutzränder gebildet. Er muss nicht mehr weit gehen, bis er zu Hause ankommt. Oder dort, wo zu Hause einst gewesen ist. Sein Magen knurrt, er hat Hunger. Müde blickt er in der von Kämpfen gezeichneten Strasse um, tritt eine zerknüllte Aluminiumbüchse nach einem dreckigen Streuner. In den zerfallenen Hauswänden prangen Einschusslöcher, hie und da gibt es geschwärzte Stellen, wo ein Molotowcocktail explodiert ist. Vor einigen Wochen haben sich hier die Rebellen und die Polizei heftige Gefechte geliefert, ohne Rücksicht auf die Anwohner wie Elijah, der nun fast bei der Unterkunft angekommen ist. Neben dem zerbrochenen Fenster wird er eintreten müssen. Er legt seine Hand auf die Türklinke, drückt sie mit einer schwachen Bewegung herunter. Quietschend öffnet sich die Tür, oder das, was noch von ihr übrig ist. Elijah tritt ein und hustet ob der abgestandenen Luft, während vier Augenpaare auf ihn gerichtet sind.
„Und?“, fragt eine kratzende Stimme aus dem Dunklen. Elijah steht immer noch im Eingang, die Sonne brennt unangenehm heiss auf seinem Rücken.
„Nichts“, antwortet er zögerlich. Kurze Zeit ist alles still, bis sich die kratzende Stimme abermals erhebt: „Wieso?“
„Der alte Basim hat mich erwischt, und Abdullah wollte mir nichts abgeben.“
„Aber der alte Basim ist fast blind! Bist du unfähig?“, ruft die Kratzstimme. „Wenn dein Bruder nicht verletzt wäre, würden wir ihn schicken. Er würde uns jeden Tag genug heimbringen, dass wir alle überleben. Aber du, Elijah, du bringst uns noch alle um.“
Beschämt starrt Elijah auf den staubbedeckten Boden. Beiger Sand hat sich um die Schlafmatten herum angesammelt, da und dort huscht ein Insekt durch den Raum. Noch immer starren acht Augen auf den Jungen.
„Es- es tut mir leid… Ich habe ja auch Hunger, aber es ging einfach nicht besser…“, murmelt er.
„Wetten, du hast dir auf dem Weg den Bauch vollgeschlagen?“, ruft eine junge Männerstimme.
„Nein, das würde Elijah nie tun“, antwortet eine Frau.
„Aber Mutter, ihm, dem kleinen Windbeutel, ist alles zuzutrauen“, gibt der junge Mann zurück.
„Niemals würde er seine Familie im Stich lassen, Mohammed, niemals“, sagt die Mutter.
„Elijah“, beginnt die Kratzstimme mit einem verärgerten Unterton erneut.
„Ja, Vater?“ Die hohe Stimme des kleinen Jungen zittert. Die Hände über dem schmutzigen Hemd zusammengefaltet, blickt er noch immer auf die Spinne, die es sich gerade vor seinen Füssen gemütlich gemacht hat.
„Geh mir aus den Augen, Junge, bis du mir etwas zwischen die Zähne liefern kannst!“, schreit der Vater in einem plötzlichen Ausbruch von Wut. „Ich bin alt, schon fast sechzig, und du, du kannst dich nicht mal um deinen gebrechlichen Vater kümmern. Dein Brüder hätte es gekonnt, deine Schwester - möge sie in Frieden ruhen - auch. Aber Allah hat uns mit dir bestraft, einem unfähigen Balg. Was habe ich nur falsch gemacht?“
„Er ist doch erst acht, Schatz. Sei etwas umsichtig“, sagt die Mutter.
„Sei still, Weib! Noch lebe ich, noch habe ich das Sagen. Doch wenn Elijah nicht bald etwas Essbares ranschafft, wird sich dies ändern und ich werde mausetot hier im Dreck liegen. Und nun, Sohn, geh mir aus den Augen!“ Der Vater ist ausser sich. Noch immer sitzt er im Dunklen an der Wand, ein hochroter Kopf lässt sich im Zwielicht ausmachen.
Elijah dreht sich um und geht. Er tritt die beiden kaputten Stufen hinunter, am kaputten Fenster vorbei. Wieso muss er nur so gestraft sein? Wieso muss gerade er das Essen beschaffen? Im zarten Alter von acht Jahren? Früher ist er immer mit seinem Bruder Brot stehlen gegangen. Sie haben es nicht nötig gehabt. Sie hatten Geld gehabt, und das Klauen ist ein Kick gewesen, eine willkommene Abwechslung zum normalen Alltag eines Kindes in Syrien. Und nun hängt sein Überleben davon ab, das Überleben der Familie.
Elijah verflucht leise die Rebellen, die eine Handgranate in ihr Haus geworfen haben. Seine Schwester ist dabei tödlich verwundet worden, das Haus mehr oder weniger komplett niedergebrannt. Er verflucht die Regierung, dass sie seinen Bruder angeschossen hat. Ins Bein, vor etwa vier Tagen. Seither muss der Junge allein auf die Diebeszüge gehen, ohne die Unterstützung der langen und geschickten Finger seines älteren Bruders. Stets wird er erwischt, wie er versucht, eine Banane vom Strassenstand zu entwenden, wenn er auf dem Fischmarkt einen Fisch zu stehlen probiert. Er ist unnütz. Wieso nur, Allah? Was hat er getan, um so auf die Welt gekommen zu sein? Und wieso musste auch noch dieser vermaledeite Krieg ausbrechen? Seither geht es Elijah schlecht. So schlecht. Nie mehr saubere Kleidung. Nie mehr genug Essen. Nie mehr fliessendes Wasser.
Wütend zupft er an einem Faden, der aus seinem verschlissenen Hemd franst. Wütend auf die Welt und auf sich selber. Schritt für Schritt die Strasse hinunter, der Blick starr auf den Boden gerichtet, Schritt für Schritt in Richtung Marktplatz, wo die letzten Händler, die noch Ware haben, diese für Wucherpreise anbieten. Wenn er etwas klauen kann, dann dort. Hie und da sieht Elijah einen Bettler an einer Hauswand sitzen, gekleidet in nichts mehr als erbärmliche Lumpen. Sie sitzen einfach nur da und hoffen auf Rettung, oder wenigstens den einen oder anderen syrischen Lira. Elijah weiss, sie hoffen vergeblich. Nichts wird sie hier raus holen. Genauso wie ihn. Niemand wird ihn retten.
„Hey du. Ist jemand da?“
Elijah blickt nicht auf. Trotzig sitzt er an einer Hauswand im Staub, wie die Bettler vorhin, die Arme verschränkt.
„Huhu, klopf klopf.“
Das ist nicht lustig.
„Ich habe etwas zu Essen für dich.“
Der lügt doch sowieso nur. Er will den Jungen nur von hier weglocken.
„Hier, nimm. Du siehst so abgemagert aus.“
Elijah hört etwas rascheln und sieht dann eine Hand, die sich in sein Blickfeld schiebt. Sie hält ein Stück Brot. Nicht mehr taufrisch, aber essbar. Sofort meldet sich der Hunger beim Jungen, und sein Magen knurrt laut. Er hört einen lauten Lacher und blickt schliesslich auf. Ein blonder, junger Mann steht in verstaubten Jeans und einem billigen Hemd vor ihm, in der einen Hand das Stückchen Brot, in der anderen Hand ein ganzer Laib davon. Elijah läuft das Wasser im Mund zusammen. Wie lange hat er schon nichts gegessen? Vierzehn Stunden? Wie lange war er schon nicht mehr richtig satt gewesen? Vier Wochen? Nein, eher fünf.
„Und, nimmst du es?“, fragt der Mann freundlich, die Brille auf die Nase zurückschiebend.
„Hm…“, antwortet Elijah. „Ja“, entweicht es ihm schliesslich.
„Bitteschön.“
Der Junge kaut und der herrliche Geschmack von Brot breitet sich auf der Zunge aus. Er blickt den Mann an, der ihm einfach so geholfen hat. „Danke.“
Sie trafen sich in Downtown, hinter dem Club am Ufer des Sees, wo schwarze Wellen von der Nacht in einen Strom aus übelriechendem Öl verwandelt wurden. Dicke Wolken verhangen den Himmel, Smog und Rauch aus der Umgebung stiegen auf. Von fern knallten Bässe auf ihre Ohren, als sie durch das trockene, gelbliche Gras schlenderte.
Sie setzte sich neben ein Denkmal aus Bildern, Plüschtieren und Karten, Zeichen der Trauer und des Entsetzens. Zeichen, die bald schon weggeräumt sein würden, wenn man sie und ihn vergessen hatte.
„Hast du lange gewartet?“
Sie drehte das hübsche Gesicht herum. Er stand nur einen Meter hinter ihr, die langen Arme in die Hosentasche gesteckt, ein entschuldigendes Grinsen aufgesetzt. Sie schüttelt den Kopf.
„Nein, ich bin auch gerade erst angekommen.“
Als er sich neben sie auf den Boden fallen lässt, streicht sie über das vertrocknete Gras. Ihre Hände gleiten durch die Halme, sie spürt nur einen zaghaften Hauch, als fürchtete sich die Natur davor, ihr zu nahe zu kommen.
Dabei waren die Grashalme doch genauso tot wie sie.
Sie beobachtet ihn aus dem Augenwinkel. Er sieht genauso aus wie immer, genauso wie sie selbst. Die gleiche dreckverkrustete Kleidung, die Haare unordentlich vom Kopf abstehend. Unter seinen Augen haben sich tiefe Ringe gebildet, zartes Violett schimmert durch seine bleiche Haut hindurch.
„Und, was machen wir heute?“, fragt er sie irgendwann, den Blick auf die ölige Masse gerichtet, die stetig flussabwärts rinnt, alles mitnimmt, was er zu greifen bekommt. Wie ein Monster, das dich an den Haaren zu Tode schleift.
„Ich glaube, heute bin ich mit Erzählen dran, oder?“, antwortet sie und zuckte die Schultern. Ihre bleichen Beine wirken durch das flackernde Neonlicht der Straßenlaternen beinahe grünlich. Sie hielten sich immerzu im Schatten der Brücke auf, aber trotzdem fand es jedes Mal den Weg zu ihnen.
„Ich meine auch“, antwortet er und setzt sich auf, die Beine leicht angewinkelt und den Rücken zu einem Buckel geformt.
„Was willst du wissen?“
„Erzähl mir mehr über...“, er hielt kurz inne und überlegte. Dann begann er zu grinsen: „Über deine Familie.“
Sie legt den Kopf schief und wischt sich eine dreckige Strähne ihres nassen, dunklen Haares aus dem Gesicht. Was konnte sie ihm erzählen? Sie hatte doch längst den Überblick verloren, worüber sie sich bereits unterhalten hatten.
„Cogito ergo sum“, sprach sie letztlich laut den ersten Gedanken aus, der ihr kam, als sie an ihren Vater dachte.
„Das hat dein Vater immer gesagt, oder?“ Der Junge schaute kurz in den Himmel, verzog das Gesicht, als er merkte, wie Regentropfen auf sie hinunterprasselten, zuckte dann aber mit den Schultern. Sie waren eh schon nass. Und der Regen fiel durch sie hindurch, färbten den kalten, harten Boden mit dunklen Flecken ein, als wären sie Illusionen.
Vielleicht waren sie das auch. Nur Illusionen, mehr nicht.
Ihr Leben hatten sie schließlich schon hinter sich gelassen.
„Hab ich das schon erzählt?“, fragte das Mädchen mit einem schiefen Grinsen. „Tut mir Leid.“
„Ist nicht deine Schuld. Du hast dir schließlich den Kopf gestoßen, da ist das normal. Denke ich.“
Nachdenklich und wie von automatisch griff die Hand der Dunkelhaarigen an ihren Hinterkopf. Ihre Finger tasteten entlang des Kraters, den der Felsen hinterlassen hatte, als das Wasser sie gegen ihn getrieben hatte. Sie spürte keine Schmerzen, aber es war trotzdem ein komisches Gefühl, dass dort, wo zuvor noch ihre Kopfhaut gewesen war, plötzlich ein großes Loch war.
„Erzähl ruhig mehr von ihm“, sagte der Junge und richtete sich auf. „Der Teddy da ist auch von ihm, oder?“ Er deutete auf ein kleines Stofftier inmitten des Schreines, den Passanten, Freunde und Fremde errichtet hatten.
Das Mädchen nickte und begann zu lächeln.
„Den hat er mir geschenkt, als ich zwei Jahre alt war.“
„Ja, das hast du erzählt.“
„Tut mir Leid.“
„Muss es nicht. Ich ja auch meine Schuld.“
Sie lächelte schief, als er aufstand und nachdenklich auf den Schrein zuging. Er lag in leichtem Feuerschein der Teelichter und Grabeskerzen, ein rotes, flackerndes Flammenmeer. Sie folgte ihm langsam.
„Er hat es sogar in seine Karte geschrieben“, schmunzelte er, als er sich hinunterbeugte, hinein in den roten Schein, ins Innere der Gedenkstätte, und einen einfachen Zettel betrachtete. Er war nicht eingerahmt, steckte in keiner Hülle. Er war der Natur überlassen, schon an vielen Stellen vom Regen verwischt.
„Cogito, ergo sum“, zitierte das Mädchen, als sie sich neben ihn bewegte und sich ebenfalls herunterbeugte. „Und weil du dachtest, warst du wahr, und jeder wird wissen, du warst da.“
„Poetisch“, kommentierte der Junge mit einem kurzen Anflug eines Lächelns.
„So war er nun einmal.“
„Nein, so ist er. Wir waren einmal.“
„Da hast du wohl Recht“, hauchte sie in die Kälte hinein. Sie fröstelte, rein aus Gewohnheit. Eigentlich war ihr nicht kalt. Eigentlich fühlte sie gar nichts. Aber es gab ihr ein Gefühl der Genugtuung, dass sie sich noch daran erinnern konnte, wie es war zu fühlen. Als könnte sie es immer noch.
„Wie lange ist es wohl her?“, unterbrach er ihren Gedankengang. Seine Augen fuhren über die Textzeilen, die ihnen gewidmet waren. Bilder der beiden, getrennt durch ein großes Gedenkschild, seine rechts, ihre links. Und doch standen sie gemeinsam vor dem kleinen Tempel. Als hätte sie schon immer zusammengehört.
„Ich weiß nicht.“
„Zwei Wochen?“
„Ich kann mich nicht erinnern“, gab sie zu.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal als einer dieser Menschen enden würde“, lachte er mit ehrlicher Belustigung. Als könnte er es immer noch nicht ganz fassen. Aber er hatte es längst akzeptiert. Vielleicht konnte er deswegen Scherze darüber machen.
„Menschen, denen man ein Denkmal baut?“, grinste sie schief und deutete auf all die kleinen, kitschigen Dinge, die man auf seine Seite gelegt hat. Briefe auf bunten Papier, eingerahmt in Plastikfolie, die die unsaubere Schrift darauf schützte. Die Kette, die er um den Hals trug, ein Armband mit Nieten, dutzende dieser Konzertbänder. Vieles davon war längst schon wieder weggenommen worden. Mal von Freunden, die ein Andenken an ihn wollten, mal von jemandem, dem gefiel, was er sah.
„Nein, Menschen, die in der Presse stehen.“ Er formte mit seinen Daumen und Zeigefinger ein Quadrat und richtete es in den Himmel. „Junger Mann, 19, und junge Frau, 17, sterben in den Fluten. Er ertrinkt, als ihn jemand aus Spaß gegen das Brückengeländer schubst und er in den Fluss fällt...“ Er schaut sie mit einem schelmischen, provozierenden Lächeln an.
„Und sie“, lachte die Braunhaarige. „Stürzt todesmutig hinter dem vollkommen Fremden hinterher, stößt sich den Kopf und ersäuft jämmerlich.“
„Die ganze Nation ist geschockt, Angehörige und Freunde trauern und- Oh, einen Moment, uns erreicht die Eilmeldung! Eine Sensation! Der Berliner Zoo hat Nachwuchs bei den Pinguinen gemeldet!“
Seine Schultern bebten vor Lachen.
„Glaubst du wirklich, sie würden unsere Todesnachricht so unterbrechen?“
„Pinguine sind niedlich“, meinte er leichthin und zuckt mit den Schultern. „Alle mögen Pinguine, du nicht?“
Sie musste grinsen und knuffte ihm in die Seite. Er spürte es nicht, aber aus Reflex sprang er zurück und grinste breit. „Fies von dir.“
„Ich und fies?“ Sie weitete die Augen und legte mit gespieltem Entsetzen eine Hand vor den Mund. „Niemals!“
Er grinste. Er lächelte. Und plötzlich wurde der Junge wieder ernst.
„Du solltest eigentlich gar nicht hier sein“, murmelte er und starrte abwesend in die Flammen der Teelichter. Sie strömten Hitze aus, die Beide nicht mehr spüren konnten. Wärme und Leben, das Gefühl von Schutz. Doch ihnen wurde es verwehrt. Sie waren so nahe dran, konnten es berühren.
Aber niemals mehr spüren.
„Du auch nicht“, entgegnete sie. Ihre Finger griffen nach dem Teddybären, der traurig das nasse Fell hängen ließ. Ein letzter Wächter der Erinnerung, unbewegt und schwach. Sie glitten hindurch ohne Wiederstand. Das Mädchen biss sich auf die Lippen.
„Bereust du es?“ Er sah sie direkt an, mit den Augen eines Toten, weit entfernt und ohne einen Funken Licht in ihnen.
„Ja.“
Seine Schultern sanken etwas herunter, aber ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Natürlich bereute sie es. Jeder würde bereuen, sich für einen Fremden in den Tod gestürzt zu haben.
Doch sie war noch nicht fertig.
„Ich bereue, dass ich dir nicht helfen konnte.“
„Du konntest nichts dagegen tun.“
„Ich hätte warten können, besser nachdenken. Dann wären wir beide noch am Leben.“
Er nickte nachdenklich, schüttelte aber letztlich den Kopf.
„Ich bin froh, dass ich nicht alleine bin. Aber es ist schade, dass ich dich erst im Tod kennenlernen durfte“, meinte er und sah sie an. „Wir hatten wohl etwas Pech, hm?“
Sie lächelte und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, als würde sie so etwas wie Wärme spüren.
„Cogito, ergo sum“, zitierte sie erneut. „Wir sind immer noch. Irgendwie sind wir immer noch.“
„Ja“, lächelte er. Der junge Mann schaute in den Himmel. Durch die Wolkendecke hatte sich ein einziger Stern gekämpft. Eine einzige Hoffnung.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, und jetzt spürte auch er den Anflug von Wärme auf seiner Haut.
„Was heißt lieben auf Latein?“, fragte er, und berührte ihre Stirn mit seiner.
„Amare“, antwortete sie schmunzelnd.
„Te amo, ergo sum.“
Zaghaft streckte der kleine Vogel den Kopf unter seinem wärmenden Flügel hervor und ließ die schwarzen Augen, rund wie kleine Perlen, umherwandern. Die Stille drückte bleiern auf seinen zarten Körper, die Finsternis um ihn herum ließ ihn mit dem Kopf zurück in den Schutz seiner Flügel flüchten, doch auch dort konnte er ihr nicht entkommen.
Also richtete er sich wieder auf, öffnete den rötlichen Schnabel und entließ einige Töne aus seiner Kehle, die sich in der Schwärze verteilten. Regungslos lauschte er, doch seine Rufe nach Gesellschaft, seine Bitte um Hilfe verhallten ungehört. Niemand war da, der ihm aus seiner trostlosen Einsamkeit helfen konnte.
Gewillt, diesem drückenden und dunklen Ort zu entkommen breitete er die Flügel aus. Ein feiner Lufthauch, nicht mehr als ein sanftes Streicheln, erfasste seine reinweißen Federn und versetzte sein kleines Herz in Euphorie, die jedoch augenblicklich erstarb, als seine Schwingen zu beiden Seiten gegen etwas Festes stießen. Dünne, aber widerstandsfähige Stäbe versperrten ihm den Weg in die Freiheit, die Lücken dazwischen zu schmal, um hindurch zu schlüpfen.
Verzweifelt begann der kleine Vogel mit den Flügeln zu schlagen, um sich zu erheben. Seine Krallen lösten sich von der Stange, um die sie sich zuvor geschlungen hatten und der zwar geschwächte, jedoch noch nicht erstorbene Funke Hoffnung in ihm glomm erneut auf, wurde aber kurz darauf wieder erstickt, als sein Köpfchen dumpf gegen etwas Kaltes stieß. Weitere Stangen, die sich in einem Bogen über dem Zentrum seines Gefängnisses trafen und ihn dazu zwangen, sich wieder auf die haltende Stange sinken zu lassen. Ein dumpfer Schmerz pochte in seinem Kopf und die Dunkelheit um ihn schien noch undurchdringlicher zu werden.
Ähnlich wie die Anziehungskraft der Erde wirkte die Hoffnungslosigkeit auf den schwachen Leib, drückte ihn nieder. Die schwarzen Äuglein starrten trübe zu Boden, reglos hockte das freiheitsliebende Tier auf der Stange, erfüllt von ebensolch einer Leere wie um es herum herrschte. Einzig sein rasch pochendes, von Beklemmung und Angst angetriebenes Herz durchbrach die Stille in seinen Ohren, doch vermochte der immergleiche Ton seine Zuversicht nicht wiederaufleben zu lassen.
Die stählernen Wände seines engen Käfigs schienen jegliche Anzeichen von Mut aus dem zerbrechlichen Leib zu saugen, in sich zu speichern, ohne sie jemals wieder freizugeben. Sein einst schimmerndes Gefieder wirkte längst stumpf, die ehemals glänzenden Äuglein trübe und leer. Der winzige Verstand klammerte sich nur noch an einen schwächlichen Funken Hoffnung, geboren aus dem illusionistischen Glauben, nach dem Schlaf würde sich vielleicht etwas geändert haben. Doch auch dieser drohte endgültig zu erlöschen, wurde immer wieder zerschmettert von den gleich bleibenden Eindrücken. Kalte, schwere Dunkelheit und trostlose Einsamkeit innerhalb des kleinen Gefängnisses.
Immer noch schweiften die schwarzen Augen ruhelos in der Dunkelheit umher, die alles nur schemenhaft preisgab, auf der Suche nach einem Zeichen, dass sich etwas an seinem hoffnungsfernen Dasein ändern würde. Sie blieben unverwandt an der verschlossenen Käfigtür hängen, dem einzigen Tor hinaus, gesichert mit einem simplen Verschluss, der jedoch mehr Kraft zum Öffnen erforderte, als sein ausgelaugter Körper aufzubringen vermochte.
Dennoch schenkte der kleine Vogel diesem Türchen mit schief gelegtem Kopf weiterhin seine volle Aufmerksamkeit. In der wie eine Ewigkeit erscheinenden Zeitspanne seiner Gefangenschaft hatte er mehrmals versucht, die Gittertür zu öffnen, doch sie hatte seinem Wunsch nie nachgegeben, war eisern und standhaft geblieben. Gänzlich unbeeindruckt von Schnabel, Krallen oder Schwingen.
So vieles sprach dafür, dass es keinen Ausweg aus diesem erdrückendem Käfig gab und dass seine Freiheit auf immer verloren war. Und dennoch wollte das kleine Herz dies nicht einsehen, wollte sein Schicksal nicht einfach hinnehmen und hielt den letzten Funken Hoffnung, der seinem der Kälte ausgelieferten Körper schwache Wärme spendete, am Leben.
Aber er war kurz vor dem Erlöschen, würde eine erneute Niederlage, einen abermaligen Schlag zurück möglicherweise nicht überstehen. Und dennoch…
Ohne die Perlenaugen von dem Türchen zu lassen, hüpfte der Vogel bis zum Rand seiner Stange, die sich durch die Belastung ein Stück nach unten neigte. Zögerlich streckte er einen Flügel aus, spürte das kühle Metall der Stäbe an seinen zarten Federn, eisig genug, um die Wärme aus seinem Leib zu vertreiben, wenn er sich dieser Kälte zu lange aussetzte.
Doch jener letzte Funke Mut, der Trostlosigkeit und Kälte überdauert hatte, trieb ihn an, ließ ihn nicht zurückschrecken, sondern fester gegen die Gitter drücken. Das Türchen aber wollte nicht nachgeben, blieb fest verankert mit den Stäben und rührte sich nicht.
Nicht mehr bloß aus Beklemmung, sondern zusätzlich aus Anstrengung begann das Herz des Tieres schneller zu trommeln, als wolle es seine Bemühungen anfeuern, trotz der Kälte, die sich in seinem Körper ausbreitete wie eine zäh fließende Masse. Trotz der Tatsache, dass seine Anstrengungen bisher umsonst geblieben waren. Längst war die Umgebung versunken, unwichtig geworden. Alle Konzentration, die er aufzubringen vermochte, lenkte der Vogel auf sein Vorhaben.
Unbemerkt von ihm wurde die Dunkelheit langsam durchbrochen. Ein sanfter Strahl der aufgehenden Morgensonne suchte sich seinen Weg durch eine kleine Lücke in der alles umspannenden Wolkendecke, passierte das offen stehende Fenster und glitt geräuschlos auf den Käfig zu, verfing sich in den Stäben und traf schließlich in die tiefschwarzen Perlenaugen des Vogels.
Dieses schwache Zeichen von Licht vermochte ihn abzulenken, den kleinen Kopf unbewegt folgte er dem Sonnenstrahl zu seinem Ursprung, durch den Fensterrahmen hindurch bis hinaus in den Himmel, wo die Helligkeit den Kampf gegen die Finsternis aufzunehmen begann.
Nun ließ sich auch die Umgebung außerhalb des Käfigs erkennen. Es war ein Zimmer, ebenfalls klein und voller Staub, der vom Licht aufgescheucht träge zu schweben schien. Aber der Vogel achtete mehr auf die Welt außerhalb des Raumes, sah sich grüne Wiesen und kräftige Bäume von ihrem Mantel der Nacht befreien. Sah, wie sich die tiefgrünen Blätter sachte im Wind bewegten, glaubte beinahe den leisen Gesang der Freiheit zu vernehmen, den nur hören konnte, wer bereit war, sich darauf einzulassen, innezuhalten und aufmerksam zu lauschen. Ein Gesang, der Bestandteil seines Lebens und stets ein treuer Begleiter gewesen war, der ihm jedoch immer mehr zu entgleiten drohte, je länger er in der stummen Trostlosigkeit seines Gefängnisses ausharren musste.
Als hätte der erwachende Tag seine Hoffnung beflügelt und längst verloren geglaubte Kräfte geweckt, begann er erneut mit aller Entschlossenheit, die sein kleines Herz aufzubringen vermochte, gegen die Tür zu drücken und drängte die Erschöpfung beiseite. Noch schien es, als würde selbst das nicht ausreichen, doch dann bewegte sich der Verschluss ein Stück.
Von seinem kleinen Erfolg angestachelt lehnte der kleine Vogel sich noch weiter nach vorne, einzig auf das Türchen konzentriert, drückte ohne Unterlass dagegen, nicht weiter auf die Kälte achtend, die dieses ihm entgegenschickte.
Und dieser Mischung aus verzweifeltem Mut und aufkeimender Hoffnung vermochten die Stäbe nicht länger Einhalt zu gebieten, mit einem Ruck löste sich der Verschluss und das kleine Tor schwang auf. Nun versperrte keine undurchdringliche Wand aus eng beieinander stehenden Eisenstangen mehr die Sicht nach draußen.
Unter den raschen Atemzügen des Vogels hob und senkte sich sein ganzer Körper, als verlangte jede Faser seines Leibes nach Luft. Einen Augenblick lang verharrte er so auf seiner Stange, doch dann schien das berauschende Gefühl seines Erfolges jegliche Erschöpfung beiseite zu wischen, denn er hüpfte auf den unteren Rand des nun offen stehenden Türchens und breitete die weißen Schwingen aus. Ein leichter, kühler Windhauch wehte durch das offen stehende Fenster hinein und bauschte seine Federn. Es war eine andere Kälte als die der bleiernen Stäbe, eine, die das in ihm lodernde Hoffnungsfeuer nur noch höhere Flammen schlagen ließ, welche den kleinen Körper stärkten und von jener drückenden Last der Einsamkeit befreiten. Es war, als würde er die stumpfe Glanzlosigkeit von seinen Federn abstreifen wie einen hässlichen Mantel und auch seine schwarzen Perlenaugen strahlten wieder, als ob jemand dahinter das Licht einer Kerze entfacht hätte.
Mit den Krallen abstoßend glitt der kleine Vogel durch das Zimmer, schlug einige Male mit den Flügeln, um an Höhe zu gewinnen und kreiste dicht unter der alten Decke, wirbelte den Staub auf.
Ein letztes Mal flog er einen Bogen, sodass er zurück auf sein enges Gefängnis blicken konnte, das nun, da sich sein Gefangener aus seinen Klauen befreit hatte, leer und offen dastand. So lange war er ihm ausgeliefert gewesen, hatte wehrlos spüren müssen, wie sich jegliche Wärme aus seinem Körper verflüchtigte. Und doch hatte ein kleiner Funke aus Licht und Hoffnung in ihm überlebt, hatte nicht erlöschen wollen und ihm schließlich den Weg hinaus gewiesen.
Sanft schnitten die im Morgenlicht rötlich scheinenden Schwingen durch die Luft, als er den Käfig einmal umkreiste wie in einem Triumphzug. Dann steuerte er ohne zu Zögern auf das offen stehende Fenster zu und schwebte hinaus in seine wieder gewonnene Freiheit, die ihn mit offenen Armen empfing.
Undurchdringlicher Nebel lag über dem Pyroberg und hüllte den Gipfel in erdrückende, graue Düsternis. Kein Windstoß drang zu seinen Höhen empor, um das feuchtkalte Anthrazit zu verwehen, und so wie kein Geräusch bis in seine Tiefen getragen wurde, so trat auch kein Laut aus ihm heraus in die Außenwelt.
Keleiya konnte nicht umhin, sich inmitten des bedrückenden Nebels, der den Friedhof wie eine Parodie von Watte ausschmückte, unwohl zu fühlen. Ihre Augen, normalerweise geübt darin, selbst die entferntesten Dinge auszuspähen, suchten fieberhaft nach etwas anderem als dem Grau vor ihr, während ihre Ohren von der unnatürlichen Stille schmerzten. Sie war es nicht gewohnt, von solch einer Ruhe umgeben zu sein.
Grabesruhe, dachte sie und warf einen gehetzten Blick über ihre Schulter. Zum Glück war Asson bei ihr, denn ohne ihn und die Sicherheit, die er selbst an einem Ort wie dem Pyroberg ausstrahlte, hätte sie diese Mission wahrscheinlich schon im Inneren des Berges abgebrochen. All diese trauernden Menschen und Pokémon, die mit leeren Blicken Löcher in die erstickende Luft gebrannt hatten, versunken in Trauer und Agonie … Keleiya schüttelte sich aufgrund so vieler negativer Emotionen, die auf sie eingestürmt waren, kaum dass sie die Grabesstätte betreten hatten. Sie sollte jetzt wirklich nicht über den Schrecken nachdenken, der sie an diesem Ort langsam und schleichend überfiel. Immerhin hatte sie eine Aufgabe zu erfüllen.
Ein kurzer, kaum zu hörender Pfiff und schon war Asson an ihrer Seite. Seine Augen, tiefblau und von einer überirdischen Klarheit, blickten gebannt in den dichten Nebel, fast so, als könnte er etwas in seinen verworrenen Tiefen erkennen. Tatsächlich hatte das Absol bereits das eine oder andere Unheil gesehen, noch bevor es eingetreten war, was ihm auch seinen Namen eingebracht hatte: Unglück. Nicht, dass er tatsächlich das Unglück anzuziehen pflegte, wie es in alten Volksmythen behauptet wurde; aber in den letzten Jahren ihrer Zusammenarbeit hatte Keleiya immer mehr gelernt, sich auf die außergewöhnliche Fähigkeit ihres Partners zu verlassen. Und so ließ sie Asson auch jetzt den Vortritt, zwang ihre Gedanken mühsam zur Ruhe und konzentrierte sich auf das Pokémon an ihrer Seite, dessen unergründlicher Blick den Nebel zu ergründen versuchte.
»Keleiya.« Eine leise, männliche Stimme war es, die sowohl das Absol als auch ihre Partnerin aus der Betrachtung des dichten Nebels riss. Ohne zu überlegen, stieß die Trainerin einen scharfen, gellenden Pfiff aus, woraufhin Asson sich ohne einen Moment des Zögerns auf den Mann stürzte, dessen Schemen undeutlich im wabernden Grau vor ihnen zu sehen war. Als dieser jedoch nun seinerseits eine kurze Melodie pfiff, hielt das Pokémon irritiert inne.
»Nayilu?« Keleiya konnte sich ein hoffnungsvolles, fast schon erleichtert anmutendes Aufatmen nicht verkneifen. Innerlich hatte sie sich schon auf das Schlimmste vorbereitet; auf jemand Fremden, der hier seiner Trauer Ausdruck verleihen wollte; es hätte aber auch noch einer von ihnen sein können. Dass es jedoch Nayilu war, dessen Gestalt sich nun langsam aus dem Nebel zu schälen begann, erfüllte ihr Herz mit stiller, beruhigender Freude. Zwar hatten sie schon vor einigen Wochen ausgemacht, sich heute zu treffen, um die Heiligen Kugeln gemeinsam zu entfernen und an einen sicheren Ort zu bringen; doch bis zuletzt hatte Keleiya nicht mehr zu hoffen gewagt, Nayilu wirklich hier anzutreffen.
»Wer denn sonst, Dummkopf?«, erwiderte dieser nun, als er vor der jungen Trainerin zum Stehen kam und sie überlegen musterte. Sein Blick, golden wie flüssiges Karamell, ruhte auf ihren angespannten Zügen, die bei seinen Worten jedoch deutlich weicher geworden waren. Ein erfreutes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, und für einen Moment stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um auf einer Augenhöhe mit ihm zu sein, bevor sie suchend einen Blick hinter ihn warf.
»Wo ist Chabala?«, fragte sie, und leichte Besorgung mischte sich in ihre Stimme. Für gewöhnlich hatte immerhin ein jeder Trainer, ganz gleich, ob er nun Koordinator oder Züchter oder gar Verbrecher war, seinen Partner stets an seiner Seite. Nayilu und sie hatten da bislang nie eine Ausnahme gebildet; zumindest nicht dann, wenn sie einander treffen wollten.
Ein verbittertes, zugleich aber auch amüsiertes Lächeln umspielte die Lippen Nayilus.
»Sie ist zu Hause geblieben«, sagte er mit übertriebener Betonung und verdrehte genervt die Augen. Auch Keleiya konnte nicht anders, als entnervt zu stöhnen. Wie konnte er es nur bei diesen Idioten aushalten? Zwar verspürte auch sie in regelmäßigen Abständen das unbestimmte Bedürfnis, einen jeden ihrer kleinen, vertrauten Familie ihren eigenen Pokémon zum Fraße vorzuwerfen, aber bei ihnen waren solche Anfälle bei jedem an der Tagesordnung, und so kümmerten die Aggressionen eines Kollegen die anderen recht wenig.
»Tja«, sagte Nayilu mit einem Achselzucken und wippte auf den Fußballen, »da sieht man mal wieder, dass die Ergreifung der Weltherrschaft jeden Tag erneut vor Probleme gestellt wird.« Er kicherte leise und Keleiya schlug spielerisch nach ihm, lachte aber ebenfalls. Diese Aussage war schon vor einigen Jahren so etwas wie ein Insiderwitz zwischen ihnen geworden, und tatsächlich hatten sie bislang immer wieder aufs Neue die Möglichkeit gefunden, ihn fallen zu lassen.
Asson streifte unruhig um Keleiyas Beine herum und winselte leise; er hatte die letzten Minuten augenscheinlich damit verbracht, die Umgebung nach seiner Schwester Chabala abzusuchen; ohne Erfolg. Sein Wimmern riss Keleiya und Nayilu in die Wirklichkeit zurück, und die friedliche Atmosphäre, die sich im Laufe des Wortwechsels um die beiden gebildet hatte, zerplatzte. Mit einem Mal war es wieder nebelig und kalt, düster und still. Keine Geräusche drangen durch die nasse graue Wand zu ihnen hindurch, und auch wenn sie beide lieber noch weiter in Erinnerungen geschwelgt hätten, wussten sie doch beide, dass dafür auch noch später Zeit war. Jetzt mussten sie erst einmal ihre Mission erfüllen.
Ein einziger kurzer Blick reichte, schon hatten beide Trainer ihre Pokébälle gezückt.
»Tarela«, flüsterte Keleiya und drückte ihre Lippen für einen Moment auf das glatt geschliffene, kalte Metall, bevor sie die kleine Kapsel in die Luft warf, wo diese für einen Augenaufschlag zu verharren schien. Dann öffnete sie sich und enthüllte in einem Strahl gleißenden Lichtes ein großes, mehr als zwei Meter langes Vipitis, das mit einem sanften, dumpf klingenden Geräusch auf dem mit Gras bedeckten Weg aufkam. Eine rote, gespaltene Zunge schnellte aus dem Mund der Schlange hervor, und in einer einzigen geschmeidigen Bewegung wandte sich das Pokémon in Richtung Nayilu und fixierte gespannt den noch ruhenden Pokéball in dessen Hand.
»Vermisst du deinen Freund?«, fragte dieser, sichtlich amüsiert, bevor er nun seinerseits die weiß-rote Kapsel in die Luft warf, wo diese ebenfalls verharrte, bevor sie in einer Explosion aus reiner Helligkeit die Umrisse eines Sengo enthüllte, das geduckt auf dem Boden landete und sich sogleich mit einem Kampfschrei auf Tarela stürzte. Diese jedoch hatte scheinbar nur damit gerechnet, von dem Mungo attackiert zu werden, denn noch bevor dieser bei ihr angelangt war, hatte sie bereits eine elegante Schlängelbewegung zur Seite ausgeführt und ihren Körper angriffsbereit zusammengerollt. Als das klauenbewehrte Pokémon dann auf dem Boden aufkam und herumwirbelte, um einen neuen Angriff zu starten, war es bereits zu spät; die Schlange war im Bruchteil einer Sekunde bei ihm, und es dauerte nicht einmal einen Wimpernschlag lang, bis der Mungo wehrlos im eisernen Griff des Vipitis gefangen war.
Keleiya und Nayilu hatten das Spektakel, das sich ihnen bot, interessiert gemustert, und schließlich war es an Keleiya, ihrem Freund einen überlegenen Blick zuzuwerfen.
»Gewonnen«, säuselte sie amüsiert und trat mit ihm zusammen zu den beiden Pokémon, die noch immer in einem undefinierbaren Knäuel auf dem klammen Gras kugelten. »Und ich wage fast zu behaupten, dass das ein neuer Rekord für uns war.«
Nayilu murmelte etwas Unverständliches, konnte sich ein Grinsen allerdings nicht verkneifen.
»Wir bringen es halt nicht über uns, Mädchen zu schlagen«, erwiderte er schließlich und hockte sich hin, den Blick noch immer auf Tarela und sein Sengo geheftet. »Nicht war, Teleff?«
Die beiden Pokémon lösten sich voneinander, fast so, als hätte niemals ein Kampf zwischen ihnen stattgefunden, und der Mungo eilte geschwind zu seinem Trainer. Sanft schmiegte er sich an dessen Bein, und Nayilu kraulte seinen Partner sanft unter dem Kinn, noch immer grinsend und vergnügt. Dann aber wurde er ernst und erhob sich, und auch Teleff richtete sich wieder auf und blickte in den kühlen, unwirtlichen Nebel. Keleiya schaute ebenfalls in die düsteren grauen Tiefen, und auch wenn sie nicht wollte, dass die gemeinsame Zeit mit Nayilu bereits wieder endete, wusste sie doch, dass es nun soweit war.
»Ich schätze, wir können es nicht mehr aufschieben«, flüsterte sie und sah Tarela traurig an. Diese erwiderte ihren Blick aus großen roten Augen, und obwohl Keleiya nicht danach zumute war, schlich sich doch wieder ein Lächeln auf ihre Züge.
»Bist du bereit?«, fragte sie und wandte sich Nayilu zu, der sie grimmig und entschlossen anschaute.
»Lass uns den Laden auf den Kopf stellen«, sagte er mit dem Anflug eines bitteren Lächelns auf den Lippen, und sie nickte. Die Plänkelei hatte ein Ende. Jetzt würde der richtige Spaß beginnen.
»Dunkelnebel«, flüsterte sie, und ohne zu zögern führte Tarela den Befehl ihrer Trainerin aus. Das Ende der Welt, so wie man es bisher kannte, stand kurz bevor.
Es war ja nicht so, als ob mir alles egal gewesen wäre... Nein verdammt, es war mir sogar wichtig. Ich ging an dem Tag ziellos umher und wusste nicht wirklich wohin mit mir. Es war kalt. Der Regen schlug gegen den Boden nur um wieder abzuprallen. Ich wickelte meinen grauen Mantel enger. Wie ein bösartiger Dieb zerrte der Wind an mir und peitschte mir verdreckte Herbstblätter ins Gesicht. War doch klar, dass selbst die Natur sich gegen mich wendet. Kurz gesagt, es war ein jener Tage , an dem man gut dran täte ihn aus den Kalender zu reißen und in den Feuern der Hölle verglimmen zu lassen.
„ So ein Schwachsinn." Wütend knüllte sie das gerade eben beschriebene Blatt Papier zusammen.„Als ob das jemand lesen möchte!“ Der Papierball landete in einer Ecke des Tisches. Seufzend senkte sie ihren Kopf auf den Tisch und blickte in die Leere. Tausende Gedanken schwirrten in ihr umher und doch wirkte alles so nichtig. Es war still in ihrem Zimmer. Durch die zwei Fenster strahlte die Sonne hindurch während die blauen Vorhänge sich sanft in der Winterbrise bewegten. Das Mädchen saß wie tot da und rührte sich nicht... Doch die Stille wurde durchbrochen von einem Eindringling der Moderne. Abrupt richtete sie sich auf und nahm den Hörer in die Hand.„Hallo ... Ja ... Natürlich ... Sofort.“ Sie setze den Hörer zurück in die Ladestation und holte tief Luft. Für einen kurzen Moment hatte sie die Augen geschlossen, bevor sie ausatmete und sie wieder aufmachte. Dann sprang sie auf, eilte zu Tür und war weg. Das Zimmer blieb zurück. Die Vorhänge bewegten sich sanft in der Winterbrise und die Sonne strahlte weiterhin durch die Fenster rein. Das zerknüllte Blatt Papier lag in der Ecke.
Langsam schlenderte sie die Straße entlang. Es war kühl draußen, doch sie Sonne erleuchtete die Welt in ihrem wundervollen Licht. Sanft raschelten die Blätter im Wind und der übrig gebliebene Schnee glitzerte am Rande des Gehwegs. Doch das bemerkte sie alles nicht. Der Schnee, den sie so liebte wirkte stumpf, fast so als ob jemand saure Milch auf den Boden verschüttet hätte. Die Sonne schnitt wie ein Messer scharf in ihre Augen und das Rauschen der Blätter war ein Dröhnen in ihren Ohren. Da standen sie. Ihre Freunde. Sie lächelte. „Hey! Da bist du ja endlich!“ riefen ihr ihre Freundinnen entgegen. Sie gesellte sich zu ihnen und entschuldigte sich für die Verspätung. Noch immer war eine sanfte doch kühle Brise zu spüren, am Straßenrand machte sich noch Schnee breit doch die Sonne hieß heute die Welt willkommen, trotz der Winterzeit.„Habt ihr schon gehört...“ begann eines der anderen Mädchen zu erzählen. Doch sie hörte nicht zu. Weit entfernt ertönten die Worte ihrer Freundin, verdeckt durch das Tosen der Leere in ihrem Kopf. Immer die gleichen Geschichten. Sie schaltete ab und kehrte zurück in ihre blühende Welt der Worte...
Es ist so viel passiert an diesem verregneten Tag. Ich konnte es nicht fassen. Die Wahrheit wollte die Schutzmauer durchbrechen, die ich im Namen der Verleumdung aufrecht erhielt. Sie waren alle schuld, das es so weit gekommen ist. Doch niemand gab es zu. Die Hände wurden in Unschuld gewaschen; reines Wasser das Blut war. Und ich tat es ihnen gleich...
Sie schüttelte den Kopf. Doch ehe sie sich weiter Gedanken machen konnte, stupste sie jemand an. Ihre Freundinnen machten sich darüber lustig, dass sie anscheinend schon wieder den Kopf in den Wolken hatte. Alle lachten und sie lächelte. Denn lächeln ist einfach. Zusammen schlenderten sie die Straße entlang und erzählten sich, was sie ihren Familien und Freunden zum Weihnachtsfest schenken werden. Sie überlegte auch, ob sie noch etwas vorbereiten sollte. Einige Zeit später ging sie nach Hause. Der Himmel verdunkelte sich allmählich. Am Straßenrand lag noch immer Schnee - grau gefärbt von Schmutz.
Sie schaute mich an. Ihre Augen sprachen, ihr Mund schwieg. Sie glaubte, ich würde reden. Sie alle schauten mich an. Ihre Eltern und meine Mitschüler, der Lehrer, der Direktor. Blicke bohrten sich stumm in mich und versuchten Worte aus meinem Mund zu ziehen. Doch jeder von ihnen wollte was anderes hören. Und ich? Ich wollte nicht die Wahrheit im Klang meiner Stimme. Ich schüttelte den Kopf. Und während erleichterte Zustimmung durch die Runde ging, zerbrachen ihre Augen in tausend Tränen. Und sie in Scherben.
Das zerknüllte Blatt lag geglättet vor ihr und sie fügte weitere Sätze hinzu. Bei den letzten beiden Zeilen hielt sie inne, schloss die Augen und ein Zucken durchfuhr ihren Körper. Dennoch schrieb sie den Gedanken zu Ende. "Schätzchen, kommst du zu uns ins Wohnzimmer? Wir trinken gerade Tee und deine Schwester hat heute Kuchen gemacht." Sie drehte sich zur Tür, wo ihre Mutter stand. "Nein, heute nicht. Ich schreibe hier den Brief an Clara noch fertig. Viel Spaß euch", antwortete sie und lächelte. Ihre Mutter schaute ein wenig überrascht, doch beschloss nicht zu stören. Sie versank wieder in Erinnerungen, die sich mit ihren Gedanken mischten.
Niemand hatte dem Mädchen geglaubt. Und es war meine Schuld. Ich hätte die Wahrheit platzen lassen können wie eine Bombe. Sie allen ins Gesicht schleudern. Meinen Mitschülern ihre selbstüberzeugten Gesichter verbrennen. Und mein Gesicht. Schließlich hatte ich mitgemacht. Sollte sie lieber gehen. Niemand wird ihr mehr etwas tun an der neuen Schule. Warum sollte man also Leichen aus dem Keller schaufeln. Wozu Gesichter verbrennen, wenn es so für alle besser war. Sie wird das schon hinter sich lassen. Sie wird schon wieder lächeln können. Vier Monate später erfuhr ich von ihrem Selbstmord.
"Mama, muss mal kurz zur Post", rief sie ihrer Mutter zu, als sie ihr Zimmer verließ. "Schatz, warte mal kurz!", hielt sie ihre Mutter auf, "ich finde es wirklich schön, dass du wieder mit Clara Kontakt hast. Ihr wart so lange beste Freundinnen und seit du vor vier Monaten die Schule gewechselt hast, hast du kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Ich fand das wirklich schade." Sie schaute ihre Mutter an und zögerte für einen Moment die Tür zu öffnen. Dann lächelte sie. "Ja, fand ich auch." Sie machte sich auf den Weg zur Post.
Hallo, ich bin ein Wesen, welches man Pokemon nennt, genauer gesagt eines der Spezies Nachtara. Mein Besitzer, einer der Felllosen, hat sich nie die Mühe gemacht, mir einen besseren Namen zu geben, was auch einer der Gründe ist, warum ich ihn abgrundtief hasse. Ja, wirklich, die meisten Pokemon, die ich kenne, werden von ihren Felllosen gut behandelt, doch ich...
Wenn ich nur daran denke, wie er meinen Kopf leicht mit dem Finger streift, sträubt sich mein schwarzes Fell vor Abscheu, und die gelben Ringe an Kopf, Ohren und Schweif leuchten in einem noch stechenderen Neongelbton. Ich bin nicht die einzige, die das Leben hier am liebsten verlassen und einfach sterben würde. Das, wo ich mich nun befinde, ist die Hölle. Ich verstehe nicht viel vom Verhalten Fellloser- warum wohnen sie in so seltsamen Höhlen und haben nur künstliches Fell? Die einzigen Überreste von etwas, das einmal eine Mähne gewesen sein könnte, befinden sich auf dem Kopf dieser Ungeheuer. Auch verstehe ich nicht, warum sie mich in eine kleine, enge Kapsel sperren- ein Ball, wie ich mittlerweile weiss.
Doch zurück zu meiner Wohnort, hier gibt es hauptsächlich Evoli. Zwar sind auch deren Entwicklungsstufen vertreten, jedoch nur jeweils ein Mal, und es kam noch nie vor, dass ich alle auf Einmal zu Gesicht bekam. Zwei fehlen immer, werden dann wieder gebracht und gegen andere ausgetauscht. Sie wollen dann nicht sagen, wo sie waren, doch mein Gespür sagt mir, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Die Evoli dagegen kommen und gehen, eines nimmt unser Fellloser mit, dann kommt ein neues, und der Kreislauf geht immer weiter.
Ich... ich vermisse meine Mutter. Ich habe keine Ahnung, was sie jetzt grade tut, doch bin ich mir sicher, dass sie sich an einem besseren Ort befindet. Alles fing im Grunde ganz harmlos an.
Der Tag war warm, und Smettbo und Papinella schwirrten um unsere Köpfe, immer begierig auf der Suche nach neuen Blüten, an denen sie sich laben konnten. Der wolkenlose Himmel, der einen frischen und nicht zu aufdringlichen Blauton angenommen hatte, spiegelte sich leicht im Bach neben unserem Bau, in dem das Wasser weiter floss bis zu einem großen See weit weg von unserer Behausung in der Wand eines Abhangs.Mutter und ich waren wie üblich früh aufgestanden, um uns den Sonnenaufgang anzusehen, der an diesem Tage besonders schön und leuchtend gelborange war.Seit diesem Tag habe ich keine Sonnenaufgänge mehr gesehen und mich auch nicht mehr an das warme Fell des Folipurbas gekuschelt das meine Mutter war. Als die Sonne schon weit über dem Zenit stand, beschloss sie, mit mir etwas zum Frühstück zu suchen, da dieses Gebiet zu jeder Jahreszeit viel Nahrung für all die Pokemon übrig hatte, die es sich dort, in der Nähe der Felllosenbaue, bequem gemacht hatten.Was die so alles wegwarfen! Ein einziges Mal leider nur fand ich etwas, dessen Geschmack sich wohl mit keinem Vergleichen lässt, den ich je auf meiner Zunge hatte. Es schmeckte wie Nektar, allerdings war es fest und hatte einen seltsamen Nebengeschmack den ich nicht kannte. Doch mir war das alles Egal, man konnte es essen und der Rest zählte nicht.
Als wir so suchten, die Nase dicht am Boden, um nur keinen wertvollen Hinweis zu verpassen, hörten wir es. Erst nur ganz leise und fern, dann immer näher! Es klang, als würde sich etwas großes durch den Wald bewegen, und zwar etwas, das sich nicht darum kümmerte, wie laut es war. Wenige Sekunden später raschelten die Farnwedel auf der Lichtung, und heraus trat ein Fellloser. Auf mich wirkte er wie alle seiner Art. Aufrecht stand das Wesen auf zwei Beinen, auf seinem Kopffell hatte es etwas wie einen Panzer angebracht und in seiner riesigen Pranke hielt es wohl irgendetwas.. Ich bemühte mich, einen Blick auf meine Mutter zu erhaschen, doch traute mich nicht, den Kopf zu bewegen. Ich roch ihren Angstgeruch, sah aus den Augenwinkeln ihre versteinerte Haltung, doch konnte nichts tun, ich war machtlos.
Endlich konnte ich sehen, was der Felllose vor uns versteckte: mit einer seltsamen Bewegung lies er eine Kugel erscheinen, halb rot und halb weiß, und sagte etwas in seiner Sprache. Daraufhin erschien ein Lichtstrahl. Zuerst konnte ich nicht zuordnen, wohin dieser gehörte, doch nach und nach setzte sich ein Bild aus den Lichtpigmenten zusammen. Als ich das Pokemon erblickte, das nun vor mir stand und einen gefährlichen Blick aufsetzte, bekam ich es zum ersten Mal richtig mit der Angst zu tun- schon an Größe war dieses Wesen Mutter weit überlegen. Dazu kam noch, dass es Flügel besaß, die verschiedene Türkistöne aufwiesen, Krallen und Zähne scharf wie ein Messer. Das Horn auf seinem Kopf schien ebenfalls nicht ungefährlich zu sein, und das Pokemon war noch dazu in einem furchtbar grellen Orange gehalten, das am Bauch etwas heller war.
Ohne Vorwarnung stürzte sich der Feind auf meine Mutter. Er flog senkrecht in die Luft und stieß dann in einem Tempo, bei dem mir vom Zusehen schon schwindlig wurde, auf das verhältnisweise wohl wehrlose Folipurba zu. Dieses konnte grade noch rechtzeitig ausweichen, und auf einmal kamen aus den Blättern an Mutters Körper weitere Blätter geschossen, klein und scharf. Pfeilschnell, als hätten diese ein Eigenleben entwickelt, schossen sie auf das gegnerische Pokemon zu, das den Winkel seines Fluges ändern musste. Meine Mutter nutzte die Gelegenheit, weitere Blätter zu produzieren, doch dieses Mal war der Gegner vorbereitet. Ganz einfach wischte es die Attacke aus der Luft, indem es mit seinem Schweif schlug, und traf meine Mutter dabei hart an der Schulter. Benommen rappelte sich diese wieder hoch, erkannte ihre Chance und sprang hoch, um sich gleich darauf im Flügel festzubeißen. Das Wesen, nun mit schmerzverzerrtem Gesicht, schrie auf und stiegt hoch in die Luft. Mutter hielt sich wacker fest, doch irgendwann verließ sie ihre Kraft... mit einem Aufschrei stürzte sie auf den harten Erdboden und und schlug auf. Ich erwartete, dass sie gleich wieder aufspringen würde und die alte sein, doch überraschenderweise tat sie nichts in der Richtung. Sie bewegte sich keinen Millimeter, und langsam bekam ich wirklich Angst.
Ein Klicken hinter mir lies mir das Blut in den Adern gefrieren. Vorsichtig wandte ich mich um, und erblickte wieder den Felllosen. Er hielt erneut eine dieser Rot-Weißen Kapseln in der Hand und kam langsam und bedrohlich auf mich zu. Ich hatte Todesangst. Mein Herz raste, und meine Beine befahlen meinem Körper, loszurennen und mich in Sicherheit zu bringen, doch konnte ich mich nicht Rühren. Wie festgeklebt starrte ich geradeaus, bis mich auf einmal ein seltsames Gefühl überkam. Es war ein Kribbeln, anfangs nur leicht, später immer mehr. Um dem Schmerz zu entgehen, kniff ich die Augen zusammen und versuchte, mich nur auf die Umgebung zu konzentrieren, doch ich stoppte abrupt, als ich merkte, dass ich mich nicht mehr auf der Lichtung befand, doch wäre ich am liebsten auf der Stelle dorthin zurückgekehrt.
Es war furchtbar Eng, undstockfinster, so dass ich nicht sehen konnte, wo ich mich befand. Unter meinen empfindlichen Pfoten fühlte mich die Oberflüche glatt und kalt an, ganz zu schweigen von dem widerlichen Geruch. Alles hier roch so... falsch, als wäre es ein nicht natürliches „Ding“, sondern etwas, das garnicht existierte. Vielleicht tat ich das ja auch? Vielleicht war ich auch nur das Produkt einer Fantasiererei. Doch wenn dies wirklich stimmen sollte, hoffte ich, dass sich mein Erschaffer diesen Qualen, die ich durchlitt, bewusst war.
Dass jedoch mein ganzes weiteres Leben diese Qual sein sollte, hatte ich damals nicht geahnt.
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