Man stelle sich vor, das ganze Leben ist ein einziger verrückter Drogentrip. Man kennt die Welt nicht anders, man ist völlig ahnungslos, wie sie sonst aussehen könnte außer so wie man sie jetzt gerade wahrnimmt und das schlimmste, man hat keinen Schimmer, dass die eigene Wahrnehmung einfach ein Leben lang beeinflusst war. Und dann, eines Tages einfach so, wacht man auf und ist entsetzt darüber, wie grau und eindimensional die Welt tatsächlich ist, wie wenig sie mit der bisher bekannten «Realität» zu tun hat. Wer dieses Bild jetzt im Kopf hat, sollte eine ungefähre Ahnung haben, wie es Larak ergangen war, als sie den Tempel der Risse zusammen mit zwei weiteren Vertrauten verlassen und sich auf den Weg nach Fe’ir gemacht hatte, wie es die Vorhersage des Weisesten verlangt hatte. Und je weiter sich die Gruppe von der Heimat entfernte, desto schlimmer wurde es für alle. Die Aussenwelt war vor allem eines,unvorhersehbar. Im Tempel, welcher Tag und Nacht von dem Verstand beflügelnden Gas durchzogen war, hatte jeder seiner Bewohner dauerhaft geringe Visionen. So konnte Larak manchmal in einem Gespräch Antworten vorausahnen, sie wusste, wann jemand durch welche Tür kommen würde und konnte sie entsprechend aufhalten und selten wurde ihr auch spontane Einblicke in den Alltag der anderen Aspiranten gewährt. Das alles war für sie, genauso wie für alle anderen Vertrauten, völlig normal gewesen, Visionen und Gedanken hatten eine unzertrennliche Einheit gebildet. Natürlich hatte sie gewusst, dass der Untergrund, auf dem das Gebäude errichtet wurde, verantwortlich war für die Visionen – aber dass die Aussenwelt sich so drastisch vom Tempel der Risse unterschied hätte sie sich nie träumen lassen. Hier war ihr Verstand gewissermaßen eingeschlossen in ein Gefängnis aus Unwissenheit über die Ereignisse, die sich in naher Zukunft zutragen werden. Und nicht nur das; Alles, was sie erblickte, war einzig und allein nur das, was sie, nun ja, erblickte. Keine vorbeihuschenden Bilder von entfernten Orten oder Gedankensprünge zu irrelevanten Dingen, die noch passieren würden. Nein. Es war, als würde sie durch ein Fernglas schauen – das große Ganze war nicht länger sichtbar, stattdessen wurde es durch eine lästige Vergrößerung eines unwichtigen Bruchteiles ersetzt. Auch wenn sie ihre Augen nicht wirklich auf etwas richten konnte, schweifte ihr Blick über die Umgebung, die die Aspiranten gerade durchschritten. Diese Lande hier waren tot, trostlos und trocken, und sie machten Larak Angst. Sie war nun ganz der Gegenwart ausgeliefert und fühlte sich hilflos und verloren. Wären ihre Reisebegleiter nicht gewesen, der zwölfte und die fünfte Aspirantin, sie wäre vermutlich umgekehrt und hätte den Tempel nie mehr verlassen. Mit ihren Brüdern und Schwestern an ihrer Seite fühlte sie sich zwar nicht unbedingt weniger gestresst, aber auf jeden Fall weniger einsam. Das Trio würde sich allerdings an der Grenze zu Fe’ir aufteilen; Larak würde weiterziehen in das Landesinnere, während Nuruka, der zwölfte Aspirant und Ji’na, die Fünfte, nordwärts wandern würden auf ihrer eigenen Route. Daran hatte die Kahle nichts auszusetzen. Es war im Orakelspruch explizit verlangt worden, dass nur Larak nach Fe’ir gehen wird, Ji’na und Nuruka hatten ihre eigene Prophezeiung erhalten, der sie folgen würden.
Soweit so gut, der Weg würde erst nach der Grenze richtig anstrengend werden für Larak: Wohl wissend um den miserablen körperlichen Zustand seiner Schwester hatte Nuruka angeboten, sie auf der riesigen Tasche, die er am Rücken trug, zu tragen. Dankend hatte Larak angenommen und sinnierte jetzt auf seinen Schultern darüber, wie sie nach der Grenze am besten vorwärts kommen sollte. Viel Gepäck mitzunehmen kam nicht in Frage; Sie käme vermutlich nie an ihrem Ziel an, so sehr würde sie verlangsamt werden. Dazu kam ihre mehr als mangelhafte Ausdauer und ihre kleinen Schritte, die auch nicht gerade zuträglich für ein effizientes Wandern waren. Sie zog die Kapuze ihrer Kutte über den Kopf, um sich vor der brennenden Sonne zu schützen, und starrte ins Leere, wobei tausende Gedanken in ihrem Kopf herumschwirrten – der Verlust ihrer seherischen Fähigkeit schmerzte zu sehr, um einen klaren Gedanken zu fassen. Dem Schweigen ihrer Begleiter nach erging es diesen auch nicht anders, und so war für eine sehr lange Zeit nur das Knirschen von Schritten auf dem sandigen Boden zu hören. Sie hatten sich ihre Reise eigentlich anders vorgestellt.
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Keuchend schleppte die blasse Gestalt im weiten roten Gewand sich auf eine bewaldete Anhöhe. Die Tasche, die sie auf dem Rücken trug, drohte sie jeden Moment nach hinten zu reißen. Ihre Arme und Schultern brannten wie verrückt und ihre Beine fühlten sich schwer wie Blei an. Gelegentlich hatte Larak sogar auf gezielte Schocks zurückgreifen müssen, um ihrem Körper den Extrakick zu verschaffen, den sie brauchte um mit ihrer gesamten Ladung an Reisegepäck vorwärtszukommen. Nicht, dass das allzu viel wäre; Ihr «Gepäck» bestand aus einer Ration für drei Tage – zum Glück war Larak genügsam, was das Essen anging, und so würde sie vermutlich doppelt so lange reichen, einer dicken Decke für die Nächte und einer übergroßen Papierrolle mit einem Tintenschreiber, die dazu gedacht war, die wichtigsten Punkte ihrer Reise festzuhalten. Bisher hatte sie noch keine Verwendung gefunden, dafür war viel zu wenig passiert. Insgeheim wunderte sich Larak nämlich, was genau ihre Aufgabe in Fe’ir sein wird. Der Weiseste hatte sich extrem vage ausgedrückt bei der Beschreibung ihres Auftrages. Aber es lag nicht an ihr, die Worte des Weisesten anzuzweifeln, genau genommen lag es an niemandem, das zu tun. Er war das Sprachrohr des Schicksals selbst und wenn er eine Voraussage aussprach, lag er nie falsch, denn nicht umsonst hatte er das Amt des ersten Aspiranten inne. Larak müsste also einfach Vertrauen haben. Die Zukunft würde die Teile ihrer Bestimmung in Fe’ir noch genug früh in Position bringen.
Im Moment galt vor allem eines, und das war der Weg, der noch vor ihr lag. Mit ihren dürren weißen Händen stützte sie sich auf ihrer (nicht wirklich schweren) Ledertasche ab und versuchte, sich einen Überblick über ihre Umgebung zu verschaffen. Auch wenn sie längstens nicht mehr alles sah, was da war, so fand sie durchaus Gefallen an ihrer Umwelt. Verglichen mit den staubtrockenen Felswüsten ihrer Heimat war diese endlose Fläche an Vegetation einfach traumhaft schön. Alles war so farbenfroh und vor allem grün, grün soweit das Auge reichte. Was zwar nicht allzu weit war, aber trotzdem. Gestern Abend hatte Larak bereits versucht, einen der Bäume abzuzeichnen – das Ergebnis war mäßig ausgefallen, aber dafür war die Beschreibung umso detaillierter geworden. Ihre Brüder und Schwestern würden sich über diese Informationen aus erster Hand bestimmt freuen.
An was sich die Vertraute noch immer noch gewöhnt hatte, war das Drehen des Kopfes, um das Sichtfeld zu verschieben. Mit solch einer eingeschränkten Sicht, mit der sie jetzt klar kommen musste, stellte es sich alles andere als einfach heraus, die gesamten Ausmasse dieses Waldes zu begreifen. Doch auch daran würde sie sich gewöhnen, früher oder später. Wenn die Orientierung nur nicht so schwer wäre! Zwar befand sich auf ihrer Rolle auch eine handgezeichnete Karte des Landes, aber als genau konnte man sie nicht beschreiben. Die einzigen Informationsquellen, auf die sich die Macher der Karten verlassen hatten, waren ihre eigenen Visionen und Träume gewesen, und dementsprechend stimmte sie an gewissen Stellen nicht. Weiter schlimm war das jedoch kaum; Hier unter diesen Bäumen nützte sie Larak sowieso nicht allzu viel. Sie schulterte ihre Tasche wieder und begann mit dem Abstieg über den dreckigen Waldboden. Unter ihren bandagierten Füssen fühlte dieser sich seltsam an, aber irgendwie auch angenehm. Es war eine nette Abwechslung zu den Stein- und Sandböden, über die sie sonst schritt. Noch immer schwer atmend und zitternd erreichte sie den Fuß des Hügels, als ihr ein bekannter Geruch unter all den fremden, faszinierenden Gerüchen in die Nase stieg. War das… ein Feuer? Jedenfalls roch es verdächtig nach Rauch hier in der Gegend, hoffentlich ein Anzeichen auf Zivilisation! Freude stieg in Larak auf, die aber gleich wieder verflog: Dass sie sich über so etwas Banales wie einen Geruch freute, zeigte nur, wie sehr sie sich inzwischen auf ihre anderen Sinne verlassen musste. Sie seufzte niedergeschlagen. Wie sollte sie wissen, wann sie ihre Bestimmung erfüllt hatte, wenn sie es weder selber merken, noch mit dem Orden Kontakt aufnehmen konnte? Niedergeschlagen beschloss sie, dem Rauch trotzdem zu folgen. Was hatte sie schon groß zu verlieren? Und als höher gestelltes Mitglied der Spirale des Aufstieges wusste sie immerhin, wie sie sich zu verteidigen hatte, falls alle Stricke reißen sollten. Und falls die Besitzer des Feuers (denn das war vermutlich die Quelle des Rauches) ihr wohlgesonnen waren, konnte sie eventuell Kontakte knüpfen und nach Anhaltspunkten für die Weiterreise Ausschau halten. Mit leisen Schritten ging sie dem Geruch nach.
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Es handelte sich tatsächlich um ein Feuer, welches inmitten eines Nachtlagers entfacht worden war. Von ihrem Versteck hinter einem besonders dicken Baum beobachtete die Aspirantin kritisch das Lager. Mehrere Leute hatten daneben Platz genommen, und einige von ihnen schienen fest zu schlafen. War es bereits Morgen? Oder brach gerade die Nacht an? Larak hatte kein Zeitgefühl. Die paar wenigen Rasten, die sie eingelegt hatte, hatten zu keiner festen Tageszeit stattgefunden und sich nur nach ihrem eigenen Wohlbefinden gerichtet. Zwar war sie bereits seit dem Abschied von Ji’na und Nuruka erschöpft gewesen, aber durch ihre Magie hatte sie sich noch immer zum Weiterlaufen antreiben können.
Zweifel und Frust überkamen sie plötzlich. Sie wusste ja nicht einmal, wer diese Leute waren! Erneut fühlte sie sich hilflos und vor allem unwissend. Die Begegnung mit diesen Reisenden würde absolut kein Problem darstellen, wenn sie nicht den harschen Einschränkungen der Aussenwelt unterliegen würde. Aber so? Larak hatte keine Ahnung was geschehen würde, wenn sie sich ihnen offenbarte, und das Gefühl machte sie ganz nervös. Doch schlussendlich hätte sie sowieso keine andere Wahl als in Kontakt mit den Leuten vor ihr zu treten, wenn sie mehr über dieses Land erfahren wollte. Sie straffte ihre Schultern, wobei ein unschönes Knacken ertönte, und begab sich vorsichtigen Schrittes zum Feuer. Erst jetzt bemerkte sie das riesige, teils glühende Tier, das sich neben den Menschen an die Feuerstelle gesetzt hatte. Larak erinnerte sich, dass das anscheinend ein Lavatiger sein musste, wenn sie den Schriften aus der Bibliothek des Tempels glauben konnte. Er sah eigentlich ziemlich zahm aus, wie er dasaß und einem rothaarigen Mann zusah beim Zubereiten einer Mahlzeit. Aber wer konnte das schon wissen? Sie hätte es bestimmt wissen können, aber jetzt… Naja. Daran würde sie sich gewöhnen müssen.
Die spindeldürre Kultistin war jetzt nur noch ein paar Schritte entfernt vom Lagerfeuer, und beinahe wäre sie auf eine schlafende Person getreten, deren pelzige Ohren im Schlaf unregelmässig zuckten. Faszinierend. Doch noch immer schenkte keiner der Anwesenden ihr Beachtung.
Es sah also ganz danach aus, als müsste sie sich zuerst um Aufmerksamkeit der Gruppe bemühen. Nervös räusperte sie sich und erhob ihre trotz der Unsicherheit entrückt klingende Stimme: «H-Hallo…? Ich bin fremd hier, und falls ihr euch auskennt…» Die Augen zur Abwechslung einmal gänzlich geöffnet starrte Larak die Audienz an und hoffte auf eine freundliche Antwort.
OT: Mein Einstieg wäre somit gemacht, hoffe er passt soweit. Alle, die gerade am Feuer sind, dürfen sich angesprochen fühlen und versuchen, Larak die momentanen Umstände zu erklären.