Ich bin übrigens definitiv kein Erdogan-Befürworter, allerdings halte ich Hitler-Vergleiche aus bereits genannten Gründen für unangebracht, auch finde ich, dass Erdogan schlimmer gemacht wird als er ist. Natürlich islamisiert sich die Türkei durch Erdogan weiter, natürlich entwickelt sich die Türkei zu einer Diktatur, natürlich genießen die Oppositionellen in der Türkei nicht gerade die Rechte von Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Dennoch sieht man in Ländern wie Syrien, Nordkorea, Eritrea, Ägypten und vielen anderen Ländern weitaus schlimmere Situationen und auch, wie einem Militärputsch zugejubelt wird. Meine halbe Verwandschaft lebt in der Türkei und meine Großmutter hält nichts von Erdogan - dennoch wollte sie den Putsch nicht. Das war nun der vierte Putschversuch, den sie in der Türkei miterlebt hat und kein einziges Mal hat sich die Situation der Menschen dort verbessert - egal ob der Putsch erfolgreich war oder nicht. Wenn der Putsch erfolgreich war, gab es eine Militärdiktatur oder sonst irgendwelche miesen Zustände, war der Putschversuch gescheitert, hat der Präsident mit eiserner Faust weiter und noch viel schlimmer regiert. Deshalb war ich auch gegen den Putsch. Man hat gesehen, dass der Putsch absolut unorganisiert war, dass dieser scheitert, hätte im Militär jedem klar sein müssen - gerade wenn eine unberechenbare Person wie Erdogan regiert, ist ein Militärputsch nicht nur absolut undemokratisch, sondern er schadet vor allem den Menschen vor Ort. Erdogan hat nun valide Argumente, unliebsame Kritiker loszuwerden und sich noch deutlicher in Richtung Diktatur zu entwickeln.
Erdogan muss weg, keine Frage. Aber wie? Von innen hatte man nun schon einen gescheiterten Versuch, von außen können wir uns nicht einmischen. Erstens ist die Türkei ein souveräner Staat, sprich man kann nicht mal eben hereinspazieren. Zweitens, und das mag den wenigsten gefallen, hat er uns absolut in der Hand. Die Türkei ist für uns so wichtig wie noch nie. Zum einen ist die Türkei das einzige Land, was uns bei der Flüchtlingsproblematik helfen kann, ohne ihn kommen unkontrolliert wieder fliehende Menschenmassen an und man verliert in Deutschland wieder den Überblick und die Kontrolle über die Situation wie im Herbst vergangenen Jahres. Natürlich ist es diskutabel, ob man mit der Türkei überhaupt einen solchen Deal eingehen kann, da es mehr als fraglich ist, dass die Türkei sich zu 100% an solche Abmachungen hält. Ja, man muss den Deal eingehen. Ich hötte am liebsten auch den Platz für alle Flüchtlinge und würde gerne alle aufnehmen. Das können wir nicht, vor allem mit einem Europa, welches nicjt zusammenarbeitet, dafür reicht der Platz nicht. Der Deal ist notwendig. Treten wir Erdogan nun aber zu sehr auf den Schlips, können wir den Deal vergessen und es werden Hunderttausende neue Flüchtlinge ankommen. Dies ist ein Punkt, der andere Punkt ist, dass die Türkei ein Nato-Mitglied ist, welches die Nato nicht so sehr braucht wie wir die Türkei in der Nato. Die Türkei ist halt der Dreh- und Angelpunkt im nahen Osten, dort brauchen wir ein Nato-Mitglied unbedingt. Eine andere Option als die Türkei gibt es dort nicht.
Natürlich macht die Türkei das nicht zu einem potentiellen EU-Beitrittskandidaten. Ein Land, welches politisch sehr unsicher ist und zudem die Wiedereinführung der Todesstrafe diskutiert, ist kein EU-Beitrittskandidat. Die Todesstrafe ist absolut menschenunwürdig, da gibt es nichts zu diskutieren - jetzt muss der Türkei in Punkto EU-Beitritt entgültig die Tür vor der Nase zugeschlagen werden, man hat schon zu viel von der Türkei akzeptiert. Wie gesagt, Erdogan hat uns absolut in der Hand, aber ein Beitritt in die EU ist nicht erpressbar.
Worauf ich jetzt aber eigentlich hinaus möchte ist der Putsch. Ja, Erdogan weg wäre schön, aber man kann froh sein, dass das Militär nicht an die Macht gekommen wäre. Auch wenn Erdogan ein sehr impulsiver Partner ist, so haben wir mit ihm einen (einigermaßen) funktionierenden Flüchtlingsdeal, so haben wir mit der Türkei nun einmal einen wichtigen Nato-Partner. Ein erfolgreicher Militärputsch wäre, und das hat die Vergangenheit bereits gezeigt, wäre wohl sowohl für die Nato-Mitgliedschaft als auch für den Flüchtlingsdeal mehr als riskant, weshalb wir alle, ob Erdogan-Befürworter oder Kritiker, froh sein können, dass der Putsch gescheitert ist.
PS: Habe jetzt nen Fingerkrampf wegen der WoT aufm Handy.