Gerade keine Energie?
Ja, so in etwa. Ich war etwas demotiviert, hier weiter zu posten, weil ich zugegebenermaßen einfach zum einen auf mehr Kommentare gehofft habe (bzw. es mich sehr demotiviert hat, dass Bastet aufgehört hat zu kommentieren), zum anderen es auch irgendwie sehr demotivierend ist, dass die Geschichte nicht für das Profilabel vorgeschlagen wurde. Weil, ja, darauf hatte ich schon irgendwo gehofft.
Nimmt man damit zusammen, dass es halt sehr viel Arbeit ist, die Sachen hier so formatiert zu posten, war ich eben demotiviert. Aber @Emerald hat mich überredet, hier mal wieder weiter zu posten. Da es mir mit dem formatieren aber zu viel Aufwand ist, lasse ich zumindest das ab jetzt sein und poste die Sachen einfach nur, ohne diese farblichen Markierungen.
Ich meine damit die Nennung von Alice. Wird dir der Fehler auch angezeigt?
Der "Fehler" ist volle Absicht und hat mit dem Charakter zu tun.
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[07.08.2011 – R04 – Angespannt]
Zwei Tage später saß sie mit Robert zusammen in ihrer Wohnung vor einem Fernseher, wo sie einen dieser Comic-Filme zum wahrscheinlich zwanzigsten Mal gemeinsam sahen und dabei Pizza aßen.
Es tat unbeschreiblich gut, Robert hier zu haben. Robert, um den herum, sie nicht aufpassen musste, wie sie reagierte. Robert, bei dem sie absolut sicher sein konnte, dass er sie nur als Freundin sah. Sie konnte mit ihm scherzen, konnte mit ihm lachen, konnte mit ihm reden, ohne sich Sorgen zu machen, ob er sie falsch verstand.
Wie immer regte sich Pakhet während des Films über verschiedene Sachen, vor allem aber den Umgang mit Waffen auf. Filme waren einfach absolut unfähig Pistolen korrekt darzustellen. Entweder trafen die Leute – meistens, wenn sie Bösewichte waren – nichts oder die Waffen waren immer zu hundert Prozent präzise und töteten jeden der getroffen war sofort. Bitte, wie sollte man das ernst nehmen?
Dann würde sich Robert darüber lustig machen, dass sie darüber zu viel nachdachte.
Schließlich rollten die Credits wieder über den Bildschirm, während im Hintergrund irgendein Iron Maiden Song spielte. „Rule of Cool“, nannte man das wohl.
„Was?“, fragte Robin, als sie an dem kalten Tee, den sie ausnahmsweise trank, nippte.
Irritiert sah sie ihn an. „Was ‚was‘?“
„Du schaust aus, als würde dich etwas ärgern?“, meinte er.
Sie zuckte mit den Schultern und beobachtete stumm die weißen Zeilen, wie sie zum oberen Rand des Bildschirms wanderten und dort verschwanden.
Für eine Weile sagte Robert nichts, doch als die Credits schließlich beim „Second Unit Catering“ angekommen waren, schaltete er den Fernseher aus und musterte sie. „Gibt es etwas, worüber du mit mir reden willst?“
Musste er denn darauf rumhacken? Sie zuckte wieder mit den Schultern. „Ich wollte nur noch einmal sagen, dass es mir leidtut“, log sie schließlich. „Die letzten vier Wochen und all das.“
„Ich frage mich langsam, ob ich mir Sorgen machen soll“, meinte er. „Normal hast du immer Zeit für mich und im Moment …“ Er musterte sie misstrauisch, schien sich nicht ganz sicher über eine Sache zu sein. „Bei dir auf der Arbeit ist doch alles okay? Also … für die Verhältnisse deiner Arbeit gesehen.“
„Ja“, versicherte sie ihm. „Alles okay. Ich hatte dir doch von dieser Idiotentruppe, die ich trainieren musste, erzählt, nicht?“
Er nickte zur Antwort.
„Die hatten ihre Abschlussprüfung vor drei Wochen, wenn man so will“, meinte sie. „Und danach haben wir direkt einen anderen Auftrag reinbekommen.“ Technisch gesehen war es nur die halbe Wahrheit. Dazwischen war immerhin ein Wochenende gelegen, dass sie bei Heidenstein damit verbracht hatte, mit ihm zu reden und mit ihm Filme zu schauen. Sie hatte in letzte Zeit wirklich zu viel Zeit mit ihm verbracht. „Und dann hatte ich Urlaub und so hat sich das alles ergeben. Keine Probleme, nur viel Stress.“
Robert lächelte sanft, auf die für ihn übliche Art. Es hatte etwas Brüderliches. „Ich verstehe schon. Es war nur ein wenig einsam ohne dich.“
„Ich fühle mich geschmeichelt“, antwortete sie. Auch sie lächelte, wenngleich sie selbst bemerkte, dass ihr Lächeln matt ausfiel.
Sie hatte die Beine angezogen, sich am Sofa angelehnt und sah zur Decke.
„Ist das wirklich alles?“, fragte er nach einigen Sekunden.
„Ja.“ Sie konnte ihm davon nicht erzählen. Er konnte es nicht verstehen. Nein, er würde es wahrscheinlich besser verstehen, als sie selbst es verstand. Robert war mit diesen Sachen – emotionalen, sozialen Sachen – besser, als sie. Er verstand es. „Okay. Nein“, flüsterte sie schließlich.
Robert, rückte näher zu ihr, berührte sie aber nicht. Sie kannten sich seit über zwanzig Jahren. Er wusste zu gut, dass sie es nicht mochte. „Was ist passiert?“
Sie bemerkte, wie sie selbst die Lippen schürzte, ganz so, wie es Heidenstein immer tat. Wo sollte sie anfangen? „Bei der Chaostruppe ist ein Kerl.“ Was für ein Anfang.
„Ein Arsch?“, fragte Robert. Er kannte ihre bisherigen Erfahrungen in der Hinsicht nur zu gut. Meistens, wenn sie ihm von einzelnen Kollegen erzählte, war es, weil diese ein übergroßes Ego hatten, manipulative Arschlöcher oder Sexisten waren. Solange sie nicht ihre Persona annahm, in der sie in den Bars an manchen Abenden flirtete, wurde sie – anders, als manche anderen Söldnerinnen – nicht angeflirtet. Doch auch sie durfte sich dumme Sprüche anhören, meistens darauf bezogen, dass Frauen nicht zum Kämpfen geeignet waren. Bullshit, der Bullshit blieb, sie auf Dauer aber auf die Palme brachte.
„Nein“, sagte sie. „Eben nicht. Er ist okay. Ich würde ihn sogar als sympathisch bezeichnen.“
Robert sah sie an. „Und?“
Jetzt kam wohl die Stelle, an der sie ehrlich sein musste. „Er ist mit der Grund, warum ich so wenig Zeit hatte. Ich habe viel bei ihm rumgehangen und …“ Sie biss sich auf die Zunge. „Ich kann gut mit ihm reden. Ich rede gern mit ihm.“
„Willst du was von ihm?“, fragte Robert gerade heraus.
„Nein!“ Sie rief das Wort beinahe aus, richtete sich auf. „Sorry“, murmelte sie einen Moment später. Sie seufzte. „Nein, ich will sicher nichts von ihm. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er was von mir will.“
„Hast du mit ihm darüber gesprochen?“
Okay, vielleicht war Robert doch nicht die beste Hilfe. „Ja, natürlich. Er hat mir versichert, dass er versteht, dass ich kein Interesse habe. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er es wirklich meint.“
„Vertraust du ihm?“, fragte Robert.
„Relativ, ja“, erwiderte sie. Sie vertraute Heidenstein mehr, als allen anderen Leuten, die sie kannte – mit Ausnahme von Robert vielleicht. Allein dieser Gedanke überraschte sie. Immerhin kannte sie Heidenstein gerade einmal drei Monate. Aber irgendwie … Er war wohl diese Art von Person, mit der sie gut auskam.
„Vertraust du dann nicht drauf, dass er es wirklich versteht? Selbst wenn er was von dir will, glaubst du, dass es zwischen euch stehen wird?“
„Das ist es ja“, murmelte sie. „Ich weiß es nicht.“ Sie war nie in einer solchen Situation gewesen. Normal hatte sie keine Freunde. Das nächste an einem Freund, dass sie neben Robert hatte, war Smith und sie konnte sich nicht vorstellen, dass eine sowas je mit Smith zustande gekommen wäre, der immerhin fast ihr Vater sein könnte. Natürlich nicht! Allein die Vorstellung war albern.
„Vielleicht solltest du noch einmal mit ihm reden“, meinte Robert vorsichtig.
„Ja, vielleicht“, erwiderte sie. Sie hasste den Gedanken daran.
Robert schwieg. „Ich fürchte, ich kann dir nicht mehr sagen, ohne ihn zu kennen.“
Pakhet nickte. „Ich verstehe schon. Nicht schlimm, Rob.“
Er saß neben ihr und schaute auf den nun schwarzen Fernseher, ehe sich noch einmal ihr zu wandte. „Wie heißt der Kerl denn?“
„Doc“, erwiderte sie sofort. Dann korrigierte sie sich: „Sein Codename ist Doctor Heidenstein.“
„Ganz schön lang“, kommentierte Robert.
Wieder machte sich ein mattes Lächeln auf ihren Lippen breit. „Das habe ich ihm auch schon gesagt“, meinte sie.
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[10.08.2011 – X09 – Perspektive]
Die Woche verging langsam. Pakhet verbrachte die Zeit vor allem mit Training, nachdem dieses in der letzten Zeit zu kurz gekommen war. Sie machte Ausdauertraining, Krafttraining, Schießtraining. Es half ihr, ihre Gedanken freizubekommen, sich neu zu fokussieren.
Nach drei Tagen spürte sie, die Anspannung nachließ. Nun, da sie Abstand zu Heidenstein und der Situation hatte, wurde es langsam möglich, das ganze aus einer rationalen Perspektive zu sehen. Es war, wie sie es gesagt hatte: Sie waren beide Erwachsene und es war nur Sex gewesen. Sie hatte mit ihm darüber geredet, hatte ihm erklärt, dass sie nichts von ihm wollte, dass sie eigentlich auch nicht mit ihm hatte schlafen wollen und er hatte es akzeptiert. Seither war Heidenstein vielleicht etwas unbeholfen, aber in keiner Art respektlos gewesen. Es gab keinen Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Es war ihm gegenüber unfair.
Dennoch mied sie es, ihm im Krankenhaus zu besuchen, auch wenn sie die Abende, an denen sie einfach nur dagesessen waren, eventuell etwas gebastelt und dabei geredet hatten, vermisste. Sie wäre zu gerne wieder zu dieser Routine zurückgekehrt.
Eine Sache konnte sie trotz des Abstandes nicht verdrängen: Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die verdächtiger Weise mit Michaels Stimme sprach. Eine kleine Stimme, die ihr immer wieder einredete, dass es ihre eigene Schuld war, da sie überhaupt so etwas wie Freundschaft zu einem Kollegen zugelassen hatte. Hätte sie ihm nicht vertraut, wäre sie nicht in ihrer Freizeit zu ihm gefahren, wäre es wahrscheinlich nicht soweit gekommen. Es war nicht ihr Stil, sagte die Stimme und hatte dabei Recht.
Doch was sollte sie tun?
Sie wusste, dass sie Heidenstein noch immer eine Antwort auf seine Angebote schuldete. Sie wusste, dass die Antwort in beiden Fälle „Nein“ sein sollte und doch konnte sie sich nicht ganz dazu durchringen. Denn auch er hatte nicht Unrecht: Sie konnte nicht ewig so weitermachen, wie bisher. Sie konnte nicht auf ewig als Söldnerin arbeiten. Auch wenn sie von ihrer Vergangenheit davonlief, war es doch keine sonderlich vielversprechende Aussicht. So würde sie irgendwann im Auftrag für eine Firma, vielleicht einen Staat, vielleicht einen Kriminellen sterben – an metallenen Fremdkörpern in Kopf, Herz oder Lunge, vielleicht auch zu großem Blutverlust. Ertrinken war auch eine Möglichkeit. Fakt war, dass sie sich nicht sicher war, ob das wirklich der Tod war, den sie sich wünschte.
Wenn sie als Mary Montgomery oder als sonst irgendjemand mit einem neuen Job anfangen würde, dann sollte sie die Möglichkeit doch nutzen, oder?
Sie sollte die Möglichkeit nutzen, sollte einen Neuanfang wagen. Und doch …
Da war auch Michael. Michael, von dem sie wusste, dass er sie als seine persönliche Geldanlage ansah. Michael, der ihr damals ihre neue Identität und auch die erste Prothese bezahlt hatte. Michael, der sie hierher gebracht hatte und der sie sehr wahrscheinlich nicht so leicht gehen lassen würde. Ja, was würde Michael tun, wenn er davon wüsste?
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[12.08.2011 – M10 – Check-Up]
Pakhets Plan Abstand zu gewinnen verlief für einige Tage erfolgreich. Es war der Freitag, an dem sie abends um zehn vor sechs einen Anruf von Murphy bekam. Was auch immer der Junge nun von ihr wollte.
Die Frage beantwortete sich, sobald sie abhob: „Ich bin schwer enttäuscht von dir, Pakhet.“
Sie hob eine Augenbraue, sich dessen bewusst, dass er davon nichts sah. „Aha?“
„Jetzt bist du fast eine Woche zurück und ich bekomme keinen Anruf, keine Nachfrage wie es mir geht. Dabei hatten du und der Doc mich armen Jungen einfach allein im Krankenhaus zurückgelassen!“
Oh ja, da war etwas gewesen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nicht mehr über Murphy und seine Vergiftung nachgedacht, seit sie an jenem ersten Tag in ihrem Urlaub aufgewacht war. „Es tut mir leid, Kid“, sagte sie und meinte es. „Ich hatte viel zu tun.“
„Du hattest Urlaub“, erwiderte er.
„Was nicht heißt, dass ich nichts zu tun hatte.“
„Aha“, meinte der Junge mit einem Tonfall, der einen Schmollmund vermuten ließ.
Sie seufzte. „Wie geht es dir denn?“
„Ich glaube ganz gut, aber ich sollte noch einmal untersucht werden, meinst du nicht?“ Also suchte er nur nach einer Möglichkeit sich mit ihr zu treffen?
Sie hatte nichts, um ihn zu untersuchen. Sie konnte kaum in der Zentrale die Sachen für ihn benutzen. „Wieso fährst du nicht zum Krankenhaus? Der Doc wird sich sicher um dich kümmern.“
„Treffen wir uns da?“, fragte Murphy.
Nein. Sie seufzte. „Eher nicht. Ich habe noch zu tun.“
„Mit den mysteriösen Urlaubsaufgaben?“ Er klang amüsiert. Dennoch war da eine Spur Beleidigung – eine wahrscheinlich wohlgeplante Spur.
„Ja“, sagte sie schlicht.
Schweigen. Dann: „Sag mal, hast du irgendwie Krach mit dem Doc oder so?“
„Nein“, erwiderte sie schnell – zu schnell.
„Dann kannst du dich ja auch mit mir treffen“, meinte er.
„Ich habe keine Zeit.“ Sie versuchte ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Sie konnte gut lügen, also warum glaubte er ihr nicht? Nein, die bessere Frage war: Warum hatte der Junge nicht genug Fingerspitzengefühl, um unabhängig davon, ob er ihr glaubte, die Sache einfach fallen zu lassen?
„Jetzt komm schon, Pakhet“, drängte er weiter. „Ich habe dich seit zwei Wochen nicht mehr gesehen.“
„Und seit wann ist dir das so wichtig?“, fragte sie. Dabei konnte sie nicht verhindern, dass ein zynischer Unterton in ihren Worten mitschwang.
Als er antwortete, war sie sicher, dass er wieder sein typisches Murphy-Grinsen grinste. „Na, seit ich beschlossen habe, dass du für eine Erwachsene eigentlich ziemlich okay bist. Und seit du mir den Arsch gerettet hast.“
„Ah, ja.“ Sie brummte.
Er lachte. „Jetzt klingst du schon, wie Crash.“ Als sie schwieg fuhr er fort: „Jetzt komm. Du hast gerade nichts zu tun. Ich weiß das! Und wenn du nicht kommst, dann frage ich den Doc darüber aus, was zwischen euch beiden los ist.“
Würde Heidenstein es dem Jungen erzählen? Sie glaubte nicht, oder? Oder? Ach, verdammt, der Junge hatte eine Silberzunge und wenn sie ihn lang genug mit Heidenstein allein ließ … Wer wusste, was dann passierte? Am Ende bat Heidenstein ihn noch um Rat! Das würde ihm ähnlichsehen.
Sie schnaubte bei dem Gedanken. „Ist ja gut, Kid, ich komme.“
„Ha!“, frohlockte Murphy.
„Du bist anstrengend, weißt du das?“
Wieder lachte er. „Ich gebe mir Mühe.“ Natürlich war er darauf stolz. Natürlich. Es war Murphy.
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[12.08.2011 – M11 – Neugierde]
Eine Stunde später fuhr sie vor Heidensteins Krankenhaus vor, dessen Parkplatz mittlerweile zu einem Drittel belegt war. Noch immer wirkte es leer, doch bei weitem nicht mehr so verlassen, wie noch vor zwei Monaten. Wenn man bedachte, dass viele Patienten kein Auto hatten, wirkte es sogar recht gefüllt. Wie er das wohl geschafft hatte?
Die Sonne war bereits untergegangen, so dass sämtliches Licht den Straßenlampen am Rand des Parkplatzes zu verdanken war.
Sie hasste die Gegend bei Nacht. Besser gesagt, hasste sie es um diese Zeit, durch die Flats zu fahren. Zwar konnte sie sich wehren, doch war der Gedanke an einen Überfall deswegen nicht reizender. Es war einer der Gründe gewesen, weswegen sie in den vergangenen Wochen so oft bei Heidenstein übernachtet hatte.
Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit, als sie die Treppe zur Straßenklinik hinabging. Sie wollte nicht wieder mit ihm sprechen. Noch nicht. Ja, sie wusste, dass sie nicht ewig davonlaufen konnte. Nun, sie konnte, aber es war nicht fair. Aber zwei, drei weitere Tage … wären die wirklich zu viel verlangt?
Der Flur der Straßenklinik lag dunkel und verlassen vor ihr. Einzig durch den Spalt der angelehnten Tür von Heidensteins Büro strömte Licht. Stimmen waren zu hören. Murphy und Heidenstein.
„Hat sie wirklich gesagt, dass sie kommt?“, fragte Heidenstein. Es klang, als würde er diese Frage nicht das erste Mal stellen.
Pakhet hielt inne. Sie wollte wirklich, wirklich nicht mit ihm sprechen. Sie konnte noch gehen. Solange die beiden sie nicht bemerkt hatten, konnte sie …
Murphy winkte ab. „Ach was, sie kommt schon. Sie macht sich echt Sorgen um mich.“ Ja, sicher Junge. Hätte mit ihm wirklich etwas nicht gestimmt, hätte sie schon lange von Crash gehört. Zugegebenermaßen wollte sie dennoch sicher gehen, dass seine Wunde verheilt war.
„Okay.“ Heidensteins Stimme klang nicht, als würde er ihm glauben.
„Du scheinst ja wirklich überrascht zu sein“, meinte der Junge. „Was ist zwischen euch beiden passiert?“
„Nichts“, sagte Heidenstein schnell. Seine Stimme strafte ihn einen Lügner, selbst ohne sein Gesicht zu sehen. Das musste auch der Junge merken, der für so etwas mehr Gespür hatte als sie.
„Sicher.“ Murphy klang amüsiert, beinahe hämisch. „Jetzt sag. Ich will die ganzen Details hören!“
„Murphy, es ist nichts zwischen uns passiert.“ Heidensteins Stimme war weiterhin unsicher, sagte jedoch deutlich, dass er nicht drüber sprechen wollte.
„Hat sie dir etwa einen Korb gegeben?“, fragte Murphy. Er war dabei erstaunlich nahe bei der Wahrheit.
Sie konnte das nicht länger mit anhören. Ach, verdammt, gerade verfluchte sie den Jungen, auch wenn sie fast sicher war, dass es nicht einmal Böswilligkeit war. Es hätte sie nicht gewundert, hätte er versucht, auf diese Art zu helfen. Er nervte dennoch und ja, sie wollte nicht, dass er davon wusste. Es ging ihn nichts an.
Mit entschlossenen Schritten trat sie auf die Tür zu und warf sie auf. „Da bin ich“, grummelte sie und schenkte dem Jungen einen strafenden Blick.
Er hob die Arme und grinste. „Pakhet!“
„Kid“, erwiderte sie. Sie fixierte ihn für zwei Sekunden, ehe ihr Blick kurz zu Heidenstein wanderte. Sie nickte ihm zu, er erwiderte ihr Nicken, dann senkten sie beide den Blick.
Wunderbar, jetzt verhielt sie sich wie ein Teenager. Großartig. Wirklich großartig.
„Und da dachte ich schon“, meinte Murphy mit der Miene eines leidenden Dramendarstellers, „dass du dein Kid vergessen hast.“
Sie musterte ihn wenig amüsiert. „Hat der Doc dich schon angesehen?“
„Ich habe ihm Blut abgenommen“, erwiderte Heidenstein. „Zu mehr bin ich noch nicht gekommen, ehe er mich ausgefragt hat.“
Sie nickte, bedachte ihn mit einem weiteren kurzen Blick, ehe sie ihre Aufmerksamkeit Murphy widmete. „Zeig mir dein Bein.“
Jeder andere hätte wohl einfach die Hose hochgekrämpelt. Nicht so Murphy, der die Hose gleich ganz auszog. Zumindest ließ er die Unterhose an und ersparte ihr damit entsprechende Peinlichkeiten.
Sie tauschte einen kurzen Blick mit Heidenstein und bugsierte Murphy in den gegenüberliegenden Behandlungsraum. Hier drückte sie erst Murphy auf die Liege, ehe sie die Lampe darüber anschaltete, um sich das Bein besser ansehen zu können.
Eigentlich wäre es sinnvoller, wenn Heidenstein ihn untersuchte. Doch sie wollte etwas zu tun haben, wollte einen Grund haben, Heidensteins Blick zu meiden, weshalb sie sich Murphys Wunde ansah – oder das, was davon übrig war.
Viel war es nicht. Einzig ein Ring aus hellerer Haut, der sich um sein Fußgelenk zog, war von der Verätzung geblieben. Die Reizungen am Unterschenkel waren komplett verschwunden.
Sie machte weiter, so gut sie konnte. Sie maß den Puls des Jungen, seinen Blutdruck, sah in seine Augen, fragte nach Symptomen.
„Och, mir geht es blendend“, meinte Murphy und grinste. „Soll ich vielleicht noch einen Fitnesstest machen?“
Sie verstand sehr wohl, was er meinte, grinste aber sardonisch. „Gute Idee. Zwanzig Minuten auf dem Laufband klingen doch super.“
Er zwinkerte, grinste. Offenbar hatte er mit so einer Erwiderung gerechnet. „Kannst du mir nicht einfach glauben?“
„Kann ich das?“, murmelte sie. „Vielleicht sollte ich Crash mal fragen, was er dazu meint.“
„Er wird dir bestätigen können, dass meine Ausdauer in jeder Hinsicht gesteigert wurde.“ Er hustete trocken, ehe er unter dem Atem hinzufügte: „So, wie er mich durch die Gegend jagt.“ Noch ein Husten. „Das meine ich übrigens wortwörtlich, Pakhet. Der bedroht mich.“
„Meistens, nachdem du ihn ärgerst, oder?“ Sie musterte ihn amüsiert.
„Ich und ihn ärgern?“ Murphy schaute unschuldig, grinste dann aber wieder weit. „Ja, gut, ein wenig. Ab und an. Wobei Alice das auch kann und die jagt er nie.“
„Du kommst also gut mit ihr aus?“ Langsam fragte sie sich, was es mit dem Mädchen auf sich hatte, das sie bisher nie gesehen hatte.
Murphy schenkte ihr einen vielsagenden Blick. „Alice ist super.“
Okay. Vielleicht hatte Crash mehr als einen Grund Murphy durch die Gegend zu jagen.
„Zurück zu deiner Gesundheit“, meinte sie rasch. „Also. Keine Übelkeit?“ Ein Kopfschütteln. „Kein Schwindel?“ Wieder Kopfschütteln. „Kopfschmerzen?“ Dasselbe.
Sie seufzte und schaute schließlich zu Heidenstein. „Was meinst du dazu?“, zwang sie sich zu fragen.
Heidenstein hatte mit verschränkten Armen an der Wand gestanden und kam nun hinüber. „Lass mich mal sehen“, meinte er. Auch er sah Murphy in die Augen, in den Hals und fühlte seinen Puls. Schüttelte schließlich aber den Kopf. „Es scheint alles in Ordnung zu sein.“
„Also kann ich weitermachen, wie bisher?“, fragte Murphy.
Pakhet schenkte ihm einen herablassenden Blick. „Solange du verhütest.“
„Immer!“, meinte er. Dann überlegte er. „Na ja, meistens.“
Natürlich. Sie verdrehte die Augen.
„Ich werde schauen, was deine Blutwerte sagen. Aber rein symptomatisch gesehen, scheint alles in Ordnung zu sein“, meinte Heidenstein. „Du kannst also beruhigt nach Hause gehen.“
Wieder grinste Murphy. „Juhu.“ Dann wandte er sich an Pakhet. „Was sagst du? Gehen wir zur Feier des Tages ein Eis essen?“
Was hatte er nur mit dem Eis? „Hast du nicht Arbeit zu tun?“
„Nein, für heute Abend bin ich frei“, meinte Murphy und zog gewohnheitsmäßig das Handy aus der Jeansjacke hervor, die er trug. Dann seufzte er schwer, verzog den Mund. „Oder doch nicht. Man, kann der Große denn nichts ohne mich tun?“
„Was ist?“
„Ich soll noch mal mit dem Trainer sprechen oder so“, meinte Murphy und sprang von der Liege, auf dessen Rand er die ganze Zeit gesessen war. „Sorry, Pakhet, das Eis muss wohl bis zu einem anderen Mal warten.“
Sie verdrehte nur die Augen, während er bereits zur Tür stürmte.
Hinter dieser blieb er noch einmal kurz stehen. „Danke, dass du hergekommen bist!“ Er hob die Hand zum Abschied und war im nächsten Moment auch schon verschwunden.
Sie lächelte matt, schüttelte den Kopf und wurde sich einen Moment später dessen bewusst, dass sie mit Heidenstein allein war.