Wie es ein bisschen Trend ist in letzter Zeit, bin ich auch mal alte Bereichs-Topics durchgegangen und dabei auf eins zum Thema Vorbilder gestoßen. Das alte Thema ist mit „Inspiration“ gelabelt und nicht als „Diskussion“, und dient dafür, dass man die eigenen Vorbilder nennen kann. Da ich aber das Thema auf einer mehr grundlegenden Art thematisieren will, mache ich dazu mal ein eigenes Topic auf, anstatt das alte zu derailen.
Die grundlegende Frage, die ich aufwerfen will, ist folgende: Sind Vorbilder überhaupt noch zeitgemäß?
Das Thema ist gerade deswegen für Schriftsteller relevant, weil viele Leute Schriftstellerei lernen, indem sie lesen, was andere Personen geschrieben haben. Man lernt im Bereich der Kunst oft das meiste dadurch, dass man sich von anderen Kunstschaffenden inspirieren lässt. Auch wenn es oft viel zugrundeliegende Theorie gibt, ist das meiner Erfahrung nach nicht der Weg, den die meisten Leute gehen, um sich irgendein kreatives Talent anzueignen. Insofern spielen Vorbilder in irgendeinem Sinne für die meisten Personen, die gerne schreiben, vermutlich zumindest irgendeine Rolle.
Andererseits: Ich finde Personenkulte generell problematisch und unangenehm. Keine Person sollte aufgrund ihrer Identität irgendeine Beweihräucherung erfahren. Jegliche Beweihräucherung oder Feier sollte sich, zumindest in meinen Augen, immer auf einzelne Handlungen einer Person beziehen. Das Konzept von Vorbildern steht dem ein bisschen im Weg, denn ein Vorbild hat immer die implizite Konnotation, dass die so benannte Person in jeder Hinsicht vorbildlich ist, und das ist niemand.
Die Debatte steht auch im Zusammenhang mit JKR, die ja unlängst erneut beweisen wollte, was für ein schreckliches Vorbild sie für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt ist. Und ich denke, gerade in so etwas liegt die Krux: Man sieht ständig wieder unzählige aspirierende Schriftsteller*innen, die JKR als Vorbild bezeichnen und ihre tolle erschaffene Welt als Begründung liefern, und ihr dann eben auch bei anderem Zeug hinterherlaufen (mal davon abgesehen, wie problematisch die von ihr geschaffene Welt eh schon ist). Ich finde, einem Vorbild nachzulaufen, ist fast schon per se eine schlechte Idee, da man sich zu sehr limitiert. Jede Person ist letztendlich irgendwie problematisch. Ich kenne keine einzige Person auf der ganzen Welt, unter deren Namen ich eine Unterschrift setzen würde, wenn es darum geht, ob diese Person „unproblematisch“ ist. Hauptsächlich natürlich auch deswegen, weil man nie jemanden wirklich so gut kennt, um das zu wissen.
Natürlich kann man sagen: Ja, jede Person ist problematisch, aber man kann auch kritisch damit umgehen und sie trotzdem als Vorbild sehen. Hier stellt sich halt dann für mich die Frage, ob das dann überhaupt noch den Sinn eines „Vorbildes“ erfüllt. Stattdessen könnte man die Person einfach für ihre bestimmten positiven Handlungen loben und sich davon inspirieren lassen, ohne das auf ihre Identität zu beziehen, die halt mit den problematischen Aspekten verknüpft ist. Hinzu kommt natürlich, dass es total umstritten ist, welche Eigenschaften ein richtiges Vorbild denn nun haben muss, und man sollte unterscheiden zwischen Vorbildern im eigenen persönlichen Umfeld (die ich tendenziell vollkommen okay finde) und Vorbilder im Bereich von bekannten öffentlichen Personen (die ich schon konzeptuell blöd finde). Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern man „ein Talent-Vorbild sein (z. B. in den Bereichen Malerei, Schriftstellerei, Schauspielerei, Sport)“ von „ein moralisches Vorbild sein“ trennen kann. Kann eine Person das erste sein, ohne das zweite sein zu müssen?
Als ich meinen alten Beitrag im alten Vorbilder-Thema gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass ich mich damit kaum noch identifizieren konnte, da ich heute keine Person mehr kenne, die ich vollumfänglich als Vorbild bezeichnen würde. Natürlich gibt es eine Menge Künstler, die ich mag und von deren Geschichten ich super viel lerne und gelernt habe, aber das kann ich klar definieren, und das Wort „Vorbild“ halt nicht, dabei ist letzteres eben so weit verbreitet. Während ich über dieses Thema nachgedacht habe, ist mir auch eingefallen, dass ich unlängst erst eine Person aus meinem Umfeld als „Vorbild“ bezeichnet habe – ich habe das in einem sehr konkreten, abgesteckten Rahmen gemeint (und nichtmal auf mich selbst bezogen), aber es nicht so formuliert. Und je länger ich über das Thema nachdenke, desto mehr kriege ich das Gefühl, dass ich das anders hätte ausdrücken sollen, und dass man von der Romantisierung des Vorbild-Konzepts abkommen sollte. Generell ist das Thema aber sicher bis zu einem guten Grad Definitionssache, aber trotzdem wollte ich mal hören, was andere dazu zu sagen haben.
– Habt ihr viele Vorbilder oder geht ihr dem Konzept ganz aus dem Weg?
– Gibt es eurer Meinung nach eventuell doch „perfekte“ Menschen bzw. Vorbilder?
– Trennt ihr moralische Vorbilder von Vorbildern z. B. für schriftstellerisches Talent?
– Gebt ihr euch Mühe zu versuchen, ein Vorbild für andere zu sein?
– Stellt man eurer Meinung nach zu hohe Erwartungen an Personen mit großem Einfluss?
– Nehmen wir an, du wirst über Nacht berühmt – würdest du dein Verhalten ändern, um ein besseres Vorbild zu sein? Wenn ja, warum hast du dich nicht von vornherein so verhalten?