Mich wundert es ein bisschen, dass der Facebook-Brief von einem gewissen Simon Linder noch nicht im Zusammenhang mit dem Wechsel von Bastian Schweinsteiger genannt wurde. Der Gegenstand hat sich jetzt zwar sowieso erledigt, da der Transfer zu Manchester United bestätigt wurde, aber ich möchte ihn trotzdem mal posten. Es gibt nicht viele Beiträge (und schon gar nicht bei Facebook), denen ich ohne Einschränkung zustimmen würde, aber dieser gehört auf jeden Fall dazu - und das, obwohl ich nicht einmal ein Fan des FC Bayern München bin.
Alles anzeigenLieber Bastian,
Fußballer wechseln manchmal ihren Verein. Das ist normal. Der alte Verein bekommt ein paar Millionen, der Berater auch, der Spieler ebenfalls. Der neue Klub freut sich über den erworbenen Star. So ziemlich alle sind zufrieden, nur ein paar Fans des Ex-Vereins pöbeln auf Facebook unter jedem geposteten Status rum, wieso der ehemals Geliebte denn „unbedingt gerade dahin“ gehen musste. Man hat sich daran gewöhnt.
Es gibt aber auch einen anderen Fall: Wenn eine Vereinslegende geht. Es gibt nur sehr wenige davon im Fußball. Die meisten können diesen Status nicht erreichen, weil sie den Verein zu früh verlassen: für eine bessere Perspektive, für etwas mehr Geld, für eine neue Erfahrung. Die meisten Legenden bringt man mit einem einzigen Verein in Verbindung: Giggs bei Man United, Del Piero bei Juve, Totti bei der Roma, Maldini bei Milan, Gerrard bei Liverpool, Xavi bei Barca. Wenn diese Spieler ihren Verein überhaupt einmal verlassen haben, dann zu einem Verein, den keiner kannte (Del Piero), zu einer Mannschaft, die keinen interessiert (Gerrard) oder zu einem Klub, bei dem das Geld besonders locker sitzt (Xavi).
Nur wenige Spieler schaffen es, ihren Legendenstatus bei einem Transfer zu behalten oder sich dort einen neuen aufzubauen: Thierry Henry, Ruud van Nistelrooy und Zinedine Zidane. Alle drei allerdings waren auf dem Höhepunkt ihres fußballerischen Schaffens - oder eher noch davor. Sie wechselten zu Real oder Barca, den bekanntesten Fußballklubs der Welt. Sie waren schon Weltstars und wollten noch etwas größer werden. Und es gelang ihnen.
Anders verhält es sich bei dir. Du hast über viele Jahre in München schwer gelitten. Erst wurdest du zu lange auf Positionen eingesetzt, die dir nicht lagen. Du konntest dich auf der Außenbahn nicht dauerhaft durchsetzen, manchmal musstest du sogar in der Abwehr spielen. Du bliebst lange ein Talent. Viele sprachen lieber über deine Frisuren als über dich als Fußballer. Aber du arbeitetest hart, du fandest deine Position in der Zentrale, du wurdest zum Boss. Rückschläge gab es jedoch weiterhin: Du warst beim Finale Dahoam dabei, einem der beiden bittersten Spiele in den letzten Dekaden für jeden Roten. Du wurdest mit dem verschossenen Elfmeter für viele Zuschauer zum Sinnbild der Niederlage.
Aber du bist wieder aufgestanden. Du warst dabei, als ihr 2013 den Henkelpott geholt habt. Du bist unser Fußballgott geworden. Und du gewannst den größten Titel, den man als Fußballer auf dieser Erde holen kann: Du wurdest Weltmeister. Wie Peter Dausend im SZ Magazin richtig festgehalten hat, ist das Bild, das vom Finale hängengeblieben ist, nicht Götzes Tor. Es ist nicht der Moment, in dem unser Kapitän Lahm den Pokal nach oben stemmte. Es ist das Bild von dir, wie du blutest - und weiterkämpfst.
Lieber Basti, wir Bayern-Fans identifizieren uns mit dir, weil deine Karriere ein bisschen so ist wie unser Leben. Manchmal läuft’s einfach nicht. Es dauert, bis man irgendwann mal einen Erfolg feiern kann. Aber wenn man lange genug beißt, setzt man sich durch. Trotzdem gibt es wieder Tiefschläge. Man kämpft weiter und weiter. Und irgendwann, wenn man nicht aufgibt, ist man auf dem Thron. Deine Karriere ist ein Sinnbild für das Leben eines träumenden Normalos. Wir alle hängen oft irgendwo fest und hoffen, es doch noch ganz nach oben zu schaffen. Deswegen bist du ein Vorbild für uns.
Ich finde, dass die Bosse des FC Bayern aktuell ein falsches Spiel mit dir treiben. Sie sagen, es sei deine Entscheidung, ob du in München bleibst oder nicht. Damit schieben sie dir den Schwarzen Peter zu. Sie wissen nämlich nur allzu gut - wenn sie dir öffentlich die Freigabe erteilen, sind sie bei vielen Roten unten durch. Wenn du dich also entscheidest, zu bleiben, akzeptieren sie es. Wenn du gehst, ist das für sie auch okay. Diese gespielte Toleranz ist das Signal an dich, dass sie dich nicht vermissen würden. Ich finde: Korrekt wäre es, um dich zu kämpfen. Dir zu sagen, dass du eine Münchner Legende bist. Dass es im Herzen weh tun würde, dich in einem anderen Trikot zu sehen. Und zwar nicht in einem von Los Angeles Galaxy, Sydney FC, Delhi Dynamos FC oder dem al-Sadd Sport Club - wenn du die Erfahrung in ein paar Jahren machen möchtest, verstehen wir das nur zu gut. Es geht um das Trikot des Vereins, der 1999 - du weißt schon.
Mir fallen spontan nur zwei Spieler ein, die - aus Sicht von Verein und Öffentlichkeit - auf dem absteigenden Ast waren, den Herzensklub verließen und (direkt oder über einen Umweg) zu einem Rivalen wechselten: Andrea Pirlo und Frank Lampard. Solltest du wirklich zu Manchester United wechseln, wünsche ich dir alles Gute und hoffe, dass du dort - wie Pirlo bei Juve - nochmals so richtig aufblühst und den Herren Rummenigge & Co. zeigst, was für ein riesiger Fehler es war, dich gehen zu lassen.
Aber, solange die Sache noch nicht durch ist, lass’ mich einen Wunsch an dich richten:
Bitte bleib’, Basti. München liebt dich. Wir lieben dich.
Viele Grüße
Simon