Hass, nichts als unbändigen Hass loderte in ihrem Inneren. Wie konnte es sein, dass dieser Abschaum, dieses verachtenswerte Wesen, immer noch unter den Lebenden weilte, ja sich sogar an der Schönheit des Himmelbaums erfreuen durfte? Wie purer Hohn kam es Xia vor, als sie ihn dort sitzen sah. Den Sensenmann. Einer, nein, der schlimmste aller Zerstörer. Der Vernichter ihrer Zukunft. Er hatte all ihre Mühen die Wünsche der Mutter zu erfüllen zunichte gemacht. Jede Qual, die sie auf sich genommen hatte, in der Hoffnung, in all den Gefühlen, die ihr ihre Familie entgegengebracht hatte auch Liebe zu spüren, jede aufopferungsvolle Geste, jede durchwachte Nacht, in der sie vor Schmerzen über die Wunden an ihrem „verschönerten“ Körper nicht hatte schlafen können, alles für das Miezehäschen. Er hatte seine monströse Sense geschwungen und ihrer Mutter den Kopf abgeschlagen. Nur eine derart riesige Klinge hatte die Wunde am Körper ihrer Erzeugerin verursachen können, denn wenn Xia sich mit etwas auskannte, dann waren es schwere, große Klingen. Fast zärtlich strich sie nun über den Griff ihrer Hellebarde:
Enttäusch mich nicht meine Eisenlilie. Du wirst mir helfen dieses Monster zu vernichten. Sein Lebenssaft wird den Boden benetzen, so wie er einen See aus dem Blut meiner Familie angerichtet hat. Tief durchatmen Xia. Verschließe deinen Geist gegen all die freudigen Empfindungen um dich herum. Verschließe deine eigenen Emotionen hinter einer ruhigen Fassade. Der tödlichste Schlag ist der Hieb einer ruhig geführten Klinge.
Langsam hob sie den Kopf und breitete die Schwingen ihres Herzens aus. Die riesigen schwarzen Flügel erstreckten sich weit über ihren Körper hinaus und ein jeder, der Xia kannte, hätte schwören können, dass sie schon wieder gewachsen waren. Alls in allem eine pompöse Erscheinung, die sich da in der Mitte der Straße erhob. Die schwarzen Stiefel verhalfen ihr zu einer Größe von 1,90 Metern, die weißen Haare, die im Sonnenlicht an Schnee erinnerten, die grauen Augen, die in der Dunkelheit an erloschene Sterne erinnerten, der rote Stein auf ihrer Stirn, der so funkelte wie das wonach es sie dürstete: Blut.
Mit vollkommen ruhiger Mine schritt sie über den Platz auf die niedrige Mauer zu, auf der sich ihr Feind niedergelassen hatte. Viele Menschen wichen ihr aus, einmal wegen ihren Flügeln, außerdem wegen ihrer Waffe, die sie zwar fest und gelassen hielt, aber bei dem Waisenmädchen konnte man bestimmt nie wissen. Xia hatte all ihren Gastfamilien niemals Ärger bereitet. Sie hatte eine hervorragende Ausbildung genossen und selbst in ihrer Freizeit alles getan um eine gute Kämpferin zu sein. Dass sie kein spezifisches Element besaß hatte sie nicht als Bürde sondern als Möglichkeit und Herausforderung gesehen, die sie mit Stolz annahm. Viele junge Männer hatten es anfangs gewagt auf sie zuzugehen, hatten ihr Komplimente gemacht und Xia hatte sie alle freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass sie keinerlei Lebensabschnittsgefährten wollte. Inzwischen drehte sich das männliche Geschlecht bloß noch nach ihr um, aber sprach sie nicht mehr an.
So war es auch dieses Mal. Als sie dahin schritt um den Attentäter, den sie wiedererkannt hatte, zu töten, blickten sich viele Bewohner Komo Mais nach ihr um. Auch der schwarz gekleidete junge Mann selbst sah in ihre Richtung.
Erkennst du mich? Kennst du dieses Gesicht, Bastard? Jenes Mädchen, dass deine Sense noch hat blitzen sehen, als du die Blutbadszenerie verlassen hast, jenes Mädchen, dass deinen bittersüßen Geruch nach Lotus, Grapefruit und überreifen Kirschen niemals vergessen hat steht nun vor dir und ist eine erwachsene Frau.
Tatsächlich blitze in den Augen des Mannes mit den neonroten Haarspitzen das Licht des Erkennens auf. Doch noch bevor er einordnen konnte wo er ihr Gesicht schon einmal gesehen hatte, hob sie ihre Waffe und schlug zu. Er hatte ausgezeichnete Reflexe, das musste man ihm lassen. Der gefaltete Stahl ihrer Hellebarde grub sich mit einem knirschenden Geräusch in den Stein, auf dem er eben noch gesessen war. Ein Fluch von ihm, schreiende Menschen, das alles interessierte Xia nicht im Geringsten. In ihren Ohren hörte sie nur den eisigen Wind ihrer Einsamkeit, das Rauschen des kalten Meeres all ihrer Schmerzen.
Wieder wich er aus. Er kämpfte nicht, parierte ihre Schläge nur halbherzig, rollte unter ihren Hieben hinweg oder erhob sich mit seinen weiß gefleckten Flügeln in die Höhe um ihren Angriffen zu entgehen. Schweigend, hochkonzentriert und regelrecht besessen ging Xia auf ihn los. Von überall wollte sie ihn treffen, doch immer wieder verfehlte sie ihn haarscharf. Er rief ihr irgendwelche Dinge zu, doch sie hörte nicht auf seine heuchlerischen Worte. Sie achtete auch nicht, ob sie andere Menschen bei ihren Manövern verletzte. Weder das Schreien eines verängstigten Kindes noch die Beschimpfungen eines verletzten Greises erweckte ihre Aufmerksamkeit.
Inzwischen waren die Angreiferin und der erstaunte Gejagte immer weiter von der Menschenmenge abgekommen. Ob das daran lag, das er bewusst versuchte möglichst wenig Menschen zu gefährden oder ob es Zufall war, konnte man nicht erkennen.
Plötzlich gerieten sie ins Blickfeld einer kleinen, bunt zusammengewürfelten Gruppe, die den Weg entlangkam. Der „Sensenmann“ rief den jungen Leuten etwas zu, was Xia ignorierte.
Da, er ist unaufmerksam! Seine Waffe hat sich unter dem Kopfsteinpflaster verkeilt. Wenn ich ihn jetzt niederstoße hab ich gewonnen!
Gedacht, getan. Mit der flachen Seite ihrer Hellebarde verpasste sie dem Assassine einen Schlag vor die Brus, der ihn auf den Boden niederwarf. Er wollte sich mit seiner Sense verteidigen, doch noch bevor er sie erheben konnte, hatte Xia ihren Fuß auf diese gestellt. Emotionslose, leere Augen, als gehörten sie einer Maschine des Imperiums blickten auf den jungen Mann herab, als das Mädchen mit melodischer, fast fröhlicher und leichter Stimme sagte:
„Stirb!“
In diesem Moment ließ sie ihre Hellebarde wie die Axt eines Henkers herab sausen um dem wehrlosen Opfer den Schädel zu spalten.
OT: Auf ein tolles RPG Ich hoffe ich habe alles richtig gemacht. Der Text ist selbstverständlcih mit SivSiggis Einverständnis entstanden.