(Kapitelname von Spunky vorgeschlagen)
Seelenwanderer
Hideaki versuchte seinen rasselnden Atem unter Kontrolle zu bringen. Neben ihm befand sich Rin und er schämte sich ihr gegenüber menschliche Schwächen zu zeigen. Aber gleichzeitig brannten seine Lungen und verlangten nach Luft, während sein langsam schlagendes Herz darum bemüht war den gewöhnlichen Rhythmus wieder zu erlangen.
„Geht es dir gut?“, erkundigte sich Itoe besorgt.
Ihr Liebster nickte nur.
„Was hast du gesehen?“, drängte ihn Rin.
„Bis jetzt nichts“, sagte er.
Zudem befand sich Itoe bei ihm. Einem Mädchen sollte man keine unnötigen Sorgen und Tränen bereiten, schon gar nicht seinem.
Die schwefelgrünen Augen der Vorständin blitzten auf, aber sie schwieg sich aus. „Du wirst es noch mal probieren und noch mal... bis du es schaffst“, säuselte sie. Rin beugte sich zu ihm herab und flüsterte nahe seinem Ohr. „Ich warne dich davor mich anzulügen. Es gibt nichts, was du nicht kannst. Du wirst dich sofort meinem Willen fügen.“
Unruhig sah er sich in seinem Zimmer um. Hier lag er, auf seinem Bett, versuchend seinen geschwächten Körper zu ignorieren, trotzdem nicht in der Lage ihren Befehl in diesem Moment Folge zu leisten, aber auch nicht gewillt sich Schwäche einzugestehen. Wenn er sich Rin zuwandte, schmeckten die Flüche der alten Dämonensprache wie Honig auf seiner Zunge. Sie zerflossen und stichelten ihn dazu an sie laut auszusprechen.
„Ich werde meine Mission ausführen, ich kann alles“, sagte er in Gedanken.
„Nein, dein Körper ist geschwächt, Hide“, erwiderte Simsala streng.
Hideaki fletschte die Zähne. „Dann“, schalt er gedanklich. „gib mir einen Teil deiner Energie. Soll ich Rin etwa sagen, dass ich ein Weichei bin?“
„Gut, Hide.“ Simsala, der im Schneidersitz auf einen Scheffel saß, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Weshalb fügte er sich stets dem Willen seines Partners?
Stolz darauf dieses Wortgefecht für sich entschieden zu haben, betrachtete er den Kitsune.
„Aber so bist du nicht, du bist kein Weichei.“
Statt sich an den lobenden Worte, welche er ohnehin bereits verinnerlicht hatte, zu erfreuen, knurrte er gedanklich. „Gib mir endlich einen Teil deiner Energie!“
Deshalb schloss er die Augen und wartete ab. Sein unschlüssiger Partner hatte sich schließlich dazu entschieden mit seinem Trainer zu teilen. Etwas Lebendiges und völlig Erfrischendes durchfloss seinen Körper und entspannte zugleich seine Muskeln, während die Energie seine Psyche stärkte.
Hideaki ließ sich zurücksinken.
„Was machst du?“, erkundigte sich Itoe und drückte seine Hand.
Seine Augen verlangten die Antwort auf eine unausgesprochene Bitte und Itoe nickte, nicht wissend welchen Gefallen sie ihrem Freund darbringen durfte. Gleich was es sein sollte: sie tat es gerne.
Der Raum um sie schien zu erkalten und ihre Wärme durch seine Hand abzufließen. Gleich was es zu bedeuten hatte: so sollte es sein. Aufopfernd wartete sie, bis die auch die letzten Schmerzwellen abgeflacht waren. Durfte sie nützlich sein, erfüllte dies ihr Herz mit Glück.
Der Druck seiner Hand löste sich und Hideaki zog sie zurück. Ihre Aufgabe war erfüllt, daher war es ihr gestattet sich müde über ihn sinken lassen. Gleich darauf erschien er ihr wie in einem Tief versunken und sie folgte ihm.
In der Zerrwelt existierten kein Licht und keine Finsternis. In der Zerrwelt verschmolzen Zeit und Raum, als wären sie schon immer zwei Puzzlestücke gewesen, die aufeinander zugestimmt waren. Die Umgebung war nicht als Schwarz zu beschreiben, nicht als bekanntes Schwarz, das jedes Lebewesen von seiner Geburt an kennengelernt hatte. Vielleicht war es das, was ein Blinder sah: nichts. Das Nichts durchbrachen Gesteinsbrocken, welche in bizarren Verbindungen zueinander standen. Sie waren zu unwirklich um real zu sein, durfte sie den Naturgesetzen nach gar nicht geben. Vermutlich waren sie optische Täuschungen, eventuell existierten keine Naturgesetze in dieser verworrenen Welt.
„Menschen wie auch Pokemon verloren ihren Verstand bei den Anblicken meines Heimes“, ertönte eine männliche Stimme.
Eine Schlange glitt wie ein Geist an Tama vorbei. Sein Haupt war von einem gelben, helmähnlichen Gebilde überzogen. Wieder tänzelte ein grauer Schatten um ihn. Seine unförmigen Flügel erinnerten Tama an gebündelte Rauchschwaden, welche aus seinem Oberkörper wuchsen. Tapfer bewahrte er seine aufrechte Körperhaltung, auch als der Basilisk seinen Oberkörper wie ein Band um den menschlichen Leib schlang und ihn zu erdrücken drohte.
Überrascht sog Tama die Luft ein. Er spürte seinen Körper! Der Schmerz war ihm schon beinahe willkommen. Wie sehr hatte er es vermisst sich wie ein Mensch und nicht wie ein Geist zu fühlen.
„Weshalb folgtest du nicht Darkrai, als deine Zeit gekommen war um in die Arme der göttlichen Eltern zurückgeführt zu werden?“
Die seitlichen Stacheln verletzten Tama nicht, obwohl sie ihn berührten. Ja, er wandelte noch als Untoter zwischen den Welten. Dieses Pokemon – oder dieser Gott? – nannte die Zerrwelt sein Eigen? Umband Giratina eben seinen Leib mit dem Seinen? Die Götter begegneten den Menschen im Glauben und in Form alter Legenden, doch hüteten sie sich zumeist davor allen Leben ihr Antlitz zu offenbaren. Was sollte nun geschehen?
„Fürchtet dein Herz die kommenden Strafen?“, zischelte Giratina. „Hast du dein Leben in Mews und Arceus Wohlwollen oder in Sünde verbracht?“ Die Schwanzspitze fuhr unter sein Kinn und hob es an.
Tama erschauderte beim Anblick der tiefliegenden, roten Augen. Seine Knie schlotterten, ob aus Furchtsamkeit oder Ehrfurcht wusste er selbst nicht zu betiteln. Er, der sonst so mutige Junge, zitterte?
„Du bist sehr jung, jedenfalls keine verwelkte Blume um Darkrais Pforte im Wissen zu überschreiten, dein Leben ausgekostet zu haben.“
„Ich darf noch nicht“, ersuchte er um Gnade, in der Hoffnung, dass dieser Gott ihn verstand. „Ich muss noch eine Aufgabe erfüllen und ihn beschützen“, erklärte Tama ihm, beinahe zu seinem gesunden Selbstbewusstsein zurückgefunden. Er musste dieses Wortgefecht für sich entscheiden! Niemals würde er sich dieser Entscheidung beugen, nicht wenn er Ken zur Seite stehen musste.
„Ihn? Erlaube mir deine Seele, deine tiefsten Wünsche und Träume, erblicken zu dürfen. Danach werde ich über dein Schicksal entscheiden.“
Sein Körper erstarrte, Bilder, Erinnerungen, Geräusche, gar Düfte, die er jemals in seinem Leben ausgekostet hatte, zogen an ihm vorüber. Manche ein wenig langsamer, wohl benötigte sie Giratina. Er spürte wie er nach Luft japste und seine Lungen brannten, obwohl sein Verstand sagte, dass er keine Luft mehr benötigte. Kostete der Gott die Bilder seines Todes aus? Dann verließ die Starre seinen Körper so schnell sie gekommen war, so schnell, dass sich Tama fragte, ob er nicht bloß einer Illusion erlegen war.
„Wie lange befindest du dich bereits in meiner Welt, Junge?“
Tama überlegte und doch fand er keine Antwort. Sein Verstand war in dieser Hinsicht leer. „Ich weiß es nicht“, gab er wahrheitsgemäß zu.
„Und doch hattest du dich in Vorsicht geübt, in Vorsicht mir nicht zu begegnen. Glaubtest du, du wärest in der Lage dich in aller Ewigkeit meiner Blicken zu verbergen?“ Wieder schien sein schlangenähnlicher Leib ihn zu erdrücken.
„Ich dachte, du würdest mich an Darkrai ausliefern.“ Sicherlich kannte Giratina ihn nach wenigen Sekunden besser, als es Ken und gar er selbst getan hatten. „Ich möchte doch nur auf kurze Zeit hier Schutz suchen.“
„Gnade soll über dich verhängt werden, Tama.“ Der Basilisk gab ihn frei. „Die Zerrwelt ist ein obskurer Ort für einen Sterblichen und als Zufluchtsstätte ungeeignet. Dein Verstand wird sich in den ewigen Weiten verlieren. Deine edlen Motiven sprechen mich an und da es sich bei dir um einen geübten Weltenwandler handelt, gestatte ich dir deinen Liebsten aufzusuchen.“
Tama verbeugte sich tief. „Dankeschön.“
„Die menschlichen Gefühle sind für einen nüchternen Gott wie mich faszinierend miterleben zu können. Dich zu beobachten wird mein Experiment sein. Nichts auf dieser Welt erfolgt ohne in einem Gleichgewicht zu stehen, kein Gefallen erfolgt ohne Gegenleistung.“
„Natürlich. Gerne, Giratina.“ Tamas Herz war erpicht darauf so wie früher wild zu schlagen, aber es blieb still, so wie es seit geschätzten Ewigkeiten in seiner Brust ruhte.
Einen Tagesmarsch von Wiesenflur entfernt, erstrahlten zwei grelle Lichter und durchbrachen die Finsternis der Nacht. Ein Siegel lag über ihnen, erwies sich aber als viel zu schwach für seine Kräfte. Hideaki bewegte sich durch eine Astralebene auf sie zu. Weit entfernt von seinem Geist, schlug sein Herz immer langsamer, bloß so stark um seinen Körper eben noch am Leben zu erhalten. Die Zerrwelt war ihm erstaunlich vertraut, so als würde seine Seele diese bizarre Dunkelheit ihr Heim nennen wollen. Nachdem er einem langen, schwarzen Pfad gefolgt war, stieg er in den Erden näheren Ebenen herab. Zeit und Raum waren miteinander vertauscht und verlangten seine Künste und seine Konzentration als Magier um nicht die Orientierung zu verlieren und seinen Körper im ewigen Schlaf zurückzulassen, bis jener starb.
Weder schwebte er, noch flog er. Es war wie auf festem Erdboden zu stehen und auf ein grünes Meer, aus dessen Oberfläche ab und an Wipfeln hervorstachen, herabzustarren.
Jede Pflanze, jedes Lebewesen strahlte Energie ab, die sich wie ein zweiter Schild über die Erde legte. Deshalb erfüllten Tag und Nacht tausende Lichtpunkte seine Wahrnehmung und es fiel ihm schwer die Welt mit der Wahrnehmung eines Gewöhnlichen zu erfassen. Er war richtig gelegen, am östlichsten Teil des Waldes erstrahlte eine Fläche aus Energie, welche alles andere überschattete. Zugleich schwindelte es ihn. Sie schwächte ihn und griff ihn wie ein Fremdkörper, der in das System dieses Waldes eingedrungen war, an.
Hideaki schritt wenige Schritte herab um durch die Wipfeln zu sehen.
Ein Psiana, welches in der Nähe der schier unendlichen Energiequelle jagte, vergrub ihre Zähne im Nacken eines Zigazachsjungtieres. Augenblicklich entwich dessen Seele seinem Leib. Die Katze spielte mit ihrem Festmahl, bevor sie sich mit einem angedeuteten Sprung über den erlegten Dachs begab und begann sich an der Köstlichkeit zu laben.
Der Schattenmagier nahm sich einige Momente um dem ungezähmten Raubtier bei den von Natur vorgegeben Verhaltensweisen zuzusehen. Verweichlichte Menschen betitelten Jäger als grausam, Hideaki faszinierten sie. Deshalb rückte er etwas näher an die Lichtkatze heran.
Doch da spitzte Psiana die großen Ohren und wirbelte um. Bedrohlich zeigte sie ihre blutbesudelten Fangzähne, während ihre mandelförmigen Augen wie Kristalle aufblitzten. Welch perfektes Wesen! Ihr Antlitz so rund wie der Vollmond und nur zur Schnauze etwas schärfer gezeichnet, bildete einen Kontrast zu den spitzen Lauschern und den schmalen Katzenaugen. Obwohl sie ins leere Nichts blickte, entwich ihrer Kehle ein warnendes Fauchen. Die schwache aber durchdringende Beleuchtung zeigte dem Schattenmagier wie gepflegt ihr lavendelfarbenes Fell war. Bestimmt kein wildes Pokemon, viel mehr ein Streuner, der vor Tagesanbruch zu seinem menschlichen Partner zurückkehrte.
Sicherlich spürte das feinfühlige Pokemon seine Anwesenheit, daher zog er sich langsam zurück – zu spät.
Psiana machte auf dem Absatz kehrt und hetzte durch den Wald, den Kadaver zurücklassend. Eventuell um ihren Trainer zu beschützen? Hideaki schickte ihr gemächlich seinen Geist nach. Das Bewusstsein jedes Lebewesens wusste er von anderen zu unterscheiden. Nun, da er ihre Seele berührt hatte, konnte er sie von all den anderen auf dieser und jeder nur denkbaren Welt unterscheiden.
Nachtaktive Pokemon, welche an dem Schattenmagier vorbeistreiften, hielten inne, flüchteten oder begaben sich in angriffslustiger Abwehrhaltung. Wer wünschte schon ein Monster in seiner Nähe?
Nach einer Weile kreuzten einige Gebrauchsgegenstände seinen Weg. Auf einer ausgebreiteten Wolldecke erkannte er zwei Lebenslichter, umgeben von denen, welche sich in den Pokebällen und um sie herum befanden. Die Auren fühlten sich nach Menschen an. Hideaki konnte dieses Gefühl nicht betiteln, welches ihn die Spezies des Lebewesens prophezeite, jedoch war es noch niemals falsch gelegen. Zwischen ihnen befand sich ein großer Abstand, der von zwei grellen Schimmern durchbrochen wurde. Hideaki blinzelte dem entgegen. Es war, als würde man der Sonne direkt ins Antlitz sehen, so mächtig und… beinahe göttlich. Gleichzeitig schwindelte es ihm immer mehr. Freilich entzogen göttliche Energiequellen einem schäbigen Dämon seine Magie. Er konnte sie nicht mit sich nehmen, als Astralprojektion war ihm verwehrt geblieben Gegenstände anzufassen. Lange Jahre hatten sein Bruder und er darum gekämpft und nun lag das begehrte Objekt bloß wenige Schritte entfernt. Sobald er in seinen Körper zurückgekehrt war, würde es in Tsuyoshis Gegenwart aus ihm heraussprudeln, dass er dringend ein Einsatzteam nach Wiesenflur schicken müsse.
Etwas hielt ihn trotz des unangenehmen Schwindelgefühls in der Nähe beider Menschen und gegen aller Vernunft begab er sich nahe genug an die Wächter der blauen Kugel heran um in ihre Gesichter zu sehen, wollte er doch unbedingt den Grund des zweiten, schrill strahlenden Schimmers ausfindig machen. Beide Begleiter lagen in der größtmöglichen Entfernung zueinander, beinahe so, als hätten sie Angst davor sich näherzukommen. Der Junge, welcher erst auf dem zweiten Blick als solcher und zu seiner Überraschung ebenfalls als Magier zu erkennen war, trug eine Kette. Ihr Anhänger stellte einen geschliffenen Saphir dar, dessen Gravuren ihn erst aus nächster Nähe ins Auge stachen.
Als er sich herabbeugte um die alte Sprache zu entziffern, fauchte Psiana neben ihm erneut.
Entnervt sprach er einen Fluch über die Katze aus. Diese taumelte und trotz größter Bemühungen, stürzte sie und stand nicht wieder auf. War die Verzauberung zu stark für den kleinen Körper gewesen, so versagte ihr Herz im Laufe der Nacht bestimmt seinen Dienst – egal, nur ein Pokemon von vielen. Gleichgültig dachte er daran, dass der Trainer über diesen Verlust trauern würde, so wie er um Simsala getrauert hätte – auch gleich. Schließlich sollte dies nicht die Sorge des Schattenmagiers sein.
Ebenso desinteressiert beobachtete Hideaki wie das Feuerpferd und der Schmetterling erwachten und beunruhigt umherspähten.
Dann wandte er sich dem Jungen zu. Weshalb waren seine Magieressourcen hinter einem Bannzauber gelegt worden? Vielleicht war in letzter Zeit mehr geschehen, als er wusste? Jede dieser Begebenheiten mussten erforscht werden um seinem Bruder unangenehme Überraschungen ersparen zu können.
Etwas anderes kreuzte seinen Geist. Dem Mädchen hatte er erst keine Beachtung geschenkt, sie war in seinen Augen ebenso bedeutungslos wie das ohnmächtige Psiana gewesen. Nun erkannte er sie wieder. Ihr Gesicht hatte er niemals erblickt, deshalb prägte er sich dieses, da ihm diese Chance vergönnt worden war, tief ein. In ihre Seele hatte er damals eingesehen, sie hatte er wiedererkannt. Sie war das Mädchen mit dem Reptain. Sie hatte ihrem Pokemon befohlen seinen Bruder anzugreifen. Aus diesem Gefecht hatte er eine entstellende Narbe davongetragen. Wäre er Tsuyoshi nicht zur Hilfe geeilt, so hätte er an diesem Tage sein Lebenslicht ausgehaucht – beinahe ebenso würdelos wie ein Beutetier, sowie das Jungtier eben, erlegt von einer Jägerin.
Angewidert kräuselte er die Lippen, denn ihre Seele glich der verhassten Vorständin Rin. Seine Befehlshaberin war vor seiner Magie sicher, schließlich hatte es sein Bruder so gewollt. Als er sie genauer betrachtete, begegnete er ihr mit noch mehr Abscheu. Ihrer vielleicht beinahen fremden Begleitung - wie sollte er sich denn sonst jenen Abstand zwischen ihnen erklären? - gegenüber trat sie in einem schwarzen Minikleidchen, welches in transparenten Spitzen endete. Schlampe! Den Wunsch verdrängend, Itoe ebenfalls einmal in dieser Kleidung antreffen zu dürfen, mahnte er sich, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Dieses Mädchen würde dafür büßen müssen was sie Tsuyoshi angetan hatte. Auch würde sie für alle Taten, die in Rins Namen begangen worden waren, büßen müssen. Fairness existierte auf dieser Welt ohnehin nicht. Hideaki war ein Dämon. Wenn Menschen nicht ehrenhaft miteinander umgingen, weshalb sollte ein Dämon Gerechtigkeit walten lassen? Jedes Wort der alten Sprache war ein Genuss für seine Zunge. Mit jedem Wort wurde ihr Leib schwächer. Sie verzog ihr Antlitz zu einer schmerzverzerrten Grimasse. Vor Hideakis innerem Auge erschienen andere Bilder, Vorstellungen in denen Rin in dieser Position gequält vor ihm auf dem Waldboden lag und schrie, aber dieses Mädchen schrie nicht, so wie es Menschen sonst taten und auch wand sie sich nicht vor Schmerz, obwohl dieses Verhalten üblich gewesen wäre. Egal, nicht denken, sich nur an ihren schwindenden Kräften laben. Dämonen waren wie Vampire, nur belebten sie sich nicht an Blut, sondern an Lebensströmen. Seinem Körper genügte menschliche Nahrung um seine Seele, welche in Wahrheit nach Energie gierte, am Leben zu erhalten.
„Wer bist du?“, erklang es wie aus weiter Entfernung und riss ihn aus seiner Trance.
Knurrend wand sich Hideaki um. Wer wagte es ihn aus jenen Hochgefühlen zu reißen!? Aus seinen Augenwinkeln betrachtete er das Mädchen. Äußerlich war ihre Schwäche nicht anzusehen, aber sobald er sich diesen Plagegeist entledigt hatte, würde er sein Werk zu Ende bringen.
Sein Gegenüber versprühte keine Anzeichen von Lebensenergie. Hideaki blickte ihn neugierig an. Ein umherschwirrender Geist, ein Untoter, der keinen Frieden fand, störte den Schattenmagier bei der Vollendung seines Werkes.
„Beantworte das zuerst du mir“, grollte er.
Ein junger, recht großgewachsener Mann, etwa in seinem Alter, mit brünettem, kurzgeschnittenem Haar stand ihm gegenüber, als wäre er ein leiblicher Mensch. Bestimmt war es nur Hideaki gestatten ihn zu sehen. Innerlich, das spürte er, wich der Fremde vor dem Anblick der stechend roten Augen zurück. Besonders auffallend war das Tatoo. Es erstreckte sich in der Form einer Greifvogelsilhouette von seinem Nacken bis zu seinem Hals, die sich in schnörkligen Außenlinien verloren.
„Ich beschütze diesen Jungen.“ Der Geist betrachtete mit liebevollem Blick den Jungen, welcher den Saphir sein Eigen nennen durfte. Dann sah er unverwandt diejenige an, die Hideaki als Rins seelisches Abbild bezeichnete. „Das Mädchen ebenso.“ Vielleicht kannte er sie nicht, aber er schien dennoch dazu gewillt sie zu schützen.
Unverfroren drang Hideaki in sein Innerstes vor. Dass sich sein Gegenüber nicht zur Wehr setzte, galt als Beweis: es handelte sich nicht um einen Magier, nur um einen gewöhnlichen Menschen, der noch vor seinem Tode gelernt hatte zwischen den Plateaus, von anderen als eigenständige Welt bezeichnet, zu wandeln.
Zu seiner Überraschung erfuhr er um die Liebesbeziehung zwischen seinem Gegenüber und dem Träger des geheimnisvollen Saphirs. Erneut kräuselte Hideaki seine Lippen. Widerlich! Wie konnte man einen Jungen lieben? Dachte er an Itoe, konnte er diese Verirrung nicht nachvollziehen.
Bevor er handeln konnte, durchfuhr ein Stich sein Herz. Er konnte sein Werk an dem Mädchen nicht beenden, zu lange hatte er nicht auf seine sterbliche Hülle geachtet. Zu lange alleine gelassen, die Verbindung zwischen den getrennten Elementen bereits für unvernünftige Zeit aufrechterhalten müssend, rebellierte sie. Das nächste Mal! Verhasst beobachtete er sie. Dies nahm er sich fest vor!
Auch das Gesicht des Geistes brannte sich ein, bevor er zurückkehren musste. Zumindest hatte er genügend in Erfahrung bringen dürfen.
Noch beschwerlicher als die Reise war es gewesen in seinen Leib Eintritt gewährt zu bekommen und diesen mit der gestohlenen Energie zu versorgen. Er schlug müde die Lider auf, als Itoe, in ihrer Berufung einer geübten Krankenschwester, einen Zugang zu seiner Vene legen wollte, um ihn mit einer Elektrolyselösung zu versorgen. Schroff entzog er ihr seinen Arm. Wollte sie seinen Körper wie den eines gewöhnlichen Menschen kräftigen?
Enttäuscht senkte sie den Blick, posaunte ihr Betrübnis allerdings nicht laut heraus.
Hideaki legte den Kopf zur Seite und starrte die Wand an. Beunruhigung breitete sich in seinem Herzen aus. Bestimmt wäre seine Mutter stolz auf die nächtlichen Taten ihres Sohnes gewesen. Er schluckte den scheinbaren Kloß in seinem Hals herab. Jenes Mädchen, welches seinen Bruder verstümmelt hatte, hatte den Tod verdient. Im Endeffekt hatte er es allerdings nicht aus Gerechtigkeit, sondern aus blinder Grausamkeit heraus, getan. Zusehnlichst wurde er dämonischer, ohne sich selbst zügeln zu können. Es war, als wäre er das Psiana des Jungen gewesen, ein Raubtier, das es als richtig befand Beute zu reißen.
Gemächlich wandte er sich wieder an Itoe, seinen kraftlosen Körper ignorierend. Sobald er an der äußersten Grenze angelangt war, sobald das nicht betitelte Gift ihn, von innen an die Oberfläche dringend, aufgefressen hatte, würde er sich von ihr trennen – ihr zuliebe.