[Blockierte Grafik: http://i47.tinypic.com/xefm92.png]
Der Pessimismus war des Menschen schlechter Gefährte, der ihm alles Vertrauen stahl, auch wenn jener sich verzweifelt an die letzte, im Herzen schlummernde, Hoffnung klammerte.
Der Pessimismus veränderte des Menschen Wesens. Er ließ sie, in ihrer Zuversicht beraubt, wie gelähmt durch die Welt wandeln, und wenn jener sich einsam fühlte, wird seine wahre Natur zum Vorschein kommen – ein Mensch mit zwei Gesichtern.
Da es der Koordinatorin nun erlaubt war, Fuß in Anemonia zu fassen, entschloss der Vogel namens Pessimismus gen Süden zu ziehen und entfernte sich, gemeinsam mit den unheilvollen Wolken des Unwetters, welches gestern gewütet hatte.
Bedächtig schloss Haruka die Lider über ihren blauen Augen. Die eiskalte Luft füllte ihre Lungen, ja stach sogar leicht, und sie fühlte wie die Schatten des zerbrochenen Traumes sich auflösten, und die geborstenen Scherben sich aneinander fügten, so als wäre jener nie zersplittert.
Nun war Haruka hier, in Anemonia, der Stadt, in der sie schon bald das letzte fünfte Band in den Händen halten sollte. Mit neugewonnener Energie war sie bereit jedem, der ihr in die Quere kam, die Stirn zu bieten. Dieses Mal ließ sie sich nicht einschüchtern, würde keine Nachlässigkeit zeigen!
Dem schäbigen Steg des kleinen Hafens – wenn man die wenigen Anlegestellen als solchen hätte bezeichnen können – folgte das Mädchen entlang, bis es zu einer schmalen Treppe gelangte. Mit einem kühnen Lächeln auf den Lippen liegend, als sie Beton unter ihren Füßen spürte, eilte sie die Stufen hinauf, obwohl höchste Vorsicht geboten war, denn am Boden war die Nässe gefroren und barg eine tückische Gefahr. Gleichsam löste sich das selbstbewusste Grinsen und wandelte sich in eine Mimik des Ekels. Ein starker, fauliger Geruch begrüßte Haruka in Anemonia, welches seit Generation eine bedeutsame und traditionsreiche Stadt war. Seit Jahrhunderten ernährten sich die Bewohner mit den Schätzen, die das Meer in seinen Tiefen hütete. Fisch und Meeresfrüchte aus dieser Stadt galten weltweit als eine begehrte, aber kostspielige Delikatesse.
Haruka unterdrückte das Bedürfnis, sich zu übergeben und hielt sich einen Augenblick die Hand vor den Mund, ehe sie an den alten Baracken, die den nahen Hafen säumte, weitereilte.
Unter ihren Füßen knirschte der Split, der sie unentwegt begleitete. Die engen Straßen waren zwar geräumt und der Schnee an den Wegesrand geschaufelt worden, aber glatt war es trotzallem, und das Mädchen war froh, dass gestreut worden war.
Haruka dankte den Beschilderungen, dass jene ihr den Weg zum Pokémon Center wiesen, welches am Marktplatz Anemonias zu finden war. Die beschaulichen Häuser schmiegten sich nah aneinander und erinnerten mehr an einen Urlaubsort. Es gab bloß kleine Läden, die genauso wie die Stadt selbst eine eigene Tradition inne hatten, und nicht zu vergessen waren die zahlreichen Fischgeschäfte – Betriebe, die von Generation zu Generation weitergereicht wurden.
Es verging kaum eine halbe Stunde, bis Haruka den weitläufigen Marktplatz erreichte, auf dem rege Geschäftigkeit herrschte. Sogleich fiel ihr Blick auf das Pokémon Center, das sich deutlich durch das große Backstein-Gebäude von den restlichen Bauten abhob.
Haruka hielt darauf zu.
„Du hast dir aber Zeit gelassen.“
Beim Klang jener Stimme, die Haruka nur allzu gut kannte, zuckte sie leicht erschrocken zusammen. Obwohl sie ihren Kopf der Person nicht zugewandt hatte, sah sie ihr Gesicht klar und deutlich vor sich: aus dem vornehmen blassen Gesicht stachen smaragdgrüne Augen, die das Mädchen amüsiert betrachten mochten, während einzelne Strähne des Haares sich in der Feuchtigkeit leicht kräuselten. Wortlos drehte sich Haruka zu dem Jungen um, der seine Hände lässig in den Hosentaschen vergraben hatte. Seine spitzzüngigen Bemerkungen war sie ohnehin schon gewöhnt.
„Mich wundert’s, dass du es bis hierher geschafft hast.“ Während Shuu das Mädchen abschätzig musterte, rümpfte er im scheinbaren Ekel die Nase.
Wie so oft fühlte Haruka das Bedürfnis, ihm eine Ohrfeige zu verpassen, aber sie zwang sich zur Geduld und Ruhe. Es war nicht gut, wenn sie vor ihrem Rivalen Fassung verlor und ihm eine scheuerte – obwohl er es durchaus verdient hatte, wie Haruka erachtete.
„Lass mich einfach in Ruhe!“, knurrte sie verärgert. Sie hasste und liebte seine Arroganz zugleich, aber sie durfte sich dieser Verliebtheit nicht hingeben. Nicht jetzt, so kurz vor dem Wettbewerb. Sie brauchte ihre Kraft für den morgigen Tag, nicht für Wortgefechte mit ihm.
Shuus Mundwinkel verzogen sich zu einem schmalen, ja spöttischen Grinsen, und er stieß ein kurzes Lachen aus, welches voller Hohn war. „Mit dieser Haltung wirst du niemals den Wettbewerb gewinnen.“
Die Hand zur Faust ballend, taxierte Haruka den Rivalen, als wäre er ein unschuldiges Rattfratz, welches sich in den Klauen eines Snobilikats war. Leider war nicht er das Rattfratz, sondern sie, auf dem Shuu es abgesehen hatte seit sie Koordinatorin war. Trotzig schritt Haruka an ihm vorbei, die Augen fest auf das Pokémon Center gerichtet.
Shuu folgte ihr. Seine Füße verursachten auf der mit Split gestreuten Straße ein knirschendes Geräusch.
Haruka ertappte sich bei dem innigsten Wunsch, dass er auf dem glatten Untergrund ausrutschen möge und sich alle Knochen dabei brach. Ihr Verlangen blieb auch dieses Mal wieder unerfüllt, daher wandte sie sich ruckartig zu ihm um und sah ihn starr an. „Warum interessiert es dich so sehr, dass ich in diesem Wettbewerb gewinne?“
„Weil ich sonst keine ernstzunehmende Konkurrenz habe.“ Ein charmantes Schmunzeln lag auf seinen Lippen.
Wenige Momente lang schwieg Haruka. Das Kompliment überraschte sie und ließ ihr Herz höher schlagen, sogleich aber vermutete sie hinter seinen Worten bloß weiterhin Spott. „Ich habe jedenfalls nicht vor, zu verlieren“, konterte die Koordinatorin, ohne zu wissen, ob sie tatsächlich recht behielt.
„Ach wirklich?“ Feiner Spott verbarg sich in seinen Gesichtszügen. „Ich glaube, diese Worte schon einmal gehört zu haben. Das hast du auch vor dem Wettbewerb in Olivania gesagt“, äußerte Shuu wahrheitsgemäß, „und hast verloren, wenn ich es dir ins Gedächtnis rufen darf.“
Wütend verschränkte Haruka die Arme vor der Brust. Wie so oft ärgerte sie sich über den Rivalen, war aber zu erschöpft, um sich gegen seinen Hohn zur Wehr zu setzen. „Ich habe wirklich keine Lust, mit dir zu diskutieren“, sagte sie genervt und machte kehrt. Warum traf sie immer auf ihn, wenn sie sich gerade wünscht, ihn nicht zu treffen?
Seit Wochen versuchte Haruka Shuu aus dem Weg zu gehen, doch dann lief sie dem Koordinator geradezu in die Arme. Einerseits machte ihr Herz einen Satz und nahm einen beschleunigten Takt an, wenn sie in die Augen sah, aber andererseits erkaltete es im gleichen Moment, sobald Shuu sie mit seiner Verachtung strafte.
„Du weichst wieder aus.“
„Und du nervst!“, fauchte Haruka aufgebracht, bald die gute Freund namens Geduld verlierend. Ganz und gar nicht tat sie ihm den Gefallen, ein weites Mal die Teilnahme am Festival zu versäumen, um ihn ein leichtes Spiel zu verschaffen. Sie schwor sich gar in diesem Moment, ihm das Leben zur Hölle zu machen. „Ich werde dir schon dein arrogantes Grinsen aus dem Gesicht wischen!“
„Das werden wir ja noch sehen“, feixte Shuu und würdigte Haruka eines überheblichen Blickes. Ihm gefiel ihr Kampfgeist, dennoch bezweifelte er, dass sie diesen aufrechthalten konnte.
Harukas Mundwinkel zuckten leicht, während ihre blauen Augen Shuu wütend anfunkelten. „Wetten wir, dass ich gewinne?“
Shuu lachte. „Du willst nicht ernsthaft wetten.“
„Hast du Angst?“
Starr schaute Shuu dem Mädchen in die Augen. „Du kochst für mich, wenn du verlierst.“
Spöttisch grinste Haruka ihrem Gegenüber an und lachte leise. „Wenn du dich unbedingt vergiften willst…. Aber hey, dann hab ich dich endlich los.“
Konnte man zwischen den Zeilen lesen, vermochte man die Feindseligkeit deutlich spüren. „Träum weiter“, lächelte er herausfordernd.
Bald war die Grenze ihrer Geduld endgültig überstrapaziert. Sie spürte regelrecht, wie sich ihr Körper anspannte und ihr Zorn versuchte, sich Bahn zu brechen. „Was ist dein Wetteinsatz, wenn ich gewinne?“, wollte sie überaus gereizt wissen.
Erfüllt von Überheblichkeit fuhren seine Finger durch die Haare, die er mit einem raschen Kopfschwung nach hinten warf. „Gewinnst du, werde ich dich zum Essen einladen“, sprach Shuu lächelnd, „Aber dazu wird es nicht kommen.“
Gekonnt überspielte Haruka seine Bemerkung und erwiderte schnippisch: „Okay, aber nur, wenn du bezahlst!“
Unmut ergriff nun selbst den sonst so gelassenen Koordinator, aber ehe jener zu einer ebenso bissigen Antwort anzusetzen vermochte, wurden sie in ihrer hitzigen Diskussion unterbrochen.
„Wenn das nicht unsere Turteltäubchen sind!“, tönte eine feminine Stimme seitens Shuu und Haruka, die augenblicklich ihren Blick schweifen ließen. Das Mädchen erkannte sofort, wer sich zu ihnen gesellte. Schließlich war es die Stimme ihrer besten Freundin.
„Aika!“, begrüßte sie die blondhaarige, junge Frau. Ihr langer Zopf war der Spielball des reißenden Luftzuges, der in dieser Jahreszeit üblich war. Ein langer Mantel schützte Aikas sportlichen Körper vor Wind und Kälte.
Shuus Freude hielt sich dagegen in Grenzen. Er nickte ihr bloß verhalten zu, als die Trainerin ihm eines Blickes würdigte und sich sogleich ihrer Freundin widmete.
„Schön dich zu sehen. Mit diesen Worten trat Aika rasch an Haruka heran, lächelte und umarmte sie als Begrüßung. Die Brünette erwiderte die Geste, und einen Moment hielten sich die Freundinnen fest in den Armen, bevor sie sich wieder losließen. Kumpelhaft klopfte Aika dem Mädchen auf die Schulter. „Gut siehst du aus, wenn auch etwas blass um die Nase, kann das sein?“
Erstaunt und zugleich froh, dass Aika in der Stadt war, lächelte sie heiter und erwiderte die Floskeln: „Alles Bestens, bei dir?“
„Auch.“ Ein Atemzug verging. „Kouki hat mir erzählt, was in Olivania passiert ist. Das tut mir Leid“, sprach Aika betrübt sodann und tat geradeso als wäre Shuu nicht mehr gegenwärtig. „Er hofft noch immer, dass du irgendwie einen Weg findest, um am Festival teilzunehmen, aber wie ich sehe, hast du diesen gefunden.“
„Nun… Eigentlich…“
Shuu lachte leise und räusperte sich anschließend. „Eigentlich würde das Lämmchen ohne mein Zutun immer noch weinend in der Ecke hocken.“
Für jene Bemerkung warf Aika dem Koordinator einen strafenden Blick zu. „Ich kann mich nicht erinnern, dich nach deiner Meinung gefragt zu haben. Verlierer haben nämlich nichts zu melden.“
Verwirrt starrte Haruka abwechselnd zwischen Shuu und Aika hin und her, denn in ihr kam das Gefühl auf, dass sie etwas verpasst hat, was vermutlich zum Verständnis dieser Situation verhalf. „Moment“, unterbrach sie zunächst die funkelnden Blicke, die sich die Streitenden zuwarfen, „hab ich irgendetwas verpasst?“
„Nein“, knurrte Shuu.
„Doch!“, widersprach Aika. „Shuu hat tragischerweise gegen mich in einem Kampf verloren.“
Protest begehrte in Shuu auf. „Ich hab nicht verloren! Es war ein unentschieden, falls du Augen im Kopf hast!“
„Entschuldige, aber wenn du welche im Kopf hättest, dann wäre dir nicht entgangen, dass Libelldra zuerst am Boden war!“
„Tse! Das lass ich mir nicht bieten.“ Pikiert drehte Shuu den Mädchen den Rücken zu und war im Begriff zu gehen, während in Haruka allmählich eine Idee heranreifte, die einer Person nicht allzu sehr gefallen würde.
„Dann verzieh dich doch und spiel beleidigte Leberwurst!“, rief Aika ihm amüsiert nach.
„Shuu, warte!“, hielt Haruka ihn auf, wodurch jener überrascht inne hielt. Auch Aika warf ihr einen irritierten, fast entsetzten Blick zu.
„Was ist?“ Der Ton seiner Stimme war gereizt, und Haruka bezweifelte ob er in ihrem Vorhaben einwilligte. Doch ein Versuch war es wert gewesen – vor allem der Blick ihrer besten Freundin, wenn der Moment gekommen war, in dem sie ihr bevorstehender Sieg den Tribut der Wette forderte.
„Die Wette“, erinnerte Haruka unbeholfen, denn sie wusste nicht, wie sie diese Angelegenheit in Worte fassen sollte. „Es wäre nur fair, wenn ich deinen Wetteinsatz selbst bestimmen dürfte.“
Eine Mischung aus Neugierde und Gleichgültigkeit kämpfte einen Herzschlag lang in Shuus Gesicht, dann schien die Miene des Desinteresses zu behaupten. Womöglich wollte er bloß so rasch wie möglich aus Aikas Gegenwart verschwinden. „Nur zu.“
„Wenn ich gewinne, kämpfst du gegen mich. Die Bedingungen entscheide ich.“
Sekunden verstrichen, in denen bedrückendes Schweigen herrschte. Selbst Aika behielt jegliche Bemerkungen für sich. Haruka rechnete bereits, dass Shuu ihre Forderungen in den Wind schlagen würde, und erneut Beschimpfungen für ihre Person fand, aber dann stimmte er mit einem überraschenden Nicken doch schließlich ein. „Gut. Einverstanden. Und jetzt darf ich sicher gehen, oder?“ Er deutete charmant lächelnd einen Knicks an und zeigte in Richtung Innenstadt. „Immerhin hab ich bald ein großes Festival zu gewinnen.“
„Natürlich, bis später.“ Mit klopfendem Herzen erwiderte Haruka sein Lächeln, nicht wissend, aus welchem Grund sie ihm überhaupt gerade hinterher strahlte.
„Vorsicht, sonst fallen dir noch die Augen aus, wenn du dem noch so auf den Hintern starrst“, warnte Aika grinsend.
Erschrocken zuckte Haruka zusammen und fühlte sich so schrecklich bei einer Missetat ertappt. Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte, daher stammelte sie bloß haltlose Ausflüchte zusammen.
„Ja, lass gut sein“, schmunzelte Aika. „Sag mir eher, ob du dich schon registrierst hast oder nicht, denn in zehn Minuten ist Anmeldeschluss.“
„Nee… WAS? Warum sagst du mir das nicht gleich?“
„Ach, ich dachte du wüsstest es… Na ja, wie immer halt.“ Seufzend fasste sich Aika an die Stirn.
Noch rechtzeitig hatte es Haruka geschafft, sich zu registrieren. Die Empfangsdame in der Wettbewerbshalle nahm ihre Daten noch entgegen, obwohl sie nicht besonders erfreut erschien und bereits dabei gewesen war, die Anmeldung zu schließen und ihren Posten zu räumen. Höflich entschuldigte sich die Koordinatorin, duldete wie jedes Mal den Tadel und versicherte ihr, nicht wieder zu spät zu kommen, während Aika bloß vergnügt neben ihr grinste. Schließlich kannte sie ihre Freundin. Pünktlichkeit war noch nie Harukas Stärke gewesen. Ob sich das jemals ändern würde, bezweifelte sie.
Ein schneidender Wind begrüßte Aika und Haruka in der Kälte zurück, als sie das Gebäude verlassen hatten. Wieder hatte es begonnen, zu schneien und der Wind blies ihnen den vom Himmel fallenden Schnee ins Gesicht.
Tief zogen sie daher die Kapuzen ihrer Winterjacken ins Gesicht und verknoteten die Kordeln miteinander, damit sie sicher sein konnten, dass ein heftiger Luftzug die wärmende Kopfdeckdung nicht vom Haupt fegte.
Obwohl sich die Mädchen in diesem Augenblick mit einer Tasse in der Hand vor einem Kamin an einem gemütlicheren Ort wünschten, kehrten sie nicht zum Pokémon Center zurück. Sie hatten entschlossen, außerhalb der Stadt für den herannahenden Wettbewerb zu trainieren.
Psiana miaute anklagend ob dieser Entscheidung, schüttelte frustriert den furchtbar kalten Schnee von ihren Pfoten und strafte ihren Menschen mit einem grollenden Blick. Haruka sah die Lichtkatze irritiert und keiner Schuld bewusst an, die sich mit einem wütenden Zucken ihres Schweifes abwandte.
Zögernd folgte Haruka ihrer Freundin, die bereits vorangeschritten war. Durch den hohen Schnee stapfend, entfernten sich die Mädchen von der Stadt und einer warmen Zuflucht vor der Kälte. Ihr Weg führte sie an jenen Ort, an dem Aika am gestrigen Tag gegen Shuu gekämpft hatte, und sie verbrachten dort eine ganze Weile, um nochmals die Abläufe ihrer Performances zu studieren.
„Kämpf mit mir“, richtete sich Aika unerwartet an ihre Freundin und entließ, ohne die Antwort Harukas abzuwarten, ein kräftiges Flamara aus dem Pokéball. Jedes Haar des dunkelroten gefärbten Pelzes sträubte sich leicht, während der Feuerkater stolz den Kopf reckte und Psiana taxierte. Der hin- und her zuckende buschige Schweif war in einem dezenten Beige gehalten. Das gleichfarbige dichte Brustfell bat Schutz vor Eis und Schnee.
Irritiert sah Haruka Aika an und musterte ihren furchtlosen Gesichtsausdruck, von dem sie wusste, dass jener nichts Gutes verriet. Sie schlug die Augen nieder. Ihr blieb nichts anderes übrig als einzuwilligen.
Flamara stieß einen durchdringenden Laut aus, einen entschlossenen Kampfruf, und spie der Lichtkatze einen kraftvoll lodernden Feuerstrahl entgegen. Psiana wartete ab und wich der züngelnden Flamme tänzelnd aus. Funken sammelten sich um ihren Leib, aus denen Dutzende gebaren, und sandte jene mit einem ebenso verwegenen Schrei auf ihren Kontrahent.
„Du hast dich wacker geschlagen.“
Haruka hatte die Hände um eine Tasse gefasst und starrte betrübt auf die Holzplatte des Tisches, auf dem ein Werbeflyer des Wettbewerbs lag. Sie nahm zögerlich einen vorsichtigen Schluck, denn der Kakao war noch heiß. Nach dem Training in der Kälte war die Flüssigkeit wohltuend und wärmte das Innere, ließ das Eis tauen. Doch Haruka verbrannte sich die Zunge und verzog missmutig das Gesicht.
„Mach doch nicht so ein Gesicht“, tadelte Aika, aber ihre Worte heiterten das Mädchen nicht auf. „Du brauchst nicht enttäuscht sein.“
Doch, das war sie. Jämmerlich hatte Haruka versagt, gegen ihre beste Freundin verloren, aber was sollte sie erwarten? Sie wusste, dass Aika bereits vor einigen Jahren sowohl in Hoenn ein Festival als auch eine Meisterschaft in ihrem Heimatland Isshu gewonnen hatte. Zudem war seit ihrem Sieg in der Silberkonferenz noch nicht viel Zeit vergangen. Sie gehörte zu den besten Trainern, die es möglicherweise selbst mit den Champions leicht aufnehmen könnte. Wie sollte sie da gewinnen können? Eine beklemmende Furcht schlich sich in Harukas Herz ein, denn sie wusste, dass Aika ebenfalls am Wettbewerb teilnahm. Sie versuchte dieses Gefühl abzuschütteln, doch es hinterließ einen bedrückenden Graben.
„Ich hab aber verloren“, ihr Blick streifte umher und hielt bei Psiana inne. Die Lichtkatze hatte sich auf einem Sitzkissen der Stühle niedergelassen und lag zusammengerollt auf ihrem Ruheplatz. Obwohl es den Anschein erweckte, dass Psiana schlief, spürte Haruka den tiefen Groll der Katze. Jener lauerte wie ein Raubtier auf seine Gelegenheit.
Haruka bedauerte, dass sie den Erwartungen ihres Pokémons nicht entsprach. Seit ihrer Niederlage in Olivania war Psiana mit der Zeit immer verschlossener geworden. Psiana beherrschte Telepathie, aber ihre neckische Geistesstimme war verstummt, und das beunruhigte Haruka.
Mitfühlend lächelte Aika, schwieg bedrückt, denn sie wusste nicht wie sie ihre Freundin von ihren trübsinnigen Gedanken zu erlösen vermochte.
Ein Seufzen entrann sich Harukas Kehle, während ihr träumerischer Blick klar wurde und sie im Anflug unerwartetem Interesse nach dem Flyer griff. Nachdenklich betrachtete sie das Cover und hielt ihn Aika schließlich fragend hin.
„Weißt du eigentlich, warum in dem Trainerguide nichts von dem Wettbewerb steht? Laut den Informationen war in Olivania der letzte, offizielle Termin“, versuchte Haruka auf ein anderes leichteres Thema zu lenken, welches ihren Kummer möglicherweise vertrieb.
„Es ist ein Sondertermin, der vor wenigen Tagen vom Komitee beschlossen und bekannt gegeben wurde“, erwiderte Aika knapp, während sie gelangweilt auf einem Strohhalm herum kaute.
Überrascht erhellte sich Harukas Gesichtsausdruck. „Echt? Wie wurde der denn bekannt gegeben?“
„Durch die Medien natürlich. Fernsehen, Radio, Internet und die altmodische Variante - Zeitung.“
Nun wandelte sich ihre Miene in einen Ausdruck, der vollkommende Verständnislosigkeit verriet. „Und warum hab ich davon nichts mitgekriegt?“
„Weil du anscheinend weder Fernsehen guckst oder Radio hörst, geschweige denn Zeitung liest oder im Besitz eines internetfähigen Handys bist.“ Erheitert grinste Aika über die Mimik ihrer Freundin.
„Pah! Ich musste mich auf den Wettbewerb in Olivania vorbereiten, da hatte ich keine Zeit um Fernsehen zu gucken oder Radio zu hören“, wehrte Haruka schroff ab.
„Wie hast du es dann überhaupt erfahren?“
Haruka stierte wieder in die Tasse. „Ausgerechnet Shuu musste es mir unter die Nase reiben.“
Schallendes Gelächter erregte die Menschen in der Cafeteria und wandten sich neugierig zu Haruka und Aika um. „Echt? Arme Socke.“
Peinlich berührt wich die Brünette den teils verständnislosen Blicken aus. „Weißt du eigentlich, dass du mich immer wieder blamierst?“, zischte sie der Blonden zu, die ihr nur ein schalkhaftes Grinsen erwiderte.
„Man darf doch wohl noch lachen dürfen“, sprach Aika trotzig und starrte einen Mann, der unweit von den Mädchen saß und ebenfalls dem Blick der Trainerin standhielt, an. „Dem da“, sie deutete unauffällig mit einem Kopfnicken in die Richtung des Herrn, „ist zum Beispiel jeder Humor im Leben verloren gegangen.“
„Hör auf, die Leute gucken schon!“ Beschämt senkte Haruka den Kopf und fixierte erneut ihre Tasse, die sie fest zwischen den Händen hielt.
„Man, bist du ‘ne Spaßbremse.“ Seufzend lehnte sich Aika zurück und beobachtete aufmerksam ihre Umgebung, bis ihr etwas in den Sinn kam. „Bist du eigentlich mit der Fähre nach Anemonia gekommen?“, fragte sie beiläufig.
Haruka schwieg einige Herzschläge lang, während sie den vergangenen Tag Revue passieren ließ. Die Erinnerungen erschienen ihr so unwirklich, dass sie zuerst glaubte, er sei ein Traum gewesen. Doch dem war nicht so. Der altertümliche Tempel und Kylah – sie waren real gewesen. „Nein, bin ich nicht“, erwiderte Haruka schließlich.
„Wie dann? Nach dem Unwetter gestern sind alle Fähren ausgefallen.“
„Das ist eine längere Geschichte“, sagte Haruka ausweichend, denn sie wusste nicht, wie sie die vergangenen Ereignisse schildern sollte, die sich gestern zugetragen hatten.
„Erzähle sie mir“, drängte Aika mit knappen, aber eindringlichen Worten.
Einen kurzen Moment starrte Haruka still aus dem Fenster, ehe sie Aika zwar den Kopf wieder zuwandte, aber einen Punkt auf der hölzernen Tischplatte fixierte, der bloß für sie sichtbar war.
„Die letzte Fähre hab ich verpasst. Von den Strudelinseln aus hat mich dann ein junger Mann – Kylah ist sein Name – mitgenommen.“
„Mo-Moment, irgendwie fehlt mir da der Mittelteil“, unterbrach Aika das Mädchen zweifelnd. „Bei den Strudelinseln sagst du? Wie willst du da hingekommen sein, wenn du die Fähre verpasst hast?“
Haruka fühlte sich ertappt, als abscheuliche Lügnerin entlarvt. Beschämt wich sie dem vielsagenden Blick Aikas aus und drehte den Kopf zur Seite, nicht fähig, ihr in die Augen zu sehen. Es war töricht zu denken, dass sie sich erhofft hatte, Aika würde sich mit der halben Wahrheit zufrieden geben. Sie kannten sich bereits ein Jahr – vielleicht auch etwas länger. Wie vermochte sie bloß zu denken, dass sie Aika etwas verheimlichen könnte?
„Ich weiß, dass du mir etwas verschweigst“, tastete sich Aika sacht vor.
Obwohl sich Harukas Herz nach der Wahrheit sehnte, schrie ihr Verstand, die Freundin jene zu verbergen. Einen raschen Blick auf Aikas neugierige Mimik verriet ihr jedoch, dass sie ihr eine Erklärung nicht zu verschweigen vermochte. So folgte sie dem Rat ihres Herzens und nahm einen tiefen Atemzug, ehe sie begann zu erzählen: „Ein Stadtbewohner hat mir gesagt, dass am Strand eine Schule Lapras ruhte und meinte, sie würden vielleicht eine Reisende wie mich mitnehmen. Also bin ich zum Strand heruntergegangen.“
Plötzliche Schuldgefühle ergriffen Haruka und sie bemühte sich, dass ihre Stimme nicht zitterte. Sie fuhr fort, um ihre Anspannung zu vertuschen: „Sie nahmen mich mit, aber dann gerieten wir in einen Sturm und…“
Erinnerungen überschwemmten das Mädchen, als es an jenen Augenblick zurückdachte wie es unter Wasser gedrückt worden war und um sein Leben fürchten musste. Diese eisige Kälte, die jede Wärme aus ihrem Leib gezogen hatte, kroch erneut in ihre Gliedmaßen und lähmte Haruka ein weiteres Mal. Eine einzelne Träne löste sich unbewusst aus ihrem rechten Auge und rann stumm über ihre Wange.
Aika beugte sich vor, besorgt um ihre Freundin, und griff nach ihrer Hand. Die Berührung brachte Haruka in die Gegenwart zurück, doch sie war nicht fähig, zu sprechen. „Was ist passiert?“, wisperte die Blonde behutsam.
Besinnend schloss Haruka die Augen, denn es fühlte sich an, als durchschreite sie erneut die Hölle, welche sie durchlebt hatte. „I-ich bin unter Wasser gespült worden“, flüsterte sie schluchzend, darauf bedacht, dass niemand ihrem Gespräch lauschen mochte. „Das Wasser war eiskalt gewesen und… ich hatte Angst, zu ertrinken.“
Während Haruka versuchte jedes Schluchzen in ihren Handflächen zu unterdrücken, stand Aika wortlos auf und ließ sich neben ihrer Freundin auf die Sitzbank nieder, den Arm fest um sie gelegt. „Sch, sch“, tröstete sie Haruka sanft. „Sollen wir auf unser Zimmer gehen?“
Doch Haruka schüttelte stumm den Kopf. „Nein“, brachte sie zunächst hervor, „ist schon okay. Es ist ja alles gut gegangen. Kylah – also der, der mich auch nach Anemonia gebracht hat – hat mir auch das Leben gerettet.“ Ihre Mundwinkel hoben sich sachte, und Haruka lächelte beschwichtigend.
Wie kannst du darüber lächeln? Du bist beinahe ertrunken, Haruka!“
„Du bist beinahe ertrunken, Haruka?“, echote Shuu jäh.
Ihr sahen smaragdgrüne Augen entgegen, die sie in stiller Besorgnis musterten, während Haruka beim Klang seiner ruhigen und leicht arroganten Stimme zusammen gezuckt war. Wortlos starrte sie dem Jungen in die anziehenden Augen, vermochte seinem durchdringenden Blick aber nicht länger standzuhalten. Verlegen wandte das Mädchen ihren Kopf ab. Wie konnte er so unerwartet neben ihnen auftauchen?
Shuu trat an den Tisch heran und streckte seine Hand nach ihr aus, aber sie wich vor jener zarten Berührung zurück. „Bist du in Ordnung?“, erkundigte sich der Koordinator stattdessen.
„Shuu, du bist wie eine Wolke: Wenn du dich verziehen würdest, könnte es noch ein schöner Abend werden.“
„Aika, du bist wie ein omotzerfressener Kartoffelsack: Unnütz und wenig schön anzuschauen“, konterte Shuu ungerührt und sah Haruka schweigend an.
Ihren Zorn unterdrückend grollte Aika dem Jungen und ballte die Faust, bereit, wenn es nötig war, auch zu zuschlagen. Sie schien sich eines Besseres zu besinnen und ließ ihre Rechte aber wieder sinken, grinste stattdessen provokant und reckte das Kinn vor. „Wenigstens bin ich nicht wie ein Nebulak. 99 % heiße Luft.“
„Stopp – könntet ihr bitte mal damit aufhören? Das ist ja nicht auszuhalten!“, schritt Haruka ein, bevor Shuu eine weitere sarkastische Bemerkung in den Sinn kam. „Ihr benehmt euch wie bockende Kinder – wie im Kindergarten!“
Erneut streckte Shuu seine linke Hand nach ihr aus und ließ sie einen Herzschlag lang auf ihrem Arm ruhen. Ein erfreutes, aber flüchtiges Lächeln huschte über seine Gesichtszüge, offenbar froh gestimmt, dass sie nachgegeben hatte. „Wie fühlst du dich? Kannst du morgen überhaupt antreten?“
Haruka aber zuckte durch die Annäherung scheu zusammen, denn es fühlte sich an als trieben Stromstöße durch ihren gesamten Leib, der ihren Puls flattern ließ. Ruckartig entzog sie sich seiner Hand.
„Mir geht’s gut, danke – und wenn du glaubst, ich tue dir einen Gefallen: ja, ich werde morgen antreten“, erwiderte Haruka schroff, während sie sich rasch aufrichtete und sich an Shuu vorbei schob. „Komm Aika, ich bin müde und möchte noch duschen“, fügte sie drängend hinzu. Sie wollte nur weg, weg von ihm. Seine Nähe, das sorgenvolle Entsetzen, erschien ihr plötzlich so unerträglich.
Verächtlich sah Aika den Koordinator an. „Ist mir nur recht. Mir stinkt’s.“ Sie folgte Haruka, welche ihre Augen starr geradeaus gerichtet hatte und ihre Freundin mit keines Blickes würdigte.
„Du? Kannst du mir mal eben den Rücken eincremen?“
Haruka, die zuvor vollkommen in Gedanken vertieft mit dem Rücken an der Wand gelehnt hatte, zuckte leicht zusammen, als Aika unerwartet aus dem Badezimmer getreten war, und sah ihrer Freundin entgegen. Obwohl jeder ihrer Schritte mit dem leisen Knarren von Holz begleitet wurde, musterte die Koordinatorin sie nun überrascht, so als hätte sie ihr Kommen nicht bemerkt.
„Was?“, brachte Haruka bloß verwirrt heraus, unterdessen sie noch immer verwirrt Aika beäugte.
Ihr schlanker Körper war von einem weißen, knielangen Duschtuch bedeckt gewesen und das blonde Haar erschien wesentlich dunkler während es nass war und feucht an ihrer vornehm blassen Haut klebte. Wären wohl Angehörige des männlichen Geschlechts anwesend gewesen, hätten sie diesem Anblick kaum widerstehen können.
„Ich hab dich gefragt, ob du meinen Rücken eincremen kannst“, wiederholte Aika schmunzelnd und fügte nach einem kurzen Moment hinzu: „Was guckst du so? Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen.“
„Ähm… Ich hab dich nur nicht gehört“, rechtfertigte sich Haruka und schloss geräuschvoll das Buch, welches zuvor auf ihren herangezogenen Knie geruht hatte. Während sie die wirren Gedanken von sich schob, warf das Buch achtlos zur Seite. „Jetzt dreh dich um.“ Mit jener Aufforderung setzte Haruka sich auf, deutete knapp eine Drehung an und griff nach der Bodylotion, während Aika ihr gehorsam den Rücken zukehrte und das Tuch auf den Boden fallen ließ.
Haruka legte die Hände, auf denen die weiße, ja zähe Creme war, auf Aikas Kehrseite und fuhr zaghaft mit den Fingern über ihren scheinbar makellosen Rücken entlang. Kräftig und sehnig zeichneten sich die Muskeln ab, die Wirbelsäule war als tiefe Furche zu ertasten.
Aika empfand ihre Berührungen zaghaft und lieblos, so als befände sich Haruka noch immer weit weg in ihrer Gedankenwelt. Beinahe beiläufig fragte sie: „Was liest du eigentlich?“
Einen kurzen Blick warf Haruka auf das Buch herab, hob aber angewidert die Oberlippe und richtete stur ihre Aufmerksamkeit auf Aikas kräftigen Rücken. Bloß nicht zu grübeln beginnen, nicht an ihn denken.
„Ach, einen ganz interessanten Liebesroman“, log sie mürrisch. Eine Geschichte über zwei Freunde, die sich seit Kindergartentage kennen und gemeinsam zur Schule gingen, sich schließlich aber aus den Augen verloren hatten. Als Rivalen waren sie bei den Meisterschaften wieder aufeinander getroffen waren und hatten sich ineinander verliebt - welch klischeehafte Handlung! Normalerweise würde sie solche Bücher direkt in die Ecke schmeißen, aber sie tat es nicht.
Aika wandte leicht den Oberkörper und sah über ihre rechte Schulter. „Ja, so unglaublich fesselnd, dass du seit fünf Minuten verträumt auf die Wand starrst und vor dich hin seufzt“, witzelte sie feixend.
Haruka widersprach nicht. Vielmehr zog sie es vor, zu schweigen, denn sie ahnte, auf welches Thema oder besser gesagt, auf welche Person sie das Gespräch lenken wollte. Sie wollte nicht darüber sprechen, warum sie vor Shuu die Flucht ergriffen hat. Vor allem wollte sie nicht über ihre Gefühle nachdenken. Möglicherweise empfand sie etwas für Shuu – oder er für sie -, aber…
Rasch verdrängte Haruka den aufkommenden Gedanken des Abends und massierte weiterhin die Bodylotion beinahe akribisch ein.
„Nein, aber jetzt mal im Ernst. Was beschäftigt dich?“
„Ich weiß nicht, was du meinst.“ Erneut wich Haruka aus, spielte die Ahnungslose und rief sich die Vorsätze, sich nichts anmerken zu lassen und nicht nervös zu werden, ins Gedächtnis zurück.
„Ein gewisser Graskopf, der dich rasend vor Liebe macht, vielleicht?“ Aika wusste ein amüsiertes Grinsen nicht zu verbergen und verspürte gleich darauf ein schmerzvolles Zwicken in die Seite. „Autsch! Du hast mich gekniffen!“, protestierte die Blonde.
„Erstens, ich bin nicht in Shuu verliebt und zweitens, hab ich dir das sicher schon tausendmal gesagt“, wandte Haruka zerknirscht ein, „und drittens, du hast es verdient! Außerdem bin ich fertig.“ Sie verschloss den Deckel der Bodylotion und warf sie unbedacht auf das andere Bett im Zimmer hinüber.
„Trotzdem tut das weh.“ Schmollend rieb sich Aika die gerötete Stelle an ihre rechte Flanke und zog die Lippe in scheinbarem Ärger leicht hoch. „Und kein Grund, direkt zu kneifen!“, jammerte die Freundin vorwurfsvoll.
Haruka nahm wieder die gleiche Position ein, die sie vorher bezogen hatte. Den Rücken an die Wand gelehnt, machte sie sich es bequem und griff nach dem Buch. Dabei ignorierte sie Aikas Trotz, denn sie wusste, dass es kein wirklicher Tadel, sondern bloß eine gespielte Beschwerde ihrerseits war.
Die Freundinnen trennten sich in scheinbarer Dramatik schweigend voneinander als keine Erklärung seitens Haruka zu erwarten war. Aika wandte sich um und schritt auf die andere Seite des bescheidenen Raumes. Dort setzte sie sich auf ihr Bett, allerdings konnte sich die Blonde ein leichtes amüsiertes Zucken ihrer Lippen nicht verhindern.
Die Einrichtung des Zimmers war eher schlicht, beinahe lieblos, gehalten und nur wenig Platz stand ihnen zur Verfügung. Nur wenige Zentimeter maß der Abstand zwischen den aus dunklem Holz gefertigten Betten, die nur von einem kleinen Nachttisch, auf dem eine Schirmlampe platziert war, getrennt wurden. Ein schäbiger Teppich bedeckte die kalten Parkett und gab dem Raum etwas Wärme.
Tageslicht fiel durch ein schmales Fenster, vor dem nun graue Gardinen gezogen waren, da bereits die späten Abendstunden heran gebrochen waren. Links von dem Fenster stand ein hölzerner Tisch mit zwei Stühlen, der in die Ecke geschoben worden war, denn am Boden lag Tera, Aikas Tornupto wie eine Kugel zusammengerollt da. Ihr Kopf war auf die Vorderpfoten gebettet, während ihre wachsamen Augen von jeder Bewegung im Raum Notiz nahm.
Haruka legte das Buch beiseite und sah zu ihrer Freundin hinüber, die sich mittlerweile einen blauen Pyjama angezogen hatte. „Ach, du hast mir noch gar nicht erzählt, was aus dir und Cole geworden ist?“
„Da gibt’s auch nicht sonderlich viel zu erzählen“, erwiderte Aika knapp.
Haruka beugte sich vor und griff nach einem Kissen. Wenn Aika nicht freiwillig mit der Wahrheit herausrücken wollte, dann musste sie etwas nachhelfen – und mit diesem Gedanken warf sie das Kissen ihrer besten Freundin an den Kopf.
„Autsch! Warum hast du das schon wieder gemacht? Das kriegst du zurück!“
„Dir muss man ja alles aus der Nase ziehen!“, empörte sich Haruka hastig und fischte das Kissen, das Aika auf sie geworfen hatte, aus der Luft.
„Es gibt ja auch wirklich nicht viel zu erzählen!“
„Nicht viel zu erzählen? Du lügst, das seh‘ ich doch!“ Haruka hatte sich aus ihrem Bett erhoben und ließ sich auf dem ihrer Freundin wieder nieder, den Kopf auf Aikas Schoß platziert.
Aika murrte und ließ sich ebenfalls rücklings auf die Matratze nieder. Haruka änderte Position und rückte nah an ihre engste Vertraute heran, darauf bedacht, sie nicht aus dem schmalen Bett zu schubsen.
„Gut, was willst du hören?“
„Das Übliche halt. Wie sieht er nackt aus, hat er Bauchmuskeln, wie küsst er, ist er gut im Bett und so weiter halt.“ Eine wegwerfende Gestik unterstrich ihre Forderungen nach dem gewünschten Wissen.
„Haruka!“, protestierte Aika, wusste aber, dass es zwecklos war, zu widersprechen. „Zugegeben, er sieht wirklich zum Anbeißen aus, ein wahrer Traumkörper“, gestand sich schließlich die Trainerin ein, „und ja, er hat einen tollen Six-Pack, und er kann küssen… Da wird dir schwindelig!“ Aikas Blick wanderte in die Ferne, sie verlor sich vollends in ihrer Schwärmerei.
„Und wenn er noch gut im Bett ist, hast du dir den perfekten Traummann gebacken“, vollendete Haruka feixend den Gedanken. „Ist dein Cole schon nach Orre abgehauen?“
„Das ist nicht mein Cole“, widersprach Aika verärgert. „Ich denke, er ist noch nicht abgereist.“ Bedrückt starrte die Blonde vor sich hin, nicht sicher, ob sie ihren eigenen Worten trauen sollte. Möglich war es, dass er abgereist war, ohne sich zu verabschieden. Schließlich handelte es sich um Cole, ihren Macho.
„Ach nein? Wann wollte er denn abreisen?“
„Eigentlich nach den Meisterschaften, aber Cole wusste es noch nicht genau, daher hat er sich auch noch nicht gemeldet.“
„Aber ihr seid schon zusammen, oder?“, harkte Haruka interessiert nach. „Also mit SMS schreiben, stundenlang telefonieren und so, mein ich.“
„Ja, wir sind zusammen, mehr oder weniger, schreiben und telefonieren auch oft.“
„Und dann sagt dein Cole dir nicht Bescheid, wenn er abgereist ist?“
„Wie oft noch? Er ist nicht mein Cole“, wiederholte Aika und kraulte gedankenverloren Tera am Nacken, die sich der Hand genussvoll entgegen reckte. „Nicht wirklich…“, murmelte sie und seufzte leise.
Haruka grinste. „Euch geküsst habt ihr schon, oder?“, stichelte sie weiterhin.
„Jup – wie gesagt, er kann ziemlich gut küssen.“
„Und das andere – du weißt schon was?“
„Wir sind gerade mal einen Monat zusammen! Da steig ich doch nicht direkt mit ihm in die Kiste!“
„Na, kann doch sein“, summte Haruka vergnügt. „Zutrauen würde ich es dir auf jeden Fall.“
„Würdest du direkt mit Shuu ins Bett steigen wollen?“
„Bah, was für ein widerlicher Gedanke…“ Den bloßen Gedanken wehrte sie vehement ab, versuchte jenen nicht an sich heran zu lassen und doch geschah es, dass sie sich einen kurzen Herzschlag lang, diesen intimen Moment sich vorstellte. Unwillkürlich glühte ihr Herz, als hätte jemand neue Kohlen in die einst schwache Flamme geworfen.
„Warum wirst du jetzt rot?“ Aika begann zu lachen. „Dann wohl doch nicht so ein widerlicher Gedanke.“
„Äh, was?“ Rasch verdrängte Haruka den aufblitzenden Gedanken und zwang sich, diesen beschämenden Moment, zu überspielen. „Du hast mir meine Frage nicht beantwortet. Ist er gut im Bett oder nicht?“
„No comment! Du würdest sowieso nur neidisch werden!“
„Ach komm schon!“
„Nein, ich schweige wie ein Grab!“, erwiderte Aika verschränkte die Arme vor der Brust und stierte stur an die Decke, während sich neben ihrem Bett Tera jäh regte, die ihren Kopf hob und die Lefzen zu einer belustigten Grimasse verzog. Dabei stieß sie ein Grunzen aus, das beinahe den Anschein erweckte, es wäre ein Lachen.
„Tera, halt die Klappe!“, wies die Trainerin ihre treue Gefährtin zurecht, die zwar das scheinbare Lachen verstummen ließ, aber sich nicht nehmen ließ, vergnügt zu grinsen.
„Damit hat Tera dich verraten“, bemerkte Haruka lächelnd.
„Ach, vergiss es“, wehrte Aika wiederum ab und wandte beleidigt den Kopf von Haruka und Tera ab. „Wenigstens flirte ich nicht mit zwei Kerlen rum und mache dem einen hin und wieder die eine oder andere Hoffnung.“
Harukas Heiterkeit verblasste mit einem Mal aus ihrem Gesicht, und sie setzte sich auf. „Denkst du etwa, ich hätte mir ausgesucht, dass sich ausgerechnet mein bester Freund in mich verliebt? Und außerdem, ich mache Kouki keine Hoffnung.“
„Natürlich. Deshalb hat er mich nach dem letzten Wettbewerb auch mit unzähligen SMS bombardiert und geschrieben, wie sehr ihm die Situation zusetzt und so.“
„Ach man, wir hatten das Thema doch schon mal“, klagte Haruka unzufrieden, „und du weißt, dass ich schon mit ihm darüber gesprochen habe.“
Aika drehte den Kopf und sah Haruka ruhig an. „Fragt sich nur, wie viel von dem angekommen ist.“ Sie seufzte schwer und richtete sich ebenfalls auf. „Jedenfalls trifft es ihn sehr, dass dein Herz scheinbar für jemand anderen schlägt.“
Hilflos blickte Haruka ihre Freundin an, zu kraftlos, um zu protestieren, dass sie verliebt – in Shuu – war. „Was soll ich denn tun? Ich kann ihm nicht aus dem Weg gehen. Dafür ist er mir viel zu wichtig.“
„Abwarten.“
Resigniert fasste sich Haruka an den Kopf und massierte stöhnend ihre Schläfen. „Danke für diesen wahnsinnig guten Ratschlag. Jetzt bin ich keinen Schritt weiter als vorher.“
„Bitte, hab ich doch gern gemacht.“ Erneut umspielte ein sanftes Grinsen ihre Lippen. „Außerdem, dir schwirrt ja sowieso jemand anders im Kopf herum. Wie könntest du da einen klaren Gedanken fassen?“
„Du legst es darauf an, gekniffen zu werden, oder?“ Unverwandt sah Haruka ihre beste Freundin an, die kühn das Kinn reckte und weiterhin freimütig schmunzelte.
„Gibt’s einfach zu, du bist verliebt!“, säuselte Aika grinsend, während sie das letztere Wort provokativ deutlich dehnte. „Hab ich Recht?“
Haruka seufzte ergeben und fasste sich an die Schläfe. „Wenn du es ohnehin schon weißt, warum provozierst du dann?“
„Ach komm, du machst dir was vor. Du bist verliebt. Das sieht sogar ein Dummisel.“
„Ich bin aber nicht in diesen arroganten, selbstverliebten, egoistischen schleimigen Idioten verknallt!“
„Natürlich, und Tohaido können rückwärts schwimmen.“
Wortlos starrte Haruka gegen die Decke und strafte Aika mit ihrem Schweigen, welches die Freundin sogleich wieder behutsam brach: „Vielleicht magst du ihn aus dem Grund, weil er gerade ein Idiot ist? Von Cole habe ich auch mal gedacht, dass er ein furchtbarer Schönling und der Vollpfosten ganz Johtos wäre, dem nicht nur die Frauenwelt zu Füßen liegt.“
Verwundert sah Haruka ihre Freundin an. „Was soll das denn heißen?“
„Na, Cole hat mir da mal was erzählt.“
„Und was?“, bohrte Haruka neugierig.
„Wie ich schon sagte. Dass nicht nur Frauen auf ihn stehen.“
„Du meinst…“
„Jep. Du kennst ihn sogar, der in Cole verliebt war.“
Haruka hatte Cole noch nicht kennengelernt. Bisher kannte sie den Jungen, dem Aika offensichtlich den Kopf verdreht hatte, nur von Fotos. Ja, gutaussehend war der „Schönling“ sicherlich und fand die sarkastische Bezeichnung durchaus als zutreffend. Aber dass Cole scheinbar eine gewisse Anziehung selbst auf Jungen ausüben mochte, erschütterte Haruka, und sie wusste nicht, damit umzugehen, denn noch nie hatte sie sich beschämenderweise mit Sexualitäten auseinandergesetzt oder fühlte sich mit jenem Thema konfrontiert. Sollte sie schockiert oder angewidert reagieren? Oder doch lieber sogar amüsiert darüber? Immerhin waren Homosexuelle auch nur Menschen. Gegen ihre Gefühle vermochten sie ebenso wenig anzukämpfen wie sie gegen ihre Verliebtheit für Shuu.
Erstaunen und Verwirrung zeichneten Harukas Gesichtszüge. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass in ihren Freundeskreisen einen Jungen gab, der sich angeblich für sein eigenes Geschlecht zu interessieren schien.
„Gut, kennen ist etwas übertrieben, flüchtig begegnet bist du ihm eher“, sprach Aika, den Triumph, dass sie mehr wusste, als ihre Freundin, genoss sie förmlich.
„Wer?“, brachte Haruka schließlich hervor, aber Aika grinste sie eine gefühlte Ewigkeit an. „Jetzt sag schon, verdammt nochmal!“
„Du bist ihm nicht direkt begegnet - Tarek.“
Einen Augenblick grübelte Haruka, forschte in ihren Gedanken zu dem Namen ein passendes Gesicht zu finden. In den letzten Jahren war sie unzähligen Menschen begegnet und obwohl sie glaubte, ein recht gutes Erinnerungsvermögen zu haben, fiel ihr es ihr dieses Mal schwer, den Namen zu zuordnen.
„Junge mit schwarzen Haaren, stammt aus Orre und ist meistens in Begleitung eines übellaunigen Luxtra“, half Aika ihrem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge.
Schließlich überkam Haruka die Erkenntnis. Vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild eines Jugendlichen, der vielleicht vierzehn, fünfzehn oder sogar sechzehn sein mochte. Schwarze Haare, die an die Farbe eines Onyxes erinnerten, kräuselten sich in der geschwächten Wintersonne leicht und fielen ihm sanft in das leicht gebräunte Gesicht. Ebenso dunkel waren seine Augen, die ihr einen gewissen Ernst und eine beängstigende Härte gezeigt hatten.
Sie kannte diesen Ausdruck. Er erinnerte Haruka unwillkürlich an Aika, die nie unbeschwerte Kindheit gehabt hatte, und obwohl sie Tarek nicht kannte, glaubte sie zu ahnen, dass auf seinen Schultern eine schwere Vergangenheit ruhte und er von jener noch heute gepeinigt wurde.
„Ahh, den meinst du! Der sich so abfällig gegen Koordinatoren geäußert hatte! Tera hatte doch seinem Luxtra eine Lektion erteilt!“
Das breite Grinsen Teras blitzte Haruka nun von der Seite entgegen, während Aika begann, zu kichern. Eine schöne Erinnerung, wie Tera Luxtra das Tanzen beigebracht hatte. „Genau.“
„Und der war wirklich in Cole verliebt?“
„So hat es mir Cole erzählt“, bestätigte Aika mit einem knappen Nicken.
Eine Weile schwieg Haruka, beeindruckt von der Tatsache, dass sie offenbar solche Tomaten auf den Augen gehabt hatte. Als sie auf ihn getroffen war, da war er bereits in Begleitung eines jungen Mannes gewesen, mit dem er sehr vertraut umgegangen war. Freundschaft war es nicht gewesen, wie es ihr rückblickend nun auffiel.
„Jedenfalls, was ist jetzt mit Shuu?“
„Lenk doch nicht vom Thema ab!“, knurrte Haruka und zog es vor, erneut zu schweigen. Einerseits wollte sie sich endlich die Liebe zu Shuu eingestehen, denn es war schon lange mehr keine einfache, ja flüchtige Verliebtheit mehr, aber andererseits wehrte sich ein Teil ihres Verstandes oder Herzens dagegen. Sie, Shuu und Haruka, waren Rivalen und irgendwann standen sie sich erneut auf dem Kampffeld gegenüber. Wie soll sie dann mit ihren Gefühlen umgehen?
„Du kennst doch Saori, oder?“, wollte Haruka wissen.
Überrascht neigte Aika den Kopf, offenbar irritiert über den raschen Themenwechsel. „Die Saori, die beim Wettbewerb von Dukatia gegen Kouki gewonnen hat?“
„Genau.“ Haruka nickte leicht.
„Und, was ist mit der?“
Haruka seufzte und dachte an das Festival in Kanto im vergangenen Jahr zurück. „Ach… Saori und ich haben damals darüber gesprochen, wie sie sich kennen gelernt haben. Dass er bei seiner ersten Niederlage geweint hat und-“
„Was? Der hat echt geflennt? Booo. Eine Runde Mitleid für den armen Kleinen“, unterbrach Aika und schniefte theatralisch.
„Lass mich ausreden“, tadelte Haruka die Blonde scharf und pikste ihr die Seite.
„Jaja, ich bin ja wieder still.“
Prüfend musterte Haruka ihre Freundin, die wortlos neben ihr im Bett lag und sie erwartungsvoll ansah. „Jedenfalls“, begann die Koordinatorin stockend, „hat Saori mir erzählt, dass Shuu niemals Ratschläge von anderen annimmt und stattdessen sprechen sie oft über andere Koordinatoren.“
„Das passt zu ihm! Auf anderen herumhacken, aber selbst Kritik annehmen? No way!“
„Wolltest du nicht still sein?“, mahnte Haruka erneut, während Aika in Folge dessen mit ihrer Hand andeutete, den Mund zu verschließen. Zufrieden fuhr das Mädchen fort: „Irgendwann begann er ständig nur noch von mir zu reden. Sie sagte, Shuu hätte sich in mich verliebt.“
„Du machst dir Hoffnung, dass er immer noch etwas für dich empfindet? Das ist über ein Jahr, Haruka. Gefühle ändern sich. Bestimmt auch von diesem ignoranten Selleriekopf. Vielleicht hat er schon längst ‘ne Neue angegraben.“
„Okay, er ist manchmal ganz nett“, gab Haruka zögerlich zu, „und er ist charmant.“ Sie lächelte sanft. „Und wenn er lächelt, dann bekommt er so süße Grübchen an den Wangen. Total niedlich“, fügte sie leise lachend hinzu und wandte Aika den Blick zu, die noch immer nicht davon absah, zu grinsen. „Trotzdem ist er ein Idiot.“
„Du bist ja total verknallt.“
„Ach, lass mich doch in Ruhe“, grummelte Haruka. „Ich geh jetzt schlafen. Morgen hab ich einen Wettbewerb zu gewinnen.“ Sie erhob sich aus Aikas Bett und schritt zu ihrer Schlafstätte hinüber. Ihren belustigten Blick spürte Haruka deutlich in ihrem Rücken, nahm aber anschließend durch einen Spiegel an der Wand wahr wie Aika sich ebenfalls aufrichtete, sich durch das platt gelegene Haar strich und ins Bad ging.
Während Haruka schweigsam zur Zimmerdecke starrte und versuchte in den Schlaf zu finden, erfüllte das Dröhnen des Föhnes die nächtliche Stille. Grimmig zog sie die Bettdecke über den Kopf und dachte über das soeben beendete Gespräch nach.
Natürlich ärgerte sich das Mädchen, obwohl es wusste, dass Aika mit ihrer Äußerung im Recht war. Durchaus war es möglich, dass sich Shuus Gefühle verändert hatten und er nur noch Abscheu für sie empfand, dennoch hoffte ihr Herz, dass dem nicht so war.
Neben ihr erklang irgendwann das vertraute Geräusch von einer raschelnden Bettdecke. „Sagst du mir eigentlich noch, was du mit der Wette bezwecken wolltest?“, kam es flüsternd aus der Dunkelheit.
Haruka wandte den Kopf in die Richtung, in der sie Aikas vagen Schattenriss erahnte. „Das wirst du noch früh genug erfahren.“ Sie genoss die darauffolgende Stille.