Herzlich willkommen im Votetopic zum 19. Wettbewerb in der Saison '11.
(Zum Infopost des 19. Wettbewerbes: Unerzählte Pokémongeschichten)
Mit dem neuen Jahr kamen auch einige Veränderungen. Besonders das Votesystem hat sich gewandelt. So ist es nun nicht mehr möglich nur einen Punkt an einen Text zu vergeben, sondern beliebig viele. Nähere Informationen findet ihr in folgendem Topic:
Regeln, Information und Punkteliste der Saison '11
Wir bitten euch besonders den Punkt "Die Votes" durchzulesen.
Bitte verteilt eure Punkte nicht nur auf einen Text, sondern teilt sie mindestens zwischen drei Texten auf!
Votes, die nicht alle verfügbaren Punkte ausnutzen werden als ungültig erklärt!
Die Deadline des Votes ist am 19.11.2011 um 23:59 Uhr.
Da wir 12 Abgaben erhalten haben, habt ihr die Möglichkeit 8 Punkte zu verteilen!
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„Komm heraus, Evoli!“, gedämpft drang die Stimme meines Trainers Gary an meine sensiblen Ohren und ein Luftstrom erfasste meinen Körper. Endlich durfte ich mein Gefängnis, das die Menschen liebevoll Pokéball nannten, verlassen und spürte den kalten Luftzug auf meinem Gesicht. Das weisse Licht, welches mich umhüllte, wurde etwas schwächer und langsam erschienen die Umrisse eines gelben Zeltes. Es stand auf einer kleinen, verschneiten Lichtung mitten in einem dichten Wald. Die Sonne war bereits untergegangen und vor der gelben Konstruktion prasselte ein fröhliches Feuer, das einladende Wärme spendete und die Lichtung in romantisches Licht tauchte. Die Bäume warfen lange Schatten auf die Lichtung und der Mond schien durch die Wipfel der Bäume auf mich herab.
„Na, alles zu deiner Zufriedenheit?“, fragte eine mir wohlbekannt Stimme freundlich.
„Alles Bestens!“ gab ich glücklich zurück und kuschelte mich an Gary.
„Ich nehme an, das heisst ja.“, lächelte er und kraulte mich sanft hinter den Ohren. Es ist eine Tatsache, dass die Menschen nicht verstehen, was wir Pokémon ihnen sagen. Am Anfang hatte mir das ganz schön Probleme bereitet, aber mittlerweile hatte ich gelernt Gary mit Gesten, der Lautstärke und dem Klang meiner Stimme sowie meinen, für mich persönlich völlig übertriebenen, Gesichtsausdrücken, klar zu machen, was Sache war.
„Du weisst aber, dass wir sowas nur machen, wenn wir alleine sind, ja?“, Gary schaute sich nochmals prüfend um und kümmerte sich dann wieder um meine Wenigkeit. Er ist, was Kuscheleinheiten angeht, sehr Eigen. Ihn kümmert es sehr, was andere über uns denken und er will auf keinen Fall, dass seine Pokémon als verweichlicht gelten. Deswegen legte er grossen Wert darauf, dass wir möglichst grimmig guckten, sobald er uns aus unseren Gefängnissen befreite.
Ich trottete zum Feuer und legte mich daneben in den Schnee. Mein Fell schützte mich vor der Kälte und ich spürte die Wärme des Feuers auf meiner Nasenspitze. Müde gähnte ich ausgiebig und sah nun meinen Trainer fragend an.
Gary musste wohl meinen verlangenden Blick gespürt haben. Mit einem wissenden Lächeln kroch er in sein Zelt und kam wenig später mit einigen Brocken Pokéfutter zurück.
Schnell verschlang ich die leckere Gabe und schmatze ihm ein lautes, „Danke!“ entgegen. Er grinste mich an und legte etwas Feuerholz nach.
Die Leere in meinem Magen war verschwunden und nun machte sich ein warmes Gefühl der Zufriedenheit in mir breit. Meine Glieder wurden schwer und ich konnte kaum noch die Augen offen halten. Das gleichmässige Prasseln des Feuers und das leise Säuseln des Windes drangen nur noch leise an meine Ohren. Meine Welt verdunkelte sich und ich fiel in einen tiefen Schlaf.
Meine Muskeln verkrampften sich und meine Nackenhaare stellten sich auf. Schlagartig war ich hellwach, alle meine Sinne waren bis aufs Äusserste gespannt. Nennt es weibliche Intuition, aber ich wusste einfach das irgendwas nicht stimmte. Gary hatte mich ins Zelt getragen und schlief nun neben mir selig in seinem warmen Schlafsack. Er grinste im Schlaf und drehte sich auf den Rücken. Es schien alles normal, doch das Gefühl liess mich nicht los. Ich beschloss mich kurz zu vergewissern, dass auch ausserhalb unserer gemütlichen Unterkunft alles im grünen Bereich war. Leise, um meinen Trainer nicht zu wecken, schlich ich aus dem Zelt. Es hatte in der kurzen Zeit kräftig geschneit. Unser Zelt war fast völlig von der weissen Pracht bedenkt und auch die Bäume mussten viel von dem schweren Schnee tragen. Ich schlotterte. Auch hier konnte ich nichts entdecken, was auf Gefahr hindeutete. Ich drehte mich um und wollte bereits wieder in unser gelbes Zelt verschwinden, da durchbrach ein lautes Knacken die Stille der Nacht. Ich fuhr herum und konnte gerade noch erkennen wie eine Silhouette im Dickicht des Waldes verschwand. Noch bevor ich mir einen Reim darauf machen konnte, begann der Baum hinter dem sie gestanden hatte mächtig zu schwanken. Ein ohrenbetäubendes Knarren und Knirschen setzte ein und der Riese drohte umzukippen. Langsam neigte sich der Baum nach Vorne und kam immer schneller auf mich zu. Der Stumpf des Baumes wurde von Sekunde zu Sekunde grösser und ich sah das Blätterwerk in einer wahnwitzigen Geschwindigkeit auf mich zu rasen. Meine Ohren dröhnten. Mein Herz raste und ich gab meinen Beinen den Befehl zum Ausweichen. Im selben Moment in dem ich mich vom weichen schneebedeckten Boden abstiess, um dem hölzernen Hammer auszuweichen, kam mir ein Gedanke: „Oh nein! Gary!“
Die Zeit schien kurz still zu stehen. Ich blickte über meine Schultern und sah wie die ersten Äste das Zelt erreichten. Die Äste des hölzernen Riesen bohrten sich in die Plane und zerfetzen sie als bestünde sie aus einfacher Baumwolle. Mit Entsetzen sah ich zu, wie der Stamm langsam und mit einer Endgültigkeit auf das Zelt donnerte, als wolle er sagen: „So, und hier ist Endstation!“
Schnee spritze auf und der Baum kam mit einem wüsten Knacken endgültig auf dem Boden auf.
„Gary!“, schrie ich aus voller Kehle. So schnell ich konnte rappelte ich mich auf und rannte zu dem zerstörten gelben Haufen, der noch vor wenigen Sekunden unser Zelt war. Der Baumstamm hatte das Zelt zerquetscht als wär es eine Fliege. Der gelbe Stoff schimmerte durch den Schnee und die Zeltstangen standen abgebrochen in alle Richtungen ab.
Ich kam neben dem Gebilde zum Stehen. meine Vorderbeine scharrten im Schnee und ich versuchte verzweifelt in das Zelt hinein zu kommen. Ich musste ihn da rausholen.
„Gary? Hörst du mich?“, ich schluckte schwer und Tränen stiegen mir in die Augen. „Lebst du noch?“, flüsterte ich kaum hörbar.
Plötzlich bewegte sich etwas unter der Plane. Ein leises Stöhnen drang an mein Ohr und ich hörte die schwache Stimme meines Trainers: „Das ist gar nicht gut …“
„Gary, du lebst ja!“, rief ich mit neu aufkeimender Hoffnung und kroch sofort zu der Stelle wo ich ihn vermutete.
„Evoli, bist du das?“, kam es schwach unter der Plane hervor, „Ich glaub ich bin irgendwie eingeklemmt. Ich kann mich kaum rühren. Mein rechtes Bein tut höllisch weh. Ich glaube, ich… „
Plötzlich brach er ab und stöhnte leise.
„Gary?“, wieder steig Panik in mir auf, „Sag doch etwas!“
Doch er antwortete nicht …
Noch lebte er, wurde mir bewusst, ich musste ihn da rausholen. Ich vergrub meine Zähne in der eisigen Zeltplane und riss mit aller Kraft daran. Mein kräftiges Gebiss zerre an den Fasern des Zeltes. Die Panik und das Adrenalin in meinem Körper verliehen mir ungeahnte Kräfte und ich schaffte es ein grosses Loch in die Plane zu beissen. Darunter kam das schmerzverzerrte Gesicht meines Weggefährten zum Vorschein. Ich kniete mich nieder und leckte ihm sanft über seine Wangen. Er reagierte nicht darauf. Kein Zucken, keine Bewegung der Augenlieder - Nichts.
Meine Sicht verschleierte. Das durfte nicht sein! Nochmals nahm ich all meine Kraft zusammen - vielleicht konnte ich ihn herausziehen. Ich schnappte mir seinen Schlafsack mit den Zähnen und begann zu ziehen. Ich riss und zerrte, doch Gary bewegte sich kein Stückchen. Wie ein unbeweglicher Fels lag er da und sein flacher Atem bildete kleine Wölkchen, die sich im Schneefall verloren. Entkräftet sank ich zu Boden. Meine Beine brannten wie Feuer und meine Zähne fühlten sich an als hätte jemand versucht sie mir einzeln raus zu reissen. Ich spürte wie ein vernichtendes Gefühl mich erfüllte: Machtlosigkeit. Die Tränen stiegen mir in die Augen. So durfte es nicht enden. Noch einmal rappelte ich mich hoch und versuchte Gary aus seiner misslichen Lage zu befreien, doch vergeblich. Ich war zu schwach. Ich konnte ihm nicht Helfen. Ich war nutzlos …
Plötzlich begann mein Körper zu glühen. Ich spürte, wie jede Faser von mir von einer unbändigen Energie durchflutet wurde und ich neue Kraft schöpfte. Meine Beine konnten meinen Körper wieder tragen und ich hatte das Gefühl, dass ich mächtiger war als je zuvor. Plötzlich kribbelte es in meiner Stirn und ich sah, wie der Baum sich langsam bewegte. Ich hatte keine Zeit mich darüber zu wundern, im Moment zähle nur, dass Gary wieder frei kam. Instinktiv konzentrierte ich mich auf den Baum und plötzlich flog er in hohem Bogen über die Lichtung. Krachend knallte das hölzerne Ungetüm gegen die umstehenden Bäume. Sofort rannte ich zu Gary und versuchte ihn aufzuwecken - ohne Erfolg. Noch immer lag er bewegungslos im Schnee. Ich musste Hilfe holen. Doch ich wollte Gary keinesfalls alleine lassen. Irgendwie musste ich jemanden auf uns aufmerksam machen. Ein weiteres Mal glühte mein Körper und ich begann zu leuchten. Die Lichtung wurde taghell und der Schnee reflektiere das grelle Licht in alle Richtungen. Schweissperlen traten auf meine Stirn, als ich versuchte, das Licht gegen Himmel zu schicken. Es musste einfach jemand auf uns Aufmerksam werden! Nur so konnte ich Gary noch retten. Er musste dringend in eines dieser Menschen-Center gebracht werden.
Meine letzte Kraftreserven waren aufgebraucht und das Licht erlosch schlagartig. Meine Beine zitterten, ich schwankte und brach schliesslich erschöpft im Schnee zusammen. Ich hatte alles versucht.
Von Weitem hörte ich zwei Stiefel durch den Schnee stapfen. Ein Mobiltelefon wurde gezückt, eine kurze Nummer gewählt und der Stiefelträger sprach: „Guten Tag. Ich stehe hier im Steineichenwald. Kommen Sie sofort. Ein bewusstloser Junge liegt hier und daneben sein Pokémon: Nachtara“
„Denk bitte auch ans Schlafen, okay? Morgen müssen wir wie immer früh raus“, gähnte das windspielartige Pokémon Palimpalim und legte sich der Länge ihres Körpers nach auf ihr Strohbett. Mit einem energischen „Ja ja“ ignorierte Sonnflora diese Bitte. Die Sonnenblume konnte nach alldem, was sie heute von der Gildencrew erfahren und auch gehört hatte, nicht einschlafen und schlug erpicht ihr Tagebuch auf, welches unter einigen Obstresten und teils unerledigten Papierkram, der ausschließlich ihrer Zimmergenossin gehörte, auf dem Holz des vertikal aufgestellten Baumstumpfes lag. Das spärliche Licht des Leuchtsteins hielt die fröhlich gestimmte Erkunderin wach, was aber bei ihrem Schreibdrang aber unnötig war. Eifrig wollte sich diese ans Schreibwerk machen, als sie stutzte; wie soll sie anfangen? „Am besten wie immer.“, dachte sich die Blumenfrau dabei und begann ihr Tagebuch mit weiteren Zeilen zu füllen:
„Eintrag 43: Interessant! Interessant!
Tag: 15 / Monat: 4; sonnig mit Aussicht auf Wolken“
Jetzt fiel es der Gildenangehörige ziemlich leichter, weiterzuschreiben, da sie mit solchen Zweizeilern immer ihre Denkblockade lösen konnte:
„Endlich komme ich mal dazu, meine langwierigen Beobachtungen über Alle hier niederzuschreiben. Es hat lange gebraucht, endlich mal von Plaudagei, unseren Möchtegern – Vorgesetzten, das Okay für einen freien Tag abzuringen. Nun habe ich diesen auch mal genutzt um, eingängig, aber kurz genug über den Tag der anderen zu berichten. Natürlich hielt ich mich bei einigen im Hintergrund, wenn du, liebes Tagebuch, verstehst was ich meine ^^ Nicht? Da gebe ich mal im Nachhinein ein paar interessante Einblicke. Doch erst muss ich unbedingt was über den Plappergei, wie ich Plaudagei gerne nenne, da er gerne viel redet, zu sagen habe:
Heute morgen war er besonders mies gelaunt gewesen. Es muss wohl am lautstarken Streit mit meinem Verlob – upps -, mit dem Gildenmeister Knuddeluff gelegen haben. Doch Letzterer zeigte sich mal wieder im Gegensatz zu seiner schlecht gelaunten rechten Hand stets heiter beim morgendlichen Apell; ach Knuddeluff, wie sehr ich dich doch bewundere …(Wenn das jemand außer mir liest, dann wird’s peinlich. IEEK)."
Die Verfasserin stoppte an dieser Stelle. Für ein paar Sekunden hatte sie für niemand anderen außer für Knudelluff Liebesgedanken im Kopf. Doch dies hegte sie gut vor ihrer schlafenden Freundin geheim zu halten, die auch in dem Gildenmeister nahezu verschossen war. Auch wenn sie beide sich Hoffnung auf nichts machten, denn Knuddeluff machte sich zu ihrem Leidwesen nichts aus Liebe – außer seiner Liebe zu den perfekten Äpfeln -, so brachte sie der Gedanke daran immer wieder neue Motivation. Als sie anfing vor lauter Schwärmerei auf der Kohlenspitze ihres Holzstifts zu kauen, erinnerte sie sich an ihre selbsternannte Pflicht des Tagebuchführens und schrieb eifrug weiter:
"Natürlich habe ich auch die anderen in meinen Augenschein genommen. Glibunkel, der mal wieder wie besessen an seinem komischen Kessel gewerkelt hatte, war dabei am uninteressantesten, weswegen ich nicht die besonderlich Lust noch das Interesse selbst aufweise, weiterhin über ihn zu schreiben.
Interessanter verlief es bei Krakeelo, der heute irgendwie beim Weckdienst schwächer mit dem Lärmmachen war als sonst. Als ich ihn darauf ansprach, meinte er panisch, dass er nichts von einem Brief wüsste; obwohl ich nichts von einem Brief gesagt hatte. Tatsächlich eröffnete Sekunden später mir Bidiza - du weißt schon, der Biber, der mit mir seine ersten Tage mit dem Erkunden verbracht hatte, dass er bei der wandelnden Zuschauermenge diverse Liebesbriefe von einer heimlichen Verehrerin bemerkt hatte. Tihi, wenn Krakeelo doch nur wüsste, dass Palimpalim und ich das immer seit dem ersten April sind. Tja, Krawallmacher, das kommt davon, dass du uns bei unserem Frauenabend gestört hast. Ällabätsch.
Apropos Bidiza:
Heute habe ich unter vielen Dingen auch ihn und Krebscorps gesehen, wie sie beide vom missgelaunten Miesepeter Plaudagei richtig zusammengefaltet wurden. Doch statt wie vom Vogel befohlen den aufgebenden Auftrag auszuführen, überredete die Krabbe einfach den Biber, dass sie beide auf ein paar Humpen zum alten Pandir, dem Besitzer des Pandir – Café, gehen sollten. Ich war natürlich empört über dieses untugendhafte Verhalten von ihm, andererseits macht es schon einen recht coolen Eindruck, Krebscorps mit so einem Verhalten zu sehen. Herrje, was rede ich da eigentlich? Oje oje, ich bin doch schon ziemlich hin und hergerissen.
Oh, selbstverständlich habe ich auch die Torwächter unter Augenschein genommen. Bis auf Krakeelo, der wie nervös umherschaute, war ich recht beeindruckt, wie ein so kleines Pokémon wie Digda es war so sorgfältig wie kein anderes Pokémon seine Aufgaben erledigte. Solche Pokémon muss man echt bewundern, die aus körperlichen Nachteilen wie minimale Größe so selbstverständliche Dinge machen. Wenn Digda ein bisschen größer wäre … dann … ah je, noch mal so ein Gefühlschaos, dabei ist nicht mal der vierzehnte Februar.
Trotz allem kann sein Vater wirklich stolz auf ihn sein. Ich frage mich nur, was Digdri eigentlich den ganzen lieben Tag lang macht.Die Jungspunde von den einzelnen Erkundungsteams sagten mir, dass sie den dreiköpfigen Maulwurf oft am Strand vorfinden würden, wie er dort trainiert. Ich kann mir nur bedingt vorstellen, was und wie er trainiert. Aber ich hätte einen guten Tipp für ihn: Statt sich lieber den ganzen Tag durch das Erdreich zu buddeln, könnte der Maulwurf zur Abwechslung mal seine drei Köpfe mit Intelligenz füttern. Ganz ehrlich, liebes Tagebuch, er verblödet mir im Erdreich und nimmt außer zum Morgenappell und bei den Mahlzeiten kaum am Gildenleben teil. Ganz anders wie sein eigener Sohn. Woran soll sich Digda als Vorbild orientieren? Es kann daher durchaus auf Dauer von negativ nachtragender Bedeutung sein, immer nur an die Arbeit zu denken. Gut dass es bei mir nicht so ist. Ich habe den restlichen Tag dazu genutzt, mich ein bisschen an den heißen Quellen, die zum Glück nicht weit südöstlich von der Gilde liegen, auf Wohlste entspannt, was ich mir redlich verdient habe.
Erst am Abend beabsichtigte ich wieder zur Gilde heimzukehren. Ein paar Meter vor mir, auf der Haupttreppe zur Gilde, bemerkte ich, wie sich die Krabbe, sichtlich beschwipst, auf Bidiza stützte. Es war eigentlich so wie ich es am Morgen erwartet hatte: Krebscorps war doch zu unreif für mich, da er sich den ganzen Tag lang mit einer bestimmt guten Zahl an Miltank – Shakes mit Amrenaspritzer „entspannt“ hatte. Herrje, wie sehr man sich doch von seinem Sturm an Gefühlen täuschen lassen kann.
Plaudagei, der wie geistesabwesend war, stand neben den Eingang und starrte zum mit einzelnen Worten bedecktem Abendhimmel blickte. Eine Spur von Trauer lag in seinen Augen. Während die beiden Barhocker vor mir wortlos an ihm vorbeiliefen, fragte ich den Vogel, was los war. Er meinte, dass nichts los war, doch anhand seiner krächzenden Stimme erkannte ich, dass das Thema, über dass sich er und der Gildenmeister gestritten hatten, ich durchaus beschäftigte, als er verlauten ließ. Zum ersten Mal seit Langem spürte ich so etwas wie Mitleid mit ihm und wollte ihn trösten, doch der Papagei drängte mich zum Eintritt und damit zum Allein –gelassen –werden. Natürlich folgte ich bei seiner Situation dessen Bitte und ginge unsicheren Schrittes zurück in mein Zimmer – wo ich dich dann aufschlug.
Zusammenfassen kann ich sagen, dass der Tag doch im Allgemeinen recht interessant und auch durchaus entspannend - man bemerke meinen Besuch bei den Quellen - war, bis auf den Abend, der besorgniserregend war. Ein aufrichtiges „Auweia“ für Plaudagei, und das soll was heißen, dass ich solche Auweias nur Pokémon gebe, die es wirklich verdient hatten. Plappergei, das packst du schon mit Knuddeluff, da bin ich mir sicher.“
Die Hobbyautorin wollte schon mit gutem Gewissen über ihre getane Schreibarbeit ihren Stift beiseitelegen, als ihre Bettnachbarin vernehmbar schnarchte. Seitens vieler Details, die ihr im Moment durch den Kopf schossen, schrieb sie doch noch die letzten Zeilen, während der Leuchtstein aufgrund des mangelnden Sonnenlichts immer schwächer sein Licht ausstrahlte:
„Ich muss unbedingt was gegen Palimpalims Schnarchen unternehmen; manchmal ist sie damit noch lauter als Krakeelo uns weckt. Umso verwunderlicher ist die Tatsache, dass aus dem Jungs - Zimmer, welches ja direkt neben unserem im Flur liegt, absolut kein Ton von dem Wecker kommt. Man darf doch natürlich erwarten, dass Krakeelo selbst im Schlaf sein Schallorgan auf Maximum setzt.
Nun ja. Ich werde hier an der Stelle den Eintrag beenden, da ich nichts mehr Schreibwertes in petto habe.“
Endlich nun legte die Sonnenblume ihren Stift weg. Eine Weile saß sie im Trüblicht des Leuchtsteins. Gerade heute fiel ihr das Schreiben recht leicht; es war recht interessant, genauere Einblicke in das Tagesleben der Gildencrew zu haben. Sie sprang vom Baumstumpf und machte sich nach einem Waschgang am in der Felswand es Zimmer eingelassenen Waschbeckens ebenfalls auf ihr Bett, wo sie dann mit gefalteten Blätterhänden da lag.
„Ein höchst interessanter Tag.“, gähnte sie und verfiel dem plötzlichen Tiefschlaf.
Fauchende Flammen wie von den Schlünden des Chaos ausgespieen röhrten dröhnend um sie auf, verwandelten die Umgebung in ein einziges Inferno glutheißen Lichts. Der Waldbrand fraß sich viel schneller durch das trockene Gehölz, als die panisch Flüchtenden vor ihm fliehen konnten. Mittlerweile waren sie von allein Seiten eingekesselt und es wurde zunehmend schwieriger, einen Weg durch diese Gluthölle zu finden.
Viridium ließ den Blick über die schmerzlich geschrumpfte Anzahl Überlebender schweifen, die sie und ihre Brüder zu retten sich geschworen hatten. So viele Waldbewohner waren bereits aufgrund des ungewöhnlich trockenen Sommers ums Leben gekommen; jetzt wurden die wenigen, die nicht dem Durst erlegen waren, heimatlos, wenn sie denn aus dem brennenden Wald gelangten. Die Menschen hatten es mit ihren Kriegen untereinander zu weit getrieben, und ihr ewiger Schlagabtausch war letztlich dafür verantwortlich, dass unschuldige, unbeteiligte Pokémon um ihr Leben fürchten mussten.
Genau das taten sie nun, wie Viridium erschrocken feststellte, anstatt Kobalium weiter zu folgen. Zu groß war ihre Angst, von den nahen Flammen verschlungen zu werden, die in direkter Nähe über ihnen aufragten. Genau wie die Wiesenkämpferin waren die meisten von ihnen vom Typ Pflanze, andere Käfer, und daher besonders empfindlich gegen das tosende Glutlicht. Viridium und Terrakium, die die Nachhut der Elendsprozession bildeten und dafür Sorge trugen, dass möglichst niemand verloren ging, versuchten ihr Bestes, um die verängstigten Pokémon zum Weitergehen zu bewegen. Kobalium, das schaffen wir nicht!, ließ Viridium ihren Bruder telepathisch wissen, und der stolze Ritter mit dem Eisenherz nickte bedächtig. Wie eine aufschießende Feder richtete er sich auf die Hinterbeine und schlug mit den Vorderläufen so kraftvoll in den Boden, dass die Feuerwaldlichtung unter dem Stoß erzitterte. Augenblicklich verstummten ihre wehklagenden Schützlinge und sahen demütig zu Kobalium auf. Der respektheischende Blick ihres kobaltblauen Retters veranlasste sie schließlich dazu, ihm ohne weitere Proteste durch das Feuer zu folgen.
Kobalium war der geborene Anführer und fand die schmalen, halbwegs sicheren Korridore durch die Flammen ohne Probleme. Seine Geschwister und die Pokémon vertrauten ihm, doch manchmal war die Angst einfach mächtiger.
Die Zeit tröpfelte nur so dahin, während die Flüchtlinge dem Eisenritter in angebliche Sicherheit folgten, aber letztlich wusste keiner von ihnen, welches Hindernis sie hinter der nächsten Feuerwand erwartete. Bald schon rief Kobalium Terrakium zu sich nach vorn, damit der Felsenkrieger einige Gesteinsbrocken aus dem Weg räumte, die das Weiterkommen behinderten. Viridium beobachtete von ihrem hinteren Posten, wie sich ihr massiger Bruder gegen die Felsen stemmte und mit unglaublicher Stärke von ihren Plätzen schob. Die Wiesenkämpferin wurde einen Moment abgelenkt, als eine Flammenzunge nach den Nachzüglern leckte, die um sie herum geschart standen und daraufhin Angstschreie ausstießen. Zum Glück wurde niemand ernsthaft verbrannt, sodass Viridium ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn richten konnte.
Keinen Wimpernschlag zu spät, denn in genau diesem Augenblick stürzte ein hell lodernder Baum um, fiel direkt auf ihre Brüder und den Großteil ihrer Schützlinge zu. Ohne Zögern entsann sie sich ihrer überirdischen Schnelligkeit und preschte, zu einem einzigen blattfarbenen Schatten verzerrt, vor. Energie strömte in ihr stromlinienförmiges Geweih, sodass es grellgrün aufleuchtete. Mit einem gewaltigen Sprung brachte sie sich bedrohlich nahe an den umkippenden Feuerriesen, zerteilte diesen mit einer vernichtenden Sanctoklinge. Die beiden Hälften änderten abrupt ihre Fallrichtung und kamen in ungefährlicher Entfernung auf dem brennenden Waldboden auf. Auch Viridium landete zitternd auf allen Vieren; Brandflecken zogen sich schmerzhaft durch ihr Grasfell. Aber das war ihr egal – Hauptsache war, dass sie vorerst alle gerettet hatte. Sie keuchte und drohte einzuknicken, doch Kobalium trat neben sie und stützte sie mit seinem stählernen Körper.
Wir müssen weiter, drängte seine Schwester, da sie nicht ausruhen wollte, nicht einmal konnte. Sie mussten die Pokémon in Sicherheit bringen, koste es, was es wolle!
Das geht nicht, bemerkte Kobalium so ruhig und sachlich, wie er immer sprach, in jeder Situation, sei sie auch noch so brenzlig. Verwirrt hob Viridium den Kopf und erkannte, warum ihre körperliche wie geistige Stütze das sagte: Der umgefallene Baum, den sie in zwei Hälften getrennt hatte, versperrte den einzigen Durchgang aus dem Hölleninferno, den Terrakium zuvor freigelegt hatte. Sie saßen in der Falle, jetzt, da der letzte Ausweg ebenfalls in Flammen stand. Viridium überkam das Grauen, da ihr gewahr wurde, an ihrer misslichen Lage die Schuld zu tragen. Sie schwankte, als Kobalium zur Seite und nach vorn trat. Vielleicht kann ich ihn mit Sanctoklinge beseitigen, überlegte er laut, wollte weitergehen und seinen Plan in die Tat umsetzen, als Terrakium ihn daran hinderte, indem er mit tiefer, eindringlicher Gedankenstimme sagte: Bist du völlig verrückt geworden?! Der Felsenkrieger schnaubte aufgebracht. Deine Eisenhaut mag dich vor den meisten Elementen schützen, gegen Feuer aber macht sie dich nur umso verwundbarer. Wenn hier jemand direkt in die Flammen geht, dann bis das wohl ich!
Terrakium, flüsterte Viridium, gerührt von der Solidarität ihres Bruders, ihren Fehler wiedergutmachen zu wollen. Kobalium musterte den Felsenkrieger berechnend, bevor er ihm stumm nickend die Erlaubnis gab. Terrakium walzte davon wie eine Gerölllawine und bewegte sich langsam auf den umgestürzten Baum zu. In seinem breiten Geweih glomm das Licht der Sanctoklinge auf, aber noch bevor er sie anwenden konnte, veränderte sich etwas an der herrschenden Atmosphäre...
Die drei Retter spürten es noch vor ihren Schützlingen, und gleich darauf wurde es auch sichtbar: Ein gleißendes, magisches Licht strahlte zwischen den Flammen vor ihnen auf, ließ das Inferno gleichsam dunkel und blass wirken, so sehr blendete es, jedoch ohne in den Augen zu schmerzen. Das Leuchten schwoll an, nahm die Farbvarianz eines Regenbogens an und erfüllte die Gemüter die Anwesenden mit neuer Hoffnung. Als es erlosch, lag der Weg frei, und die beiden Baumhälften waren nunmehr nur noch glühendes Kleinholz.
Terrakium... warst du das?, fragte Viridium in die angespannte Stille über das abgedämpfte Brausen der Brände, gab sich aber gleich selbst eine Antwort: Das war keine Sanctoklinge gewesen, sondern etwas ungleich Mächtigeres... ein Mystoschwert. Und sie wusste, im ganzen Universum gab es nur ein einziges Wesen, das diese machtvolle Attacke einzusetzen imstande war...
In dem Moment, in dem Viridium, Terrakium und Kobalium realisierten, wer sie aus ihrem Kerker aus Feuer befreit hatte, trat das Wesen auch schon aus den Flammen, die sich ehrfürchtig von ihm wegneigten. Das Pokémon, das nun vor ihnen stand, hatte einen ähnlichen Körperbau wie die Drei, mit weißem, glattem Fell und breiten, dunkelblauen Hufen. Auf seiner Stirn befand sich ein spitzes, leicht nach hinten gebogenes Horn, dahinter erhob sich die rubinrote Mähne wie ein Geysir aus Wasser in die Höhe. Ihr Gegenüber peitschte begrüßend mit dem hellblau gefärbten Schweif und hob den Kopf dem rauchschwarzen Himmel entgegen. Es stieß einen langen, wunderschönen Sington aus, klar und hell, der sich anhörte, als schwängen darin noch tausend weitere Stimmen mit. Im gleichen Maße, wie der Ton immer weiter im Wald zu hören war, breitete sich kreisförmig vom Sänger ein hauchdünner, bläulich glühender Wasserfilm aus, der sämtliche, auch noch so kleine Oberflächen benetzte und dem Feuer direkt an seinem Ursprung die Überlebensgrundlage abschnürte. Auch über die Anwesenden lief dieses Wasser, und Viridium konnte spüren, wie es ihre Brandwunden kühlte und verheilen ließ.
Als der Ton verstummte, war es in dem nächtlichen, von seinem feurigen Fluch erlösten Wald so still, dass nur noch das verhaltene Bersten dünner, verbrannter Zweige zu hören war. Viridium und Kobalium kamen zu Terrakium vor, der ihrem Retter fassungslos gegenüberstand.
Du?, rief der Eisenritter ungläubig aus und warf den Kopf zurück. Wo kommst du auf einmal her? Viridium wusste, dass ihr Bruder vor hunderten Äonen mit ihrem blau-weißen Gegenüber um die Anführerschaft ihres Quartetts gewetteifert hatte und es ihm vielleicht gelegen gekommen war, dass sein Rivale im großen Krieg der Legenden verschwunden war.
Wir dachten, du wärst damals gestorben, sagte Terrakium in Anspielung auf dieses Ereignis. Das Wesen, nur halb so hoch wie seine Geschwister, neigte das Haupt und schenkte ihnen ein verschmitztes Lächeln, das alles oder gar nichts bedeuten mochte. Ohne ein Wort drehte es sich um und machte Anstalten zu gehen.
Warte!, hielt Viridium es zurück und trat hastig vor. Willst du uns schon wieder verlassen? Die Menschen wüten immer schrecklicher in dem Land, das unserem Schutz unterstellt ist. Wir brauchen deine Hilfe. Wir brauchen dich!
Wir werden uns wiedersehen, Kobalium, Terrakium, meine Brüder, Viridium, meine Schwester, orakelte das Pokémon kryptisch, ohne auf Viridiums Ansprache einzugehen.
Aber wann wird das sein?, fragte sie verzweifelt. So lange hatten sie ohne ihn auskommen müssen, und die Jahre schienen immer härter und länger geworden zu sein. Es war doch seine Pflicht, sie zu unterstützen!
Wenn die Zeit reif dafür ist, erwiderte ihr dritter Bruder vielsagend und setzte sich in Bewegung. Zuerst wollte die Wiesenkämpferin ihm folgen, doch der allgegenwärtige Wasserdampf wurde mit einem Mal so dicht, dass sie ihn aus den Augen verlor. Bitte komm wieder, hauchte sie in den Nebel hinein, und Terrakium und Kobalium stellten sich links und rechts neben sie. Viridium spürte, dass jetzt nicht die Zeit dafür war, einem unerfüllbaren Traum nachzujagen. Sie mussten für die Waldbewohner da sein, ihnen beim Wiederaufbau ihrer Heimat helfen.
Die Drei wandten sich ihren Schützlingen zu, die erwartungsvoll zu ihnen aufsahen. Es gibt wieder Hoffnung, sprach Kobalium ihnen allen Mut zu. Der Wassergladiator ist zurückgekehrt!
Nummer Eins erwachte ruckartig und riss an den eisernen Ketten, die es in dem Versuchsraum fixierten. Seine mächtigen Schwingen waren auf seinem Rücken zusammengebunden und seine krallenbewehrten Füße mit zusätzlichen Fesseln versehen, um es so gut wie möglich in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken. Es kreischte aufgebracht, und peitschte mit seinem kräftigen Schweif gegen die Wände, bestehend aus drei Schichten Sicherheitsglas, die seinen Käfig bildeten. Obwohl Nummer Eins ein Maulkorb umgelegt worden war, um es an dem Einsatz mächtiger Attacken wie Hyperstrahl zu hindern, war das hohe Geräusch nur zu deutlich wahrnehmbar und fuhr Rufus durch Mark und Bein.
Er war fasziniert und verschreckt zugleich von der Macht und Stärke, die das legendäre Lugia ausstrahlte. Zwar hatte er es zuvor auf zahlreichen Abbildungen betrachtet und sich alles Wissen über es angeeignet, was in irgendeiner Form irgendwo festgehalten worden war, doch wurde nichts von alledem dem lebenden Original auch nur ansatzweise gerecht. Nervös fuhr er durch sein kurzes, dunkelrotes Haar. Rufus glaubte nicht wirklich daran, dass ein paar Ketten und ein Raum aus Glas diese Naturgewalt würden halten können und er fragte sich, ob es überhaupt eine Chance gäbe dem Zorn des Lugia zu entkommen, sollte ihm der Ausbruch gelingen. Er ertappte sich dabei, wie er nach dem Pokéball an seinem Gürtel griff, in dem sich ein Brutalanda mit verschlossenem Herzen befand. Das Crypto-Pokémon war schnell und stark. Trotzdem hätte wohl selbst es dem legendären Vogel nicht lange etwas entgegenzusetzen. Um sich abzulenken ging er zu einem der Wissenschaftler, der seinen Blick abwechselnd dem Lugia und dann wieder seinem Computer zuwendete. Rufus wusste nicht genau, welche Daten dort gerade analysiert wurden, aber die Ruhe der vollkommen konzentrierten Laboranten sprang auch auf ihn über.
Nummer Eins kreischte erneut und wankte hin und her. Es versuchte wohl, seinen Körper mit voller Wucht gegen eine der Wände zu rammen, doch die kurzen Ketten hinderten es daran. In seinen weit geöffneten Augen brannte glühend heiße Wut. Wieder schlug es mit dem Schweif gegen sein Gefängnis, was ein klatschendes Geräusch zur Folge hatte.
„ Jemand hätte auch seinen Schweif fixieren sollen.“ Ertönte eine kalte Stimme hinter Rufus.
Er wandte den Kopf und sah seinen Bruder Luzius auf sich zuschreiten. Sein langes blaues Haar wehte hinter ihm her und verschmolz mit seiner farblich dazu abgestimmten Kleidung. Aufgrund der dunklen Sonnenbrille, die er stets trug, war es unmöglich, ihm in die Augen zu sehen.
Sofort ging Rufus einen Schritt zur Seite, um Platz für seinen Bruder zu machen. Der beachtete ihn gar nicht, sondern wandte sich direkt dem Computerbildschirm zu.
„Scheint so, als sei es sehr wütend.“, sagte er, mehr zu sich selbst als zu irgendjemand Bestimmten. „Nur noch ein bisschen mehr und wir können einen weiteren Versuch starten.“
Die Arme auf dem Rücken verschränkt stolzierte Luzius auf den Käfig des Lugia zu, das ihn direkt mit festem Blick fixierte und ein drohendes Knurren von sich gab. Der Mann ignorierte es einfach, öffnete eine kleine Klappe, die in eine der Wände eingebaut war und warf einen Pokéball hinein. Mit einem lauten Zischen erschien, umgeben von grellem, rotem Licht, ein humanoid wirkendes, gelbes Pokémon dessen Fell von schwarzen Streifen durchsetzt war: Ein Elektek. Sofort richtete es den Blick auf das gefesselte, legendäre Pokémon und schlug drohend die kräftigen Fäuste aneinander. Rufus wusste, dass dieses Elektek wie auch sein Brutalanda ein Crypo-Pokémon mit verschlossenem Herz war. Es war daher kein Wunder, dass es sich blitzschnell auf das Lugia stürzte, um seiner ausgeprägten Aggression nachzukommen. Der legendäre Vogel hatte keine Chance, sich zu wehren und musste Schlag um Schlag einstecken. Funken und Blitze stoben immer wieder aus Elekteks Fäusten und den Antennen auf seinem Kopf. Nummer Eins kreischte wütend und schmerzverzerrt. Die Ketten klirrten, wenn sie von einer Attacke getroffen wurden oder in der Hitze des Gefechts gegen die gläsernen Wände prallten. Das Elektek kannte keine Gnade. Es war auf den Rücken des Lugia geklettert, riss ihm mit Schlitzer die reinen, weißen Federn aus und hinterließ Kratzwunden auf der darunter liegenden Haut. Die Anspannung in den Muskeln des Vogels konnte man selbst als Außenstehender erkennen. Es stemmte sich mit ganzer Kraft gegen die Ketten, schüttelte sich und versuchte, den Kopf zu wenden, um den Angreifer loswerden zu können. Doch scheinbar waren die getroffenen Vorsichtsmaßnahmen doch ausreichend. Rufus beobachtete, mit einem kleinen Hauch von Entsetzen, wie die Bewegungen des wunderschönen Pokémon immer langsamer wurden, und es schließlich mit einem lauten Aufprall und unter Stöhnen zusammenbrach. Elektek, immer noch kampfeslustig, wollte einen weiteren Angriff starten, als Luzius es in seinen Pokéball zurückrief.
„ Das sollte genügen, um seinen Geist zu brechen.“ sagte er zuversichtlich und erwiderte den hasserfüllten Blick Lugias.
Rufus war sich da nicht so sicher. Soweit ihm bekannt war, war das bereits der fünfte Versuch, das legendäre Pokémon seelisch in die Knie zu zwingen. Er konnte sich nicht helfen: Nummer Eins tat ihm leid. Rufus Vater Phrenos, seines Zeichens Anführer des Team Crypto, wusste von dem weichen Herz seines Sohnes. Das war wohl der Grund, warum er erst jetzt die Erlaubnis erhalten hatte, sich das Lugia ebenfalls anzusehen. Er dachte manchmal darüber nach, aus dem Team auszutreten und ein ehrenhafteres Leben zu führen, anstatt die Misshandlung von Pokémon weiter zu unterstützen. Doch sein Vater hielt sowieso nicht sonderlich viel von ihm und Rufus wollte ihn unter keinen Umständen enttäuschen.
Ein lautes Surren weckte ihn aus seinen Gedanken. Luzius hatte den Wissenschaftlern ein Handzeichen gegeben, die daraufhin den Prozess der künstlichen Versiegelung des Herzens des Lugias in Gang geleitet hatten. Es lief anders ab, als Rufus es gewöhnt war, was kein Wunder war, da das Herz des legendären Pokémon auf eine völlig neue Weise versiegelt werden sollte. Auf eine irreversible Weise. Im Gegensatz zu Rufus Brutalanda und dem Elektek, das Luzius bei sich trug, sollte es nie wieder in der Lage sein, sein Herz zu öffnen. Es sollte nie wieder etwas anderes spüren, als Hass und Wut. Bei dem Gedanken lief es Rufus kalt den Rücken herunter. Zwar war sein Vater sicher, das Lugia kontrollieren zu können, doch er selbst hatte das Gefühl, dass man das mächtige Wesen doch gehörig unterschätzte.
Die metallenen, elektrisch gesteuerten Arme einer Maschine waren inzwischen durch die Klappe in das gläserne Gefängnis des vollkommen erschöpften Pokémon eingedrungen. Anstatt in Händen und Fingern wie bei Menschen endeten diese Arme jedoch in langen Injektionsspritzen, gefüllt mit einer in jahrelanger Arbeit entwickelten Flüssigkeit. Sie wirkte ziemlich unscheinbar, war farb-, und geruchlos, und doch enthielt sie ein kompliziertes Gemisch verschiedenster Stoffe, deren Bedeutung Rufus nicht nachvollziehen konnte. Alles was er wusste war, dass sie maßgeblich an der Verwandlung in das ultimative Crypto-Pokémon beteiligt sein sollte. Doch bisher hatte sich Nummer Eins immer erfolgreich gegen die Auswirkungen dieses Giftes wehren könnte. Tatsächlich schien es diesen Vorgang schon gewöhnt, denn es versuchte müde den Spritzen auszuweichen, zeigte jedoch keine Angst. Letztendlich war es jedoch viel zu erschöpft und verletzt, um den Bewegungen der herzlosen Maschine lange entkommen zu können. Die insgesamt fünf gefüllten Spritzen stachen zielsicher in die Haut des Lugia. Vier von ihnen in je eine seiner Gliedmaßen, die letzte direkt in das Herz des hilflosen Pokémon. Die Anspannung im Raum war deutlich spürbar. Die Wissenschaftler hatten sich von ihren Plätzen erhoben und blickten erwartungsvoll auf das schwer atmende Wesen. Luzius hatte sich direkt vor eine der Scheiben gestellt und wartete ebenfalls auf eine Reaktion, während Rufus sich bei dem Gedanken an den Wunsch ertappte, es möge weiterhin stark bleiben und sich widersetzen. Einige Augenblicke vergingen, ohne dass etwas geschah.
Luzius wandte sich an den führenden Laboranten und teilte ihm seine Missgunst sehr deutlich mit. Selten hatte Rufus seinen sonst so ruhigen Bruder so aufgebracht erlebt. Doch im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden, fühlte er sich erleichtert. Er konnte nicht anders, setzte ein leichtes Lächeln auf und blickte tief in die Augen des Lugia. Doch das was er sah, erschreckte ihn sehr. Die Augen des Pokémon färbten sich allmählich blutrot. Zunächst dachte er, es handle sich tatsächlich um Blut, doch nach und nach wurde ihm klar, dass es die ersten Auswirkungen des Mittels waren, das dem Lugia gespritzt worden war.
Langsam stand es auf und gab ein undefinierbares Geräusch von sich, das ihm die erneute Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicherte. Jeder Blinde hätte die Veränderung des armen Wesens augenblicklich erkennen können. Mit maßlosem Schrecken beobachtete Rufus, wie sich die perlmuttweißen Federn des Vogels nach und nach in einem tiefdunklen Lila färbten und jeder Hauch von Gefühl aus den nunmehr blutroten Augen verschwand. Er konnte regelrecht spüren, wie sich nicht nur das Äußere, sondern auch das Innere des bis vor kurzem noch so edel wirkenden Pokémon veränderte.
Rufus machte unbewusst einen Schritt nach hinten, während sein Bruder Luzius synchron zu Nummer Eins, dessen Ketten per Knopfdruck gelöst worden waren, triumphierend die Arme ausbreitete und laut in die Runde rief:
„ Begrüßt Extradunkel 001! Das ultimative Crypto-Pokémon!“