Nachtdem ich hier ewig nicht mehr gepostet habe, dachte ich, ich teile einmal wieder eine neue Geschichte mit euch. Sie ist zu Der Schleier der Welt, spielt aber vor der Handlung des ersten Bandes (ein ganzes Stück vorher sogar). Vielleicht haben Sunaki, Thrawn und Alice aber dennoch Interesse an der Geschichte ;-)
Sean stöhnte im Schlaf und wälzte sich hin und her.
Wie so oft überlegte Sarah ihn zu wecken. Es würde es nicht besser machen. Es würde nichts ändern. Doch die Versuchung war da.
Während er sich hin und her wälzte, traf eine kleine Hand oder vielleicht auch ein Fuß die Seite ihres Bauches, während das Kind dort – nun, was auch immer tat. Sie rieb über den Bauch, doch vorerst gab es keine weitere Bewegung.
Sarah lag auf ihrer Seite, musterte Sean, während sein Gesicht sich immer wieder verzerrte. Es waren nur noch zwei Nächte bis Vollmond und dieser zeigte bereits jetzt seine Auswirkung.
Seufzend rutschte sie von der Matratze und stand mühselig auf. Fast instinktiv legte die die Hand auf ihren Bauch. Ihr war etwas übel. Das kam in den letzten zwei Wochen immer häufiger vor. Dabei hatte sie bis dahin Glück gehabt und war von der Schwangerschaftsübelkeit verschont gewesen.
Vielleicht war es auch Egoismus, der sie dazu antrieb, Sean wecken zu müssen. Sie konnte so einfach nicht schlafen.
Dennoch blieb sie leise. Wenn Vollmond war, würde er ohnehin die ganze Nacht draußen sein. Da konnte er jetzt schlafen – soweit dieser Schlaf überhaupt erholsam war. Die zwei, drei Tage rund um die Vollmondnächte waren immer die schlimmsten.
Sie atmete tief ein und aus, um gegen ihre Übelkeit anzukämpfen. Ihre Beine taten etwas weh, auch wenn ihr Arzt gesagt hatte, dass alles in Ordnung war.
Lange würde es nicht mehr dauern. Es blieb zu hoffen, dass ihr Sohn sich nicht entschied in der Vollmondnacht zu kommen. Am besten wartete er bis zum nächsten Neumond. Sonst würde Sean den Stress der Geburt kaum durchstehen. Selbst wenn sie darauf vorbereitet war, notfalls allein ins Krankenhaus zu fahren.
Sie ging zur Toilette und wusch sich schließlich das Gesicht mit kaltem Wasser. Ihr war warm, obwohl es Winter war. Vielleicht auch ein Nebeneffekt der Schwangerschaft.
Noch einmal sah sie in das Schlafzimmer der kleinen Wohnung, die sein Rudel für sie bezahlte. Nur wegen dem Kind, das wusste sie, weil ihnen der Nachwuchs fehlte. Dabei hätte es deutlich bessere Zeitpunkte gegeben, schwanger zu sein. Doch was wollte man machen? Abtreibung wäre wirklich nie in Frage gekommen.
Vielleicht würde ein Tee gegen die Übelkeit helfen. Dieser Gedanke brachte sie dazu in die Küche zu gehen. Diese war sehr klein und schmal, hatte jedoch das wichtigste Haushaltsgerät der Briten, wie ihr Vater immer scherzte: Einen guten Wasserkocher. Sie füllte diesen mit Wasser, ehe sie durch die Teekiste ging. Ein Earl Grey war nicht die beste Idee, wenn sie noch schlafen wollte. Ein Minztee vielleicht.
Dann fiel ihr eine kleine Teepackung in die Hand, an die sie gar nicht mehr Gedacht hatte. Ein Tee gegen Übelkeit. Stimmt, Thia hatte den ihr mitgebracht. Vielleicht half es ja wirklich. Immerhin schworen die Wölfe auf diese Heilkräuter und all diese Dinge. Und es war in der Schwangerschaft ja eh besser, hatte man ihr gesagt.
Also tat sie einen der Vorgefertigten Teebeutel in eine Tasse und wartete, bis das Wasser kochte, ehe sie es ebenfalls hineinfüllte. Dann wartete sie.
Müde öffnete sie das Fenster, um die angenehm eisige Nachtluft hineinzulassen. Der fast volle Mond stand genau so, dass sein Licht gerade in die Küche fiel. Da er nur knapp über den nächsten Häusern stand, wirkte er größer, als er es eigentlich war.
Ausgerechnet dieser Gedanke ließ sie schauern.
Die Wahrheit war, dass der Gedanke an die Geburt sie nervös machte. Wie sollte sie all das nur schaffen? Da wäre ein Kind, das von ihr – nun, von ihnen – abhängig war. Ein Kind, das eventuell ein Werwolf wäre. Und sie war gerade neunzehn. Eigentlich viel zu jung.
Und dann war da auch die andere Angst. Denn egal, wie sehr sie versuchte, es zu verdrängen: Die Chancen standen nicht schlecht, dass Sean starb, bevor er dreißig war. Die wenigsten Werwölfe wurden älter. Und dann? Was machte sie dann mit dem Kind?
Sie kämpfte die Emotionen hoch, die in ihr aufkamen. Sie hasste diese einsamen Nächte, in denen sie nicht schlafen konnte. Sie machten sie viel zu emotional.
Müde schloss sie die Augen und atmete die kalte Nachtluft ein. Die Lider noch immer geschlossen lauschte sie auf die Geräusche der Stadt. Irgendwo bellte ein Hund. Ein Wagen fuhr brummend eine der Straßen hinauf. Der Wind rauschte. Wenn sie ganz angestrengt lauschte, meinte sie in der Ferne einen Zug zu hören. Vielleicht ein Güterzug von der Nebenstrecke, der am Haymarket ausfuhr.
Ein Geräusch, das viel näher war, ließ sie zusammenzucken. Es waren Schritten und das leise Quietschen von Türscharnieren.
„Sarah?“, raunte Sean, als er in die Küche trat. Wie immer trug er nur T-Shirt und Unterhose. „Alles okay?“
Sie nickte. „Ja. Mir ist nur etwas übel.“
Die Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er übertrieb ein wenig. „Sicher, dass dann alles okay ist?“
„Nur die normale Übelkeit, Sean. Kein Grund sich zu sorgen.“
Für einen Moment zögerte er, dann aber kam er zu ihr rüber und legte seine Arme um sie. „Habe ich dich wachgehalten?“ Er küsste sie auf die Stirn.
„Nicht mehr, als das Kleine auch“, meinte sie.
„Tut mir trotzdem leid … Vielleicht sollte ich …“
„Es ist schon okay“, antwortete sie. „Ich mag es lieber, wenn du da bist.“ Solange er hier war und nicht irgendwo auf Jagd, wo er sein Leben riskierte. Nicht, weil er eine Wahl hatte.
Noch einmal drückte er seine Lippen gegen ihre Stirn. „Okay.“
Damit löste sie sich von ihm und nahm ihren Tee. Vorsichtig zog sie den Teebeutel heraus und legte ihn in der Spüle ab, ehe sie sich wieder zum Fenster drehte, die Tasse dieses Mal in der Hand. „Bleibst du ein wenig hier?“
Er stellte sich hinter sie und legte die Arme um sie, so gut es der Bauch erlaubte. „Gern.“ Dabei roch er an ihrem Haar.
Wieder schloss Sarah die Augen. Der irgendwie würzige Geruch des Tees drang in ihre Nase und vertrieb selbst ohne die Flüssigkeit schon einen Teil der Übelkeit, während sie weiter lauschte. Irgendwo gingen Jugendliche eine Nachbarstraße entlang. Ihr Gespräch und ihr Lachen waren als ein fernes Murmeln zu vernehmen. Ein Hund – vielleicht derselbe wie vorhin – jaulte im Versuch eines Heulens. So wie wahrscheinlich auch fünfzig Kilometer weiter westlich im Trossachs einige Wölfe den Mond anheulten.