In der Zwischenzeit war Suzanne Streuben damit beschäftigt, das menschliche Bedürfnis nach frischer Luft wertzuschätzen – ein sehr unterschätztes Bedürfnis, wie sie fand. Denn dem exzellent ausgebauten Belüftungssystem des Hotels an der Zentralplaza hatte sie es zu verdanken, dass sie sich auf denkbar einfache Weise Zutritt in die Garderobe des Roten Mauzis hatte verschaffen können: Durch die Luftschächte. Gleich nachdem sie von oben in den Raum eingedrungen war, hatte sie Banshee angeordnet, das Schloss der einzigen Türe zur Garderobe mit einer Psywelle zu vorsichtig zu verbiegen, damit sie mit keinen Überraschungsgästen bei der Arbeit zu rechnen hatten. Dann hatte sie sich über die Jacken und Mäntel hergemacht.
Auf dem Weg nach draußen kroch sie dieselbe Route zurück, auf der sie schon hereingekommen war. Diese führte zwar direkt über den Köpfen der feiernden Abendgesellschaft durch, doch Suzie hatte es sich nicht verkneifen können, einen letzten Blick auf ihre heutigen Spender zu werfen. Auf dem Weg zur Garderobe hatte im Festsaal noch ausgelassene Feierlaune geherrscht, aber jetzt – Totenstille. Suzies methodisches Vorankriechen verursachte trotz ihrer besten Bemühungen metallische Geräusche und plötzlich bekam sie es mit der Angst zu tun. Aus dem Saal unter ihr drang kein laut, hatte man sie bemerkt und die Gäste informiert? Sie brauchte Gewissheit. Einige Meter vor ihr befand sich ein Gitter, das ihr einen Blick auf den Raum darunter erlaubte. Sie wischte ihre Haare zurück und spähte hindurch.
Der Salon war nicht leer, im Gegenteil, er war noch immer gut gefüllt. Doch nichts und niemand darin regte sich, es war, als wären die Gäste auf einen Schlag eingefroren. Oder… Suzie schaute genauer hin. Sie waren… versteinert? Es war bizarr. Von ihrer Warte aus konnte Suzie keine genauen Details erkennen, doch sie hatte den Eindruck, als wären die Menschen und vereinzelten Pokémon nicht nur metaphorisch, sondern sehr wirklich zu Statuen erstarrt. Ihre Vernunft sagte, nein, schrie, dass sie sich spätestens jetzt aus dem Staub gemacht haben sollte, aber ihre Neugier war stärker, und so zog sie das Gitter aus seiner Verankerung und ließ sich die paar Meter zu Boden fallen. Sie hatte Recht gehabt mit ihrer Vermutung, sie befand sich in einem hell erleuchteten, opulent geschmückten Salonzimmer, inmitten von ganz und gar regungslosen Steinstatuten – Statuen, die vor ein paar Minuten noch quicklebendig gewesen waren. Suzie bemerkte, dass auffallend viele der Versteinerten ein Ausdruck des Entsetzens auf ihren Gesichtern gewahrt hatten. Sie folgte dem Blick der Steinaugen zum Fenster und erschrak. Die Fensterfront des Hotels war geborsten, Glassplitter bedeckten den Boden davor. Und dahinter – Suzie schluckte einmal leer. Draußen donnerte und krachte es in unregelmäßigen Abständen, als ginge die Welt unter – was vielleicht gar keine so falsche Annahme war. Na toll. Die Plaza unter ihr war völlig verwüstet, genau wie der Prismaturm. Der obere Teil des sonst so majestätischen Bauwerkes war wie durch eine gewaltige Kraft weggerissen worden und lag in überall versprengten Trümmern auf dem zerstörten Platz, wenn sie genau hinschaute, konnte sie sogar noch vereinzelte versteinerte Gestalten dazwischen erkennen.
Ohne den Turm war die Nacht sehr dunkel. Obwohl Suzies Herz bis zum Hals pochte, riss sie sich am Riemen und machte das Beste aus der Situation: Sie untersuchte die Handgelenke und Ausschnitte der steinernen Gesellschaft auf Schmuck. Doch vergebens, was auch immer für Luxus an den oberen Zehntausend Illuminas gehangen haben mochte, er war gleichsam mit seinen Besitzern zu furchtbar unspektakulärem Mineral erstarrt. Wäre auch zu einfach gewesen. Das musste reichen, sie musste weg, bevor-
Die ohnehin unruhige Nacht erzitterte unter weiteren markerschütternden Klängen der Zerstörung. Das hatte nicht einfach nach einstürzenden Blocks geklungen – das war ein Brüllen gewesen. Von ihrem eingedrückten Fenster aus starrte Suzie mit rasendem Puls und ebenso schneller Atmung in die Finsternis. Terroristen? Kaum, auch wenn das Lichtfestival ein ausgezeichnetes Ziel für zerstörungswütiges Gesindel abgegeben hätte. Nein, die Wirklichkeit ließ Mensch und Pokémon sich viel machtloser und kleiner fühlen, und auch wenn Suzie früher immer die Daumen für Mecha-Despotar gedrückt hatte, war es doch ein ungleich unangenehmeres Gefühl, einen Kaiju-Kampf aus dem einundzwanzigsten Stock live zu beobachten. Xerneas und Yveltal??? Das durfte einfach nicht wahr sein, das war nicht fair. Nicht nur, weil die zwei legendären Pokémon gerade dabei waren, die Gebäude im Stadtkern und somit Suzies Lebensgrundlage einzuebnen, auch weil sie nun deren Zerstörungsorgie nicht einmal angemessen verfolgen konnte, denn das Risiko, selber zu versteinern, musste nach wie vor erheblich sein. Suzie gab Fersengeld. Zurück in den Schacht kam sie nicht mehr, sie hatte ohnehin keinen Grund mehr dazu. Sie stieß die Flügeltür des Saals auf und hetzte hinaus, jagte an panischen Pagen und verwirrten Kellnerinnen vorbei und drängte sich schließlich mit einer Handvoll vornehm gekleideter Damen und Herren in den nächsten Aufzug.
Die unversehrten Gäste des Roten Mauzis waren viel zu aufgeregt, um überhaupt von Suzie Notiz zu nehmen. Während der Lift sie nach unten brachte, schwirrten in der Kabine hysterische Stimmen durcheinander und Suzie, die durch ihre Größe in der Masse einfach unterging, versuchte, ihre nächsten Schritte zu planen. Der Haupteingang führte auf die Winterallee hinaus, von dort könnte sie scharf links abbiegen und hoffentlich etwas Distanz zwischen sich und die tobenden Legendären bringen. Danach müsste sie nur noch den Nordring überqueren und wäre dann schon fast auf den Dächern. Der Fahrstuhl gab ein „Ding!“ von sich und die nervösen Damen kreischten, als sich Suzie mit Ellenbogen und Kopfstößen einen Weg nach draußen bahnte. Auf der Straße konnte sie es nicht lassen, noch einen Blick auf den monströsen Kampf zu werfen – doch so beeindruckt sie auch war, nachdem ein Querschläger Xerneas‘ sie beinahe eingeäschert hatte gab sie das Staunen auf und machte sich aus dem Staub.
Obwohl sie die ganze Nacht unterwegs gewesen war, hatte sie keine Ruhe gefunden. Stundenlang hatte Suzie auf ihrer schäbigen Matratze in aufreibendem Halbschlaf vor sich hingedämmert und mal die schimmlige Decke, mal den staubigen Boden ihres Baus angestarrt. Sie brauchte ihren Schlaf dringend, doch der Schlaf kam nicht. Schließlich – es war bereits hell – gab sie auf, weckte Snatch, Banshee und Marchand auf und suchte einmal mehr das Stadtzentrum auf. Sie hatte wie so oft die Route über die Blocks genommen, denn sie rechnete damit, dass die Straßen von Polizisten wimmeln würden. Ohnehin war zu jeder Zeit davon auszugehen dass der Kommissar umging, doch Suzie drehte sich genau deshalb des Öfteren um. Je näher sie der Ruine des Prismaturms kamen, desto schlimmer wurde die Zerstörung: Suzie hatte Glück gehabt, vom Roten Mauzi war nichts mehr übrig, das die Bezeichnung Gebäude verdient hätte. Fast die gesamte Innenstadt lag in Trümmern, und was noch stand, war schwer beschädigt und (für normale Bürger mit normalen Ansprüchen) unbewohnbar. Suzie ging auf einem zerrütteten Mauerstück in die Hocke und observierte die Umgebung unter ihr. Wenn sie nun in einer Ruinenstadt ihrem Gewerbe nachgehen musste, dann war das eben so. Eine kollabierte Gesellschaft mochte nicht mehr so viel überschüssigen Wohlstand abwerfen wie eine heile, doch verteidigen konnte sie besagten Wohlstand noch viel schlechter. Suzie hatte keine Zukunftsangst, sie hatte höchstens Angst vor einer Rückkehr Yveltals und Xerneas. Unter ihr ging eine einsame Gestalt ihres Weges, Suzie beschloss, den ersten Fang des Tages zu landen.
Man konnte wirklich sagen, dass Kristyna Glück gehabt hatte. Anders ließ sich ihre Situation nicht beschreiben. Erster Punkt – sie wachte am Morgen auf. Zwar fühlte sie sich wie gerädert, und erst recht nicht gut erholt. Aber sie war aufgewacht. Was man von einem guten Teil der Bevölkerung nicht sagen konnte. Noch dazu stand das Gebäude mit ihrer Wohnung noch – zur Hälfte zumindest, was sie aber ohnehin erst bemerken konnte nachdem sie das Gebäude verlassen hatte. Und schlussendlich hatten sich weder sie, noch einer ihrer Vögel über Nacht in Gartendeko verwandelt. Alleine lebte sie auch noch, Freunde hatte sie noch nicht wirklich gefunden – wie sie noch herausfinden würde ein sehr glücklicher Zufall für ihre geistige Gesundheit.
Genau genommen hatte der Tag ja ziemlich gewöhnlich angefangen. Dass sie in der Nacht bewusstlos gewesen war, wusste Krissie natürlich nicht. Also nachdem der Körper einmal mit purer Willenskraft aus dem Bett befördert worden war, ging sie ihrem Tagesablauf nach wie sonst auch. Oder versuchte es zumindest. Sehr schnell bemerkte sie, dass weder Wasser noch Strom in der Wohnung verfügbar waren. Das hatte aber auch erstmal nichts zu bedeuten. Entsprechend wurde gemütlich, in aller Ruhe, in ihrer Küche die erste Mahlzeit des Tages eingenommen, anschließend notdürftig Zähne geputzt und das Schlaf-T-Shirt gegen richtige Klamotten getauscht. Ihre drei Vögel waren während ihrer Routine auch aus den Pokébällen draußen, und kümmerten sich um ihre eigene Morgenroutine, bestehend aus Fressen und Putzen. Nachdem das nun auch erledigt war, packte sie rasch ihre Umhängetasche ein, um sich vielleicht nach dem Ursprung der fehlenden Funktionalität ihrer Anschlüsse umsehen zu können. Mit Laptop, Geld, Ausweisen und drei wieder gefüllten Pokébällen in der Tasche und der Gitarre auf dem Rücken sperrte sie die Tür auf, lief die Treppen hinunter auf die Straße und…
…fand direkt die Antwort auf ihre Frage. Da ein guter Teil des Häuserblocks ihr gegenüber einer rapiden ungeplanten Demontage untergangen war, und es der Hälfte der Gebäude in dem Straßenzug nicht besser ging – ihrem zum Glück aber schon – war die naheliegendste Begründung wohl schlichtweg, dass sie den Weltuntergang verschlafen hatte. Entsprechend ließ sich auch ihr Gesichtsausdruck deuten. Überraschung, gemischt mit Unsicherheit, gemischt mit Unglauben. Was…sollte man überhaupt in so einer Situation machen? Rettungsdienste verständigen? Sie konnte, anders als sonst, eigentlich keine Sirenen hören. Ein kurzer Check auf ihrem Smartphone offenbarte ihr auch keinen Empfang, in keinem Netz – also Notrufe würden auch keine durchkommen. Die logische Schlussfolgerung war also dass die schon zur Kapazität ausgelastet waren, und wahrscheinlich woanders. Sie glaubte auch kaum dass ein Erdbeben – oder was auch immer das verursacht hatte – nur auf den Nachbarblock lokalisiert war. Also waren die wahrscheinlich woanders beschäftigt. Die Straßen waren ebenfalls komplett menschenleer. "In einem Film würde jetzt ein Staubläufer durchrollen"-leer. Auf den zweiten Blick stellte sich das allerdings auch als nicht ganz wahr heraus. Bei genauerem Hinsehen konnte sie mehrere…Statuen(?) erkennen. Grauer Stein hieb sich von der grauen Straße und dem grauen Schutt nicht unbedingt so gut ab, und direkt vor ihrer Nase war keine gewesen. Also ging sie einmal näher an die nächste Statue heran, und begutachtete sie.
Allerdings wurde Krissie auch sehr schnell klar dass sie keine Ahnung hatte was sie da eigentlich machte. Es war eine Person, wohl am Laufen – weglaufen vor etwas, und aus Stein. Sehr gute Detektivarbeit. Entsprechend schnell gab sie das Vorhaben einfach auf und überlegte, wo sie als nächstes hin könnte. Prismaturm? Wäre wahrscheinlich der offensichtlichste erste Anlaufpunkt. Irgendjemand könnte man dort sicher finden. Also schlug sie den direktesten Weg zu ihrem Ziel ein. Immerhin war es nicht das erste Mal dass sie diesen Weg einschlug. Allerdings war es das erste Mal, dass sie auf dem Weg so alleine war. Bis auf eine junge Frau mit Irokesenhaarschnitt und einem Evoli im Arm lief ihr eigentlich niemand über den Weg. Zumindest nicht auf Augenhöhe. Die zweite Bekanntschaft des Tages konnte sie nämlich nicht direkt sehen, ohne den Kopf in den Nacken zu legen. Und warum sollte sie das machen? Immerhin konnte sie ja davon ausgehen, nicht von oben belästigt zu werden.
Auftritt der Superschurkin: Nicht nur alles Gute sollte von oben kommen, auch das Böse, Verschlagene und Verdorbene machte gelegentlich Gebrauch von diesem Privileg. In der milden Morgensonne verfolgten blassrote Augen eine einsame Gestalt, die sich mit einer Gitarre auf dem Rücken einen Weg durch das Trümmertal suchte. Eine Musikerin! Hätte Suzanne Streuben, die Gaunerlegende, Bedenken, eine Straßenmusikerin in Not bis auf den letzten Cent auszuziehen? Nicht im Geringsten, sie hatte einen Ruf zu wahren. Würde die erste Beute des Tages besonders fett ausfallen? Kaum. Konnte Suzie nicht mehr stillsitzen, weil die Annalen der Verbrechergeschichte auf niemanden warteten? Definitiv. Trotzdem geduldete sie sich, bis die junge Frau sie passiert hatte und rutschte dann behände an der zerbeulten Regenrinne einige Meter hinter ihr auf die Straße hinunter. Derartig direkter Raub war nicht ihre Spezialität, doch in der Not sollte selbst Giratina Wommel verschlingen. Leise, leise pirschte sie sich hinter das Landei an. Würde sich die Andere zufällig umdrehen, wäre ihr schöner Plan wohl im Eimer, darum… musste sie einfach beherzt handeln. Suzie war nun in Griffdistanz und hatte ihre eigenen Schritte denen ihres Opfers angepasst. Von hier hinten hatte sie nicht wirklich Zugriff auf die ach-so-verlockende Umhängetasche, doch das Case der Gitarre selber hatte ein prall gefülltes Fach auf der Oberseite, das sie regelrecht anlachte. Jetzt war der Moment gekommen. Suzie griff zum Reißverschluss, zog entschlossen daran und-
Rrrrratsch!!!
Oh verdammt, das war zu laut gewesen. Mit einer Geschwindigkeit, wie sie nur die Absenz jeglichen Moralempfindens rechtfertigen konnte, riss sie das Fach auf, schnappte sich, was auch immer darin gewesen war, und war sogleich auf dem Sprung zurück in die Unsichtbarkeit.
Trotz ihrer ursprünglichen Annahme, sie könnte von oben nicht belästigt werden, fühlte Krissie sich…beobachtet. Warum? Keine Ahnung, immerhin hatte sie nicht bemerkt, dass auch nur irgendjemand in ihrer unmittelbaren Umgebung war. Außer die omnipräsenten Statuen natürlich. Wie in einem Horrorfilm fragwürdiger Qualität gab es nun aber noch mehr Anzeichen, dass sie nicht alleine war: Sie meinte, Schuhe auf Steinchen gehört zu haben. Sie schaute kurz über die Schulter, erkannte auf den ersten Blick aber niemand – weswegen sie das Gefühl schlichtweg abschüttelte, und ihren Weg fortsetzte. Es kamen auch keine weiteren Anzeichen dass sie Gesellschaft haben könnte. Entsprechend wog sie sich schon fast wieder in Sicherheit – bis sie plötzlich Widerstand beim Gehen, und ein ungewöhnlich lautes Öffnen eines Reißverschluss wahrnahm.
Ohne groß zu überlegen wirbelte die Falknerin herum, Hand ausgestreckt auf der Höhe auf der sie den Angreifer vermutete – und bekam das Handgelenk der Diebin noch zu fassen. Ein kurzer Blick nach unten verriet ihr auch direkt was los war. Immerhin handelte es sich bei dem Gerät in der fremden Hand um ihr Stimmgerät. Aufgebracht war sie entsprechend auch direkt. "Sag mal, hast du nichts besseres zu tun? Was willst du überhaupt mit dem Teil. Oh warte, lass mich raten, du hast keinen Plan was du gerade stehlen wolltest."
Es musste der Katastrophe von heute Nacht geschuldet sein, dass Suzies erster Raub des Tages eine solche Bruchlandung hinlegte – mit dem Zusammenbruch von durchstrukturierter Gesellschaft und Gebäuden gleichermaßen schien zumindest in dieser Straßensängerin ein ursprüngliches Misstrauen aufgekeimt, ohne das sie bestimmt nicht so schnell reagiert hätte. Entgeistert starrte Suzie erst auf ihr fixiertes Handgelenk, dann auf ihr… Beutestück, von dem sie tatsächlich keine Ahnung hatte, welche Funktion es erfüllen sollte, und zuletzt der jungen Frau ins Gesicht hoch. Trotzig-empört verzog sie das Gesicht, während sie versuchte, sich aus dem fremden Griff zu winden. „Nichts Besseres?! Ich versuche hier zu arbeiten, okay?! Natürlich weiß ich, was das ist – und jetzt lass mich-“ Während sie (hoffentlich) klammheimlich mit der freien Hand nach Marchands Pokéball in ihrer Hosentasche tastete, zog sie mit aller verfügbaren Kraft ihren Arm zurück, das seltsame Gerät noch immer fest umklammert, „LOS!!“
Erwischt zu werden hatte wehgetan, aber vielleicht konnte sie sich dennoch mit einem gewissen Ertrag davonmachen – denn dass Suzanne Streuben die Flucht gelingen würde, das stand außer Frage, nur lohnen sollte es sich auch für sie.
Paranoid war Krissie ja eigentlich nicht. Auch nicht in der aktuellen Situation. Was sich allerdings geändert hatte, war das komplette Fehlen jeglicher Hintergrundgeräusche. Das machte es natürlich umso einfacher Leute zu entdecken, wenn diese nicht von Anfang an ihr Schritttempo angepasst hatten. Genau deswegen war sie ja erst auf Suzie aufmerksam geworden. Dass der Reißverschluss so laut war, hatte natürlich auch geholfen.
An der Reaktion alleine konnte man erkennen, dass sie sicherlich nicht damit gerechnet hatte, erwischt zu werden. Gnade zeigte die Falknerin trotzdem keine. Die Hand blieb genau wo sie war, um das Handgelenk geklammert, auch als sie dann begann sich zu wehren. Sie brauchte das Teil nämlich. Oder besser gesagt – sie wollte es nicht ersetzen, und sie bezweifelte dass im aktuellen Zustand der Stadt die Post noch lieferte. Der Kommentar, dass sie hier doch nur zu arbeiten versuchte, entlockte der jungen Dame ein belustigtes Schnaufen. "Dann arbeite doch in einem der zigtausend Markenläden! Ist jetzt nicht so als könnte dich da wer aufhalten."
Die Bewegung der anderen Hand bemerkte Kristyna nicht. Viel mehr war sie auf die andere Hand fokussiert. Zuerst indem sie mit der zweiten Hand als Hilfe die Weglaufaktion vereitelte, dann indem sie versuchte mit der freien Hand den festen Griff zu brechen. Entsprechend auch die Antwort – während sie dabei war einzelne Finger von ihrem überteuerten Teil Spezialelektronik zu trennen. Sicher, es ginge wahrscheinlich einfacher wenn sie den Moment nützte um einen billigen Schlag in den Bauch zu landen. Aber…nein. "Erst wenn du losgelassen hast!"
Inzwischen dauerte diese Auseinandersetzung für Suzies Geschmack länger, als ihr lieb sein wollte. Sie wurde ärgerlich – nicht nur wegen dem ausbleibenden Fortschritt, sondern auch, weil sie das Duell um ihr Beutestück zu verlieren drohte… und weil dieser Trampel doch tatsächlich die Dreistigkeit hatte, ihr Ladendiebstahl nahezulegen. „Gar nichts verstehst du“, zischte sie aufgebracht, „wen soll man denn damit beeindruckend?! Ich habe Ansprüche!“
Der Plan mit der Rauchwolke musste einem direkteren Ansatz weichen, denn selbst wenn es Suzie gelungen wäre, der Frau die Sicht zu nehmen, wäre ihr die Beute nicht garantiert gewesen. Also zog sie ihre Hand, das Gerät darin noch immer tapfer, wenngleich auch nicht mehr ganz so stark umkrallt, unter plötzlichem Kraftaufwand zurück und nutzte die nun kürzer gewordene Distanz zwischen ihnen, um ihrer Gegnerin einen hemmungslosen Kopfstoß gegen die Brust zu verpassen (denn höher kam sie leider nicht). Davon schwirrte ihr eigener Kopf, doch sie mochte sich ein klein wenig Freiraum verschafft haben, Freiraum, in dem sie sich ihrer Umwelt etwas eher gewahr wurde; vielleicht hatte es an ihrer Benommenheit gelegen, vielleicht war ihre Neugier in diesem Moment tatsächlich stärker gewesen als ihr Trieb… Jedenfalls legte Suzie entgegen aller Erwartungen nicht mit weiteren Entwendungsbemühungen nach, sondern starrte einige kurze Augenblicke ratlos an der Straßenmusikerin vorbei, auf die Zentralplaza. Dort sah sie Seltsames.
Da waren die Beiden sich ja durchaus einig. Kristyna hatte eigentlich ja auch bessere Dinge zu tun, als sich früh morgens mit einer Wildfremden um ihr Stimmgerät zu streiten. Aber hergeben würde sie es sicherlich nicht – das Teil kostete immerhin Geld; Geld, von dem sie nicht allzu viel hatte. Und dann faselte die auch noch irgendwas mit Ansprüchen um keinen Ladendiebstahl zu begehen. "Also wenn du dir die Standards leisten kannst, dann hast dus auch nicht notwendig Zeug zu klauen, das du eh nicht verhökern kannst!"
Gerechnet hatte sie ja mit viel. Der Kopfstoß traf die junge Dame dennoch komplett unvorbereitet. Leider allerdings auch ohne das (wahrscheinlich) erwartete Resultat – denn anstatt den Griff zu lockern, verkrampfte dieser sich noch mehr um das Streitobjekt herum. Genauso wie die freie Hand, die sich zur Faust ballte. Etwas benommen torkelte sie zurück und schnappte nach Luft. Nur um kurz darauf festzustellen, dass sie tatsächlich ihr Stimmgerät noch in der Hand hatte. Nur dieses Mal ohne Körperkontakt von der Diebin. Zum Glück war der Kopfstoß nicht allzu fest gewesen, sodass sie auch recht schnell ihren Atem wieder fand. "Na also. Geht doch. Was guckst denn so blöd?"
OT: Einstiegspost Teil 1/2 mit Ulti