Langsam sank die Sonne hinter den Bergen herab und füllte die Landschaft in eine fast unheimliche Finsternis. Dunkelheit bedeckte die Welt aufs Neue – wie in jeder Nacht zuvor. Hier war die Grenze, wo das meiste Leben aufhörte, wo die Zeit für Menschen und Pokémon begann, ins Land der Träume zu zerfallen, wo sie sich vor dieser geheimnisvollen, unsicheren und unerreichbar wirkenden Schattenwelt zu verstecken suchten. Anders Nischara. Wie jeden Abend schaute er von seinem Fensterbrett heraus und sehnte den Sonnenuntergang herbei. Hier war er in seiner Welt, hier war er sicher, hier war er frei von jeden Ängsten und Zwängen, hier war er allein. Sonne konnte er schon lange keine mehr sehen – im Gegenteil, sie widerte ihn an. Es widerte ihn an, dass durch sie all die Menschen aus ihren Löchern kriechen, deren „Recht“ darin liegt, anderen Leuten zu schaden und zu verletzen. Es widerte ihn an, dass die helle Scheibe am Horizont mit einer solchen Gewalt schien, dass sein Körper in Wärme getaucht wurde, die er als „scheußlich“ einstufte und vor allem hasste er diese schreckliche Angst jeden Tag, den nächsten Abend nicht mehr erleben zu können. „Ein weiterer Tag vergangen!“, stellte er geschockt fest, „Ein weiterer Tag, an dem mir das Leben geschenkt wird!“ Er wandte sich ab und ließ sich emotionslos auf sein Bett fallen. Durch den Aufprall leicht erschrocken, hob ein Hunduster neben ihm seinen Kopf hoch. „Ist schon ok, Emerald!“, versicherte Nischara, „Ich wollte dich nicht erschrecken, tut mir leid!“
Emerald – Nischaras Hunduster, das mit ihm bereits durch Dick und Dünn gegangen war – stöhnte kurz. Er hatte mehrere Narben an seinem Körper und man konnte deutlich sehen, dass ihm bereits einige Zähne fehlten. Am auffälligsten war jedoch der große Kratzer, der von der Stirn an mitten durch sein linkes Auge verlief. Er stand auf und lief langsam zu Nischara hin, bevor er sich neben ihm aufs Bett legte. „Gut, dass du da bist!“, ließ Nischara von sich bemerken. Emerald erwiderte die Worte mit einem Knurren. Nach Außen hin wirkte er ebenso hart wie sein Trainer, doch täuschte dieser raue Kern nur über das Liebvollste und Zärtlichste in ihnen hinweg, was zutiefst verletzt wurde. Dennoch bestand zwischen den beiden ein Band, was von niemand zerrissen oder beschädigt werden, geschweige den zerstört werden mag. Beide schliefen ein und konnten für die Zeit der Träume endlich frei wie ein Vogel und agil wie eine Gazelle sein, bevor ein neuer Tag anbrechen und ihnen erneut Ängste bescheren würde.
Beide erwachten früh wieder aus ihrem tiefen Schlaf. Doch so früh, um der täglichen Wiederauferstehung der Sonne entfliehen zu können, konnten sie nicht. Mit einer Gleichgültigkeit nach außen hin, die nur seine innere Angst unbemerkt verdeckte, entstieg Nischara aus seinem Bett und verließ mit gleichmäßigen und durchdachten Schritten das Haus. „Komm Emerald!“, schlug Nischara vor, als er sich mit seinem Hunduster auf den Weg zur nahe gelegenen Route vor Jubelstadt aufmachte. Als er sich erhoffte, weit genug weg zu sein, um keinem mehr zu begegnen, setzte er sich mit Emerald auf die Wiese und dachte erneut über sein Leben nach. Und wenn er eins nicht mochte, dann war es, wenn ihn jemand dabei beobachtete. Plötzlich hörte er ein lautes Krachen in der Nähe, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog. „Was ist das? Und was für Kräfte prallen hier aufeinander?“, fragte er sich verwundert. Emerald begann wütend zu knurren, als er sich zu der Richtung umdrehte, wo die Schallwelle hergekommen war. Nischara wandte seinen Blick dort hin und entdeckte einige Trainer, die einem riesigen Roserade gegenüber standen. „Was ist das? Ein Haufen Trainer kämpfen gegen ein Roserade? Ja, aber wieso das…und wieso sehe ich bei diesem Roserade keinen Trainer?“, schoss es ihm verwundert durch den Kopf. Er strich sich über sein Haar und blickte dieses Wesen von weitem an. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, den er sich jedoch nicht anmerken ließ. „Auch wenn ich vielleicht nicht der beste Freund von wilden Pokémon bin, aber ich spüre deutlich, dass da etwas nicht zu stimmen scheint!“ Doch ehe er seinen weiteren Gedanken fassen konnte, war sein Emerald bereits knurrend in Richtung des Pokémons gerannt.
„Hey Emerald…bleib stehen!“, brüllte er hinterher, als er hinter seinem Hunduster her rannte. Dieser jedoch beachtete den Zuruf seines Trainers nicht, er schien wie im Rausch zu sein, dieses Roserade hatte wohl auch auf ihn eine merkwürdige Anziehung. „Wuff!“, knurrte er laut auf, als er vor den Trainern stehen blieb. Diese beachtete er jedoch nicht, er hatte seinen Blick starr auf dieses riesige Pflanzenpokémon gerichtet. „Tut mir leid!“, entschuldigte sich Nischara, der inzwischen angekommen war; es war von Seiten Nischaras alles andere als gewollt, sich in eine fremde Menschenmenge zu begeben, „Mein Hunduster wollte wirklich ni…!“ Plötzlich fiel ihm das verletzte Mädchen auf, was am Rande vom Weg lag und von einem Trasla und einem schwarzhaarigen jungen Mann umgeben war. Sofort kniete er sich zu dem Mädchen und schaute sich geschockt ihre Wunden an. „Verdammt, was ist mit ihr?“, rief dem jungen Mann entgegen.