Als Grey die Old Lady sah, schaute er recht überrascht. „Was? Ihr habt wirklich ein Boot gekauft? ... Oh man.“ Das Schiff war zwar verwittert, aber seetauglich schien es doch zu sein. Die Algen, die aus dem Wasser auf den Holzplanken, deren Farbe schon längst abgeblättert war, ragten, gaben dem Boot einen ironischen Glanz in der Dämmerung. Die Lady schien seit geschätzten Jahrzehnten verlassen zu sein und doch machte sich in Grey ein Gefühl breit, dass der Kahn doch noch seinen Zweck erfüllen sollte. Auf ihn hatte dieses Gegenteil vom Neuen, vom Perfekten, einen besonderen Charme.
Die anderen schienen im Inneren des Schiffs schon ihre Betten in Beschlagnahm zu nehmen, was den jungen Mann kaum interessierte. Er schaute bei einem kleinen Rundgang über das Boot, aber er betrachtete hauptsächlich die untergehende Sonne. Als sie endgültig untergegangen war, hatten sich die meisten schon wieder auf dem Oberdeck verstreut und schienen auch den Abend gemütlich ausklingen zu lassen. Shai und Temari standen nebeneinander an der Reling und schienen miteinander bruchstückhaft zu reden. Grey hörte nicht zu. Er schaute weiter: Syreen war am Bug und lehnte sich an die Vorderkante des Schiffes.
Eine recht erholsame Stimmung war aufgekommen, die Grey nicht stören wollte. Endlich einmal ein Moment der Stille. Er wollte sich gerade ohne ein Wort zu sagen neben die Grauhaarige gesellen. Shyreen schien ihm von allen Mitgliedern der Gruppe noch am sympathischsten. Als er jedoch an die Reling schreiten wollte, kam Blair vorbei und fing ein Gespräch mit ihr an. Ohne auf sie zu achten ging er weiter und suchte sich eine abgelegene Stelle. Sie war im Schatten gelegen, sodass man ihn und sein Bummelz nur schwer entdecken konnte. Das kurz wach gewordene Pokémon rollte sich in ein Tau, das auf dem Boden lag, ein und fing an weiterzuschlafen. Mitlerweile hatte sich dass Schiff in Bewegung gesetzt. Das Wasser schwankte ruhig hin und her, mit jeder Bewegung in einer anderen Richtung glitzernd durch den Mondschein. Leise rauschend prallt das Wasser gegen die Old Lady. Man hört von weitem ein paar Wingull, die zur Nachmusik kreischen.
Dazwischen ein leises Krächzen.
Grey schaute kurz nach oben und sah ein kleines Glitzern im sonst so dunklen Nachthimmel. „Ah... sie ist wieder da. Gut, dass sie uns noch gefunden hat“, flüsterte er zu seinem Freund.
Im Schutz der Dunkelheit segelte ein schwarzer Schatten zum Schiff hinunter und landete direkt neben dem jungen Mann, der schon genau wusste, was ihn nun erwartet. Das schwarze Gefieder der Krähe wurde geschüttelt, als die Flügel wieder in die normale Position gebracht wurden. Vorsichtig tapste sie nach vorne und begrüßte den Menschen mit einem leichten Nicken. Im Schnabel wurde ein kleiner, goldener Ring gefasst, der vorhin die Krähe bemerkbar gemacht hatte. „Hast du den Ring gefunden? Lass’ mal sehen.“ Das Kramshef ließ den Ring in die Hand von Gray fallen. Dieser mustert ihn genau, bis er anschließend resigniert und den Ring wieder auf den Boden legt. „Nein... das ist der falsche. Ich sagte doch, dass er auf der Innenseite Insignien hat.“
Die Krähe schaute enttäuscht. „Ach... macht nichts. Schon okay.“ Er hob den Ring wieder auf. „Dafür kannst du ihn behalten. Du hast ihn schließlich gefunden.“
Grey verschwand in Gedanken. „Den Ring hab’ ich mal meiner Mutter geschenkt. Vor langer Zeit... sie hat ihn nicht verdient.“ Kramshef schnappte sich den Ring von seiner Hand und legte ihn mit seinem Schnabel um eine Kralle. „Mach, was du willst. Es ist nicht so wichtig. Du kennst ja unseren Deal. Wenn das überhaupt ein Deal war. Du musst es nicht machen.“ Grey legte sich hin und schloss seine Augen. „Ich weiß sowieso nicht, warum du das für mich machen wolltest. Nur, weil du alle anderen glitzernden Sachen auch mitnehmen durftest? Sieht jedenfalls nicht so aus, als ob du vieles mitgenommen hättest. Ich verstehe dich nicht.“
Er hatte zwar die Augen geschlossen, bemerkte aber, dass die Krähe keine Anstalten machte zu gehen. Sie blieb neben ihm sitzen.
Ein Kramshef ohne Kramurx um es herum war vollkommen ungewöhnlich. Diese – es war ein Weibchen – war genauso einsam wie Grey selbst. Die Untertanen verlieren ihre Treue, wenn der Anführer die Anforderungen nicht erfüllt und gegen den Gegner verliert. Sie war nicht würdig. Verstoßen.
Grey schlief schließlich zwischen den Tauen ein.