Sie hatte sich eigentlich eine umfangreichere Reaktion von dem Wolfswesen erhofft, aber sie musste sich selbst eingestehen, dass der bissige Kommentar wohl eher aus einer Laune ihrerseits entstanden war. Die kleine Jagd nach ihr im Inneren der Stadt hatte eine unangenehme Anspannung in ihr ausgelöst und so war sie ungehobelter gewesen als sonst.
Das Zusammentreffen mit dem Administrator eines Klosters hatte sie jedoch nicht erwartet und war dementsprechend überrascht als Markus Sextan zu der durchgewürfelten Gruppe sprach. Dass es noch andere Wesen gab, die Interesse an ihrem Vorgehen und ihren Untersuchungen hatten, war ihr zwar bereits in den Sinn gekommen, aber ein Mitglied des hiesigen Rates der Fünf hatte sie nicht erwartet. Sie hatte ihn seit jeher für sein diplomatisches Geschick und sein Überzeugungstalent geschätzt. Ihn anzuhören war Mondschwinge dementsprechend wichtig und dass die Göre, die aus dem Nichts mit den anderen aufgetaucht war, auf ihn los ging, beendete sie schnell. Mit einem harten Schlag der flachen Seite ihrer Metallschwingen schlug sie das Mädchen bewusstlos.
Der Weg zum Kloster war schnell bewältigt, die Rabenfrau konnte ohne Probleme die ganze Strecke fliegen, was ihr sehr gut tat. Vor Ort angekommen wurden sie dann von Jeron getrennt, der sich mit dem Administrator zurückzog. Zu gerne hätte sie sich in dem Gespräch beteiligt, doch sie wusste, dass sie nicht in der Position dazu war Ansprüche zu stellen. Stattdessen beäugte sie den Mönch, der ihr als Aufpasser oder besser „Schatten“ zur Seite gestellt worden war, misstrauisch. Immer diese Menschen, sie verstand wirklich nicht, warum diese dummen, schwachen Wesen es so weit gebracht hatten. „Nun, ich denke Mal, dass ich dich nicht so schnell los werde. Dann sei doch bitte so gut und bring mich zu eurem Heiler, meine Wunden zehren an meinen Nerven. Nicht dass ich mich vergesse und dich auffresse.“ sprach sie ihn grinsend an. Sein Blick war nur schwer zu deuten, aber er hob nervös die Augenbrauen und strich sich hektisch über die Robe. Dann aber erwiderte er das Lächeln höflich und sagte „Folge mir.“ Das Kloster war sehr filigran gehalten, was bei der Nachtsängerin durchaus Eindruck machte. Ihre Rassen waren nicht so handwerklich begabt wie die Menschen und Mondschwinge gefiel, was sie sah. Die Krankenstation war recht zentral im Gebäude gelegen und war eher spartanisch eingerichtet. Es gab diverse hölzerne Behandlungstische und einige Fackeln, was die Beleuchtung betraf. Sie betraten einen kleinen Vorraum, in dem sie von einem jungen Heiler empfangen wurden. Er erkannte schnell, was die merkwürdige Besucherin brauchte und bat sie zu warten. Bereitwillig ließ sie sich auf einem Stuhl nieder. Der war zwar eigentlich fast zu klein für sie, doch so zu sitzen war immer noch weniger anstrengend als zu stehen. Sie unternahm einen kurzen Versuch sich mit ihrem Begleiter zu unterhalten, doch schnell war klar, dass sie keinerlei Informationen von ihm erhalten würde. Allein schon deswegen, weil er das Kloster noch nie bewusst verlassen hatte. Auch die Auskunft, die er über den Administrator gab, war mehr als oberflächlich und beinhaltete nichts, was Mondschwinge nicht schon wusste. Also verlegte sie sich vom Gespräch lieber auf eine andere Beschäftigung und trällerte ein kleines Lied vor sich hin, dass ihr in der Situation eingefallen war. Um genau zu sein handelte es sich um ein Lied, das sich angeblich auch auf eines der vielen Klöster Gremias bezog. Sie hatte es einst von einem Klosterchor gehört. Menschen konnten ihrer Meinung nach kaum singen, aber warum sollte sie nicht beweisen, dass sie es besser konnte?
Ihr Götter der großen Ewigkeit
führt uns immer weiter,
lasst uns euren Geist im Herzen spür´n.
Sagt uns, dass wir eins sind,
hier für alle Zeit.
Brüder aller Welten bleiben
immer vereint.
Wir sind Brüder, wir sind Gleich.
Gebt uns Weisheit und lasst uns verstehen
und gebt uns Kraft, wenn die Sehnsucht brennt.
Lasst uns alle hier die Wunder versteh´n
die das Leben schon immer kennt.
Denn diese Wunder, sie führ´n
uns zusammen.
Sie sind da, auch wenn wir sie
oft nicht seh´n.
Unser Weg ist das Ziel und wir müssen
ihn gehen.
Fehler sind da, um den Sinn zu verstehen.
~ Aus Disney’s „Bärenbrüder“
Kaum hatte sie geendet, war auch der Heiler endlich bereit sie zu versorgen. Er war noch jung und schien ihr etwas unerfahren, aber er war das Beste, was sie momentan erwartet konnte, also sagte sie dazu nichts. Tatsächlich machte er alles richtig und als er fertig war, sah man nur an den fehlenden Federn, dass die Vogeldame verletzt worden war. Sie bedankte sich höflich und verbeugte sich leicht, während der Heiler erschöpft auf einen Hocker sank.
Nun ließ sie sich von ihrem Schatten in den Speisesaal führen und bediente sich ausführlich an den dort dargebrachten Fleisch und Gemüsegerichten. Geheilt und gesättigt war sie dermaßen zufrieden, dass sie keinerlei Einwände dagegen hatte nun endlich schlafen zu gehen. Eingekuschelt in ihre aufgeplusterten Federn hockte sie sich auf eines der angebotenen Betten und vergrub ihre Nase unter den Schwingen.