Nymphengesang

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

Zu der Infoseite von „Die Mo-Mo-Manie“
  • Temperatur

    geschrieben am 23.07.23


    Hitzewelle

    Stetes Keuchen

    Abkühlung ist nötig

    Flucht in den Schatten

    Traum am Tag unterm Baum

    Wenn es doch nur anders wäre

    Wunsch kommt in den Sinn

    Feuer im Kamin wärmt

    Wärmen ist wichtig

    großes Bibbern

    Eiseskälte


  • Linde

    geschrieben am 06.08.23


    Pfeifen sanft die steten Winde

    um die hochgewachs’ne Linde,

    lacht das freudestrahlend’ Kinde

    laut und schmiegt sich an die Rinde.


    Geführt von seinem leisen Klange,

    die Winde mit dem Netze fangen,

    da wird ihm niemals Angst und bange,

    ein Tag besonders schnell vergangen.


    Begleitet es die kleine Waldesfee,

    die lebt in diesem großen Baume,

    bis an den Rand der nahen See,

    es scheint beinahe wie ein Traume.


    Bricht am End’ des Tags die Nacht herein,

    sagt das Kinde leis' „Auf Wiederseh’n,

    morgen früh werd’ ich hier wieder sein

    und mit dir gemeinsam lachend geh’n“.


  • Grau

    geschrieben am 20.08.23


    Und wieder ist es passiert. Endlose Diskussionen und Standpunkte, über Tage und Wochen durchgekaut, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Zeit, die nie wieder gut gemacht werden kann und nun für immer verloren ist. Es könnte schon beinahe Absicht unterstellt werden, zu blockieren, wo es nur geht. Zu verneinen, wo es ganz einfach möglich ist. Ein Kompromiss stand nie zur Debatte. Nicht zu verlieren und immer nur zu gewinnen. Aber was hat man gewonnen, wenn man auf der Stelle stehen bleibt?

    Zwei Seiten einer Medaille. Sie sehen sich vermutlich nie. Aber manchmal findet man die Antwort im Grau dieser Welt.


  • Klavierspiel

    geschrieben am 03.09.23


    „Hast du schon gehört?“, fragte Rin in die Runde und erhielt ein eifriges Nicken von Samo.

    „Ja! Äh, was genau meinst du?“

    „Du sollst doch nicht zustimmen, wenn du es nicht weißt!“, schnaubte sie und erzàhlte weiter. „Gestern haben einige in der Dämmerung wieder das Klavier im Musikzimmer gehört! Und das obwohl alle Lichter aus waren!“

    „W-was? Spukt es hier etwa?!“, fragte Samo nervös und sah in die Runde. Alle schauten ihn mit nachdenklichem Blick an. Selbst mir blieb das Lachen im Halse stecken. Ich schlich mich häufig für Klavierstunden in die Schule. Meine letzte Übung war allerdings vergangene Woche!


  • Huhu Rusalka,


    gibt es etwas, was du nicht machst oder kannst :grin:, hab Google gefragt, war überfordert. So zurück zu deinem Thread, das Gedicht "Temperatur" gefällt mir sehr gut, auch die Darstellung, wer kennt es nicht. Obwohl ich definitv den unteren Abschnitt bevorzuge, denn ich friere viel lieber, als das ich schwitze ohne Ende.


    Das Gedicht "Linde" finde ich schön, sehr melancholisch im positiven Sinne, wenn es das richtige Wort für meinen Gedanken ist. Auf jeden Fall, sehe ich bildlich vor mir die Situation die du beschreibst.


    Das Drabble "Grau" zu meinem Geburtstag, hinterlässt eine depressive Stimmung, also was quasi grau definiert, gut gewählte Wortwahl die eine Gedankenanregung sicher zur Folge hat. Das darauffolgende Drabble "Klavierspiel" finde ich geistermäßig gut,

    wer da wohl am Ende das Klavier gespielt hat, etwa Mortcha?


    Dann bis demnächst, du machst das hier wie vieles andere auch fabelhaft, hier folgt sicher noch das ein oder andere Werk deinerseits, bin schon gespannt.


    Liebe Grüße


    Mahinapea

  • Pokémon Mystery Dungeon – Eine Sache der Entscheidung

    geschrieben von 01. bis 30.09.21


    „Wo gehst du schon wieder hin?“, fragte mich Feurigel interessiert. Mit einem kurzen Blick zurück gab ich ihr zu verstehen, dass sie mir folgen sollte.

    „Dort vorne ist eine Wahrsagerei und ich möchte den Dienst gerne einmal ausprobieren.“

    „Aber kann uns eine Weissagung wirklich bei der nächsten Erkundung helfen?“

    Feurigel war wieder an meiner Seite und wir liefen nun zum nahestehenden Zelt, in dem sich die berühmte Traunmagil befinden soll.

    „Nicht wirklich, aber da der Dienst heute kostenlos zu sein scheint, können wir es auch einmal darauf ankommen lassen“, sagte ich gelassen und blieb vor dem Eingang stehen. Angespannt blickte ich in die dunkle Öffnung und versuchte etwas zu erkennen. Mein Herz fing an kräftiger zu schlagen und ich wollte schon fast kehrt machen. als mich Feurigel auf ein Schild neben dem Zelt hinwies. Auf diesem stand in großen Lettern: „Die Goldene Mitte weist dir den Weg.“


    „Die Goldene Mitte? Was ist damit gemeint?“, fragte ich neugierig und Feurigel schüttelte nur mit ihrem Kopf.

    „Hilft wohl nichts, darüber zu mutmaßen. Los, gehen wir hinein!“

    Ich schluckte noch einmal und folgte meiner Partnerin schließlich in das düstere Zelt. Der Innenraum wurde von mehreren Kerzen ausgestrahlt, die unter anderem auf einem breiten Tisch standen. Wir näherten uns diesem, als ein plötzlicher Luftzug jemanden erscheinen ließ.

    „Willkommen!“, grüßte uns Traunmagil mit melodiöser Stimme. Vor Schreck machte ich mich sofort unsichtbar und hoffte, nicht entdeckt worden zu sein.

    „Ach, Memmeon“, sagte Feurigel nach einem lauten Seufzer. „Du musst doch keine Angst vor ihr haben.“

    „Sie hat recht, Kleiner“, säuselte Traunmagil nun etwas sanfter und ich ließ es nach einer kurzen Verzögerung zu, mich wieder blicken zu lassen. „Ich nehme an, ihr wollt eure Zukunft voraussagen lassen? Für ein kleines Pläuschchen bin ich aber ebenfalls gern zu haben.“

    Sie lachte daraufhin und wir rätselten, ob sie tatsächlich ein Gespräch suchte oder uns nur auf den Arm nahm. Feurigel fasste schließlich den Mut und trat einen Schritt nach vorne.

    „Ja, wir möchten deinen Dienst gern in Anspruch nehmen.“

    „Gut!“, rief Traunmagil und breitete mit geisterhafter Energie drei Karten umgedreht auf dem Tisch aus. „Wählt eine davon.“

    „Links“, sagten wir beide wie aus einem Mund.


    „Nun, dann wollen wir mal sehen, was das Schicksal für euch bereit hält. Dreht die Karte bitte um.“

    Traunmagil summte, während ich mich langsam nach vorne begab und die Karte behutsam wendete. Als Motiv war darauf Laternecto abgebildet, das ich sofort als eines der zwölf Sternzeichen-Pokémon erkannte. Während ich zu Feurigel blickte und ihre Meinung einholen wollte, frohlockte Traunmagil.

    „Oh, Laternecto! Interessant. Wahrlich, interessant!“

    „Was liest du aus der Karte?“, fragte ich mit schief gelegtem Kopf und sie verdeckte mit ihrem Umhang den zu einem Grinsen geformten Mund.

    „Euch steht eine sehr ereignisreiche Reise bevor. Ja, ihr werdet viele Entscheidungen treffen müssen und im Angesicht der Gefahr wird sich herausstellen, wie stark eure Freundschaft zueinander wirklich ist.“

    „Und was bedeutet das?“, mischte sich nun auch Feurigel wieder ein und trat nach vorne an meine Seite.

    „Das müsst ihr wohl selbst herausfinden“, sagte Traunmagil nun wieder säuselnd und ließ die Karten währenddessen unter dem Tisch verschwinden. „Meine Kräfte vermögen keine genauen Details zu erkennen. Aber wir können gerne einen neuen Test wagen.“

    Ich sah erneut zu Feurigel und erhielt nach kurzem Zögern ein entschlossenes Nicken. Da ich ebenfalls interessiert war, was Traunmagil vorbereitet hatte, stimmte ich zu und erntete dafür ein schelmisches Lächeln.

    „Wie ihr wünscht! Denkt nun bitte an eine Zahl zwischen Eins und Drei.“

    Instinktiv wählte ich die Zwei.


    Ich fragte mich, wie sich Feurigel entscheiden würde und sah sie nun etwas nervös an. Die Wahrscheinlichkeit war bei drei verschiedenen Antworten recht hoch für eine Übereinstimmung, aber das war eben noch immer kein Garant für eine gemeinsame Antwort. Eventuell sollte es bei dieser Übung aber auch nur um ein einfaches rechnerisches Rätsel gehen, bei dem mehrere Antworten auf eine gleiche Lösung kamen. Das würde zwar Traunmagils Profession etwas widersprechen, allerdings war diese Option im Bereich des Möglichen.

    Feurigel erwiderte meinen Gesichtsausdruck entschlossen und wir wandten uns wieder an Traunmagil.

    „Sprecht bitte gemeinsam.“

    „Ich wähle die Zwei.“

    „Ich habe die Drei.“

    Instinktiv trafen sich unsere Blicke. Auch wenn uns bewusst war, dass die Chance auf Übereinstimmung gering war, trafen uns die Antworten doch mehr als gedacht.

    „Hättest du die Drei gewählt?“, fragte mich Feurigel und ich legte die Hände zusammen.

    „Vermutlich hätte ich nachgefragt, wenn wir nicht auf dasselbe Ergebnis gekommen wären“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Das war ja bei den Karten vorhin nicht der Fall.“

    „Ja. Eventuell hätte ein Gespräch geholfen, das Problem zu lösen und so eine gemeinsame Basis zu finden.“

    „Die Goldene Mitte, hm?“, fragte ich und erinnerte mich dabei an das Schild vor dem Zelt.

    „Stimmt, jetzt wo du’s sagst.“


    Traunmagil lächelte verschmitzt.

    „Wie ihr seht, ist euer Zusammenspiel von mehreren Faktoren abhängig“, begann sie und fixierte eine Kerze an, die nun wie durch einen Windhauch angetrieben zu flackern begann. „Wir ihr schon richtig erkannt habt, hättet ihr bei den Karten dasselbe Ergebnis treffen und euch darüber im Vorfeld über die schlussendliche Wahl unterhalten können. Dementsprechend war nun das Zahlenspiel nur eine Verdeutlichung, dass ihr nicht immer einer Meinung sein könnt, egal was passiert. Das sollte euch aber tatsächlich nicht von eurer Mission heute ablenken.“

    „Alles klar. Danke für das anschauliche Beispiel, Traunmagil!“, sagte ich lächelnd, wobei mir Feurigel fast ins Wort fiel.

    „Moment, woher weißt du von unserem Vorhaben?“, wollte Feurigel wissen und schalt sich direkt danach für diese Frage, da Traunmagil für Weissagungen bekannt war. Sie nutzte jedoch ihre Kräfte, um drei kleine umgestülpte Becher und eine saphirblaue Murmel erscheinen zu lassen.

    „Gewinnt und ich verrate es euch!“

    „Bin dabei. Du auch, Memmeon?“, fragte Feurigel an mich gewandt. Ich nickte nur, um meine Zustimmung zu signalisieren und kurz darauf verschwand unter dem mittleren Becher die Murmel. Anschließend wurden die Becher mal schneller und mal langsamer verschoben. Ich konnte dem richtigen Behältnis jedoch immer gut folgen und war mir am Ende über den Aufenthaltsort der Murmel sehr sicher, als das Spiel endete.

    „Bitte schön. Wählt nun!“

    Ich sah zu Feurigel und sagte schlicht: „Es ist der linke Becher.“

    „Wirklich?“, hakte sie nach und wirkte dabei nachdenklich. „Ich dachte, es wäre der rechte gewesen. Allerdings bin ich mir auch nicht ganz sicher, da ich einmal kurz abgelenkt war.“

    „Okay. Wenn du dir unsicher bist, ist das natürlich schwierig.“

    „Ja. Im Zweifelsfall würde ich dir zustimmen, da du von uns beiden ohnehin die bessere Beobachtungsgabe hast.“

    Ich nickte. „Wenn das für dich in Ordnung ist, gut. Dann nehmen wir den linken Becher.“


    Traunmagil senkte den Kopf und hob den Becher wortlos hoch. Darunter befand sich wider Erwarten nichts.

    „Ach, schade“, meinte Feurigel enttäuscht und ich blickte zur Bestätigung unter die anderen beiden Becher. Unter diesen befand sich jedoch ebenfalls nichts und ich war erstaunt. War das etwa ein Trick?

    „Seltsam“, begann ich und grübelte, wo die Murmel abgeblieben sein könnte. Ich war mir sehr sicher, dass die Becher nie hochgehoben wurden und die Murmel dementsprechend noch irgendwo sein musste. Mir wollte spontan allerdings auch keine Lösung einfallen.

    „Was soll das?“, fragte Feurigel nun empört. „Wenn wir nicht gewinnen konnten, dann bringt das Spiel doch nichts!“

    „Alles mit der Zeit.“ Traunmagil hörte aufmerksam zu und deutete unterdessen zu mir. „Vielleicht benötigt Memmeon aber deine Hilfe.“

    Das Gespräch nur halb zur Kenntnis nehmend hob ich erneut den anfänglich gewählten linken Becher hoch. Die Murmel war nach wie vor nicht da, allerdings schnappte Feurigel merklich nach Luft und bemerkte etwas, was uns beiden vorhin nicht aufgefallen war.

    „Ihre Augen …“

    Ich sah ebenfalls zu Traunmagil und bemerkte einen leicht bläulich schimmernden Glanz in ihrem Blick. Noch während ich das Behältnis hochgehoben hielt, nahmen ihre Augen wieder die ursprüngliche Farbe an und etwas plumpste geräuschvoll auf den Tisch. Die gesuchte blaue Murmel wurde von Psychokräften im Becher gehalten!


    „Ertappt!“, rief Traunmagil vergnügt. „Entschuldigt, ich konnte mich nicht zurückhalten und wollte gerne erfahren, wie ihr darauf reagiert.“

    „Das ist ziemlich mies“, entgegnete ich daraufhin etwas gekränkt und Feurigel stimmte mir nickend zu. Traunmagil nahm das jedoch gelassen hin und ließ die Utensilien wieder verschwinden.

    „Ihr habt recht und daher bin ich euch die Erklärung nun schuldig. Eigentlich ist es ganz simpel: Ihr seid ein bekanntes Entdeckerteam und da sprechen sich gewisse Dinge einfach herum. Euer Klient hat mich bereits gestern aufgesucht und über seine Probleme aufgeklärt. Da kamt ihr ebenfalls zur Sprache.“

    „Wenn’s weiter nichts ist“, sagte Feurigel nun gleichgültig. „Zumindest wissen wir nun, dass von unserem geheimen Auftrag vermutlich alle gehört haben.“

    „Und dass hier nicht nur Wahrsagerei betrieben wird“, fügte ich trocken hinzu, woraufhin Traunmagil lächelte.

    „Manchmal möchte auch ich gerne etwas Unterhaltung haben. Aber die Weissagung durch die Karten wird definitiv zutreffen.“

    „Alles klar. Dann machen wir uns nun auf den Weg“, sagte ich mit einer Verbeugung. „Danke für deine Dienste.“

    Feurigel schickte sich an, nicht mehr zu reagieren. Ich konnte es ihr nicht verübeln, dass sie enttäuscht und vermutlich auch genervt war, aber so wussten wir zumindest, was uns hier hei einem erneuten Besuch erwarten würde.

    Wir verabschiedeten uns und verließen das Zelt. Mein Blick fiel dabei erneut auf das Schild vor dem Eingang.

    „Die Goldene Mitte, hm?“, murmelte ich so leise, dass mich Feurigel nicht hören konnte. Ich beschloss die Sache mit einem Kopfschütteln und wir machten uns auf den Weg zum Markt.


    „Und, wo sollen wir zuerst hin?“, fragte ich Feurigel und sie schüttelte nur mit dem Kopf.

    „Mir egal, solange es nicht wieder so ein ernüchterndes Erlebnis wird wie bei Traunmagil.“

    „Mach dir nichts draus“, winkte ich die erwartete Antwort ab und erntete dafür einen skeptischen Blick. „Konzentrieren wir uns jetzt am besten voll und ganz auf unsere Vorbereitungen, damit wir uns dem Auftrag widmen können.“

    „Ja, okay. Hast natürlich recht damit.“

    Ich setzte eine fröhliche Miene auf und überlegte, wen wir noch aufsuchen müssten. Da gehörte natürlich das Geschäft der Kecleon-Brüder dazu, die aus mir unerfindlichen Gründen immer die frischesten und interessantesten Items anzubieten hatten. „Betriebsgeheimnis“ nannten die beiden das immer und ich wurde das ungute Gefühl nicht los, dass die Sache dubiose Hintergründe hatte. Sie waren charakterlich aber sehr gesellig.

    Kangamas Lager stand ebenfalls auf der Liste. Einige zusätzliche Items könnten definitiv nicht schaden und eventuell sollten wir uns zuerst sogar dort umsehen, bevor wir den Kecleon-Brüdern einen Besuch abstatteten. Besonders ihr Junges war sehr von uns beiden angetan.

    Zuletzt wäre da noch die Bänderstube von Curelei und Matrifol, bei denen wir erst kürzlich einen Auftrag angemeldet hatten und eigentlich schon die längste Zeit wieder einmal vorbeischauen wollten. Unsere alten Teambänder waren schließlich nicht mehr die besten und da bot es sich an zu fragen, ob sie eventuell neue anfertigen könnten. Einem Schreiben von heute morgen zufolge war das nun wohl auch der Fall.

    „Also, wir hätten die Kecleon-Brüder, Kangama und die Bänderstube. Dir ist es wirklich egal?“, fragte ich noch einmal nach und erhielt ein Kopfnicken.

    „Ja. Obwohl, wenn ich so überlege, wäre mir Kangama aktuell am liebsten.“

    „Gut. Dann auf zu Kangamas Lager!“


    Wir begaben uns also auf direktestem Weg zu Kangama, die sich von unserer aktuellen Position weiter südlich befand. Auendorf galt als einer der ruhigsten Orte in der Umgebung, trotz der Tatsache, dass sich hier viele Rettungs- und Erkundungsteams sammelten und ihre letzten Vorbereitungen trafen. Kangama hatte sich auf der Suche nach einem passenden Plätzchen hier niedergelassen und die Tradition ihrer Familie trotz einigen Zögerns fortgeführt. Bereits ihre Eltern hatten sich der Lagerverwaltung verschrieben und bei der Menge an Pokémon, die Aufträge erledigten oder in Dungeons vordrangen, war sie immer eine willkommene Anlaufstelle. So auch für uns.

    Wir hatten Glück, dass sich vor uns niemand befand und wir dadurch gleich an die Reihe kamen. Kangama war jedoch nicht vorzufinden.

    „Hallo, Kangama!“, rief Feurigel geistesgegenwärtig und aus dem großen Gebäude lugte ihr Junges hervor.

    „Feurigel, Memmeon!“, rief es fröhlich und lief uns entgegen. „Schön, euch zu sehen! Wie geht’s euch?“

    „Na, Tama“, sagte ich freundlich. „Wir wollten uns gerade auf einen neuen Auftrag vorbereiten und hier ein paar Sachen abholen.“

    „Ah“, meinte Tama daraufhin und gestikulierte mit seinen Armen. „Mama ist gerade nicht da, aber sie sollte bald wiederkommen. Wenn ihr wollt, kann ich für euch aber gerne die Dinge raussuchen, die ihr benötigt.“

    „Das wäre wirklich freundlich.“ Ich überlegte kurz, ob wir uns mit recht vielen Items eindecken mussten. Grundsätzlich wäre der Auftrag rasch machbar, aber man konnte nie vorsichtig genug sein.

    „Wir benötigen auf jeden Fall zwei Tsitrubeeren, ein Top-Elixier und am besten noch einen Licht-Orb.“

    „Alles klar. Ich fange sonst mal mit dem Top-Elixier an, okay?“, fragte Tama und erhielt von uns ein zustimmendes Nicken. Daraufhin verschwand er im Gebäude.


    Es vergingen viele Momente, in denen wir einfach warteten und abwechselnd vom Eingang des Lagers in den etwas bewölkten Himmel und wieder zurück sahen. Kurze Zeit konnte auch das fröhliche Treiben der Wommel und Flabébé im angrenzenden Feld für Laune sorgen. Es änderte nur nichts daran, dass Feurigel ungeduldig wurde und das Gesicht verzog.

    „Tama benötigt ganz schön lange.“

    „Du musst auch bedenken, dass er das wohl noch nicht so lange macht“, versuchte ich sie zu beschwichtigen. „Normalerweise ist ja doch Kangama selbst für die Lagerung verantwortlich.“

    „Ja, stimmt natürlich“, sagte Feurigel daraufhin mit einem lauten Seufzer. „Ich möchte nur ungern für jedes Item einen ganzen Tag warten.“

    Sie ballte die Faust und ich überlegte, was wir unternehmen könnten. Immerhin wollten wir noch zu einigen anderen Pokémon gehen und da wäre es von Vorteil, die Sache etwas zu beschleunigen.

    „Vielleicht sollten wir Tama einfach helfen?“, schlug ich vor und löste damit ein zustimmendes Lächeln aus.

    „Auf zur großen Itemsuche im Lager des Ungewissen!“

    Ich lachte bei dieser offenen Ankündigung unserer nächsten Aufgabe und bedeutete Feurigel mitzukommen. Nachdem wir das Gebäude betreten hatten, fanden wir uns in einem größeren Vorraum, der voller Sinel- und Pirsifbeeren war. Möglicherweise kam erst eine neue Lieferung herein und ich konnte mir auch vorstellen, dass diese Beeren am häufigsten für Missionen zum Einsatz kamen. Tsitrubeeren konnte ich auf den ersten Blick nicht erkennen, aber etwas entfernt beschwerte sich jemand lautstark.

    „Wo waren noch mal diese Top-Elixiere?“, hörten wir deutlich Tamas Stimme und folgten daher den energischen Geräuschen. Im großen Nebenraum mühte er sich indes ab, kleine aus Holz gefertigte Kisten zu bewegen.

    „Ah, ihr seid’s“, meinte Tama und stellte das nächste Behältnis auf dem Boden ab.

    „Kommst du mit der Suche zurecht?“, fragte ich und erhielt ein entnervtes Stöhnen.

    „Nein, weil ich die Elixiere nicht finde. Sie sollten aber hier irgendwo sein. Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne suchen helfen.“

    Ein kurzer Rundumblick enthüllte, dass sich neben dem Eingang des Raumes einige Behälter aus Holz türmten und weiter hinten auffällig große Truhen standen.

    „Sollen wir eine der anderen Stellen untersuchen oder lieber Tama helfen?“, fragte ich Feurigel.

    „Nehmen wir eben die Kisten nahe des Eingangs.“

    Ich nickte und wir machten uns an die Arbeit.


    Wie sich herausstellte, lagen wir mit unserer Vermutung richtig. Unsere Top-Elixiere befanden sich schon die längste Zeit in einem der Behälter, die Tama zuerst ausgeschlossen und wir sofort angesteuert hatten. Passenderweise war die besagte Kiste mit einer Zeichnung unseres Teamsymbols, einer bunt leuchtenden Feder, beklebt und enthielt noch einige weitere Items. Tama schalt sich dafür und stampfte einmal mit dem Fuß auf dem Boden auf.

    „Eigentlich hätte ich das wissen müssen, verdammt! Ich hab sie letztens erst noch umgeräumt!“, ärgerte er sich und ich versuchte ihn zu beschwichtigen.

    „Alles in Ordnung, wir haben ja jetzt eins der Elixiere. Weißt du, wo die Tsitrubeeren und Licht-Orbs sind?“

    „Ja!“, strahlte er sofort wieder und bedeutete uns, ihm zum Lagereingang zu folgen. „Ihr habt ja sicher die vielen Sinelbeeren beim Hereinkommen gesehen. Da sind definitiv auch einige Tsitrubeeren dabei.“

    Nun mit neuem Tatendrang erfüllt machte sich Tama daran, die von uns gewünschten Items zu suchen. Wobei man es nicht suchen nennen konnte, da er lediglich mit seiner Nase schnüffelte und so im Handumdrehen die richtige Kiste fand, ebenfalls mit einer Federzeichnung beklebt.

    „Hier, bitte!“

    „Danke!“, rief ich sogleich und gesellte mich mit Feurigel zu ihm. Wir nahmen jeweils eine Beere heraus und steckten sie in die mitgeführte Itembox. Ich wollte sie gerade verschließen, als mich Feurigel nachdenklich ansah.

    „Sollen wir vielleicht noch eine dritte mitnehmen?“, fragte sie mich und ich grübelte. Platz wäre grundsätzlich noch da und gegebenenfalls konnten wir sie uns später auch noch genehmigen.

    „Wenn es für Tama in Ordnung geht, warum nicht?“

    „Also auf mich müsst ihr keine Rücksicht nehmen“, antwortete er schnell und winkte ab. „Wenn es euch hilft, könnt ihr euch natürlich gern bedienen.“

    „Ich denke aber, dass ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden habe, Tama“, machte sich eine helle, weibliche Stimme hinter uns bemerkbar. Wir mussten uns nicht umdrehen, um zu erkennen, dass es sich dabei um Kangama handelte. Sie war in der Zwischenzeit zurückgekommen und sah Tama nun mit strengem Blick an.

    „Mama, ich wollte ihnen doch nur helfen und …“, begann er hastig zu sprechen, wurde jedoch mit erhobener Hand unterbrochen.

    „Du kennst die Regeln und ich habe dir schon öfter gesagt, dass du auf Diebe achten sollst“, sagte Kangama und wedelte dabei mit einem Finger. Im nächsten Moment schlich sich bereits ein Lächeln auf ihre Lippen. „Wenn ich mir aber eure Unterhaltung so anhöre, hattet ihr trotz unserer aktuellen Inventur durchaus Erfolg.“

    „Ja, Tama hat uns wirklich geholfen“, meinte Feurigel und ich nickte lediglich. „Wir benötigen eigentlich nur noch einen Licht-Orb, dann seid ihr uns auch schon los.“

    „Keine Sorge, Feurigel, deine und Memmeons Gesellschaft sind mir immer willkommen! Den Licht-Orb kann ich euch gleich holen, aber wartet doch bitte außerhalb auf mich.“

    Nachdem wir noch eine Tsitrubeere auf Tamas Anweisung entnommen hatten, folgten wir prompt der Anweisung und begaben uns nach draußen. Es dauerte auch gar nicht lange, bis Kangama zurückkehrte und unser begehrtes Objekt in Händen hielt. Einen Licht-Orb, der im Nu dunkle Orte erhellen konnte.

    „Danke, damit hätten wir alles“, beschloss ich die Sache und Kangama lächelte.

    „Viel Erfolg bei eurer Mission, ihr beiden! Wenn ihr noch etwas für euer Team Buntschwinge benötigt, zögert nicht, jederzeit vorbeizukommen.“

    „Alles klar. Danke nochmal!“, rief Feurigel zum Abschied und wir machten uns auf den Weg zu unserem nächsten Ziel in Auendorf.

    „Gut, wohin als nächstes?“, fragte ich und deutete einmal nach Norden und einmal nach Osten. „Wenn wir jetzt zu den Kecleon-Brüdern schauen, hätten wir zumindest unsere Itembox abgeschlossen.“

    Feurigel musste nicht lange überlegen, um von meinem Plan überzeugt zu sein. „Abgemacht!“, sagte sie lediglich und gemeinsam gingen wir nun Richtung Norden zum Kecleon-Laden, unserer zweiten Station.


    „Was die beiden wohl heute im Angebot haben?“, überlegte ich laut und Feurigel führte meine Gedanken weiter.

    „Das Übliche vermutlich. Ein seltenes Item hier, eine Rarität da und der eine Orb, der aktuell als sehr angesagt gilt, ist wahrscheinlich auch wieder das Angebot des Tages. Man kennt die beiden ja mittlerweile gut.“

    „Da hast du recht.“ Ich ballte meine rechte Hand und erinnerte mich an die ein oder andere Situation, in der wir tatsächlich fast auf sie hereingefallen wären. „Am besten stöbern wir erst einmal und entscheiden danach, ob sich vielleicht eines der Items lohnt.“

    Als ich zu meiner Partnerin sah, um eine Bestätigung zu erhalten, wirkte ihr Blick jedoch abwesend. Es war, als würde sie gerade über etwas nachdenken und nach einer richtigen Formulierung suchen.

    „Was ist los?“, fragte ich neugierig, erhielt jedoch keine Reaktion. Ich beließ es dabei und wir stießen schon bald an den Stand der Kecleon-Brüder. Wie sich herausstellte, war Leo, das lila Kecleon, jedoch allein.

    „Willkommen, willkommen!“, rief Leo uns von weitem freudig entgegen und hielt bereits einen saphirblau glitzernden Orb in seinen Händen. „Ihr habt wirklich den richtigen Riecher, Team Buntschwinge! Hier ist das letzte Exemplar dieses seltenen Orbs, den ihr nur heute so günstig erhalten könnt. Schlagt doch bei Interesse gerne zu!“

    „Sag ich’s nicht?“, meinte Feurigel seufzend und ich winkte bei Kecleons Angebot ab.

    „Danke, aber das sieht mir nach einem normalen Steril-Orb aus. Davon haben wir schon ein paar.“

    „Na gut“, sagte Leo nüchtern und stellte den Orb zurück ins Regal. „Seht euch in aller Ruhe um und meldet euch, wenn ihr etwas gefunden habt.“

    „Wo ist denn eigentlich dein Bruder Leon?“, fragte ich und erhielt von ihm ein schelmisches Grinsen.

    „Tja, möglicherweise ist er gar nicht so weit weg? Das sollt ihr nun mit eurer Kombinationsgabe herausfinden!“

    Leo deutete zur linken und rechten Seite des Standes und bedeutete uns damit wohl, dass wir uns umsehen sollten. Wir taten das im ersten Moment auch, jedoch wurde mir schnell bewusst, dass sich Leon vielleicht unsichtbar gemacht hatte. Ein Blick hinter Leo bestätigte meinen Verdacht, da mitten im Laden ein rotes Zickzackmuster in der Luft hing. Ich seufzte aufgrund der offensichtlichen Tarnung.


    „Leon, man sieht dich klar und deutlich“, meinte ich nur und stieß einen kleinen Schwall Wasser aus. Dieser traf das von mir entdeckte Muster und gleich darauf war ein Kichern zu hören.

    „Du bist wirklich mit allen Wassern gewaschen, Memmeon!“, rief Leon nun theatralisch und wurde sichtbar. „Dass du meine Tarnung durchschaut hast, dafür gebührt dir wirklich Respekt!“

    „Gewaschen trifft es ziemlich gut, so triefend sind deine Worte“, sagte Feurigel und erntete dafür ein wütendes Schnauben von Leo.

    „Da verschwimmt doch regelrecht meine Sicht, wenn ich das höre. Wir haben einfach ein … ja, ein Handicap!“

    Ich löste das um meinen Arm gewickelte Band, übergab es Feurigel und machte mich nun selbst komplett unsichtbar.

    „Leute, so funktioniert das, wenn man nicht gesehen werden möchte.“

    „Dazu müsstest du aber etwas leiser sein“, konterte Leon und erhielt daraufhin einen Jubelschrei seitens Leos.

    „Denen hast du’s jetzt aber gezeigt!“

    „Ich weiß, mein Freund. Aber ohne dich hätte ich das tatsächlich nie geschafft.“

    „Leon, du bist ein wahrhaftes Genie. Du solltest Schauspieler werden!“

    Die Kecleon hatten nun damit begonnen, gegenseitig ihre Hände zu halten und weitere Komplimente von sich zu geben. Ich nahm das zum Anlass, mich erneut zu zeigen und Feurigel zu bitten, das Band an meinem Arm anzumachen. Sie schüttelte dabei den Kopf.

    „Ihre Dynamik ist wieder einmal außerordentlich“, sagte sie nüchtern und ich stimmte zu.

    „Man merkt in jedem Fall, dass die beiden Geschwister sind. Es ist eigentlich normal, wenn auch vielleicht nicht in dem Ausmaß.“

    Nachdem einige weitere Momente vergangen waren und Komplimente verteilt wurden, wandten sich die Kecleon wieder an uns.

    „Nun gut, genug der Scherze“, hüstelte Leon und setzte sein breitestes Grinsen auf. „Willkommen, ihr beiden! Wie können wir euch helfen?“

    „Wir sind eigentlich nur hier, um zu stöbern“, entgegnete Feurigel und Leon deutete daraufhin auf die vollen Regale.

    „Aber gern doch! Falls ihr etwas für euch entdeckt, sagt Bescheid. Wir haben nur die beste und frischeste Ware!“

    Ich ließ meinen Blick über die Gegenstände schweifen und überlegte, was davon sinnvoll sein könnte. Sinelbeeren bekam man recht schnell in bestimmten Dungeons und Top-Elixiere hatten wir zurzeit bereits ausreichend. Ich wurde allerdings neugierig, als ich einen seltsam geformten Schlüssel unter all diesen herkömmlichen Gegenständen fand. Die Entfernung war etwas zu groß, um Details zu erkennen, aber ich war definitiv daran interessiert.


    „Könnt ihr mir vielleicht einmal diesen Schlüssel dort zeigen?“, fragte ich und deutete auf eine Stelle hinter Leo. Dieser wandte sich um und nahm den gewünschten Gegenstand, während Leon bereits einen kleinen Tanz aufführte.

    „Gute Wahl, eine wirklich sehr gute Wahl, Memmeon! Den haben wir erst heute Morgen hereinbekommen und es würde mich persönlich nicht wundern, wenn er zu einem Schatz führen würde!“

    „Und wofür ist er wirklich?“, hakte Feurigel nach und erhielt daraufhin ein enttäuschtes Kopfschütteln von Leo, als er mir das Objekt in die Hand drückte.

    „Auch wenn wir für Ehrlichkeit bekannt sind, wissen wir das bei diesem Schlüssel leider selbst nicht. Er wurde uns im Vertrauen gegeben, dass es damit etwas Besonderes auf sich habe, aber mehr haben wir tatsächlich selbst nicht erfahren. Wollt ihr ihn denn gerne haben?“

    Ich drehte den Schlüssel mehrere Male rundherum. Was ich zuerst als merkwürdige Form wahrgenommen hatte, war letztendlich nur ein sehr auffälliges Ornament der Reite. Es erinnerte entfernt an Admurais Kopf, aber auf Anhieb wollte mir nicht einfallen, ob ich es schon einmal wo gesehen hatte. Vor allem war ich mir bei genauerem Hinsehen nicht sicher, ob ich mir die Ähnlichkeit nicht doch nur einbildete.

    „Was meinst du, Feurigel?“

    „Nun“, begann sie und wirkte dabei wenig überzeugt. „Es wäre natürlich hilfreich zu wissen, worum es sich dabei handelt. Andererseits suchen wir ohnehin gern das Abenteuer und vielleicht finden wir auf einer Reise einmal die eine Tür, zu der dieser Schlüssel passt. Ich nehme an, du bist ebenfalls unsicher?“

    „Ja. Mich erinnert die Form der Reite an etwas, aber vielleicht bilde ich mir das nur ein.“ Ich wandte mich an Leon. „Wie viel würde er denn kosten?“

    „100 Poké, der übliche Preis für Schlüssel“, antwortete er nüchtern und Feurigel nickte überzeugt.

    „Dann würde ich ihn nehmen. Aber meinetwegen darfst du entscheiden.“

    „Wir nehmen ihn“, richtete ich das Wort nun wieder an die Kecleon-Brüder und legte den verlangten Betrag auf den Tresen.

    „Vielen Dank!“, rief Leon und während er das Geld verstaute, fügte Leo hinzu: „Hoffentlich habt ihr Erfolg und findet heraus, was es damit auf sich hat.“

    Wir verabschiedeten uns von den beiden und machten uns wieder auf den Weg. Als wir etwas Abstand zum Laden hatten, begutachtete ich den Schlüssel noch einmal genauer. Mir kam allerdings nach wie vor kein hilfreicher Gedanke.

    „Lass es am besten für den Moment“, meinte Feurigel und bedeutete mir, den Schlüssel in die Itembox zu legen. Das tat ich letztendlich auch.

    „Ja, es bringt wohl nichts, sich jetzt darüber fertig zu machen. Schauen wir am besten zu, dass wir noch unsere neuen Bänder abholen.“

    „Stimmt. Auf geht’s!“

    Somit machten wir uns auf zur Bänderstube, der dritten und letzten Station unserer Vorbereitungen.


    Es dauerte nicht lange, bis wir beim gewünschten Gebäude ankamen. Von außen machte die Bänderstube nicht so einen imposanten Eindruck wie Kangamas Lager und es wies lediglich ein reich verziertes Schild darauf hin, welcher Dienst hier vorzufinden war. Entgegen des schlichten Erscheinungsbildes kamen aufgrund der äußerst guten Qualität der hier geschneiderten Bänder viele Pokémon-Teams vorbei, um sich auf ihre Missionen vorzubereiten.

    Zielstrebig betraten Feurigel und ich das Gebäude und uns stieg gleich ein markanter Geruch in die Nase. Wie uns beim ersten Besuch damals vermittelt wurde, bevorzugte Matrifol bei ihrer Arbeit Essenzen aus ätherischen Ölen mit den verschiedensten Beerenextrakten und Pflanzen, die erhitzt für einen bestimmten Duft sorgten. Curelei hatte ein gutes Händchen dabei, diese Gemische herzustellen und sorgte so nicht nur für eine gehobene Arbeitsmoral, sondern auch für ein meist angenehmes Erlebnis für Pokémon, die bei ihnen zu Gast waren.

    „Puh, ziemlich intensiv heute“, meinte Feurigel nur und versuchte, nur sofern notwendig zu atmen. Ich lächelte amüsiert.

    „Vermutlich haben sie die Essenz etwas zu stark angereichert. Aber das können wir ja sicher noch hinterfragen.“

    Der Raum beherbergte die verschiedensten geschneiderten Werke. Große und kleine Bänder in den unterschiedlichsten Farben und Formen waren auf kunstvolle Weise ausgestellt und erweckten so einen heimeligen Eindruck. Die Besitzerinnen der Stube waren nicht sofort zugegen, jedoch dauerte es nicht lange, bis Curelei nach dem Rechten sah.

    „Ah, hab ich mir doch nicht nur eingebildet, etwas gehört zu haben!“, rief sie vergnügt und neigte ihren Kopf etwas nach unten. „Willkommen, ihr beiden!“

    „Hallo, Curelei“, sagte ich und holte einen Brief aus der Itembox hervor. „Heute morgen kam mit der Post ein Bescheid, dass unsere Bänder fertig seien. Wir würden sie jetzt abholen, wenn es für euch in Ordnung ist.“

    „Aber gern doch! Folgt mir bitte, dann können wir sie an euch gleich anprobieren und gegebenenfalls noch etwas anpassen.“

    Feurigel holte nun merklich Luft und hustete aufgrund der kurzzeitigen Überdosis des Duftes stark. Sie weckte damit jedenfalls Cureleis Aufmerksamkeit, die nun etwas panisch umher schwebte.

    „Oh, entschuldigt bitte, dass die Essenz heute so stark ist. Ich habe mich an einem Experiment versucht und dabei wohl etwas übertrieben. Geht es oder sollen wir das Anprobieren nach draußen verlagern, Feurigel?“

    „Alles in Ordnung“, sagte sie nur und wirkte dabei etwas angespannt. „Ich glaube, dass sich meine Geruchsnerven für den Moment sowieso verabschiedet haben.“

    „Was ist das eigentlich für eine Essenz, die du da gemischt hast?“, fragte ich neugierig und Curelei nahm dabei ihre Blumenkette in die Hände.

    „Nun, ich hatte überlegt, einige Extrakte der Wasmelbeere sowie der Tronzibeere mit Gehweiher-Öl zu vermischen. Die Beeren haben ohnehin schon ein sehr starkes Aroma und das trägt jetzt wohl zu diesem intensiven Erlebnis bei. Beim nächsten Mal weiß ich zumindest besser Bescheid.“

    Während ihrer Erklärung gingen wir zu dritt in den angrenzenden Raum.


    Das Nebenzimmer beinhaltete unter anderem auf einem großen, eckigen Tisch verschiedene Stoffe zur Anfertigung der Bänder. Einige davon hatten bereits kunstvolle Muster eingenäht, die die schlichten Farben aufwerteten und so teils schon für Klarheit bezüglich ihrer Zugehörigkeit sorgten. Ich erkannte auf Anhieb lediglich ein Muster. Ein Blatt mit einer runden Ausnehmung, von dem ich wusste, dass es zu Bauz und Roselia von Team Abendblatt gehörte. Innerlich freute ich mich, dass sie ebenfalls ihre Bestellung hier aufgenommen hatten und konnte gar nicht erwarten, sie deswegen zu fragen.

    Im Raum befand sich auch Matrifol, die etwas weiter entfernt vor einem kleinen Tisch saß und einen gelben Stoff bearbeitete. Ihr war anzumerken, dass sie hochkonzentriert war und vorerst wohl auch nicht gestört werden wollte.

    „Heute ist ein sehr arbeitsamer Tag“, erklärte uns Curelei mit leiser Stimme. „Ich hoffe, ihr könnt euch noch etwas gedulden. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis sie den nächsten Schritt abgeschlossen hat.“

    „Kein Problem“, antwortete Feurigel, die sich wohl bereits von ihrer Hustenattacke erholt hatte. „Ich find’s spannend, ihr beim Schneidern zuzusehen und die Arbeit von Nahem zu beobachten.“

    Ich stimmte zu, begutachtete dann allerdings die vielen Stoffe auf dem uns am nächsten befindlichen Tisch. Die bunte Auswahl an Farben erinnerte mich daran, dass jedes Team zwar seine eigenen Werte verfolgte, aber doch zum großen Ganzen gehörte. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ja, auch unsere Teamgründung fußte auf diesem Gedanken, gemeinsam mit anderen die Welt zu verbessern und so für mehr Freude und Gerechtigkeit zu sorgen.

    Matrifol seufzte nun und lehnte sich zurück. Scheinbar war sie mit der Arbeit so weit fertig und Curelei schickte sich an, uns nun vorzustellen.

    „Schau, wir haben Besuch von Memmeon und Feurigel! Die beiden möchten gern ihre Bänder für Team Buntschwinge abholen.“

    „Echt? Des is‘ aber schön!“, meinte Matrifol daraufhin fröhlich und erhob sich von ihrem Platz. „I hol nur eben eure Bandl, dann bin i wieder für eich da.“

    Es dauerte nicht lange, bis sie aus einem ordentlich eingerichteten Regal zwei Bänder aus den oberen Reihen nahm. Eines davon war rot mit einigen orangefarbenen Flecken, das andere blau mit gelben Mustern.


    Ich nahm mir die Zeit, den Stoff sorgsam auseinanderzufalten und ihn näher zu begutachten. Darauf war unser Teamsymbol abgebildet und zumindest auf meinem Band befand sich daneben noch ein ansprechendes Wellenmuster. Wie ich bemerkte, war dies bei Feurigel stattdessen eine kunstvoll verzierte Flamme.

    „Probiert sie mal an“, sagte Curelei. Nachdem wir unsere alten Bänder abgenommen hatten, halfen wir uns gegenseitig, die angenehm weichen Stoffe um unsere Arme zu binden. Nach einigen Momenten verspürte ich eine unbeschreibliche Kraft, die sich in meinem Körper auszubreiten schien. Ich konnte sie nicht genau fassen, wusste aber, dass sie von dem Band ausgehen musste.

    „Habt ihr die Spezialanforderungen hinbekommen?“, fragte Feurigel und Matrifol nickte dabei höflich.

    „Eh klar! Curelei hot si‘ mal wieder selbst übertroff‘n und des Beste draus g‘macht.“

    „Du schmeichelst mir“, nuschelte ihre Kollegin und drehte sich einmal um die eigene Achse. „Ohne dein Feingefühl für die Stoffe würde mein Wissen um die besonderen Effekte keine gute Anwendung finden.“

    „Passt scho‘. Unsere Arbeit is‘ eben nur gemeinsam guat.“

    Curelei und Matrifol lachten über diese Aussage und auch über mein Gesicht schlich sich ein Lächeln. Ich nutzte nun die Gelegenheit, um mich unsichtbar zu machen. Dabei stellte ich fest, dass das vorhin angelegte Band ebenfalls verschwunden war.

    „Krass, das funktioniert ja wirklich!“, rief Feurigel und testete an ihrem eigenen Band eine kleine Flamme, die sie aus dem Mund ausstieß. Normalerweise vertrugen diese Stoffe kein Feuer, sofern sie nicht speziell präpariert wurden. Durch die Arbeit der Stubenbesitzerinnen trat nun der Fall ein, dass Feurigels Band vor Flammen aller Art geschützt war.

    Ich trat so lautlos wie möglich einige Schritte zur Seite und stellte sicher, dass mich niemand von den anwesenden Pokémon bemerkte. Nachdem sie zu dritt noch immer zu der Stelle sahen, an der ich vorhin verschwunden war, schien meine Tarnung perfekt zu sein.

    „Allem Anschein nach, ja“, antwortete ich und machte mich nun wieder sichtbar. Zumindest Matrifol war überrascht, mich an anderer Stelle wiederzusehen, während Feurigel offenbar schon damit gerechnet hatte. Natürlich, ihr konnte ich nichts mehr vormachen. Curelei schien hingegen froh zu sein, dass das Ergebnis zu gefallen wusste.

    „Immer wieder gerne!“, sagte sie. „Seid ihr mit der Qualität zufrieden oder sollen wir noch etwas anpassen? Falls ja, können wir das schnell einrichten.“

    „Nein, von meiner Seite ist alles in Ordnung“, meinte Feurigel und winkte ab. „Ich bin wirklich überrascht, wie gut sie geworden sind und wie viel … Energie ich plötzlich in mir habe.“

    „Und das trotz der Duftnote, die dich vorhin fast umgehauen hätte“, feixte ich und sie grinste daraufhin. „Ich bin ebenfalls sehr zufrieden mit eurer Arbeit und könnte mir vorstellen, wiederzukommen.“

    Matrifol verneigte sich bei der Antwort erneut und Curelei nahm in der Zwischenzeit unsere alten Bänder auf. Sie faltete diese ordentlich zusammen und sah dabei nachdenklich aus.

    „Schade, dass Ariados sein Geschäft schon vor einiger Zeit geschlossen hat. Die Güte dieses Stoffes ist wirklich enorm und ich beneide euch etwas darum, dass ihr solche Schmuckstücke habt.“

    „Du sogst also, i würd‘ net genug Mühe reinstecken?“, schnaubte Matrifol und verschränkte die Arme. „Dann muss i wohl noch besser werden, damit du wieder z’frieden bist.“

    „Mit dir bin ich doch immer zufrieden“, sagte Curelei fröhlich und gemeinsam stimmten sie in ein heiteres Lachen ein. An Feurigel und mir ging die Freude natürlich nicht vorbei und wir lächelten aufgrund der Harmonie zwischen den beiden. Anschließend bezahlten wir die neuen Bänder, die alten wurden uns zur weiteren Nutzung übergeben und wir verabschiedeten uns von den Inhaberinnen der Bänderstube. Damit waren alle Erledigungen gemacht und wir konnten uns nun auf die Bewältigung unserer Mission konzentrieren. Team Buntschwinge war bereit loszulegen!


    Bevor wir uns auf den Weg zu unserem Zielort machten, begaben wir uns noch ein letztes Mal zu unserer Teambasis. Da sie direkt auf dem Weg lag, stellte diese Zwischenstation auch keinen Umweg dar und wir konnten uns vor Erledigung der Mission noch einmal vergewissern, dass nichts vergessen wurde.

    „So, haben wir alles dabei?“, fragte ich Feurigel und erhielt von ihr ein zustimmendes Nicken.

    „Ich denke schon. Wir sollten aber zumindest die gebrauchten Bänder hier lassen. Nachdem sie uns bisher so gute Dienste geleistet haben, wollen wir sie ja sicher nicht im nächsten Dungeon verlieren.“

    „Da hast du wohl recht.“ Ich nahm die beiden Stoffe aus der Box, ging in einen Nebenraum und legte sie dort in eine massive Holzkiste. Darin verbargen sich einige unserer wertvollsten Schätze und Erinnerungsgegenstände. Unter anderem befand sich darunter eine Buntschwinge, die ich damals zufällig gefunden und dazu geführt hatte, mit Feurigel ein Team zu gründen.

    Ich nahm die Feder in die Hand und begutachtete sie ausgiebig. Obwohl sie nur wenige Farben inne hatte, strahlte sie im richtigen Winkel gehalten in allen Regenbogenfarben.

    „Irgendwann finden wir Ho-Oh“, meinte Feurigel und trat an meine Seite. „Dass du die Buntschwinge gefunden hast, hatte sicher seinen Grund.“

    „Vielleicht.“ Ich äußerte mich etwas verhalten zu ihrem Optimismus und senkte meinen Blick. „Ich meine, wir sind immerhin einer Legende auf der Spur und es ist nicht einmal sicher, dass wir Erfolg bei der Suche haben werden. Manchmal frage ich mich schon, ob wir unser Ziel nicht zu hoch gesteckt haben.“

    „Fängst du ausgerechnet jetzt mit Selbstzweifeln an?“, fauchte Feurigel mit verärgerter Stimme und nahm mir die Feder aus der Hand. „Du musst dir keine Gedanken darum machen, ob du dein Ziel je erreichen kannst. Allein, dass du einen Traum vor Augen hast, lässt dich in jedem Fall weiter machen. Selbst wenn sich irgendwelche Widrigkeiten ergeben, wirst du an deinem Wunsch festhalten, Ho-Oh finden zu wollen. Und haben wir nicht auch dafür unser Team gegründet? Dass wir zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen, egal, was kommen mag?“

    Ich sah zuerst etwas irritiert in Feurigels Gesicht, musste daraufhin aber zu lachen beginnen. Sie schien nun selbst amüsiert darüber, dass meine nachdenkliche Miene wie von selbst verschwunden war.

    „Alle Achtung, solche Reden höre ich von dir auch nicht jeden Tag“, sagte ich und knuffte sie in die Seite. „Danke, dass du mich wieder wachgerüttelt hast. Ich glaube, das benötige ich hin und wieder mal, um auf den Boden der Tatsachen zu kommen.“

    „Ich hatte eigentlich gehofft, dass du davon beflügelt wirst, aber damit kann ich auch leben. Sehen wir nun am besten zu, dass der Auftrag zur Gänze erfüllt wird, damit unser Klient in Ruhe schlafen kann.“

    „Ja, das ist der Plan.“

    Ich legte die Buntschwinge zurück in die Kiste und schloss sie wieder. Anschließend traten wir aus unserer Basis, verriegelten die Eingangstür und vollführten unser übliches Ritual.

    „Los geht’s!“, rief ich und riss einen Arm in die Höhe.

    „Die Rubinhöhle wartet!“, stimmte Feurigel mit ein und gab damit den Startschuss der Mission. Gemeinsam würden wir erfolgreich sein!


    Nach einem längeren Marsch durch den nahegelegenen Beerenforst und die Abendlichtprärie kamen wir schließlich bei unserem Ziel an. Der Rubinhöhle.

    „Bist du bereit?“, fragte ich Feurigel und sie zeigte mit geballten Fäusten ihre Entschlossenheit.

    „Natürlich! Du hoffentlich auch?“

    Ich kam nicht umhin, meine eigenen Hände zu halten, um die nun in mir aufkommende Nervosität etwas zu verbergen. So sehr ich auch jedes Mal dagegen ankämpfte, erfüllte mich vor jeder Mission diese ungewisse Furcht vor dem, was kommen könnte.

    „J-ja, so einigermaßen.“

    Feurigel legte eine Hand auf meinen Kopf.

    „Du schaffst das, Memmeon. Und wenn es wirklich hart auf hart kommt, hast du mehrere Möglichkeiten, dich zu wehren. Mit dem neuen Band wird das sogar noch leichter. Glaub an dich!“

    „Ich versuch's“, sagte ich und lächelte nun, als ich ihren Blick erwiderte. „Danke, dass du da bist!“

    „Immer wieder gern“, antwortete Feurigel und bedeutete mir mitzukommen. Gemeinsam betraten wir die Höhle und musterten interessiert den Eingangsbereich. Bereits hier waren im Gestein rötliche Felsen zu erkennen, die allerdings nicht nach Rubinen aussahen. Möglicherweise war die Höhle ursprünglich aber auch nach etwas anderem benannt worden.

    „Und wir sollen hier also nach einem ganz bestimmten Schatz suchen?“ Feurigel ging die massiven Steinwände ab und schien dabei nicht sonderlich beeindruckt zu sein.

    „Ja“, antwortete ich nur und traute mich ebenfalls weiter vor. „Eine Spieluhr, die unser Auftraggeber wohl hier gelassen hat.“

    „Mich würde interessieren, ob das bewusst oder unabsichtlich war.“

    „Vorerst hat uns das nicht zu interessieren, bis wir …“

    Just in diesem Moment durchstieß ein Schrei die Höhle und vor Schreck machte ich mich unsichtbar. Feurigel versteckte sich hinter einem größeren Felsen und wir beobachteten zwei Klonkett auf ihrer Flucht nach draußen.

    „Was die beiden wohl entdeckt haben?“, murmelte ich, während ich nun etwas ruhiger meine Tarnung aufgab.

    „Wollen wir das denn wirklich wissen?“

    Ich musste nicht lange für eine Antwort überlegen.

    „Eigentlich nicht. Vorsicht ist aber besser als Nachsicht.“

    Feurigel kam nun ebenfalls aus ihrer Deckung hervor und wir wagten uns weiter ins Innere vor. Der plötzliche Zwischenfall ließ uns kaum etwas anderes übrig, als den Licht-Orb nicht sofort einzusetzen. Einerseits wäre die Höhle dadurch definitiv erhellt, aber wir wollten auch nicht vorschnell auf uns aufmerksam machen. Daher nutzte Feurigel die Flammen auf ihrem Rücken, um die Umgebung behelfsmäßig zu erhellen.

    „Bleib dicht hinter mir, Memmeon“, sagte sie und ich prustete daraufhin.

    „Damit ich mich an dir verbrennen kann? Sehr gute Idee.“

    „Du bist ja wieder ziemlich gut drauf, nachdem du vor dem Eingang eher verhalten wirktest.“

    Ich senkte den Blick und ging die Aussage in Gedanken durch. Ja, dem war tatsächlich so und mir fiel es schwer, etwas darauf zu erwidern.

    „Ist schon gut“, winkte Feurigel ab und sie deutete auf den sich gabelnden Weg vor ihr. „Entscheiden wir lieber, wo wir lang gehen. Links, rechts oder geradeaus?“

    Ich versuchte anhand der Tunnelformen abzuwägen, welcher Weg am besten aussah. Zu einem Schluss kam ich nicht, allerdings wählte ich, vermutlich unbewusst, den einen Weg, der uns heute bereits mehrere Male gute Dienste geleistet hatte.

    „Die Goldene Mitte, würde ich sagen.“


    „Gut gesprochen“, sagte Feurigel und ging voraus in den mittleren Gang. „Ganz so, wie ich es von einem Anführer erwarte.“

    „Du weißt doch, dass du mich nicht so nennen sollst“, erwiderte ich und folgte ihr bedacht. „Wir verstehen uns beide gut, aber besonders was die Führung anbelangt habe ich noch so viel zu lernen. Ich bin mir unsicher, ob mir das je gelingen wird.“

    „Dass du dir Gedanken machst, ist schon mal eine positive Sache. Du kannst dir sicher sein, dass ich dich immer begleiten werde und wenn du weiterhin so umsichtig bist wie jetzt, solltest du keine Probleme haben.“

    Ich antwortete nicht mehr und wir gingen einfach still durch die dunkle Höhle. Die dumpfen Geräusche unserer Schritte vermischten sich mit knirschendem Kies und dem ein oder anderen undefinierbaren Geräusch, das durch die Gänge hallte. Mir wurde mit fortlaufender Zeit tatsächlich unwohler, da uns jederzeit jemand attackieren könnte. Alarmiert behielt ich daher meine Umgebung im Auge und wusste, dass ich im Zweifelsfall auf Feurigel zählen konnte. Insgesamt wäre es zwar besser, wenn sie ihr Feuer nicht auf diese Weise verbrauchen würde, aber zumindest machten wir nicht sofort auf uns aufmerksam.

    Von einem Moment auf den anderen hörte ich ein mir wohl vertrautes Rauschen.

    „Wasser?“, fragte ich nur und begann nun, Feurigel etwas zu drängen. Wir erhöhten das Tempo und sahen schon bald ein wortwörtliches Licht am Ende des Tunnels. Der Gang verbreiterte sich und schloss an einen hohen Raum an. Wie sich herausstellte, waren in diesem Teil der Höhle mehrere Löcher in der Decke, durch die helle Sonnenstrahlen ihren Weg zum Boden fanden. Wir untersuchten mit nun mehr Sichtweite die nähere Umgebung, fanden jedoch neben dem auffällig roten Gestein lediglich einen kleinen See und einen Wasserfall vor.

    „Scheint nicht so, als würde es hier weitergehen“, sagte Feurigel nüchtern, während sie ihr Feuer reduzierte.

    „Vermutlich. Lass mich bitte mal etwas nachschauen.“

    Ich lief zum See und sprang mit einem hohen Satz in das kühle Nass. Sofort spürte ich, wie meine Energie zurückkehrte und die durch den Fußmarsch entstandene Müdigkeit etwas verflog. Allerdings versprach ich mir von meinem Tauchgang etwas anderes, nämlich, dass es hier vielleicht weiter gehen könnte.

    So gut es mir möglich war, untersuchte ich die Felsspalten und wurde auch recht schnell fündig, was den weiteren Weg betraf. Meine Vermutung, dass wir nicht in einer Sackgasse gelandet waren, hatte sich also bestätigt. Just in diesem Moment musste ich aber wieder an die Oberfläche, um Luft zu holen.

    Mit einem leisen Platschen hielt ich den Kopf über Wasser und stieß einen Schwall Wasser aus.

    „Und, was gefunden?“, fragte Feurigel und ich nickte.

    „Ja, da scheint es weiter zu gehen. Ich werd das mal untersuchen und wieder zurück kommen, wenn ich etwas Neues weiß. Alles klar?“

    „Geht in Ordnung.“ Sie wirkte zwar nicht sonderlich begeistert, akzeptierte aber, dass sie bei der Menge Wasser klein beigeben musste.

    „Bis dann!“, rief ich noch, bevor ich wieder untertauchte. Mein Unbehagen kehrte zurück, da ich nun komplett auf mich allein gestellt war. Ich nahm aber meinen Mut zusammen und folgte dem mir noch unbekannten Weg.


    Zielstrebig folgte ich dem engen Unterwassertunnel. Ich wusste nicht, wie lange ich bereits unterwegs war, aber ich musste Stärke zeigen und weiter voranschwimmen. Feurigel hatte recht, dass ich mich auf sie verlassen konnte, aber es brachte mir nicht viel, wenn ich solo öfters mutlos war und keine Initiative ergriff. In diesem Fall blieb mir auch nichts anderes übrig und so musste ich die Sache mehr oder weniger hinnehmen.

    Es half mir bei der Durchquerung des Tunnels allerdings sehr, dass bereits nach kurzer Zeit das Wasser in der Ferne heller wurde und mir ein nahes Ende anzeigte. So musste ich mir glücklicherweise auch nicht zu viele Gedanken um das Luftholen machen.

    Der letzte Rest des Weges veranlasste mich dazu, mehr Kraft ins Schwimmen zu stecken. Die Aufregung und Erwartung an das Ungewisse trieben mich letztendlich an und ich durchstieß die Oberfläche. Mit einer ungewohnten Ruhe sog ich rasch die frische Luft ein und sah mich ausgiebig um. Auch hier befanden sich Öffnungen in der Decke, durch die das Sonnenlicht in den Bereich scheinen konnte. Auf diese Weise war es ein Leichtes, sich umzusehen und ich fixierte so einen weiteren Durchgang auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes an. Meine Entschlossenheit, die Suche fortzusetzen, überwiegte nun deutlich.

    Ich stieg vorsichtig aus dem Wasser und war darauf bedacht, trotz allen Widrigkeiten keinen Mucks zu machen. Blitzschnell begab ich mich zu besagtem Durchgang und entdeckte auch dort die rötlichen Felsen wieder. Bei genauerem Hinsehen wurde ich jedoch stutzig und berührte interessiert ein hervorstehendes Stück des Gesteins. Dieses hatte jedoch einen nur kleinen Halt am Felsen und brach sofort ab. Erschrocken trat ich einen Schritt zurück, hob jedoch geistesgegenwärtig das Stück hoch und hielt es gegen das Licht.

    „Seltsam, wie das schimmert“, murmelte ich und drehte das Gestein hin und her. Es war durch den Namen der Höhle naheliegend, dass es sich hierbei um einen Rubinsplitter handeln könnte, aber ich versprach mir noch nicht zu viel davon. Jedenfalls nahm ich es mit und ging weiter den Weg entlang.

    Im nächsten Raum angekommen traute ich meinen Augen kaum. Ein kleines Vermögen in Form von Gold und verschiedenen Edelsteinen häufte sich in einer Ecke und wartete regelrecht darauf mitgenommen zu werden. Aber nicht nur das: Inmitten des Schatzes lag auch ein seltsam geformtes Ornament, dessen Aussehen gut zu unserem gesuchten Objekt passte.

    Ich sah mich um und vergewisserte mich, dass ich noch immer allein war. Mit der vorhin gewonnenen Flüssigkeit machte ich mich nun unsichtbar und lief in Windeseile zum Schatz hin. Nachdem ich den Splitter behutsam abgelegt hatte, nahm ich das gewünschte Objekt in die Hände und nach einigem Probieren erkannte ich den Mechanismus, der es antrieb. Zwei Drehungen der mir bekannten Figur auf der Spitze, einem Manaphy, ließen bereits Töne erklingen. Mir war nun klar, dass das die gewünschte Spieluhr sein musste!

    Ein erneuter Rundumblick zeigte mir weiterhin nichts Auffälliges. So schnell es mir mit dem zusätzlichen Ballast in Form der Uhr und des Gesteinssplitters möglich war, lief ich in Richtung des Wasserloches und sprang hinein. Auf dem kürzesten Weg begab ich mich wieder zurück zu Feurigel, damit wir gemeinsam besprechen konnten, wie es weiter ging.


    Nach meinem kleinen Abenteuer alleine kam ich wieder an der ersten Wasserstelle heraus, wo Feurigel auf mich wartete. Sie war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen und hatte die Tsitrubeeren aus unserer Itembox in dem Wasserloch von etwaigem Dreck gereinigt. Nun mit einem Lächeln im Gesicht wandte sie sich mir zu und hob zum Gruß die Hand.

    „Du hast ja wirklich die Ruhe weg“, sagte ich noch außer Atem zu ihr, während ich versuchte, die Spieluhr aus dem Wasser zu hieven. Geistesgegenwärtig nahm sie das Ornament an und half mir bei meinem Vorhaben.

    „Da ich keine anderen Optionen hatte und schon einmal Wasser in der Nähe war, konnte ich die Gelegenheit gut nutzen.“ Feurigel betrachtete meine Beute interessiert und grübelte über die Form des Objekts, während ich aus dem Wasser kletterte. „Wenn ich mir das hier so ansehe, wirst du auch heilfroh sein, eine Beere essen zu können. Der Erfolg steht dir zumindest ins Gesicht geschrieben.“

    „Lass ruhig. Noch fühle ich mich wohl, besonders nach dem kleinen Bad im Wasser.“ Ich kicherte bei der Vorstellung und erntete Feurigels schief gelegten Blick. „Jedenfalls, so schwierig war es tatsächlich gar nicht. Der Unterwassertunnel war nicht allzu lang und dahinter waren zwei größere Räume, von denen einer einen Schatz beinhaltete. Da habe ich letzten Endes auch die Spieluhr gefunden.“

    „Und den Schatz einfach liegen gelassen?“, fragte Feurigel skeptisch und ich bejahte dies.

    „Keine Chance, dass ich mehrmals wegen ein paar Steinen durch diesen Tunnel schwimme. Die Spieluhr war schon schwierig genug zu transportieren. Davon abgesehen kam es mir seltsam vor, dass so viele Schmuckstücke an einem Ort zu finden waren.“

    „Gut, da ist was dran.“ Sie schickte sich an, die Beeren in die Box zu packen, als ich ihr den Gesteinssplitter unter die Nase hielt.

    „Dafür habe ich das hier gefunden. Da es anders aussieht als das umliegende Gestein, schätze ich, dass das ein Rubin sein könnte. Genau weiß ich das allerdings auch nicht.“

    Feurigel nahm mir das Stück ab und begutachtete es nun selbst ergiebig. Schließlich schüttelte sie aber den Kopf.

    „Für mich persönlich sieht es wie ein Rubin aus, aber lassen wir das besser von Zobiris untersuchen. Er hat schon wesentlich mehr Erfahrung mit Edelsteinen gesammelt und kann uns diesen Splitter sicher bestens bestimmen.“

    „Alles klar, machen wir das so“, beschloss ich die Sache und half ihr, die Gegenstände wieder in der Box zu verstauen. Die Spieluhr behielten wir noch für einen Moment außerhalb und ich nutzte den Mechanismus, um sie aufzuziehen. Ein kurzes Lied von mysteriöser Natur erklang dabei und zog uns vollends in seinen Bann. Erst als es vorbei war, wagten wir wieder etwas zu sagen.

    „Wunderschön“, hauchte Feurigel und ich pflichtete ihr bei.

    „Es hat etwas Mystisches an sich. Vielleicht ist das in Anlehnung an die Manaphy-Figur auf dem Sockel?“

    „Das mag sein, aber sehen wir besser mal zu, dass wir hier rauskommen. Danach können wir uns noch immer über dieses Schmuckstück unterhalten.“

    Ich nickte und bedeutete ihr, dass sie die Itembox nehmen sollte. Als ich die Spieluhr in die Hände nahm, überkam mich ein eiskalter Schauer. Reflexartig spuckte ich einen Schwall Wasser aus und wehrte damit eine näherkommende Attacke ab, die im Begriff hatte, Feurigel zu treffen. Just in diesem Moment sah ich schon den Urheber und mir wurde schnell bewusst, wer für den Angriff verantwortlich war.

    „Du hast eine schnelle Reaktion“, spie Skorgla aus, als er von der Decke behutsam herab glitt und sich uns entgegenstellte.

    „Was macht ihr beiden hier?“, fragte ich und erhielt ein keckerndes Lachen von Paragoni, die sich aus einer Deckung zu ihrem Partner gesellte.

    „Simpel: Wir zwei suchen einen Schatz.“


    Ich sog scharf Luft durch die Nase ein, als Paragoni ihr Ziel offenbarte. Sie und Skorgla, bekannt unter dem Namen Team Spukflügel, waren in aller Regel auf wertvolle Schätze aus und interessierten sich nur sehr selten für die Belange anderer Pokémon. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, dass die beiden auch Jagd auf diese Spieluhr machten, aber ich versuchte, sie so gut es ging aus ihrem Blick fernzuhalten.

    „Einen Schatz also?“, fragte Feurigel, als sie bemerkte, dass ich unser gesuchtes Objekt zu verstecken versuchte. „Nun, wir sind tatsächlich auf einen gestoßen und …“

    „Echt!? Wo?“, rief Skorgla laut und flatterte abrupt etwas in die Höhe. Feurigel deutete zum Wasserloch neben uns und ging langsam dort hin.

    „Da drüben. Ihr müsst euch das Ganze aber schon selbst ansehen, wenn ihr mehr wissen wollt.“

    Wie auf Befehl schwebte Paragoni an mir vorbei und auch Skorgla schenkte mir keine Beachtung mehr. Ich seufzte kaum hörbar und dankte Feurigel in Gedanken, dass sie so schnell geschalten hatte. Diese Ablenkung war genau richtig, um die Spieluhr außer Reichweite der beiden zu bringen.

    Ich ging unter Nervosität, aber bedacht zum einzigen Ausgang und behielt die Pokémon beim Wasserloch im Auge. Dabei hörte ich auch die rege Unterhaltung zwischen ihnen.

    „Und wir sollen da nun durch?“, fragte Paragoni und keckerte leise. „Natürlich, Skorgla wird das Wasser sicher gut bekommen!“

    „Mach dich nicht lustig! Ich werd nur nicht gern nass, das ist alles.“

    „Das sah letztes Mal, als du Meister Zwottronin in Auendorf gegenüber gestanden bist, aber ganz anders aus. Zumindest hat er dir ordentlich den Kopf gewaschen.“

    „Immerhin kann man das bei mir noch, im Gegensatz zu dir“, lachte nun Skorgla und Feurigel wirkte etwas verärgert, dass sie den beiden gezwungenermaßen zuhören musste. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Wir waren den beiden in der Vergangenheit schon öfters während Aufträgen begegnet und es endete nahezu immer in einem Kampf. Wir konnten uns also schon fast als Rivalen bezeichnen, wenn da nicht ihre generelle Abneigung gegenüber anderen Teams war. Zumindest konnten wir uns bisher immer gegen sie durchsetzen.

    „Jedenfalls haben wir da auf der anderen Seite einen großen Schatz gefunden“, sagte Feurigel nun und legte den Kopf schief. „Uns war der Aufwand allerdings zu hoch, alles Gold durch das Wasser zu befördern. Wenn ihr wollt, könnt ihr ihn also haben.“

    „Aber gern doch, wir finden schon einen Weg!“ Skorgla klopfte mit einer Schere auf einen nahen Fels, während ich schon fast beim einzigen Ausgang angekommen war. Ich wiegte mich etwas zu früh in Sicherheit, als Paragoni nach mir rief.

    „Ach, Memmeon! Willst du uns nicht mal eure schöne Beute zeigen?“

    Erschrocken über die Frage blieb ich augenblicklich stehen, sah mich für wenige Momente um und lief danach los. Bevor ich jedoch weiter reagieren konnte, schnitt sie mir den Weg ab und Skorgla flankierte mich von hinten.

    „Welche Beute meinst du, Paragoni?“

    „Faszinierend, wie blind du manchmal bist“, tadelte sie ihren Partner und zeigte mit einer Hand auf die Spieluhr, die nun zu verbergen nichts mehr brachte. „Memmeon hat das Ding bisher versteckt und es scheint wichtig zu sein.“

    „Ach, dann gibt es diesen Schatz also gar nicht?“, schlussfolgerte Skorgla nun und hielt seine Scheren über Kreuz. „Ich würde sagen, dann gebt ihr uns dieses Objekt, ihr Schlawiner!“

    Bevor er jedoch seine Attacke einsetzen konnte, erhielt er einen Flammenwurf direkt in den Rücken. Paragoni bereitete geschwind einen dunklen Energieball vor, während sich Skorgla mit einigen Verbrennungen hilflos auf dem Boden wälzte. Ich spie etwas Wasser aus, um ihren Angriff abzulenken, war dabei jedoch nur mäßig erfolgreich. Feurigel warf sich allerdings mit einem Flammenrad zwischen mich und den Spukball, absorbierte diesen weitestgehend und rammte anschließend mit der verbliebenen Energie Paragoni. Nun außer Atem und sichtlich angeschlagen stellte sie sich neben mir auf und schrie aus ganzer Seele ein einziges Wort.

    „Lauf!“


    Während ich noch Feurigels Aufforderung verarbeiten musste, mühte sie sich mitsamt der Itembox ab, zum Ausgang zu laufen. Gerade als sich Paragoni von dem unsanften Angriff aufrappelte, erhielt sie ebenfalls einen Schwall Feuer entgegen geschleudert, wenngleich auch schwächer als noch bei Skorgla. Ich sah teilnahmslos dabei zu, wie sie schnellstens den Weg zum Wasserloch suchte und ihr Partner das Wälzen auf dem Boden aufgab. Feurigel war bereits außer Sichtweite, als sich Skorgla aufrichtete und mit einer Schere abstützte. Geistesgegenwärtig spie ich mit hohem Druck Wasser aus und traf ihn dabei mitten ins Gesicht, wodurch er erneut zurückkippte. Nun endgültig an die enge Situation erinnert, setzte ich mich mit der Spieluhr in Bewegung und betrat den langen, dunklen Gang.

    Ich wusste nicht, wie lange ich schon lief. Meine Beine trugen mich nicht einmal mehr aus eigenem Willen, sondern einfach nur, um hier wegzukommen. Die Panik in mir stieg an und jeden Moment erwartete ich schon, entweder von unseren Verfolgern oder von etwas anderem angefallen zu werden. Meine Gedanken rasten um diese eine Sache, die mich schon immer beschäftigt hatte. Warum konnte ich diese plötzlichen Angstmomente nicht abschütteln? Wieso überfiel mich jedes Mal in solchen Situationen diese unangenehme Panik?

    Ich bemerkte, wie meine Augen feucht wurden. Unter Aufwand all meiner Kräfte hielt ich die Tränen zurück. Ich durfte jetzt nicht schwach werden und zu weinen beginnen. Ansonsten wären alle bisherigen Anstrengungen dieser Mission null und nichtig gewesen.

    In der Zwischenzeit hatte ich Feurigel eingeholt. Von unseren Verfolgern war so weit keine Spur.

    „Memmeon!“, rief sie hechelnd, während ich mühelos mit ihr mithalten konnte.

    „Feurigel, s-sie holen uns w-w-wahrscheinlich ein, wenn wir u-uns nicht irgendetwas überlegen“, rief ich mit größter Anstrengung, ohne ihr meinen aktuellen Gemütszustand zu zeigen.

    „Kannst du sie vielleicht aufhalten?“

    „I-ich?!“ Mein Herz blieb bei der Bemerkung fast stehen, aber Feurigel ließ sich davon nicht beirren.

    „Vorhin habe ich es ziemlich übertrieben mit den Attacken und bin deswegen vermutlich keine Hilfe. Deswegen, Memmeon, versuch es bitte. Ich weiß, dass es dich viel Überwindung kostet, besonders jetzt, aber ich glaube an dich. Sonst hätte ich mit dir nie ein Team gebildet, wenn ich mich nicht auf dich verlassen könnte. Du schaffst das!“

    Etwas in mir rührte sich, als ich ihre Worte hörte. Ja, sie hatte recht. Unsere Teamgründung fußte auf dem gegenseitigen Vertrauen und einem Schwur, dass wir uns immer unterstützen würden. Wenn Feurigel selbst unter diesen widrigen Umständen auf mich zählte, wie könnte ich sie da enttäuschen?

    Die Gedanken in meinem Kopf nahmen nun wieder klare Formen an und ich beruhigte mich, so weit es die Situation zuließ. Mit noch immer feuchten Augen überlegte ich, was wir tun könnten. Skorgla und Paragoni würden uns bald einholen, bevor wir überhaupt den Ausgang der Rubinhöhle zu sehen bekamen. Wir mussten wohl oder übel eine List anwenden, um sie uns vom Hals zu schaffen.

    Ein Rundumblick im Gang brachte mich nicht direkt auf neue Ideen. In diesem Moment erinnerte ich mich aber an einen bestimmten Gegenstand in unserer Box, den wir ursprünglich aus anderen Gründen mitgenommen hatten. Damit ließe sich doch sicherlich etwas bewerkstelligen!

    „Feurigel!“, rief ich nun entschlossen. „Gib mir bitte den Licht-Orb, damit du die Spieluhr verstauen kannst.“

    „Hast du einen Plan?“, fragte sie und öffnete im Lauf die Itembox, ohne etwas vom Inhalt auszuleeren. Sie nahm den besagten Orb und warf ihn mir zu. Nach einem gekonnten Fang übergab ich ihr die Spieluhr.

    „Ich hoffe, dass es funktioniert. Wir müssen es noch mindestens bis zur Abzweigung mit den drei Wegen schaffen, bevor ich etwas ausprobieren kann.“

    Während wir uns nun darauf konzentrierten, die verbliebene Strecke zurückzulegen, hörten wir langsam unsere Verfolger aufholen. Offenbar stritten die beiden lautstark über irgendetwas, was für uns allerdings nicht näher definierbar war. In Gedanken ging ich noch einmal meinen Plan durch. Es war vermutlich unsere einzige Chance, diese Mission zufriedenstellend abzuschließen.


    Beständig liefen wir durch den langen Tunnel der Höhle. Mein Blick glitt kurz auf den Orb in meiner Hand, der im hellen Schein von Feurigels Feuer einen mysteriösen Glanz ausstrahlte. Sein Einsatz stand noch bevor und ich hoffte innerlich bereits, dass das Licht auf unserer Seite sein würde.

    Endlich kamen wir bei der Wegkreuzung an und mir fiel ein Stein vom Herzen. Skorgla und Paragoni waren bei weitem nicht so schnell, wie ich erwartet hatte, aber das kam uns nur zugute.

    „Feurigel, stell dich bitte zum Ausgang und halt dich bereit“, rief ich und begutachtete die Umgebung. „Es kann sein, dass du noch einmal eine Attacke einsetzen musst. Ich gebe dir ein Zeichen, wenn es so weit sein sollte.“

    „Alles klar“, sagte sie skeptisch, tat aber, wie ihr geheißen wurde. Ich konnte mir vorstellen, dass sie lieber ihren Weg fortsetzen würde, damit zumindest unsere Beute außer Reichweite gelangte. Dass ich ohne ihr Licht nichts ausrichten könnte, schien ihr allerdings bewusst zu sein und sie leistete keinen Widerstand gegen meine Aufforderung.

    Skorgla und Paragoni kamen immer näher, wie in erster Linie an ihren Stimmen zu erkennen war. Ich stellte mich entschlossen hin und richtete noch ein paar Worte an Feurigel.

    „Es könnte etwas laut werden. Nur damit du Bescheid weißt.“

    „Gnah, Feurigel ist aber auch viel zu leicht in der Dunkelheit zu erkennen!“, rief Skorgla wütend und Paragoni pflichtete ihm bei.

    „Die haben mit dem Ballast doch schon locker aufgegeben. Jetzt gehören sie uns!“

    Ich wartete noch etwas, bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzte. Gerade als die beiden in den großen Raum schweben wollten und ich ihre Umrisse gut erkennen konnte, warf ich den Licht-Orb zu Boden und er zerbarst in viele kleine Splitter. Im nächsten Moment breitete sich von der Kugel ausgehend ein sehr helles Licht in der Höhle aus, das absolut jeden Winkel zu erleuchten schien. Feurigel und ich hatten uns natürlich darauf vorbereitet und verdeckten rechtzeitig unsere Augen, aber bei Team Spukflügel erzielte der Orb genau die erwartete Wirkung. Skorgla hielt sich unter Schreien die Augen zu, landete mit dem Kopf voran auf dem felsigen Untergrund und überschlug sich zweimal. Paragoni bekam das Licht ebenfalls nicht gut und sie kniff ihre Augen lediglich fest zusammen, um nicht zu erblinden.

    Sogleich leitete ich den nächsten Schritt ein. Nachdem die Höhle nun hell erleuchtet war, setzte ich zu einem lauten Heuler an, der durch die Echo-Wirkung der Felswände verstärkt wurde. Unsere Gegner wussten nun nicht, ob sie zuerst ihr Gehör oder ihre Augen schützen sollten, was ebenfalls den von mir erhofften Effekt erzielte. Dass sie nun außer Gefecht waren, stimmte mich sehr positiv und der Plan schien sich zur Gänze zu erfüllen.

    Paragoni war zuerst wieder einsatzbereit. Sichtlich wütend und ohne weitere Worte generierte sie einen Spukball und warf ihn auf mich. Vorbereitet wich ich mit einem Sprung aus und machte mich dabei unsichtbar. Paragoni sah sich panisch um und ich erwischte sie mit einem Schwall Wasser genau aus der Richtung, die sie nicht erwartet hatte. Es zeigte nicht viel Wirkung, aber es würde sie bis auf weiteres ablenken. Mit einem gewaltigen Satz landete ich als nächstes auf Skorglas Bauch, dem nun abrupt die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Während er weiterhin am Boden liegen blieb, hielt ich mit Paragoni das Wasserspiel aufrecht, bis aus der Ferne ein aufgeregtes und mehrstimmiges Flattern ertönte. Das war mein Zeichen!

    Ich lief nun wieder sichtbar zu Feurigel und bedeutete ihr, dass es jeden Moment so weit war. Paragoni, die sich erst wieder orientieren musste, schnauzte Skorgla unsanft an und mit einem Mal betraten aus den übrigen zwei Gängen viele Zubat und Fleknoil sowie ihre Entwicklungen wild mit den Flügeln schlagend den Raum. Als sie auf uns zuhielten, gab ich Feurigel das Zeichen.

    „Flammen los!“

    Sie setzte unter Aufgebot ihrer verbliebenen Kräfte einen weiteren Flammenwurf ein und scheuchte die wilden Pokémon wieder zurück in den Raum, in dem sich Skorgla und Paragoni befanden. Die aufgebrachte Meute drängte sich in deren Sichtfeld und sie traten nach Hilfe rufend die Flucht in die Höhle an. Erst als wir von ihnen nichts mehr hörten, schnaufte Feurigel durch.

    „Licht und Lärm, um die wilden Pokémon zu nutzen? Memmeon, du bist ein Genie!“

    „Ach, kein Ding“, nuschelte ich etwas verlegen, da mir ihre Worte schmeichelten. „Ohne dich wäre es nie so weit gekommen und am Ende haben wir ja doch wieder zusammengearbeitet.“

    „Da hast du wohl recht.“

    Eine unangenehme Stille breitete sich aus und ich wurde nun wieder etwas nervös.

    „W-wir sollten uns besser aufmachen und diesen Ort endlich verlassen, nicht?“

    Das ließ sich Feurigel nicht zweimal sagen. Nun mit normalem Tempo und deutlich besseren Lichtverhältnissen machten wir uns gemeinsam auf, die Rubinhöhle zu verlassen.


    Während des Rückwegs nach Auendorf legten wir mehrere kleine Pausen ein, um zwei der Tsitrubeeren aus der Itembox zu verspeisen. Das besondere Aroma der Beeren schenkte uns wieder etwas Kraft, um nach der anstrengenden Mission und dem Zwischenfall mit Team Spukflügel den Weg erfolgreich zu bewältigen. Insgesamt dauerte die Reise zurück deutlich länger und es war bereits später Abend, als wir wieder in unserer Heimat ankamen. Eigentlich wollte ich den Tag nur noch so schnell wie möglich abschließen. So wie Feurigel mittlerweile schwankte und seufzte, konnte ich mir aber vorstellen, dass es ihr ähnlich erging.

    Die Kecleon-Brüder waren gerade dabei, ihre Waren diebstahlsicher zu verstauen und grüßten uns freundlich.

    „Na, Team Buntschwinge!“, rief Leon fröhlich, während sich Leo um die letzten Gegenstände kümmerte. „Wart ihr erfolgreich?“

    „Aber klar!“ Feurigels Freude war kaum zu überhören, auch wenn sie sich bewusst kurz fasste.

    „Es gab einen eher überraschenden Zwischenfall, aber wir konnten unsere Mission erfüllen“, fügte ich noch hinzu. Leon gab ich mit seinem nun strahlenden Ausdruck in den Augen zu verstehen, dass die Geschichte ein anderes Mal erzählt werden würde.

    „Gut für euch, dass ihr ein erfolgreiches Abenteuer hattet“, sagte nun Leo und winkte uns zu. „Wir müssen aber noch etwas vorbereiten und sehen uns daher morgen wieder. Ich hoffe, dass ihr dann wieder bei uns einkauft!“

    „Wir werden sehen“, antwortete Feurigel nur und wir winkten zurück. Während die Brüder nun die entgegengesetzte Richtung einschlugen, machten wir aus Interesse noch einen kleinen Abstecher zur nahe gelegenen Missionstafel, die von den zuständigen Pelipper Auendorfs verwaltet wurde. Mit etwas Glück könnten wir einen Auftrag schnappen, der uns interessierte und auch unserem Level entsprach.

    Mein Blick glitt unruhig von einem Zettel zum nächsten. Meine Konzentration war nicht mehr einwandfrei und wie es aussah, waren die meisten Anfragen auch eher Standardaufträge. Eine Notiz fiel mir jedoch aufgrund der ungewöhnlich krakeligen Schrift auf und ich betrachtete sie interessiert.

    „Da, Feurigel, schau mal. ‚Suche nach einer Eskorte in den nahe gelegenen Reiherforst, um Perfekte Äpfel zu finden. ♪ Preis verhandelbar. ♪‘ Das könnten wir uns ansehen.“

    „Perfekte Äpfel?“, fragte Feurigel und neigte ihren Kopf skeptisch zur Seite. „Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl bei der Anfrage, aber ja, warum nicht.“

    Ich nahm also den Zettel von der Tafel und wir gingen damit im Gepäck eine kurze Strecke zur Pelipper-Post. Erwartungsgemäß war dort mittlerweile weniger los und so hatten wir keine Probleme, uns zu den beiden anwesenden Pokémon zu begeben.

    „Und jetz‘ hab isch gesacht, ja ne, machste lieber ‘nen Umweg. Und we’st was? Später hör‘ isch, dass es ang’fangen hat, wie aus Kübeln zu gießen“, erzählte Pele gerade seinem Kollegen Lopa, der munter lachte.

    „Hast ja noch mal richtig Glück gehabt, dass du nicht den direkten Weg genommen hast. Oh, wir haben Kundschaft!“

    „Nabend. Was darf’s seen?“

    „Wir würden gern den Auftrag hier annehmen. Könnt ihr das bitte für Team Buntschwinge einrichten?“, fragte ich und übergab den Zettel. Die Pelipper blickten kurz auf die Notiz und nickten sich gegenseitig verstehend zu.

    „Mach ‘mer natürlisch!“ Während Lopa den Auftrag in eine für unser Team vorgesehene Box legte, bereitete sein Kollege ein Formular für die Pokémon-Vereinigung vor, damit sie über die Missionsübernahme Bescheid wussten. Die Arbeit war in kurzer Zeit erledigt und wurde von Peles markantem „Ferdsch!“ begleitet.

    „Danke für die schnelle Abwicklung“, antwortete ich und Lopa lachte nur.

    „Ach, keine Ursache. Viel Erfolg mit dem Auftrag!“

    Wir verabschiedeten uns von den beiden und machten uns nun in der aufkeimenden Dunkelheit endgültig zur Teambasis auf. Wir verstauten die Spieluhr sicher, sodass wir sie morgen bei unserem Klienten abgeben konnten, und beließen es dabei für heute. Es war ein aufregender Tag und die Müdigkeit sah man uns mehr als deutlich an.

    „Gute Nacht, Feurigel“, sagte ich und gähnte dabei herzhaft. „Sehen wir zu, dass wir für morgen ausgeruht sind.“

    „Der Meinung bin ich ebenfalls. Gute Nacht, Memmeon!“

    Nachdem wir uns noch einmal durchgestreckt hatten, legten wir uns schlafen. Ich dachte noch eine ganze Weile still über die Erlebnisse nach, die wir heute zusammen erlebt hatten. Irgendwann döste ich zufrieden ein.


    Am nächsten Morgen erwachte ich noch bevor die Sonne aufgegangen war. Verschlafen rieb ich mir die Augen und erinnerte mich dunkel an die meisten Ereignisse des vorhergehenden Tages. Es gab einige Dinge, über die ich gern in Ruhe mit Feurigel sprechen wollte, aber solange sie noch schlief, wollte ich sie nicht wecken.

    Ich wälzte mich noch einige Male hin und her, erreichte aber nur, weiterhin unruhig zu sein. Letztendlich beließ ich es dabei und bereitete mich darauf vor, die Basis zu verlassen. Draußen war es noch sehr still und ich hatte Gelegenheit, zu dieser Zeit etwas für mich zu sein. Nicht weit entfernt befand sich ein kleiner See, den ich gern aufsuchte. Ich stieg sachte hinein und ließ mich anschließend auf dem Rücken treiben.

    „Tut das gut“, seufzte ich und genoss es, wie mir das Wasser Kraft schenkte und die Müdigkeit vertrieb. Ich schloss die Augen und ließ das ruhige Gewässer und den sanften Wind auf mich wirken.

    Gestern hatte ich mich selbst überwunden. Wieder einmal. Auch wenn ich es beinahe wie einen Sieg feierte, war es doch ein Problem, das es zu lösen galt. Ich musste selbstständig etwas daran ändern, dass zukünftige Missionen reibungsloser ablaufen konnten und nicht mehr von meiner Angst betroffen waren. Das würde uns letztlich auch die Wahl eröffnen, andere Aufträge als bisher zu erledigen. Ich würde mich gleich heute zu Meister Zwottronin aufmachen, wenn wir den Auftrag offiziell abgeschlossen hatten und ihn fragen, ob er mir dabei behilflich sein kann. Seine Weisheit kannte keinerlei Grenzen, aber er war auch ein strenger Lehrer. Für mich bedeutete dies noch mehr Anstrengungen, aber wenn es am Ende Früchte trug, war es mir das wert.

    „Hier steckst du also.“

    Überrascht schlug ich die Augen auf und sah am Ufer Feurigel. Mit einer gekonnten Rolle drehte ich mich bäuchlings und schwamm anschließend zum Rand des Sees, wo ich an Land ging.

    „Tut mir leid. Ich brauchte etwas Zeit für mich.“ Während ich mich etwas sammelte, winkte Feurigel mit einer Hand ab.

    „Kein Problem. Wenn dich etwas beschäftigt, musst du das nur sagen.“

    Ich legte die Hände zusammen und senkte meinen Blick. Eigentlich wollte ich ihr schon gerne von meinem Vorhaben berichten, aber das konnte ich später auch noch erledigen.

    „Wir sollten uns vielleicht erst einmal zu unserem Klienten aufmachen. Was meinst du?“

    „Ja, gerne“, sagte Feurigel und nahm mich bei der Hand. „Dann sollten wir uns aber zuerst noch die Spieluhr aus der Basis holen. Ansonsten wird Bamelin vermutlich ziemlich unruhig werden.“

    Durch ihren Enthusiasmus hatte ich keine Gelegenheit für eine Antwort und wir setzten unseren Plan zügig um. Nachdem wir die Spieluhr aus ihrem Versteck geholt und wieder in der Itembox verstaut hatten, nahmen wir den direktesten Weg zu Bamelin, unserem Klienten am anderen Ende von Auendorf.

    Während mich Feurigel hinter sich herzog, kamen wir an dem Wahrsagezelt vorbei. Wie auf Befehl blieben wir stehen und ich lugte mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit. Für einen kurzen Moment glaubte ich, Traunmagils Lächeln zu sehen, aber das bildete ich mir wohl nur ein.

    „Kaum zu glauben, dass dieses Abenteuer ursprünglich mit Wahrsagerei angefangen hat“, kommentierte Feurigel meinen nachdenklichen Blick und ich nickte.

    „Ja. Es gab einige Schwierigkeiten zu bewältigen und ich denke, dass uns der Auftrag noch stärker zusammengeschweißt hat.“

    Sie zeigte nicht direkt eine Reaktion, stimmte mir am Ende aber zu.

    „Wir sollten vielleicht öfters bei Traunmagil vorbeischauen und ihr Geschichten erzählen. Sie scheint sehr daran interessiert zu sein.“

    „Zumindest einige Details dieses Abenteuers können wir definitiv teilen“, meinte ich und deutete nun wieder in Richtung des Weges. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis wir bei Bamelins Haus angekommen waren und ich merkte wieder einmal, wie selten ich in dieser Gegend unterwegs war. Feurigel klopfte zweimal an die Tür und alsbald öffnete sie sich.

    „Oh, ihr seid’s!“, rief Bamelin erfreut und bat uns herein. Wir ließen uns das natürlich nicht nehmen und betraten das heimelige Gebäude. „Wart ihr erfolgreich oder gab es Probleme?“

    „Es gab Schwierigkeiten, ja, aber sie betrafen nicht die Spieluhr“, antwortete ich, während Feurigel die Itembox abstellte. „Sie ist dort im Behälter.“

    Bamelin sicherte sich bei uns ab, die Box öffnen zu dürfen, und tat dies mit allergrößter Vorsicht. Er nahm die Spieluhr mit beiden Pfoten hoch und besah sie von allen Seiten. Als er sie aufzog und die mystische Melodie ertönte, lächelte er zufrieden.

    „Großartig! Und sie funktioniert absolut einwandfrei. Danke euch beiden!“

    „Gern geschehen“, sagte ich nun erleichtert. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass die Uhr keine Schäden davongetragen hatte und alles seine Richtigkeit besaß.

    „Wenn ich fragen darf“, setzte Feurigel an und schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Was genau hat es mit der Spieluhr auf sich?“

    „Sie wurde mir einst von Manaphy persönlich geschenkt“, sinnierte Bamelin ohne Zögern und schloss dabei die Augen. Feurigel und ich waren aufgrund der Enthüllung sprachlos. „Bei einem Ausflug am Meer wurde ich von einem Sturm überrascht und Manaphy hat mich aus dem tosenden Wasser gerettet, indem sie mich zu ihrem Palast mitgenommen hat. Wir freundeten uns schließlich an und ich bekam diese Spieluhr als Geschenk. Ich hoffe aber, ihr nehmt es mir nicht übel, dass ich es bei diesen Informationen belasse.“

    „Keine Ursache“, gab Feurigel mit einem knappen Nicken zu verstehen. „Allein dass du uns von Manaphys Existenz erzählt hast, zeugt davon, dass du uns vertraust. Das erklärt am Ende aber auch, warum du privat zu uns kamst und nicht über eine Anfrage auf der Missionstafel.“

    „Allerdings. Ich würde mich freuen, wenn ihr darüber Stillschweigen bewahren würdet. Eure Belohnung werdet ihr natürlich zeitnah erhalten. Vielen Dank nochmals!“

    Wir verabschiedeten uns von Bamelin und klatschen vor seinem Zuhause noch einmal in die Hände. Der Auftrag war geschafft!


    Nach dem Besuch bei Bamelin gingen wir wieder zurück zu unserer Basis. Da wir nichts Spezielles für den Tag geplant hatten, stand uns noch frei, ob wir uns von der Mission am Vortag entspannen oder vielleicht etwas anderes angehen wollten. Der neue Auftrag war, wie wir beim Leeren des Briefkastens bemerkten, bereits unter Dach und Fach und wir könnten uns nun jederzeit um die Sache mit den Perfekten Äpfeln kümmern.

    Ich dachte an heute Morgen und meinen gefassten Entschluss. Plötzlich war ich mir unsicher, ob ich Feurigel damit belangen sollte. Immerhin profitierte sie nicht direkt von mentalem Training und es war auch meine Angelegenheit, dass ich etwas dagegen unternahm. Im gleichen Zug erinnerte ich mich aber an Traunmagils Weissagung, laut der wir viele Widrigkeiten durchmachen müssten, um zueinander zu finden. Eventuell gehörte das auch dazu, damit sich unser freundschaftliches Band stärkte und ich selbst mehr Mut gewann.

    „Was sollen wir nun machen, Memmeon?“, fragte Feurigel neugierig und ich hielt die Hände zusammen.

    „Also …“, setzte ich an und suchte etwas nervös nach den passenden Worten. „Weißt du, ich hätte eine Sache im Kopf, die ich gern erledigen möchte.“

    „Alles klar. Worum geht’s?“

    „Ich … Könntest du … Wollen wir uns heute vielleicht zu Meister Zwottronin aufmachen? Ich möchte ihn gerne etwas fragen und das könnte dich ebenfalls interessieren.“

    „Meinetwegen gerne. Wollen wir dann?“

    Auf ihre Einladung hin ging ich voraus und wir machten uns zum Dojo auf. Meister Zwottronin war eine bekannte Persönlichkeit in Auendorf und hatte sich in der Vergangenheit durch effiziente Trainingsmöglichkeiten einen Namen gemacht. Dementsprechend wurde er von vielen Pokémon aufgesucht, aber nur die wenigsten hatten den nötigen eisernen Willen, sich seinen Methoden zu stellen.

    Vor Zwottronins Übungshalle machten wir kurz Halt. Ich atmete tief ein und aus und versuchte, die Ruhe zu bewahren. Es gab nichts zu befürchten. Feurigel war bei mir. Und ich wollte Entschlossenheit zeigen.

    Wir betraten nun das Dojo und hielten nach dem Inhaber Ausschau.

    „Guten Tag!“, riefen wir gemeinsam und ich setzte fort. „Meister Zwottronin, seid Ihr da?“

    Wir warteten mehrere Momente, bevor sich eine Tür öffnete und der Besitzer des Dojos vor unsere Augen trat. Eine wenig auffällige Narbe zierte sein Gesicht und er strahlte Ruhe und Stärke aus.

    „Team Buntschwinge, es ist eine Freude, euch an diesem Tag zu sehen! Und bitte, ihr müsst außerhalb des Trainings nicht so förmlich sein. Wie kann ich euch helfen?“

    Auf Zwottronins direkte Frage hatte ich nicht sofort eine Antwort parat und ich senkte meinen Blick. Obwohl ich verschiedene Reaktionen im Kopf durchgegangen war, fiel es mir nun schwer, meine Frage zu stellen.

    „Memmeon wollte dich gerne aufsuchen“, sagte Feurigel und durchbrach dabei die unangenehme Stille. „Ich weiß bisher auch noch nicht, worum es genau geht.“

    „Nun, nur keine Scheu.“ Zwottronin verschränkte die Arme und sah mich mit einem strengen, wenngleich auch freundlichen Blick an. Es gab kein Zurück mehr. Ich musste mir einfach einen Ruck geben.

    „Es ist so, dass ich … Also, bei unseren letzten Missionen hatten wir einige Schwierigkeiten. Wegen mir.“ Als ich diese Worte sagte, legte mir Feurigel eine Hand auf den Rücken. „Ich … Mir fehlt oft einfach der Mut, um unabhängig der Situation einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht in Panik auszubrechen. Aus diesem Grund möchte ich daran gerne etwas ändern und hatte gehofft, hier ein Training zu erhalten. Im besten Fall gemeinsam mit Feurigel, wenn sie Interesse hat. Ansonsten bin ich auch gewillt, das alleine zu erledigen.“

    Zwottronin schloss die Augen und nickte dabei mit dem Kopf. Meine Anfrage hatte mich viele Nerven gekostet und ich hoffte inständig, dass es nicht umsonst gewesen war.

    „Ich verstehe, was du erreichen möchtest“, sagte er und nahm wieder eine lockere Haltung an. „Mentales Training ist allerdings weitaus schwieriger als körperliches und du musst bei der Sache konzentriert sein, um Erfolge zu erzielen. Da dir die Sache ernst zu sein scheint und du bewusst Selbsteinsicht zeigst, bin ich da aber grundsätzlich guter Dinge.“

    „Das heißt …?

    „Bereitet euch bis morgen vor und sammelt die nötige Ruhe und Entschlossenheit. Das ist so weit alles.“

    „Vielen Dank!“ Ich konnte mein Glück kaum fassen und freute mich sichtlich über die Reaktion. Feurigel hatte indes still zugehört und wandte sich nun an mich.

    „Ich wusste nicht, dass dich die letzte Mission so beschäftigt hat. Du kannst dir aber sicher sein, dass ich dir bei deinem Unterfangen helfen werde. Wäre ja gelacht, wenn wir das nicht zusammen schaffen könnten.“

    „Ja. Gemeinsam ist eben alles möglich“, antwortete ich und hob die Hand. Feurigel verstand sofort und klatschte ihrerseits ein. Damit war es also beschlossene Sache!

    Wie das Training verlief und was uns in der Zukunft erwartete, war jedoch eine andere Geschichte, die zu einem anderen Zeitpunkt erzählt werden wollte.


  • Buchstabensuppe

    geschrieben am 01.10.23


    Der große Teller wurde nahezu randvoll mit heißer Flüssigkeit gefüllt. Ein Wirbel aus gehackten Karotten und Schnittlauch sorgte dabei für ein buntes optisches Bild, bei dem das Auge gerne mitaß. Viel interessanter waren für mich jedoch die unzähligen Buchstaben, die kreuz und quer umherschwammen und sich teilweise überlagerten. Meine Augen wanderten hin und her bildeten aus dem schieren Wirrwarr unbewusst einzelne Wörter. Aus Wörtern wurden Sätze, aus Sätzen ganze Geschichten und schließlich entstanden riesige Welten, in die ich eintauchte! Wie hypnotisiert betrachtete ich meine Suppe, als ich bemerkte, dass mich meine Familie mit fragendem Blick ansah. Ich lächelte.

    „Guten Appetit!“


  • Bahngleise

    geschrieben am 27.08.23


    Rika schnaufte, als sie das letzte Stück des Weges bestritt. Ihr geplanter einwöchiger Urlaub in diesem ihrer Meinung nach verschlafenen Dorf war für sie bisher sehr entspannend gewesen. Besonders die Wanderstrecken in der Umgebung luden dazu ein, sich inmitten der Natur einfach gehen zu lassen und die Sorgen des Alltags zu vergessen.

    So ergab es sich, dass sie am vierten Tag einen Abstecher zu einigen verlassenen Gebäuden in der Umgebung wagte. Ein schon lange nicht mehr genutzter Bahnhof war sicherlich nicht das Ausflugsziel Nummer Eins, bot für Rika aber den perfekten Ort, um zu fotografieren. Sie konnte gar nicht zählen, wie viele tolle Aufnahmen sie bereits in der Natur gemacht hatte. In der Stadt wäre das in dieser Art und Weise niemals möglich gewesen. Ein verlassener Bahnhof würde die perfekte Einleitung für ihr nächstes Fotoalbum abgeben.

    So kam die junge Frau nun also bei besagtem Bahnhof an. Die Fassade wirkte von außen sehr blass und es machte den Anschein, als wäre hier schon lange keine Menschenseele mehr gewesen. Die teils zerbrochenen Scheiben in den Fenstern bestärkten diesen Eindruck nur weiter. Rika fühlte sich beinahe so, als würde sie die lange währende Ruhe an diesem Ort stören. Lediglich ein paar Vögel trällerten ihr Lied in die Natur hinein und erweckten den Anschein von Leben.

    Sie trat nun durch den Vordereingang auf den verlassenen Bahnsteig. Auf dem Boden befanden sich überall Blätter und Zweige, die vermutlich durch den Sturm in der letzten Nacht verbreitet wurden. Ein Blick auf das einzige Gleis dieses Bahnhofs offenbarte Rika im Grunde genommen, was sie bereits erwartet hatte: Wucherndes Moos, viele Blumen und nicht zu vergessen das Unkraut, das sich hier breit machte. Tatsächlich musste sie ein bisschen über den Anblick schmunzeln. So oft sie solche Orte schon in Serien und Filmen gesehen hatte, so anders wirkten sie doch, wenn sie selbstständig aufgesucht wurden. Nicht einmal die eigene Vorstellungskraft konnte das so exakt wiedergeben.

    Rika sah zur nahegelegenen Uhr, die vom Vordach des Bahnsteigs hing und deren Glas gesprungen war. Die Zeiger standen genau auf 10:03 Uhr. Es mutete beinahe ironisch an, dass ihre eigene Uhr am Handgelenk in digitalen Ziffern ebenfalls dieselbe Zeit anzeigte. Dementsprechend wartete sie einen kurzen Moment, um sicherzustellen, dass sich die Arme nicht bewegen würden. Wie erwartet trat dieser Fall nicht ein und sie kicherte über ihre eigene Vorstellungskraft.

    Als Rika sich nun genauer umsah, bemerkte sie auf einer etwas entfernt liegenden Bank einen jungen Mann. Sie konnte sein Alter nicht einschätzen, allerdings saß er dort mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass man ihn für einen regelmäßigen Gast halten könnte. Zwischen seinen abgewinkelten Beinen hatte er einen kleinen Rucksack eingeklemmt. Offenbar war er selbst auf einer kleinen Reise. Sein Blick wanderte immer wieder kurz auf das Smartphone, mit dem er offensichtlich einen guten Empfang hatte. Fast so, als würde er regelmäßig die Uhrzeit überprüfen.

    Neugierig trat die junge Frau näher an ihn heran. Immerhin war sie nun doch interessiert, um wen es sich bei ihm handelte.

    „Guten Morgen!“, rief sie und schickte sich an, sich neben ihn hinsetzen zu wollen. „Ist da noch ein Platz frei?“

    Der junge Mann reagierte zuerst nicht auf sie. Er wirkte geistig abwesend, als sein Blick dem Verlauf der Gleise folgte. Schließlich drehte er sich zu ihr nach und bemerkte plötzlich, dass er nicht mehr allein war.

    „Oh, Entschuldigung“, sagte dieser und griff sich mit den Fingern an die Stirn. „Ich habe gar nicht gehört, dass Sie da sind.“

    „Kein Problem!“ Rika fand es tatsächlich etwas belustigend, dass er so sehr in seine eigenen Gedanken vertieft gewesen war. Sie deutete mit einem Finger auf den Platz neben ihm auf der Bank. „Ich habe nur gefragt, ob ich mich setzen könnte.“

    „Ja! Ja, natürlich!“, beeilte sich der junge Mann zu sagen. Er griff dabei die Halterung seines Rucksackes und rückte etwas zur Seite.

    Daraufhin machte es sich Rika gemütlich. Während sie ihre Reiseroute auf der Karte studierte und einen Schluck aus der Wasserflasche trank, sah er noch immer auf sein Smartphone. Ihr kam das Verhalten doch reichlich seltsam vor.

    „Kommt der Zug etwa zu spät?“, fragte sie also, nachdem sie das kühlende Wasser geschluckt hatte. Sie hatte die Frage nicht ganz ernst gemeint, aber er nickte leicht mit dem Kopf.

    „Ja. Hat schon genau acht Minuten Verspätung. Ich hoffe, er kommt heute noch.“

    Rika war über die Antwort durchaus überrascht. Ob der junge Mann nicht wusste, dass der Bahnhof geschlossen war? Andererseits machte er optisch nicht den Anschein, als wäre er vollkommen weltfremd. Dementsprechend ging sie auf seine Aussage erst einmal vorsichtig ein.

    „Dass Züge auch immer verspätet sein müssen! Manchmal frage ich mich selbst, warum die nicht besser organisiert werden können.“

    „Das kann ich Ihnen sagen“, antwortete der junge Mann in Richtung der Gleise und Rika winkte mit einer Hand ab.

    „Wir können uns gern duzen, wenn das genehm ist.“

    Etwas überrascht blickte er sie nun mit großen Augen an. Anschließend lächelte er über das Angebot.

    „Gerne! Weißt du, Menschen sind dazu da, dass Fehler gemacht werden. Also ist es auch nur natürlich, dass Züge zu spät kommen.“

    „Das stimmt“, bejahte Rika die Feststellung. Sie hatte im Alltag oft genug damit zu kämpfen, ohne Probleme von einem Ort zum anderen zu gelangen. Aus diesem Grund genoss sie das Wandern noch deutlich mehr. Immerhin konnte sie sich so ihr eigenes Tempo vorgeben und war nie zu spät dran.

    Als die beiden einige Minuten still nebeneinander saßen und der junge Mann noch immer die Uhrzeit checkte, reichte sie ihm die Hand.

    „Rika. Also, so heiße ich“, fügte sie etwas nervös hinzu. Ihr Kopf wurde innerhalb kurzer Zeit heiß. Andererseits musste sie sich keine Vorwürfe machen, sich nicht sofort vorgestellt zu haben. Die beiden waren sich heute immerhin zum ersten Mal begegnet.

    Er sah abwechselnd von ihrem Gesicht zu ihrer Hand und ergriff nun etwas zögerlich ihre Finger.

    „John. Sehr erfreut!“

    Daraufhin widmete er sich wieder seinen eigenen Gedanken. Allem Anschein nach hatte er wenig Interesse daran, ein Gespräch aufzubauen und das respektierte Rika. Mit einem Namen war die Kommunikation untereinander allerdings wesentlich einfacher als ohne.

    Sie stand schließlich von ihrem Platz auf und zückte die Kamera. Von Johns merkwürdiger Art wurde sie bisher so sehr eingelullt, dass sie beinahe ihre Fotos vergessen hatte. Rika trat zwei Schritte nach vorn und drehte sich schließlich zu ihm hin.

    „Macht es dir etwas aus, wenn ich ein paar Fotos schieße?“, fragte sie und er schüttelte mit dem Kopf.

    „Nein, mach nur!“

    Die kurze Antwort überzeugte Rika nicht vollständig. Jedoch nahm sie das zum Anlass, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen.

    In den nächsten Minuten suchte die junge Frau interessante Motive vom Bahnsteig. Dadurch, dass sie keine Züge fürchten musste, konnte sie auch einige Ansichten von weit unten aufnehmen. Besonders die in die Ferne verlaufenden, schon etwas rostigen Schienen boten sich für interessante Aufnahmen regelrecht an.

    Auch von John nahm Rika einige Fotos auf. Wie er allein auf der Bank inmitten des verwilderten Bahnhofs saß, empfand sie als sehr faszinierend. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie annehmen, dass er tatsächlich jeden Tag hierher kam und auf seinen Zug wartete.

    Schließlich beendete sie ihre Fotosession und stieg von den Gleisen wieder auf den Vorsprung hoch. Der junge Mann seufzte laut.

    „Dreiundzwanzig Minuten Verspätung. Ich frage mich, was ihn aufhält.“

    Ein wirklich sonderbarer Geselle, wie Rika fand. Sie wollte ihm eigentlich nicht sagen, dass hier vermutlich nie wieder ein Zug vorbeikommen würde. Besonders nicht, nachdem sie bisher im Dialog mitgespielt hatte. Darüber hinaus wollte sie nicht den ganzen Tag hier verbringen, sondern zu ihrer nächsten Station aufbrechen.

    In diesem Moment hatte Rika einen Einfall. Spontan schlug sie ihr ursprüngliches Ziel in den Wind und unterbreitete John einen Vorschlag.

    „Wie wäre es, wenn wir den Zug suchen? Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen und nur wir können ihm helfen!“

    Er blickte überrascht von seinem Smartphone hoch, als er erneut die Uhrzeit prüfen wollte. Ein Blick nach links und rechts in die Natur offenbarte ihm keine neuen Erkenntnisse und so zögerte er, auf die Frage einzugehen.

    „Also … eigentlich wollte ich gerne warten.“

    „Wenn du nur wartest, wirst du aber nicht an dein Ziel kommen“, gab Rika zu bedenken. Sie reichte John daraufhin die Hand, um ihm von seinem Platz hochzuhelfen. Während er regungslos noch einige Sekunden Bedenkzeit einforderte, nahm er schließlich das Angebot an.

    Rika sprang erneut vom Vorsprung hinunter und sie sah John an.

    „Von wo würde der Zug kommen?“, fragte sie. Er deutete schließlich nach rechts. Westen also, wie sie anhand der hoch stehenden Sonne erkannte.

    „Wenn wir hier entlang gehen, könnten wir ihn sehen.“

    „Okay! Dann auf geht’s!“

    Mit heller Begeisterung stieg Rika nun auf die linke Schiene und wanderte auf ihr entlang. John folgte zögerlich in der Mitte des Gleises, bis er von ihr ermahnt wurde.

    „Wenn wir schneller ans Ziel kommen wollen, musst du schon auf der anderen Schiene gehen!“

    Verwirrt blickte der junge Mann nun auf das Konstrukt und stieg mit einigem Widerwillen hinauf. Er versuchte mehrere Male, die Balance zu halten, schaffte es anfangs jedoch nicht, sich länger als fünf Schritte zu halten. Rika kicherte, wenngleich nicht abwertend.

    „Das benötigt viel Übung. Aber es macht Spaß, wenn man es beherrscht!“

    John nahm die Freude der Frau zum Anlass, es weiterhin zu versuchen. Mit der Zeit konnte er sich immer länger auf der Schiene halten und schien nun den Bogen heraus zu haben. Als er zurückblickte, war der verlassene Bahnhof bereits außerhalb seines Sichtfeldes.

    Mit einem Mal verspürte er Abenteuerlust. Er hatte den Bahnsteig verlassen und fühlte sich wie auf einer kleinen Reise. Beinahe so, als wäre er mit dem Zug unterwegs zu einem fremden Ziel. Wo immer ihn auch die Gleise hinführen würden, würde er dort etwas Neues erleben.

    „Sag mal“, begann John nun und richtete das Wort an Rika. „Was machst du hier und wie kamst du zum Bahnhof?“

    Sie lachte laut, als sie über die möglichen Antworten nachdachte.

    „Das ist eine lange Geschichte!“


  • Die Großen Drei

    geschrieben am 17.09.23


    Ort: Reich der Apfellande, Thronsaal. Königin MONA und König OSCAR besprechen die aktuelle Lage.


    MONA (zweifelnd) Wie sollen wir die Feinde nur zurückschlagen? Sie sind uns in jeder Hinsicht überlegen!

    OSCAR Verzage nicht! Ich erwarte noch heute die Ankunft dreier hoch angesehener Persönlichkeiten. Sie werden uns mit Sicherheit bei dem Vorhaben unterstützen, unser Reich zu retten.

    MONA Denkst du, sie schaffen das? Die Anzahl stimmt mich doch etwas nachdenklich.

    OSCAR Sie gelten als die Besten ihres Faches. Welche andere Wahl haben wir, als ihnen zu vertrauen?

    MONA Nun, da hast du vermutlich recht. Hoffentlich wissen sie sich am Hof zu benehmen.

    OSCAR (lachend) Und falls nicht, wartet auf sie noch immer der Kerker!

    MONA Ich frage mich, ob sie uns von da aus helfen können. Was denkst du, Oscar?

    OSCAR (hüstelnd) Nun, darüber können wir uns noch immer Gedanken machen. Ah, wie ich sehe, sind unsere Gäste endlich da!


    Durch den Eingang zum Thronsaal treten nacheinander ein DINOSAURIER, ein KAMPFROBOTER und ein GESPENST ein. Sie stellen sich nebeneinander im großen Raum auf.


    MONA (zu Oscar flüsternd) Diese drei … Wesen hast du erwartet?

    OSCAR (zu Mona flüsternd) Ich habe vollstes Vertrauen in sie!

    GESPENST Wenn Ihr erlaubt, wertes Königspaar, wir würden gern an der Unterhaltung teilhaben!

    OSCAR (sich aufrecht hinsetzend) Natürlich! Natürlich. Nun, wir möchten uns gerne ein Bild von euch, den Großen Dreien, machen. Welche Fähigkeiten könnt ihr vorweisen?

    DINOSAURIER Ich fresse gern Menschen!

    MONA Wie barbarisch!

    DINOSAURIER Habt ihr etwas anderes von mir erwartet?! Ich bin ein Dino und nicht zum Verhandeln da! Entweder laufen die Feinde bei meinem Brüllen weg oder ich fresse sie. Ganz einfach!

    OSCAR Das ist sehr … aufschlussreich, möchte ich meinen! Worin bist du begabt, Gespenst?

    GESPENST (verbeugt sich) Ich kann mich unsichtbar machen und Menschen erschrecken. Das ist meine größte Freude!

    MONA Aber wird denn ein Schreck die Feinde zurücktreiben?

    GESPENST Natürlich nicht, werte Königin! Ich gehe allerdings davon aus, dass besagte Feinde nach dem Schreck nicht mehr aufstehen werden, da sie tot sind.

    OSCAR (zweifelnd) Das klingt zu schön, um wahr zu sein.

    GESPENST Aber werter König! Möchtet Ihr gern als Subjekt bereitstehen, um meinem Talent beizuwohnen?

    OSCAR (panisch beide Hände vor sich haltend) Nicht nötig! Wenn du das so sagst, glaube ich dir natürlich.

    MONA Und was kannst du vorweisen, Roboter?

    KAMPFROBOTER ZERSTÖREN!

    MONA Das … klingt großartig! Hast du noch weitere Fähigkeiten?

    KAMPFROBOTER ZERSTÖREN! ALLE!

    OSCAR Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.

    GESPENST Haben wir bestanden?

    DINOSAURIER Das will ich doch hoffen! Ich bekomme bei dem vielen Gerede langsam Hunger.

    KAMPFROBOTER ZERSTÖREN!

    GESPENST Mit Verlaub, aber Zerstörung wird uns hier im Thronsaal nicht helfen. Denkt doch bitte an die Zukunft der Menschen hier!

    KAMPFROBOTER NEGATIV! MUSS AUFTRAG AUSFÜHREN!

    DINOSAURIER Ich kann auch Metall essen, so ist es nicht.

    OSCAR Ja, ihr habt natürlich bestanden. Ihr seid genau so, wie ihr uns beschrieben wurdet.

    MONA (flüsternd) Deine Enttäuschung steht dir ins Gesicht geschrieben.

    OSCAR Keineswegs, wo denkst du hin?!

    GESPENST Wenn Ihr gestattet, wir werden nun die letzten Vorbereitungen treffen. Im besten Fall muss ich dabei niemanden mehr mit meinen Fähigkeiten erschrecken.

    DINOSAURIER Wann gibt es endlich Essen?

    KAMPFROBOTER ALARM!

    OSCAR Aus welchem Grund rufst du einen Alarm aus?

    KAMPFROBOTER MUSS ZERSTÖREN!

    MONA (kichernd) Im Gegensatz zu dir haben sie wirklich viel Humor, Oscar.

    OSCAR Was hat das nun zu bedeuten?!

    GESPENST (verbeugend) Nun denn. Wir empfehlen uns für den Moment.


    Im Eingang des Thronsaals taucht ein RITTER auf. Er trägt deutlich sichtbar das Wappen des feindlichen Reiches.


    GESPENST Guten Tag, sehr geehrter Ritter! Würdet Ihr uns bitte durchlassen?

    OSCAR (wütend) Seid ihr noch ganz bei Trost?! Er gehört zu den Feinden!

    KAMPFROBOTER ZERSTÖREN?

    DINOSAURIER Endlich ein kleiner Happen! Ich bin schon fast abgemagert.

    MONA (steht von ihrem Thron auf) Was ist Euer Begehr, Ritter?

    RITTER (hebt das Schwert langsam in die Höhe) Mama? Papa?

    OSCAR & MONA Wie bitte?


    Der Thronsaal wandelt sich zu einem Dachgeschoßraum, wo MONA und OSCAR auf dem Boden sitzen. Vor ihnen befinden sich ein kleiner Plastikdinosaurier, ein abgenutzt wirkender Spielzeugroboter, ein geflicktes Plüschgespenst und eine Ritterfigur. Vom Eingang sieht LORENZ zu den beiden hin.


    LORENZ Was macht ihr da?

    OSCAR (sich am Kopf kratzend) Nun, wir, äh …

    MONA Wir lassen unsere Fantasie spielen!

    LORENZ Darf ich mitmachen?

    MONA Natürlich, mein Schatz.

    LORENZ (strahlend) Toll! Ich hole nur eben meine Spielsachen!

    LORENZ verschwindet aufgeregt nach unten.

    OSCAR Gut gerettet, möchte ich meinen.

    MONA Du warst eben noch nie besonders schlagfertig, König Oscar.

    OSCAR (lachend) Wir werden sehen!


  • Blumentanz

    geschrieben am 08.10.23


    Der Tag bricht an, die Sonne grell,

    und alle strömen fröhlich aus.

    Jetzt komm schon, mach doch endlich schnell!

    Wie lange bleibst du noch im Haus?


    der tag

    er mag

    mich nicht

    verzag’

    im licht

    bin klein

    ein wicht

    d’rum sag

    nichts mehr

    welch pein

    bin leer


    So lass mich bitte rein zu dir,

    ich möchte doch gern bei dir sein!

    Das Fest dir zeigen, heut’ und hier,

    du fühlst dich sicherlich ganz fein.


    fein?

    nein

    wer weiß

    das denn

    ganz leis

    ich flenn’

    ich mein’

    wo ist

    sie denn

    die seele

    mein?


    Du wirst sie heut’ ganz sicher seh’n,

    ich weiß es, bitte, glaube mir!

    Dein Flehen wird zu Ende geh’n,

    der Tag gehört dann gänzlich dir!


    ich flehe

    und sehe

    sie vor mir

    nicht mehr

    nun gut

    ich gehe

    und zeig dir

    die blume

    verwittert

    verbittert

    nicht mehr


    Nun lass die graue Welt zurück,

    wir fliegen immer weiter fort.

    Die an’dren fanden längst ihr Glück

    und bald hast du es auch schon dort!


    die farben

    tun weh

    sie geben

    nur narben

    ich seh’

    sie leben

    frag’ mich

    weswegen

    ich traue

    mich nicht


    Zeig’ den Mut und flieg’ zur Blüte!


    nein

    die angst

    die pein

    sie holt

    mich ein


    Lass dir Zeit, sie hat nur Güte.


    ich suche

    und fluche

    im herzen

    versuche

    ein rot

    die schmerzen

    wie tot

    doch blau

    ein stich

    verblich

    gelblich

    und spricht

    mir bald

    schon zu

    orange

    hör zu

    ist kalt

    kein halt


    Gib’ nicht auf, du hast es fast,

    lass sie abfall’n, deine Last!


    und jetzt?

    ein weiß

    verletzt

    und rein

    es singt

    ganz leis’

    ich wein’

    warum?

    näher’ mich

    ganz sacht’

    sie spricht

    ich dachte

    so schlicht

    die pracht

    wählt mich

    ich lachte

    Gefunden

    Vereint

    Die Blume

    ist mein.

    Ich meint’

    allein zu sein,

    hier bin ich,

    im Glanz der Sonne,

    randvoll mit Wonne,

    erfüllt vom Glücke,

    mit Freude schmücke.


    Endlich hast du es geschafft,

    lass dich laben an der Kraft!


    Ohne dich wär’ ich nicht hier,

    Dank gebührt in Gänze dir.


    Hab’ doch wirklich nichts gemacht,

    alles lag in deiner Hand.


    Warst doch wirklich sehr bedacht,

    risst mich schnell vom hohen Rand.


    Kein Problem! Dein Weiß, mein Blau,


    erstickt der Welten kaltes Grau.


  • Verirrt

    geschrieben am 12.11.23


    Erneut ist es passiert. Wie so oft versuche ich, aus mir herauszubrechen, nur um mich verschreckt abzuwenden. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Meine heile Welt kann mir niemand nehmen. Und dennoch beobachte ich sie. Die Menschen um mich herum laufen durch ihr Leben. Sätze, die ausgesprochen werden müssen, verlassen mein Innerstes. Ich verstecke mich hinter Buchstaben und Worten. Ob sie jemand lesen kann, ist mir einerlei. Die Geschichten wollen erzählt werden werden. Verlassen und einsam ist diese endlose Straße. Ein Ende ist nicht in Sicht. Ein Anfang auch nicht. Wo befinde ich mich gerade auf diesem Weg?


  • Schneespur

    geschrieben am 26.11.23


    Ein dumpfer Knall ertönte und im weißen Schnee wurde rote Flüssigkeit verteilt. Zäh suchte sie sich ihren Weg durch die zu Boden gefallenen Flocken, während einige Menschen in der Umgebung erschrocken und fingerzeigend auf die hervorstechende Stelle blickten. Andere liefen hingegen weiter, um schnell die nächste U-Bahn-Station zu erreichen. Alle Augen richteten sich auf den jungen Mann, der erst realisierte, was genau vorgefallen war. Er kratzte sich am Hinterkopf.

    „Sorry, mein Fehler“, sagte er nach einer langen Pause. Anschließend nahm er den Eimer mit roter Farbe wieder in die Hand, drückte den Deckel drauf und ging in das Gebäude hinein.


  • Huhu Rusalka,


    ich hab mich dank dir ausnahmsweise mal doch an ein Drama gewagt. Ich war nämlich über die "Die Großen Drei" gestolpert, hatte mir das vorgemerkt und das Lesen hat Spaß gemacht: Die Idee, dass Erwachsene mit Spielfiguren auf dem Dachboden spielen und das zunächst als Fantasy-Drama zu tarnen, hat was Einprägsames. Dabei finde ich auch den Titel spannend, da ich darin nicht nur die drei Spielfiguren wiedererkenne, sondern auch letztendlich die Eltern und den Sohn, der sie beim Spielen ja am Ende "erwischt" und mitmachen möchte. Das ergibt dann auch drei Personen, die sich in ihrer Fantasie mal "groß" fühlen dürfen, oder anders darauf geschaut: Wir sind doch niemals "groß", wenn man "groß" mit "erwachsen" übersetzt und annimmt, dass in uns allen noch ein bisschen oder ein bisschen mehr Kind steckt ^-^

    Mir gefallen aber nicht nur Idee und Titel: Der Dialog zwischen König und Königin ist stellenweise schmunzelnd zu lesen (insbesondere aufgrund der Sticheleien von Mona) und ich werde das Gefühl nicht los, dass der Vater Oscar auch außerhalb des Spiels die drei Spielfiguren "spricht". Mona wirkt von diesen nämlich zunächst nicht so überzeugt und ein bisschen mehr wie eine Zuschauerin des Gesprächs an der Stelle, die es vom Unterhaltungswert der Figuren noch zu überzeugen gilt. Diese drei Charaktere wirken aufgrund ihrer Eigenheiten (verfressenes Monster, vornehmer Killer, wortarme Maschine, um es kurz unzureichend zusammenzufassen) auch sehr unterhaltsam und erinnern mich ein wenig von der Machart an unsere ikonischen Rollen bei RPG-Abenden im Chat :D

    Trotz der merkwürdigen Zusammenstellung der Großen Drei, die den ersten Bruch darstellt und bereits die Frage aufwirft, mit welcher Welt man es zu tun hat, fand ich die Auflösung noch interessant und überraschend genug. Das lag jedoch auch daran, dass du nicht abrupt mit einer Regieanweisung oder einer Figur namens "SOHN" die Illusion beendet hast, sondern den Sohn erstmal als Ritter hast mitspielen lassen, bevor du dann mit einer Regieanweisung komplette Klarheit schaffst und zu einer verpackten Message des Ganzen überleitest. Dabei bleiben die Charaktere jedoch trotzdem schön authentisch, was unter anderem die Stichelei von Mona zum Schluss nochmal unter Beweis stellt. Vielen Dank für den tollen Text :3

  • Pokémon Mystery Dungeon – Das Geheimnis der Münzen

    geschrieben von 02. bis 31.08.23


    Ein lautes Geräusch ertönte von draußen und weckte mich abrupt aus meinem Schlaf. Es dauerte wenige Momente, bis ich verstand, dass Pelipper die Post im Briefkasten verstaut und danach äußerst energisch den Deckel geschlossen hatte. Scheinbar hatte sie heute noch mehr zu tun als sonst und wäre wohl nicht für ein Pläuschchen bereit gewesen. Die kräftigen Flügelschläge und eine am Fenster vorbeifliegende Silhouette bekräftigten meinen Gedankengang. Wie ich erkennen konnte, war es noch nicht sonderlich hell und daher überraschte mich die frühe Zustellung sehr.

    Mit einem angestrengten Laut streckte ich mich ausgiebig auf meiner Schlafstelle, bevor ich mich auf den Weg zur Tür machte. Wenn ich schon einmal wach war, konnte ich mich zumindest aktiv betätigen und nach der Zustellung schauen. Mit bedachten Schritten krabbelte ich also hinaus und sog zuallererst die frische Morgenluft ein. In Sekundenschnelle war die Schläfrigkeit wie weggeblasen und sorgte direkt dafür, dass ich klarer denken konnte. Den langgezogenen Schatten nach zu urteilen brachen bereits die ersten Sonnenstrahlen über das Land herein. Mich interessierte jedoch viel mehr der Inhalt des Briefkastens und so steuerte ich diesen an.

    Behutsam öffnete ich den Deckel und nahm die Post heraus. Auf den ersten Blick erkannte ich eine neue Ausgabe der „Schatzsuchenden“ sowie ein aktuelles Werbebanner der Kecleon-Brüder. Fünf Prozent Rabatt waren ein überraschend entgegenkommendes Angebot der beiden. Darüber hinaus befand sich noch ein Brief an unser Team unter den Sendungen. Ich riss den Umschlag auf und holte ein einzelnes Stück Papier heraus, auf dem sich lediglich das Bild einer Münze befand. Argwöhnisch untersuchte ich die Vorder- und Rückseite nach Hinweisen, jedoch ohne Erfolg. Die Münze war der einzige Inhalt und ihr Aussehen war mir gänzlich unbekannt.

    Schließlich betrat ich wieder die Basis und versuchte, meine Partnerin aufzuwecken. Im Gegensatz zu mir war sie sehr schlafbedürftig und ich wusste, dass das eine Weile dauern könnte.

    „Feurigel, sieh dir das bitte einmal an.“


    Wie erwartet drehte sich Feurigel einmal herum und zeigte mir nun ihren glücklicherweise nicht entflammten Rücken. Seufzend sammelte ich mich und stieß einen kleinen Wasserschwall aus, der sie direkt auf dem Hinterkopf traf. Aufgrund der Kühle zuckte sie plötzlich und rollte sich instinktiv zusammen. Schließlich realisierte Feurigel, dass ich bereits auf den Beinen war und etwas von ihr wollte.

    „Memmeon? Ist etwas passiert, dass du schon so früh wach bist?“

    Während sie noch ihre Glieder streckte und sich langsam von ihrem Schlafplatz aufrichtete, hatte ich bereits den in meinen Augen unwichtigen Teil der Post auf den kleinen Tisch gelegt. Anschließend zeigte ich ihr das Bild mit der merkwürdigen Münze und legte den aufgerissenen Umschlag auf den Boden. Wie mir erst jetzt auffiel, hatte dieser keinen Absender notiert.

    „Pelipper war heute sehr früh da und hat diesen Brief vorbeigebracht. Hast du das oder etwas Ähnliches vielleicht schon einmal gesehen?“

    Feurigel nahm das Papier in die Hand und drehte es wie ich vorhin. Sie war noch sichtlich müde, versuchte sich aber auf das darauf befindliche Bild zu konzentrieren.

    „Moment“, sagte sie nur und lief zum Schrank mit ihren persönlichen Wertgegenständen. Dort fischte sie etwas Kleines heraus und verglich es ausgiebig mit der Vorlage in ihrer anderen Hand. Schließlich nickte mir Feurigel zu und sie streckte mir das kleine Objekt entgegen, das sie soeben aus ihrer Sammlung entwendet hatte.

    „Hier, Memmeon. Diese Münze habe ich letztens zufällig auf dem Weg zum Kangama-Lager entdeckt. Eigentlich wollte ich sie mir noch genauer ansehen, fällt mir ein. Gut, dass du mich daran erinnerst!“

    Ich nahm nun die Münze an und drehte sie einige Male herum. Die Muster darauf wirkten ähnlich dem Bildnis in der Nachricht. Aber was genau hatte es damit nun auf sich?

    „Sie wirkt edel, aber ich kann mir keinen Reim darauf machen, warum wir diesen Brief erhalten haben. Sollen wir uns vielleicht einmal umhören, ob jemand etwas weiß?“

    Feurigel überlegte kurz, stimmte aber schließlich nickend zu. Gleichzeitig meldeten sich unsere Mägen, die gern etwas Essen haben wollten. Wir sahen uns lediglich an und lachten. So viel Trubel am Morgen war immerhin ungewöhnlich!


    Nachdem wir uns ein erfrischendes Pirsifbeerenmus genehmigt hatten, bereiteten wir uns vor, die Teambasis zu verlassen. Dazu banden wir uns die noch immer wie neu aussehenden Teambänder um, damit wir von den anderen Pokémon eindeutig erkannt werden konnten. Mehr benötigten wir für den Moment auch noch nicht und so ließ ich die fast leere Item-Box hier. Befüllen konnten wir sie später immerhin auch noch.

    Mit der Münze in einer Hand öffnete Feurigel die Tür und wir gingen hinaus. In der Zwischenzeit war die Sonne deutlich gestiegen und die Wahrscheinlichkeit, jemanden anzutreffen, sicherlich deutlich höher. Tatsächlich hatten wir uns noch nicht weit von unserer Basis entfernt, als wir bereits ein bekanntes Gesicht trafen.

    „Traunmagil!“, rief ich und winkte ihr zu. Als sie auf uns aufmerksam wurde, schwebte sie mitsamt eines kleinen Korbs mit drei Äpfeln darin auf uns zu.

    „Wenn das nicht mein liebstes Erkundungsteam ist! Wollt ihr vielleicht eine dieser drei Früchte haben?“

    Feurigel stöhnte auf und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Es fühlte sich in Traunmagils Anwesenheit wie gestern an, dass wir sie als Wahrsagerin um Rat gefragt hatten und einige Entscheidungen treffen mussten. Scheinbar wollte sie das Spiel fortführen.

    „Bitte, ich bestehe darauf!“, fügte sie noch mit einem Lächeln hinzu und senkte den schwebenden Korb ein Stück weit.

    Ich zögerte zuerst, trat aber schließlich vor.

    „Gern, danke!“

    Vor dem Korb richtete ich mich schließlich auf und griff hinein. Da Feurigel keine Anstalten zeigte, eine Antwort abzugeben, entschied ich mich für den zweiten Apfel. Die Goldene Mitte also. Traunmagil zeigte sich von meiner Wahl sehr erfreut.

    „Wunderbar! Dann wünsche ich euch beiden viel Spaß bei der Münzsuche!“

    Noch während ich die enorme Röte des Apfels besah, riss ich die Augen auf und schaute der Wahrsagerin hinterher, die sich bereits etwas entfernt hatte.

    „Münzsuche?! Was meinst du damit?“

    Noch im Flug drehte Traunmagil ihren Kopf zu uns nach und lächelte geheimnisvoll. Anschließend setzte sie ihren Weg weiter fort. Feurigel hatte natürlich interessiert zugehört, wenngleich sie sich neben der Wahrsagerin mit ihrer persönlichen Meinung zurückgehalten hatte.

    „Wirklich wunderbar. Sie scheint mehr zu wissen und sagt es uns nur nicht.“

    Nach meiner Frage an sie konnte ich dem nur zustimmen. Wie immer hüllte sich Traunmagil in Schweigen und verriet bloß nicht zu viel, wenn es nicht sein musste.

    Jedenfalls widmete ich mich erneut dem Apfel und bevor ich einen Bissen davon nehmen konnte, fiel mir etwas auf der Unterseite auf. Ich drehte ihn um und fand dort eine Münze, die Ähnlichkeiten mit der von Feurigel besaß. Mit etwas Kraftaufwand konnte ich das scheinbar angeklebte Objekt lösen und wir verglichen sie miteinander.

    Kein Zweifel. Dieselben Muster.

    Wir sahen uns praktisch gleichzeitig in die Augen und mussten keine Worte wechseln. Wenn Traunmagil Äpfel eingekauft hatte, konnte sie nur bei den Kecleon-Brüdern gewesen sein.


    Es dauerte nicht lange, bis wir beim Stand der beiden Kecleon angekommen waren. Bei unserer Ankunft hatten zwei andere Pokémon bereits ihren Einkauf erledigt und wir konnten so direkt vortreten. Leo, das lilane Kecleon, sortierte einige neue Lebensmittel in das hinter ihnen befindliche Regal ein, während Leon uns freudestrahlend begrüßte.

    „Willkommen, willkommen!“, rief er laut und war schon im Inbegriff, uns das aktuelle Sonderangebot anzudrehen. Ich winkte etwas verhalten ab, jedoch kam Feurigel sofort zur Sache.

    „Was hat es mit diesen merkwürdigen Münzen auf sich?“

    Just in diesem Moment drehte sich Leo langsam um und kicherte befremdlich. Auch Leon schien die Sache sehr zu amüsieren.

    „Hast du das gehört, Brüderchen?“

    „Ja, klar und deutlich, Leon!“

    „Kommen in unseren Laden und verlangen nach Informationen statt nach Items für die schwierigen und anstrengenden Erkundungen.“

    „Das ist schon sehr verwegen.“

    „Beruhigt euch bitte alle wieder“, sagte ich und sprach damit auch direkt auf Feurigel ein. Noch war mir nicht ganz bewusst, warum sie so forsch auf die beiden eingegangen war, aber vielleicht spielte da auch noch die Begegnung mit Traunmagil eine gewisse Rolle. Zumindest hoffte ich dadurch, sie etwas beruhigen zu können.

    Feurigel erkannte, worauf ich hinaus wollte, und sie ließ es nach einem Seufzer etwas ruhiger angehen.

    „Nun gut, Memmeon hat recht. Dennoch steht meine Frage im Raum: Warum kleben an euren Waren diese seltsamen Münzen dran?“

    Dabei legte sie das von unserer Basis mitgenommene Objekt auf den Tresen, sodass die Brüder es begutachten konnten. Beide nickten und schienen zu verstehen, was uns beschäftigte.

    „Gut, dass ihr fragt“, meinte Leo daraufhin und drehte sich einmal im Kreis. „Aber wenn ihr das Geheimnis erfahren wollt …“

    „… müsst ihr schon etwas bei uns kaufen!“, ergänzte Leon freudig. Daraufhin nahmen sich die Kecleon an den Händen und begannen, in unserer Anwesenheit zu tanzen. Ich stellte mit Feurigel einen kurzen Blickkontakt her und übernahm schließlich das Reden.

    „Gilt eure neue Werbung bereits?“

    „Jap, seit genau jetzt, weil ihr es seid!“, rief Leo.

    „Dann hätte ich gern ein Top-Elixier um zehn Prozent vergünstigt, weil ihr uns nicht ernst nehmt.“

    „Moment mal, so laufen Geschäfte nicht! Okay, sieben Prozent, mehr aber nicht!“

    „Abgemacht!“, sagte ich und legte das benötigte Geld auf den Tresen. Anschließend überreichte mir Leon etwas widerwillig das von mir geforderte Item und ich nahm es an. Zu meiner Überraschung klebte auch dort wieder eine Münze mit demselben Muster wie das der anderen beiden Exemplare, die sich schon in unserem Besitz befanden.

    „Um ehrlich zu sein, wissen wir selbst nicht ganz genau, was es damit auf sich hat“, gab Leo kleinlaut zu. „Die Münzen wurden uns mehr oder weniger untergejubelt und da haben wir beschlossen, sie als Sammelobjekte an die Pokémon zu bringen. Ihr wisst doch, dass so etwas immer gut ankommt.“

    „Woher habt ihr sie eigentlich?“, fragte Feurigel mit schief gelegtem Kopf. Wir musterten dabei die beiden Kecleon ausgiebig und Leon meldete sich wieder zu Wort.

    „Schaut mal drüben bei der Schmiede vorbei. Wir haben die Lieferung ohne weiteren Anhaltspunkt von da erhalten.“

    „Danke für die Information, ihr beiden!“, ergänzte ich noch, während ich, sehr zur Freude der Brüder, zwei zusätzliche Poké auf den Tresen legte. Feurigel hatte mir das Top-Elixier in der Zwischenzeit abgenommen. Bevor wir uns unserem nächsten Ziel widmen konnten, führte der Weg erst einmal zum Kangama-Lager. Immerhin mussten wir das uns eher unfreiwillig angedrehte Item noch verstauen lassen.


    Auf dem Weg zum Lager verhielten wir uns überraschend still. Zwar wurde uns mit der Schmiede eine klare Richtung vorgegeben, aber wenn selbst die Kecleon-Brüder nicht mehr wussten, glich das schon beinahe einem unlösbaren Geheimnis. Ich hatte eigentlich immer angenommen, dass sie sehr gut vernetzt waren und zu allen aktuellen Dingen etwas erzählen konnten.

    „Was denkst du, warum die Münzen in Umlauf sind, Memmeon?“, fragte mich Feurigel plötzlich und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Dabei hatte ich doch genauso wenig Ahnung wie sie!

    „Äh, gute Frage. Wenn es nicht gerade für eine große Überraschung gedacht ist, kann ich mir aktuell nichts anderes vorstellen. Zumindest denke ich, dass sie einen bestimmten Sinn haben.“

    „Jetzt müssten wir nur noch herausfinden, welchen.“

    Erneut verstummten wir beide. Es brachte wohl nichts, sich darüber weitere Gedanken zu machen und wir konzentrierten uns stattdessen auf den Besuch beim Lager. Obwohl es noch früh morgens war, trafen wir dort Kangama und ihr Kind, Tama, an.

    „Hey, Memmeon, Feurigel! Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte er uns freudig und winkte energisch mit einem Arm. Feurigel hob ebenfalls eine Hand, während ich lediglich lächelte.

    „Wenn das nicht meine Lieblinge von Team Buntschwinge sind!“, rief uns nun auch Kangama zu. „Was führt euch hierher? Habt ihr wieder eine Erkundung geplant?“

    „Tatsächlich nicht“, begann ich, nahm die festgeklebte Münze von dem Top-Elixier ab und überreichte es schließlich Kangama. „Könnt ihr das hier bitte für uns verstauen? Wir mussten uns das Elixier aus verschiedenen Gründen andrehen lassen.“

    „Klingt ganz nach den Gebrüdern Kecleon“, schnaubte sie, wenn auch nicht abwertend gemeint. „Die beiden sind aber auch immer sehr überzeugend mit ihren Geschäftspraktiken.“

    Ich schmunzelte bei Kangamas Reaktion. Obwohl sie sehr darauf bedacht war, die Items der in Auendorf ansässigen Teams zu verwalten, war sie dennoch selten davon begeistert, wie sehr die Kecleon ihre Kundschaft ausnahmen. Dass sie das so offen sagte, passte zu ihrer Natur.

    Feurigel lächelte bei der Antwort ebenfalls verschmitzt. Sie nahm das Thema jedoch zum Anlass, unsere mittlerweile kleine Sammlung an schimmernden Objekten zu zeigen.

    „Wenn wir schon darüber sprechen: Habt ihr diese Münzen in letzter Zeit einmal gesehen?“

    Sowohl Kangama als auch Tama, der sich bisher nicht in das Gespräch eingemischt hatte, beugten sich vor und begutachteten die Gegenstände. Die Augen des Kleinen begannen direkt zu strahlen, als er erkannte, worum es sich handelte.

    „Davon habe ich auch welche! Wartet kurz!“

    Während er in das Gebäude lief, erinnerte sich Kangama lachend daran, dass Tama seit kurzer Zeit diese Münzen sammelte. Die Pokémon, die ihre Items hierher zum Lager brachten, ließen sie gern zurück, da sie damit wenig anfangen konnten. Es dauerte auch gar nicht lange, bis Tama mit vollen Händen wieder nach draußen kam.

    „Hier, bitte!“, rief er und ließ die Münzen zu Boden fallen. Offenbar machte es ihm nichts aus, wenn sie schmutzig wurden. Ich nahm eine der Münzen und verglich sie wieder mit den in unserem Besitz befindlichen. Wenig überraschend hatten sie dasselbe Muster.

    „Danke, dass du uns deine Sammlung zeigst! Darf ich die hier vielleicht haben?“, fragte ich und Tama nickte entschlossen.

    „Natürlich! Es kommen so viele rein, da kann ich gerne eine abgeben.“

    Während mich Feurigel mit einem merkwürdigen Blick bedachte, nahm ich die Münze mit eingezogenem Kopf an. Sie hielt wohl nicht besonders viel davon, wenn wir noch mehr von ihnen annahmen. Aus einem unbestimmten Grund hatte ich aber das Gefühl, dass sie uns bald nützlich sein könnten.

    „Wir müssen dann aber wieder los. Vielleicht bekommen wir heute ja doch noch einen Auftrag rein“, sagte ich und Feurigel stimmte mir still zu.

    „Viel Spaß! Und gönnt euch auch einmal einen freien Tag, damit ihr ausgeruht seid!“, rief Kangama und sowohl sie als auch Tama winkten uns zum Abschied.

    „Lasst uns mal wieder gemeinsam spielen!“

    Somit nahmen wir unser eigentliches Ziel wieder auf: Die Schmiede. Glücklicherweise war sie nicht so weit von unserem aktuellen Standort entfernt, sodass wir sie bald erreicht hatten.


    Als wir vor dem richtigen Gebäude standen, sah ich ausgiebig an der Fassade hoch. Dort waren verschiedene Ornamente in Form von Werkzeugen angebracht, wobei ein besonders kunstvoller Hammer das Hauptaugenmerk einnahm. Kaum zu glauben, dass ich bisher noch nie in dieser Gegend vorbeigeschaut hatte. Ohne triftigen Grund war das aber wohl auch nicht notwendig. Zumindest konnte die Schmiede kaum übersehen werden, wurde über den Schornstein doch stetig Rauch ausgestoßen. Es verwunderte daher kaum jemanden, dass sich dort häufig Smogmog herumtrieben und diese Gase in sich aufnahmen.

    Feurigel war offenbar ebenfalls zum ersten Mal hier vorbeigekommen, da sie äußerst interessiert das Schild mit der krakeligen Schrift neben der Tür las.

    „Funktionelle Werkzeuge in Handarbeit. Jedes Stück ein Unikat.“

    Sie sah zu mir und deutete schließlich zum Eingang. Zwar waren wir nicht für Aufträge da, aber vielleicht konnte uns hier bei der Suche nach dem Ursprung der Münzen geholfen werden. Immerhin stand auch noch die Frage im Raum, wer uns diesen mysteriösen Brief geschickt hatte und was damit ausgesagt werden sollte. Entschlossen nickte ich Feurigel zu, dass ich bereit war.

    Wir öffneten die Tür und noch bevor wir eingetreten waren, schlug uns eine enorme Wärme entgegen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie kühl es hier draußen eigentlich war und wie sehr ich mich plötzlich sträuben wollte, die Schmiede zu betreten. Feurigel machte das offenbar nichts aus, da sie bereits im Raum stand und sich interessiert zu mir umblickte.

    „Kommst du?“, fragte sie unschuldig und ich ließ mich letztendlich doch dazu überreden, ihr zu folgen. Immerhin wollte ich sie nicht unnötig lange warten lassen. Allerdings hatte ich das große Bedürfnis, möglichst bald wieder verschwinden zu wollen.

    Im Inneren offenbarte sich uns ein scheinbar heilloses Durcheinander an Materialien und Werkzeugen. Vieles davon wirkte angefangen oder zumindest nie zu Ende gestellt, was angesichts des Handwerks sehr schade war. Mir kam es so vor, als wäre das Schmieden mit häufigem Probieren verbunden, ohne immer zu einem Ergebnis zu kommen.

    Offenbar waren wir gerade unter uns. Während sich Feurigel zu einem offenen Feuer stellte, an dem offenbar die Arbeiten verrichtet wurden, suchte ich eher Abstand davon. Dabei sah ich mich in meiner unmittelbaren Nähe um und entdeckte auf dem Boden tatsächlich eine weitere Münze. Unbedacht nahm ich sie hoch und untersuchte sie auf bestimmte Merkmale, die uns weiterbringen könnten. Außer den üblichen Mustern erkannte ich jedoch nichts Besonderes.

    Obwohl wir uns noch nicht lange im Raum befanden, fühlte ich mich erschöpft. Ich atmete einmal tief durch, wobei sich die warme Luft in meiner Lunge sammelte und ein unangenehmes Gefühl hinterließ.

    „Meinst du, es kommt noch jemand?“, fragte ich Feurigel, der die Atmosphäre offenbar wenig auszumachen schien. Sie drehte sich zu mir um und schien zu überlegen.

    „Vielleicht sind sie kurz außer Haus. Das Feuer ist groß, also können die Pokémon …“

    „Wat maakt ihr dar?!“

    Eine junge, weibliche Stimme erschallte plötzlich hinter mir und ich machte mich erschrocken unsichtbar. Dabei fuhr ich herum und begutachtete mein Gegenüber, das mich deutlich überragte. Ob sie vielleicht die Inhaberin dieses Geschäftes war?


    Während ich mich versteckt hielt, wechselte mein Blick zwischen dem neu hinzugekommenen Pokémon und Feurigel. Meine Partnerin legte jedoch nur fragend den Kopf schief, als sie bemerkte, dass ich scheinbar nicht mehr anwesend war.

    „Also, ich kann das erklären“, begann sie, wurde jedoch durch einen erhobenen Arm der vermeintlichen Inhaberin unterbrochen. Diese kam schließlich näher und begutachtete interessiert Feurigels umgebundenes Band. Am Ende drehte sie sich in die Richtung, an der ich mich vorhin unsichtbar gemacht hatte.

    „Curelei?“, fragte sie, jedoch mehr für sich selbst und lächelte im Anschluss. „Goot Feenzauber kennt man jüst!“

    Sie bedeutete Feurigel, sich etwas von dem Feuer zu entfernen, damit sie ihre begonnene Tätigkeit wieder aufnehmen konnte. Sehr zu unserer beider Überraschung nahm sie eines der in unseren Augen unfertigen Objekte vom Boden auf und machte sich daran, es weiter zu bearbeiten. Merkwürdig war daran eigentlich nur, dass das besagte hammerähnliche Ding deutlich größer war als wir alle und sie es mühelos halten konnte.

    „Nennt mi Tafforgita. Wat wüllt ihr hier?“

    Nachdem sich das Pokémon uns nun vorgestellt hatte, atmete ich erneut auf und machte mich wieder sichtbar. Feurigel schien die Sache sehr gelassen zu nehmen, weswegen sie schlicht und wortlos an meine Seite trat. Die Begegnung war sehr ungewohnt für mich, da ich zumindest ein Willkommen gewöhnt war. Andererseits hatten wir uns beim Eintritt in die Schmiede auch nicht gemeldet und uns einfach so die Einrichtung angesehen. Insofern konnte ich die Reaktion nachvollziehen.

    „Nun, äh, wie soll ich sagen“, begann ich und schluckte. Tafforgita ließ es sich nicht nehmen, den Hammer ins Feuer zu halten und ihn danach mit ihren Werkzeugen zu bearbeiten. Sie schien jedoch aufmerksam zuzuhören.

    „Wir möchten dir gern etwas zeigen“, sagte Feurigel und hielt ihr eine der Münzen hin, die wir heute schon mehrfach erhalten hatten. „Weißt du eventuell, was das ist?“

    Tafforgita sah das funkelnde Objekt rasch an und schnaubte wütend. Anschließend widmete sie sich wieder ihrer Arbeit.

    „Kloor. Dat hett die Meestersche vor Kurzem mitbröcht. Ik hab keen Ahnung, wat dat genau is und hab’s weitergeven.“

    „Die Meisterin?“ Meine Frage klang für einige Zeit im Raum nach, der nur von den Geräuschen der klopfenden Werkzeuge eingenommen wurde. „Äh, wo ist sie gerade? Können wir sie sprechen?“

    Unerwartet legte die Schmiedin nun den Hammer aus der Hand und schüttelte nach einigen Sekunden mit dem Kopf.

    „Dat is dat Problem. Sie is seit eenig Daag weg un wollte noch mehr davon söken.“

    „Weißt du zufällig, wo sie zuletzt hin wollte?“, versuchte Feurigel in Erfahrung zu bringen und erhielt daraufhin ein zögerliches Nicken.

    „De Tarne-Ruinen weern ihr letztes Ziel. Ik hatte aver de Hoffnung, dat sie trüggkummt.“

    Während sie sprach, offenbarte sich mir plötzlich eine Eingebung. Wenn die Münzen von hier aus in Umlauf kamen, eventuell wollte Tafforgita nur das Verschwinden der Meisterin verdrängen? In jedem Fall sah sie uns nun sehr entschlossen an und deutete mit einer Hand zur Tür.

    „Geht bitte wedder. Ik will för mi alleen sein.“

    Obwohl Feurigel den Anschein machte, als wollte sie noch mehr Informationen erhalten, zog ich sie mit einer Hand in Richtung des Eingangs. Wir nahmen miteinander Augenkontakt auf und ich schüttelte mit dem Kopf. Es brachte wenig, Tafforgita nun dazu zu bringen, uns mehr zu erzählen, wenn sie selbst nicht wollte. Feurigel verstand meinen Gesichtsausdruck und nach mehreren Momenten nickte sie sachte. Bevor wir hinaustraten, sah ich noch einmal zurück und bemerkte, wie die Schmiedin vor dem offenen Feuer saß und ihren Blick wortlos auf die Flammen richtete. Dabei fiel mir in meiner Nähe noch eine weitere Münze auf, die auf dem Boden lag. Wenn Tafforgita die Anwesenheit dieser Objekte so sehr mitnahm, hatte sie sicher Verständnis dafür, wenn ich sie einfach mitnahm.

    Mit angespannter Stimmung und nur wenigen Erkenntnissen mehr verließen wir die Schmiede schließlich.


    „Was meinst du, Memmeon?“, fragte Feurigel, als sich die Tür hinter uns geschlossen hatte. Ich hatte erst wenig Zeit hier draußen verbracht, um die kühle Luft außerhalb der Schmiede einzuatmen, aber ich spürte bereits, wie gut sie mir tat. Es erleichterte mir letztendlich auch, über die Sache genauer nachzudenken.

    „Wir wissen nun zumindest, woher die Münzen ihren Ursprung haben. Wenn die Schmiedemeisterin aber schon seit einiger Zeit nicht hier ist, macht es das schwierig, mehr in Erfahrung zu bringen. Tafforgita schien nicht mehr zu wissen und ich schätze, sie möchte auch nicht darauf angesprochen werden.“

    „Das denke ich ebenfalls“, fügte Feurigel hinzu und schickte sich an, in Richtung der Pelipper-Post sowie des Schwarzen Bretts mit den Aufträgen zu gehen. „Wir könnten natürlich ohne offiziellen Auftrag der Spur folgen, aber ein unbekannter Ort kann tückisch sein. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das wirklich herausfinden möchte.“

    „Von den Tarne-Ruinen habe ich jedenfalls zum ersten Mal gehört“, sagte ich und folgte meiner Partnerin. Während sie voraus schritt, grübelte ich über Tafforgitas Worte. Die Münzen schienen von dort zu kommen, aber wenn es sich um einen Schatz handelte, wäre doch nicht nur ein Teil mitgenommen worden. Ganz davon abgesehen, dass sich alle Erkundungsteams hier in der Nähe geschart hätten, um diesen Ruinen einen Besuch abzustatten. Es musste also mehr dahinterstecken.

    Die Gebäude zogen nur an uns vorbei und mittlerweile wurde es auch wesentlich geschäftiger. Viele Pokémon drehten ihre Runden, um Einkäufe zu erledigen oder einfach das schöne Wetter zu genießen. Einerseits erfüllte es mich mit Freude, dass die Sorglosigkeit zurzeit überwog, aber dann erinnerte ich mich an die vielen Aufträge, die unbeachtet auf dem Schwarzen Brett verweilten oder die es erst gar nicht dorthin schafften. Wir konnten uns allerdings nicht allen Missionen annehmen und so kümmerten wir uns oft um die, die eher unbeachtet blieben. Auf diese Weise schafften wir es zumindest, für einige erleichterte Gesichter zu sorgen.

    An einer Gebäudemauer glitzerte schließlich ein Objekt, das mir wohlbekannt vorkam. Ich musste nicht raten, um zu wissen, dass hier jemand eine dieser seltsamen Münzen weggeworfen hatte. Sie nun überall zu sehen, rief in mir noch mehr den Willen hervor, etwas gegen die Situation zu unternehmen.

    Noch bevor wir überhaupt bei der Pelipper-Post angekommen waren, nahm ich Feurigels Arm. Sie sah sich zu mir um und wunderte sich über den festen Halt meiner Hand, allerdings auch über meinen entschlossenen Blick.

    „Helfen wir Tafforgita. Sie scheint das Verschwinden der Schmiedemeisterin wirklich zu belasten und“, ich schluckte, „ich denke, nur wir können ihr jetzt helfen.“

    Auf meine Aussage hin lachte Feurigel laut. Andere Pokémon bedachten uns mit einem Kopfschütteln oder gingen schnell weiter. Ein bisschen wunderte mich die Reaktion durchaus, aber sie schien ihre Gründe zu haben.

    „Nur wir? Der war wirklich gut!“, sagte sie und eine einzelne Träne entkam ihrem linken Auge. „Aber eins stimmt: Wir wissen zumindest von ihrem Problem und können etwas unternehmen. Also …“

    Ich musste Feurigels Antwort gar nicht abwarten, um zu wissen, dass sie meinem Vorschlag zustimmen würde. Mit einem breiten Lächeln fiel ich ihr in die Arme und sie erwiderte die Geste.

    „Danke!“

    „Immer doch! Dafür sind wir ja ein Team.“

    „Dann müssen wir nur noch Vorbereitungen für unseren kleinen Ausflug treffen.“

    „Und zusätzlich am besten eine Wegbeschreibung einholen. Oder willst du dich heute noch verlaufen?“

    Ich lachte. Nichts lag mir ferner, als dass wir schon auf dem Weg zu unserem Ziel keinen Plan mehr hatten, wo wir uns eigentlich befanden. Dementsprechend schritten wir weiter zur Post und holten uns Informationen ein, wie wir am besten zu den Tarne-Ruinen gelangten.


    Die vor Ort befindlichen Pelipper bei der Poststelle halfen uns nicht nur mit einer Wegbeschreibung zu unserem Ziel aus, sondern sie übergaben uns auch direkt eine Karte mit interessanten Orten, an denen wir uns orientieren konnten. Speziell der Blitzhügel, von dem aus Zebritz der Legende nach einem Unwetter bringenden Wesen Einhalt geboten haben soll, war uns ein Begriff. Tatsächlich hatte diese Anhebung von oben betrachtet Ähnlichkeit mit einem sehr großen Blitz und konnte durch die besondere Form leicht gefunden werden. Von da an war es nur noch ein kurzes Stück bis zu den Tarne-Ruinen. Der Weg dorthin sollte bis zum Einbruch der Dunkelheit möglich sein, wenn wir uns beeilten. Eine Übernachtung müssten wir allerdings in Kauf nehmen.

    Zuallererst begaben wir uns wieder zurück zu unserer Teambasis. Die bereits erbeuteten Münzen legten wir sorgsam auf den Tisch mit dem geöffneten Brief. Anschließend teilten wir uns die noch nötigen Aufgaben auf, wobei Feurigel die Item-Box für einen Besuch beim Kangama-Lager nahm.

    „Wir brauchen auf jeden Fall einige Äpfel, Tsitrubeeren und vielleicht ein Top-Elixier, damit wir auf der sicheren Seite sind. Was denkst du, sollen wir auch ein oder zwei Orbs mitnehmen?“

    Sie hob den Kopf etwas an, um anzudeuten, dass sie darüber angestrengt nachdachte. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, welche Orbs wir aktuell noch eingelagert hatten.

    „Ich schau mal. Ein Flieh-Orb wäre sicherlich sinnvoll, um im Ernstfall schnell aus den Ruinen flüchten zu können. Ansonsten suche ich mir etwas Gutes aus, in Ordnung?“

    „Perfekt, danke!“, rief ich und verbeugte mich dankend vor ihr. „Dann kümmere ich mich um die Pirsifbeeren. Vielleicht kann ich bei den Kecleon noch einen Rabatt herausschlagen.“

    „Nach der Aktion heute?“, kommentierte Feurigel belustigt meine Vorstellung davon, mit den Brüdern zu feilschen. „Viel Erfolg, würde ich sagen.“

    Ich vertraute auf Feurigels Spürsinn, was die Orbs anbelangte, und schulterte unterdessen ein kleines Körbchen. Letztens hatten wir bemerkt, dass die Pirsifbeeren zur Neige gegangen waren und wir eigentlich neue sammeln mussten. Da allerdings der Weg für die Beeren zu weit gewesen wäre, nahmen wir hin, sie dieses eine Mal bei den Kecleon-Brüdern zu kaufen.

    „Auf geht’s!“

    Ich hob einen Arm in die Höhe und Feurigel tat es mir gleich. Anschließend trennten wir uns auf dem Weg nach Auendorf, um unsere Vorhaben zu erledigen. In gewisser Hinsicht war ich aufgeregt, heute doch noch einer Mission nachzugehen. Nachdem wir uns am Vortag auf keinen Auftrag einigen konnten, wollten wir den Tag in Ruhe genießen. Aber wer hätte schon ahnen können, dass uns ausgerechnet ein Brief mit unbekanntem Absender bei der Stange halten würde?

    Der Weg zum Stand der Kecleon-Brüder war rascher zurückgelegt als erwartet. Ich hielt in einiger Entfernung an und bemerkte nun, dass ich etwas flott unterwegs gewesen war und der Herzschlag erhöht war. Insgeheim tat ich das als Abenteuerdrang ab. Seitdem ich bei Zwottronin in die Lehre gegangen war und an meiner Verfassung arbeitete, konnte ich mich deutlich mehr für die Erkundung fremder Orte begeistern. Es war auch seit diesem Erlebnis mit der Spieluhr, dass ich selbst ruhiger geworden war und mich nicht mehr so einfach Panik überfiel. Eine Tatsache, die auch Feurigel hin und wieder anmerkte.

    Ich lächelte bei dem Gedanken und trat nun näher an den Stand heran. Wie ich schnell erkannte, wurde gerade Curelei, eine der beiden Inhaberinnen der Bänderstube, bedient. Die Kecleon überreichten ihr die zuvor erworbenen Sinelbeeren und sie bedankte sich mit heller Stimme für den Service.

    „Na, wen haben wir denn da?“, fragte Leon in meine Richtung und Leo vollführte eine Pirouette.

    „Unser Lieblingsgast des heutigen Tages! Hat eure Suche nach den Münzen ein strahlendes Ende genommen?“

    „Oder scheint euch doch nicht das Glück aufs Haupt?“

    Während sich die Kecleon johlend an den Händen nahmen und zu ihren Wortwitzen beglückwünschten, seufzte ich nur. Auch Curelei wurde nun auf mich aufmerksam und sie hob eine Hand, um zu grüßen.

    „Guten Tag, Memmeon! Seid ihr wieder auf einer Mission?“

    „Hallo, Curelei! Wir werden heute nur einen bestimmten Ort für Tafforgita erkunden, mehr nicht. Tatsächlich wissen wir selbst noch nicht, was uns genau erwarten wird.“

    „Tafforgita?“, fragte Curelei interessiert nach, als sie plötzlich einen Geistesblitz hatte. „Oh … oh, ja! Das freut mich! Ich hoffe, dass ihr fündig werdet!“

    Ich wollte schon meinen Wunsch mitteilen, als sich Leo weit über die Theke neigte. Den Tanz hatten die beiden mittlerweile schon wieder beendet.

    „Worüber redet ihr? Seltenheiten, ohne dass wir etwas davon erfahren?!“

    Leon hielt seinen Bruder zurück, damit er nicht noch weiter über die Ladenfläche rutschte.

    „Ihr müsst ihn entschuldigen. Bei seltenen Items wird er immer hellhörig.“

    „Schon in Ordnung“, antwortete ich wahrheitsgetreu und deutete auf eines der Regale hinter den beiden. „Könnte ich bitte zwei Pirsifbeeren haben?“

    „Natürlich!“

    Leo nahm die gewünschten Beeren und überreichte sie mir. Tatsächlich hatte er sie mit dem Rabatt von fünf Prozent berechnet, was mich durchaus überraschte. Ich bedankte mich bei den beiden und verabschiedete mich von Curelei. Als mein Blick in den Korb fiel, bemerkte ich etwas schimmern. Ich war mir sicher, dass keines der Kecleon die Gelegenheit hatte, etwas hineinzuwerfen, aber da war doch erneut eine dieser Münzen. Bald konnten wir wohl ebenfalls eine Sammlung wie Tama eröffnen.

    Mit grübelnden Gedanken kehrte ich schließlich zur Basis zurück.


    Während ich wartete, hatte ich die gekauften Pirsifbeeren bereits auf den Tisch gelegt und den Korb wieder in seiner angestammten Ecke verstaut. Feurigel benötigte tatsächlich länger als erwartet, aber vielleicht war sie auch in ein Gespräch mit Kangama und Tama vertieft. Aus Erfahrung wusste ich, dass das etwas länger dauern konnte, wenn ein passendes Thema gefunden wurde.

    Da ich bis zu ihrer Rückkehr nicht viel unternehmen konnte, nahm ich erneut den Brief und eine der Münzen in die Hand. Als ich die Muster darauf betrachtete, konnte ich mit viel Fantasie etwas erkennen, was einem Gesicht ähnelte. Auf unbestimmte Art und Weise fühlte ich mich plötzlich beobachtet und sah hinter mich. Wie erwartet befand sich dort aber nichts außer einigen Möbeln. Ich schüttelte den Gedanken ab und legte die Gegenstände wieder weg. Nach wie vor fiel es mir schwer, einen Zusammenhang zwischen diesen Münzen, der Nachricht und dem Verschwinden der Schmiedemeisterin festzustellen. Im schlimmsten Fall wurde sie von jemandem festgehalten, was ich tatsächlich nicht ausschließen konnte.

    Während ich grübelte und die Optionen durchging, kam Feurigel mit einer gefüllten Item-Box zurück.

    „Tut mir leid, dass es länger gedauert hat. Kangama wurde von so vielen verschiedenen Teams aufgesucht, die ihre Missionen vorbereiteten, dass ich kaum zum Zug kam.“

    „Kein Problem“, gab ich lediglich zurück und lächelte. „Ich hatte schon befürchtet, dass ihr in ein Pläuschchen vertieft gewesen wärt. Da lag ich aber wohl falsch.“

    Feurigel schmunzelte und legte die Box sanft auf dem Boden ab.

    „Außerdem habe ich die hier noch erhalten.“

    Sie ging zum Tisch und ließ auf den bereits angehäuften Stapel Münzen eine weitere fallen. Ich seufzte, als ein leises Klimpern erklang.

    „Tama?“

    „Tama. Wenn wir nicht noch mehr haben wollen, sollten wir das Lager vermutlich bis auf Weiteres meiden. Was meinst du?“

    Ich prustete aufgrund des Vorschlags. Immerhin war das leichter gesagt als getan, unseren Vorrat an Items nicht mehr aufsuchen zu können. Insbesondere als Erkundungsteam mit regelmäßigen Aufträgen. Feurigel fuhr jedenfalls fort.

    „Also, ich habe vier Äpfel, drei Tsitrubeeren, zwei Top-Elixiere sowie je einen Scanner-Orb und einen Vital-Orb. Macht mit deinen … wie viele Pirsifbeeren hast du gekauft?“

    „Zwei“, sagte ich und deutete auf den Tisch, wo sie in aller Seelenruhe lagen. Feurigel sah in die Richtung und griff sich an den Kopf, als sie erkannte, die Beeren eigentlich schon gesehen zu haben.

    „Ach, stimmt. Also, zwei Pirsifbeeren. Dann sollten wir für den übrigen Tag gut gerüstet sein. Zumindest ist es nicht die erste Übernachtung im Freien und wir wissen ja schon einigermaßen, worauf wir achten müssen.“

    „Ja. Vor allem, dass ich mich nicht bei jedem kleinen Geräusch ängstige, sollte es einfacher für uns machen.“

    Bei der Vorstellung musste ich selbst über mich lachen. Als wir zum ersten Mal auf einer längeren Erkundung waren, mussten wir uns nachts in einer kleinen Höhle ein Lager aufbauen. Wir wechselten uns dabei mit der Wache ab, damit uns niemand plötzlich überfallen konnte. Ich war jedoch aufgrund der nachtaktiven Pokémon so starr, dass ich mich kaum rühren konnte und froh war, als Feurigel aufwachte. Es war ein Erlebnis, das mich seither begleitete und zeigte, dass ich mich auch charakterlich weiterentwickelt hatte. Das gehörte wohl ebenfalls zu einem Erkundungsteam dazu, an sich selbst zu wachsen.

    „Nun denn, dann können wir theoretisch aufbrechen“, meinte Feurigel, als sie die Pirsifbeeren auch noch in der Box verstaut hatte. Gerade als sie diese schulterte, klopfte es an der Tür. Wir hatten keinen Besuch erwartet und waren dementsprechend überrascht, dass uns noch jemand aufsuchen wollte.

    Ich öffnete langsam die Tür und bemerkte, dass sich Curelei bei uns eingefunden hatte.

    „Hallo“, entgegnete ich ihr und wollte schon beinahe fragen, was sie denn von uns wollte. Davon hielt mich nur ihre etwas zögerliche Begleitung ab, der wir heute schon einmal begegnet waren.

    „Tafforgita?!“


    Abwechselnd betrachtete ich Curelei sowie Tafforgita und fragte mich, warum uns die beiden aufgesucht hatten. Mein Blick fiel zurück auf Feurigel, die die Item-Box erneut abgelegt hatte und sich nun zum Eingang an meine Seite begab.

    „Guten Tag, ihr beiden“, begrüßte uns Curelei lächelnd und deutete mit einer Hand zu Tafforgita. „Memmeon sagte beim Markt, dass ihr schon miteinander zu tun hattet. Ich schätze, ich muss euch also nicht weiter vorstellen.“

    Erwartungsvoll sahen wir ihre Begleitung an, die sich jedoch eher dazu anschickte, einen Punkt auf dem Boden zu fixieren.. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht recht, wie ich darauf reagieren sollte. Offenbar gab es einen bestimmten Grund, den Tafforgita nun nicht teilen wollte.

    Auch Curelei erkannte die mehr als auffällige Zurückhaltung und so schwebte sie an ihre Seite.

    „Gib dir einen Ruck“, flüsterte sie gerade so laut, dass ich es noch hören konnte. „Sie können dir helfen, da bin ich mir sicher.“

    Mit misstrauischem Blick sah Tafforgita nun zu ihrer Freundin und nickte nach kurzer Zeit. Daraufhin trat sie zwei Schritte vor und verbeugte sich.

    „Hölpt mi bitte, de Meestersche zu finden. Ik biete ok mien Help an, um euch zu ünnerstütten.“

    Mit jedem weiteren Wort wurden meine Augen größer. Tatsächlich hatte ich nicht mit ihrer Hilfe gerechnet, nachdem sie uns in der Schmiede frühzeitig abgewiesen hatte. In mir machte sich das Gefühl breit, dass uns Tafforgita eine enorme Hilfe sein konnte, sofern sie die Lokalitäten besser kennen sollte. Dennoch würde ihre Begleitung einer Eskortmission gleich kommen, die nicht ohne Grund als eine der schwierigsten Auftragsarten galt.

    Bevor ich meine Gedanken vollständig sortiert hatte, nahm sich Feurigel dem weiteren Gesprächsverlauf an.

    „Hast du zufällig Kampferfahrung? Wir müssen eventuell damit rechnen, von anderen Pokémon aufgehalten zu werden.“

    Sie richtete sich wieder auf und ballte eine Hand zur Faust.

    „Kloor! Ik kann ok Essen mitnehmen, wenn dat nödig is. Wir kaamt ja vun wiet her un dar sünd wi dat Reisen gewöhnt.“

    Ihre Entschlossenheit war deutlich zu hören und dass sie sich im Zweifel selbst verteidigen konnte, würde uns tatsächlich sehr bei der Suche entgegenkommen. Persönlich hatte ich meine Entscheidung bereits getroffen. Mein Blick kreuzte sich mit Feurigels und sie nickte, um mir still ihr Einverständnis zu geben.

    „Perfekt! Dann … würden wir uns sehr freuen, wenn du uns zu den Tarne-Ruinen begleitest. Wir wollten gerade eben aufbrechen und …“

    „Dann haal ik noch mien Zeug! Wartet kort!“, unterbrach mich Tafforgita und verabschiedete sich hastig von uns. Anschließend lief sie in Richtung des Hauptplatzes, von wo sie die Schmiede am besten erreichen konnte.

    Curelei lachte aufgrund der stürmischen Begeisterung und sie wandte sich nun wieder an uns.

    „Nehmt es ihr bitte nicht übel. Sie hat lange gezögert, Unterstützung zu suchen und ich musste sie heute auch sehr eindringlich überreden, mitzukommen. Seit einigen Tagen sitzt sie nun lustlos in der Schmiede und ich habe mir zunehmend Sorgen um sie gemacht. Sie wird euch auf jeden Fall eine großartige Hilfe sein!“

    „Hoffentlich, ja.“

    Meine Unsicherheit über die Eskorte war kaum zu überhören und ich hoffte, dass Curelei das nicht negativ auffasste. Sie hielt sehr viel auf uns und zeigte sich auch immer zuvorkommend, wenn wir sie um einen Gefallen baten. Dementsprechend war es nur natürlich, dass wir uns nun auch einer ihrer Bitten annahmen.

    „Das wird schon irgendwie“, kommentierte Feurigel die Situation und klopfte mir auf den Rücken. Ich musste verschmitzt lächeln. Sie hatte damit natürlich recht und ich nahm das zum Anlass, positiv nach vorne zu blicken.

    „Ach ja, eine Sache noch“, sagte Curelei und übergab uns eine weitere Münze. „Mir wurde gesagt, ihr würdet die sammeln. Vielleicht habt ihr dafür gute Verwendung.“

    Weder Feurigel noch ich wussten, was wir auf die nett gemeinte Geste antworten sollten. Mit einem etwas verhaltenen Danke nahm ich die Münze an und legte sie zu den anderen. In der Zwischenzeit hatte meine Partnerin erneut die Item-Box aufgenommen und wir begaben uns nach draußen.


    Da nun alle Vorbereitungen getroffen waren, schlossen wir die Tür ab und warteten lediglich auf Tafforgitas Rückkehr. Aufgrund ihrer Eiligkeit schloss ich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis wir aufbrechen konnten. Curelei hatte in der Zwischenzeit begonnen, eine Blüte in der Nähe aufzunehmen und an ihren Kranz zu hängen. Anschließend nahm sie das lose Ende der Ranke und begab sich erneut zu uns.

    „Sag mal, wie habt ihr beide euch eigentlich kennengelernt?“, fragte Feurigel mit schief gelegtem Kopf. Sie spielte womöglich darauf, dass die beiden schon lange befreundet sein mussten.

    „Nun, das war folgendermaßen“, sagte Curelei und blickte uns abwechselnd an, während sie erzählte. „Tafforgita hat, wie ihr, tatsächlich auch einmal ein speziell angefertigtes Band bei uns bestellt. Wenn ich mich nicht täusche, hat sie es sogar noch immer. Jedenfalls hat sie bei der Abholung gefragt, wie ich meinen Feenzauber auf die Stoffe anwende und da sind wir ins Gespräch gekommen. Es war wirklich faszinierend, ihre Sichtweise zu hören und unsere Erfahrungen auszutauschen! Ich denke, dass ich seitdem auch viel gelernt habe, meine eigenen Kreationen zu verfeinern.“

    „Feenzauber also“, wiederholte ich ein Wort, das ich auch schon in der Schmiede gehört hatte. Offenbar hatten alle Pokémon dieser Art eine ganz eigene Art und Weise, ihre Fähigkeiten anzuwenden und Objekten besondere Eigenschaften zu geben. Die Textilien aus der Bänderstube wurden von Matrifol angefertigt und von Curelei wohl mit einer Art Zauber belegt. Als ich nun mein eigenes Teamband betrachtete, verstand ich auch etwas besser, warum es mit mir gemeinsam unsichtbar wurde. Gleichzeitig fragte ich mich, wie Tafforgita wohl ihr Talent bei Werkzeugen einarbeitete.

    „Ja!“, rief Curelei schwärmend und drehte sich dabei fröhlich einmal herum. „Ohne Matrifols filigrane Arbeit würde mein Zauber aber nicht so gut wirken. Sie ist der eigentliche Star unserer Stube.“

    „Gewissermaßen seid ihr euer eigenes Team“, schlussfolgerte Feurigel. „Gemeinsam könnt ihr alles vollbringen, wie die Erkundungs- und Retterteams dieser Welt.“

    „Schön gesagt! Wo wir schon bei Erkundung sind“, Curelei drehte sich in die Richtung, in der Auendorf lag, „eure neue Mitstreiterin scheint wieder zu kommen.“

    Wir hatten uns bereits darauf eingestellt, dass Tafforgita eine eigene Tasche mit Proviant mitnehmen würde. Tatsächlich hatte sie aber einen massiven Hammer geschultert, der uns größenmäßig überragte. Mir fehlten die Worte, darauf angemessen zu reagieren.

    „Was … ist das?“, fragte Feurigel interessiert, obwohl sie ebenfalls nicht genau wusste, was der Auftritt zu bedeuten hatte.

    „Mien Hamer. Ahn em geh ik nie op Erkundung. Ik kann dar mit ümgahn, wenn ihr jo Sorgen maakt.“

    Zur Demonstration ihrer eigenen Worte schwang Tafforgita den Hammer mehrmals hin und her. Sie erweckte dabei kaum den Eindruck, als hätte sie ihre eigenen Fähigkeiten überschätzt oder übermäßig geprahlt. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie schwer er war und doch war ich sehr erstaunt, welche Stärke sie besaß. Vielleicht würde das bei eventuellen angreifenden Pokémon auch für entsprechenden Eindruck sorgen.

    „Äh, toll!“, stammelte ich und reichte Tafforgita nun die Hand. „Willkommen im Team! Gemeinsam werden wir deine Meisterin finden.“

    Nachdem sie ihren Hammer abgelegt hatte, lächelte sie und schlug ein. Es war in diesem Moment, dass mir an ihrem Arm ein ebenfalls reich verziertes Band auffiel. Hatte Curelei vorhin vielleicht von diesem gesprochen oder von einem anderen?

    „Dann wollen wir mal. Alle bereit?“, fragte Feurigel und sowohl Tafforgita als auch ich stimmten mit einem lauten Ja zu. Anschließend nahmen wir unsere Sachen und machten uns rasch auf den Weg zu den Tarne-Ruinen. Dank der Wegbeschreibung und der Anweisungen unserer Klientin waren wir zuversichtlich, den Weg zu finden.

    Als ich mich noch einmal zu Curelei umdrehte, sah ich, wie sie etwas in unseren Briefkasten warf. Sie erschrak, als sich unsere Blicke kreuzten, und winkte lediglich zum Abschied, bevor sie wieder in Richtung des großen Dorfplatzes aufbrach. Ich seufzte. Wie viele Münzen trug sie wohl noch mit sich herum?


    Wir hatten bereits ein gutes Stück des Weges zurückgelegt, als wir eine kleine Pause im Schatten eines großen Baumes einlegten. Hunger verspürte aktuell noch niemand von uns, allerdings war es wichtig, sich nach gewisser Zeit von den wärmenden Strahlen der Sonne zu erholen. Ein Windhauch pfiff dabei durch die Baumkrone und ließ das dichte Blätterdach laut rascheln, während wir die Kühle genossen.

    „Eigentlich könnte ich den ganzen Tag jetzt hier verbringen“, meinte Feurigel ausgelassen und legte sich mit dem Bauch voran ins Gras. Beinahe konnte ich ihrer Idee zustimmen, wenn zumindest ein kleiner See oder etwas Ähnliches zum Schwimmen in der Nähe gewesen wäre. Im Wasser fühlte ich mich noch immer am wohlsten, wenn ich mich tatsächlich entspannen wollte. Mit einem Blick zu Tafforgita, die ihren Hammer beiseite gelegt und einen Punkt in der Ferne anvisiert hatte, machte ich mir jedoch wieder bewusst, warum wir eigentlich unterwegs waren.

    „Du wirst noch genug Zeit haben, im Schatten schlafen zu können“, erwiderte ich und knuffte sie in die Seite. Feurigel ließ sich davon jedoch nicht irritieren und sie gähnte stattdessen herzhaft, um ihre Müdigkeit zu zeigen.

    „Ich kann’s kaum erwarten! Aber wir sollten uns zumindest noch darum kümmern, in die Nähe der Ruinen zu gelangen. Ansonsten war die rasche Vorbereitung heute umsonst.“

    „So lobe ich mir das!“, rief ich und lächelte dabei. Schließlich half es nichts, bereits auf halber Strecke aufzugeben und eventuell wieder umzudrehen. Insbesondere unsere Klientin würde das alles andere als glücklich machen. Mich erinnerte das allerdings daran, dass ich noch etwas in Erfahrung bringen wollte.

    „Warst du schon einmal bei den Tarne-Ruinen, Tafforgita?“, fragte ich sie direkt. Nach einem ersten misstrauischen Blickwechsel sah sie in einem Moment zu Boden und nahm kurz danach wieder Kontakt auf.

    „Jo, ik weer nich bloot einmal dar. Siet dat letzte Maal is dat aver al lang her.“

    „Verstehe, danke!. Das wird uns vor Ort zumindest helfen, wenn wir nicht nur auf unseren Spürsinn angewiesen sind.“

    Tafforgita nickte lediglich und wandte sich schließlich wieder ab. Ihre Reaktion löste in mir erneut eine Welle des Unbehagens aus. Wir hatten auf dem Weg hierher bereits einige Male versucht, sie in Gespräche einzubinden und mehr über sie zu erfahren. Sofern wir mit anderen Pokémon zu tun hatten, war das unsere ganz normale Praxis, um nicht nur unter uns zu bleiben. Leider war Tafforgita bisher recht einsilbig gewesen und sie beteiligte sich in erster Linie an Fragen, die mit der Mission selbst zu tun hatten. Es wirkte beinahe so, als würde sie uns trotz des guten Zuspruchs durch Curelei nicht vollständig vertrauen. Als ich mir die Situation aus der Schmiede wieder ins Gedächtnis rief, konnte ich das allerdings bestens nachvollziehen. Wenn sie sich tatsächlich nicht getraut hatte, mit ihrem Anliegen zu anderen zu gehen, warum sollte sie auch plötzlich ihr Herz vor uns ausschütten? Eventuell benötigte sie auch einfach mehr Zeit, um sich mit uns zu arrangieren.

    „Das kannst du laut sagen!“, pflichtete mir Feurigel bei, die sich nun wieder aufgerichtet hatte. „Nun denn, wollen wir uns wieder auf den Weg machen? Oder benötigt ihr noch eine Weile?“

    „Von mir aus kann’s weitergehen“, gab ich zurück und sah unterdessen zu Tafforgita. „Wie sieht es bei dir aus?“

    Erneut benötigte sie eine Weile, bevor sie langsam von ihrem Platz aufstand und sich zu einer Antwort durchringen konnte. Mit geschultertem Gepäck und dem aufgenommenen Hammer signalisierte sie uns sehr deutlich, dass sie wieder bereit war.

    „Ja, laat uns wieder.“

    Somit erhoben wir uns ebenfalls und bestimmten anhand eines mitgebrachten Kompasses unseren weiteren Weg. Wir wollten schon aufbrechen, als Feurigel hinter dem Baum etwas auf dem Boden liegen sah. Sie bückte sich danach und schon beim Aufrichten murmelte sie einige unverständliche Worte. Ich sah gerade noch etwas schimmern, als sie das Objekt in unserer Item-Box verstaute und ohne zusätzliche Anmerkung voraus deutete. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass wir bis zu den Ruinen noch einige mehr finden würden. Aber wer würde sie bitte hier draußen verstreuen?


    Als wir den Blitzhügel schließlich erreicht hatten, war die Sonne bereits am Untergehen. Mit ihrer letzten noch verbliebenen Kraft tauchte sie die Umgebung in ein schimmerndes, warmes Lichtermeer und kündigte die bevorstehende Nacht langsam an. Die Dämmerung würde bald einsetzen und für uns bedeutete das, dass wir für einen Unterschlupf sorgen sollten. Damit wir diesem Ziel schneller näher kamen, trennten wir uns und suchten rund um den Blitzhügel nach Möglichkeiten, um die Nacht sicher zu verbringen. Natürlich machten wir uns dabei gleichzeitig einen gemeinsamen Treffpunkt aus, damit wir uns anschließend wieder fanden.

    Während meiner Erkundung hatte ich die Möglichkeit, mir den Hügel etwas genauer anzusehen. Daher stieg ich zuerst einmal ganz hinauf und sah mich von dort um. Was ich als den höchsten Punkt der Anhebung ausmachen konnte, schien das Ende zu sein, das bildlich oft in den Boden einschlug. Von hier aus konnte ich auch die zackenartige Form des Hügels sowie die steilen Abhänge ausnehmen, durch die er zu seinem Namen kam. Ich konnte mir schon vorstellen, warum dieser Ort als etwas Besonderes für umfangreiche Geschichten angesehen wurde.

    Die wenigen Bäume in der Umgebung schienen mir als nächtlicher Schlafplatz eher ungeeignet zu sein. Daher ging ich die Anhöhe wieder hinab und sprang schließlich an einer Stelle, von der ich mir sicher war, keine Verletzungen zu erleiden. Von hier folgte ich der aufragenden Felswand weiter nach unten, bis ich mich unter meinem vorherigen Aussichtspunkt befand. Zwar hatte ich nicht damit gerechnet, aber hier befand sich tatsächlich der Eingang zu einer kleinen Höhle. Um sicherzugehen, dass sich darin nicht schon jemand befand, rief ich einige Worte hinein. Zurück kam jedoch nur ein besonders leises Echo und ich wagte mich dementsprechend weiter voran, um sie zu erkunden. Klein war hier ein gutes Stichwort, da sie nur Platz für wenige Pokémon fassen konnte. Ideal also für uns, um hier die Nacht zu verbringen. Zudem fand ich auf dem Boden eine weitere dieser mysteriösen Münzen. Es schien beinahe so, als wäre hier irgendwann einmal jemand vorbeigekommen.

    Somit kehrte ich positiver Dinge zum Treffpunkt zurück, wo Tafforgita bereits wartete. Mit einem Kopfschütteln zeigte sie mir schon von Weitem, dass sie keinen Erfolg bei der Suche hatte. Nur wenig später kehrte schließlich auch Feurigel zurück. In ihren Händen trug sie einige Zweige, jedoch machte sie ebenfalls einen enttäuschten Eindruck.

    „Leider nichts Gutes in dieser Richtung. Aber zumindest etwas Brennbares für Feuer, falls wir eines benötigen“, meinte sie und bemerkte nun meinen strahlenden Gesichtsausdruck. „Ich schätze, du warst erfolgreicher?“

    „Ja! Folgt mir, dann zeige ich euch die Stelle, die ich gefunden habe.“

    Mit ausgestrecktem Arm deutete ich zum Fuß der Anhöhe und schritt hastig voran. Tafforgita konnte trotz ihres Hammers gut mit mir Schritt halten, während Feurigel Mühe hatte, mit ihren gesammelten Zweigen nachzukommen. Vor dem Eingang warteten wir auf ihre Ankunft und wir traten schließlich gemeinsam ein.

    „Tolle Stelle zum Übernachten!“, kommentierte Feurigel den Innenraum staunend und ließ das Holz etwa in der Mitte der Höhle fallen. „Wenn wir nicht allzu hart liegen wollen, sollten wir vielleicht noch nach Blättern oder Ähnlichem suchen. Ich habe zumindest keine Lust auf Rückenschmerzen.“

    „Oder wir riskieren es dieses eine Mal“, meinte ich und sah zu Tafforgita. „Möchtest du ein Bett haben?“

    Bevor wir noch eine Antwort erhielten, hatte sie bereits ihren Hammer an die hintere Höhlenwand angelehnt und sich davor hingesetzt. Anschließend lehnte sie sich rücklings an und ruhte sich für den Moment aus.

    „Danke, aver ik slaap lever so.“

    „Wenn du meinst“, sagte Feurigel und sie schickte sich an, erneut nach draußen zu gehen. Da ich ihre Absicht erkannte, folgte ich ihr und gab unserer Klientin zu verstehen, dass es eine Weile dauern könnte, bis wir zurückkamen. Tatsächlich waren wir nicht allzu lange beschäftigt, um uns ein provisorisches Bett aus Blättern zu bauen. Somit waren wir nun perfekt für die Nacht gerüstet.

    Mit einigen weiteren Zweigen entzündeten wir schließlich ein kleines Lagerfeuer, um das wir uns alle drei versammelten. Obwohl ich bereits zur Item-Box gegriffen hatte, streckte Tafforgita Feurigel und mir jeweils einen Apfel entgegen. Sie vermied dabei jedoch den Blickkontakt.

    „Hier, för … joon Arbeit.“

    Ich sah zu meiner Partnerin, die den für sie bestimmten Apfel nahm, und sie lächelte mich anschließend an. Diese Geste konnte ich nur freudig erwidern. Da wir nun so knapp vor unserem Ziel waren, taute Tafforgita vielleicht langsam auf und schien uns in der Gruppe mehr zu vertrauen. Es erfüllte mich mit dem Willen, ihren Wunsch morgen zu erfüllen und die Schmiedemeisterin zu finden. Für den Moment konzentrierten wir uns aber darauf, die angebotene Stärkung zu uns zu nehmen. Tafforgita hatte sich ebenfalls einen Apfel genehmigt.

    „Mahlzeit!”, sagte Feurigel und nahezu gleichzeitig bissen wir alle in unser Essen.


    Die Dunkelheit der Höhle umgab mich, als ich etwas müde nach draußen blickte. Zwar ließ der weitestgehend klare Himmel das Mondlicht ungehindert zur Erde durchscheinen, allerdings nahm er in dieser Nacht erst an Intensität zu. Über den Neumond wurden in vielen Teilen der Pokémon-Welt schaurige Geschichten erzählt. Glücklicherweise hatte unser Team noch nie etwas in diese Richtung ereilt und so genoss ich den einfallenden Lichtschein außerhalb unserer Schlafstätte.

    Obwohl ich mich mehrere Male nach Feurigel und Tafforgita umsah, konnte ich ihre Präsenz in der Finsternis nur erahnen. Die Glut des Lagerfeuers war bereits lang erloschen und bot somit auch keine Möglichkeit, sich zu wärmen. Maximal an Feurigel, wenn sie denn gut gelaunt war. Manchmal wünschte ich mir schon gerne, bei Nacht besser sehen zu können, um etwa auflauernden Pokémon zuvorzukommen. Andererseits konnte ich mir kaum vorstellen, nur bei Dunkelheit aktiv zu sein. Zu dieser Tageszeit ergaben sich völlig andere Situationen und Gefahren, wodurch das Leben sicherlich deutlich anders wäre, als ich es aktuell gewohnt war.

    Ein lautes Gähnen entkam meinem Mund. Ich merkte nun noch intensiver, dass ich während Feurigels Wache zu kurz geschlafen hatte. Wenn ich recht überlegte, war ich wohl einfach zu unruhig und das holte mich nun ein. Zu viele Dinge hatten mich heute beschäftigt, auf die es bisher keine Lösung gab. Insgeheim fragte ich mich, ob wir überhaupt auf der richtigen Spur waren.

    Für einige Momente schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf die Umwelt. Eine leichte Brise und das Rascheln von Gras und Blättern war zu vernehmen. Einige Pokémon schienen miteinander zu kommunizieren, wenngleich ich nicht bestimmen konnte, um welche es sich handelte. Zuletzt hörte ich neben mir ein dumpfes Geräusch, als würde sich jemand hinsetzen.

    Schlagartig riss ich die Lider auf und sah an meiner Seite Tafforgita. Mein Herzschlag ging merklich schneller, da ich nicht damit gerechnet hatte. Noch wusste ich nicht genau, was sie wollte. Dass sie allerdings Gesellschaft zu suchen schien, war im Vergleich zur bisherigen Reise eine deutliche Veränderung.

    „Kannst du nicht mehr schlafen?“, fragte ich leise, wohl darauf bedacht, Feurigel nicht zu wecken. Zumindest war es mir ein Anliegen, dass sie nach ihrer Wache ausreichend ruhen konnte, um am nächsten Tag fit zu sein.

    Tafforgita verweilte ruhig an ihrem Platz und sah dabei nach draußen. Sie schien keinen bestimmten Punkt anzuvisieren und wirkte beinahe etwas abwesend.

    „Danke“, sagte sie schließlich und ließ das Wort eine Weile zwischen uns stehen. Bevor ich noch fragen konnte, führte Tafforgita ihre Gedanken weiter aus. „Ihr hebbt jo ohne Tögen mien Probleem annahmen un dat reken ik jo hooch an. Euer Mut is bemarkenswert.“

    „Keine Ursache!“, antwortete ich lächelnd und hielt eine Hand vor die Brust. „Wir sind zwar eigentlich nicht auf Rettungen spezialisiert, aber wir konnten dich nach unserem Besuch in der Schmiede nicht im Stich lassen. Also … die Idee dazu kam uns kurz danach.“

    „Un Curelei hett dat wiederdragen“, schloss sie aus meiner Antwort und ich nickte.

    „Ohne sie wärst du jetzt nicht mit uns unterwegs.“

    Tafforgita begann leise zu lachen. Sie schien nun die meisten Zusammenhänge verstanden zu haben und mich freute es, dass etwaige Unklarheiten beiseite geschafft waren. Offenbar hatten sie ebenfalls die Ereignisse des Tages geplagt und da wunderte es mich nicht, dass sie das aktive Gespräch suchte.

    Während wir uns für eine Weile anschwiegen, öffnete sie ihre Faust und zeigte mir das Objekt, das sie schon die ganze Zeit dort versteckt hielt. Es war eine weitere Münze.

    „Was hat es mit der hier auf sich?“, fragte ich erstaunt. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass Tafforgita kein Interesse daran hatte und nicht zu sehr an das Verschwinden der Meisterin erinnert werden wollte. Mit festem Blick sah sie mir in die Augen und begann zu erzählen.

    „Die heff ik vun de Meestersche kriegen. Dat weer de eerste Münt, de se mitbröcht hett. Se is för mi en Oort Glücksbringer un en Erinnerung an ehr.“

    Die Erklärung erstaunte mich durchaus, da die Münzen wohl in erster Linie für das Verschwinden verantwortlich waren.

    „Es tut mir leid, dass es überhaupt so weit kam“, ergänzte ich und drückte so mein Mitgefühl aus. „Wir werden morgen aber auf jeden Fall erfolgreich sein. Da bin ich mir sicher!“

    „Meenst du?“, gab Tafforgita zurück und ich nickte lächelnd. Sie verfiel wieder in ein längeres Schweigen, bevor sie erneut zu sprechen begann. “Wenn ik ehrlich bün, heff ik jo nich de ganze Wohrheid vertellt.“

    Mein Interesse wurde nun geweckt. Ich rückte etwas näher an Tafforgita heran und hielt meine Hand auf ihre, in der sich die Münze befand.

    „Möchtest du mir mehr erzählen? Also, natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.“

    Sie gab ihr Einverständnis und überlegte, wo sie ansetzen sollte.


    „Hest du al mal vun Gierspenst höört?“

    Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Unter dem Begriff konnte ich mir absolut nichts vorstellen und zumindest in Auendorf hatte ich dieses Wort noch nie vernommen. Tafforgita schien meine Reaktion erwartet zu haben und fuhr unbeirrt fort.

    „Dat is Stoff vun eenig Sagen un Legenden. Zentraal weer an düsse Geschichten ümmer, dat Gierspenst veel Münten sammelt un sich so en Reichtum anhöpt hett. Eenige seggt sogaar, dat de so angesammelten Schätze unnermäßlich groot ween sollen. Se wurden aver nie funnen.“

    „Was hat das nun genau mit unserer Mission zu tun?“, fragte ich und sah Tafforgita misstrauisch an. „Wir suchen hier aber keinen Schatz aus einer Legende, oder?“

    „Nee“, sagte sie bloß und rückte schließlich näher an mich heran, um mir die Antwort im Flüsterton zu geben. „Gierspenst gifft dat würklich.“

    Mit einem Mal hatte Tafforgita meine volle Aufmerksamkeit. Eigentlich hätte es mir selbst dämmern müssen, dass sie all diese Informationen nicht ohne Grund weiter gab. Dass wir nun offenbar einer nie gefundenen Gestalt auf der Spur waren, machte die Sache sehr interessant.

    „Und lass mich raten: Deine Meisterin hat dieses Gierspenst in den Tarne-Ruinen gesucht und ist dabei verschwunden?“

    „Nee, se sünd goot Freunde“, antwortete sie und ich sog scharf Luft durch die Nase ein. „Egentlich hett se diese Münten söcht, um Gierspenst to helpen. Dorüm war de Meestersche ok oft hier bi de Ruinen. Se keem aver gaar nich mehr trügg un darüm sünd wi nu hier.“

    „Das heißt, wir suchen nicht nur nach der Meisterin, sondern auch nach Gierspenst, dem sie gern helfen wollte, richtig?“

    Auf diese Frage hin nickte Tafforgita. Während sie auf eine erneute Reaktion von meiner Seite wartete, ging ich die Situation ruhig in Gedanken durch. Tatsächlich waren mir nun einige Dinge klarer als zuvor und ich konnte mir einiges zusammenreimen. Möglicherweise war die Meisterin nicht verschwunden, sondern wurde irgendwie bei der Ausübung ihres Vorhabens aufgehalten. Am naheliegendsten wäre hier wohl Gierspenst selbst, aber welchen Sinn hätte es gehabt, wenn die meisten Münzen noch in der Schmiede lagen und sie daher nicht ohne Weiteres den Standort wechseln konnten? Vielleicht waren es aber auch andere Pokémon, die Wind von der Sache bekommen und die Meisterin bei den Ruinen abgefangen hatten. Auf Erkenntnisse folgten wiederum neue Fragen, doch eine brannte mir besonders auf der Zunge.

    „Hast du Gierspenst persönlich kennengelernt?“, bohrte ich nach und Tafforgita nickte erneut.

    „Dat weer en echt netten Gesell. De meiste Zeit hett he aver bi de Meestersche verbrocht. Deswegen kann ik dar nich mehr to sagen.“

    „Das ist in Ordnung“, schloss ich den regen Austausch zwischen uns. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir nicht mehr flüsternd, sondern schon in normaler Lautstärke gesprochen hatten Ein Blick zu Feurigel zeigte mir, dass sie glücklicherweise nach wie vor ruhig schlief.

    „Jedenfalls, danke, dass du mir das erzählt hast! Ich denke, dass wir dieses Wissen morgen bei den Ruinen gut nutzen können.“

    „Solang sik uns Gierspenst zeigt“, ergänzte sie ernst.

    „Da habe ich keine Zweifel“, sagte ich und lachte dabei leise. Unerwartet entkam auch Tafforgita ein Kichern, was ich anhand ihrer bisherigen Beteiligung an Gesprächen nicht vermutet hätte.

    „Du höörst anderen to un gifft ihnen dat Geföhl, alles to schaffen. Behalt dat bitte bi.“

    Verlegen wandte ich meinen Blick ab und suchte die Gegend außerhalb der Höhle nach etwas Interessantem ab. Am allerwenigsten hatte ich nun mit Schmeicheleien gerechnet. Dennoch spürte ich, dass es von Herzen kam und ihr in diesem Moment wichtig gewesen zu sein schien.

    Während ich mich sammelte und ablenkte, sah ich im Gras eine Münze liegen, die mir zuvor nicht aufgefallen war. Ich beschloss kurzerhand, ins Freie zu treten und sie herein zu holen. Mit dem Wissen über ihren Verwendungszweck konnte es sicher nicht schaden, mehr davon zu sammeln und Gierspenst einen Dienst zu erweisen. Sofern es sich als gut herausstellte, was ich dank der mir erzählten Geschichte erst einmal so hinnehmen musste.

    In der Zwischenzeit war Tafforgita aufgestanden und zurück zu ihrem Schlafplatz gegangen. Dort hatte sie ihren Hammer aufgenommen und sich anschließend wieder zu mir gesetzt.

    „Du kannst geern slapen gehn. Ik pass op, dat wi sicher sünd.“

    Mit dem riesigen Werkzeug in ihrer Hand nahm ich ihr das Angebot durchaus ab, dass sie für Schutz sorgen würde. Dennoch war es mir unangenehm, sie hier allein zurückzulassen, obwohl sie doch unsere Klientin war. Ich überlegte hin und her, ob ich darauf eingehen sollte.

    „Sünn wi nich en Team?“

    Mein verhaltener Blick hatte mich wohl verraten. Gleichzeitig überraschte mich Tafforgitas Aussage, da sie uns drei als Team ansprach. Im Inneren schalt ich mich still, überhaupt angezweifelt zu haben, dass wir nicht zusammenarbeiten würden. Weswegen wären wir sonst dieser Spur bis hierher zum Blitzhügel nachgegangen?

    „Abgemacht! An dir kommt in dieser Nacht sicher niemand vorbei.“

    Ein weiteres Gähnen entkam meinem Mund und ich wusste nun sicher, dass ich Schlaf nachzuholen hatte. Daher streckte ich meine Glieder zur Entspannung und anschließend stand ich auf, um mich zum Schlafplatz neben Feurigel zu begeben.

    „Gode Nacht!“, sagte Tafforgita in meine Richtung.

    „Gute Nacht! Eine Sache noch“, begann ich und haderte zuerst damit, den Gedanken laut auszusprechen. Als sie einige Momente später interessiert nachfragte, überwand ich mich schließlich dazu. „Ich … mag deine Ausdrucksweise. Sie klingt etwas fremd, aber das macht dich einzigartig.“

    Tafforgita bedachte mich zuerst mit einem ernsten Blick, bevor sie ein Lächeln aufsetzte und still den Blick nach draußen verlagerte. Nun wieder etwas verunsichert legte ich mich neben Feurigel und schloss die Augen. Insgeheim fragte ich mich dabei, wie sie die Aussage wohl aufgefasst hatte.


    Am folgenden Morgen erwachten sowohl Feurigel als auch ich langsam aus unserem Schlummer. Für unser Gefühl war es noch viel zu früh und die anhaltende Dämmerung bestätigte unseren Verdacht. Im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als mich Tafforgita abgelöst hatte, fühlte ich mich nun allerdings wesentlich wacher. Das musste ich wohl auch sein. Immerhin musste ich Feurigel noch in die neuesten Erkenntnisse einweihen, sofern sie davon nicht im Halbschlaf etwas mitbekommen haben sollte.

    Während sich Feurigel noch einmal herum drehte und vermutlich zu dösen versuchte, erhob ich mich und streckte meine Glieder ausgiebig. Mein erster Blick fiel zum Eingang der kleinen Höhle, wo nach wie vor Tafforgita saß. Den Hammer hatte sie wohl irgendwann in der Nacht beiseite gelegt, um das Gewicht nicht ständig tragen zu müssen.

    „Guten Morgen“, grüßte ich sie, wenngleich keine Reaktion zurückkam. Vielleicht hatte sie mich auch einfach überhört? Als ich mich an ihre Seite gesellte, merkte ich erst, dass Tafforgita im Sitzen eingeschlafen war. Ihr Atem ging ruhig und sie schien einen angenehmen Schlaf zu haben. Ein Lächeln huschte kurzzeitig über mein Gesicht, als ich sie betrachtete. Vielleicht hatte es ihr geholfen, über die näheren Umstände dieser Reise zu sprechen und so etwas Ballast abzuwerfen.

    Als sich nun endlich Feurigel erhoben und herzhaft gegähnt hatte, gab ich ihr zu verstehen, leise nach draußen zu gehen. Schließlich wollten wir unsere neue Teamkollegin nicht stören und da nutzten wir die Gelegenheit, die Morgenluft in uns aufzunehmen. Währenddessen erzählte ich meiner Partnerin ausführlich die Geschichte über die Schmiedemeisterin, Gierspenst sowie die rätselhaften Münzen, die nun seit einiger Zeit in Umlauf waren. Auch ihr erschlossen sich mit der Zeit immer mehr Zusammenhänge zwischen all den Vorfällen des letzten Tages.

    „Umso interessanter, dass die Kecleon von diesen Legenden noch nie etwas gehört haben wollten. Ob sie uns gestern die ganze Wahrheit erzählt haben?“

    „Ich denke schon“, sagte ich und zeigte in Richtung unseres kleinen Unterschlupfes. Zu lange wollte ich Tafforgita nicht alleine lassen, sofern sie denn schon wach war. „Wenn sie wirklich ein Geheimnis verborgen hätten, wäre das an ihrem Tonfall erkennbar gewesen. Die Brüder fangen dann immer an, abwechselnd zu sprechen.“

    „Stimmt auch wieder. Jedenfalls sollten wir wohl langsam etwas essen und uns bald auf den Weg machen. Wer weiß, wie lange uns der Aufenthalt in den Tarne-Ruinen beschäftigen wird.“

    Ihr Vorschlag leuchtete mir ein. Zwar hatte sich mein Magen bisher nicht gemeldet, aber ich verspürte dennoch eine undefinierbare Leere sowie das Verlangen nach einer kleinen Mahlzeit. Der Proviant in der Item-Box würde da sicherlich Abhilfe schaffen.

    „Übrigens habe ich vorhin beim Aufstehen einer dieser Münzen neben mir entdeckt. Keine Ahnung, wie die da hinkam, aber vermutlich können wir sie mit dieser Information nun besser nutzen als zuvor.“

    Sie zeigte mir das schimmernde Objekt und ich stimmte zu. Immerhin hatte ich nachts dieselbe Idee gehabt und vielleicht würden wir Gierspenst damit sogar eine Freude machen.

    Als wir gerade an Tafforgita vorbeigegangen waren, schreckte sie hoch und wandte sich rufend an uns. Feurigel bedachte sie mit einem kurzen, starren Blick und ich gab weiterführend zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie wohl in der Nacht eingenickt war. Verlegen wollte sie sich von uns abwenden, da hatte Feurigel aber schon einen besonders reifen Apfel aus unserer Item-Box genommen. Diesen präsentierte sie Tafforgita, die das Essen etwas zögerlich annahm.

    „Guten Appetit!“, ergänzte ich noch und schnappte mir nun selbst eine Pirsifbeere. Jeder kleine Bissen sorgte dafür, dass ich mich kräftiger fühlte und irgendwann war das Hungergefühl verschwunden. Die Süße der Beere war an diesem Morgen wirklich das Richtige, um in die Gänge zu kommen!

    Auch Feurigel hatte sich eine Mahlzeit genehmigt, wobei ihre Wahl auf einen Apfel fiel. Sie achtete sehr akribisch darauf, möglichst alles aufzuessen und stärkte sich so für den bevorstehenden Tag.

    Als ich bereits fertig geworden war, hatte nun auch Tafforgita begonnen, den ihr angebotenen Apfel zu verspeisen. Sie wirkte noch immer etwas verwirrt aufgrund der Situation vorhin, aber schien nun wesentlich gefasster zu sein. Nach ihrem freundschaftlichen Dienst gestern Abend empfand ich es nur als selbstverständlich, dass wir uns gegenseitig unterstützten.

    „Bi dat nächste Maal bin ik vörsichtiger“, sagte Tafforgita schließlich etwas kleinlaut, was Feurigel entschlossen abwinkte.

    „Kein Problem. Wenn man müde ist, sollte man auch viel schlafen. Ihr kennt das ja von mir, wenn ich mal wieder zu lange döse.“

    Ihre Aussage brachte uns tatsächlich alle zum Lachen und die Stimmung wurde so schnell wieder aufgeheitert. Schließlich gab es keinen Grund, Trübsal zu blasen oder die eigene Leistung zu schmälern. Dafür waren wir schon zu weit gekommen.

    Nach einigen letzten Vorbereitungen und Besprechungen ließen wir unsere Schlafstätte hinter uns und machten uns wieder auf den Weg. Der Himmel war bereits hell geworden und wenige kleine Wolken schwebten über das Land hinweg. Es schien so, als würde es erneut ein sehr schöner Tag werden. Mit Karte und Kompass sowie der langsam aufsteigenden Sonne bestimmten wir schließlich, wo es weiter ging.

    „Also dann“, sagte ich und deutete in die Richtung, in der sich die Ruinen offenbar laut unseren Aufzeichnungen befanden. „Seid ihr bereit?“

    „Ja!“, stimmte Feurigel mit ein und schritt voran. Ich überließ ihr gerne die Führung, während ich mich erneut zu Tafforgita umdrehte. Mit einer einladenden Bewegung gab ich ihr ein Zeichen und sie nickte entschlossen.

    „Gah op!“

    Damit setzten wir die Reise fort.


    Den Blitzhügel hatten wir nun bereits einige Zeit hinter uns gelassen. Auf dem Weg gerieten wir dabei in einen Wald mit sehr hohen Bäumen, der nur wenig Licht bis zum Boden durchscheinen ließ. Von hier war es offenbar nicht mehr weit bis zu den Ruinen, wenn wir der Information der Pelipper trauen konnten. Wenn sie hier für die tägliche Arbeit vorbeikamen, würden sie sicherlich über den Baumkronen hinweg fliegen und nicht ihre Zeit hier unten verbringen. Glücklicherweise konnten wir die Gebüsche abseits der Bäume ohne Probleme durchqueren und wurden nicht unnötig durch das Gelände aufgehalten.

    Nach einer Weile kam immer mehr Licht durch und offenbarte schon bald einige interessante Gewächse, die ich noch nie gesehen hatte. Aus guten Gründen hielt ich zu ihnen allerdings Abstand, um nicht in unangenehme Situationen zu geraten. Zu viele Geschichten hatte ich bereits von Teams gehört, die sich bestimmte Pflanzen während ihrer Erkundungen oder Aufträge genauer ansehen wollten und hinterher mit Sporen außer Gefecht gesetzt wurden.

    „Keine Sorge, ich bin da“, sagte Feurigel an mich gewandt. Ich hielt mit ihr Schritt und bemerkte, dass sie auf meine argwöhnischen Blicke reagiert hatte.

    „Den Wald abzufackeln wird uns allerdings nicht helfen, die Ruinen zu finden“, meinte ich und besah meine Umgebung. Das Dickicht bot ausreichend Möglichkeiten, um bei Unachtsamkeit einen verheerenden Brand zu starten.

    „Dich paralysiert auf dem Boden liegen zu sehen, würde maximal mich bei Laune halten“, konterte Feurigel und wir prusteten beide über die Aussage.

    „Dann sollten wir darauf achten, schnell weiterzukommen! Pflanzenkunde können wir uns auch an einem anderen Tag annehmen.“

    Während wir noch einige weitere Worte austauschten, hörten wir hinter uns ein verhaltenes Kichern. Wie wir bemerkten, hatte Tafforgita die Augen geschlossen und hielt eine Hand vor den Mund. Als sie sich wieder beruhigt hatte, trat sie an uns heran.

    „Ihr hebbt en gode Dynamik! Ik schätz, ihr sünd wiss schon lang en Team?“

    „Oh ja“, bestätigte Feurigel und grübelte, um sich die ersten Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen. „Wir hatten uns eher zufällig getroffen, als ich Memmeon bei einer Sache unterstützte. Anschließend hatten wir uns immer öfter gesehen und daraus entstand eine mittlerweile sehr innige Freundschaft. Dadurch haben wir uns letztendlich entschlossen, ein Erkundungsteam zu gründen.“

    „Wir nehmen aber auch gerne Aufträge abseits davon an“, fügte ich noch hinzu. „Wir sammeln nach wie vor Erfahrungen, um vielleicht bald mit anderen Teams mithalten zu können. Unsere Missionen haben wir bisher aber immer zufriedenstellend erledigt.“

    „Mithollen köönt ji jedenfalls, wenn ihr mi fraagt“, sagte Tafforgita, woraufhin Feurigel entschlossen abwinkte.

    „Ach was. Eigentlich suchen wir aber nach etwas Bestimmtem und dafür müssen wir nicht zwingend die Besten werden.“

    Wir erhielten nur einen fragenden Blick aufgrund dieser Bemerkung. Obwohl ich diese Sache nicht wirklich ansprechen wollte, blieb mir nun wohl nichts anderes übrig.

    „Während unserer ersten Begegnung haben wir eine Buntschwinge gefunden. Sagt dir das etwas?“

    „En Buntschwinge? Dat wird seggt, dat se vun Ho-Oh stammt un sehr selten is.“ Ein ehrliches Lächeln zierte Tafforgitas Gesicht, bevor sie fortfuhr. „Dat erklärt tomindst joon Team-Naamn un worüm Curelei so veel op jo hollt. Ji sünd würklich erstaunlich!“

    „Curelei muss uns wirklich als die Besten verkauft haben“, sagte Feurigel zu mir und ich bestätigte ihre Aussage nervös. Mit diesem Hintergrund fühlte ich mich doch etwas unter Druck gesetzt, die hohen Erwartungen zu erfüllen. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie häufig wir schon von der Mitbesitzerin der Bänderstube empfohlen wurden.

    Schließlich dauerte es nicht mehr lange, bis sich vor uns eine Kuhle und eine große Lichtung erschlossen. In der Vertiefung lag etwas versteckt eine weitere Münze, die wir sogleich aufnahmen und in die Item-Box beförderten. Dadurch, dass wir zuvor einige Lebensmittel gegessen hatten, war nun deutlich mehr Platz in ihr. Im Anschluss gingen wir ohne weitere Zwischenfälle weiter und kamen schließlich vor einigen verfallenen Gebäuden an. Direkt dahinter erhob sich eine hoch aufragende Felswand, die ein Weiterkommen in diese Richtung deutlich erschweren würde. Offenbar hatte hier vor langer Zeit einmal jemand gelebt.

    „Wi sünd dar“, gab Tafforgita bekannt und Feurigel sowie ich staunten über alle Maßen, als wir die Umgebung näher betrachteten. „Dat sünd de Tarne-Ruinen.“

    „Sehr gut!“, rief ich, wenngleich sich meine Stimmung schnell wieder verflüchtigte. „Aber wo sollen wir zu suchen beginnen?“

    Feurigel äußerte den Vorschlag, sich nicht aufzuteilen, sondern zusammen zu bleiben. Da wir nicht wussten, was genau mit der Schmiedemeisterin passiert war, würden wir so eventuelle Überraschungsangriffe von hinten vermeiden. Ich stimmte also zu und wir bewegten uns überlegt durch die Ruinen fort.

    Es dauerte einige Zeit, bis wir tatsächlich einen Anhaltspunkt fanden. Entlang der Felswand waren tatsächlich drei Eingänge zu sehen, wobei einer davon eingestürzt war. Die anderen beiden konnten ohne Probleme betreten werden.

    „Ob die Ruinen unterirdisch weitergehen?“, fragte Feurigel und Tafforgita bestätigte ihren Gedanken. Sie sah dabei abwechselnd von einer Öffnung zur anderen und deutete schließlich auf die linke.

    „Wenn Gierspenst nich hier is, denn seker dar binnen. Folgt mi!“

    Da sie sich wesentlich besser auszukennen schien, überließen wir unserer Klientin vorerst die Führung. So konnten Feurigel und ich unser Umfeld besser im Auge behalten. In jedem Fall wurde es nun ernst.


    Im Gegensatz zu unserer üblichen Vorgehensweise würde nicht Feurigel die Spitze in der dunklen Höhle bilden, sondern Tafforgita. Sie nahm sich zuvor noch die Zeit, aus einigen Materialien in der Nähe des Eingangs eine provisorische Fackel zu basteln. Mit einer gezielten Glut-Attacke entzündete Feurigel sie und wir konnten unseren Weg in die Finsternis beginnnen. Am meisten beeindruckte mich dabei nach wie vor, wie sie mit der brennenden Fackel in einer Hand und dem hinterher geschliffenen Hammer in der anderen keinerlei Probleme hatte, sich hier fortzubewegen. Beinahe wollte ich schon mein Erstaunen aussprechen, als sie plötzlich stehen blieb. Ich konnte gerade noch stoppen, um nicht in sie hineinzulaufen, während Feurigel seitlich etwas Abstand hielt. Sie konnte aber direkt erkennen, warum wir angehalten hatten.

    „Eine neue Münze“, sagte sie und zeigte vor uns auf den steinigen Boden. Tatsächlich lag dort einsam und verlassen ein schimmerndes Objekt. Mittlerweile hatten wir uns schon so sehr daran gewöhnt, dass es gar nichts Besonderes mehr war, eine zu finden. Bisher hatten sie uns tatsächlich auch immer den richtigen Weg gezeigt. Gerade, als sich Feurigel bückte, um die Münze aufzunehmen, huschte ein Schatten an ihr vorbei und hatte sie an sich gerissen. Verdutzt sah meine Partnerin in die Richtung, in der sie den Fremden vermutete und sowohl Tafforgita als auch ich folgten ihrem Blick. In einiger Entfernung befand sich ein äußerst kleines, graues Lebewesen, das uns zuerst den Rücken zugewandt hatte. Als es die Münze schließlich geschultert hatte, drehte es sich um und zeigte sich uns mit verschränkten Armen.

    „Finger weg von meiner Beute! Die hier habe ich vorhin verloren und sie gehört eindeutig mir!“

    „Natürlich“, murmelte ich und vermied es, mit meinen Augen zu rollen. Einen Dieb zu erkennen war meistens nicht besonders schwierig und dieser hier machte definitiv keinen Hehl daraus, dass er einer war. Bevor ich seine bisherige Darbietung ansprechen konnte, ließ Tafforgita allerdings den Hammer fallen und lief freudig auf den Neuankömmling zu.

    „Gierspenst! Dor büst du ja! Kennst du mi noch?“

    Zur Begrüßung streckte sie ihm die Hand entgegen und ließ so erkennen, dass ihr Gegenüber jemand Bekanntes zu sein schien. Feurigel und ich sahen uns verwirrt an und wunderten uns über den Namen. Das sollte Gierspenst sein?

    Auch das Wesen selbst wusste zuerst wohl nicht, wer sich ihm gegenüber befand und er grübelte nachdenklich. Schließlich kam ihm aber wohl ein Geistesblitz und er reckte freudig beide Hände nach oben.

    „Tafforgita, ja! Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass du wieder einmal hier vorbeischauen würdest! Wie ist es dir in all der Zeit ergangen?“

    Auf die Frage hin ließ sie den Kopf hängen und schüttelte den Kopf.

    „Darüber künnt wi later noch snacken! Wi sünd hier, üm mien Meestersche to finden.“

    „Granforgita meinst du?“, fragte Gierspenst nachdenklich und erhielt daraufhin ein entschlossenes Nicken. Ihn schien die Reaktion zu beunruhigen, da er sich mehrmals zur Seite umblickte. Fast so, als würde er etwas Bestimmtes erwarten.

    „Weißt du vielleicht, wo wir sie finden können?“

    Während ich gesprochen hatte, war ich vorgetreten, um mich dem Neuankömmling zu zeigen. Zuerst schien Gierspenst erpicht darauf, sich zu verstecken, allerdings deutete Tafforgita an, dass wir keine Gefahr darstellen würden. Dementsprechend blieb er auf seiner Position stehen.

    „Nun, wie soll ich sagen“, begann er und vermied daraufhin weiteren Blickkontakt. „Also, es könnte sein, dass sie, also Granforgita, dass sie, äh, nun ja …“

    „Segg man!“

    „Okay, okay!“ Gierspenst holte tief Luft, bevor er seine Gedanken nun klar aussprechen konnte. „Also, deine Meisterin wird gefangen gehalten. Hier in dieser Höhle.“

    Mit unveränderter Miene blickte Tafforgita weiterhin zu ihrem Freund hinab und erwartete, dass er noch mehr sagen würde. Als er diese stille Bitte erkannte, wedelte er erschrocken mit seinen kleinen Armen.

    „D-das ist alles, was ich weiß! Wir haben uns hier verabredet, um genau eintausend Münzen zu sammeln und wurden dabei …“

    „Eintausend?!“, mischte sich nun Feurigel interessiert ein und trat ebenfalls vor. „Was macht ihr mit dieser riesigen Menge?“

    „Sag mal, wer sind die beiden eigentlich?“, fragte Gierspenst neugierig und deutete auf uns zwei. In all der Aufregung wurde mir nun schmerzlich bewusst, dass wir vergessen hatten, uns vorzustellen. Es war demnach höchste Zeit, das nachzuholen.

    „Ich heiße Memmeon“, sagte ich und zeigte daraufhin zu meiner Partnerin. „Das hier ist Feurigel. Wir bilden gemeinsam das Team Buntschwinge, um Tafforgita zu helfen.“

    „Helfen, sagt ihr?“ Gierspenst schien intensiv über etwas nachzudenken, bis Tafforgita ihre Meinung äußerte.

    „Ja. De beden sünd de Besten, de es för diesen Opdrag gifft.“

    Erneut lobte sie uns mehr, als mir eigentlich genehm war. Feurigel schien das wesentlich gelassener zu sehen, während ich mich eigentlich gern wieder verstecken wollte. Wir galten zwar durchaus als verlässlich, aber übermäßiges Lob fiel mir noch immer etwas schwierig anzunehmen.

    „Verstehe“, meinte er nun nickend und deutete mit einer Hand auf sich selbst. „Mich habt ihr vermutlich schon erkannt. Gierspenst lautet der Name! Wäre ich außerhalb meiner Truhe nicht so schnell, wäre ich vermutlich auch gefangen worden. Leider habe ich nicht erkannt, wer unsere Angreifer waren.“

    „Aber eine Münze konntest du mitnehmen?“, fragte Feurigel und deutete in Richtung seines Rückens.

    „Das ist etwas anderes! Ihr müsst wissen, dass ich daraus meine Kraft ziehe und sie deswegen nicht einfach zurücklassen will, äh, kann. Ja, genau!“

    Aus einem unerfindlichen Grund hatte ich das Gefühl, dass Gierspenst gerade versuchte, uns anzulügen. Dennoch nahm ich ihm die Geschichte mit der Münze für den Moment ab. Immerhin schien wesentlich mehr dahinter zu stecken, als er bisher erzählt hatte.

    „Dann sollten wir uns besser daran machen, weiter zu gehen“, schlug ich vor und erntete dafür ein kollektives Nicken. Einzig Gierspenst zeigte sich nicht sonderlich begeistert darüber.

    „Und mich hier zurücklassen? Ihr seid mir vielleicht ein Rettungsteam!“

    „Denn kaam mit un help uns.“

    Erschrocken wich er nun einen Schritt zurück und machte den Anschein, sich lieber aus dem Staub machen zu wollen. Als Tafforgita in Richtung des Inneren der Höhle deutete, ließ er sich jedoch dazu überreden, uns zu begleiten. Um Schritt zu halten, kletterte er kurzerhand auf ihren Hammer und setzte sich dort still hin. Anschließend setzten wir unseren Weg fort, um die Schmiedemeisterin namens Granforgita zu retten. Weit würde es wohl nicht mehr sein.


    Langsam arbeiteten wir uns weiter durch den Gang voran. Glücklicherweise hatten wir noch keine Abzweigung gefunden und das bedeutete, dass der Rückzug aus der Tiefe schnell vonstatten gehen würde. Tatsächlich hatte ich durch das Auf und Ab des steinigen Weges keinerlei Orientierung mehr, wie weit wir uns eigentlich unter der Oberfläche befanden. Was ich aber unterwegs sichern konnte, war eine weitere schimmernde Münze, die auf dem Weg lag. Diese behielt ich vorerst bei mir.

    Im Schein von Tafforgitas selbstgebastelter Fackel trotteten wir still dahin. Dass niemandem zu Unterhaltungen zumute war, überraschte mich wenig. Wenn schon von einer Gefangennahme die Rede war, sollten wir uns nicht unnötig durch Geräusche bemerkbar machen. Und dennoch war jetzt wahrscheinlich die beste Gelegenheit, einige noch ungelöste Dinge mit unserer neuen Begleitung zu klären. Insbesondere, wenn ich die Münze in meiner Hand genauer betrachtete.

    „Gierspenst“, fing ich an und sah in Richtung des Hammers, auf dem es saß. „Was hat es eigentlich mit den Münzen auf sich und warum habt ihr so viele gesammelt?“

    „Wie soll ich das am besten erklären?“ Auf seine Frage hin murmelte er einige unverständliche Worte und schien angestrengt zu überlegen, wie er die Sache am besten ausformulieren sollte. Da wir ohnehin noch einige Zeit unterwegs zu sein schienen, ließ ich ihm den Freiraum.

    „Nun, es ist so“, begann Gierspenst wieder, schien dabei jedoch zu hadern. „Eigentlich ist es ein kleines Geheimnis, aber die Münzen sind für eine Entwicklung da. Meine Entwicklung nämlich. Jetzt kann ich selbst allerdings nur eine Münze gleichzeitig herumtragen und so eine große Menge zu sammeln wäre daher eine langwierige Lebensaufgabe.“

    „Und deswegen hast du die Schmiedemeisterin gefragt“, schlussfolgerte Feurigel.

    „Ja. Granforgita hatte sich bereit erklärt, mir zu helfen, sofern ich ihr ebenfalls einen Dienst erweisen würde. Da wir schon lange befreundet waren, konnten wir uns aufeinander verlassen und haben diesen Ort hier ausgewählt, um die Münzen zu sammeln. Normalerweise kommt hier niemand vorbei und demnach hatte ich hier auch meine Truhe deponiert. Leider wurden wir hinterrücks überrascht.“

    Da war erneut diese Truhe. Gierspenst hatte sie bereits in der Nähe des Höhleneingangs angesprochen. Aber mehr, als dass dort vermutlich diese Münzen gesammelt wurden, konnte ich bisher nicht heraushören.

    „Sind diese Münzen denn etwas wert?“, fragte ich und erhielt daraufhin eine ablehnende Antwort.

    „Völlig wertlos für euch, umso wichtiger für mich!“, sagte Gierspenst klipp und klar und richtete seinen Blick auf unsere Begleiterin. „Mich wundert es, dass ihr noch nicht darüber aufgeklärt wurdet. Tafforgita hätte das eigentlich wissen müssen.“

    „Nich, wenn de Meestersche nich mit mi över snackt“, konterte sie und blieb stehen, um sich zu Gierspenst umzudrehen. „Se hett ümmer bloot davon snackt, dat de Münten sehr wichtig sünd. Dat se för di sünd, hett se nie erwähnt.“

    Nun wieder in Gedanken versunken lehnte sich Gierspenst zurück und antwortete auf die Feststellung nichts mehr. Es war offensichtlich, dass er mit einem völlig anderen Wissensstand gerechnet hatte und sich nun wohl zu gut war, uns mehr zu erzählen. Ehrlich gesagt hatte ich auch keinerlei Interesse mehr, mich mit ihm zu unterhalten. Zumindest war ich es gewöhnt, dass so ein Auftrag ein Geben und Nehmen zwischen allen teilhabenden Pokémon war und nicht einseitig funktionierte. Daher fokussierte ich mich wieder darauf, Granforgita zu retten. Ohne sie könnten wir Gierspenst wohl sowieso nicht helfen und sie empfand ich dementsprechend als oberste Priorität.

    Nach einer weiteren stillen Zeit sahen wir plötzlich in der Ferne einen hellen Schein. Als wir näher darauf zugingen, erkannten wir, dass wohl die Höhlendecke eingebrochen war und natürliches Licht bis zum Boden durchdrang. Und nicht nur das: Wir konnten eine Stimme ausnehmen.

    Geistesgegenwärtig hielt mir Tafforgita die Fackel entgegen und ich löschte das Feuer mit einem Schwall Wasser. Als sie diese behutsam an einer seitlichen Höhlenwand platziert hatte, nahm sie ihren Hammer in beide Hände und wir gingen alle so leise, wie es uns möglich war, voran. Wir kamen schließlich in dem Abschnitt an, wo das Licht herein schien, und bemerkten etwas entfernt einige Gestalten. Von unserer Position aus konnte ich genau drei ausmachen. Um nicht sofort entdeckt zu werden, schlichen wir hinter einige aufragende Felsen und berieten uns über die weitere Vorgehensweise.

    „Sie sind zu dritt, oder?“, fragte ich und sowohl Feurigel als auch Tafforgita bestätigten meine Beobachtung.

    „Ja. De Meestersche is aver nich darbi.“

    „Wäre auch etwas zu einfach gewesen, wenn sie sich mit den Bösen verbündet hätte“, merkte Feurigel schnaubend an. Tafforgita bedachte sie mit einem ungewöhnlichen Blick, während Gierspenst seufzte.

    „Sie haben sich um meine Truhe versammelt. Recht weit kann sie also nicht sein.“

    Mein Herz schlug nun deutlich schneller als zuvor. Obwohl wir bereits im Vorhinein mit einer Konfrontation gerechnet hatten, war es doch etwas anderes, sie nun direkt vor sich zu sehen. Einfach reinzustürmen würde uns nur in eine schlechte Position bringen, solange wir nicht wussten, wo sich Granforgita befand.

    Ich schluckte einen Kloß hinunter, nahm all meinen Mut zusammen und richtete mein Wort leise an die anderen.

    „Gebt mir etwas Zeit. Ich schleiche mich an und sehe mich da hinten etwas um.“

    „Und wie möchtest du nicht entdeckt werden?“, fragte Gierspenst neugierig und spöttelnd zugleich. Aus einem unbestimmten Grund hatte ich damit gerechnet, sodass ich seine Frage direkt kontern konnte.

    „So!“

    Im nächsten Moment sonderte ich über meine Haut Wasser ab und machte mich auf diese Weise vor den Augen aller unsichtbar. Mein Teamband war aufgrund des Zaubers, den Curelei einst darauf gelegt hatte, ebenfalls nicht mehr zu sehen. Während Feurigel und Tafforgita die Sache recht gelassen nahmen, machte Gierspenst den Eindruck, nicht richtig zu sehen. Ohne seine Reaktion abzuwarten, krabbelte ich schließlich zu dem unbekannten Trio.


    Schon von weitem konnte ich die Stimmen der drei fremden Pokémon ausnehmen. Durch die Größe dieser Grotte wurde von überallher ein Echo zurückgeworfen, das die teils lauten Rufe nur noch zu verstärken schien. Dementsprechend musste ich bis auf kleinere Steine auf dem Boden kaum auf meine Schritte achten. Sofern ich mich nicht zu schnell bewegte, würde niemand von den dreien auf die Idee kommen, dass sich hier gerade jemand außerhalb ihres Sichtfeldes fortbewegte. Mein Herz schlug mir dennoch bis zum Hals und ich fragte mich, ob ich sie tatsächlich erfolgreich belauschen könnte.

    Ich versteckte mich schließlich hinter einem größeren Felsen und lugte, noch immer unsichtbar, hervor. Hier würde man mich wohl kaum vermuten und ich konnte die drei Pokémon problemlos erkennen. Flunkifer, Rotomurf und Kranoviz. Besonders letzterer wunderte mich in diesem Höhlenkomplex. Einen kurzen Moment sah ich zur Höhlendecke, wo das Licht herein schien. Vielleicht war er von dort gekommen, um sich mit den anderen zu treffen?

    Rotomurf bearbeitete mit seinen scharfen Klauen die vor ihm stehende Kiste. Obwohl sie etwa gleich groß waren, schien das Objekt der Begierde keinerlei Schaden davonzutragen. Nach einiger Zeit gab Rotomurf verzweifelt und erschöpft an Kranoviz ab.

    „Seid ihr noch immer nicht fertig mit dieser Truhe?“, fragte Flunkifer, die etwas abseits stand und ihre Arme verschränkt hatte. Sie erweckte nicht den Eindruck, als ob sie besonders geduldig mit den anderen beiden wäre.

    „Da geht absolut nichts durch!“, rief Rotomurf entrüstet und besah abwechselnd seine beiden Klauen. „Dabei dachte ich immer, alles öffnen zu können und dann kommt dieses … Ding daher!“

    Flunkifer kicherte und hielt sich dabei eine Hand vor den Mund. Nachdem Kranoviz mit seinem Schnabel mehrere Male auf die Truhe gepickt hatte, plusterte er sein Gefieder auf und sah zu dem untätigen Pokémon.

    „Du hast bisher noch gar nicht versucht, sie aufzumachen! Bist dir wohl zu schade, um dein riesiges Maul aufzureißen, wie?“

    „Erstens“, begann Flunkifer und hielt dazu einen Finger hoch, „solltest du deinen Schnabel nicht zu weit aufreißen. Zweitens“, sie hielt einen weiteren Finger derselben Hand hoch, „wenn Rotomurf das nicht schafft, komme ich da definitiv selbst mit größtem Kraftaufwand nicht durch. Zumindest nicht so, wie ich jetzt ausgerüstet bin.“

    „Spiel dich mal nicht so auf und mach einfach!“, gab Kranoviz entrüstet zurück und vergrößerte schnell den Abstand zur Truhe. Während Rotomurf noch immer zerknirscht aussah, schüttelte Flunkifer mit dem Kopf und trat schließlich vor. Mit einem geübten Schwung ihres riesigen Kiefers nahm sie die Truhe auf und drückte kräftig zusammen. Die Anstrengung war ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben und wurde nur von einem lauten Schrei begleitet, der in der Höhle widerhallte. Als sie nach mehreren Sekunden noch immer kein nennenswertes Ergebnis erzielt hatte, schwang sie das Objekt in die Richtung davon, in der sich Kranoviz befand. Der wich erschrocken nach oben aus und entkam so nur knapp der anfliegenden Truhe, die in einiger Entfernung liegen blieb.

    „Bist du noch ganz bei Trost?!“

    „Die Kiste hat nicht einmal nachgegeben. Wie gesagt, wir müssen auf Rotomurf zählen, um an den Schatz zu kommen.“ Sie sah dabei zu ihrem Partner. „Bist du wieder bereit, es zu versuchen?“

    „Äh, ich denke schon“, sagte der Angesprochene und machte sich wieder daran, mit seinen Klauen die Truhe zu bearbeiten.

    Ich schluckte. Nach Möglichkeit wollte ich es vermeiden, zwischen Flunkifers Beißer zu gelangen. Allein die Präsentation ihrer brachialen Kraft sorgte bereits dafür, dass ich einen Schritt zurücktrat und mir Sorgen machte. Ob wir die drei tatsächlich gemeinsam überwältigen könnten?

    Entgegen meiner ersten Reaktion ballte ich die Fäuste und trat aus meinem Versteck hervor. Granforgita hatte ich bisher nicht entdeckt und noch musste ich kaum befürchten, angefallen zu werden. Insbesondere, da die drei Pokémon intensiv mit der Truhe beschäftigt waren.

    Ich ging etwas nach vorne und sah mich vorsichtig um. Tatsächlich entdeckte ich nun eine Wasserstelle, die uns bisher verborgen geblieben war. In der Nähe dieses Sees befand sich, angebunden an eine hoch aufragende Säule, ein Pokémon, das sehr starke Ähnlichkeiten mit Tafforgita besaß. Im Gegensatz zu ihr hatte dieses jedoch einen deutlich größeren Kopfschmuck, der ihm bis zum Boden fiel. Da ich niemand anderen entdecken konnte, musste es sich hierbei wohl um die Schmiedemeisterin handeln. Da sie vor sich auf den Boden sah, schien sie wohl nicht mehr die nötige Kraft zu besitzen, um der Arbeit der drei Pokémon zuzusehen.

    Einfach hinzukrabbeln und sie zu befreien wäre vermutlich zu auffällig. Wir wussten nicht, wie stark die anderen Pokémon waren und würden riskieren, auseinandergedrängt und überwältigt zu werden. Ein Blick zu der Position, wo sich die anderen befanden und zumindest Feurigel vorsichtig herauslugte, zeigte mir, dass sie auf meine Rückkehr warteten. Dementsprechend nahm ich mich zusammen und machte augenblicklich kehrt.

    In einem kleinen Moment war ich jedoch unachtsam und schlug eine einzelne Münze weg. Mit in meinen Ohren viel zu lautem Geklimper war das Geräusch deutlich zu hören und ich erstarrte. Augenblicklich sah ich zu den fremden Pokémon, von denen lediglich Flunkifer in meine Richtung blickte. Oder besser: in die Richtung, in die die Münze gerollt war.

    Ich hielt meinen Atem an und versuchte, keine ruckartigen Bewegungen zu machen. Sie konnte mich nicht sehen. Also musste ich mir auch keine Sorgen machen!

    „Kranoviz?“, rief sie nun, ohne jedoch ihre roten Augen abzuwenden. Ihr Partner, der gemeinsam mit Rotomurf alles versuchte, um an den Inhalt der Kiste zu gelangen, flatterte zu ihr hin.

    „Was ist los? Hast du es dir doch noch überlegt?“

    „Nein, aber“, begann sie und deutete in die Richtung, die sie nach wie vor fixiert hatte, „mach doch bitte einmal da hin einen Wirbelwind.“

    „Was bringt das?“

    Kranoviz legte seinen Kopf schief und schien nicht recht zu verstehen, worauf sie hinaus wollte. Flunkifer schüttelte die Frage jedoch beiseite.

    „Nur so ein Gefühl.“

    Während ihr Partner zustimmte, nahm ich sofort Reißaus. Je schneller und weiter ich von meiner aktuellen Position wegkam, desto besser!


    Kranoviz hob sich mit gekonnten Flügelschlägen in die Luft, um den von Flunkifer geforderten Angriff vorzubereiten. Währenddessen versuchte ich, so rasch wie nur irgendwie möglich zu den anderen zurückzukehren. Obwohl ich jeden erdenklichen Grund dazu gehabt hätte, panisch zu agieren, konnte ich mich erstaunlich gut auf meine Umgebung konzentrieren. Kleine Steine auf dem Boden, die Felsen vor mir sowie die Aussicht auf mögliche Stellen zum Verkriechen vor dem Wirbelwind sorgten dafür, dass meine Aufmerksamkeit deutlich erhöht war als sonst üblich. Dennoch gab es keine gute Gelegenheit für Verstecke und ich musste wohl oder übel weiter Abstand gewinnen.

    Während ich nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, stieß Kranoviz einen lauten Schrei aus. Mit nunmehr kräftigem Flattern beschwor er in Windeseile einen kleinen Sturm, der sich in der Höhle manifestierte. Alles, was nicht ohnehin zu schwer war, wurde hochgehoben und umher gewirbelt. Auch ich selbst spürte den enormen Sog dieses Windes und war mir beinahe sicher, wie das lose Geröll in der Umgebung mitgerissen zu werden. Glücklicherweise trat der Fall nicht ein und Kranoviz stoppte schließlich seine Attacke. Obwohl ich eigentlich Wichtigeres zu tun hatte, drehte ich mich zu den Pokémon um und sah, wie er erneut auf dem Boden aufkam und aufgeregt seine Brust herausstreckte.

    „Na, zufrieden?“, hörte ich ihn stolz fragen. Es war offensichtlich, dass er sehr viel auf seine ausgefeilten Techniken hielt. Flunkifer sah jedoch weiterhin nachdenklich in die Richtung, in der ich die Münze auf dem Boden weggeschlagen hatte.

    „Seltsam“, sagte sie gerade so laut, dass ich es von meiner Position aus noch hören konnte. Sie hatte wohl erwartet, jemanden aufzuscheuchen und benötigte noch eine Weile, bevor sie sich wieder gefasst hatte. Daraufhin sah sie kurz nach oben zu den Öffnungen in der Decke, bevor sie sich wieder an die anderen wandte. „Entschuldigt den Aufruhr. Falscher Alarm. Passt aber bitte auf, falls ihr in der Nähe etwas hören solltet und sagt sofort Bescheid.“

    Kranoviz schien verwirrt über die Anmerkung zu sein, nickte jedoch eifrig, dass er verstanden hatte. Daraufhin flog er zu Rotomurf zurück und half erneut durch gezieltes Picken, die Truhe zu öffnen. Flunkifer machte hingegen noch mehrere Rundumblicke, bevor sie sich ebenfalls zu den anderen gesellte.

    Sie war unsicher, so viel stand für mich fest. Mir an ihrer Stelle würde es aber vermutlich auch seltsam vorkommen, wenn plötzlich eine Münze über den Boden geschleudert worden wäre. Immerhin passierte das nicht einfach ohne fremdes Zutun. Bevor ich mich jedoch ausruhen konnte, legte ich weiterhin unsichtbar den restlichen Weg zu unserem Versteck zurück. Als ich mich wieder bei Feurigel, Tafforgita und Gierspenst befand, stieß ich einen angestrengten Seufzer aus. Währenddessen konnte ich beobachten, wie sie zwei weitere Münzen in die Item-Box steckten. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, war eine davon jene, die mich fast verraten hätte.

    „Was ist passiert?“, fragte Feurigel interessiert, während ich mich zu beruhigen versuchte. Wir unterhielten uns nach wie vor im Flüsterton, um nicht unnötig aufzufallen.

    „Eine Münze auf dem Boden. Ich habe sie übersehen, als ich wieder zu euch kommen wollte. Habe sie weggeschnippt und wurde beinahe vom Wirbelwind mitgerissen.“

    Als ich mir die Situation erneut durch den Kopf gehen ließ, verspürte ich mit einem Mal sehr viel Schuld auf mir lasten. Wäre ich vorsichtiger gewesen, hätten wir das Überraschungsmoment sicherlich noch auf unserer Seite. Die Pokémon hätten keinen Verdacht geschöpft und vielleicht hätten wir dadurch auch Granforgita leichter befreien können. Unwillkürlich zog ich den Kopf ein und versuchte, mich kleiner zu machen.

    „Mach dir nichts draus“, meinte Feurigel aufmunternd, als sie meine Haltung sah. Sie kam an meine Seite und gab mir zu verstehen, dass so etwas schon einmal passieren konnte. Gierspenst schien von der Situation nicht allzu begeistert zu sein, während Tafforgita die Sache ebenfalls abwinkte.

    „Keen Probleem. Wat hest du dar achtern sehn?“

    Als ich abwechselnd von ihr zu Feurigel blickte, nahm ich ihre Worte dankend an. Gleichzeitig versuchte ich mir in Erinnerung zu rufen, was ich im hinteren Höhlenabschnitt alles gesehen hatte.

    „Vermutlich die Schmiedemeisterin. Sie sah ähnlich aus wie du, nur mit einem größeren Kopfschmuck.“

    „Jo, dat is se.“

    „Gut“, sagte ich und fuhr fort. „Es sind drei Pokémon. Flunkifer, Kranoviz und Rotomurf. Sie versuchen abwechselnd, eine Kiste zu öffnen, weil sie darin …“

    „Etwa meine Truhe?!“, fuhr mich Gierspenst an. Tafforgita zischte und gab ihm zu verstehen, dass er ruhiger sprechen sollte. Daraufhin räusperte er sich und begann von Neuem. „Also, ja, das klingt nach meiner Truhe. Sie würden mich benötigen, um sie zu öffnen, da sie nahezu unzerstörbar ist. Ansonsten wäre es auch schwierig, diese große Menge Münzen zu sammeln, wenn sie beim kleinsten Anzeichen von Kraftaufwand zerbrechen würde.“

    Während Gierspenst weiterhin von Dingen erzählte, die uns aktuell nicht bei der Rettung der gefangenen Schmiedemeisterin halfen, berieten wir in der Gruppe weiter, was wir tun könnten.

    „Flunkifer hat Verdacht geschöpft, dass jemand in der Nähe sein könnte. Sie wird also am schwierigsten zu täuschen sein.“

    „Vermutlich, ja“, stimmte Feurigel zu. „Kranoviz könnte uns gefährlich werden, da er fliegen kann. Niemand von uns kann ihn erreichen, wenn er einmal abgehoben ist.“

    „Üm Rotomurf kunnst du di kümmern.“

    Tafforgita sah mich eindringlich an und ich erwiderte ihren Blick entschlossen.

    „Solange er sich nicht unter der Erde eingräbt, ja. Ansonsten sieht es für uns alle eher schlecht aus, unsere Gegner zu überwältigen. Es wäre einfacher, wenn wir die drei auseinandertreiben könnten.“

    „Was schlägst du vor?“, fragte Feurigel und Tafforgita grübelte eine Weile. Schließlich äußerte sie einen spontanen Gedanken.

    „Wenn wir en Aflenk harrn, kunnen wi de dree vunenanner trennt.“

    Eine Ablenkung? Das wäre ideal, aber von uns würde wohl niemand in Frage kommen, da wir uns um die Pokémon kümmern mussten. Es sei denn …

    Nahezu gleichzeitig wurden drei Augenpaare auf Gierspenst gerichtet, der nach wie vor von seiner äußerst fantastischen Truhe erzählte. Als er unsere Blicke bemerkte, wirbelte er panisch umher.

    „Äh, ist etwas?“, fragte er schließlich verwirrt.


    Während Gierspenst noch nicht wusste, was wir geplant hatten, zierte Feurigels Gesicht ein schelmisches Grinsen.

    „Nichts Besonderes tatsächlich. Wir haben nur überlegt, dass du eigentlich der perfekte Kandidat dafür wärst, die Pokémon da hinten abzulenken.“

    Als er nun realisierte, welche Pläne während seiner ausladenden Gespräche geschmiedet wurden, trat er sofort zwei Schritte zurück und wedelte mit den Händen.

    „O-ohne mich! Ich habe doch, also, ihr müsst wissen, dass ich …“

    In diesem Moment wurde mir bewusst, warum Gierspenst in erster Linie vor den angreifenden Pokémon geflüchtet war. Da er mehrfach betont hatte, die Truhe wäre unzerstörbar, hätte er sich eigentlich auch in ihr verkriechen und warten können. Ein bisschen erinnerte mich diese Verhaltensweise an mich selbst, bevor ich Zwottronins Training in Anspruch genommen hatte.

    Ich trat schließlich an ihn heran und reichte ihm eine Hand. Dabei versuchte ich, einen zuversichtlichen Eindruck zu erwecken, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob das gelang. Immerhin war ich erst kurz zuvor selbst noch niedergeschlagen gewesen.

    „Es … ist in Ordnung, Angst zu haben. Wenn ich ehrlich bin, verspüre ich sie selbst noch immer etwas. Wie vorhin, als ich zu euch geflüchtet bin.“

    Gierspenst sah mich in der Zwischenzeit mit einem nachdenklichen Blick an. Zumindest hatte es für mich den Anschein, als würde er intensiv über meine Worte nachdenken.

    „Aber in Wahrheit bin ich ja nie allein! Zu wissen, dass ich mich auf andere verlassen kann, gibt mir in manchen Situationen so viel Mut. Es ist unbeschreiblich! Auf uns kannst du dich definitiv verlassen und“, ich deutete dabei in die Richtung, in der sich Granforgita befand, „deine langjährige Freundin würde dir sicher ebenfalls beistehen, egal was passiert.“

    Als ich meine Worte noch einmal Revüe passieren ließ, wusste ich nicht, ob sie tatsächlich die von mir erwartete Wirkung entfalten würden. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, als würden sie in Schall und Rauch aufgehen und dass wir nicht auf Gierspenst zählen konnten. Ich würde es ihm zumindest nicht verübeln.

    Nach weiterer Bedenkzeit schüttelte dieser schließlich den Kopf.

    „Es tut mir leid. Ich … kann einfach nicht.“

    „Denn maakt wi ahn em weiter“, beschloss Tafforgita und bedachte Feurigel mit einem entschlossenen Blick. „Wat för Saken hebbt ji darbi?“

    „Äh, also“, begann sie irritiert und überlegte, welche Items sinnvoll eingesetzt werden konnten. „Eigentlich kann uns nur der Vital-Orb helfen. Aber denkst du, es macht Sinn, wenn wir uns ihnen ohne Gierspenst stellen?“

    „Dat is sien Sache, wat he mitmaken will. Durch jo heff ik lehrt, dat man sik överwinnen mutt. Anners deed ik noch ümmer in de Smieden sitten un Trübsal blasen.“

    Ihre Worte schienen zu wirken. Gierspenst wandte sich daraufhin ohne weiteren Einwand von uns ab und setzte sich mit dem Rücken an die Höhlenwand. Ein bisschen tat er mir leid, da ich ihn nicht so harsch abgewiesen hätte. Aber im Grunde hatte Tafforgita recht, dass wir uns nicht aufhalten lassen sollten.

    „Dann würde ich vorschlagen, dass wir den Vital-Orb zuerst einsetzen. Wir müssten nur etwas gegen das helle Leuchten unternehmen.“

    „Kein Problem!“, sagte Feurigel, drückte den Orb mit Nachdruck in die Item-Box und schloss diese wieder. Nach einigen langen Momenten öffnete sie diese wieder und der Orb war verschwunden. Im Anschluss legte sie noch eine weitere Münze in die Box, die sie eher zufällig auf dem Boden entdeckt hatte. Auch dafür war nun wieder etwas mehr Platz vorhanden.

    „Gute Idee!“, meinte ich grinsend. „Daran hatte ich gar nicht gedacht, dass wir den Einsatz so abschirmen können.“

    „Un wat maakt düsse Orb nu? Ik föhl mi nich anners.“

    „Also, im Grunde bist du nun gegen den Einfluss von Heuler, Kreideschrei und anderen solcher Attacken immun“, erklärte Feurigel und Tafforgita schien zu verstehen. Wir mussten bei Kämpfen gegen andere Pokémon immer damit rechnen, dass sie uns auf verschiedene Arten aufhalten würden. Schwächen ausnutzen war nur eine davon.

    „Alles kloor! Nehmt ji jo Rotomurf un Kranoviz an? Denn kann ik mi üm Flunkifer kümmern un se ophollen.“

    „Ja, gerne.“ Dass ich mit meinen Wasser-Attacken die besten Chancen gegen Rotomurf haben würde, hatten wir ja bereits geklärt. Dementsprechend konzentrierte ich mich darauf, ihn auf Distanz zu halten. Im Zweifelsfall konnte ich sicher auch im See abtauchen und mich so temporär verstecken. Ich musste nur darauf achten, dass er keine Chance bekam, sich im Boden zu vergraben.

    „Geht klar“, antwortete nun auch Feurigel, wenn auch etwas zögerlich. Möglicherweise hatte sie darauf spekuliert, Flunkifer gehörig einzuheizen. Sie konnte mit den Flammen aber am besten Kranoviz in der Luft beschäftigen. In dieser Hinsicht fand ich es faszinierend, wie vorausschauend Tafforgita dachte.

    „Gut. Dann … schleiche ich mich wieder von rechts an“, gab ich ihnen bekannt. Meine beiden Teamkolleginnen würden auf der linken Seite nach Wegen suchen, um näher an die Pokémon heranzukommen. Zumindest hoffte ich, dass das ohne nennenswerte Probleme möglich war.

    Ich atmete tief durch, bevor ich mich wieder unsichtbar machte. Jetzt ging es um alles oder nichts! Erneut krabbelte ich zu den Pokémon hin und sah dabei, dass sie sich voll und ganz der Truhe gewidmet hatten. Offenbar wurden sie langsam ungeduldig und wollten sich so bald wie möglich wieder auf den Weg machen. Verübeln konnte ich es ihnen nach dem bisherigen Gespräch nicht. Allerdings fragte ich mich auch, warum sie die Kiste nicht einfach mitnahmen und von jemandem mit Expertise öffnen ließen.

    In Lauerstellung wartete ich, bis ich Feurigel erblickte. Sie hatte es tatsächlich geschafft, sich sehr nah zu der feindlichen Gruppe zu bewegen. Tafforgita musste also ebenfalls in der Nähe sein.

    Ich schlich mich weiter an, sodass ich Rotomurf im besten Fall von Nahem treffen konnte. Anschließend wartete ich nur darauf, bis meine Partnerin im wahrsten Sinne des Wortes das Feuer eröffnete.

    Kranoviz hatte sich in der Zwischenzeit erschöpft auf dem Boden niedergelassen, während Flunkifer ihre nähere Umgebung beobachtete. Ihre Skepsis war naheliegend und kurz überlegte ich, ob sie uns bereits erwartete. Allzu weit kam ich mit meinem Gedanken allerdings nicht, als Feurigel bereits eine Glut auf Kranoviz eingesetzt hatte. Dieser schrie laut auf, als sich die Hitze in seinem Federkleid breit machte, und alarmierte damit die anderen beiden Pokémon. Während Tafforgita nun aus ihrem Versteck auf Flunkifer zulief, setzte ich eine Aquaknarre auf Rotomurf ein. Zu meinem Leidwesen verfehlte ich ihn knapp, sodass er nur wenige Spritzer abbekam.

    Mit einem schnellen Rundumblick versuchte er, den Ursprung der Angriffe auszumachen. Flunkifer hatte mich trotz Unsichtbarkeit aber bereits im Visier.

    „Wusste ich’s doch! Ein Hinterhalt!“


    Ich ärgerte mich sehr darüber, Rotomurf nicht getroffen zu haben. Von meiner Position wäre es eigentlich ein Leichtes gewesen, ihn vorübergehend auszuschalten. Nun musste ich wohl oder übel damit leben, dass er Zeit hatte, sich für eine Gegenoffensive vorzubereiten.

    Während Flunkifer meine Gestalt schon längst ausfindig gemacht hatte und auf mich zulief, machte ich mich sichtbar und setzte erneut eine Aquaknarre ein. So schnell es mir möglich war, stieß ich das Wasser kraftvoll aus und versuchte, Rotomurf damit zu benetzen. Dieser hatte jedoch schnell realisiert, dass er so offen vor allen anderen ein zu leichtes Ziel darstellte und grub sich rasch in die Erde ein. Innerlich schalt ich mich dafür, die Chance nicht genutzt zu haben und ich musste mich nun wohl oder übel Flunkifer entgegenstellen. Den kurzen Abstand zu mir hatte sie schnell überbrückt und sie setzte bereits zu einem kräftigen Biss mit ihrem Kiefer an. Noch während ich mit einem Sprung auszuweichen versuchte, hatte sich ihr Angriff aber mit einem äußerst metallischen Klang in Tafforgitas Hammer aufgelöst, den sie zwischen uns geschwungen hatte. Die kurze Zeit in der Luft versuchte ich nachzuvollziehen, wie sie denn so schnell zu uns gelangen konnte. Obwohl sie mit dem Hammer etwas ungelenk wirkte, schien es kein Problem für sie darzustellen, sich mit entsprechendem Tempo fortzubewegen. Erneut war ich äußerst fasziniert von dieser Tatsache.

    Mit der kommenden Auseinandersetzung zwischen den beiden verlagerte ich meinen Fokus wieder auf mein eigentliches Ziel. Kranoviz war in der Zwischenzeit abgehoben und wollte sich ebenfalls auf uns stürzen, als er erneut von einer Glut getroffen wurde. Kurz darauf erfüllte ein kreischender, beinahe schon kratziger Ruf das Innere der Höhle. Ein Kreideschrei! Offenbar war es eine Abwehrreaktion auf das Feuer, damit sich Kranoviz auf einen Gegenangriff vorbereiten konnte. Allerdings wussten unsere Gegner noch nicht, dass wir uns bereits im Voraus vor solchen Attacken geschützt hatten. Hoffentlich hatten wir ausreichend Zeit, um diesen Vorteil noch etwas länger zu behalten.

    Auch die Auseinandersetzung zwischen ihm und Feurigel startete nun ohne Verzögerung. In Windeseile erhob sich Kranoviz in die Luft, um ausreichend Abstand zu seiner Kontrahentin zu halten. Diese versuchte nun mit mehreren kurz gehaltenen Angriffen, ihn zu treffen, jedoch meist ohne Erfolg.

    Allzu lange konnte ich mich auf dieses Spiel zwischen den beiden allerdings nicht konzentrieren. In aller Schnelle hatte ich den Weg bis zu Rotomurfs gegrabenem Loch zurückgelegt und ich befand mich nun in der Nähe von Gierspensts Truhe. Ich hoffte, dass sich Rotomurf nicht von mir entfernen und eine meiner beiden Partnerinnen angreifen würde. Gegen sie würde er mit einem Schaufler eindeutig die Oberhand behalten.

    Mein Fokus lag darauf, ob ich vielleicht Erschütterungen wahrnehmen konnte. Im Vergleich zu Luftschwingungen, die ich mit dem Kamm aufnehmen konnte, war das allerdings nicht einfach. Wie ich feststellen musste, war meine Reaktion auf einen plötzlichen Ruck in der Erde zu langsam, um rechtzeitig ausweichen zu können. Rotomurf kam mit hoher Geschwindigkeit aus der Erde, wo ich gerade mit meiner linken Hand stand. Die Drehbewegung sorgte dafür, dass ich einen Hieb erhielt, wodurch ich mich vorerst nicht mehr so einfach auf allen vieren abstützen konnte. Anstatt dass er an der Oberfläche blieb, grub sich Rotomurf jedoch erneut ein und startete einen zweiten Angriff.

    So viel musste ich ihm zugestehen: Er wusste, wie er sich verteidigen und gleichzeitig angreifen konnte. Allerdings konnte ich aus meinem Team niemanden dazu abkommandieren, mir zu helfen. Tafforgita schwang munter weiter ihren Hammer, um Flunkifer abzuwehren, während Feurigel damit kämpfte, Kranoviz zu treffen. Wie ich aus dem Augenwinkel vernehmen konnte, setzte dieser manchmal zu Sturzflügen an, um sie zu treffen. Dabei begab er sich allerdings auch in gefährliche Nähe, um wieder vom Feuer getroffen zu werden. Eine riskante Taktik.

    Angestrengt überlegte ich. Sie nur auf Abstand zu halten, würde uns auf Dauer nicht helfen. Irgendwie musste ich Rotomurf überlisten, damit er sich nicht erneut in die Erde eingrub. Mein Blick fiel dabei auf die Truhe neben mir und plötzlich hatte ich einen Einfall.

    Entschlossen lief ich hin und hüpfte mit meinem gesamten Gewicht auf und ab. Anschließend zog ich die Truhe, so gut es mir möglich war, an genau diese Stelle und sprang hinauf. Wenn es so war, wie ich es mir vorstellte, würde Rotomurf genau hier wieder einen Angriff starten.

    Ich wartete noch einige Momente, bevor genau dieser Fall eintrat. Mit viel Lärm kam er wieder an die Oberfläche und erwischte mit seinen Klauen die Truhe, der er zuvor nicht einmal einen Kratzer zufügen konnte. Durch die Geschwindigkeit wurde ich mitsamt der Kiste in die Luft geschleudert und ich konnte von hier aus Rotomurf beobachten, der jaulend seine Arme ausstreckte und nun schutzlos war. Von meiner erhöhten Position sprang ich in seine Richtung. Seinem erschrockenen Blick nach schien er zu ahnen, was nun folgen würde. Mit einer weiteren Aquaknarre konnte ich Rotomurf ohne Probleme treffen und ihn mit dem Rücken voran zu Boden schicken. Während er noch stöhnend atmete, landete ich direkt auf seinem Bauch und nahm ihm so jegliche Luft, um bei Bewusstsein zu bleiben.

    Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich ihn ausknocken würde. Angesichts seiner anstrengenden Arbeit bei der Truhe konnte ich es ihm allerdings nicht verübeln, dass er generell schon etwas geschwächt war. Umso besser für mich.

    Mein Blick fiel auf meine Teampartnerinnen. Da ich nun für den Moment frei war, konnte ich mich in deren Kämpfe relativ problemlos einmischen. Schließlich entschied ich mich für Tafforgita, da sie Probleme zu haben schien, durch die Verteidigung ihrer Gegnerin zu kommen.

    Als ich erneut zu Rotomurf hinab blickte, sah ich eine Münze. Vielleicht war es möglich, ihre Aufmerksamkeit dadurch zu erlangen?

    So schnell wie möglich verkürzte ich die Distanz zu Flunkifer und wollte die Münze zur Ablenkung auf sie werfen. Noch während sie jedoch einen weiteren Hieb abwehrte, entdeckte sie mich im Augenwinkel und holte bereits mit einer Faust aus. Im nächsten Moment verschwand sie plötzlich aus meinem Blickfeld und ich spürte auf meiner rechten Backe einen überraschenden Schmerz. Ich wurde wortwörtlich aus meiner Bahn geschleudert und überschlug mich einige Male. Etwa ein Tiefschlag?

    Zeit zum Ausruhen blieb mir allerdings nicht, um darüber nachzudenken, und ich richtete mich sofort wieder auf. Anders als erwartet, setzte Flunkifer nicht nach, sondern erhielt nun ihrerseits einen kräftigen Schlag von Tafforgita. Daraufhin lag sie in voller Länge auf dem Boden und stöhnte laut. Offenbar fiel es ihr schwer, sich wieder aufzurichten.

    „Zu Feurigel!“, rief ich schnell und deutete in die Richtung, wo sie mit Kranoviz kämpfte. Tafforgita schüttelte allerdings energisch mit dem Kopf.

    „Dat is to wiet! Flunkifer kunn uns in en slecht Moment drapen!“

    Während ich noch überlegte, wie ich sie von meinem Plan überzeugen konnte, geschahen jedoch mehrere unerwartete Dinge gleichzeitig.


    Rotomurf war noch außer Gefecht gesetzt, während sich Flunkifer bemühte, vom Boden hochzukommen. In der Zwischenzeit hatte sich aber wohl auch Granforgita erholt, die unseren Kämpfen nun voller Interesse zusah. Zuvor hatte ich nicht auf ihren Zustand geachtet, weswegen ihre Beteiligung etwas überraschend für mich kam.

    „Denk nich to lang na!“, rief sie Tafforgita laut zu, ohne sich jedoch bewegen zu können. Da Granforgita noch immer an der Säule angebunden war, überlegte ich kurz, die Fesseln zu lösen und ihre Unterstützung einzuholen. Allerdings kam es gar nicht so weit, da noch etwas anderes passierte und mich aus meinen Gedanken riss.

    Kranoviz stieß plötzlich einen lauten Schrei aus und schien wegen irgendeiner Sache völlig überrumpelt zu sein. Während dieser seine direkte Umgebung absuchte, konnte Feurigel dieses Mal wieder mit einer ihrer Attacken ins Schwarze treffen. Ihrem Gegner gefiel das absolut nicht, sodass er sich ihr erneut widmete. Noch etwas verwirrt über Kranoviz’ Verhalten sah ich nicht weit von uns entfernt Gierspenst stehen, der in die Richtung der beiden Kämpfenden sah. Wie ich zudem erkennen konnte, war er allerdings etwas wackelig auf den Beinen.

    „Gierspenst!“, rief ich voller Begeisterung. Offenbar hatte er sich doch überwunden, sich mit uns den anderen Pokémon entgegenzustellen. Er drehte sich zu mir um und wirkte dabei etwas nervös.

    „Glaub’ nicht, dass ich das gerne mache!“, antwortete er und bedachte Tafforgita mit einem herausfordernden Blick. Nach einer langen Pause sprach er schließlich weiter. „Aber eure Freundin hat mir gezeigt, dass ich mich ändern muss, um diese Entwicklung wirklich einfordern zu können.“

    Mit diesen Worten beschwor Gierspenst einen merkwürdigen Schatten, der sich in Windeseile zu Kranoviz schlängelte und direkt unter ihm aus dem Boden schoss. Dabei materialisierte sich eine Art Phantom, das ihm Zähne bleckend Angst einzujagen versuchte. So ähnlich wirkte es zumindest von meiner Position. Und tatsächlich wurde Kranoviz von dieser Attacke zurückgeworfen und völlig aus dem Konzept gebracht.

    Ich erkannte nun, dass er zuvor ebenfalls von Gierspensts Erstauner getroffen wurde. Obwohl unser vorübergehend neues Teammitglied doch recht klein war, hatte er mit seinen kurzen Beinen jedoch viel Weg gut gemacht, um von seinem Gegner nicht entdeckt zu werden. Kranoviz sah nun allerdings, dass seine beiden Partner nicht mehr kampffähig waren und bedachte uns mit einem angriffslustigen Blick.

    „Euch hol’ ich mir!“, war seine erzürnte Antwort und aufs Neue stieß er einen Kreideschrei aus. Allerdings hatte er wohl nicht bemerkt, dass wir durch den Orb noch immer immun dagegen waren und sich stattdessen Flunkifer und auch Rotomurf mit beiden Händen an den Kopf fassten. Im gleichen Moment traf Feurigel wieder mit ihrem Feuer und Kranoviz wandte sich erneut von uns ab. Wir mussten also handeln. Nicht zu lange nachdenken, hatte Granforgita vorhin gemeint.

    „Kannst du … deinen Hammer werfen?“, fragte ich und wusste nicht recht, wie ich ausgerechnet darauf kam. Tafforgita sah auf ihr großes Werkzeug und sie schüttelte den Kopf.

    „To swaar. Aver laat mi nadenken.“

    Auch sie ließ sich die Worte der Schmiedemeisterin wohl durch den Kopf gehen. Und während Kranoviz Gierspenst noch immer nicht entdeckt hatte und sich Flunkifer langsam wieder aufrichtete, kam ihr eine Idee. Dazu deutete sie auf einen mittelgroßen Felsen direkt hinter mir.

    „Kannst du den en beten röver rullen?“

    Mir war nicht ganz bewusst, worauf sie damit hinaus wollte. Ohne weitere Widerworte rollte ich den Stein aber vor ihre Füße und Tafforgita beobachtete daraufhin Kranoviz. Gerade, als er erneut von Gierspensts Attacke überrascht wurde und flatternd zurückgeschreckt war, holte sie weit mit dem Hammer aus. Im nächsten Moment traf sie den Fels so gekonnt, dass er einen weiten Bogen in der Luft formte und den fliegenden Gegner unvorbereitet traf. Im Gegensatz zu den Feuerangriffen, die das Gefieder deutlich versengt hatten, konnte sich Kranoviz nun allerdings nicht mehr halten und fiel unsanft auf den Höhlenboden.

    „So mutt dat!“, rief Granforgita fröhlich. Ihrer Stimme nach zu urteilen schien es ihr gar nicht zu missfallen, dass sie noch immer gefesselt war und selbst nichts beitragen konnte. Ich war allerdings selbst so eingenommen von der ungewöhnlichen Idee, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie Flunkifer wieder aufgestanden war. Sie bedachte ihren geschlagenen Partner mit einem mitleidigen Blick und Rotomurf, nun wieder mit klaren Gedanken, hatte sich aufgerichtet und uns ins Visier gefasst.

    Während Tafforgita eine Faust ballte und ihren eigenen Erfolg still annahm, wandte ich mich dem Angreifer zu. Seltsamerweise dachte er gar nicht mehr daran, sich unter der Erde grabend fortzubewegen. Ich konnte meinen Gedanken kaum fertigstellen, da hatte Flunkifer bereits dazwischen gerufen.

    „Hört auf, beide!“

    Überrascht von der plötzlichen Aussage stolperte Rotomurf beinahe über seine eigenen Beine. Ich hielt mich hingegen nach wie vor kampfbereit. Mit einem Blick aus dem Augenwinkel sah ich Tafforgita direkt neben mir. Sie hielt sich ebenfalls offen, erneut anzugreifen.

    „A-aber Flunkifer“, begann Rotomurf stotternd und die Angesprochene winkte seinen Einwand entschieden ab.

    „Sei nicht dumm! Du kannst dich kaum auf den Beinen halten und Kranoviz wurde auf eine wirklich perfide Art ausgeknockt. Außerdem …“

    Flunkifer nickte in die Richtung, in der sich Granforgita befand. Als er ihrem Blick folgte, bemerkte er, dass sich Feurigel bereits um die Fesseln gekümmert hatte und die Schmiedemeisterin nun wieder frei war. Er benötigte noch einen kleinen Moment, um festzustellen, dass die beiden deutlich in der Unterzahl waren. Enttäuscht setzte er sich hin und verschränkte die Krallen.

    „Wie du siehst, müssen wir also eher darauf hoffen, nicht komplett ausgenommen zu werden“, ergänzte sie noch.

    Auch Gierspenst trat nun lachend an unsere Seite, obwohl er sich dieses Mal deutlich mutiger zeigte als noch kurz davor.

    „Gesteht ihr eure Niederlage ein?“

    Flunkifer schnaubte belustigt ob der Frage. Daraufhin zuckte sie nur leicht mit den Schultern.

    „Wenn du meinst. Der Schatz gehört euch. Wir wollen ihn nicht mehr.“

    Feurigel legte ihren Kopf schief und ich wusste ebenfalls nicht, was sie damit meinen könnte. Ich sah zu Tafforgita, die ihrerseits ebenfalls ratlos wirkte. Flunkifer war von unseren Reaktionen sehr erstaunt und sie begann mit der daraus entstandenen Eingebung zu kichern. Im Anschluss hob sie eine der in der Höhle liegenden Münzen auf und warf sie mir zu. Noch etwas perplex konnte ich sie jedoch erfolgreich fangen.

    „Scheint so, als hätten wir ein paar Dinge zu klären. Wie wär’s?“


    Während Flunkifer Rotomurf wieder auf die Beine half, gingen Feurigel und Granforgita zu der um mich gebildeten Gruppe. Mit nun fünf Teammitgliedern hatten wir definitiv die Oberhand, obwohl ich das Gefühl bekam, dass wir uns darum keine Sorgen mehr machen mussten. Die Anspannung in meinem Körper ließ immer mehr nach und ich bemerkte erst jetzt, wie sehr ich eigentlich außer Atem war. Hatte mich diese Auseinandersetzung doch so viel Kraft und Anstrengung gekostet? Ich wollte mir nicht ausmalen, wie es den anderen ergangen war. Insbesondere Feurigel musste lange gegen ihren Gegner durchhalten.

    Tatsächlich schien Flunkifer aber alles andere als angriffslustig zu sein. Nach ihrem bisherigen Umgang wirkte es schon beinahe etwas einlullend, als würde sie doch nur darauf warten, in einem unachtsamen Moment zurückzuschlagen. Die bedachte Wortwahl zur Unterzahl ihrer Gruppe sowie die Aufforderung, miteinander zu reden, ließen allerdings anderes erwarten. Ich fragte mich, was sie und die anderen denn dazu bewegt hatte, die Ruinen und im Anschluss diese Höhle aufzusuchen.

    „Habt ihr zufällig etwas Stärkung dabei?“, begann Flunkifer, während sie Rotomurf in unsere Nähe begleitete. Sie deutete daraufhin in die Richtung, wo ihr verbliebenes Teammitglied erschöpft am Boden lag. „Mir wäre zumindest wohler, wenn wir Kranoviz nicht einfach dort zurücklassen.“

    Erneut wurden wir mit dieser bewussten Annäherung konfrontiert. Obwohl ich mich bereits dazu hinreißen lassen wollte, ihr eine Tsitrubeere zu überreichen, trat Feurigel an meine Seite und flüsterte.

    „Können wir ihr trauen? Ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht doch eine Falle plant.“

    „Dafür ist das alles zu spontan“, gab ich leise zu Bedenken und behielt Flunkifer im Blick. „Warum sonst sollte sie sich jetzt so schutzlos geben?“

    Während wir noch einige Worte miteinander tauschten, kicherte sie erneut.

    „Ihr könnt auch gerne laut tuscheln! Ich meine, wir sind selbst schuld, dass wir einfach einen Gegenangriff gestartet haben. Aber verübelt ihr es uns, wenn wir plötzlich bei der Schatzsuche überfallen werden?“

    „Das erklärt allerdings nicht, warum ihr uns zuerst attackiert habt!“, rief Gierspenst nun dazwischen. Er hatte durchaus einen Punkt, da sich er und Granforgita in dieser Höhle eigentlich aus bestimmten Gründen eingefunden hatten. Flunkifer zuckte aber erneut mit den Schultern.

    „Ganz einfach: Du hast dich sofort aus dem Staub gemacht und deine Partnerin hat sich in der Zwischenzeit mit mir duelliert. Obwohl wir nicht mehr als ein oder zwei Attacken ausgetauscht hatten, bevor wir unserer Hilfsmittel beraubt wurden.“

    Je mehr ich hörte, desto mehr war ich davon überzeugt, dass wir alle einem sehr großen Missverständnis auflagen. Dementsprechend nahm ich nun die Tsitrubeere aus unserer Item-Box und trat langsam vor. Ich vertraute dabei darauf, dass sie uns die Wahrheit erzählte und keine hinterlistigen Aktionen geplant hatte.

    „Erzählt ihr uns bitte, wer ihr seid?“

    Rotomurf, nun etwas erholter als zuvor, gab sich zuerst die Ehre und verbeugte sich dabei im Sitzen.

    „Nun, wir sind …“

    „… Team Stahlkralle!“, beendete Flunkifer und verneigte sich ebenfalls freundlich vor uns. „Ein Team professioneller Schatzjäger! Oder zumindest wollen wir das gern einmal sein. Lest ihr zufällig die Schatzsuchenden, also das Magazin? Für den Fund eines antiken Relikts wurden wir sogar schon einmal ausführlich interviewt!“

    Ich wusste zumindest, wovon sie sprach. Die neueste Ausgabe dieses Magazins hatten wir gestern mit der Post erhalten, aber nicht durchgelesen. Während Feurigel und ich ratlose Blicke über das erwähnte Relikt tauschten, schien sich Tafforgita an etwas zu erinnern.

    „Stimmt, ik kann mi besinnen! Dat heff ik würklich faszineernd funnen, joon Vörgahnswies to hören!“

    Ihr Gegenüber lächelte nun schwach und sie sah mich erneut bittend an. Ich nickte und ging mit ihr sowie der Tsitrubeere in einer Hand zu Kranoviz. Gemeinsam peppelten wir ihn mit Hilfe der Beere wieder auf, sodass er seine Zeit nicht mehr kraftlos auf dem Boden verbringen musste. Flunkifer führte ihn zu den anderen Pokémon und wir setzten uns nun im Kreis zusammen.

    „Also, hat euch ebenfalls das Gerücht um einen Schatz hierher geführt?“, fragte sie nun interessiert und verschränkte die Hände unter dem Kinn. Ich musste meine Gedanken noch etwas sortieren, bis Feurigel zu sprechen begann.

    „Eigentlich sind wir hierher gekommen, um Tafforgita zu helfen. Ihre Meisterin war nämlich seit einigen Tagen hier unterwegs und ist wohl in der Nähe verloren gegangen. Wir haben allerdings auch erst vor Kurzem erfahren, dass sie eine Verabredung mit Gierspenst hatte.“

    „So is dat!“, rief Granforgita mit einem äußerst fröhlichen Grinsen. „Wi hebbt Münten sammelt un wullen sörgen, dat sik Gierspenst entwkeln de.“

    „Meint ihr solche hier?“, fragte Rotomurf und hob eine der Münzen vom Boden hoch. Als wir allesamt mit einem Kopfnicken bejahten, warf er mir sein Exemplar zu. Ich wusste zwar nicht, warum sie das nun taten, aber wenn wir sie ohnehin einsammeln mussten, konnten wir das auch jetzt erledigen. Ich verstaute sie direkt in der Item-Box und hörte währenddessen weiterhin zu.

    „Die Münzen haben wir in der Truhe gesammelt, die ihr vorhin bereits so eifrig bearbeitet habt“, sagte nun Gierspenst feierlich. „Sie gehört mir und ist praktisch unzerstörbar, müsst ihr wissen! Denn …“

    „Also ist das eigentlich gar kein Schatz?“, schlussfolgerte Flunkifer nun und ihr ging ein Licht auf, als sie ein kollektives Ja als Antwort erhielt. Anschließend ballte sie die Faust und Kranoviz seufzte laut.

    „Warum war es nur so klar, dass wir Grillchita dieses Gerücht nicht glauben sollten?“

    „Daran können wir jetzt sowieso nichts mehr ändern“, gab Flunkifer zurück und sie lächelte geheimnisvoll. „Nächstes Mal dann …“

    Sie beendete den Satz nicht und ließ offen, in welche Richtung ihre Gedanken abschweiften. Dem allgemeinen Tonfall des Teams nach zu urteilen schien es allerdings nicht positiv zu sein. Schließlich hatte ich aber ein Thema gefunden, das mich brennend interessierte.

    „Warum habt ihr dann eigentlich Granforgita gefangen genommen?“

    „Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, sagte Flunkifer und überlegte. „Als wir hier ankamen, hat sich Gierspenst rasch aus dem Staub gemacht. Ob er nun Hilfe holen wollte oder Angst hatte, konnten wir nicht beurteilen. Granforgita hingegen hat uns ohne Umschweife mit ihrem riesigen Hammer attackiert! Hätte ich nicht rechtzeitig geschaltet und meine Mega-Entwicklung aktiviert, dann wären wir wortwörtlich platt gewesen.“

    „Mega-Entwicklung?“, bohrte Feurigel weiter nach, wurde jedoch durch Granforgitas Lachen unterbrochen.

    „Ik weer hier schon en paar Daag un muss en paar frömme Pokémon afwehren. As ik jo sehn heff, dach ik mi, dat ji hier ok en Schatt vermoodt hebbt.“ Sie grinste und streckte dabei die Zunge raus. „Ik weer ok al mal vörsichtiger!“

    „Jedenfalls“, übernahm Flunkifer wieder das Wort und kam zum eigentlichen Thema zurück. „Ja, ich habe seit kurzer Zeit einen Erkenntnis-Sipal und kann eine Mega-Entwicklung durchführen. Der Einsatz ist aber sehr gefährlich und deswegen mache ich das normalerweise nur im äußersten Notfall. Unsere Gegnerin sah sehr stark aus und ich fühlte mich dazu gezwungen, darauf zurückzugreifen, um sie zurückzudrängen. Während unseres kurzen Kampfes konnte ich ihren Hammer schließlich entreißen und in den See befördern.“ Sie deutete auf das Gewässer, das sich in einiger Entfernung von uns befand. „Leider hat Granforgita auch meinen Ringel entwendet. Es ging so schnell, dass ich zuerst gar nicht bemerkt hatte, dass er plötzlich weg war. Erst, als die Mega-Entwicklung nachgelassen hatte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich vermute, dass er ebenfalls am Grund des Sees liegt.“

    „Goot, dat mien Fähigkeiten noch nich ganz inbrocht sünd!“, rief Granforgita und hob fröhlich eine Hand. Tafforgita schnaubte auf diese Reaktion hin jedoch nur.

    „Du schusst würklich nich stolt op dat Stehlen vun anner Lüüd wesen!“

    „Dat kummt nich wedder vör!“

    Für den Moment beließ sie es dabei und schüttelte den Kopf. Offenbar war die Schmiedemeisterin wesentlich lockerer drauf, als wir bisher angenommen hatten. Gleichzeitig machte sie das aber auch sehr sympathisch neben der eher ernst eingestellten Gehilfin.

    „Also sollten wir im besten Fall noch diesen Hammer aus dem Wasser fischen“, überlegte Feurigel und sah dabei zu mir. Als plötzlich sämtliche Augenpaare auf mir ruhten, zog ich den Kopf ein.

    „Aber wenn der Hammer so schwer ist, kann ich den unmöglich allein rausziehen! Wir brauchen etwas, um ihn anzubinden. Dann könnt ihr ziehen und ich schiebe von unten an, so gut es geht.“

    „Ich möchte einen Deal vorschlagen“, begann Flunkifer und sah uns alle abwechselnd mit ernstem Blick an. „Wir helfen euch, diesen Hammer rauszuziehen und die noch übrigen Münzen zu sammeln. Dafür bringt ihr mir meinen Ringel zurück. Wie klingt das für euch?“

    Der Vorschlag machte Sinn. Für den bisherigen Aufwand war es wohl das Mindeste, Granforgita und Gierspenst bei ihrem Vorhaben zu unterstützen. Letztendlich würde es uns ebenfalls zu Gute kommen, wenn unsere Mission auf eine friedliche Art zu einem Ende finden würde.

    Ich nickte Feurigel zu, die daraufhin aufstand und zu Team Stahlkralle schritt.

    „Deal! Zum Glück habe ich vorhin das Seil nicht durchgebrannt, sodass wir es jetzt noch nutzen können.“

    Damit war die Sache für alle beschlossen.


    Angesichts des freundlichen Gesprächs sowie der Erwähnung, dass es sich bei den anderen Pokémon wohl um Schatzsuchende handelte, fühlte ich mich in meiner Meinung bestätigt. Offenbar waren sie einem falschen Gerücht auf den Leim gegangen und hatten hier deswegen einen Schatz erwartet. Fraglich war hier nur, wie diese Geschichte überhaupt entstanden war, wenn Granforgita und Gierspenst sich immer ohne Zuschauende getroffen hatten.

    Ihrem Auftreten nach zu urteilen wirkten die Mitglieder von Team Stahlkralle zudem nicht so, als würden sie die Leistung anderer missbilligen. Zur richtigen Zeit von seinen Vorhaben abzulassen und auf andere zuzugehen war eine besondere Fähigkeit, die ich selbst gerne noch etwas vertiefen wollte. Vielleicht war nun der richtige Moment, um das zu testen.

    Feurigel hatte in der Zwischenzeit das lange Seil geholt und mir ein Ende übergeben. Ich nickte ihr zu, dass ich nun meinen Part erledigen würde. Mit aller Ruhe, die mir gegönnt wurde, krabbelte ich in Richtung des Sees und sprang herzhaft hinein. Das kühle Wasser der Höhle umgab mich augenblicklich und ich fühlte mich mit einem Mal besonders erfrischt. Tatsächlich hatte ich das schon den ganzen Tag benötigt und ich war froh darüber, mich nun in meinem Element aufhalten zu können. Selbst wenn es nur für diesen Moment war.

    Beinahe gab ich mich der Versuchung hin, einfach eine Zeit lang hier zu verweilen. Ich erinnerte mich jedoch an meine Aufgabe und tauchte die kurze Strecke bis zum Boden des Sees. Tatsächlich fand ich dort einen riesigen Hammer liegen, der wohl Granforgita gehörte. Während ich das lose Ende um den Kopf wickelte, ließ ich mir die Größe mehrere Male durch meine Gedanken gehen. Wenn bereits Tafforgita mit solch einem enormen Werkzeug herumlief, wie gut musste dann erst Granforgita mit ihrem Hammer umgehen können? Vielleicht würde ich sie später danach fragen.

    Der Knoten saß und ich schwamm wieder hoch. An der Oberfläche spuckte ich das im Mund gesammelte Wasser aus und holte danach tief Luft.

    „Alles klar, ihr könnt anpacken!“

    Beinahe wollte ich schon wieder untertauchen, als Granforgita eine Hand hob und mir zuwinkte. Neugierig wartete ich darauf, was sie zu sagen hatte.

    „Laat mal, dat maak ik al alleen!“

    Schließlich übernahm sie von Feurigel das andere Ende und zog so lange daran, bis sich das Seil spannte. Tafforgita schüttelte erneut mit dem Kopf, ließ ihren Hammer fallen und ging schließlich zu ihrer Meisterin hin. Sie ergriff das Seil an einer freien Stelle und stemmte sich ebenfalls gegen das Gewicht.

    „Nu laat di doch ok mal helpen!“

    „Du schusst eerst mal en bestännigeren Hamer maken, bevör du mi helpst!“

    „Woans, wenn du nich dar büst un ik mi Sorgen maak?!“

    Während die beiden noch einige offenbar persönliche Dinge zu besprechen hatten, hielt ich mich weiterhin im Wasser schwimmend auf. Wie Granforgita bereits gesagt hatte, bestand wohl kein Problem, dass die beiden das Werkzeug allein herausziehen würden. Sie bewegten sich zumindest fortwährend ohne Mühe nach hinten und ich konnte deutlich die Schwingungen unter der Oberfläche spüren. Dementsprechend entfernte ich mich etwas, um für das Objekt freie Bahn zu machen.

    Mit einem letzten gemeinsamen Hauruck schafften es die beiden schließlich, den Hammer aus dem See zu hieven. Als der Widerstand des Wassers nachgab, waren die beiden allerdings so eifrig, dass das Werkzeug einen großen Bogen in der Luft beschrieb. Als es schließlich auf dem Boden ankam, war ein lautes Getöse in der Höhle zu vernehmen. Rotomurf deckte mit seinen Klauen die Augen ab, während Kranoviz lediglich den Kopf wegdrehte und Flunkifer keine Miene verzog. Beim Anblick des riesigen Objekts blieb allerdings auch Feurigel kurz die Luft weg. Granforgita löste den Knoten, nahm den Hammer lachend in eine Hand und schulterte diesen mühelos.

    „Ik heff to danken! Nu bün ik wedder vullstännig!“

    Beim direkten Vergleich merkte ich erst, dass ihr Werkzeug sicher doppelt oder dreimal so groß wie sie selbst war. Dabei verwunderte mich nicht mehr, dass Flunkifer bei der ersten Begegnung zu drastischeren Maßnahmen greifen musste.

    Sie kam nun übrigens an den Rand des Sees und deutete mit einem freundlichen Gesichtsausdruck nach unten.

    „Wenn du so gut wärst? Wir sehen uns in der Zwischenzeit nach den übrigen Münzen um.“

    Flunkifer ordnete ihren beiden Teamkollegen an, dass sie sich in der Nähe umsehen sollten. Bevor sie sich auf den Weg machten, hielt ich sie jedoch noch kurz zurück.

    „Wartet bitte“, sagte ich und rief zu Feurigel hin. „Du hast doch einen Scanner-Orb eingepackt, oder?“

    Sie nickte und holte aus der Item-Box den verbliebenen Orb heraus.

    „Ja, hier. Den wollte ich nun eigentlich auch einsetzen. Ansonsten suchen wir diese Höhle doch ewig nach Münzen ab.“

    „Okay, dann habe ich nichts gesagt“, gab ich schmunzelnd zurück. Anschließend tauchte ich sofort ab, um Flunkifers Bitte nachzugehen und ihren Ringel zu suchen. Glücklicherweise wusste ich, wie diese Schmuckstücke aussahen und konnte mich daran orientieren. Zwar war es etwas dunkel, jedoch konnte ich den Ringel durch seinen Glanz in kurzer Zeit ausfindig machen. Gerade als ich ihn nehmen wollte, leuchtete er jedoch mit einem merkwürdigen, grünen Schimmer auf. Ich hielt meine Hand zurück, erinnerte mich jedoch daran, dass Feurigel vermutlich den Scanner-Orb eingesetzt hatte. Alle Items in der Nähe wurden auf diese Weise durch einen intensiven Glanz hervorgehoben und das war nun auch mit diesem Schmuckstück passiert.

    Mit geübtem Griff nahm ich das Objekt, dessen Schimmer augenblicklich verschwand, und schwamm erneut an die Oberfläche. Ich entledigte mich des überschüssigen Wassers im Mund und stieg vorsichtig am Rand des Sees heraus. Wie ich von meiner Position erkennen konnte, hatten sich sämtliche Pokémon in der Höhle und in den angrenzenden Gängen verteilt, um Münzen zu suchen. Feurigel befand sich dabei mit Gierspensts Truhe etwa in der Mitte der Höhle und koordinierte alle, um effektiv nach den Items zu suchen. Der Scanner-Orb hatte neben der geheimnisvollen Hervorhebung nämlich auch die Funktion, über die Kugel selbst die Richtung der Gegenstände bestimmen zu können. Das erleichterte in vielerlei Hinsicht die Suche nach bestimmten Items. Wurden sie jedoch von einem anderen Pokémon hochgehoben, so konnten sie auch nicht mehr ausfindig gemacht werden. Item-Suchen konnten sich auf diese Weise unter Umständen schwierig gestalten und erforderten viel Aufmerksamkeit seitens des zuständigen Teams.

    Mit dem Ringel in einer Hand ging ich nun zu Feurigel und unterstützte sie bei ihrer Arbeit. Ihr war es schon immer sehr leicht gefallen, Arbeiten zu koordinieren. Mit einem solch großen Team schien es auch wesentlich mehr Spaß zu bereiten als sonst üblich.

    Ich nickte ihr zu und legte den Ringel neben ihr auf einen Felsen. So konnte Flunkifer diesen, wenn sie mit ihren Fundsachen zurückkam, direkt an sich nehmen. Anschließend ging ich ebenfalls in eine Richtung, in der ich zwei Münzen bereits am Schein erkennen konnte. Eine davon warf ich in die bereits gut gefüllte Truhe, während ich die andere in unsere Item-Box steckte. In gewisser Hinsicht machte es mir mittlerweile Spaß, diese Münzen zu sammeln. Sollten am Ende noch welche fehlen, könnten wir diese sicherlich bereitstellen.


    Nach einiger Zeit hatten wir es tatsächlich geschafft. Die Truhe war randvoll mit Münzen gefüllt, die Gierspenst laut eigener Aussage zu seiner Entwicklung verhalfen. Hätten er und Granforgita nicht schon im Vorhinein so viele gesammelt, hätte uns die Suche in der Höhle vermutlich noch mehr Zeit gekostet. Offenbar wurde der Ort auch nicht ohne Grund von den beiden ausgewählt, denn hier war eine sonderbar große Menge der Münzen zu finden. Nachdem der Scanner-Orb noch immer ausschlug und Items hervorhob, hatte ich das Gefühl, dass es deutlich mehr waren als wir gefunden hatten. Zumindest nahm ich die Gelegenheit wahr, noch eine Münze in unsere Item-Box zu stecken. Offenbar würden diese Exemplare ohnehin nicht mehr benötigt werden.

    Schließlich kamen nach und nach alle Pokémon zurück zum Sammelplatz. Flunkifer war sehr erfreut darüber, dass ich ihren Ringel aus dem Wasser gefischt hatte. Mit einer geübten Bewegung streifte sie ihn sich über das Handgelenk und streckte besagten Arm nach oben, um ihn allen zu zeigen. Rotomurf applaudierte freudig und Kranoviz nahm den Erhalt des Objekts hingegen überraschend gefasst wahr.

    „Schön, dass wir alle glücklich sind“, sagte dieser und blickte in die Runde. „Ohne Schatz können wir uns nun aber auch aus dem Staub machen.“

    „Kein Stress“, gab Flunkifer zurück und deutete auf die volle Truhe. „Jetzt sind wir schon so weit, da können wir uns auch noch das eigentliche Spektakel ansehen.“

    „Tsk!“

    Seine verärgerte Haltung konnte er nicht mehr verbergen. Eventuell stieß es ihm noch immer übel auf, dass er vorhin so niederschmetternd besiegt wurde. Ich hatte kurz überlegt, etwas zu sagen, allerdings fühlte ich mich nicht wohl bei dem Gedanken. Zumindest wollte ich ihm keinen Grund geben, noch wütender zu werden.

    Gierspenst trat nun langsam vor und ging auf die Kiste zu. Er schien etwas zögerlich zu sein, ob er diesen Schritt nun tatsächlich wagen sollte. Während wir uns alle im Kreis rund um ihn herum aufgestellt hatten, wandte er sich an Granforgita.

    „Danke, dass du mir in letzter Zeit ausgeholfen hast! Ehrlich gesagt möchte ich mir nicht vorstellen, wie viele Probleme ich dir bereitet habe.“

    Die Schmiedemeisterin winkte ab und lächelte dabei fröhlich.

    „Keen Probleem! Villicht schölen ik tokamen Maal aver wat seggen, dat ik länger weg bün. Denn mutt sik nüms Sorgen maken.“

    Sie sah dabei mit einem entschuldigenden Blick zu Tafforgita, die ihrerseits den Boden fixierte. Offenbar war es ihr unangenehm, dass die Sache so offen angesprochen wurde.

    „Schullst du würklich, ja. Tominnst büst du wedder dar.“

    Es war schwierig, ihre Emotionen auszunehmen. Ärger, Reue und Freude über die Zusammenkunft der beiden schienen sich in ihrem Inneren rasch abzuwechseln. Womöglich benötigte sie einfach Zeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

    Anschließend wandte sich Gierspenst an sie, Feurigel und mich.

    „Euch möchte ich ebenfalls gern danken! Zwar war unsere gemeinsame Zeit nur kurz, aber ich konnte mich davon überzeugen, dass ihr sehr überlegt vorgeht. Außerdem kann ich nicht abstreiten, dass ich vorhin wachgerüttelt wurde.“

    Sein Blick fiel in diesem Zusammenhang auf Tafforgita. Ihre harschen Worte hatten offenbar Wirkung gezeigt, damit er sich überwinden konnte, uns zu unterstützen. So konnten wir im Anschluss jedenfalls sämtliche Missverständnisse klären.

    „Dafür … möchte ich euch gerne die hier geben.“

    Gierspenst übergab mir die einzelne Münze, die er schon die ganze Zeit auf seinem Rücken getragen hatte. Es überraschte mich, dass er sie nach diesem Erlebnis nicht selbst behalten wollte.

    „Aber wäre es nicht besser, wenn sie bei dir verbleibt?“, sprach Feurigel meinen Gedanken laut aus. Dieser lehnte jedoch entschieden ab.

    „In der Truhe sind bereits mehr als genug Münzen für die Entwicklung! Ich würde sie daher ohnehin nicht benötigen.“

    „Dann behalten wir sie eben als schönes Erinnerungsstück“, beschloss ich die Sache und lächelte ihn an. Vermutlich hatte Gierspenst nicht so weit gedacht, aber für uns war die Sache ebenfalls ein kleines Abenteuer gewesen. Gemeinsam mit den anderen Münzen würden wir sicher noch einige Zeit an diese Mission denken. Feurigel zeigte sich ebenfalls erfreut, das Geschenk auf diese Weise zu ehren.

    Zuletzt sprach er auch einige Worte an Team Stahlkralle.

    „Zwar bin ich von euren Methoden noch nicht ganz überzeugt, aber ihr habt ebenfalls gezeigt, für die Pokémon in eurer Umgebung da zu sein. Darin habe ich mich wohl zuerst in euch getäuscht.“

    Flunkifer schnaubte aufgrund der Bemerkung zu ihren Fähigkeiten.

    „Eigentlich sollten wir uns entschuldigen, dass wir in euer Treffen reingeplatzt sind. Gerüchte haben eben das Problem, dass etwas Wahres dran sein kann oder auch nicht. Viele Teams hätten nicht so reagiert wie wir, aber ich sehe, was du meinst.“

    Gierspenst nickte und machte sich nun daran, seinem eigenen Ziel nachzugehen. Er visierte dazu die volle Truhe an und sprang mit einem gewaltigen Satz auf den Inhalt. Schließlich vergrub er sich in den Münzen und die Kiste schloss sich mit ihm darin. Während wir für kurze Zeit verwirrte Blicke austauschten, erklangen aus dem Inneren merkwürdige Geräusche. Als sie sich plötzlich wieder öffnete, strahlte aus ihr ein helles, beinahe goldenes Licht. Erschrocken verdeckte ich mit meinen Händen die Augen, bis ich einen lauten Ruf vernehmen konnte. Eine große Gestalt kam johlend aus dem Schein heraus und ließ die Umgebung in einem ebenfalls strahlenden Licht leuchten. Anders als erwartet stellte er sich jedoch nicht neben uns, sondern schien sich mühelos in der Luft zu bewegen. Dabei war ein beständiges Klimpern zu hören, als würden sehr viele metallene Objekte aufeinander geworfen werden.

    Als wir schließlich alle wieder etwas sehen konnten, erkannten wir, dass die Truhe bis auf wenige verbliebene Münzen beinahe leer war. Ohne Zweifel konnte die Gestalt nur Gierspenst sein. Wir konnten ihn schnell ausfindig machen, wie er offenbar surfend durch die Höhle schlitterte und seine neuen Fähigkeiten ausprobierte. Nach einiger Zeit kam er wieder bei uns an und zeigte sich in seiner vollen Pracht. Ganz anders als zuvor war sein Körper nun vollkommen in Gold gehüllt. Die einzige Ausnahme stellte ein Gürtel dar, den er lässig umgebunden hatte.

    „Es ist wundervoll!“, rief er nun laut und erhielt dafür einen durchaus angemessenen Applaus von allen. Selbst Kranoviz zeigte sich beeindruckt und lächelte verschmitzt.

    „Freut mich, dass es geklappt hat, Gierspenst!“, sagte ich. Allerdings erhielt ich eine tadelnde Handbewegung als Reaktion.

    „Monetigo bitte! Gierspenst war gestern. Heute gibt es nur noch mich und nicht mehr diese doofe Truhe!“

    „Was passiert nun mit ihr?“, fragte Flunkifer interessiert. Sie hatte die Hände vor der Brust verschränkt und sie deutete mit dem Kopf zur Kiste. Monetigo lachte nur und streckte beide Arme zur Seite aus.

    „Die bleibt für weitere Gierspenst hier! Immerhin werden sich auch andere gern entwickeln wollen und da wäre es nur sinnvoll, die Münzen irgendwo sammeln zu können. Nicht dass es mich tangieren würde, aber es ist einfach …“

    „Jo, wi hebbt verstahn“, unterbrach ihn Tafforgita, die zusätzlich mit den Augen rollte. Obwohl sich die beiden wohl gut kannten, kam sie nicht umhin, seine Lobeshymnen immer klein zu reden. In gewisser Hinsicht konnte ich das gut nachvollziehen.

    „Nun denn“, begann Flunkifer und sah zu ihren beiden Teamkollegen. „Ich denke, damit sind wir hier fertig. Lasst uns gehen!“

    „Endlich“, seufzte Kranoviz, während Rotomurf mit einem klaren Ja seine Freude zeigte. Sie nickte und alle drei begaben sich langsam zum Höhleneingang, von dem wir ursprünglich herein kamen. Flunkifer blieb allerdings noch einmal stehen und drehte sich um.

    „Da fällt mir ein, ich habe nie nach eurem Team gefragt. Entschuldigt bitte! Wo seid ihr eigentlich ansässig?“

    „Wir, äh, sind Team Buntschwinge“, sagte ich rasch und Feurigel ergänzte den Rest.

    „Unser Spezialgebiet sind Erkundungen aller Art, die wir von Auendorf aus starten.“

    „Auendorf sagst du?“

    Flunkifer schloss kurz die Augen und sinnierte offenbar, ob ihr der Name des Ortes bekannt vorkam. Schließlich nickte sie und zwinkerte uns zu.

    „Ich denke, wir werden uns sicher irgendwann wiedersehen. Also dann, Team Buntschwinge. Bis bald!“

    Anschließend lief sie den bereits weiter entfernt stehenden Pokémon hinterher. Während sie ihrer eigenen Dinge nachgingen, besprachen wir, wie es nun weiter gehen sollte. Immerhin mussten wir noch mit unserer Klientin zurückkehren.

    „Sollen wir dann auch langsam aufbrechen?“, fragte Feurigel in die Runde. Während Tafforgita und ich eilig bejahten, wollte Granforgita wohl noch etwas mit Monetigo besprechen. Durch den Größenunterschied musste sie daher zu ihm hochblicken.

    „Ik verlaat mi op di!“

    „Ich werde mich erkenntlich zeigen!“, antwortete er lediglich und verneigte sich. Daraufhin verabschiedeten wir uns von ihm und er zog allein in die Tiefen der Höhle.

    Feurigel führte unsere Gruppe hingegen schnell nach draußen und wir traten im Schein der hoch stehenden Sonne den Rückweg nach Auendorf an. Obwohl wir mehrere Male fragten, welches Versprechen sich Granforgita und Monetigo gegeben hatten, erhielten wir immer nur ein schallendes Lachen als Antwort.

    Es versprach, ein wirklich schöner Tag zu werden.


    Ein lautes Geräusch ertönte von draußen und weckte mich abrupt aus meinem Schlaf. Es dauerte einige Momente, bis ich verstand, dass Pelipper bereits die Post ausgetragen hatte und dabei energisch den Deckel des Briefkastens geschlossen hatte. Den kräftigen Flügelschlägen nach zu urteilen, die nun zu hören waren, schien sie auch nicht gerade für ein Pläuschchen bereit zu sein. Sie hatte auch immer so viel zu tun, dass mich das kaum mehr verwunderte.

    Noch völlig schlaftrunken streckte ich mich auf meiner Schlafstelle, bevor ich den Weg zur Tür antrat und diese öffnete. Die kühle Morgenluft umschloss mich direkt und sorgte dafür, dass mir kurzzeitig fröstelte. Der Griff in den Briefkasten erfolgte anschließend mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass ich kaum darauf achtete, was ich da eigentlich alles mitgenommen hatte. Nur am Rande bekam ich mit, dass der Himmel bereits dämmerte. Zu früh für Zustellungen in meinen Augen.

    Mit der Post in einer Hand trat ich wieder in unsere Basis ein und setzte mich damit zum Tisch. Ein Werbebanner für das Geschäft der Kecleon-Brüder sorgte wieder einmal dafür, die aktuellsten Angebote zu bewerben. Außerdem befand sich zwischen den Sendungen eine einzelne Münze. Warum fühlte sich dieser Morgen nur so an, als hätte ich ihn bereits einmal erlebt?

    Nachdem sich aber keine interessanten Briefe in der Post befanden, lehnte ich mich kurz zurück. Ich realisierte erst jetzt, dass Feurigel und ich gestern ja den ganzen Tag unterwegs gewesen waren. Den Pfad von den Tarne-Ruinen bis nach Auendorf hatten wir wesentlich schneller als erwartet zurückgelegt. Dennoch wurde es noch später Abend und vermutlich hatten wir uns so müde gefühlt, dass wir direkt schlafen gegangen waren. Jedenfalls konnte ich mich nicht an mehr erinnern.

    Mein Blick fiel nun auf die Münzen auf dem Tisch. Vor zwei Tagen hatten wir schon eine kleine Menge angehäuft und ich erinnerte mich, dass Curelei vor unserem Aufbruch auch eine beigesteuert hatte. Das musste jene aus dem Briefkasten sein. In der Ecke befand sich hingegen die umgeworfene Item-Box, aus der einige Münzen herausgefallen waren. Wir hatten uns gestern offenbar wirklich nicht mehr lange damit aufgehalten, die Geschehnisse der letzten beiden Tage Revue passieren zu lassen. Andererseits hatten wir für heute definitiv noch nichts geplant und konnten uns ohnehin ausruhen. Dabei würden wir sicherlich auch einen guten Platz für all die Münzen finden.

    Ich lächelte. Obwohl es ganz anders als erwartet kam, hatten wir doch eine Menge Spaß auf dieser Erkundung. Gierspenst konnten wir zu seiner Entwicklung verhelfen und Granforgita war wieder zurückgekehrt, um hoffentlich ihre Arbeit aufzunehmen. Am meisten hatte mich aber Tafforgita überrascht. So abweisend sie uns gegenüber zu Beginn noch war, so sehr entpuppte sie sich schließlich als wichtiges Teammitglied. Ohne sie wären wir vermutlich niemals so weit gekommen. Dafür sollten wir uns wirklich noch bedanken.

    Kurz hatte ich überlegt, mich erneut hinzulegen. Andererseits fiel es mir unglaublich schwer, wenn ich denn einmal wach war, noch eine Runde Schlaf zu bekommen. Insofern nutzte ich die Zeit, um ein geeignetes Plätzchen für die Münzen zu finden. Dazu musste ich tatsächlich nicht einmal etwas umräumen, sondern konnte sie schön in einem Teil des Regals auftürmen. Eine Münze zeigte stellvertretend mit der großen Fläche nach vorne, damit wir auf einen Blick wussten, was es damit auf sich hatte.

    Obwohl ich nicht sonderlich leise beim Stapeln war und öfters ein auffälliges Klimpern zu vernehmen war, wurde Feurigel davon nicht wach. Ganz im Gegenteil schien sie in einem solch tiefen Schlaf zu sein, dass sie absolut nichts von ihrer Umgebung mitbekam. Manchmal beneidete ich sie um diese Fähigkeit.

    Im Anschluss nahm ich die übrig gelassenen Items aus der Box und legte die Äpfel auf den Tisch. Die Top-Elixiere würden wir später noch zu Kangama ins Lager bringen. Daher wanderten diese vorerst in das kleine Einkaufskörbchen.

    Ich sah kurz nach draußen und bemerkte, dass es immer heller wurde. Vermutlich würde es also nicht mehr lange dauern, bis Feurigel wach wurde. Tatsächlich gähnte sie auch schon nach kurzer Zeit laut, als ich den Werbebanner genauer begutachtete.

    „Guten Morgen!“, rief ich freundlich. Feurigel stand daraufhin langsam auf und setzte sich zu mir an den Tisch.

    „War die Post etwa schon wieder so früh da?“, fragte sie und ich nickte. Dabei erzählte ich ihr auch, dass ich mich bereits um einen guten Ort für die Münzen gekümmert hatte. Gerade als ich zum Regal deutete, schien Feurigel allerdings in Gedanken versunken zu sein.

    „Aber ist es nicht seltsam?“, begann sie und suchte unter dem Haufen an Werbung nach einer bestimmten Sache. Tatsächlich hatte sie bald wieder den Brief mit der aufgedruckten Münze gefunden, den wir vor zwei Tagen erhalten hatten. „Wer hat uns den nur geschickt? Granforgita wird wohl kaum Gelegenheit dazu gehabt haben und mir scheint das alles eher ein sehr spontaner Zufall gewesen zu sein.“

    Nachdenklich legte ich den Kopf schief. Sie hatte recht, dass wir eigentlich noch immer nicht herausgefunden hatten, wer der Absender dieses Briefes war. Merkwürdig war es durchaus, dass wir auch während unserer Mission keine Anzeichen darauf erhalten hatten.

    „Ich frage mich, ob der Brief eigentlich an jemand anderes gehen sollte?“, warf ich in den Raum. Feurigel schüttelte lediglich mit dem Kopf und griff zu einem der Äpfel auf dem Tisch.

    „Vermutlich ist es auch nicht wichtig. Immerhin haben wir unseren Auftrag erfolgreich abgeschlossen und das zählt für uns.“

    „Ja!“, stimmte ich zu und sprach nun meinen Gedanken von heute Morgen laut aus. „Wir sollten aber auf jeden Fall noch in der Schmiede vorbeischauen und uns bedanken. Ohne Tafforgita wären wir nie so weit gekommen.“

    „Natürlich!“

    Als wir unser morgendliches Gespräch beendet und die Äpfel verspeist hatten, machten wir uns direkt auf den Weg zum Lager. Wir sprachen dabei noch über einige Dinge, die gestern in der Höhle bei den Tarne-Ruinen passiert waren. Bereits von weitem rief uns Tama entgegen, der sich außerhalb des Gebäudes befand.

    „Hey, seid ihr endlich zurück? Was habt ihr erlebt?“

    „Also“, begann ich und erzählte, dass wir Granforgita wieder gefunden hatten und einem Team aus Schatzsuchenden begegnet waren. Die Existenz von Gierspenst sowie den eigentlichen Sinn der Münzen verschwiegen wir dabei allerdings. Nachdem das Treffen ursprünglich im Geheimen stattgefunden hatte, wollten wir nicht sofort darüber sprechen, solange wir nicht gefragt wurden. Zumindest schienen schon genug Gerüchte im Umlauf zu sein, die nicht noch weiter befeuert werden mussten.

    „Klingt toll!“, rief Tama und begutachtete unsere Top-Elixiere. „Soll ich die für euch einlagern? Sie sehen unbenutzt aus.“

    „Ja, gerne“, sagte Feurigel und übergab ihm die beiden Items. Er bedankte sich freundlich und lief damit schnell hinein. Kurze Zeit später kam er tatsächlich mit zwei Münzen zurück und übergab sie an uns.

    „Da, die sind für euch! Ich muss ja auch langsam lernen zu handeln und so können wir schon mal anfangen!“

    Während Feurigel lediglich mit dem Kopf schüttelte, prustete ich laut und nahm die Münzen dankend an. Tama lachte daraufhin und schien unsere Reaktionen als eher belustigend aufzunehmen. Er erwähnte daraufhin, dass er für seine Sammlung bereits von mehreren Pokémon schief angeschaut wurde. Allerdings machte er sich nicht viel aus deren Meinungen.

    Schließlich verabschiedeten wir uns wieder von ihm und ich schlug vor, in Richtung des Marktes zu gehen. Mich interessierte, ob die Kecleon-Brüder etwas Interessantes im Angebot hatten und ob sie noch immer diese Münzen verteilten. Feurigel stimmte ein und so nahmen wir die Abzweigung zu deren Stand.


    Unser Besuch bei den Kecleon gestaltete sich als äußerst amüsant. Nicht nur, dass sich keine weiteren Pokémon an diesem Morgen in der Schlange befanden, gaben sie sich beim Empfang übermäßig freundlich, beinahe schon dubios. Leon sprach dabei ausgiebig über Items und fehlgeschlagenes Marketing. Die Münzen von vor zwei Tagen waren wohl bereits out und so musste etwas ganz Neues her.

    „Nämlich das hier!“, sagte er und präsentierte stolz etwas, was man am ehesten als aufwändig gestaltetes Bild wahrnehmen konnte.

    „Und das ist?“, fragte Feurigel neugierig, woraufhin in Leos Augen ein merkwürdiger Glanz lag.

    „Sticker natürlich!“

    „Von uns beiden, versteht sich!“, führte Leon weiter aus. „Auf jedem zehnten Artikel befindet sich ein solcher für die Sammlung. Also …“

    „Wollt ihr etwas kaufen? Vielleicht den Orb des Tages?“

    Angesichts des interessanten Sammelaspektes war ich fast versucht, Ja zu sagen. Da wir aber keinerlei Unternehmungen vorgenommen hatten, lehnte ich ab und erhielt daraufhin ein enttäuschtes Seufzen.

    „Schade, da entgeht euch wirklich etwas“, meinte Leon. Er nahm den einzelnen Sticker von Leo an und reichte ihn mir. „Dennoch, hier, als kleines Werbegeschenk. Nur für unser liebstes Team!“

    „Danke!“, riefen Feurigel und ich gleichzeitig und nahmen die Spende an. Der Sticker wanderte direkt in das Einkaufskörbchen, wo er sicher verwahrt war. Vielleicht hatten wir später in der Basis noch eine sinnvolle Verwendung dafür. Zumindest hatte ich darauf spekuliert, einen zu erhalten, wenn wir uns mit einem Kauf zurückhielten.

    Nachdem wir noch ein paar Worte zum Tagesgeschehen gewechselt hatten, traten wir nun den Weg zur Schmiede an. Im Gegensatz zu vorgestern fühlte es sich heute bereits selbstverständlich an, zu dem großen Gebäude zu gehen, in dem augenscheinlich schon hart gearbeitet wurde. Dabei konnten wir nicht nur Rauch durch den Schornstein entkommen sehen, sondern von innen Klopfgeräusche auf Metall vernehmen. Das war letztens noch nicht der Fall und erfüllte mich tatsächlich mit großer Erleichterung.

    Feurigel ging voran durch die Tür und erneut strömte uns bereits hier äußerst warme Luft entgegen. Sonderlich wohl fühlte ich mich noch immer nicht, aber für den kurzen Aufenthalt würde es schon in Ordnung gehen. So hoffte ich zumindest.

    Wie bei unserem vorherigen Besuch erwartete uns ein undefinierbares Chaos an Materialien. Offenbar war das hier völlig normal, wenn diverse Werkstücke irgendwo abgelegt und trotzdem wieder gefunden werden konnten. Nachdem sich Tafforgita und Granforgita gut kannten, war das vielleicht auf ihre Zusammenarbeit zurückzuführen. Beide hatten sich verschiedenen Objekten angenommen, deren Form ich nur schwer erkennen konnte. Eventuell waren sie bisher noch nicht so weit gekommen, um etwas Vorzeigbares präsentieren zu können.

    Tafforgita sah schließlich von ihrer Arbeit hoch und war erfreut, uns zu sehen.

    „Memmeon, Feurigel! Wie geiht jo dat vondaag? Ji weren güstern al würklich mööd.“

    „Es geht“, sagte Feurigel. Sie lugte währenddessen interessiert auf die Arbeit, die Tafforgita sachte im Wasser abschreckte. „Wir kamen vor allem wegen dir hier vorbei.“

    „Ja“, übernahm ich nun. „Wir wollten nämlich gern Danke sagen. Mit deiner Hilfe war die Mission ein voller Erfolg.“

    „Ach, keen Oorsaak! Ji hebbt jo so dull anstrengt, dar woll ik nich bloot nahtrecken. Todem …“

    Tafforgita sah nun zu Granforgita, die uns dreien kurz zuwinkte und sich gleich wieder ihrer Arbeit widmete. Sie lächelte dabei und es war klar ersichtlich, dass sie froh war, die Schmiedemeisterin wieder an ihrer Seite zu wissen. Nach den Anstrengungen der letzten Tage konnte ich das gut nachvollziehen.

    Sie wandte sich danach um und kramte in ihren Utensilien. Anschließend hielt sie uns ein glänzendes Objekt entgegen und wirkte dabei besonders aufgeregt.

    „D-dat hier is för jo.“

    Ich tauschte einen kurzen Blick mit Feurigel, bevor ich das runde Dinge annahm. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um eine Münze, wie wir sie schon in den letzten zwei Tagen regelmäßig gefunden hatten. Diese war allerdings nicht golden, sondern glänzte matt und metallisch. Ich drehte sie mehrere Male hin und her und war erstaunt. Abgesehen von der Farbe wirkte sie wie die anderen, wenngleich manchmal etwas grob geformt. Mit einem Mal formte sich ein Geistesblitz.

    „Hast du sie selbst gemacht?“, fragte ich schließlich interessiert.

    Tafforgita hielt sich eine Hand hinter den Kopf und wandte sich von uns ab. Ihr Verhalten sprach klare Worte, wenngleich sie keine direkte Antwort darauf gab. Ich lächelte und ein Seitenblick zu Feurigel zeigte mir, dass sie ebenfalls verstanden hatte.

    „Danke, sie ist toll geworden!“

    „Du verstehst dein Handwerk wirklich gut“, ergänzte meine Partnerin und Tafforgita schien äußerst glücklich über die Reaktion zu sein. Ein auffälliges Schnauben im Hintergrund ließ uns jedoch aufhorchen. Granforgita nahm die Sache eher belustigt hin.

    „Se hett den ganzen Avend dar an arbeidt, so dat dat trech warrt. Dor is noch veel Luft na baven, aver se maakt sik goot.“

    „Ich meine, sie muss auch noch auf dich aufpassen, wenn sie nicht gerade ihrer Arbeit nachgeht“, meinte Feurigel. Sie erntete daraufhin ein lautes Lachen.

    „Goot Punkt! Villicht schölen ik mi ok wat mehr anstrengen.“

    Während Granforgita sprach und Tafforgita ein Grinsen kaum unterbinden konnte, sahen wir zwischen den beiden hin und her. Sie hatten teilweise eine recht derbe Art, sich zu unterhalten, aber es machte immer einen herzlichen Eindruck. Zumindest konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie aufeinander lange böse sein könnten, falls doch einmal etwas wäre.

    Die Schmiedemeisterin stoppte schließlich abrupt ihr beständiges Hämmern und sah zu ihrer Gehilfin hoch.

    „Wullt du dat nu ehr seggen oder nich?“

    Offenbar war die selbstgemachte Münze nicht die einzige Sache, die sie mit uns besprechen wollte. Ich hoffte zumindest nicht, dass es um eine Belohnung ging. Die Münze empfand ich hierbei schon als besondere Erinnerung, die mir mehr wert war als Items.

    „Also“, begann Tafforgita und suchte wohl nach den richtigen Worten. „Dat weer würklich spaßig mit jo in de letzt twee Daag. As ik dar so begeistert över vertellt heff, meen de Meestersche, ik schölen mehr ut de Smiede rutkamen. Deswegen woll ik jo fragen, wat ji villicht Ünnerstütten bruukt. Nich ümmer, aver wenn ji en helpen Hand bruukt.“

    Den letzten Satz fügte sie etwas kleinlaut hinzu, als wollte sie, dass nur wir ihn hören konnten. Anhand von Granforgitas freundlichem Lächeln erkannten wir jedoch, dass sie nur darauf gewartet hatte, uns von diesem Wunsch mitzuteilen.

    Ich erkannte in ihrer Anfrage den Willen, uns bei zukünftigen Missionen eventuell zu unterstützen. Sie schien allerdings unsicher zu sein, ob sie gern ein festes Teammitglied werden oder sich die Möglichkeit freihalten wollte, wieder ihrer eigenen Wege zu gehen. Um ehrlich zu sein, überraschte mich bereits, dass sie nach so kurzer Zeit von sich aus auf uns zukam. Selbst nach einem einzelnen Auftrag war das eher ungewöhnlich. Jedenfalls musste ich nicht lange für eine Antwort überlegen und reichte ihr eine Hand.

    „Ja, gerne! Also, wenn du wirklich Interesse hast, würden wir dich gern an unserer Seite wissen!“

    Anstatt dass Tafforgita einschlug, wandte sie sich erneut von uns ab. Ihrem anschließenden Gemurmel nach zu urteilen, konnte sie ihr Glück aber wohl kaum fassen. Feurigel konnte ein Grinsen kaum unterdrücken. Sie hatte diese Reaktion vermutlich schon erwartet. Dem Freudentaumel gab Granforgita allerdings zwinkernd einen kleinen Dämpfer.

    „Aver nich, dat du de Arbeit hier vergeetst! Du musst di noch wieder verbetern.“

    Selbst die harsche Ansage konnte Tafforgita nicht davon abhalten, sich weiterhin fröhlich zu zeigen. Sie riss daraufhin entschlossen eine Hand nach oben.

    „Dat weet ik! Also denn, an de Arbeit!“

    Nach dieser Einlage winkten wir den beiden zu und traten daraufhin nach draußen. Erneut tat mir die kühle Morgenluft besonders gut, um meine Gedanken sortieren zu können. Als Feurigel die Tür geschlossen und wir uns etwas entfernt hatten, schmunzelte sie.

    „Vielleicht wird es wirklich Zeit, dass wir unser Team etwas vergrößern.“

    „Ja, obwohl sie vorerst nur aushelfen möchte. Wir sollten Tafforgita aber wirklich regelmäßig fragen, ob sie Interesse hat. Zumindest scheint das ihr Herzenswunsch zu sein.“

    „Davon bin ich überzeugt“, ergänzte Feurigel nickend. Obwohl sie sich zunächst zu unserer Basis aufmachen wollte, hatte ich einen anderen Plan gefasst. Mit einer ausschweifenden Handbewegung deutete ich in die Richtung, in der sich die Bänderstube befand. Ich empfand es zumindest als wichtig, Curelei von unserer erfolgreichen Mission in Kenntnis zu setzen und weihte Feurigel in mein Vorhaben ein. Sie verstand sofort und willigte ein, dem nachzugehen.

    Nur kurze Zeit später befanden wir uns im Interieur des Handwerkladens. Ein angenehmer Geruch kitzelte unsere Nasen, der jedoch alles andere als aufdringlich war. Wenn ich mich nicht täuschte, war das sogar Matrifols Lieblingsduft, bei dem sie sich am besten konzentrieren konnte. Die genaue Zusammensetzung war mir allerdings entfallen.

    Wir mussten tatsächlich nicht lange warten, bis Curelei aus dem Hinterzimmer auftauchte und uns freundlich begrüßte.

    „Willkommen! Mit euch hätte ich heute gar nicht gerechnet. Was kann ich für euch tun?“

    „Nun, da wäre eine Sache“, begann ich und abwechselnd erzählten Feurigel und ich ihr von dem absolvierten Auftrag. Zudem erwähnten wir, dass Tafforgita uns in Zukunft bei Bedarf gern unterstützen wollte. Während Matrifol ebenfalls aus dem anderen Zimmer nach vorne kam, kicherte Curelei.

    „So ist das also! Ihr müsst wissen, sie war noch gestern Abend bei uns und hat uns davon erzählt, was sie mit euch erlebt hat. Ich habe sie tatsächlich noch nie so glücklich gesehen.“

    „Das freut mich!“, sagte ich und kam endlich zu meinem eigentlichen Anliegen. „Es ist so: Tafforgita hat so viel für uns getan, dass wir ihr gern eine Freude machen würden. Mit einem eigenen Teamband, das sie in diesen Fällen anlegen kann.“

    „Schau, i hab’s doch gleich g’sagt!“, rief Matrifol. „Sie hot sich so über de beiden g’freut, dass es mich g’wundert hätt’, wenn sie ned fragt.“

    „Da hast du wohl recht“, lachte Curelei und wandte sich wieder uns zu. „Wir würden mit Freuden eure Bestellung aufnehmen! Habt ihr bestimmte Wünsche?“

    „Außer dem Team-Logo nichts Spezielles“, gab Feurigel zurück. „Ihr kennt Tafforgita besser, da wisst ihr um ihre Präferenzen sicher Bescheid?“

    „Durchaus, ja. Dann werden wir dieses Band als Freundschaftsdienst anfertigen.“ Zwinkernd fügte Curelei dann noch hinzu: „Mit einem kleinen Rabatt für euch, da ihr euch so gut um sie kümmert.“

    „Dann muss i mi’ ja wenigstens ned anstrengen, wenn du meine Bandl verscherbelst!“, meinte Matrifol und verschränkte dabei die Arme. Es veranlasste uns jedenfalls alle dazu, zu lachen. Nachdem Curelei sämtliche Details notiert hatte, verabschiedeten wir uns von den beiden Inhaberinnen und gingen nun endlich zurück zu unserer Basis. Die selbstgeschmiedete Münze stellte ich anstelle der goldenen voran ins Regal und der Rest wurde dahinter aufeinander gestapelt.

    „Damit hätten wir insgesamt dreißig gesammelt“, meinte ich zu Feurigel und sie nickte verstehend.

    „Wer weiß, wann wir wieder ein Gierspenst treffen. Vielleicht kommen sie uns dann ja zugute?“

    „Ich würde sie ja gerne als Erinnerung behalten.“

    „Das war auch mehr als Scherz gemeint.“

    Auf ihre Aussage hin grinste ich und wir überlegten gemeinsam, was wir an diesem Tag noch anstellen sollten.


  • Winterwunderwelt

    geschrieben am 24.12.23


    Der Duft frisch gebackener Lebkuchen und Kekse erfüllte die Wohnräume mit einem angenehmen Aroma. Während draußen der Schnee fiel, hatte sich der Kater auf seiner Lieblingsdecke gemütlich eingerollt. Mara strich ihm sanft mit einem Finger über den Kopf und er begann augenblicklich zu schnurren. Ein Lächeln zierte ihr Gesicht, bevor sie sich wieder dem Blick aus dem Fenster widmete. Einige Eiskristalle hatten sich auf der Scheibe festgesetzt und verschönerten die Sicht auf den Spektakel außerhalb des Hauses. Die Welt wurde langsam von einer weißen Decke umhüllt und in tiefen Schlaf versetzt. Es war eine schöne Zeit, die zum Träumen einlud.


  • Pokémon Mystery Dungeon – Mochi-Zubereitung

    geschrieben am 30. und 31.12.23


    „Mochi?“

    Während Feurigel interessiert nachfragte, legte ich lediglich den Kopf schief. Mir war noch nicht ganz bewusst, warum sich Tafforgita zur Aufgabe gemacht hatte, den in Wasser aufgelösten Reis zu verarbeiten. Sie lachte allerdings und deutete schließlich zur Masse in dem großen hölzernen Mörser.

    „Reiskuken! Dat is en Snökerkraam. As wi rümkamen sünd, hebbt wi vun düsse Traditschoon lehrt.“

    Ich näherte mich dem Behälter und roch vorsichtig daran. Einen besonders süßen Eindruck machte das alles nicht auf mich. Womöglich würde sich das aber noch ergeben.

    „Und wie sollen wir dir dabei nun helfen?“, fragte Feurigel.

    „Ganz eenfach! Ik slah de Masse mit ’n Hamer un ji knütten ehr dör, so dat se evendrächtig bearbeit wurrd.“

    „Das klingt gefährlich“, sagte Feurigel und sah mich eindringlich an. Allzu überzeugt war ich davon ebenfalls nicht. Ich schätzte Tafforgita aber so ein, dass sie uns nicht verletzen würde. Zumindest hatte sie Erfahrung damit, einen Hammer koordiniert zu schwingen.

    „Wir können es ja mal versuchen“, gab ich zurück und erwartete weitere Anweisungen. Tafforgita ließ es sich nicht nehmen, den Prozess in aller Kürze zu erklären. Während sie den Teig schlug und knetete, sollte Feurigel darauf achten, die Masse immer wieder zusammenzurollen. Auf diese Weise würde gewährleistet, dass der Teig gleichmäßig geschlagen wurde. Meine Aufgabe war es unterdessen, den Teig sowie den Mörser am Rand feucht zu halten, damit die Masse nicht klebrig wurde. Damit würden wir uns gut abwechseln und uns hoffentlich nicht im Weg stehen. Ich musste lediglich aufpassen, nicht zu viel Wasser beizusteuern. Insofern war ich also durchaus gefordert, richtig und rechtzeitig zu reagieren.

    „Praat?“, fragte Tafforgita schließlich, als sie den Holzhammer in beide Hände nahm. Da niemand von uns Einwände hatte, nickte sie. „Op geht's!“

    Was folgte, war schließlich ein merkwürdiger Tanz, bei dem weder Feurigel noch ich wirklich wussten, ob alles mit rechten Dingen zuging. Während wir versuchten, unsere zugeteilten Aufgaben zu erledigen, hämmerte Tafforgita in einem relativ hohen Tempo auf den Teig ein. Mehr als einmal befeuchtete ich den Mörser dabei mit mehr Wasser als gewollt. Wie sollte ich auch abschätzen können, wann es wirklich notwendig war, etwas reinzuträufeln? Feurigel machte es unterdessen zu schaffen, den offenbar schwerfälligen Teig zu wenden, während sie den Hammerschlägen auswich.

    Während wir alle Hände voll zu tun hatten, kamen Curelei und Matrifol in das Zimmer. In einem Korb trugen sie verschiedene Beeren mit sich herum.

    „Ah, seid ihr schon dabei zu kneten?“, fragte Curelei freundlich und sah uns aufmerksam zu. Lediglich Tafforgita wagte es, während der Arbeit zu sprechen. Feurigels und meine Konzentration wurde an anderer Stelle benötigt.

    „Jo! Wüllt ji helpen?“

    „Ich kümmere mich dann um die Füllungen“, gab Curelei zurück. Sie blickte ihrerseits zu Matrifol, die ebenfalls entschieden ablehnte.

    „Na, des is’ nix für mi’. Die groben Arbeiten san bei dir am besten aufg’hoben.“

    „Goot! Wieder geiht dat!“

    „Können wir etwas langsamer machen?“, fragte Feurigel schließlich. Im Stillen stimmte ich ihr zu, wenngleich meine Arbeit weniger aufwändig war als ihre. Tafforgita gab mit einem kurz angebundenen „Jo“ ihr Einverständnis und ließ sich etwas mehr Zeit. Wir schafften es nun wesentlich besser, uns zu koordinieren und den Teig fluffiger zu machen. Nach einigen Minuten hörte sie zu hämmern auf und reichte den Teig zu Curelei und Matrifol an den Tisch. Während wir uns alle etwas von der Arbeit erholten, schnitten die beiden kleine Stücke heraus und befüllten sie mit allerlei mitgebrachten Dingen. Sinel- und Pirsifbeeren fanden ebenso Anwendung wie zu einer Paste verarbeitete Prunusbeeren. Besonders letzteres wirkte auf den ersten Blick gar nicht so geschmackvoll.

    „Mit der Paste hat sich Matrifol wieder einmal selbst übertroffen“, gab Curelei unter fröhlichem Lachen preis.

    „Ach wos! Du host den entscheidenden Tipp gegeben, damit es wirklich guat wird.“

    Ihre Freundin war wie immer darauf bedacht, den Erfolg als etwas Gemeinsames zu verbuchen. Das war mir bereits durch die Besuche in der Bänderstube aufgefallen. Obwohl ich noch nicht wieder zu Gesprächen bereit war, sah ich den beiden dennoch interessiert zu. Speziell mit den verschiedenen Beeren konnte ich mir nun umso besser vorstellen, dass diese Mochi als Süßigkeit gehandelt wurden. Eventuell musste ich selbst einmal nachschlagen, was es mit diesem Essen eigentlich auf sich hatte.

    Während der vorbereitete Teig zur Neige ging, kam schließlich Granforgita zur Tür herein. Alle Augen waren auf sie gerichtet, während sie Tafforgita mit in die Seite gestemmten Händen ins Visier nahm.

    „Hest du etwa al allens alleen verarbeit?“

    „Nee. De twete Masse is noch dar.“

    „Goot! Op geht's! Wies wi jem, wo dat geiht!“

    Tafforgita nickte entschlossen. Noch bevor irgendjemand erwidern konnte, hatte Granforgita den hölzernen Mörser wieder befüllt und den Hammer selbst in die Hand genommen. Ihre Gehilfin nahm währenddessen den Platz ein, den Feurigel und ich vorhin noch bekleidet hatten. Nachdem sich beide vergewissert hatten, bereit zu sein, schlug Granforgita mit einem lauten Ruf zu. Noch während sie den hölzernen Hammer hob, hatte Tafforgita die Masse bereits zusammengerollt und ebenfalls laut gerufen. Das Spiel ging danach immer wieder hin und her und wirkte wesentlich koordinierter und rhythmischer als bei uns. Beinahe fühlte ich mich etwas vorgeführt, wäre da nicht die Tatsache, dass wir zum ersten Mal dabei waren. Dementsprechend mussten wir uns nichts vorhalten.

    „Vielleicht können wir uns davon etwas absehen“, raunte ich leise zu Feurigel. Sie schien zu überlegen, ob an meinen Worten etwas dran war.

    „Aber bitte nur für das Team und nicht bei dieser Tätigkeit“, gab sie mit vorgehaltener Hand zurück. „Wenn ich den beiden so zusehe, ist mir das dann doch etwas zu stressig.“

    Unwillkürlich begann ich zu lachen. Ehrlich gesagt wollte ich mich dem auch nicht noch einmal stellen. Die Motivation aller hier Anwesenden steckte aber an und ich war wirklich gespannt, eines dieser Mochi zu probieren. Wir beschlossen daher, Curelei und Matrifol beim anschließenden Befüllen zu helfen und die Sache langsam anzugehen. In jedem Fall war es eine interessante Erfahrung an diesem Tag, die wir sicher nicht so schnell vergessen würden.


  • Begeisterung

    geschrieben am 07.01.24


    Ein plötzlicher Schneesturm erfasste das kleine, ländlich liegende Häuschen und hüllte das Dach mit einer weißen Decke ein. Es dauerte nicht lange, bis auch der Boden und die Bäume bedeckt waren. Alles deutete darauf hin, dass bald der Winter kommen würde. Nach einiger Zeit hörte der Schneefall wieder auf, nur um kurze Zeit später wieder zu beginnen. Das Launenspiel der Natur kannte keinerlei Grenzen.

    Tamara lächelte, als sie das rege Treiben beobachtete. Ihre Augen glänzten beim Anblick des Schnees und sie wollte noch viel mehr davon sehen! Also nahm sie die Schneekugel, schüttelte sie und stellte sie auf den Tisch.


  • Den Plottwist hab ich nicht kommen sehen, wirklich interessant umgesetzt :3 und dabei auch noch sehr relatable, ich hab früher ganz genau so mit Schneekugeln gespielt.

    » Kokuna bewegt sich kaum, wenn es an einem Baum haftet.

    In seinem Inneren jedoch regt sich einiges, da es sich auf seine bevorstehende Entwicklung vorbereitet.

    Dabei wird seine Schale sehr heiß. «

  • sein

    geschrieben am 21.01.24


    damals

    waren gewesen

    wollten wir sein

    bis wir irgendwann sind

    jetzt


    heute

    sein werden

    vielleicht sind wir

    werden irgendwann gewesen sein

    zukunft


  • Huhu Rusalka! ^-^


    Ich möchte hier kurz festhalten, dass mir die Einfachheit deines neuen Gedichtes sehr gut gefällt. Bereits der kurzgehaltene und kleingeschriebene Titel eröffnet ein breites Feld möglicher Auslegungen des ihm nachfolgenden Gedanken. Du hältst in deinen Informationen zwar fest, dass der Titel auf den Infinitiv sein (ist, war, werde) abzielt; gleichzeitig kann aber etwa auch das Possessivpronomen sein (mein, dein) darin erkannt werden, was die Interpretation erlaubt, dass ein Ich hier mit einem Er redet – oder: über ein mögliches Zusammensein mit ihm nachdenkt. Insbesondere der zweite Vers des zweiten Elfchens ("sein werden") gefällt mir vor diesem Hintergrund ausgesprochen gut, da er eine Doppeldeutigkeit in sich trägt, die genau damit spielt.


    Die gewählte Form der Elfchen unterstützt den Inhalt wunderbar, da die stetig in ihrer Länge zunehmenden Verse einem fortschreitenden Weg durch die Zeit entsprechen, welcher schließlich aber bei einem bestimmten Punkt ankommt. Dass es nach dem ersten Elfchen nicht bei diesem Punkt bleibt, sondern mit einem zweiten Elfchen weitergeht, passt sehr gut zum Konzept der Zeit, die ebenfalls nicht an einzelnen Punkten stehen bleibt.


    Sprachlich gefällt mir vor allem das Zusammenspiel des zweiten und des dritten Verses im ersten Elfchen. Die regelmäßig wiederkehrenden und in der Regel auch betonten Silben mit einem W am Anfang geben den zwei Versen einen angenehmen Rhythmus, der beim Lesen einen nachdenklichen Nachklang hinterlässt. Nicht betont ist einzig das wir, was ich total spannend finde, da die Verse (und später auch die zweite Strophe) inhaltlich zumindest auch andeuten, dass ein Wir möglicherweise zu einer bestimmten Zeit nicht mehr vorlag. Sie waren zwar ein Wir und wollten es auch durchaus sein, doch trotzdem verging scheinbar eine gewisse Zeit, bis sie es nun tatsächlich sind. Auch das vielleicht in der zweiten Strophe unterstützt den Gedanken, dass alles noch sehr frisch und undefiniert zu sein scheint. Das Futur II zum Ende hin kann einerseits als pessimistischer Ausblick gedeutet werden, möglicherweise noch getragen von den Gedanken an eine vergangene Trennung; es kann aber auch als positiver Ausblick gedeutet werden, dass die zwei bis in die abgeschlossene Zukunft hinein miteinander zusammen gewesen sein werden. So oder so bietet das Ende einen runden Abschluss, indem aus der Vergangenheit über die Gegenwart schließlich mit der Zukunft abgeschlossen wird.


    Es hat mir auf jeden Fall Spaß gemacht, mich länger mit deinem Gedicht zu beschäftigen. Ich bin gespannt, was hier noch alles von dir kommen wird! ^-^