Hier der nächste Batch. Das Kapitel danach kommt, da es eins der längeren ist, in einen eigenen Beitrag. ;)
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[21.07.2011 – M10 – Gegengifte]
Es war zwei Stunden später, dass sie im Krankenhaus ankamen.
Im Krankenhaus selbst schien Betrieb zu herrschen, doch die üblichen Goons, die die Straßenklinik bewachten, waren nicht da. Es musste sie auch nicht interessieren.
Mittlerweile kannte sie den Code, um die Tür zur Straßenklinik zu öffnen, was ein Glück war. Sie wollte den Jungen nicht zur Zentrale nehmen – nun, da er nicht mehr da arbeite. Michael würde versuchen, ihm einen Strick daraus zu drehen. Darum wettete sie. Nein, viel eher würde er versuchen, ihr diesen Strick zu drehen, weil er es liebte, Macht über sie zu haben.
Allerdings hieß eine abgeschlossene Klinik, dass Heidenstein nicht da war.
Nun gut. Sie wusste selbst genug, um Murphy notzuversorgen. Sie hatte seine Wunde bereits ausgewaschen und mit einem feuchten Tuch umwickelt, auch wenn es Murphy in der letzten Stunde zusehens schlechter gegangen war. Er war blass und wackelig auf den Beinen, lehnte aktuell mehr gegen sie, als dass er selbst lief.
„Komm“, meinte sie.
„Warum kommst du hier rein?“, lallte Murphy müde, während das Licht im Flur anging.
„Weil der Doc ein Idiot ist“, erwiderte sie. Sonst hätte er ihr die Codes nicht gegeben. Aber das er ein Idiot war, hatten sie bereits ausgiebig etabliert.
Sie brachte Murphy zum Bad, in dem es auch eine geräumige Dusche gab. Hier schob sie ihm einen Duschhocker hin. „Wasch dich ordentlich, ja?“, wies sie ihn an. „Ich versuche den Doc zu finden.“
Oh, was hätte sie darum gegeben, selbst zu duschen?
„Hilfst du mir?“, fragte Murphy.
Sie betrachtete ihn. Sie war sich nicht sicher, ob er Hilfe brauchte. Wahrscheinlich. Doch ihr war unwohl dabei, ihn anzufassen. „Versuch es so, ja?“
Sie war keine Ärztin.
Schnell machte sie sich daran, ihre Arme zu ausgiebig zu waschen. Sie hatte ihre dreckige Jacke erst einmal im Wagen gelassen, der nun nach einer unangenehmen Mischung aus Kanalisation und faulen Eiern stank.
„Okay“, murmelte Murphy.
Sie lächelte, und verließ den Raum.
Draußen vor der Tür wartend, holte sie ihr Handy heraus, wählte Heidensteins Nummer. Wo war er überhaupt abgeblieben?
Freizeichen. Freizeichen. Freizeichen. Mailbox.
„Fuck“, zischte sie. Wo war Heidenstein?
Konnte sie Murphy allein lassen, ohne dass er umkippte, und in der Dusche ertrank? Warum war sie jetzt ausgerechnet in dieser Situation?
Ach, verdammt. Schnellen Schrittes eilte sie zu den Aufzügen, fuhr nach oben hinauf, öffnete seine Wohnungstür. Das improvisierte Apartment war dunkel und leer.
Also wieder runter, wo sie Murphy dankbarerweise mit einem Handtuch um die Hüfte auf dem Toilettendeckel des Bads sitzen fand.
„Wo ist der Doc?“, fragte er matt.
„Weiß ich auch nicht. Aber ich kümmer‘ mich erst mal um dich.“ Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie man mit Feengift umging.
Dennoch. Wenn man sonst nicht weiterwusste, half es Symptome zu behandeln. Etwas Flüssigkeit intravenös zuzuführen würde sicher nicht schaden. Zumindest wusste sie, dass das Zeug durch Flüssigkeit nicht aggressiver wurde. Und sie konnte die Wunde am Bein ordentlich behandeln, noch einmal desinfizieren und wenn nötig nähen.
„Weißt du überhaupt, was du da machst?“, fragte Murphy, als er seitlich auf der Liege lag. Pakhet hatte auf stabile Seitenlage bestanden.
„Ich weiß genug, um das nötigste zu tun“, meinte sie. Sie hatte ihm, als sie den Katheter gelegt hatte, auch Blut abgenommen. Es blieb zu hoffen, dass es Heidenstein half, wenn er zurückkam.
Ausnahmsweise war es Murphy, der dazu nur brummte und die Augen schloss. Ihm schien schwindelig zu sein.
So arbeitete sie weiter daran, die Wunde zu versorgen, bis endlich weitere Schritte im Flur zu hören waren. Sie kannte diesen Gang. Das war Heidenstein.
Erleichtert atmete sie auf und sah in den Flur hinaus. „Doc!“
Auch Heidenstein war nicht in bester Verfassung. Er blutete aus einer Wunde am Kopf – zum Glück nicht zu stark – wirkte blass und matt. Auch hielt er seine Schulter seltsam, als wäre sie verletzt. Großartig.
„Was ist mit dir passiert?“
„Nur ein kleiner Auftrag“, murmelte er und schürzte die Lippen.
„Ein Auftrag, eh?“ Oh, verdammt.
„Was machst du hier?“, fragte er. Mit „hier“ schien er „in einem Behandlungsraum“ zu meinen.
„Murphy“, erklärte Pakhet kurz angebunden. „In der Anderswelt hat ihn ein giftiger Geist erwischt. Ich hatte eigentlich gehofft, du könntest ihm helfen, aber …“
Heidenstein nickte und lächelte sie an, auch wenn sein Lächeln müde ausfiel. „Ich kümmer mich drum. Lass mich nur kurz die Wunde auswaschen.“
„Du …“, setzte sie an, doch er schüttelte den Kopf, ging an ihr vorbei, klopfte ihr dabei auf die Schulter.
„Dafür bin ich da, Pakhet.“ Er hielt kurz inne, um sie zu mustern. „Du riechst übrigens bezaubernd.“ Er lächelte und brachte sie dazu, die Augen zu verdrehen.
Sobald sie sicher war, dass Murphy nicht mehr kurz vor einem Gifttod stand, würde sie sich eine lange und ausnahmsweise heiße Dusche gönnen.
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[21.07.2011 – D18 – KO]
Als Pakhet aus der Dusche kam, fand sie Heidenstein zusammengesunken auf dem Sofa wieder.
Besorgt ging sie zu ihm rüber, stupste ihn an. „Doc?“
Sie hatte seine Kopfwunde, die dankbarerweise nicht mehr als ein Kratzer war, versorgt. Mehr hatte sie nicht tun können, da seine Schulter nur geprellt war. Nun machte er ihr Sorgen. Hatte er eine Gehirnerschütterung?
Er blinzelte sie an. „Was?“, nuschelte er.
Sie seufzte. Wahrscheinlich war er nur erschöpft. „Ich bring dich ins Bett, ja?“ Damit schob sie seinen Arm über ihre Schulter, half ihm aufzustehen. Er torkelte neben ihr her, schien aber halb zu schlafen. Was sollte es sie stören?
Sie brachte ihn zu seinem Bett und legte ihn darauf ab. Er trug noch immer seine Hose, doch sie würde sie ihm sicher nicht ausziehen. Dankbarerweise hatte er zumindest seine Schuhe zuvor ausgezogen, als er in die Wohnung gekommen war.
Wieder sank er in sich zusammen und sie schob ihn etwas weiter aufs Bett. Kurz nahm sie seine Hand, um seinen Puls zu fühlen. Er war niedrig, aber nicht kritisch.
Mit einem weiteren Seufzen ließ sich auf den Rand des Bettes sinken. „Idiot“, flüsterte sie und musterte ihn.
Sie brauchte einige Sekunden, um zu bemerken, was sie da tat. Es blieb eine Frage: Warum? Der Idiot schaffte es immer wieder, sie aus der Fassung zu bringen.
Sie schüttelte den Kopf, ärgerte sich über sich selbst. Dann stand sie auf und verließ das Zimmer.
Sie wusste bereits, dass sie heute Nacht nicht mehr in ihr Haus zurückkehren würde. Das hieß, sie würde am nächsten Morgen packen müssen. Daran konnte man nichts mehr ändern. Sie durfte Heidenstein und Murphy, der im Krankenraum der Straßenklinik lag, nicht allein lassen.
Missmutig löste sie ihre Prothese und brachte sie in das Gästezimmer, wo sie für den Notfall – oder eher Momente wie diesen – mittlerweile ein Ersatzladegerät lagerte. All das sollte ihr eigentlich Gedanken machen.
Warum war sie hier? Warum vertraute sie ihm? Warum sorgte sie sich um ihn? Das alles war dumm, es war schwach, es war nicht sie, und doch …
Er war ein Freund. Ein Idiot, aber ein Freund. Er war ehrlich, aufrichtig, alles Dinge, die sie zu schätzen wusste.
Und vielleicht brauchte sie einen Freund. Einen Freund, der anders als Robert, wusste, wie ihr Alltag aussah und die Augen nicht davor verschloss. Egal, was Michael sagte. Michael, der sich darüber lustig machen würde, der ihr eventuell wieder drohen würde. Michael …
Sie verdrängte den Gedanken, kehrte ins Wohnzimmer zurück, setzte sich auf die Couch. Sie trug mittlerweile eine graue Jogginghose und ein schwarzes Tanktop, wie meistens, wenn sie daheim war. Dabei war sie nicht zuhause.
Darüber sollte sie nicht weiter nachdenken. Stattdessen schaltete sie den Fernseher an, zappte durch das Programm und verblieb schließlich bei einer Doku über die Antarktis. Warum auch nicht? Dokus waren meistens ihr liebstes Programm, da es am besten vermochte, sie von Denken über andere Dinge abzuhalten.
Vielleicht sollte sie sich noch einen Kaffee machen. Vielleicht sollte sie etwas essen. Vielleicht sollte sie früh schlafen.
Doch sie blieb sitzen, sah weiter die Doku, entspannte sich. Der Dokukanal kündigte an, mit einer weiteren Dokumentation über seltene Vögel in Neuseeland fortzufahren. Auch okay.
Kurz stand sie auf, ging in die Küche. Im Kühlschrank fand sie Salat. Besser als nichts. Sie bereitete sich eine Schüssel, kehrte damit und mit zwei getoasteten Broten auf das Sofa zurück.
Urlaub war ein wunderbares Gefühl.
Ihre Augen waren auf den Blickschirm fixiert, während die beruhigende Stimme eines britischen Sprechers begann über flugloses Geflügel auf der Südhalbkugel zu berichten.
Dann klingelte ihr Handy.
Sie fluchte leise. Was auch immer es war, sie hatte frei. Sie konnte es ignorieren. Es war ohnehin nur eine Nachricht.
Nicht nur eine. Das Handy klingelte noch einmal. Dann noch einmal. Dann wieder. Wieder. Wieder.
Sie stöhnte genervt und sprang auf, nahm das Handy vom Glastisch und blickte drauf. Die Nachrichten waren von Spider. Was auch immer er von ihr wollte!
Sie sah drauf: „Hilfe“, stand in der ersten. „Ich habe Problem.“ – „Pakhet? Kannst du kommen. Ich bin irgendwo bei Lynnedoch.“ – Irgendwo? – „Bitte. Ich glaub, die wollen mich in einen Zombie verwandeln?“ Zombies? Wirklich? „Bitte, Pakhet. Komm.“
Sie konnte einfach sagen, sie hatte sie nicht gesehen. Spider war nicht mehr ihre Verantwortung. Es konnte ihr egal sein. Ja, es konnte … Und doch war es das nicht.
Was war nur aus ihrem Leben geworden?
Sie sollte Smith die Schuld für all das geben.
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[21.07.2011 – T04 – Zombiezug]
„Wo bist du denn?“, schnauzte Pakhet in ihr Handy, während es schwer war, am anderen Ende der Leitung irgendetwas zu verstehen.
„Ich weiß es nicht“, klagte Spider. „Nicht mehr in der Stadt.“
„Wieso bist du denn in den Zug eingestiegen?“
„Ich wollte nach Hause.“ Es klang, als würde er weinen. „Ihr müsst schnell kommen. Ich habe mich in einem Abteil eingeschlossen.“
Pakhet stöhnte und schüttelte den Kopf. Sie konnte ihn einfach hängen lassen. Er war nicht länger ihre Verantwortung, verdammt. Noch weniger war er Heidensteins Verantwortung. Doch was sollte sie denn tun?
Sie hasste es und doch saß sie im Wagen. „Okay, durch welchen Bahnhof bist du zuletzt gekommen?“
„Ich weiß es doch nicht. Wir fahren landeinwärts.“
„Und du bist dir sicher, dass es Zombies sind?“
„Ja.“
Pakhet schüttelte den Kopf. Zombiezüge. Sie hatte davon gehört. Ja, sie hatte davon gehört. Aber es war nur eine urbane Legende. Nichts, das sie normalerweise ernst genommen hätte. Von allem, was sie wusste, hing es noch mit der Kolonialzeit zusammen. Halt nur eine Legende. Eine Warnung nicht in Züge zu steigen. Nichts, was echte Zombies beinhaltet hätte!
Aber natürlich musste Spider sie eines besseren belehren.
„Versuch auf das Dach des Zuges zu kommen, hörst du? Du bist doch so ein Kletteraffe.“
Stille. Rauschen im Hintergrund. „Ich versuch's“, wimmerte Spider schließlich.
„Gut. Wir versuchen dich zu finden.“ Was ein wahrscheinlich unmögliches Unterfangen wäre. Dennoch legte sie auf. Sie brauchte eigentlich einen Zauber. Einen Zauber oder Murphy. Vogelperspektive wäre jetzt sicher praktisch. Doch was wollte sie tun? Sie konnte diese Dinge nicht herzaubern. Also musste sie sich mit dem zufriedengeben, was sie hatte.
Sie sah zu Heidenstein. Er war blass. Unglaublich blass. Eigentlich sollte er liegen, sollte er schlafen. Aber ganz ohne ihn, ganz ohne magische Unterstützung?
Er ahnte, was sie dachte. „Mach dir um mich keine Sorgen. Wir holen ihn daraus.“
Sie schürzte die Lippen, konzentrierte sich auf die Straße. Sie war auf der M2 unterwegs. Sie musste irgendwann abbiegen. Es wäre verdammt hilfreich zu wissen, wo zur Hölle Spider überhaupt war. So konnten sie nur raten. Wenn sie dazu einberechnete, dass Züge schneller unterwegs waren, als Autos, waren ihre Chancen schlecht.
Na ja. Vielleicht auch nicht. Ein Zombiezug wäre keine moderne E-Lokomotive, oder? Vielleicht hatten sie Glück, hatten es mit einer Dampflok zu tun. Damit konnten sie aufholen.
„Du solltest im Bett liegen“, murrte sie Heidenstein zu. „Ich fühle mich außerdem nicht sehr wohl, dich in die Nähe von Zombies zu lassen.“
„Solange du keine Granaten wirfst, wird schon alles okay sein.“ Ein mattes Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht.
„Da hast du aber Glück, dass ich keine Granaten bei mir habe.“ Mit ihrem magischen Auge musterte sie den Horizont in der Hoffnung irgendeinen Hinweis zu entdecken, irgendetwas, das ihr verriet wo dieser spezielle Idiot nun gerade war.
Stattdessen klingelte ihr Handy. Dieses Mal nicht Spider. Es war Mik.
Großartig. Sie drückte die Freisprech-Taste. „Was gibt es?“
„Ich bin auch auf der Suche nach Spider. Ich glaube, ich habe eine Ahnung, wo der Zug langfahren könnte.“
„Und woher nimmst du diese Idee?“
„Vom Schienennetzplan“, erwiderte Mik.
Heidenstein sah zu ihr. „Gerade heraus, dass musst du ihm lassen.“
Aber da konnte nicht einfach ein Zombiezug langfahren. „Mik. Ich glaube nicht, dass die auf einem üblichen Personenverkehrsnetz fahren.“
„Ja, aber auf den alten Güterschienen schon“, erwiderte Mik. „Das ist auch Teil der Legende.“
„Der Urban Legend?“
„Genau.“
Fuck. War besser als einfach wild raten. „Okay. Wohin fahren wir?“
„M1. Versuch auf die M1 zu kommen.“
Großartig. Die war von hier aus ein ganzes Stück weiter nördlich und sie fuhr den verdammten klapprigen und noch immer stinkenden Teamvan. „Okay.“
„Gut.“
Sie legte auf, schüttelte den Kopf und fluchte leise vor sich hin.
Worauf hatte sie sich da eingelassen? Sie drückte das Glaspedal durch, bemüht das missmutige Brummen des Motors zu ignorieren. Das würden sie nicht allzu lange durchziehen können.
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