Von der Direktheit dieses Angriffs überrascht stand Dolchzahn wieder auf und einen Moment einfach nur da. Er starte den nun toten Keiler an. Dabei stellte sich sein Nackenfell noch einmal auf und seiner Kehle entwich ein tiefes Knurren. Dann ließ recht schnell der Rausch des Kampfes nach und er fühlte wieder dass er eigentlich noch immer erschöpft war und auch das unangenehme Ziehen und Pochen kehrte nun in beide Schultern mit alter Intensität zurück. Mit hängendem Kopf schleppte er sich neben Emnori und lies sich zu Boden fallen. Der Blutgeruch machte ihn zwar hungrig, aber der Keiler wirkte nicht so, als wäre es sonderlich essbar. Selbst wenn, müssten sie erst noch vollends durch seine Haut. Stattdessen frage er Emnori vorsichtig. „Und, war das jetzt so schlimm? Ich weiß nicht, wo du herkommst, aber eigentlich sollte für einen Jäger wie dich das Töten kein Problem darstellen.“
„Es ging nicht anders.“, murmelte Emnori mit gesenktem Kopf, „Ich habe kein Problem dabei, etwas zu töten, das ich hinterher auch fresse, auch wenn ich um jedes Leben trauere, das ich genommen habe. Ich wünschte manchmal, ich wäre nicht als Jäger geboren. Etwas zu töten, von dem ich genau weiß, dass ich es nicht fressen werde, erscheint mir einfach falsch, aber dieses Wesen... Es war schon am Ende, aber es hat trotzdem nicht aufgehört... Wenn es dir etwas angetan hätte, hätte ich mir das nie verzeihen können.“
„Und woher ich komme... Nun bis vor drei Monaten war ich ein willenloser Sklave eines Platiners. Für mich gab es nur Qual, Schmerz und schwere Arbeit. Freundschaft, oder überhaupt nur Mitleid für die Angehörigen meiner Rasse, die mit mir in dieser Hölle lebten, konnte ich mir nicht erlauben. Für mich war jeder Tag ein Kampf und ich dachte nicht weiter, wie an den nächsten Schritt und dass ich nicht sterben wollte. Meine Rasse ist mit einem sanften wesen gestraft, weshalb die Zweibeiner und alle gefangen nahmen und unseren Willen brachen.“
Dolchzahn hatte währenddessen den Kopf auf die Pfoten gelegt und still Emnoris Erzählung gelauscht. Doch jetzt hob er den Kopf und blickte Emnori mit einem Gefühl an, dass er in seinem Leben noch nie wirklich verspürt hatte. Es war Mitleid, wie er feststelle und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, denn mit ihm kam Zorn auf die, die dafür gesorgt hatten, dass er nun Mitleid für Emnori verspürte. Aus seiner Sprache versuchte er jedoch beides zu verbannen, doch selbst in der leisen, trockenen Stimme lag noch immer ein Teil seiner Gefühle. „Es ist schrecklich, was mit deiner Rasse geschieht. Die Zeit, die ich im Gefängnis gesessen hatte, hat mich schon fast verrückt gemacht. Ich verstehe nicht, wie ihr es euer Leben lang aushalten könnt. Aber mach dir keine Sorgen, bevor dir irgendein Zweibeiner verletzt, bleibt von ihm nicht viel übrig, selbst, wenn es das letzte ist, für das ich sorge. Aber selbst wenn dein alter Alltag hart gewesen sein mag, musst du dich ob du willst oder nicht, daran gewöhnen, zu töten. Du musst nicht lernen zu morden, aber du musst lernen, zwischen deinem und einem anderen Leben zu wählen. Dieses Vieh zu Beispiel. Was hätte es gebracht, hätte es weitergelebt? Es hätte nur sinnlos gemordet, dein eigenes Leben ist da wesentlich wichtiger. Daran werden wir arbeiten müssen.“
„Ich weiß! Aber ich kann nicht gegen das ankommen, was meine Rasse ausmacht.“, meinte die Zaeckran traurig, „Wenn mich die anderen Zaeckran sehen könnten, wären sie zu tiefst enttäuscht. Ich habe schon mehrmals mein Leben über das anderer gestellt und somit unseren Grundprinzipen widersprochen. Den unsere Ahnen haben uns gelehrt das Leben zu achten und nur zu töten, damit wir und unsere Jungen etwas zu fressen haben. Es eines der wenigen Dinge, die wir über uns wissen. Den Rest hat man uns genommen. Ich weiß nicht einmal mehr, welchem Element ich angehöre oder ob meine Vorfahren überhaupt fliegen konnten. Ich habe niemals die Feuerhöhlen, in denen die alten Jäger gelebt haben gesehen und laut den Regeln meiner Rasse bin ich noch ein Kind. Erst an dem Tag, an dem ein Jungtier allein und ohne Hilfe seinen ersten Nanjing-Vogel erlegt, darf es in den Kreis der Erwachsenen Jäger aufsteigen. Aber das ist seit vielen Generationen nicht mehr geschehen...“
„Bei uns ist man dann erwachsen, wenn man die Fänge der Eltern zu spüren bekommt. Na ja, wenn du von Achtung vor dem Leben sprichst, wäre es dann nicht eher Achtung vor dem Leben, wenn du ein Leben auslöscht und damit Marus allein weiß wievielte andre Leben, darunter auch dein eigenes rettest? Durch diese Bestie wären jede Menge friedlicherer Wesen ermordet worden, als wir es sind. Es ist eine der wenigen Regeln, an die sich sogar ein Lupaner hält.“ Bei den nächsten Worten wand Dolchzahn den Blick von Emnori ab und seine Worte wurden düster. „Wenn du jemand unschuldigen tötest, dann darfst du dich schuldig fühlen. Es ist keine schöne Erfahrung, ... Denk einfach ein wenig darüber nach, was du heute getan hast. Du hast mir das Leben gerettet und eine geistlose Bestie, die ihres dafür lassen musste, sollte ein geringer Preis sein. Sie hat uns angegriffen und du hast uns verteidigt. Das ist der Lauf von Marus Jagd.“ Sich langsam erhebend fügte er dann mit neutraler Stimme hinzu: „Ich werde dir zeigen, wo du am schnellsten die größten Wunden schlägst, den Rest musst du selber lernen, ich kann dir deine Grundsätze nicht verbieten, die musst du selber überdenken. Am besten wir kehren wieder zurück, bevor zu viele andere angelockt werden und vielleicht noch jemand größeres auftaucht.“
„Das ist es nicht. Ich weiß sehr wohl, dass es richtig war dieses Geschöpf zu töten, aber ich fühle mich dennoch schuldig.“, meinte Emnori leise und blickte Dolchzahn in die Augen, „Was mich aber bedrückt ist, wenn Freunde sich vor mir fürchten. Du hattest für einen Moment Angst vor mit und wusstest nicht sofort, wie du dich mir gegenüber verhalten sollst. Wie kann das, was ich getan habe also richtig sein?“
Resigniert lies Dolchzahn den Kopf sinken, hielt jedoch Emnoris Blick. „Es ist ja wohl nur normal, dass man sich vor einem gefährlicheren Jäger fürchtet. Du hast richtig gehandelt. Ich war nur überrascht, da ich am Anfang nicht erwartet hatte, dass du dich nach dem anfänglichen Zögern so schnell zum ernsthaften Kämpfen überwinden könntest. Ich hatte keine Angst vor dir, nur vor deiner Macht. Das ist etwas komplett anderes. Jeder Jäger fürchtet sich vor dem Jäger, der mächtiger ist. So groß wie du bist ist dabei doch schon selbstverständlich, dass du stärker bist. Lass dich davon nicht auffressen!“ meinte er versöhnlich.
Emnori blickte ihn noch einige Augenblicke an, bevor sie sich erhob und mit ihren kräftigen Hinterpfoten ein Loch neben dem Keiler zu scharren begann. Schon nach kurzer Zeit war es tief genug und die Raubkatze schob den Leichnam des Schweines hinein. Schnell kratzte sie die Erde wieder über das tote Wesen und wandte sich zu Dolchzahn um. „Lass uns gehen. Ich hab gesehen, dass du heute Morgen nichts gefressen hast und soweit ich mich erinnere, muss deine Art täglich Nahrung zu sich nehmen, also jagen wir dir was.“, schlug sie betont fröhlich vor.
An dieser Fröhlichkeit zweifelte Dolchzahn jedoch und meinte nach kurzem Schweigen. „Ich bin kein Zweibeiner, du musst Unbehagen nicht vor mir verstecken. Aber ja, ich habe Hunger. Wenn es dich beruhigt, dieses Mal kann auch ruhig ich den tödlichen Stoß übernehmen, dann brachst du dir für heute nicht noch mehr Vorwürfe machen.“ Bei den letzten Worten, die einen sanften Klang hatten, dem man jedoch anmerkte, dass er nicht oft verwendet wurde, steckte Dolchzahn seinen Dolch wieder ein und lief in einem lautlosen Trab los, der mit seinen Schultern verträglich war. So wie er lief würden sie einen Halbkreis um das Hauptquartier von Sternenhimmel laufen und so zwar Distanz zwischen den toten Keiler und ihnen bringen, es später aber nicht zu weit zurück zu laufen haben.
„Ich musste mein ganzes Leben lang meine Gefühle verstecken, entschuldige, wenn ich mich an diese Freiheit noch nicht gewöhnt habe.“, antwortete Emnori leise, während sie ihm folgte. Bald schon witterte sie eine Herde Wild, doch sie bezweifelte, dass ihr Freund so viel Fleisch fressen konnte. Für ihn war etwas kleineres, wie ein Kaninchen wohl besser.
Einige Minuten liefen sie, ohne dass sie die Witterung eines kleineren Tieres aufnahmen. Wäre Emnori nicht bei ihm gewesen, hätte er sich an die Herde Rehe angeschlichen und sich eines der Jungtiere geschnappt, die noch nicht schnell genug waren, vor ihm zu fliehen. Er konnte sich jedoch vorstellen, dass Emnori da empfindlich drauf reagiert hätte, also hatte er die Herde ignoriert. Wie konnte ein Raubtier nicht mit dem Lauf des Lebens klarkommen? An der Antwort auf diese Frage immer wieder scheiternd trabt Dolchzahn vor sich hin und hätte fast die beiden Murmeltier nicht bemerkt, die es sich auf einer anderen Lichtung in der Sonne bequem gemacht hatten. Sie schienen zu dösen und Dolchzahn bedeutete Emnori, zu warten, da sie mit ihrer Größe nicht zu übersehen gewesen wäre. Er selbst presste sich mit dem Bauch auf den Boden, was ihm seine Schulter jedoch sogleich quittierten. Sein Hunger war jedoch stärker und so schob er sich Stück für Stück voran, bis er den Stein erreicht hatte, auf dem die beiden Tiere lagen. Er war aus einer Richtung gekommen, auf die den beiden der Blick durch den Stein verdeckt gewesen war und so kam eines der beiden nicht einmal dazu, Dolchzahn zu bemerken, als dieser nun mit einem Sprung neben ihm stand und seine Zähne in den Nacken grub. Schnell biss er zu und lies das Murmeltier fallen, sobald er sich sicher war, dass es tot war. Das zweite hatte zu einem Sprint in seine Erdhöhle angesetzt, wurde jedoch kurz vor dem Loch von einem leicht strauchelnden Dolchzahn eingeholt und teilte nun das Schicksal seines Artgenossen. Mit dem Murmeltier in der Schnauze kehrte Dolchzahn zu dem ersten zurück und begann damit, sich einen Weg durch die Haut zu bahnen, die kein Vergleich zu der des Keilers war und einen Bocken nach dem anderen herauszureißen. Das Emnori sich dabei neben ihm legte, störte ihn in keiner Weise, er wusste, dass sie ihm seine Beute nicht streitig machen würde. Nachdem kaum mehr als die absolut ungenießbaren Teile, die Knochen und das Fell übrig waren, erhob sich Dolchzahn und leckte sich sowohl die Schnauze als auch die Pfoten vom Blaut sauber und wand sich zum Gehen. Die Reste würden für die Aasfresser eine leichte Mahlzeit sein.
Auch Emnori beendete nun ihre Wäsche, die sie während des Wartens erledigt hatte. Es war ein fantastisches Gefühl durch ihr nun wieder volles Fell zu streichen. Behände erhob sie sich und folgte mit einigen Sätzen dem Wolfswesen. Seit der letzten Nacht war ihre katzentypische Geschmeidigkeit zurückgekehrt. Dolchzahn hingegen schien es erst nach dem Essen wirklich besser zu gehen, auch wenn seien Wunden ihm wohl noch immer Probleme bereitete. Die Raubkatze zweifelte allerdings daran, dass er sich noch einmal freiwillig von den Heilern behandeln lassen würde. So lief sie schweigend neben ihm her, bis sich die Bäume lichteten und der Hof des Hauptquartiers in Sichtweite kam.
OT: Und das ist der Rest, der in Zusammenarbeit mit Sheewa entstanden ist.